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INHALTSVERZEICHNIS


GEHORSAM 2
Erkennen der individuellen Verantwortung 3
Die eigene Unzulänglichkeit erkennen 4
Anerkennung einer äußeren Autoritätsquelle 5
Verstehen der Anforderungen von Autorität 8
Die Rolle des Verstandes bei der Ausführung von Geboten 11
LITERATURVERZEICHNIS 14




Gehorsam

Eine Ansprache von Ian Sample, am 26. July 1991 im Empangsraum des Sitzes des Universalen
Hauses der Gerechtigkeit, anläßlich des Programmes Geistige Bereicherung am Bahá’í Weltzent-
rum

Das Internationale Lehrzentrum hat eine wunderbare Textsammlung zum Thema Gehorsam er-
stellt, die Sie alle erhalten haben. Ich gehe davon aus, daß Sie alle damit vertraut sind und möchte
daher in meinen Ausführungen einige grundsätzliche Gedanken behandeln - hauptsächlich Ge-
horsam in Beziehung zur Freiheit der Gedanken und ebenso die Bedeutung des Gehorsams für
die Entwicklung des einzelnen Menschen wie auch für die Gesellschalt als Ganzes.

Die Menschheit hat praktisch während ihrer gesamten Vergangenheit entsetzlich an Tyrannei ge-
litten. Dadurch wird Gehorsam heute häufig gleichgesetzt mit sklavischer Unterwürfigkeit und Er-
gebenheit in Unterdrückung - oder noch schlimmer: Sie wird als Entschuldigung für die Teilnahme
an Verfolgungen genutzt. Da Sie eine Weile in Isreal gelebt haben, wissen Sie, daß dies häufig
thematisiert wird, wenn über den Holocaust gesprochen wird. Jene, die am Holocaust beteiligt
waren, sagten: „Nun, ich gehorchte lediglich den Befehlen; dafür kann man mich doch nicht be-
langen.“ Wegen dieser Vergangenheit der Unterdrückung wurde dem Gehorsam eine große Ver-
achtung zuteil und „rücksichtslose“ Individualität wird als das wahre Ziel des sozialen Lebens ge-
priesen. Wie ist dann vor diesem Hintergrund das folgende Zitat Bahá’u’lláhs zu verstehen:

Was der Menschheit an diesem Tage nottut, ist Gehorsam gegen die, welche die Gewalt in Hän-
den haben, und gewissenhaftes Festhalten am Seile der Weisheit.
(ÄL 102)

Um dies zu verstehen, sollten wir die Kehrseite dieser Medaille betrachten. Wir müssen die un-
wahrscheinlich großen Probleme der Menschheit schätzen lernen, die durch gewaltsamen Natio-
nalismus und Stammesstrukturen entstehen, durch die Gier der Einzelnen und den entwurzelten
Vergleichskampf im Wirtschaftsleben, durch zügellose, unzulässige Unmoral und durch das stän-
dig wachsende Vorkommen von Kriminalität und Terrorismus. Dies alles sind Verzerrungen der
Freiheit.

Die Vergangenheit hat in der Tendenz gezeigt, daß die Menschheit zwischen den beiden Extre-
men, Tyrannei und zügelloser Ausschweifung, hin- und herpendelt und dabei auch glückliche Zei-
ten erlebt, wenn sie einen gemäßigten Bereich erreicht hat. In der Bahá’í-Gemeinschaft streben
wir kein gemäßigtes Gleichgewicht zwischen Freiheit und Gehorsam an. Stattdessen lernen wir
durch die Lehren Bahá’u’lláhs, wie wir in Freiheit der göttlichen Richtschnur Gehorsam leisten
können und erkennen somit Gehorsam und Freiheit als ein harmonisches Ganzes an. Wir sollten
sie nicht länger als Gegenspieler betrachten.

Um dieses Konzept genauer zu untersuchen, möchte ich es in das Licht der folgenden fünf Pro-
zesse stellen:

- Der erste ist, daß wir uns als die höchsten Quellen der Autorität betrachten.

- Beim zweiten geht es darum, die eigene Mangelhaftigkeit zu erkennen.

- Der dritte besteht darin, eine Quelle der Autorität außerhalb des eigenen Seins zu anzuerken-
nen.

- Der vierte ist es, die Anforderungen dieser Autoritätsquelle verstehen zu lernen.

- Der fünfte ist die Rolle der Entscheidung bei der Durchführung dieser Anforderungen.


Die Grundlage für jegliche Entwicklung ist die Selbsterkenntnis und die Anerkennung der Verant-
wortung für das eigene Leben.

Der nächste Schritt ist die Erkenntnis, daß es zum Chaos im Leben einer Person und in der ge-
samten Gesellschaft führt, wenn jeder seinen eigenen Neigungen folgt.

Dies führt uns dazu, die äußere Autoritätsquelle für das Wahre und Richtige zu suchen. Wenn wir
glauben, diese gefunden zu haben, ist es wichtig, sie zu bestätigen. Wenn wir das nicht tun, op-
fern wir eine der grundlegendsten Rechte und Pflichten der Menschheit.

Haben wir uns entschieden, daß eine Quelle Gültigkeit besitzt und wollen wir ihr gehorchen, kön-
nen wir dies nur in das tägliche Leben umsetzen, wenn wir verstehen, was diese Quelle der Macht
von uns erwartet.

Sollten wir schließlich unsere Intelligenz und Urteilsfähigkeit bei der Ausführung von Gehorsam
gegenüber der Autorität nicht einsetzen, kann es darauf hinauslaufen, daß wir das Gegenteil des-
sen tun, was sie wirklich beabsichtigt.

Alle fünf der genannten Vorgänge erfordern die Übung unserer Urteilskraft. Sie stellen die Ableh-
nung der Vorgehensweise des „blinden Gehorsams“ dar und ich glaube, daß dieser blinde Gehor-
sam im Widerspruch zum Glauben steht. Gehorsam besteht für einen Bahá’í darin, durch eigenen
Willen dem zu folgen, was man als Recht erachtet. Blinder Gehorsam ist ein Verzicht auf den frei-
en Willen.

Erkennen der individuellen Verantwortung

Die durch Gott jeder einzelnen Seele übergebene Verantwortung, sein eigenes Leben in die Hand
zu nehmen, wird immer wieder in den Schriften betont. Betrachten Sie die folgenden Worte Ba-
há’u’lláhs. Der erste Abschnitt ist so vertraut, daß man in Gefahr gerät, zu versäumen, über die
vielen Elemente nachzudenken, die er enthält. Deshalb werde ich ihn mit Unterbrechungen lesen:

O Sohn des Geistes!

Von allem das Meistgeliebte ist Mir die Gerechtigkeit. Wende dich nicht ab von ihr, wenn du nach
Mir verlangst, und vergiß sie nicht, damit Ich dir vertrauen kann. Mit ihrer Hilfe sollst du mit eige-
nen Augen sehen, nicht mit denen anderer, und durch die eigene Erkenntnis Wissen erlangen und
nicht durch die deines Nächsten. Bedenke im Herzen, wie du sein solltest. Wahrlich: Gerechtigkeit
ist Meine Gabe und das Zeichen Meiner Gnade. So halte sie dir vor Augen.
(VW, 2)

Weiter besitzen wir die drei folgenden Textstellen, die das gleiche Thema behandeln:

Urteilt gerecht über die Sache Gottes, eures Schöpfers, schauet, was vom Throne der Höhe her-
abgesandt ist, und denkt darüber nach mit reinem, geheiligtem Herzen. Dann wird euch die Wahr-
heit dieser Sache so offenbar erscheinen wie die Sonne in ihrer Mittagsherrlichkeit. Dann werdet
ihr zu denen gehören, die an Ihn glauben.
(ÄL 52)

Vergeßt nicht die Ehrfurcht vor Gott, ihr Gelehrten der Welt, und urteilt gerecht über die Sache
dieses Ungelehrten, für den alle Bücher Gottes, des Beschützers, des Selbstbestehenden, ge-
zeugt haben.
(ÄL 44)

Dies ist wahrlich ein Zeichen Seiner sanften Barmherzigkeit für die Menschen, jeder Seele hat Er
die Fähigkeit verliehen, Gottes Zeichen zu erkennen. Wie sonst hätte Er den Menschen Sein
Zeugnis erbringen können - gehörtet ihr doch zu denen, die im Herzen über Seine Sache nach-
denken. Niemals wird Er ungerecht mit irgend jemandem verfahren, noch wird Er eine Seele über
ihr Vermögen belasten. Er, wahrlich, ist der Mitleidige, der Allbarmherzige.
(ÄL 52)

In diesen und vielen weiteren Texten ruft uns Bahá’u’lláh auf, nicht einfach zu gehorchen, sondern
unseren Verstand zu gebrauchen, gerecht zu urteilen, anzuerkennen und dann zu glauben und zu
gehorchen. Er versichert uns, daß wir alle die Fähigkeit besitzen, die Wahrheit zu erkennen und
ihr zu folgen.

Daß eine absolute Autorität in uns wohnt, trifft für jeden Menschen zu, ob er dies nun versteht o-
der auch nicht. Man mag diese Autorität nicht anerkennen, um sich wie Treibgut in der Strömung
der Gezeiten umhertreiben zu lassen, und man wird für sein eigenes Leben sorgen.

Allzu oft suchen wir heutzutage Gründe für unsere Handlungen, die Bedingungen und Begeben-
heiten, die außerhalb unserer Kontrollmöglichkeit liegen und die durch unsere Vererbung, unsere
Erziehung oder unsere derzeitige Lage vorgegeben sind. Da ist sicher etwas Wahres dran und ich
behaupte nicht, daß keine Einflüsse auf uns ausgeübt werden.Aber in den meisten Fällen sind es
doch vollkommen schwache Entschuldigungen dafür, etwas falsches zu tun oder zu versäumen,
das zu tun, wovon man im tiefsten Inneren weiß, daß es richtig wäre.

Jeder hat immer die Wahl, sich äußerlichen Einflüssen zu beugen oder Schritte zu unternehmen,
diesen zu begegnen, also einer äußeren Autorität zu gehorchen oder auch nicht. Schritte zur Ver-
änderung unserer Bedingungen zu unternehmen, erfordert Anstrengungen, was dazu führen
kann, daß wir diese Schritte nicht gehen - aber dies ist dann unsere eigene Entscheidung.
Manchmal hat die Entscheidung, einer äußeren Autorität zu widersprechen, so unangenehme Fol-
gen, daß man sich entscheidet, gegen die eigene Überzeugung zu gehorchen. Doch auch das ist
dann eine eigene Entscheidung. Schließlich wird jemand, der glaubt, die Entscheidung ist von
Wichtigkeit, eher den Tod akzeptieren, als falsch zu entscheiden. Aber es besteht immer wieder
die Wahlmöglichkeit und das ist meiner Meinung nach sehr wichtig zu beachten, denn häufig fin-
det man jemanden, sich entschuldigend sagen: „Es tut mir leid, aber ich konnte nicht handeln wie
es richtig gewesen wäre - sonst wäre ich erschossen worden!“ Das war dann auch seine Ent-
scheidung: Er hätte auch die Erschießung hinnehmen können.

Im Iran waren die Verfolger der Sache häufig erstaunt, daß die Bahá’í hinnahmen - ehe sie ein
Wort der Verleugnung des Glaubens über die Lippen brachten - sich hinrichten zu lassen. Dies ist,
wo wir unabhängig und stark sein müssen.

Somit ist der erste Orientierungspunkt, den jeder Mensch an sich anlegen muß, er selbst und die
ihm von Gott verliehene Fähigkeit, selbst zu entscheiden. Für einen Atheisten oder einen Agnosti-
ker gibt es keinen zentralen Referenzpunkt außer ihm selbst und seinen eigenen Wünschen und
Ideen. Selbst, wenn er überhaupt nicht denken sollte, läßt er sich vollkommen von seinen Wün-
schen und Vorlieben treiben - mit anderen Worten, nicht durch das, was er für richtig hält, sondern
nur durch das, was er fühlt. Nur wenige Menschen existieren auf dieser, unter dem tierischen Ver-
halten anzusiedelnden, Ebene. Zum Glück beginnen sie früher oder später darüber nachzuden-
ken, was am Besten für sie ist. Sie üben die Kräfte, die in der eigenen Entscheidung liegen. Aber
gewöhnlich vollenden sie diesen Prozeß nicht. Viele leben nur von einem Tag zum anderen, in-
dem sie den Moden und Launen der Gesellschaft, in der sie leben, folgen. Sie nehmen deren Vor-
urteile auf und folgen deren Maßstäben.

Folgt ein Individuum unkritisch seinen selbstbezogenen Entscheidungen, kommt es zwangsläufig
in Konflikt mit anderen und erhöht somit die Gesamtheit der Probleme in der Welt. Unweigerlich
geraten alle, wenn die Nummer 1 als erstes kommt, und jeder Mensch sich selbst als Nummer 1
ansieht, in eine Konfliktsituation. Dies passiert, egal ob er andere für die Befriedigung seiner Be-
dürfnisse zu dominieren versucht oder auch nicht. Auf der anderen Seite hat das gedankenlose
Befolgen von gesellschaftlichen Vorurteilen oder der Vorgaben eines Führers die Feinseligkeit von
anderen Gruppierungen zur Folge. Beides führt zu geistigem Verfall und Chaos. In den „Sieben
Beweisen“ schreibt der Báb:

In jedem Lande siehst du zahllose geistliche Führer ohne Urteilskraft, in jedem Volk abertausend
Mitläufer, denen dieselbe Eigenschaft fehlt. Denke in deinem Herzen eine Zeitlang darüber nach,
habe Erbarmen mit dir selbst und wende deine Aufmerksamkeit nicht von Beweisen und Zeugnis-
sen ab.
(AB, 4,9)

Weiter vorn, im gleichen Buch sagt er:

Nein, bei Gott, sei du weder ein Geistlicher ohne Urteilskraft noch Mitläufer ohne Urteilskraft, denn
am Tage der Auferstehung werden beide vergehen.
(AB, 4,9)


Die eigene Unzulänglichkeit erkennen

Sobald eine Seele beginnt, nachzusinnen, nicht darüber, was sie tun kann, um nur das eigene
Selbst zufrieden zu stellen, sondern was sie tun sollte; wenn sie sich erlaubt, zu erwägen, was
richtig oder falsch ist; wenn sie über den Sinn ihres Lebens nachdenkt; wenn sie mit anderen Wor-
ten eine erkennende Person wird, hat sie den ersten Schritt weg von der wirklichen Gottlosigkeit
getan. Wirklichkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind Eigenschaften Gottes und
wer immer eine solche sucht, sucht Gott. Viele der selbsternannten Atheisten sind nicht wirkliche
Atheisten. Sie haben bei ihrer Suche nach Wahrheit lediglich hinter die Oberflächlichkeit der tradi-
tionellen Religion geblickt. Ich glaube, das ist es, was wir zur Zeit im Osten beobachten können.
Viele Menschen, die sich als Atheisten bezeichnen, haben dennoch ein geistiges Herz und wissen
nur nicht, wonach sie Ausschau halten. Sie sind nun dabei, es zu finden.

Jeder, der beginnt, auf diese Weise zu denken, wird sich nach Beispielen und Vorbildern für sein
Handeln umsehen, die scheinbar erfolgreich sind und denen er folgen kann, um ähnlich erfolg-
reich zu sein. Dabei ist es unabhängig davon, ob er Atheist ist oder nicht. Als Grundlage hat er die
ganzen Verhaltensmuster, die er in seiner Kindheit kennenlernte. Er wird sie behalten oder für
andere neue Muster verwerfen. Aber selbst dann, wenn er einen Referenzpunkt außerhalb von
sich selbst findet, wird es schwer für ihn sein, über seine derzeitige Ebene hinauszuwachsen. Es
ist, als ob man sich an seinem eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen wolle - man ist dazu einfach
nicht in der Lage.

Solange ein Mensch das Zentrum des eigenen Universums bleibt, wird er auf seine eigene We-
sensart beschränkt bleiben. Wir haben alle schon Mitglieder der Bahá’í-Gemeinschaft getroffen,
die an diesen Beschränkungen litten. Schauen wir uns zum Beispiel jemanden an, der sich für
soziale Gerechtigkeit einsetzt und der durch eigene Lebenserfahrungen und Ideen anderer eine
Philosophie der sozialen Reform entwickelt hat, die sehr nahe verwandt mit den Lehren Ba-
há’u’lláhs ist. Wenn er dem Glauben begegnet, findet er eine ganze Gemeinschaft mit den glei-
chen Ideen. Er erklärt sich als Bahá’í und wird ein Mitglied dieser Gemeinschaft. Wenn sich die
Grundlage für seine Anziehung nicht verändert, wird er früher oder später mit Bahá’í-Lehren in
Kontakt kommen, die nicht in sein Weltbild passen. Sie werden eine Herausforderung für ihn sein
und er wird versuchen, den Glauben so zu verändern, daß er besser zu seinen eigenen Idealen
paßt. Dies wird ihm jedoch nicht gelingen und er wird in seiner Enttäuschung dem Glauben den
Rücken kehren und sich mit anderen Gleichgesinnten zusammen tun, mit denen er jedoch auch
keine absolute Übereinstimmung erreichen wird. D. h., da er selbstbezogen ist, wird er sein Leben
lang auf eine gewisse Weise alleine bleiben. Er wird Verbindungen mit anderen Menschen einge-
hen, sie jedoch auch wieder brechen.

Das bedeutet, jeder Mensch muß seine eigene Unvollkommenheit erkennen und den gemein-
schaftlichen Mittelpunkt außerhalb seines Selbstes suchen. Nur dann besteht für die einzelne
Seele die Möglichkeit zur vollständigen Entwicklung und sie wird fähig, mit anderen zusammen in
Harmonie für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft zu arbeiten.

Anerkennung einer äußeren Autoritätsquelle

Solange ein Mensch kein wirklich gebietendes Zentrum besitzt, das in Harmonie mit der Natur des
Universums steht, wird keine Verbindung mit anderen Individuen bestehen bleiben. Deshalb wer-
den sich rein soziale Bewegungen und politische Parteien verändern, aufspalten und abschlie-
ßend zusammenbrechen. Dabei ist es egal, wie groß die Loyalität ist, die ihnen entgegengebracht
wird. Wenn wir aber unsere individuelle Autorität und Freiheit einer externen Autorität unterwerfen,
haben wir die Pflicht, diese Quelle der Autorität zu bestätigen, ob es eine bürgerliche Regierung,
eine politische Partei oder was auch immer ist.

Der entscheidende Unterschied zwischen Religion und Philosophie ist, daß Religion für sich bean-
sprucht, eine Verbindung zu Gott selbst, dem Schöpfer, dem Erhalter, dem Urheber des Univer-
sums zu haben. Sie stellt nicht lediglich die Zusammenfassung wohlüberlegter Ideen, sondern
vielmehr die Offenbarung ewiger Wahrheit dar. Die Autorität, die sie beansprucht, ist absolut. Dar-
in ist sowohl ihre Stärke als auch eine Gefahr enthalten. Die Stärke ist, daß jemand, der direkt mit
Gott verbunden ist, zu Harmonie mit Wahrheit, Gerechtigkeit und Schönheit gelangt. Die Gefahr
liegt darin, einem falschen Propheten den Gehorsam zukommen zu lassen, der allein Gott selbst
geschuldet werden kann. Dann verfällt man in eine Verwirrung, die weit schlimmer ist, als jede
Form von Philosophie sie erzeugen kann. Bedenkt welche Verheerungen durch charismatische
Führer wie Hitler ausgelöst wurden. Sie haben für sich absolute Loyalität und Gehorsam durch
ihre Anhänger beansprucht. Solche Führer erzeugen Pseudo-Religionen, die mit politischen Par-
teien nichts mehr zu tun haben. Die Anerkennung der Quelle der Autorität ist bei den Religionen
von höchster Wichtigkeit.

Kein Wissen ist von größerer Bedeutung für die einzelne Seele, als die Erkenntnis, daß jeder die
Verantwortung hat, die Wahrheit zu suchen und dabei Fehlentscheidungen auszuschließen. Jeder
hat sodann die absolute Pflicht, dieser Wahrheit zu folgen, wo auch immer sie hinführt. Wir müs-
sen erkennen, daß Gott nicht mit sich handeln läßt.

Bahá’u’lláh enthüllt diese Wahrheit in einem Satz eines Seiner Gebete: „Welche Kraft können die
schattenhaften Geschöpfe als ihr Eigentum beanspruchen, wenn sie Ihm, der der Ungeschaffene
ist, gegenüberstehen.

Nun ist dies eine sehr wichtige, eine sehr folgenreiche und äußerst unbequeme Wahrheit. In die-
sem Zusammenhang möchte ich etwas über die Gottesfurcht sagen. Denn wenn jemand wirklich
über Gott nachdenkt, ist dies eine beängstigende Aussicht. Wenn jemand ein Atheist ist, der ü-
berhaupt nicht an Gott glaubt, kann dieser sich bis zu einem bestimmten Punkt blind stellen für die
Abscheulichkeiten dieses Universums, indem er von Tag zu Tag hetzt. Aber wenn er wirklich über
es nachdenkt, wird das Universum zu einem entsetzlichen Ort. Wir brauchen nur die Größenord-
nung der Sterne zu betrachten, oder die Sonne selbst mit ihren Sonnenflecken und dann über uns
winzig kleinen Mikroben nachdenken, wie wir uns auf der Erdoberfläche bewegen. Wir sind zu-
tiefst machtlos; was können wir also tun? Was können wir für die Zukunft tun? Dies war eines der
theoretischen Probleme, mit denen sich die kommunistischen Denker vor einigen Jahren befassen
mußten. Sie hatten die großartige Idee, daß die Menschen für eine bessere Zukunft altruistisch
und selbstlos sein sollten. Ein Individuum hatte nach ihren Vorstellungen kein zukünftiges Leben --
es gab kein ewiges Leben -- aber die Zukunft lag in einer aufzubauenden Gesellschaftsform. Man
diente dort so gut man konnte, man liebte seine Mitmenschen und man schuf eine Welt, die ein
Muster an Perfektion werden sollte. Diese Welt sollte dann jedermans ewiges Leben darstellten.
In Probleme gerieten sie, als sie bemerkten, daß die Menschen erkannten, diese Welt würde
selbst nicht für ewig bestehen. Irgendwann würde auch sie zerstört werden. D. h. es gibt keine
ewige Zukunft durch die Verbesserung dieser Welt. Und wenn es keine andauernde Zukunft gibt,
fragt man sich: "Warum soll ich mich darum kümmern? Warum soll ich diese rund 70 Jahre für
etwas Opfer erbringen, daß sowieso nicht für immer Bestand haben wird?" Pascal hat vor Jahr-
hunderten dieses Problem erkannt: Die Armut und das Elend dieser Welt sind ohne Gott für die
Menschen unerträglich. Sie fangen dann an, nach Ablenkungen zu suchen, um sich davon abzu-
lenken. Darum wird auch eine Gesellschaft, die mehr und mehr unreligiös wird, zunehmend von
Vergnügungen und Ablenkungen und Kitzel eingenommen. Denn die Menschen können die Wahr-
heit nur schwer ertragen.

Festzustellen, daß diese Welt nicht nur eine Ansammlung von Atomen und Molekülen ist, sondern
daß da etwas ist, das sie steuert -- daß da mit anderen Worten Gott ist -- kann für eine Weile ein
interessantes philosophisches Konzept sein, bis man es ernsthaft untersucht. Wenn man dann
feststellt, daß Gott wirklich Gott ist, kann man Ihn nicht mehr beliebig bezeichnen. Und: man kann
nicht mit Ihm handeln. C.S. Lewis verfaßte hierüber einst einen Kommentar. Als er die Realität
Gottes erkannte, stellte er auch eine Forderung fest, die durch Ihn gestellt wurde. Gott sagte nicht:
„Gib mir alles oder nichts.“ Da gibt es keine Wahl. Er sagte: "Alles". Das ist es. Da gibt es keine
Alternativen. Gott ist Gott.
Dies ist schwer, aber wichtig zu akzeptieren. Die unglaublichen Gnaden, die wir durch die Mani-
festationen erfahren, sind das Wissen, daß diese unverständliche Kraft hinter diesem Universum
keine blinde und willkürliche Kraft ist. Vielmehr ist es das Wissen, daß die Kraft der Liebe, Wahr-
heit und Schönheit dahintersteckt, daß die einzelne menschliche Seele aus Seiner Sicht wichtig ist
und daß sie in Seiner Obhut ist. Dies ist eine revolutionäre Idee und ist der Kern jeder wahren Re-
ligion.
Aber nach wie vor müssen wir hinnehmen, daß wir nicht mit Gott handeln können. Ich empfehle
jedem von Ihnen, der Schwierigkeiten damit hat, das Konzept der Furcht vor Gott anzunehmen
oder mit den Ungerechtigkeiten in dieser Welt hadert, daß er das Buch Hiob liest. Dies ist ein sehr
altes Buch, aber behandelt dieses Problem. Hiob ist ein sehr aufrichtiger Mann, ein sehr gesunder
Mann, ein sehr wohlhabender Mann und in der Geschichte -- bei der Geschichte handelt es sich
um ein Gleichnis -- kommt der Teufel zu Gott und spricht: "Schau, er ist doch nur so gut, weil Du
ihn so gut behandelst. Nimm ihm seine ganze Gesundheit, sein ganzes Glück und er wird Dir nicht
mehr gehorchen." Da sagte Gott: "In Ordnung" und Er erlaubte dem Teufel, Hiob alles zu nehmen,
was er hatte. Von da an lief bei Hiob alles schief. Es kommen eine ganze Reihe von Freunden und
schlechten Tröstern, die wie ein Refrain in der Geschichte wirken und Hiob erklären, warum alles
schief geht. Sie versuchen, ihm klar zu machen, daß alles so käme, weil er gesündigt haben muß.
"Nein, ich habe nicht gesündigt," sagt Hiob. "Ich werde nicht sagen, daß ich gesündigt habe, denn
ich habe nicht gesündigt! Ich werde nicht bestraft für etwas, das ich getan habe." Aber er verfolgte
weiterhin seinen Weg des Gehorsams zu Gott und seiner Liebe zu Gott. Er erklärte: "Selbst, wenn
Er mich hinrichtet, werde ich an Ihn glauben." Das ganze läuft so weiter und wir erhalten die ver-
schiedensten Rechtfertigungen für das, was passiert. Schließlich ist Hiob davon überzeugt, daß er
Gott befragen müsse. Und Gottes Stimme erklingt aus einem Wirbelwind:
Da antwortete der Herr dem Hiob aus dem Wettersturm und sprach: Wer ist es, der den
Ratschluß verdunkelt mit Gerede ohne Einsicht? Auf, gürte Deine Lenden wie ein Mann: Ich will
dich fragen, du belehre Mich! Wo warst Du, als Ich die Erde gegründet? Sag es denn, wenn du
Bescheid weißt. Wer setzte ihre Maße? Du weißt es ja. Wer hat die Meßschnur über ihr ge-
spannt? Wohin sind ihre Pfeiler eingesenkt? Oder wer hat ihren Eckstein gelegt als die Morgen-
sterne jauchzten, als jubelten alle Gottessöhne?
(Hiob, 38:1 ff)

Es gibt keine Möglichkeit für uns, das Wesen Gottes oder Seine Absichten zu verstehen. Wir
müssen dies einfach hinnehmen. Dies ist, lassen Sie es mich so sagen, die Furcht und zugleich
die Erhebung, wenn wir schließlich das Wesen Gottes akzeptieren. Ich habe nie die besondere
Begebenheit vergessen, durch die ich diese Wahrheit erfuhr. Sie wurde mir klar durch einen jun-
gen Mann, mit dem ich zusammen zu arbeiten hatte. Er war ein Büroangestellter in einer Firma, in
der ich Buchhalter war. Irgendwann befragte er mich über den Glauben. Ich glaube, ich gab ihm
damals "Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter“ und dann trennten sich unsere Wege. Eines Tages
hatten wir wieder eine gemeinsame Aufgabe und er sagte zu mir: "Wissen Sie, ich hatte damals
keine Wahlmöglichkeit mehr. Als ich anfing, das Buch zu lesen, stellte ich fest, daß es so wichtig
war, daß ich keine andere Wahl hatte, als es zu Ende zu lesen und zu entscheiden, ob es wahr
oder falsch ist. Und wenn ich es als wahr erachte, habe ich keine andere Wahl als dem zu folgen."
Nun es gibt nicht so viele Menschen, die eine so tiefe Empfindungsgabe haben, so kurz, nachdem
sie über den Glauben gehört haben -- er hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden, ob es
wahr ist. Aber er studierte und er entschied und er nahm den Glauben an. Er verstand die Wahr-
heit folgender Worte Bahá’u’lláh’s sehr gut:

Sie sollten keinesfalls ihrer Phantasie erlauben, ihre Urteilskraft zu trüben, noch sollten sie ihre
eigenen Vorstellungen für die Stimme des Ewigen halten.
(ÄL 160)

Einzuräumen, daß Gott Gott ist, zu akzeptieren, daß man nur ein kleiner Teil Seiner Schöpfung ist
und zu verstehen, daß die Erfüllung der Übung der eigenen unabhängigen Autorität die Unteror-
dung unter die Autorität Gottes ist, kann eine sehr demütigende und schmerzliche Erfahrung sein.
Einmal vollzogen, bringt es einen Zuwachs an Freude und Kraft, die man kaum erwartet hätte.
Denn man hört auf, alleine zu sein. Man wird ein hilfreicher integrierter Bestandteil des ganzen
Universums. Es ist eine Offenbarung des Geheimnisses des Opfers und der erstaunlichen Tatsa-
che, daß Gott Liebe ist.
Eine Gefahr verbirgt sich darin, daß die Freude, die solch eine Selbstaufgabe mit sich bringt, in
gewisser Weise auch von jemandem erfahren werden kann, der sich einem falschen Propheten
hingibt, so wie von jenem, der sich der wahren Manifestation Gottes weiht. Selbstaufgabe ist als
solches eine Tugend und man kann das gleiche erhebende Gefühl haben, wenn man sich dem
Falschen weiht. Dies ist die Gefahr. Die Methoden, wie wir die Wahrheit suchen und akzeptieren
können, kennen wir, weshalb ich hierüber keine Ausführungen machen werde. Sie erinnern sich
alle an die vier Kriterien, die ’Abdu’l-Bahá uns zur Ermittlung der Wahrheit genannt hat: Die Sinne,
den Verstand, die Tradition und die Inspiration. Jeder dieser Wege kann fehlbar sein, aber wir
geben unser Bestes, sie alle zu kombinieren und es ist die Führung Gottes, die uns die endgültige
unfehlbare Führung gibt.
Was passiert, wenn wir nach unseren besten Möglichkeiten unsere Sinne, unseren Verstand, un-
sere Traditionen und unsere Inspiration angewandt haben und wir dachten, daß die Quelle der
Autorität gültig ist und haben ihr dann Gehorsam geleistet, dies aber trotz allem falsch war? Wie
können wir unseren Fehler herausfinden?
Diese Frage bringt uns zum vierten Prozeß, den ich zu Beginn erwähnte.

Verstehen der Anforderungen von Autorität

In seinem Brief an die Palästina Sonderkommission der Vereinten Nationen hielt Shoghi Effendi
fest, der Glauben „beinhalte für die Anhänger als erste Pflicht, sich auf die entfesselte Suche nach
Wahrheit begeben.
Dieses Gebot bedeutet zur gleichen Zeit den Schutz davor, einem falschen Propheten zu folgen,
den Ursprung des Lichtes der Beratung und die Garantie der erfolgreichen Umsetzung der Anwei-
sungen Bahá’u’lláh’s in den Worten des Paradieses:

Schulen müssen die Kinder zuerst in den Grundsätzen der Religion erziehen, so daß Verheißung
und Drohung, wie sie in den Büchern Gottes geschrieben stehen, die Kinder von Verbotenem ab-
halten und mit dem Mantel der Gebote schmücken; aber dies muß in solchem Maß geschehen,
daß es die Kinder nicht durch Abgleiten in eifernde, bigotte Unwissenheit schädigt.
(BOT 6,28)

Wir kehren wieder zurück zu der Antithese zwischen blindem Gehorsam und willentlichem, be-
wußtem Gehorsam, die ich zu Beginn des Vortrages erwähnte. Sie mögen fragen: „Aber warum
sollen wir unsere unabhängige Suche nach Wahrheit fortsetzen, nachdem wir sie durch die Aner-
kennung Bahá’u’lláh’s gefunden haben? Würde dies nicht andeuten, daß wir Zweifel an Seiner
Position haben?“ Glauben Sie etwa, daß die Erkenntnis Bahá’u’lláh’s das Ende ist? Sicher ist es
nur der Anfang. Wenn man akzeptiert, daß Bahá’u’lláh die Manifestation Gottes ist, daß Er, Seine
Handlungen und Seine Worte ein perfekter Spiegel der Natur Gottes sind, Seiner Wahrheit, Sei-
ner Absichten für dieses Zeitalter, dann beginnt eine lange Aufgabe, genau zu erfassen, was er
uns sagen will, Seine Befehle in unserem täglichen Leben umzusetzen und es zuzulassen, daß
das Licht Seiner Offenbarung unser Herz und unseren Verstand erleuchtet. Dies kann nicht pas-
sieren, wenn wir die Türen unseres Geistes verschließen.

Ein wahres Prinzip für eine Handlung bleibt wahr, egal auf wen es angewendet wird. Das anhal-
tende Suchen nach Wahrheit ermöglicht es den Anhängern eines wahren Propheten, Ihm immer
näher zu kommen, Seine Lehren aufzunehmen und sie in ihr Leben zu integrieren. Das gleiche
Prinzip, wenn es auf die Anhänger eines falschen Propheten angewendet wird, wird ihnen früher
oder später ermöglichen, den Irrtum zu erkennen. Dies ist auch der Grund, warum falsche Pro-
pheten von ihren Anhängern blinden Gehorsam fordern. Sie fürchten die Wahrheit - und dies aus
gutem Grund. Aber warum sollte Er, der die Wahrheit selbst ist, jemals leiden durch das Streben
nach Wahrheit Seiner Anhänger?

Dann wäre da noch die Sache mit unserer Vertiefung in die Lehren. Wie können wir uns vertiefen,
wenn wir nicht über sie nachdenken, wenn wir sie uns nicht gegenseitig erzählen, wenn wir sie
nicht ausprobieren und sie untersuchen im Lichte der Erfahrung? Die Lehren Bahá’u’lláh’s sind
dazu da, die Menschheit für mindestens die nächsten 1.000 Jahre zu bereichern. Ist es dann ü-
berhaupt vorstellbar, daß wir ohne eine Menge tiefgreifender Überlegungen wirklich verstehen,
was Er uns sagt und was Er von uns an Handlungen erwartet.

Nur durch unabhängiges, klares Nachdenken über den großen Umfang der Lehren kann man das
Wachstum seines Verständnisses fördern.

Aber nicht nur die Texte sind Quelle der Führung. Bahá’u’lláh hat uns auch noch die Beratung als
Instrument der Führung an die Hand gegeben. Damit dieses funktioniert, müssen wir die Freiheit
der Gedanken ebenso üben, wie die aufrichtige Äußerung, Höflichkeit und Gehorsam. Ohne die
Anwendung der ungehinderten Suche nach Wahrheit und ohne den Gehorsam gegenüber Be-
schlüssen, wird Beratung fruchtlos sein.

Somit haben wir den Bedarf an uneingeschränkter Suche nach Wahrheit im Verstehen der Vor-
aussetzungen von Autorität begründet. Was können wir tun, wenn wir feststellen, daß wir diese
Voraussetzungen nicht akzeptieren können. Dies kann auf verschiedenen Ebenen geschehen und
ist ein Problem, dem ehrlich gegenübergetreten werden sollte und das es gilt, anzugehen.

- Da könnte z.B. ein Gebot von Bahá’u’lláh selbst sein, welches wir nicht verstehen oder bei
dem es uns schwer fällt, zu gehorchen.
- Es könnte aber auch ein Prinzip des Glaubens oder eine Anweisung des Hüters oder des
Universalen Hauses der Gerechtigkeit sein, welches uns große Unannehmlichkeiten beschert o-
der das uns bei Befolgung in Gefahr bringt.
- Oder es handelt sich um eine Entscheidung eines Geistigen Rates, von der wir überzeugt
sind, daß sie falsch ist.

Wie können wir in solchen Fällen reagieren. Sie alle führen uns zurück zum früheren Stadium des
Prozesses: Die Bestätigung der Quelle der Autorität. Wenn wir Schwierigkeiten mit dem Ver-
ständnis oder dem Gehorsam gegenüber Gesetzen Bahá’u’lláh’s haben, sollten wir keine Hem-
mungen haben, die Basis unseres Glaubens zu überprüfen. Wir haben Bahá’u’lláh als die Mani-
festation Gottes aus Gründen anerkannt, von denen wir überzeugt sind, daß sie Gültigkeit hatten.
Was bedeutet nun diese eine Unstimmigkeit mit Seinen Schriften? Ist sie ernst genug, um die
Beweise, die mich zunächst zu Seiner Anerkennung führten, in Zweifel zu ziehen? Oder ist es ein
Hinweis auf meine eigene Unzulänglichkeit? Stellt man dann fest, der Glaube in Bahá’u’lláh ist
nicht erschüttert und lediglich ein bestimmtes Gesetz bereitet das Problem, dann sollte man auf
der Grundlage des Glaubens gehorchen. Eine weitere Qualität ist in diesen Prozeß mit einbezo-
gen und dies ist die Loyalität. Wenn jemand eine Manifestation Gottes anerkennt, beginnt er, eine
Beziehung zu Ihr aufzubauen. Diese Beziehung läßt ein tieferes Verständnis wachsen. Dies wie-
derum ist verbunden mit einer wachsenden Loyalität. Loyalität hat ihre Grundlagen in der Erfah-
rung, dem Wissen und der Verpflichtung. Sie schützt einen davor, durch jede Anspielung gegen
Ihn, dem man die Loyalität ausgesprochen hat, aus dem Gleichgewicht geworfen zu werden. Ich
muß noch einmal betonen: Dies ist nicht blinder Glauben oder blinder Gehorsam: ’Abdu’l-Bahá
sagt in diesem Zusammenhang:

Unter Glauben versteht man zuerst bewußtes Wissen, dann das Tun guter Taten.
(GL, S. 58)

Wir haben ein dauerhaft gegründetes Vertrauen in Bahá’u’lláh als eine Autoritätsquelle in allen
Dingen. Manchmal schreiten wir voran mit einem klaren Verständnis für das, was Er von uns er-
wartet. Manchmal fühlen wir uns im Dunkeln zurückgelassen, weil unser Verständnis noch nicht
genügend gewachsen ist. Das Licht, das uns durch solch dunkle Flecken führt, ist unser Glauben
an Ihn; unser Wissen, daß Er, obwohl es uns im Moment anders erscheint, recht hat, und daß Er
es wirklich besser weiß als wir. Dieses Wissen läßt uns in vollstem Vertrauen entsprechend han-
deln und ich betone dieses „vollste Vertrauen“. Es handelt sich nicht um abgeneigten Gehorsam
gegenüber einem Gesetz, mit dem wir nicht übereinstimmen. Es ist Gehorsam aus vollem Herzen,
wenn wir einem Gesetz folgen, das wir nicht verstehen können, von dem wir aber wissen, daß es
richtig ist. Wie Shoghi Effendi bereits schrieb:

Können wir anzweifeln, daß die Wege Gottes nicht notwendigerweise auch die Wege der
Menschheit sind? Ist nicht Glaube ein anderer Begriff für hintergründigen Gehorsam, vollherzige
Ergebenheit, kompromißlose Befolgung dessen, von dem wir glauben, daß es die Offenbarung
und der Ausdruck des Willens Gottes ist? Es mag jedoch verwirrend erscheinen, oder als Abwei-
chung von der beschränkten Sichtweise, der machtlosen Lehren, der ungeschliffenen Theorien,
der eitlen Einbildungen, der modernen Vorstellungen dieses vergänglichen und geplagten Zeital-
ters. Wenn wir wanken oder zögern, wenn unsere Liebe zu Ihm versagen sollte, uns zu führen
und uns auf Seinem Pfad zu halten, wenn wir die göttlichen und eindringlichen Prinzipien verlas-
sen, was nährt dann noch unsere Hoffnungen auf die Heilung der Krankheiten und Übel dieser
Welt ?
(BA p. 62, unautorisierte Übersetzung)

Die Autorität des Hüters und des Universalen Hauses der Gerechtigkeit ist zurückzuführen auf die
Autorität Bahá’u’lláh’s selbst. Somit sind hier gleiche Prinzipien anzuwenden. Man sollte ihnen
gehorchen, weil man weiß, daß sie göttlich geführt sind. Ich kann mich an mehr als eine Situation
erinnern, in der ich mich unfähig erkannte, die Entscheidung des Universalen Hauses der Gerech-
tigkeit zu verstehen oder in der ich nicht übereinstimmte. Sie wissen, das Universale Haus der
Gerechtigkeit fällt auch nicht immer einstimmige Entscheidungen. Manchmal fällt es auch Mehr-
heitsentscheidungen. Solche Situationen sind auf keinen Fall erstaunlich. Das Haus der Gerech-
tigkeit ist unfehlbar, aber die einzelnen Personen sind es nicht. Somit ist es logisch, daß manch-
mal einzelne im ersten Moment mit einer gefällten Entscheidung nicht einverstanden sind. In allen
Fällen habe ich selbstverständlich die Entscheidungen akzeptiert. Und nach einer gewissen Zeit
habe ich immer erkannt, warum das Universale Haus der Gerechtigkeit recht hatte und ich nicht.
Das Interessante an der Sache ist, daß es nicht nur an Dingen lag, die ich nicht gleich erkannte --
„In Ordnung, dies war es, was ich in der Beratung falsch verstand, nun weiß ich, wie es richtig ist -
- sondern manchmal auch Informationen, die ich zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht wissen
konnte. Die Wege Gottes sind geheimnisvoll, sogar, wenn Sie durch Ihn verordnet wurden. Man
kann nicht erwarten, immer alles von Anfang an zu wissen.

Solche Erfahrungen lassen einen geistig wachsen und bereichern das eigene Verständnis bis zu
einem einzigartigen Grad. Intelligenter und wachsamer Gehorsam unterstützen somit das Wachs-
tum der Seele.

Einer Entscheidung eines Geistigen Rates zu folgen, von der man meint, daß sie falsch ist, kann
viel schwieriger sein. Hier gehorcht man wegen des unumstößlichen Prinzips des Erhaltes der
Einheit im Glauben. Außerdem kann man, wenn man den Fall für wichtig genug erachtet, darum
bitten, die Entscheidung nochmals zu überdenken. Hierbei sollte man jedoch Weisheit walten las-
sen. Jeder hat das Recht, gegen die Entscheidung Einspruch zu erheben. Man sollte jedoch nicht
nur seine eigenen Interessen in dem Fall vor Augen haben, sondern auch die Interessen des
Glaubens. Ist es richtig, die Zeit des Geistigen Rates zu beanspruchen, indem man beharrlich
diesen Punkt verfolgt? Insbesondere dann, wenn man sicher ist, daß dessen Entscheidung falsch
ist? Oder ist es besser, darüber hinweg zu sehen und dem Geistigen Rat zu erlauben, seiner ei-
gentlichen Aufgabe nachzugehen, die das Lehren der Sache Gottes ist? Manchmal ist es richtig,
manchmal ist es falsch. Manchmal sollte man darauf bestehen, manchmal sollte man es laufen
lassen. Nochmals, es ist eine Sache der Beurteilung und guter Gründe. Somit gelangt man zu der
Bedeutung des Verstandes, wenn es darum geht, die Anordnungen einer autoritären Führung
auszuführen.

Die Rolle des Verstandes bei der Ausführung von Geboten

Es gibt an dieser Stelle zwei Quellen von Autorität, über die wir nachdenken sollten, da sie sich
voneinander unterscheiden. Die eine ist der Herausgeber von Befehlen, die andere sind Gesetze
und Regeln.

Der Unterschied zwischen beiden ist, daß ein bestimmter Befehl einer Autoritätsquelle häufig sehr
klar, ausdrücklich und auf einen bestimmten Fall bezogen ist. Ein Gesetz oder eine Regel ist ein
mehr allgemeines Gebot und seine Anwendung auf einen speziellen Fall erfordert die Berücksich-
tigung weiterer Regeln.

Ein interessantes Beispiel, an dem der Unterschied dieser beiden Varianten deutlich wird, ent-
stand während der 60er Jahre in Amerika. Es war in der Zeit, als große Spannungen zwischen
den Rassen herrschten. Die Bahá’í strengten sich sehr an, die Rassenvorurteile zu überwinden
und die Einheit so gut wie möglich sowohl innerhalb der Gemeinde als auch außerhalb herzustel-
len. Die Frage, die auch dem Universalen Haus der Gerechtigkeit vorgelegt wurde, war: Was pas-
siert, wenn man in einem südlichen Staat lebt, wo ein Gesetz eine bestimmte Form des Kontaktes
zwischen Menschen verschiedener Hautfarben verbietet? Insbesondere, wenn es dahin gekom-
men ist, daß Nicht-Bahá’í dieses Gesetz diskutieren? Müssen die Bahá’í diesem Gesetz dann fol-
gen, weil wir das Prinzip haben, der Regierung zu gehorchen, egal um welches Gesetz es sich
handelt? Das Haus der Gerechtigkeit sagte: „Nein“. Es erklärte, daß die Bahá’í die Gebote des
Glaubens so gut es geht befolgen sollten. Wenn aber eine Autoritätsperson ihnen gebieten sollte,
es nicht zu tun, dann sollten sie es nicht tun. Mit anderen Worten: Das Gesetz mag den Weißen
und Schwarzen den Kontakt miteinander verbieten, wogegen der Glaube sie offensichtlich dazu
aufruft. Dann sollten die Bahá’í solange die Freundschaft untereinander pflegen, solange kein Po-
lizist käme und ihnen gebieten würde: „Setzt euch an verschiedene Plätze.“ Dann sollten sie sich
voneinander entfernen. Es gibt demnach einen Unterschied zwischen einem geschriebenen Ge-
setz und einem Gesetz, das direkt eingefordert wird. Dieser Umstand kommt in vielen Beziehun-
gen zwischen dem Bahá’í-Glauben und den Gesetzen zum Tragen. Dies war in ähnlicher Form
während des Nazi-Deutschland der Fall. Mir wurde erzählt, daß die Nazi-Behörden den Bahá’í
befahlen, die Treffen zwischen Juden und Nicht-Juden zu trennen. Die Lösung damals war, daß
keine Treffen mehr stattfanden. Wir können solche Probleme also auf verschiedene Art und Wei-
se lösen.

Es kann aber auch vorkommen, daß das Befolgen von Gesetzen und Prinzipien des Glauben
Schwierigkeiten und Leiden verursachen können. Wie ich bereits gesagt habe, ist es meist der
Gehorsam durch Glauben und die Annahme einer unangenehmen Wahl, die uns geistig und mo-
ralisch und in unserem Verständnis wachsen lassen. Diese Art von Gehorsam hat auch einen Ef-
fekt auf die Gemeinschaft als Ganzes. Dadurch entsteht eine Gesellschaft, die vereint, liebevoll,
standhaft, rechtschaffen und beherzt ist. Und sie ist ebenso frei von unwissendem Fanatismus
und Blindgläubigkeit. Es ist ein schwierig zu haltendes Gleichgewicht: Standhaft zu sein, Prinzi-
pien zu haben, aber nicht fanatisch und genauso wenig blindgläubig zu sein.

Eine der Wahrheiten, die wir akzeptieren müssen, ist, daß das Leben nicht einfach ist. Es ist nicht
dafür da, einfach zu sein. Wenn wir dies erkennen, annehmen und daran arbeiten, wachsen wir
und schreiten voran, trotz aller Prüfungen und Widrigkeiten. Dies ist eine sehr tiefgreifende Er-
kenntnis. Ich glaube, es war Carl Jung, der Menschen in einer besonderen Form als psycholo-
gisch krank erachtete, die versuchten, „gesetzmäßige Schmerzen“ zu vermeiden. Sie sehen: je-
des Wachstum im Leben bedingt Schmerzen einer gewissen Stufe. Betrachten Sie das Stadium
des Heranwachsens, wenn wir nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen, plötzlich erwachsen zu
werden. Oder wenn wir heiraten, und zwei Menschen auf einmal miteinander leben müssen. Auch
das ist mit Schmerzen verbunden. Und Jung, denke ich, legte seinen Finger auf einen sehr wichti-
gen Punkt: Zu versuchen, gesetzmäßige Schmerzen zu vermeiden, erzeugt einen psychologi-
schen Zusammenbruch. Und dies gilt für die gesamte Gesellschaft. Es mag jedoch einem Men-
schen einen unbarmherzigen Anschein verleihen, wenn er zu bestimmten Zeiten mit Gehorsam
und Annahme von Schmerz voranschreitet.

Wahrer Gehorsam darf nicht mit sklavischer Unterwürfigkeit verwechselt werden. Er erfordert
Courage und Durchhaltevermögen. Ein wesentliches Element des Gehorsam ist die Ausübung
von Gerechtigkeit bei der Ausführung der Anforderungen der Autorität, die man akzeptiert hat.

Es spielt keine Rolle, ob in einem bestimmten Fall eine Anweisung einer Amtsgewalt oder eine
gesetzliche Vorgabe die Quelle der Autorität ist. Selten kann sie alle Möglichkeiten und Eventuali-
täten abdecken.

Ich habe einmal eine Geschichte gelesen, die von einem Mann handelt, der sich nicht von seinem
Anzug trennen konnte -- Männer hängen häufig an einem ihrer Anzüge und wollen wollen sich
nicht von ihnen trennen -- als er aber allzu abgetragen war, entschied er doch, ihn aufzugeben. Er
nahm ihn und ging zu einem Schneider. Diesen beauftragte er, eine exakte Kopie zu erstellen. Der
Schneider tat dies ordnungsgemäß. Er entschuldigte sich jedoch, er habe sein Bestes gegeben,
eine originalgetreue Kopie zu erstellen. Es sei ihm jedoch nicht gelungen, den Kaffeefleck auf der
Jackettvorderseite nachzuempfinden. Dies ist ein Beispiel mit einer Problemstellung, denen das
Büro für die Gebäuderestaurierung täglich gegenübersteht. In diesem Fall will man, wenn man
eine Heilige Stätte repariert, dies so genau wie möglich tun. Wenn man z. B. zwei nahe beieinan-
der liegende Fenster hat, von denen eines ein wenig kleiner als das andere ist, dann möchte man
nicht, daß eine aufmerksame Person vorbei kommt und sagt: „Es wäre schön, wenn beide die
gleiche Größe hätten.“ Man möchte die neuen Fenster verschieden machen, genauso, wie die
alten waren. Wenn wir andererseits ein leckendes Abflußrohr ersetzen wollen, dann soll das neue
Rohr natürlich nicht wieder ein Leck haben. Hier ist also die Anwendung eines guten Urteilsver-
mögens angebracht. Und es ist erstaunlich, wie oft im Leben man Leute findet, die dies nicht an-
wenden und man kann geradezu verrückt werden, wenn man, wie man denkt, eine klare Anwei-
sung gegeben hat und die Person kommt mit etwas völlig Durcheinandergeratenem zurück und
sagt: „Aber Sie haben mir doch den Auftrag gegeben!“ Und man weiß, daß man die Anweisung
erteilt hat. Aber man hat erwartet, daß die Person ihren Verstand anwenden würde und dadurch
den Sinn, der hinter den tatsächlich gesprochenen Worten steckte, erfaßt hätte.

Dies sind sehr deutliche Beispiele. Die gleichen Anforderungen werden jedoch auch fortwährend
bei der Anwendung der Gesetze des Glaubens gestellt. Wann soll man auf ihrer Einhaltung be-
stehen, wann großzügig sein, welche Ausnahmen sind zu rechtfertigen, welche nicht? Wie nach-
sichtig darf man sein, ohne ein Prinzip zu opfern? Wie kann man rechtschaffen sein, ohne fana-
tisch zu wirken? Generell gesagt: Es ist eine gute Leitlinie, mit sich selbst sehr streng zu sein und
mit anderen nachsichtig. Im zweiten Taráz schreibt Bahá’u’lláh:

Dieser Unterdrückte ermahnt die Völker der Welt, Duldsamkeit und Rechtschaffenheit zu üben;
dies sind zwei Lichter im Dunkel der Welt, zwei Erzieher für die Bildung der Menschheit. Glücklich
sind, die dazu gelangen, und wehe den Achtlosen.
(BA, S. 52)

Die Gleichstellung von Toleranz und Rechtschaffenheit macht diesen Text, wie ich meine, zu ei-
nem sehr interessanten Abschnitt.

Hier wird man auch wieder zurückverwiesen auf das Prinzip der abschließenden Verantwortlichkeit
jedes Einzelnen. Wir müssen akzeptieren, daß uns Gott den Verstand zu seiner Benutzung gege-
ben hat. Er hat uns einen freien Willen gegeben und er hat uns ermahnt, Weisheit und gutes Ur-
teilsvermögen anzuwenden.

Ich bezeichne es als einen Schmerz, denn wir müssen vorsichtig sein, diese Freiheit als eine Er-
laubnis zu Ungehorsam zu betrachten. In einem der Briefe, die im Auftrag des Hüters geschrieben
wurden, hat der Sekretär die nüchterne Warnung ausgesprochen: „Wir sollten auf die Gnade Got-
tes hoffen, aber wir dürfen nicht auf ihr bestehen.“
(LG. #1223, unautorisierte Übersetzung)

Aber es gibt gültige Fälle, in denen weises Urteilsvermögen einem Menschen sagt: „In diesem Fall
würde ich sicher freigesprochen, etwas zu tun, was normalerweise nicht angenommen werden
könnte.“ Einige Gläubige, die sich davor fürchten, die Verantwortung hierfür zu übernehmen, bit-
ten des Universale Haus der Gerechtigkeit um eine Ausnahmegenehmigung. Dies kann es häufig
nicht gewähren, wie sie sicher verstehen. Denn es hätte meist viel weitreichendere Folgen, die
sich nicht nur auf diesen einen Fall beschränkten. Ich erinnere mich an mehr als eine Begeben-
heit, wo das Haus der Gerechtigkeit solche Fragen beantworten mußte und die Antwort wie folgt
lautete: „Es ist schade, daß er nicht selbst gehandelt hat, anstatt zu fragen“. Ich erinnere mich an
einen ähnlichen Kommentar, der von einem Pilger niedergeschrieben wurde, der dem Hüter eine
Frage stellte. Bevor er antwortete, fragte der Hüter ihn: „Sind Sie sicher, daß Sie diese Frage be-
antwortet haben möchten?“

Es gibt eben Situationen, wo man einfach selbst entscheiden muß. Ich erinnere mich solch einer
Situation eines jungen Mannes, der Student der vergleichenden Religionswissenschaften war. Er
stellte Untersuchungen für den Abschluß seiner Doktorarbeit an. Und er meinte, daß es wichtig
wäre, dazu einige Schriften über die Bündnisbrecher zu lesen. Also schrieb er an das Universale
Haus der Gerechtigkeit und bat: „Können Sie mir bitte die Erlaubnis geben, diese Schriften über
die Bündnisbrecher zu lesen?“ Das Haus der Gerechtigkeit schrieb zurück und sagte: „Es ist Ihnen
doch nicht verboten, Schriften über die Bündnisbrecher zu lesen; es wird davor gewarnt, daß es
sehr gefährlich ist, aber es ist nicht verboten, also können wir Ihnen die Erlaubnis gar nicht ge-
ben.“ Er schrieb zurück: „Ja, ich weiß dies alles, aber bitte geben Sie mir die Erlaubnis.“ Also
schrieb das Haus der Gerechtigkeit wiederholt, indem es seine frühere Anwort wiederholte. Er
wollte nicht hinnehmen, daß die Verantwortung bei ihm selbst lag. Es war eine Gefahr für seine
Seele, wie hätte also das Haus der Gerechtigkeit ihm sagen können: „Es ist Ihnen erlaubt, sich
der Gefahr auszusetzen“? Es gab kein Verbot, er mußte für sich selbst beurteilen: „Ist es notwen-
dig, dies zu tun, oder ist es das nicht? Kann ich mich in die Gefahr begeben oder kann ich es
nicht?“ Es gibt viele Bereiche unseres täglichen Lebens, wo wir diese Verantwortungen selbst ü-
bernehmen müssen.

Die Übung des eigenen Verstandes und die Anwendung des eigenen Urteilsvermögens beim Be-
folgen eines Gesetzes und von Anweisungen sind aber auch Wege der Göttlichen Führung. Ich
war zutiefst beeindruckt von einer Sache, auf die die Hand der Sache Gottes Paul Haney einmal
Bezug nahm. Er sagte, er habe manchmal, wenn das Universale Haus der Gerechtigkeit ihn bat,
eine Aufgabe auszuführen, zunächst weder die Weisheit erkannt, die darin lag, noch habe er ge-
wußt, wie er diese Aufgabe bewerkstelligen solle. Trotzdem begann er im Vertrauen auf die Göttli-
che Führung, die dem Haus der Gerechtigkeit zuteil wird. Und er erkannte, daß sich mit jedem
Schritt, den er vorwärtsging, eine Tür öffnete und die weiteren Schritte klarer wurden. Am Ende
wußte er, daß er befähigt wurde, das zu erreichen, worum er gebeten worden war. Und er erkann-
te auch den Grund für diese Aufgabe. Dies ist ein ideales Beispiel für Gehorsam, Glauben, Weis-
heit und Urteilsvermögen.

Der Prozeß, die Verantwortung für sich anzunehmen, die eigene Unzulänglichkeit zu erkennen,
eine Quelle der Autorität zu suchen und anzuerkennen und dabei die Manifestation Gottes zu fin-
den, Seine Lehren zu verstehen und die eigene Intelligenz zu nutzen, diese Lehren anzuwenden,
sind wesentlich für die Entwicklung der individuellen Seele und befähigen sie, ihr Ziel zu erreichen,
das da lautet, in Harmonie mit der Absicht Gottes zu gelangen und in absolutem Gehorsam ge-
genüber Seinen Plänen zu leben.

Um einiges wichtiger ist Gehorsam in diesem Zusammenhang für das Wohlergehen und die Ent-
wicklung der gesamten Menschheit. In allen Teilen der Welt flehen die Menschen um Freiheit. Und
dieses Streben nach Freiheit und den materiellen Gütern dieser Welt führt zu Konflikten und Krie-
gen, die die Zerstörer von Freiheit und Wohlergehen sind. Nur die Führung Gottes und Ba-
há’u’lláh’s System des vereinten und willentlichen Gehorsams der einzelnen Seele gegenüber
Seiner Führung, führen die Menschen wie eine Brücke über die abgrundtiefe Zersplitterung und
das Chaos hinüber zu der Seligkeit des Königreiches Gottes auf Erden. Und dann werden alle
Menschen die Wahrheit in den Worten Bahá’u’lláh’s erkennen:

Die Freiheit, die euch nützt, ist nirgendwo zu finden außer in vollkommener Dienstbarkeit vor Gott,
der Ewigen Wahrheit. Wer ihre Süße kostet, wird es verschmähen, sie gegen alle Herrschaft der
Erde und des Himmels zu tauschen.
(I&S, S.43)
Gehorsam 26 Juli 1991
Programm Geistige Bereicherung

Literaturverzeichnis

AB Der Báb, Eine Auswahl aus Seinen Schriften
ÄL Bahá’u’lláh, Ährenlese
BA Bahá’í Administration: selected Messages 1922 - 1932 (Wilmette: Bahá’í Publishing Trust, 1980)
BOT Bahá’u’lláh, Botschaften aus Akka
GL Göttliche Lebenskunst
I&S Inhaltsübersicht und systematische Darstellung der Gesetze und Gebote es Kitáb-i-Aqdas, Haifa,
Job Das Buch Hiob,
LG Hornby, Helen, comp. Lights of Guiance: A Bahá’í Reference File, rev. ed. (New Dehli: Bahá’í Publis-
hing Trust, 1988)
VW Verborgene Worte (Arabisch)

Vertiefung: Ansprache von Ian Samle über Gehorsam im Weltzentrum am 26. Juli 1991


Hamburg, den 12.06.2003 Datei: D:\Winword2\BASTU\Gehorsam-Ian.doc Seite: 2 von 15

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