Read: %2F%2Fde%2FBahaitum%2FBahai-Studien%2FSonstiges%2FNabils Bericht - Band II


NABÍLS BERICHT
AUS DEN FRÜHEN TAGEN DER BAHÁ'Í-OFFENBARUNG
Aus dem Persischen ins Englische übersetzt und herausgegeben von
Shoghi Effendi
Zweiter Band
BAHÁ'Í-VERLAG
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Nabíl A'zam, Muhammad Zarandi:
[Bericht aus den frühen Tagen der Bahá'í-Offenbarung] Nabíls Bericht aus den frühen Tagen der Bahá'í-Offenbarung / aus d. Pers. ins Engl, übers, u. hrsg. von Shoghi Effendi. - [Hofheim-Langenhain]: Bahá'í-Verlag
Bd. 2 (1982).
ISBN 3-87037-136-6
ISBN 3-87037-135-8
Titel des englischen Originals:
The Dawn-Breakers, Nabfl's Narrative of the Early Days of the Bahá'í-Revelation, transíated from the Original Persian and edited by Shoghi Effendi, erstmals erschienen 1932 im Bahá'í-Publishing Trust, Wilmette, 111., U.S.A. Copyright 1932 by The National Spiritual Assembly of the Bahá'ís of the United States of America.
Deutsche Ausgabe:
(c) BAHA1 VERLAG GMBH 1982-139
ISBN 3 87037 135 8 Teil 2, gebundene Ausgabe
ISBN 3 87037 136 6 Teil 2, kartonierte Ausgabe


INHALT
Zehntes Kapitel
DER AUFENTHALT DES BÁB IN ISFAHAN
Sein Schreiben an Manuchihr Khan 233
Begrüßung durch den Imám-Jum'ih 234
Ehrungen für den Báb von Seiten des Volkes 235
Ehrerbietung von Seiten des Imám-Jum'ih 235
Kommentar des Báb zur Sürih Va'l-'Asr 236
Gespräch des Báb mit Manuchihr Khan 236
Befürchtungen des Hájí Mírzá Áqásí 239
Der Besuch des Báb bei Manuchihr Khan 239
Bezug auf Mulla Muhammad-Taqíy-i-Harátí 242
Festmahl für den Báb bei Mírzá Ibrahim 242
Todesurteil der 'Ulamás von Isfahán über den Báb 243
Manuchihr Khans Plan zur Abreise und heimlichen Rückkehr des Báb nach
Isfahán 243
Besuch der Gläubigen bei dem Báb 246
Manuchihr Khans nahes Hinscheiden vom Báb vorausgesagt 247
Die letzten Lebenstage Manuchihr Khans ............. 247
Aussendung der Gläubigen 248
Gurgin Khans Botschaft an den Sháh 248
Abreise des Báb nach Káshán 249
Elftes Kapitel
DER AUFENTHALT DES BÁB IN KÁSHÁN
Hájí Mírzá Jánís Traum 251
Die drei Tage des Báb in Hájí Mírzá Jánís Haus 253
Siyyid.'Abdul-Báqí 253
Mihdí begegnet dem Báb 255
Zwölftes Kapitel
DIE REISE DES BÁB VON KÁSHÁN NACH TABRÍZ
Vor Qum 257
Aufenthalt in Qumrúd 258
Ankunft bei der Festung Kinár-Gird 259
Aufenthalt in Kulayn 261
Ankunft von Gläubigen 261
Freude des Báb über Brief und Geschenk von Bahá'u'lláh 261
Eine Begebenheit auf der Reise ,. 262
Muhammad Sháhs Schreiben an den Báb 263
Hájí Mírzá Áqásís Befürchtungen und Absichten 265
Letzte Station auf der Reise des Báb nach Tabn'z 269
Ankunft der Gläubigen in Síyáh-Dihán 269
Der Befreiungsversuch des Hujjat-i-Zanjání 270
Der Báb verabschiedet Seine Eskorte 270
Der Báb wird von Seinem jugendlichen Anhänger begrüßt- 272
Ankunft des Báb in Tabríz 273
Begeisterter Empfang durch die Bevölkerung von Tabn'z 273
Zusammentreffen mit Hájí Muhammad-Taqíy-i-Mílání und Hájí 'Alí-'Askar 274
Hájí 'Alí-'Askars Bericht 274
Dreizehntes Kapitel
DIE GEFANGENSCHAFT DES BÁB IN DER FESTUNG MÁH-KÚ
Die Erzählung von Siyyid Husayn-i-Yazdi 277
Máh-Kú, Lage und Bevölkerung 277
Die Zuneigung der Einwohner von Máh-Kú für den Báb 278
Die Ankunft von Shaykh Hasan-i-Zunuzi, Botschaft des Báb an ihn 280
Der Traum des *Alí Khán-i-Máh-Kú'í 280
Verwandelte Haltung 'Ali Khans 281
Bezug auf den Persischen Bayán 282
Lebensumstände in Máh-Kú 285
Seine Anhänger besuchen den Báb in Máh-Kú 286
Traum des Báb vor der Erklärung Seiner Sendung 287
Unheil trifft Muhammad Sháh und seine Regierung 288
Mulla Husayns Aufbruch von Mashhad zur Pilgerfahrt nach Máh-Kú 289
Beweggrund für die Abreise 290
Sein Besuch in Tihrán 290
Seine Ankunft in Máh-Kú, der Traum 'Ali Khans 290
Worte des Báb zu Mulla Husayn 292
Anklagen gegen 'Ali Khan und Verlegung des Báb nach Chihriq 293
Die Abschiedsworte des Báb an Mulla Husayn 294
Vierzehntes Kapitel
MULLA HUSAYNS REISE NACH MÁZINDARÁN
Mulla Husayns Aufbruch nach Tihrán 295
Sein Aufenthalt in Quddús' Haus in Bárfurúsh 296
Bemerkungen über Hájí Mírzá Aqásf und Mulla Husayn 297
Quddús' Anweisungen an Mulla Husayn 299
Mulla Husayns Gespräch mit dem Sa'ídu'l-'Ulamá' 299
Mulla Husayns Abreise, Ankunft in Mashhad 300
Fünfzehntes Kapitel
TÁHIRIHS REISE VON KARBILÁ NACH KHURÁSÁN
Hinweis auf Bahá'u'lláh 301
Tablet des Báb an die Gläubigen in Persien 302
Táhirihs Antwort auf den Ruf des Báb 304
Ihre Tätigkeit in Karbilá 304
Ihre Tätigkeit in Baghdád 305
Ihr Aufenthalt in Kirmánsháh und Hamadán 305
Ihre Gefangenschaft in Qazvin 308
Ihre Antwort an Mulla Muhammad 308
Mulla Abdullahs Ankunft, der Mord an Mulla Taqi 309
Die Gefangenschaft der Angeklagten in Tihrán, Bahá'ulláhs Eintreten und Haft 311
Beschwerde bei Muhammad Sháh 312
Hinrichtung des ersten Baha'i-Märtyrers in Persien 313
Die Haltung Hájí Mírzá Aqásís, das Eintreten des Sadr-i-Ardibili 314
Das Massaker in Qazvin ..314
Folgen dieses Massakers in Tihrán 314
Ihre Befreiung durch BaháVlláh 315
Ihre Überführung nach Tihrán 316
Folgen ihrer Abreise von Qazvin 316
Ihre Haltung gegenüber dem Báb und Bahá'u'lláh 317
Ihr Aufbruch nach Khurásán 317
Bahá'ulláhs Anweisungen an Áqáy-i-Kalím 317
Ihre Abreise aus Tihrán 318
Sechzehntes Kapitel
DIE KONFERENZ VON BADASHT
Bahá'ulláhs Aufbruch von Tihrán .rW„ 319
Die Unruhen in Mashhad 320
Quddús' Aufbruch nach Mázindarán ,f 321
Begegnung zwischen Bahá'u'lláh und Quddús in Sháh-Rúd 322
Ankunft in Badasbt 322
Bedeutung der Versammlung in Badasht 323
Die von Shaykh Abú-Turáb erzählte Begebenheit 324
Auseinandersetzungen unter den Gläubigen 325
Versöhnung durch Bahá'u'lláh 327
Abreise von Badasht 328
Der Vorfall in Níyálá nach Bahá'ulláhs Schilderung 328
Folgen dieses Vorfalls 328
Siebzehntes Kapitel
DIE GEFANGENSCHAFT DES BÁB IN DER FESTUNG CHIHRÍQ
Die Haltung der Bevölkerung von Chihriq gegen den Báb 331
Maßregeln des Báb für einen Bediensteten 332
Aufnahme der Botschaft durch 'Ulamás und Regierungsbeamte ...... 333
Mírzá Muhammad-'Alí und sein Bruder ., 333
Mírzá Asadu'üáh 333
Ein Derwisch aus Indien 334
Aussendung der Gläubigen aus Chihriq 335
Das Erlebnis Mírzá Muhammad-'Alis 336
Achtzehntes Kapitel
DAS VERHÖR DES BÁB IN TABRÍZ
Sein Besuch in Urúmíyyih 339
Seine Ankunft in Tabriz 342
Das Verhör durch die Iflamás 343
Schmählicher Behandlung ausgesetzt 347
Seine Rückkehr nach Chihriq und Sein Schreiben an Hájí Mírzá Áqásí 351
Neunzehntes Kapitel
DIE ERHEBUNG IN MÁZINDARÁN, Erster Teil
Mulla Husayns Abreise von Mashhad 353
Der Tod Muhammad Sháhs 356
Aufruf des Sa'ídu'l-'Ulamá' an die Einwohner von Bárfurúsh 357
Angriff des Pöbels von Bárfurúsh auf Mulla Husayn und seine Begleiter 358
Mulla Husayn wehrt den Angriff ab 359
Der Bericht von Mírzá Muhammad-i-Fu rúghí 361
Das Volk von Bárfurúsh hält Waffenruhe 364
Mulla Husayns Gefährten singen den Adhán 364
Ausfall aus der Karawanserei Sabzih-Maydán 366
Fürsprache der Würdenträger von Bárfurúsh 367
Die Anweisungen des Sa'ídu'l-'Ulamá' an Khusraw-i-Qádí-Kalá'í .. 369
Der Oberfall im Wald von Mázindarán 370
Ankunft beim Schrein von Shaykh Tabarsi 372
Traum des Wächters am Schrein von Shaykh Tabarsi 373
Angriff und Abwehr der Reiter aus Qádí-Kalá 374
Bahá'u'lláhs Besuch in der Festung von Shaykh Tabarsi 377
Quddús' Freilassung 379
Die „Schwarze Fahne" 379
Quddús' Gefangenschaft im Hause von Mírzá Muhammad-Taqi 380
Quddús Ankunft in der Festung von Shaykh Tabarsi 381
Der Bericht von Mírzá Muhammad-i-Furúghí 381
Begebenheiten in der Festung in Verbindung mit Quddús 382
Der Aufruf des Sa'ídu'l-'Ulamá' an Násiri'd-Dín Sháh 386
Aufmarsch der Armee des 'Abdullah Khán-i-Turkamán bei der Festung
Shaykh Tabarsi 388
Der erste Ausfall aus der Festung 389
Die Botschaft des Prinzen Mihdí-Qulí Mírzá an Mulla Husayn 351
Der zweite Ausfall aus der Festung 392
Die Verwundung Quddús' 395
Bahá'u'lláhs Versuch, zu den Belagerten in der Festung von Shaykh Tabarsi
zu gelangen 396
Bahá'u'lláhs und Seiner Gefährten Haft in Amul 397
Bahá'u'lláhs Tätigkeit vor der Erklärung Seiner Sendung 402
Zwanzigstes Kapitel
DIE ERHEBUNG IN MÁZINDARÁN, Zweiter Teil
Der dritte Ausfall, Mulla Husayns Sturz 405
Mulla Husayns letzte Stunde 408
Begräbnis und Würdigung Mulla Husayns 409
Quddús' Warnung an die Gefährten 412
Der Verrat des Siyyid Husayn-i-Mutavalli 412
Angriff durch 'Abbás-Qulí Khán-i-Láríjání 414
Der vierte Ausfall, wilde Flucht des Feindes 414
Entsendung von Artillerie aus Tihran 416
Die Not der Belagerten
Ermahnung Quddús' an seine Gefährten 418
Der fünfte Ausfall, Tod des Ja'far-Quli Khan 421
Wachsende Bedrängnis der Gefährten 422
Eine Erklärung durch Quddús 423
Der sechste und letzte Ausfall 423
Der Prinz hält Kriegsrat mit seinen Stabsoffizieren 423
Ein Vorfall nach dem Bericht von Áqáy-i-Kalím 424
Fahnenflucht und Gefangennahme einiger Gefährten 425
Der Schwur des Prinzen für die Sicherheit der Belagerten 426
Die Aufgabe der Festung 427
Die Gefangennahme einiger Gefährten 429
Der Massenmord 430
Das Schicksal dreier Gefährten 433
Quddús' Märtyrertod 436
Verzeichnis der Märtyrer 440


Verzeichnis der Abbildungen
Isfahán , ', 233
Das Haus des Imám-Jum'ih in Isfahán, Eingang und Innenhof 234,235
Die Masjid-i-Jum'ih in Isfahán mit der Kanzel, von der aus der Báb predigte ... 237,238
Das Haus des Mu'tamidu'd-Dawlih in Isfahán .f" 240
imárat-i-Khurshíd in Isfahán * ?t\ 244
Manúchihr Khan, der Mu'tamidu'd-Dawlih 245
Káshán W.... 251
Das 'Attár-Tor zu Káshán .ff". 252
Das Haus des Hájí Mírzá Jání in Káshán mit dem Raum, den der Báb
bewohnte 254, 255
Die Stadt Qum mit dem Haram-i-Ma'sumih rf.... 257, 258
Das Dorf Qumrúd ;.' 259
Ruinen der Festung Kinár-Gird 259
Das Dorf Kulayn IT?. 260
Muhammad Sháh *S #tt ,t. *'. 263
Hájí Mírzá Áqásí OT 267
Tabríz ;...*%, &i..t t?*..\ W, 271
Die »Arche« (Burg) in Tabríz, wo der Báb gefangengehalten wurde .... tv. 272
Die Festung von Máh-Kú ?I tMÍ rffv, .^T 276
Milán in Ádhirbáyján ft 291
Die beiden Wohnhäuser in Qazvin, wo Tahirih lebte 306
Die Bibliothek Táhirihs im Hause ihres Vaters in Qazvin 307
Das Dorf Sháh-Rúd 322
Badasht Jai ,, 323
Eine persische Howdah (Sänfte) 328
Die Festung von Chihriq v 331
Das Haus, in dem der Báb bei Seinem Besuch in Urunüyyih wohnte * 340
Násiri'd-Dín Sháh als Kind, Mírzá Abu'l-Qásim, Hájí Mírzá Áqásí
und Manúchihr Khan 343
Násiri'd-Dín Sháh 344, 345
Berühmte persische Mujtahids **< i«' 346
Das Namáz-Khánih des Shaykhu'l-Islám von Tabriz mit der Stelle, wo der Báb
ausgepeitscht wurde .v.»J€*4 348
Das Dorf Níshápúr JVt *«.... 354
Das Dorf Míyámay .... 355
Die Masjid in Míyámay, wo Mulla Husayn und seine
Gefährten beteten 356
Das Haus des Sa'ídu'l-'Ulamá', in Bárfurúsh, Mázindarán 363
Die Karawanserei Sabzih-Maydán in Mázindarán 365, 366
Der Schrein von Shaykh Tabarsi mit der Grabstätte des Shaykh Tabarsi und der
benachbarten Befestigungsanlage 371,372,373
Eingang zum Schrein von Shaykh Tabarsi 374
Lageskizzen der Befestigungsanlage von Shaykh Tabarsi \ 376
Das Haus des Mujtahids Mírzá Muhammad-Taqi in Sárí, Mázindarán . A 378
Das Dorf Afra Jfc IV .' 389
Das Dorf Shír-Gáh + „, 390
Das Dorf Vás-Kas .'...., , 392
Das Dorf Rlz-Ab M 393
Das Dorf Firúz-Kúh .. M 393
Amul 398
Das Haus des Gouverneurs von Amul 399
Die Masjid von Amul 400, 401
Der Baum, von dem aus Mulla Husayn erschossen wurde 407
Das Dorf Dízvá 428
Die Madrisih von Mírzá Zakí in Bárfurúsh, Quddús Grabstätte 437,438
Muhammad-Ridá, ein Mitstreiter von Quddús, der den Kampf bei Shaykh Tabarsi
überlebte 452
Mírzá Abú-Tálib, ein Mitstreiter von Quddús, der den Kampf bei Shaykh Tabarsi
überlebte 453

Isfahán
Zehntes Kapitel
AUFENTHALT DES BAB IN ISFAHAN
Der Sommer des Jahres 1262 n.d.H.1 ging zur Neige, als der Báb Seiner Vaterstadt Shíráz zum letztenmal Lebewohl sagte und nach Isfahán aufbrach. Siyyid Kázim-i-Zanjání begleitete Ihn auf dieser Reise. Als sie in die Außenbezirke der Stadt kamen, schrieb Er dem Provinzgouverneur Manuchihr Khan, dem Mu'tamidu'd-Dawlih2, einen Brief, in dem Er ihn bat, er möge Ihm bekanntgeben, wo Er wohnen solle. Der Brief, den Er Siyyid Kázim anvertraute, brachte eine solche Höflichkeit zum Ausdruck und war in so vorzüglichem Stil gehalten, dass der Mu'tamid bewogen war, den Sultánu'l-'Ulamá' und Imám-Jum'ih von Isfahán3, den höchsten geistlichen Würdenträger jener Provinz, aufzufordern, den Báb in seinem Heim aufzunehmen und Ihm einen liebenswürdigen, großmütigen Empfang zu bereiten. Als Anlage zu dieser Botschaft sandte der Gouverneur dem Imám-Jum'ih den Brief, den er vom Báb empfangen hatte. Der Sultánu'l-'Ulamá' bat folglich seinen Bruder, dem Bahá'u'lláh für seine harte Grausamkeit in späteren Jahren den Beinamen Raqshá4 geben sollte, sich mit einer Anzahl seiner besten Gefährten aufzumachen, um dem erwarteten Besucher entgegenzuziehen und Ihn zum Stadttor zu geleiten. Als der Báb ankam, ging der Imám-Jum'ih hinaus, Ihn persönlich willkommen zu heißen, und geleitete Ihn feierlich in sein Haus.





Der Báb wurde in jenen Tagen so mit Ehrungen überhäuft, dass man einmal an einem Freitag, als Er aus dem öffentlichen Bad nach Hause ging, sah, wie eine Menge Menschen sich lärmend um das Wasser drängte, welches Er für Seine Waschungen benützt hatte. Seine glühenden Verehrer glaubten fest an die unfehlbare Kraft dieses Wassers, ihre Krankheiten und Gebrechen zu heilen. Der Imám-Jum'ih selbst hatte Ihn, den Gegenstand einer solchen Verehrung, vom ersten Abend an so liebgewonnen, dass er wie ein Diener für alle Bedürfnisse und Wünsche seines geliebten Gastes sorgte. Er nahm dem Kammerdiener den Wasserkrug aus der Hand und goss ungeachtet der Würde seines Ranges dem Báb das Wasser über die Hände.
Eines Abends nach dem Nachtmahl wagte der Imám-Jum'ih, in dem die außergewöhnlichen Charakterzüge, die sein jugendlicher Gast an den Tag legte, Wißbegier geweckt hatten, die Bitte an Ihn, Er möge eine Erläuterung zur Surih Va'l-´Asr5 offenbaren. Die Bitte fand bereitwilliges Gehör.


Der Báb bat um Feder und Papier und begann in Gegenwart Seines Gastgebers mit erstaunlicher Schnelligkeit und ohne die geringste Überlegungspause eine höchst erleuchtende Auslegung der genannten Súrih niederzuschreiben. Es ging auf Mitternacht zu, als der Báb mit der Darlegung der mannigfaltigen Zusammenhänge im ersten Buchstaben dieser Súrih befasst war. Dieser Buchstabe, Váv, dem schon Shaykh Ahmad-i-Ahsa'ftn seinen Schriften so große Bedeutung beigelegt hatte, war dem Báb ein Sinnbild für den Eintritt eines neuen Zyklus göttlicher Offenbarung; auch Bahá'u'lláh hat später im Kitäb-i-Aqdas mit Worten wie „Geheimnis der Großen Wiederkehr" und „Zeichen des Herrn" darauf hingewiesen. Der Báb begann gleich darauf in Gegenwart Seines Gastgebers und Seiner Gefährten die Homilie, mit der Er Seinen Kommentar zur Súrih eingeleitet hatte, zu singen. Diese machtvollen Worte stürzten Seine Hörer in Verwunderung. Sie waren wie gebannt vom Zauber Seiner Stimme. Unwillkürlich sprangen sie auf und küssten, zusammen mit dem Imám-Jum'ih, verehrungsvoll den Saum Seines Gewandes. Mulla Muhammad Taqíy-i-Harátí, ein hervorragender Mujtahid, brach unerwartet in begeisterten Jubel und Lobpreis aus. „Unvergleichlich und einzigartig", rief er, „wie die Worte aus dieser Feder strömten! In so kurzer Zeit und in so deutlicher Schrift so viele Verse offenbaren zu können, wie sie einem Viertel, nein, einem Drittel des Qur'án gleichkommen, ist an sich schon eine Leistung, die kein Sterblicher ohne das Wirken Gottes je zu vollbringen hoffen könnte. Wenn jemand den Mond spaltet oder am Meeresstrand die Steine zum Leben erweckt, ist das nicht mit dieser machtvollen Tat zu vergleichen6
Während der Ruhm des Báb sich allmählich über die ganze Stadt Isfahán ausbreitete, strömten die Besucher aus allen Stadtvierteln unaufhörlich zum Hause des Imám-Jum'ih. Einige kamen, um ihre Neugierde zu befriedigen, andere, um ein tieferes Verständnis der Grundwahrheiten Seiner Lehre zu erlangen, wieder andere suchten Heilung von Krankheiten und Gebrechen. Der Mu'tamid selbst kam eines Tages, den Báb zu besuchen, und inmitten einer Versammlung der glänzendsten und gelehrtesten Geistlichen von Isfahán ersuchte er Ihn, das Wesen der Nubuwat-i-Khássih6' zu erklären und ihre Gültigkeit zu beweisen. Er hatte schon früher in derselben Versammlung die Anwesenden aufgefordert, derartige Beweise und Zeugnisse zur Bestätigung dieses grundlegenden Lehrsatzes ihres Glaubens zu erbringen, als einen unwiderlegbaren Beweis für diejenigen, die seine Wahrheit abzustreiten geneigt waren. Offenbar war jedoch keiner in der Lage gewesen, dieser Aufforderung nachzukommen. „Was ziehst du vor", fragte ihn der Báb, „eine mündliche oder eine schriftliche Antwort auf deine Frage?" „Eine schriftliche Antwort wäre nicht nur den Anwesenden dieser Versammlung lieber", erwiderte er, „sie würde auch die gegenwärtigen wie die kommenden Geschlechter erbauen und belehren."


Der Báb nahm sogleich Seine Feder auf und begann zu schreiben. In weniger als zwei Stunden hatte Er etwa fünfzig Seiten mit einer höchst anregenden und ausführlichen Untersuchung über den Ursprung, das Wesen und den durchdringenden Einfluss des Islams gefüllt. Die Eigenart Seiner Erörterung, die Kraft und Lebendigkeit Seines Stils, die Genauigkeit in den kleinsten Einzelheiten verliehen Seiner Arbeit über dieses wundervolle Thema eine Vortrefflichkeit, die alle Anwesenden wahrnahmen. Mit meisterhaftem Scharfblick verband Er den Zentralgedanken in den abschließenden Kapiteln Seiner Darstellung mit dem Erscheinen des verheißenen Qá'im und der erwarteten „Wiederkehr" des Imam Husayn.7


Er argumentierte mit solcher Kraft und solchem Mut, dass alle, die Ihn Seine Verse vortragen hörten, über die Größe Seiner Offenbarung erstaunt waren. Niemand wagte etwas einzuwenden, geschweige denn, offen Seine Beweisführung in Frage zu stellen. Der Mu'tamid konnte nicht umhin, seiner Begeisterung und Freude freien Lauf zu lassen.
„Hört mir zu", rief er, „ihr Mitglieder dieser ehrenwerten Versammlung, Ihr seid meine Zeugen! Die Wahrheit des Islams hat mich bis zum heutigen Tage niemals im Herzen überzeugt. Von heute an kann ich mich dank der Darlegung, die dieser Jüngling niederschrieb, als überzeugten Gläubigen der vom Gesandten Gottes verkündeten Religion bekennen. Ich bekenne feierlich meinen Glauben an die Wirklichkeit der übermenschlichen Kraft, mit der dieser Jüngling begabt ist, einer Kraft, die durch keine noch so große Gelehrsamkeit erlangt werden kann." Mit diesen Worten schloss er die Versammlung.
Die zunehmende Beliebtheit des Báb erregte den Groll der geistlichen Würdenträger von Isfahán, die mit Unbehagen und Neid den wachsenden Einfluss beobachteten, den ein ungelehrter junger Mann auf Gedanken und Gewissen ihrer Anhänger gewann. Sie glaubten fest daran, dass die Welle der allgemeinen Begeisterung die Grundlagen ihrer Existenz untergrübe, falls sie nichts dagegen unternähmen. Die Klügeren unter ihnen hielten es für geraten, offene Feindseligkeiten gegen die Person oder die Lehren des Báb zu vermeiden; sie fühlten wohl, dass solches Vorgehen Sein Ansehen höbe und Seine Stellung festigte. Die Unruhestifter jedoch waren emsig bemüht, die wildesten Gerüchte über die Persönlichkeit und den Anspruch des Báb auszustreuen. Bald erreichten diese Gerüchte Thirán und wurden Hájí Mírzá Áqásí, dem Großwesir Muhammad Sháhs, zur Kenntnis gebracht. Dieser hochmütige, anmaßende Minister sah voll Angst die Möglichkeit voraus, dass sein Herrscher eines Tages geneigt sein könnte, den Báb zu unterstützen, was, wie er sicher glaubte, seinen eigenen Sturz herbeiführen würde. Darüber hinaus befürchtete der Hájí, dass der Mu'tamid, der das Vertrauen des Sháhs genoss, mit Erfolg ein Gespräch zwischen dem Herrscher und dem Báb vermitteln könnte. Er war sich dessen wohl bewusst, dass der empfängliche, feinsinnige Muhammad Sháh, sollte ein solches Gespräch Zustandekommen, für das Anziehende und Neuartige an diesem Glauben völlig eingenommen würde. Von solchen Überlegungen aufgereizt, schrieb er dem Imám-Jum'ih einen geharnischten Brief, in welchem er ihm vorwarf, er vernachlässige gröblich seine Pflichten als Hüter und Interessenwahrer des Islams. „Wir haben von Ihnen erwartet", schrieb Hájí Mírzá Áqásí, „dass Sie mit allen Kräften allem, was den Interessen der Regierung des Volkes in diesem Land widerspricht, entgegentreten. Sie scheinen aber im Gegenteil den Urheber dieser finsteren, verächtlichen Bewegung zu unterstützen, ja zu verherrlichen." Desgleichen schrieb er einige aufmunternde Briefe an die 'Ulamás von Isfahán, die er früher völlig ignoriert hatte, jetzt aber mit seiner besonderen Gunst überhäufte. Der Imám-Jum'ih lehnte es zwar ab, seine respektvolle Haltung gegenüber seinem Gast aufzugeben, sah sich aber doch durch den Ton, in dem das Schreiben des Großwesirs gehalten war, veranlasst, seine Amtsgenossen anzuweisen, sie möchten auf Mittel und Wege sinnen, den immer größer werdenden Besucherstrom, der täglich zu dem Báb drängte, einzudämmen. Muhammad-Mihdí Safihu'l-'Ulamá', der Sohn des verstorbenen Hájí Kalbásí, begann in seinem Verlangen, dem Wunsch des Hájí Mírzá Áqásí nachzukommen und sein Wohlgefallen zu erwerben, den Báb von der Kanzel herab in unflätigster Sprache zu verleumden.


Sobald der Mu'tamid von dieser Entwicklung der Dinge erfuhr, s.uidte er dem Imám-Jum'ih eine Botschaft, in welcher er an den Besuch erinnerte, den er als Gouverneur dem Báb gemacht hatte, und lud ihn wie auch seinen Gast in sein Haus ein. Zu dieser Zusammenkunft lud der Mu'tamid auch Hájí Siyyid Asadu'lláh ein, den Sohn des verstorbenen Hájí Siyyid Muhammad Báqir-i-Rashtí, sowie Hájí Muhammad Ja'far-i-Ábádiyí, Muhammad-Mihdí, Mírzá Hasan-i-Núrí und einige andere. Hájí Asadu'llah schlug die Einladung aus und versuchte auch die anderen Eingeladenen davon abzuhalten, an der Zusammenkunft teilzunehmen. „Ich habe mich entschuldigt", ließ er sie wissen, „und ich bitte euch dringend, dasselbe zu tun. Ich halte es für höchst unklug, dem Báb zu Gesicht zu kommen. Er wird zweifellos seinen Anspruch wiederholen und, um seine Argumente zu untermauern, jeden Beweis erbringen, den ihr von ihm verlangt, er wird zum Beleg für die Wahrheit, die er bringt, ohne Zögern Verse im Ausmaß des halben Qur'án offenbaren. Schließlich wird er euch herausfordern und sagen: »Macht es mir nach, wenn ihr Männer der Wahrheit seid!' Wir können ihm keinesfalls widerstehen. Wenn wir ihm nicht antworten, legen wir unser Unvermögen an den Tag. Fügen wir uns seinem Anspruch, so verlieren wir nicht nur unser Ansehen, unsere Vorrechte und Vorteile, sondern müssen auch alle weiteren Ansprüche anerkennen, die er womöglich in Zukunft noch stellen wird."




Hájí Muhammad-Ja'far folgte diesem Rat und wies die Einladung des Gouverneurs zurück. Muhammad Mihdí, Mírzá Hasan-i-Núrí und einige andere verachteten derartige Ratschläge und fanden sich zur festgesetzten Stunde im Haus des Mu'tamid ein. Vom Gastgeber aufgefordert, ersuchte Mírzá Hasan, ein bekannter Platoniker, den Báb, einige schwer verständliche philosophische Lehren bezüglich des 'Arshiyyih von Mulla Sadrá8 zu erläutern, deren Sinn erst wenige deuten konnten.9 In einfachen, natürlichen Worten antwortete ihm der Báb auf jede Frage. Obgleich Mírzá Hasan den Sinn der Antworten, die er erhalten hatte, nicht begreifen konnte, wurde ihm doch klar, wie unzulänglich das Wissen der sogenannten Repräsentanten der platonischen und aristotelischen Denkschulen seiner Zeit war im Vergleich zu der Erkenntnis, die dieser Jüngling an den Tag legte. Muhammad Mihdi wagte seinerseits, den Báb über bestimmte Aspekte des islamischen Gesetzes zu befragen. Unzufrieden mit der Antwort, die er erhielt, fing er an, mit dem Báb zu rechten. Der Mu'tamid brachte ihn aber rasch zum Schweigen, indem er das Gespräch beendete und einen Diener beauftragte, die Lampe anzuzünden und Muhammad Mihdi unverzüglich nach Hause zu geleiten. Anschließend teilte der Mu'tamid dem Imám-Jum'ih seine Besorgnis mit. „Ich furchte die Machenschaften der Feinde des Siyyid-i-Báb", sagte er zu ihm. „Der Sháh hat Ihn nach Tihrán befohlen. Ich habe den Befehl, Seine Abreise in die Wege zu leiten. Ich halte es für ratsamer, wenn Er in meinem Hause bleibt, bis Er diese Stadt verlassen kann." Der Imam-Jum'ih entsprach dieser Bitte und kehrte allein in sein Haus zurück.


Vierzig Tage lang hatte sich der Báb im Hause des Imam-Jum'ih aufgehalten. Während Er noch dort war, befasste sich ein gewisser Mulla Muhammad-Taqíy-i-Harátí, der das Vorrecht genoss, jeden Tag mit dem Báb zusammenzukommen, mit Seinem Einverständnis damit, eines Seiner Werke, das Risáliy-i-Furú'-i-'Adlíyyih, aus dem arabischen Urtext ins Persische zu übersetzen. Der Dienst, den er hierdurch den persischen Gläubigen erwies, wurde jedoch durch sein späteres Verhalten geschmälert. Ihn packte plötzlich die Angst, und er brach schließlich die Verbindung mit seinen Glaubensgenossen ab.
Bevor der Báb Seinen Wohnsitz in das Haus des Mu'tamid verlegt hatte, lud Mírzá Ibrahim, der Vater des Sultánu'sh-Shuhadá'10' und älterer Bruder von Mírzá Muhammad-'Alíy-i-Nahrí, von dem bereits die Rede war, den Báb eines Abends in sein Haus ein. Mírzá Ibrahim war ein Freund des Imám-Jum'ih, stand diesem sehr nah und überwachte die Erledigung all seiner Angelegenheiten. Das Festmahl, das in jener Nacht für den Báb bereitet wurde, war von unübertrefflicher Üppigkeit. Man stellte allgemein fest, dass die Amts- und Würdenträger der Stadt niemals ein so großartiges und glänzendes Fest veranstaltet hatten. Der Sultánu'sh-Shuhadá' und sein Bruder, der Mahbúbu'sh-Shuhadá'10, Knaben im Alter von neun und elf Jahren, warteten bei dem Festmahl auf und fanden dabei die besondere Aufmerksamkeit des Báb. An diesem Abend wandte sich während des Essens Mírzá Ibrahim an seinen Gast und sprach: „Mein Bruder Mírzá Muhammad-'Alí ist kinderlos. Ich bitte Dich, dass Du Dich für ihn verwendest und seinen Herzenswunsch erfüllest." Der Báb nahm etwas von der Speise, die Ihm bereitet worden war, legte sie mit eigener Hand auf einen Teller, gab diesen Seinem Gastgeber mit der Bitte, ihn Mírzá Muhammad-'Alí und seiner Frau zu bringen. „Lass beide davon essen", sprach Er, „ihr Wunsch wird in Erfüllung gehen." Auf Grund dieser Gabe, die der Báb für sie ausgewählt und ihnen gesandt hatte, empfing die Frau von Mírzá Muhammad-'Alí und gebar nach angemessener Frist ein Mädchen, das später dem Größten Zweig zur Ehe gegeben wurde11- eine Vereinigung, die alle Hoffnungen ihrer Eltern erfüllte.


Die hohen Ehren, die dem Báb erwiesen wurden, trugen dazu bei, die Feindseligkeit der 'Ulamás von Isfahán noch mehr zu entflammen. Mit Unbehagen sahen sie Seinen alles durchdringenden Einfluss von allen Seiten in das Bollwerk der Orthodoxie einbrechen und deren Grundfesten erschüttern. Sie beriefen eine Versammlung ein, auf der sie ein Dokument verfassten, von allen führenden Geistlichen der Stadt unterzeichnet und gesiegelt, welches den Báb des Todes schuldig spricht.12 Bei dieser Verurteilung waren sich alle einig bis auf Hájí Siyyid Asadu'llah und Hájí Muhammad-Ja'far-i-Ábádiyí, die es beide ablehnten, dem Inhalt einer so offensichtlichen Schmähschrift zuzustimmen. Wenn auch der Imám-Jum'ih nicht geneigt war, das Todesurteil des Báb zu unterschreiben, fühlte er sich doch in seiner Feigheit und seinem Ehrgeiz dazu getrieben, dem Dokument eigenhändig folgendes Zeugnis anzufügen: „Ich bestätige, dass ich im Laufe meines Umgangs mit diesem Jüngling in seinem Tun nichts gefunden habe, was darauf schließen ließe, dass er die Lehren des Islams ablehne. Ich habe ihn im Gegenteil als frommen und getreulichen Befolger der Glaubensvorschriften kennengelernt. Die Verstiegenheit seines Anspruchs und seine Verachtung für die Dinge dieser Welt geben jedoch Grund zur Annahme, dass er bar aller Vernunft und Urteilskraft ist."
Als der Mu'tamid von dem Urteil der 'Ulamás von Isfahán erfuhr, beschloss er, durch einen wohl durchdachten Plan die Wirkung dieses grausamen Urteils zunichte zu machen. Er erließ sofort Weisungen, dass sich der Báb gegen Sonnenuntergang unter dem Geleit von fünfhundert Reitern aus des Gouverneurs Leibgarde zur Stadt hinausbegeben und nach Tihrán abreisen sollte. Er gab ausdrücklich Befehl, dass nach jedem Farsang13 eine Hundertschaft der berittenen Eskorte direkt nach Isfahán zurückzukehren habe. Dem Anführer der letzten Hundertschaft, einem Mann seines unbedingten Vertrauens, gab der Mu'tamid insgeheim zu verstehen, er solle von seinen letzten hundert Mann bei jedem Maydán14 zwanzig in die Stadt zurückbefehligen und von den letzten zwanzig Reitern zehn nach Ar distan entsenden, um dort die von der Regierung erhobenen Steuern einzutreiben; die Übrigen, seine erprobtesten, zuverlässigsten Männer, sollten auf einer wenig benützten Straße den Báb verkleidet nach Isfahán zurückbringen.15 Sie bekamen weiterhin die Weisung, ihren Weg so einzuteilen, dass der Báb vor Tagesanbruch in Isfahán ankäme und in die Obhut des Gouverneurs gebracht wäre.' Dieser Plan wurde sofort in Angriff genommen und getreulich ausgeführt. Zu unerwarteter Stunde betrat der Báb wieder die Stadt, wurde direkt zu des Mu'tamid Wohnsitz, der unter der Bezeichnung 'Imárat-i-Khúrshíd16 bekannt ist, geleitet und durch eine Seitentür, die dem Mu'tamid selbst vorbehalten war, in dessen Privatgemächer geführt. Der Gouveneur wartete dem Báb persönlich auf, brachte Ihm die Mahlzeiten und sorgte für alles, was Seiner Bequemlichkeit und Sicherheit diente.17





In der Stadt gingen mittlerweile die wildesten Gerüchte über die Reise des Báb nach TJhrán um, über die Leiden, die Er auf dem Weg in die Hauptstadt zu erdulden gehabt hätte, das Urteil, das man über Ihn gefällt, die Strafe, die Er erlitten hätte. Diese Gerüchte betrübten die Gläubigen in Isfahán zutiefst. Der Mu'tamid, der ihren Gram und ihre Angst wohl sah, setzte sich bei dem Báb für sie ein und bat Ihn um die Erlaubnis, sie zu Ihm bringen zu dürfen. Der Báb richtete handschriftlich einige Worte an Mulla 'Abdu'1-Karím-i-Qazvíní, der sich in der Ním-Ávard-Madrisih einquartiert hatte, und bat den Mu'tamid, ihm das Schreiben durch einen vertrauenswürdigen Boten überbringen zu lassen. Eine Stunde später wurde Mulla 'Abdul-Karim zum Báb geführt. Von seinem Kommen war niemand außer dem Mu'tamid unterrichtet. Der Báb gab ihm einige Seiner Schriften mit der Weisung, sie zusammen mit Siyyid Husayn-i-Yazdi und Shaykh Hasan-i-Zunúzí abzuschreiben. Zu diesen kehrte er alsbald zurück und brachte ihnen die Kunde vom Wohlbefinden und der Sicherheit des Báb. Von allen Gläubigen, die in Isfahán wohnten, war nur diesen drei vergönnt, den Báb zu sehen.
Eines Tages, als er mit dem Báb in seinem privaten Garten saß, zog der Mu'tamid seinen Gast ins Vertrauen und sprach zu Ihm mit folgenden Worten: „Der allmächtige Geber hat mich mit großem Reichtum bedacht.18 Ich weiß nicht, wie ich diesen am besten verwenden soll. Nun, da ich mit Gottes Hilfe diese Offenbarung erkennen durfte, ist es mein innigster Wunsch, all meinen Besitz ihrem Wohl und der Verbreitung ihres Ruhmes zu weihen. Ich habe die Absicht, mit Deiner Erlaubnis nach Tihrán zu gehen und mein Bestes zu tun, um Muhammad Sháh, der zu mir ein festes, unerschüttertes Vertrauen hat, für diese Sache zu gewinnen. Ich bin überzeugt, dass er sie eifrig annehmen und alles tun wird, sie weit und breit zu fördern. Ich will mich auch bemühen, den Sháh dahin zu bringen, dass er den verruchten Hájí Mírzá Áqásí, dessen törichte Verwaltung sein Land an den Rand des Abgrunds gebracht hat, entlässt. Als nächstes will ich mich bemühen, für Dich die Hand einer der Schwestern des Sháhs zu gewinnen, und will selbst die Vorbereitungen zu Deiner Hochzeit treffen. Und endlich hoffe ich, dass es mir gelingt, die Herzen der Herrscher und Könige dieser Erde für diese wundervolle Sache zu begeistern und jede Spur dieser verderbten Priesterherrschaft auszurotten, die den guten Namen des Islams in den Schmutz gezogen hat." „Möge dir Gott deine guten Absichten lohnen", antwortete der Báb. „Ein so erhabener Plan ist Mir teurer als die Tat selbst. Doch sind deine und Meine Tage gezählt, sie sind zu kurz, als dass dir erlaubt wäre, deine Hoffnungen zu verwirklichen, und Ich es miterlebte. Nicht durch die Mittel, die du dir vorstellst, wird eine allmächtige Vorsehung den Sieg des Gottesglaubens herbeiführen. Durch die Armen und Niedrigen dieses Landes, durch das Blut, das sie auf Seinem Pfade vergießen, wird der allmächtige Herr Seine Sache bewahren und ihre Grundlagen festigen. Und dieser Gott wird dir in der zukünftigen Welt die Krone ewiger Herrlichkeit aufs Haupt setzen und Seinen unermesslichen Segen über dich ergießen. Von der Frist deines irdischen Lebens bleiben dir nur noch drei Monate und neun Tage; dann wirst du voll Glauben und Gewissheit zu deiner ewigen Wohnstatt eilen." Der Mu'tamid war hoch beglückt über diese Worte. In Gottes Willen ergeben, bereitete er sich zum Abschied, den der Báb mit so klaren Worten vorhergesagt hatte. Er schrieb sein Testament, regelte seine persönlichen Angelegenheiten und vermachte alles, was er besaß, dem Báb. Gleich nach seinem Tod jedoch entdeckte sein Neffe, der habgierige Gurgin Khan, das Testament, vernichtete es, riss das Besitztum an sich und ging verächtlich über seine Wünsche hinweg.


Als sich die Tage seines irdischen Lebens dem Ende zuneigten, suchte der Mu'tamid immer mehr die Gegenwart des Báb und empfing in diesen Stunden innigster Gemeinschaft mit Ihm ein tiefes Verständnis für den Geist, der Seinen Glauben beseelt. „Da die Stunde meines Abschieds naht", sagte er eines Tages zu dem Báb, „fühle ich unendliche Freude meine Seele durchfluten. Doch ich sorge mich-um Dich; mich schaudert bei dem Gedanken, Dich der Gewalt eines so ruchlosen Nachfolgers wie Gurgin Khan überlassen zu müssen. Er wird zweifellos herausfinden, dass Du in diesem Haus bist, und ich furchte, er wird Dich schwer misshandeln. „Sei ohne Sorge", wandte der Báb ein; „Ich habe Mich in Gottes Hand gegeben. Mein Vertrauen ruht auf Ihm. Er hat Mir solche Macht verliehen, dass Ich diese Steine, wenn Ich es wollte, in Edelsteine von unschätzbarem Wert verwandeln und dem bösartigsten Verbrecher das Herz mit der erhabensten Auffassung von Rechtschaffenheit und Pflichtbewusstsein erfüllen könnte. Ich habe aus eigenem Willen heraus bestimmt, Mich von Meinen Feinden quälen zu lassen, ,damit Gott vollbringe, was geschehen muss19." Während diese kostbaren Stunden vergingen, war das Herz des Mu'tamid von «bewältigender Hingabe, von immer stärkerem Bewusstsein der Gottnähe erfüllt. Der Welt Pomp und Prunk zerschmolzen in seinen Augen und wurden bedeutungslos angesichts der ewigen Wirklichkeit, die die Offenbarung des Báb verwahrt. Seine Vision von ihrer Herrlichkeit, ihren unbegrenzten Möglichkeiten, ihren unermesslichen Segnungen, wurde ihm immer lebendiger, je mehr er die Eitelkeit irdischen Ehrgeizes und die Schranken allen irdischen Strebens erkannte. Unablässig bewegte er diese Gedanken im Herzen bis zu dem Tag, da ein leichter Fieberanfall, der nur eine Nacht anhielt, seinem Leben rasch ein Ende setzte. Ruhig und voll Vertrauen trat er seinen Flug ins große Jenseits an.20


Als das Leben des Mu'tamid sich dem Ende zuneigte, ließ der Báb Siyyid Husayn-i-Yazdi und Mulla 'Abdu'l-Karim zu sich kommen, machte sie im wesentlichen mit dem, was Er Seinem Gastgeber vorhergesagt hatte, bekannt und bat sie, den in der Stadt versammelten Gläubigen zu sagen, sie möchten sich über Káshán, Qum und Tihrán verteilen und daraufwarten, was die göttliche Vorsehung in ihrer Weisheit bestimmen werde.
Wenige Tage nach dem Tod des Mu'tamid wurde dessen Nachfolger Gurgín Khan21 durch eine Person, die um den Plan zum Schutz des Báb wusste, über den Aufenthalt des Báb im 'Imarat-i-Khurshid unterrichtet und bekam die Ehrungen geschildert, mit denen sein Vorgänger den Gast in der Abgeschiedenheit seines Hauses überhäuft hatte. Auf diese unerwartete Nachricht hin sandte Gurgín Khan einen Boten nach Tihrán mit der Weisung, Muhammad Sháh persönlich die folgende Botschaft zu überbringen: „Vor vier Monaten glaubte man in Isfahán allgemein, dass laut kaiserlichen Befehls Eurer Majestät der Mu'tamidu'd-Dawlih, mein Vorgänger, den Siyyid-i-Báb zu Eurer Majestät Regierungssitz gesandt habe. Nun ist bekannt geworden, dass der Siyyid in Wirklichkeit im 'Imarat-i-Khurshid, dem privaten Wohnsitz des Mu'tamidu'd-Dawlih, wohnt. Es wurde ermittelt, dass mein Vorgänger selbst dem Siyyid-i-Báb Gastfreundschaft gewährt und dieses Geheimnis vor dem Volk wie vor den Amtsträgern dieser Stadt geflissentlich gehütet hat. Was Eure Majestät zu befehlen geruht, gelobe ich unverzüglich auszuführen."
Als der Sháh, von der Treue des Mu'tamid fest überzeugt, diese Botschaft erhielt, nahm er an, dass der verstorbene Gouverneur wohl die aufrichtige Absicht gehabt, für ein Zusammentreffen zwischen ihm und dem Báb eine günstige Gelegenheit abzuwarten, und lediglich sein plötzlicher Tod die Ausführung dieses Planes vereitelt hätte. Er erließ einen kaiserlichen Befehl, der den Báb in die Hauptstadt beorderte. In seiner schriftlichen Botschaft an Gurgln Khan befahl der Sháh diesem, den Báb nach Tihrán zu bringen, in Verkleidung und geleitet von einer berittenen Eskorte22 unter der Führung von Muhammad Big-i-Chápárchí23 von der 'Alíyu'lláhí-Sekte; dem Báb sei auf dieser Reise äußerste Aufmerksamkeit zu erweisen und Seine Abreise sei streng geheimzuhalten.24


Gurgin Khan begab sich sofort zu dem Báb und händigte Ihm den schriftlichen Erlass des Herrschers aus. Dann berief er Muhammad Big zu sich, teilte ihm den Befehl Muhammad Sháhs mit und befahl ihm, sofort Vorbereitungen für die Reise zu treffen. „Gib acht", warnte er ihn, „dass niemand ihn erkennt oder deine wirkliche Aufgabe herausbekommt. Niemand außer dir, nicht einmal die Begleitmannschaft, darf ihn erkennen. Wenn dich jemand nach ihm fragt, so sage, er sei ein Kaufmann, den wir nach der Hauptstadt zu bringen hätten und der uns völlig unbekannt sei." Kurz nach Mitternacht verließ der Báb weisungsgemäß die Stadt in Richtung Tihrán.
249



Elftes Kapitel
DER AUFENTHALT DES BAB IN KASHAN
Am Vorabend der Ankunft des Báb in Káshán träumte Hájí Mírzá Jání, genannt Parpa, ein geachteter Bürger dieser Stadt, er stünde zu später Nachmittagsstunde an einem der Stadttore, dem 'Attár-Tor; da erblickten seine Augen plötzlich den Báb, zu Pferd, statt Seines üblichen Turbans die Kuláh]) auf dem Haupt, die gewöhnlich von den persischen Kaufleuten getragen wird. Vor Ihm und hinter Ihm eine Anzahl Reiter, unter deren Bewachung Er zu stehen schien. Als sie sich dem Tor näherten, grüßte der Báb ihn in seinem Traum und sprach: „Hájí Mírzá Jání, Wir werden für drei Nächte dein Gast sein. Bereite dich vor, Uns zu empfangen."
Der Traum war so lebendig, dass der Hájí beim Erwachen von der Wirklichkeit seiner Vision überzeugt war. Er betrachtete die unerwartete Erscheinung als einen Wink der Vorsehung und hielt es für seine Pflicht, aufmerksam zu
J) Persische Lammfellmütze.
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beobachten. Er gab darum Weisung, sein Haus für den Empfang des hohen Gastes vorzubereiten und für alles Sorge zu tragen, was zu Seinem Wohlbefinden erforderlich war. Sobald er mit den Vorbereitungen für das Festmahl, das er dem Báb an diesem Abend darbieten wollte, fertig war, begab sich Hájí Mírzá Jání zum 'Attár-Tor und wartete dort auf die Zeichen der erwarteten Ankunft des Báb. Zur angegebenen Stunde sifchte er den Horizont ab und gewahrte in der Ferne eine Gruppe von Reitern, die auf das Tor der Stadt zukamen. Als er ihnen entgegeneilte, erkannten seine Augen den Báb, umgeben
Das 'Attár-Tor zu Káshán
von Seiner Eskorte, angetan mit denselben Gewändern und auf Seinem Antlitz denselben Ausdruck, wie er es in der Nacht zuvor im Traum gesehen hatte. Hájí Mírzá Jání ging freudig auf Ihn zu und neigte sich, um Seine Steigbügel zu küssen. Der Báb hinderte ihn jedoch daran und sprach: „Wir werden für drei Nächte dein Gast sein. Morgen ist Naw-Rüz; wir werden es gemeinsam in deinem Hause begehen." Muhammad Big, der in der Nähe des Báb geritten war, dachte, Dieser sei mit Hájí Mírzá Jání gut bekannt. Er wandte sich Ihm zu und sprach: „Ich bin bereit, alles zu tun, was der Siyyid-i-Báb wünscht.
252

Ich möchte dich jedoch bitten, auch die Erlaubnis meines Kollegen einzuholen, der sich mit mir in die Aufgabe teilt, den Siyyid-i-Báb nach Tihrán zu geleiten." Hájí Mírzá Jání kam seinem Wunsch nach, erfuhr jedoch eine völlige Zurückweisung. „Ich lehne deinen Vorschlag ab", sagte ihm dieser, „man hat mich ausdrücklich angewiesen, nicht zuzulassen, dass dieser Jüngling eine Stadt betritt, ehe er in die Hauptstadt kommt. Man hat mir insbesondere befohlen, die Nächte außerhalb der Stadttore zu verbringen, die Tagesmärsche bei Sonnenuntergang abzubrechen und anderntags zur Morgendämmerung wieder aufzunehmen. Ich kann nicht von den Befehlen abweichen, die mir gegeben sind." Dies gab Anlass zu einem hitzigen Wortgefecht, das schließlich zu Gunsten von Muhammad Big beigelegt wurde, dem es gelang, seinen Widersacher dahin zu bringen, dass er den Báb der Obhut |iájí Mírzá Jánís übergab, derihm ausdrücklich versprechen musste, dass er ihm seinen Gast am dritten Morgen gewiss wieder ausliefern werde. Hájí Mírzá Jání hatte eigentlich die ganze Eskorte des Báb in sein Haus einladen wollen. Der Báb bedeutete ihm jedoch, davon abzusehen. „Niemand außer dir", sprach Er eindringlich, „sollte Mich in dein Haus begleiten." Hájí Mírzá Jání bat um die Erlaubnis, dann wenigstens die Kosten für den dreitägigen Aufenthalt der Reiter in Káshán übernehmen zu dürfen. „Das ist nicht nötig", bemerkte der Báb, „denn ohne Meinen Willen hätte nichts vermocht, sie zu veranlassen, Mich in deine Hände zu geben. Alle Dinge liegen in Seiner Macht. Ihm ist nichts unmöglich. Er räumt jede Schwierigkeit aus dem Weg und überwindet jedes Hindernis." Die Reiter wurden in einer Karawanserei in unmittelbarer Nähe des Stadttors untergebracht. Muhammad Big begleitet den Báb Seiner Weisung gemäß bis nahe zu dem Haus des Hájí Mírzá Jání. Nachdem er sich die Lage des Hauses eingeprägt hatte, kehrte er zu seinen Gefährten zurück.
Die Nacht, da der Báb nach Káshán kam, war der Vorabend des dritten Naw-Ruz-Festes nach der Erklärung Seiner Sendung und fiel auf den zweiten Tag des Monats Rabí^*th-Thání des Jahres 1263 n.d.H.2) In dieser Nacht wurde Siyyid Husayn-í^iazdí, der auf Anweisung des Báb schon vorher nach Káshán gekommen war, in das Haus Hájí Mírzá Jánís eingeladen und zu seinem Meister vorgelassen. Der Báb diktierte ihm ein Tablet zu Ehren Seines Gastgebers, als ein Freund des letzteren eintraf, ein gewisser Siyyid 'Abdu'l-Báqí, der in Káshán für seine Gelehrsamkeit bekannt war. Der Báb lud ihn ein, hereinzukommen, und erlaubte ihm, die Verse, die Er offenbarte, mit anzuhören, gab Sich aber nicht zu erkennen. In den Schlusszeilen des Tablets für Hájí Mírzá Jání betete Er»für ihn, flehte zu dem Allmächtigen, dass Er sein
2> 1847 n.Chr.
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Herz erleuchte mit dem Lichte der göttlichen Erkenntnis und seine Zunge löse für den Dienst und die Verkündigung Seiner Sache. Kraft dieses Gebetes wurde Hájí Mírzá Jání, obgleich ungeschult und unbelesen, fähig, selbst die hervorragendsten Geistlichen mit seinen Worten zu beeindrucken. Er wurde
Das Haus des Hájí Mírzá Jání in Káshán mit dem Raum, den der Báb bewohnte
254

Das Haus des Hájí Mírzá Jání in Káshán
von solcher Kraft erfüllt, dass er jeden, der sich eitel anmaßte, die Lehren seines Glaubens zu bestreiten, zum Schweigen brachte. Selbst der hochfahrende, herrschsüchtige Mulla Ja'far-i-Naráqí war trotz seiner hohen Redekunst unfähig, der Kraft seiner Beweisführung standzuhalten, und musste nach außen hin die Vorzüge der Sache seines Gegners zugeben, obgleich er innerlich nicht daran glauben wollte.
Siyyid 'Abdu'1-Báqí saß da und hörte dem Báb zu. Er vernahm Seine
Stimme, beobachtete Seine Bewegungen, achtete auf Seinen Gesichtsausdruck,
lauschte den Worten, die unaufhörlich von Seinen Lippen strömten, und
wurde doch nicht ergriffen von ihrer Majestät und Kraft. In die Schleier seiner
eigenen eitlen Einbildung und Gelehrsamkeit verstrickt, war er unfähig, die
Worte des Báb in ihrer Bedeutung zu würdigen. Er bemühte sich nicht einmal
darum, den Namen und die Rolle des Gastes zu erfahren, bei dem er einge
führt worden war. Unberührt von dem, was er gesehen und gehört hatte, ver
abschiedete er sich, der einzigartigen Gelegenheit nicht gewahr, die er sich
durch seine Gleichgültigkeit unwiederbringlich verscherzte. Als er wenige Tage
danach den Namen des Jünglings erfuhr, den er so gleichgültig behandelt
hatte, packten ihn Kummer und Reue. Aber es war zu spät, er konnte Ihn
nicht mehr aufsuchen und sich für sein Verhalten entschuldigen, denn der Báb
war von Káshán wieder abgereist. In seinem Gram floh er die Gesellschaft sei
ner Mitmenschen und führte bis ans Ende seiner Tage ein Leben in völliger
Abgeschiedenheit. *
Unter denen, die das Vorrecht hatten, den Báb im Hause Hájí .Mírzá Jánís zu sehen, war auch ein Mann namens Mihdi, dem es später, im Jahre 1268
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n.d.H.3), bestimmt war, in Tihrán den Märtyrertod zu erleiden. Er, wie einige andere, war in jenen drei Tagen herzlich aufgenommen von Hájí Mírzá Jání, der für seine großzügige Gastfreundschaft von seinem Meister Lob und Anerkennung erntete. Selbst die Mitglieder der Eskorte des Báb bezog er in das freundliche Entgegenkommen ein und gewann durch seine Freigebigkeit und Liebenswürdigkeit ihre bleibende Dankbarkeit. Am Morgen des zweiten Tages nach Naw-Rüz gab er den Gefangenen, getreu seinem Versprechen, wieder in ihre Hände und nahm schweren Herzens und tief bewegt Abschied von Ihm.
3> 1851/2 n.Chr.
256

Die Stadt Qum
Zwölftes Kapitel
DIE REISE DES BAB VON KASHAN NACH TABRIZ
Von Seiner Eskorte begleitet, schlug der Báb die Richtung nach Qum1' ein. Seine gewinnende Liebenswürdigkeit, verbunden mit überzeugender Würde und stetiger Güte, hatten Seine Wächter nunmehr völlig entwaffnet und gewandelt. Es war, als hätten sie sämtliche Rechte und Pflichten abgelegt und sich nur noch Seinem Willen und Wohlgefallen unterstellt. Eines Tages sagten sie in ihrem Eifer, Ihm zu dienen und Ihn zu erfreuen: „Die Regierung hat uns streng verboten zuzulassen, dass Du die Stadt Qum betrittst, und uns befohlen, auf einer wenig benützten Straße direkt nach Tihrán zu reisen. Man hat uns insbesondere angewiesen, dem Haram-i-Ma'sumih2) fernzubleiben, jener heiligen Freistatt, deren Obdach selbst die schlimmsten Verbrecher vor Verhaf-
'' Die Stätte des zweitheiligsten Schreins in Persien und Bestattungsort vieler Könige, unter ihnen Fath-'Ali und Muhammad Sháh.
2) „In Qum sind die sterblichen Überreste seiner (Imam Ridás) Schwester Fátimiy-i-Ma'súmih, d.h. der Unbefleckten, bestattet; sie soll hier gelebt haben und gestorben sein, nachdem sie vor den Nachstellungen des Khalifen von Baghdád hierher geflohen war; einem anderen Bericht zufolge soll sie in Qum erkrankt und gestorben sein, als sie sich auf dem Weg nach Tus befunden habe, wo sie ihren Bruder besuchen wollte. Von diesem glauben die frommen Schiiten, dass er
257

Die Stadt Qum mit dem Haram-i-Ma'súmih
tung schützt. Um Deinetwillen sind wir aber bereit, alle Weisungen, die wir erhalten haben, in den Wind zu schlagen. Wenn Du willst, werden wir Dich bereitwillig durch die Straßen von Qum geleiten, damit Du den heiligen Schrein besuchen kannst." „Das Herz des wahren Gläubigen ist der Thron Gottes", bemerkte der Báb. „Er, die Arche der Rettung, des Allmächtigen uneinnehmbare Feste, reist nun mit euch durch die Wüste. Ich will lieber über Land gehen als diese unheilige Stadt betreten. Die Unbefleckte, deren Überreste in diesem Schrein beigesetzt sind, ihr Bruder und ihre erlauchten Vorfahren beweinen zweifellos den Zustand dieses verruchten Volkes. Mit den Lippen bringt es ihr Huldigungen dar, aber durch seine Taten schändet es ihren Namen. Äußerlich verehrt es ihren Schrein, innerlich entehrt es ihre Würde."
Diese hohe Gesinnung erfüllte die Herzen der Begleiter des Báb mit solchem Vertrauen, dass, hätte Er irgendwann plötzlich weggehen und sie verlassen wollen, keiner von Seinen Wächtern im geringsten daran Anstoß genommen oder Ihn zu hindern versucht hätte. Sie reisten auf einem Weg, der am nördlichen Saum der Stadt Qum vorbeiführte, und machten bei dem Dorf Qumrúd halt, das einem Verwandten des Muhammad Big gehörte und dessen Bewohner alle zu der 'Alíyulláhí-Sekte gehörten. Auf Einladung des Dorfoberhaup-
ihren Liebesgruß dadurch erwidere, dass er ihr jeden Freitag von seinem Schrein in Mashhad aus einen Besuch abstatte." (Lord Curzon, Persia and the Persian Question, Band 2, S. 8.)
258

Das Dorf Qumrúd
tes verweilte der Báb eine Nacht daselbst und war gerührt von der Wärme und Herzlichkeit, mit der das einfache Volk Ihn empfing. Ehe Er Seine Reise wieder aufnahm, flehte Er den Segen des Allmächtigen auf sie herab und beglückte ihre Herzen mit den Beweisen Seiner Wertschätzung und Liebe.
Zwei Tagereisen später kamen sie am Nachmittag des achten Tages nach Naw-Rüz zu der sechs Farsang südlich von Tihrán gelegenen Festung Kinär-
Ruinen der Festung Kinár-Gird
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Das Dorf Kulayn
Gird3'. Sie hatten vor, am nächsten Tag die Hauptstadt zu erreichen, und hatten beschlossen, die Nacht in der Nähe jener Festung zu verbringen, als unerwartet ein Bote aus Tihrán mit einem schriftlichen Befehl von Hájí Mírzá Áqásí für Muhammad Big eintraf. Die Botschaft enthielt die Weisung, sich mit
3) Eine Station an der alten Straße nach Isfahán, etwa 28 Meilen von Tihrán entfernt. (A Travellers Narrative, S. 14, Anmerkung 2.)
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dem Báb unverzüglich zu dem Dorf Kulayn4) zu begeben, wo der Shaykh-i-Kulayni, Muhammad-ibn-i-Ya'qúb, der Verfasser des Usul-i-Káfí, geboren und zusammen mit seinem Vater auch beigesetzt war - ihre Schreine werden von der Bevölkerung jener Gegend sehr verehrt.5* Da die Häuser in jenem Dorf unzulänglich waren, erhielt Muhammad Big den Befehl, für den Báb ein besonderes Zelt zu errichten, die Eskorte in der Nähe zu halten und weitere Anweisungen abzuwarten. So wurde am Morgen des neunten Tages nach Naw-Ruz, dem elften Tag des Monats Rabí'u'th-Thání des Jahres 1263 n.d.H.6) in unmittelbarer Nähe des Dorfes, das dem Hájí Mírzá Áqásí gehörte, ein Zelt, das diesem bei seinen Besuchen dort zum eigenen Gebrauch gedient hatte, für den Báb aufgeschlagen. Es lag am Hang eines Hügels, reizvoll eingebettet in ein weites Gefilde von Obstgärten und lieblichen Wiesen. Der friedliche Platz, seine üppige Vegetation und das stetige Murmeln der Bäche gefielen dem Báb sehr. Zwei Tage später kamen Siyyid Husayn-i-Yazdi und sein Bruder Siyyid Hasan zu Ihm, Mulla 'Abdu'l-Karim und Shavkh Hasan-i-Zunuzi wurden ebenfalls eingeladen, in nächster Umgebung des Zeltes zu wohnen. Am vierzehnten Tag des Monats Rabítu'th-Thání7), dem zwölften Tag nach Naw-Ruz, kamen Mulla Mihdiy-t-Khu'i und Mulla Muhammad-Mihdiy-i-Kandi von Tihrán an. Letzterer hatte in Tihrán in enger Gemeinschaft mit Bahá'u'lláh gelebt und war von Ihm beauftragt worden, dem Báb einen versiegelten Brief und einige Geschenke zu überreichen. Als der Báb diese Gaben in Händen hielt, war Seine Seele von unendlicher Wonne erfüllt. San Antlitz glühte vor Freude, und Er überschüttete den Überbringer mit Beweisen Seiner Dankbarkeit und Zuneigung.
Die Botschaft, empfangen in einer Stunde der Ungewissheit, brachte dem Báb Trost und Kraft, sie vertrieb die Düsternis, die sich auf Sein Herz gelegt hatte, und netzte Seine Seele mit der Gewissheit des Sieges. Sein Antlitz, lange von einer Trauer überschattet, die Seine Gefangenschaft mit ihren Gefahren noch vertieft hatte, hellte sich merklich auf. Die Tränen der Seelenqual, die Seine Augen seit den Tagen der Gefangennahme und Seiner Abreise von Shíráz so reichlich vergossen hatten, versiegten. Der in Seinem bitteren Leid, in Seiner Verlassenheit so oft ausgestoßene Ruf: „Geliebter, Mein Vielgeliebter!"
4) Vergl. A Travellern Narrative, S. 14, Anmerkung W*
5) „Da sich das Gerücht bereits verbreitet hatte, war es unmöglich, den Befehl des
Premierministers Hájí Mírzá Áqásí durchzufuhren. Von Isfahán bis Tihrán sprach man nur noch
davon, wie unangemessen die Geistlichkeit und die Regierung den Báb behandeln, ein Murren
erhob sich von allen Seiten, man Jalagte laut über diese Ungerechtigkeit.,, (Journal Asiatique,
1866, Band 7, S. 355.)
«29. März 1847 n.Chr. 7) 1. April847n.Chr.
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wich Worten des Dankes und Lobpreises, der Hoffnung und des Triumphes. Der Jubel auf Seinem Antlitz verließ Ihn nicht mehr bis zu dem Tag, da die Kunde von dem schweren Unheil, das über die Helden von Shaykh Tabarsi hereinbrach, Sein strahlendes Angesicht aufs neue überschattete und Seines Herzens Freude trübte.
Ich habe Mulla 'Abdu'l-Karim folgende Begebenheit erzählen hören: „Meine Gefährten und ich schliefen nahe bei dem Zelt des Báb, als wir plötzlich durch Pferdegetrappel wach wurden. Wir erfuhren bald, dass das Zelt des Báb leer war und dass die Ihn zu suchen ausgezogen waren, Ihn nicht gefunden hatten. Wir hörten, wie Muhammad Big den Wachen vorhielt: ,Wozu die Aufregung? Ist nicht Seine Großherzigkeit, Sein Seelenadel vor euren Augen zur Genüge erwiesen, um euch davon zu überzeugen, dass Er niemals um Seiner eigenen Sicherheit willen andere in Ungelegenheit bringt? Kein Zweifel, Er hat sich in der Stille dieser Mondnacht an einen Ort zurückgezogen, wo Er ungestört Verbindung mit Gott suchen kann. Er wird fraglos in Sein Zelt zurückkehren. Er wird uns nie verlassen.' Im Bestreben, seine Kameraden zu beschwichtigen, machte sich Muhammad Big zu Fuß auf den Weg nach Tihrán. Ich folgte ihm mit meinen Gefährten. Kurz darauf sahen wir die übrigen Wachen hinter uns herreiten. Wir hatten etwa einen May dan8' zurückgelegt, als wir im schwachen Licht der frühen Morgendämmerung von ferne die einsame Gestalt des Báb erkennen konnten. Er kam uns aus der Richtung von Tihrán entgegen. ,Hast du geglaubt, Ich wäre geflohen?' sprach Er zu Muhammad Big, als Er näherkam. ,Es liegt mir fern, solche Gedanken zu hegen', rief dieser sogleich und warf sich dem Báb zu Füßen. Muhammad Big war zu sehr von Ehrfurcht ergriffen vor der erhabenen Majestät, welche dieses strahlende Antlitz an jenem Morgen offenbarte, als dass er noch etwas hätte sagen können. Ein Ausdruck von Zuversicht lag auf dem Antlitz des Báb, und Seine Worte waren so voll überirdischer Macht, dass wir in innerster Seele von Gefühlen tiefster Verehrung erfüllt waren. Niemand wagte es, Ihn nach der Ursache dieser auffallenden Veränderung in Seiner Redeweise und Seinem Verhalten zu fragen. Und Er tat nichts, um unsere Verwunderung und Neugier zu stillen."
Zwei Wochen weilte der Báb an jenem Ort.'* Dann wurde die Stille, die Er in jener lieblichen Gegend genoss, jäh gestört durch das Eintreffen eines Schreibens, das von Muhammad Sháh10' persönlich an den Báb gerichtet war und
8> Persisches Wegstreckenmaß, Teil eines Farsang; s. Worterklärung im Anhang.
'' Nach A Travellers Narrative (S. 14) blieb der Báb zwanzig Tage im Dorf Kulayn.
10) „Muhammad Sháh", schreibt Gobineau, „war ein Fürst von ganz eigener Wesensart, wie
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Muhammad Shah
wie folgt lautete:" „So sehr wir auch dich zu sehen wünschen, sind wir doch im Hinblick auf unsere unmittelbar bevorstehende Abreise aus der Hauptstadt nicht in der Lage, dich in Tihran gebührend zu empfangen. Wir haben unseren
man sie in Asien mehr selten antrifft, wie sie jedoch der Europäer kaum kennt, geschweige denn versteht. Obwohl er /u einer Zeit regiert hat, wo die Gebrauche der Lokalpolitik noch ziemlich hart waren, war er deich mild und duldsam. Seine Duldsamkeit ging sogar so weit, dal.s er mit einem sehr milden Auge auf die Zustande in seinem Harem sah, die ihn mit Fug und Recht hatten verdnelsen können; denn selbst unter Lath-'AIi Shah war der Schlendrian und die Launenhaftigkeit in den Liebhabereien nie so weit gegangen. Man schreibt ihm ein Wort /u, das unseres 18. lahrhunderts würdig ist: .Weshalb verbergen Sie sich nicht ein wenig, Madame? Ich
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Wunsch kundgetan, dass du nach Máh-Kú geleitet wirst, und haben dem Festungskommandanten 'Ali Khan die nötigen Weisungen erteilt, dir mit Respekt und Aufmerksamkeit zu begegnen. Wir hegen die Hoffnung und Ab-
will Sie nicht hindern, sich zu amüsieren.' Das war bei ihn» jedoch keineswegs ein Ausdruck der Gleichgültigkeit; es war Überdruss und Langeweile. Seine Gesundheit war immer beklagenswert gewesen. Er war hochgradig gichtkrank und hatte ständig Schmerzen, die ihm selten eine Weile Ruhe ließen. Seine Wesensart, von Natur labil, war sehr schwermütig geworden. Da er sehr hebebedürftig war und er die richtige Art Zuneigung bei seiner Familie, seinen Frauen und seinen Kindern kaum fand, konzentrierte er seine ganze Liebe auf den alten Mulla, seinen Hauslehrer. Er erkor ihn zu seinem einzigen Freund und Vertrauten; später machte er ihn zu seinem allmächtigen Premierminister; ja, ohne Übertreibung kann man sagen: schließlich sogar zu seinem Gott; und da dieses Idol ihn mit äußerst unehrerbietigen Gedanken über den Islam erzogen hatte, machte er sich weder etwas aus den Lehrsätzen des Propheten noch aus dem Propheten selbst. Die Imáme waren ihm völlig einerlei; und wenn er 'Ali einige Aufmerksamkeit schenkte, so nur aus der bizarren Geisteshaltung heraus, in der die Perser diese verehrte Persönlichkeit mit ihrem Nationalitätsbewusstsein identifizieren. Alles in allem war Muhammad Sháh kein Muselman, so wenig wie er Christ, Parse oder Jude war. Er war sich gewiss, dass die göttliche Substanz sich mit ganzer Kraft in den Weisen verkörpere; und da er Hájí Mírzá Áqásí für den Weisen par excellence hielt, stand es für ihn außer Zweifel, dass er Gott wäre, und er bat ihn unterwürfig um irgendein Wunder. Oft geschah es, dass er zu seinen Offizieren voll Überzeugung sagte: ,Der Hájí hat mir auf heute abend ein Wunder versprochen. Sie werden schon sehen!' Abgesehen vom Hájí waren Muhammad Sháh Erfolg oder Ablehnung dieser oder jener religiösen Lehre völlig gleichgültig; im Gegenteil fand er Gefallen daran, Meinungsverschiedenheiten aufkommen zu sehen, die in seinen Augen die allgemeine geistige Blindheit bestätigten." (Comte de Gobineau, Les Religions et les Thilosophies dans l'Asie Centrale, S. 131f.)
U) Nach A Travellern Narrative (S. 14) „richtete der Báb ein Schreiben an den Königlichen Hof mit der Bitte um Audienz, um dabei Seine wahre Lage vortragen zu können. Er erhoffte sich hiervon große Vorteile." Bezüglich dieses Briefes schreibt Gobineau folgendes: „'Ali-Muhammad schrieb selbst an den Hof, sein Brief kam gleichzeitig mit den Anschuldigungen seiner Gegner an. Ohne im geringsten dem König gegenüber aggressiv aufzutreten, sich im Gegenteil ganz der königlichen Autorität und Gerechtigkeit anvertrauend, zeigte der Báb auf, dass es seit langem aller Welt bekannt sei, wie verkommen die Geistlichkeit in Persien ist, dass dadurch nicht nur die guten Sitten in Verfall geraten und das Wohl der Nation schwer gefährdet, sondern darüber hinaus auch die Religion selbst, verderbt durch die Fehler so vieler Schuldiger, in Gefahr sei und unterzugehen drohe, das Volk in tiefster Finsternis zurücklassend; dass er seinerseits als von Gott berufen, kraft einer besonderen Mission derartige Übelstände aufzudecken, bereits damit begonnen habe, die Bevölkerung von Fárs aufzuklären, dass die wahre Lehre rasch deutliche Fortschritte gemacht habe und dass seine sämtlichen Gegner bestürzt seien und künftig ohnmächtig der öffentlichen Verachtung preisgegeben sein werden. Dies sei aber erst ein Anfang. Er, der Báb, bitte* im Vertrauen auf die Großmut des Königs dringend um die Erlaubnis, mit seinen leitenden Jüngern in die Hauptstadt kommen zu dürfen, um daselbst in Gegenwart des Herrschers, der Notabein und des Volks Konferenzen mit allen Mullas des Reichs abzuhalten; er würde sie dabei sicherlich beschämen. Er würde ihnen ihre Treulosigkeit nachweisen und sie ebenso zum Schweigen bringen wie alle anderen bedeutenden und weniger bedeutenden Mullas, die sich vermessen hätten, sich
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sieht, dich nach Rückkehr zum Sitz unserer Regierung dorthin vorzuladen und dann unser endgültiges Urteil zu sprechen. Wir sind zuversichtlich, dir keine Enttäuschung bereitet zu haben, und dass du uns jederzeit benachrichtigen wirst, falls du irgendwelchen Übelständen ausgesetzt werden solltest. Wir hoffen gerne, dass du fortfahren wirst, für unser Wohlergehen und das Gedeihen unseres Reiches zu beten." (Datum: Rabf'u'th-Thání, 1263 n.d.H.)12) Ohne Zweifel war Hájí Mírzá Áqásí13) dafür verantwortlich, dass sich
wider ihn zu erheben. Sollte er wider Erwarten in diesem Kampf unterliegen, so unterwerfe er sich im voraus allem, was der König befehle, und sei bereit, seinen Kopf und die aller seiner Anhänger hinzuhalten." (Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies dans l'Asie Centrale, S. 124.)
12> 19. März - 17. April 1847 n.Chr.
13) Nach dem Buch Majma'u'l-Fusaha von Hidáyat war der Name von Hájí Mírzá Áqásí 'Abbás-'Alí. Er war der Sohn von Mírzá Muslim, einem bekannten Geistlichen von Iraván. 'Abbás-'Alí war in Karbilá ein Schüler von Fakhru'd-Dín 'Abdu's-Samad-i-Hamadání. Von Karbilá aus begab er sich nach Hamadán, besuchte Ádhirbávián und unternahm von dort aus eine Pilgerfahrt nach Mekka. Vollkommen verarmt kam er nach Adhirbáyján zurück, wo es ihm mit der Zeit gelang, seine Lage zu verbessern; er bekam eine Stellung als Erzieher der Kinder von Mírzá Músá Khan, dem Bruder des verstorbenen Mírzá Abu'l-Qásim, dem Qá'im-Maqám. Muhammad Mírzá, dem er seine Thronbesteigung angekündigt hatte, war ihm sehr ergeben. Er ernannte ihn später zum Premierminister. Nach dem Tod des Monarchen zog sich Hájí Mírzá Áqásí nach Karbilá zurück, wo er im Monat Ramadan des Jahres 1265 n.d.H. starb. (Aufzeichnungen von Mírzá Abu'1-Fadl.) Nach Berichten von Hájí Mu'inu's-Saltanih (S. 120) ist Hájí Mírzá Áqásí in Máh-Kú geboren, wo seine Eltern nach ihrem Wegzug von Iraván im Kaukasus gewohnt haben. „Hájí Mírzá Áqásí, ein Einwohner von Iraván, gewann unbegrenzten Einfluss auf seinen schwächlichen Herrn, dessen Erzieher er früher gewesen war. Er bekannte sich zur Súfí-Lehre. Er war ein komischer alter Herr mit langer Nase; seinem Gesicht sah man seine Kauzigkeit und Überheblichkeit an." (CR. Markham, A General Sketch of the History ofPersia, S. 473.) „Der Hájí seinerseits war eine besondere Art Gottheit. Es ist nicht ganz sicher, ob er nicht selbst an das geglaubt hat, wovon Muhammad Sháh überzeugt war. Auf jeden Fall bekannte er sich zu denselben Grundsätzen wie der König; diesem hatte er sie in gutem Glauben beigebracht. Das hinderte ihn aber nicht daran, stets Possen zu reißen. Das Possenreißen war das System, die Regel, das Normale in seinem Verhalten und seiner Lebensführung. Nichts nahm er ernst. Lassen wir ihn selbst sprechen: ,Ich bin gar kein Premierminister', war seine ständige Rede besonders denen gegenüber, die er schikanierte. ,Ich bin ein alter Mulla ohne Herkunft und ohne Verdienste; und wenn ich an dem Platz stehe, wo ich bin, so nur darum, weil es der König so gewollt hat.' Von seinen Söhnen sprach er nie anders als von Huren- und Hundesöhnen. Mit solchen Ausdrücken verlangte er Nachrichten von ihnen oder ließ ihnen, wenn sie abwesend waren, über seine Offiziere Befehle übermitteln. Sein Hauptvergnügen war es, Reiterparaden abzuhalten, wozu er sämtliche Nomaden-Kháns von Persien in den herrlichsten Prachtgeschirren einlud. Wenn dann diese kriegerischen Stämme in der Ebene versammelt waren, dann sah man den Hájí ankommen, gekleidet wie ein Bettler, eine abgewetzte, zerfledderte Mütze auf dem Kopf, einen Säbel schief über dem Gewand und auf einem kleinen Esel reitend. Dann versammelte er die Anwesenden um sich, behandelte sie wie Dummköpfe, machte sich über ihren
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Muhammad Sháh zu einem solchen Brief an den Báb veranlasst sah. Áqásí war beherrscht von der Angst,14' dass das geplante Zusammentreffen ihn seiner Position unbestrittener Vorherrschaft in den Staatsgeschäften entblößen und ihn schließlich-seiner Macht berauben könnte. Für den Báb empfand er weder Gehässigkeit noch Groll. Er überredete schließlich erfolgreich seinen Herrscher,15' den gefürchteten Gegner in eine entfernte, einsame Ecke des Reiches zu schicken, und konnte so endlich den Gedanken, der ihn ständig verfolgt hatte, loswerden.16' Wie gewaltig war dieser Missgriff, wie schwer sein Fehler! Er hatte damals keine Ahnung, dass er durch seine unausgesetzten In-
Aufzug lustig, bewies ihnen, dass sie überhaupt zu nichts taugten, und schickte sie mit Geschenken wieder heim; denn sein bissiger Humor war mit Freigebigkeit gepaart." (Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies dans l'Asie Centrale, S. 132f.)
14' „Eine Anekdote zeigt, welche Beweggründe den Premierminister veranlagten, den Willen des Sháhs in diesem Sinne zu beeinflussen. Der junge Prinz Farhád Mírzá wurde von Hájí Mírzá Áqásí erzogen. Später erzählte er: ,Als S.M., dem Rat seines Premierministers folgend, dem Báb geschrieben hatte, er solle sich nach Máh-Kú begeben, verbrachten wir einige Tage mit Hájí Mírzá Áqásí in seinem Park, den er sich in Yaft-Ábád, in der Nähe Tihráns, hatte anlegen lassen. Ich brannte darauf, meinen Meister nach den sich überstürzenden Ereignissen zu fragen, wagte aber nicht, es vor allen Anwesenden zu tun. Als ich eines Tages mit ihm im Garten spazierenging und er guter Laune war, fasste ich mit ein Herz und fragte ihn: »Hájí, warum schickten Sie den Báb nach Máh-Kú?" Er antwortete: „Du bist noch jung und kannst manche Dinge noch nicht verstehen, aber wisse, dass wir, du und ich, in diesem Augenblick nicht so sorglos hier im kühlen Schatten Spazierengehen könnten, wenn er nach Tihrán gekommen wäre." ' " (A.L.M. Nicolas, Siyyid 'Ali-Muhammad dit le Báb, S. 243f.) Nach der Chronik von Hájí Mu'ínu's-Saltanih (S. 129) war das Hauptmotiv für Hájí Mírzá Áqásí, Muhammad Sháh zur Verbannung des Báb nach Ádhirbáyján zu bewegen, die Angst, der Báb werde sein Versprechen wahr machen und den Herrscher von seiner Krankheit heilen, wenn er Ihn in Tihrán empfinge. Er war überzeugt, dass der Sháh im Falle einer Heilung unter den Einfluss seines Gefangenen geriete und ihm, seinem Premierminister, diese Ehrungen und Gunstbezeigungen nicht mehr zuteil werden ließe, deren er sich so uneingeschränkt erfreute.
15) Nach Mírzá Abu'1-Fadl suchte Hájí Mírzá Áqásí unter Hinweis auf die Rebellion von
Muhammad Hasan Khan Sálár in Khurásán und auf die Revolte von Áqá Khán-i-Ismá'ílí in
Kirmán dem Herrscher den Plan auszureden, den Báb in die Hauptstadt kommen zu lassen.
Stattdessen brachte er den Sháh dazu, den Báb in die entlegene Provinz Ádhirbáyján zu schicken.
16) „In diesem Fall ging jedoch die Rechnung des Großwesirs nicht auf. Aus Furcht, dass die
Anwesenheit des Báb in Tihrán neue Unruhen mit sich bringen könnte (und deren gab es dank
seiner Grillen und seines schlechten Verwaltungssystems gerade genug), änderte er seine
Anordnungen, und die Eskorte, die den Báb von Isfahan nach Tihrán bringen sollte, erhielt
dreißig Kilometer vor der Hauptstadt den Befehl, diese nicht zu betreten, sondern den Gefangenen
nach Máh-Kú zu bringen, einem Ort, wo, so dachte der Premierminister, der Delinquent nichts zu
hoffen hatte, weil die dortigen Einwohner aus Erkenntlichkeit wegen der Wohltaten und des
Schutzes, den sie durch ihn genossen hatten, schon Maßnahmen ergreifen würden, um
aufkommende Unruhen im Keim zu ersticken." (Journal Asiatique, 1866, Band 7, S. 356.)
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Hájí Mírzá Áqásí
trigen dem König und dem Vaterland die unvergleichlichen Segnungen einer göttlichen Offenbarung vorenthielt, die allein die Macht gehabt hätte, das Land aus dem schrecklichen Zustand der Entartung, in dem es sich befand, zu erlösen. Durch seine Tat hat dieser kurzsichtige Minister Muhammad Sháh nicht nur das erhabene Werkzeug vorenthalten, mit dem er sein rasch verfallendes Reich wieder hätte festigen können, er beraubte ihn auch der geistigen Kraft, die es hätte in die Lage versetzen können, die unbestrittene Überlegenheit über alle Völker und Nationen der Erde zu gewinnen. Durch seine Tor-
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heit, seine überspannten und heimtückischen Ratschläge zerrüttete er die Grundfesten des Staates, schädigte sein Ansehen, untergrub die Treue seiner Untertanen und stürzte sie in den Abgrund des Elends.17' Unfähig, das warnende Beispiel seiner Vorgänger zu verstehen, schlug er die Bedürfnisse und das Wohl des Volkes verächtlich in den Wind, verfolgte mit unermüdlichem Eifer seine Pläne zur Mehrung der eigenen Macht und stürzte durch seine ruchlose Verschwendungssucht das Land in aufreibende Kriege mit den Nachbarländern. Sa'd-i-Ma'adh, der weder königlichen Geblüts noch mit einem Amt versehen war, errang sich durch sein aufrechtes Verhalten und seine rückhaltlose Hingabe an die Sache Muhammads einen so hohen Rang, dass ihn die Führer und Herrscher des Islams bis auf den heutigen Tag verehren und seine Tugenden rühmen, wogegen Buzurg-Mihr, der fähigste, klügste und erfahrenste Verwaltungsfachmann unter den Wesiren von Núshiraván-i-'Adil tr,otz seiner Vormachtstellung später öffentlich entehrt, in eine Grube geworfen und der Verachtung und dem Spott der Leute preisgegeben wurde. Er beklagte sein Elend und weinte so bitterlich, dass er schließlich das Augenlicht verlor. Anscheinend hat weder des Erstgenannten Beispiel noch des Letzteren Schicksal den selbstzufriedenen Minister für die Gefahren seiner eigenen Stellung hellhörig werden lassen. Er beharrte auf seinen Ideen, bis auch er seinen Rang einbüßte, seinen Reichtum18' verlor und in Schimpf und Schande fiel. Die zahllosen Besitztümer, die er sich gewaltsam von den bescheidenen, friedlichen Untertanen des Sháhs angeeignet hatte, der kostspielige Hausrat, mit
17' »Die Zustände in Persien waren keineswegs zufriedenstellend, denn Hájí Mírzá Áqásí, der dreizehn Jahre lang der eigentliche Herrscher war, verstand überhaupt nichts von Staatsführung und Strategie, war aber zu eitel, um sich beraten zu lassen, und zu eifersüchtig, als dass er einen Mitarbeiter neben sich geduldet hätte. Er war grob in seiner Ausdrucksweise, unverschämt in seinem Benehmen und lässig in seinen Gewohnheiten. Er brachte die Staatsfinanzen dicht an den Bankrott und das Land an den Rand der Revolution. Die Armee war mit ihrem Sold durchweg drei bis fünf Jahre im Rückstand. Die Reiterei der Stämme war nahezu vernichtet. Das war nach den schwerwiegenden Worten Rawlinsons die Lage Persiens in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts." (P.M. Sykes, A Htstory qfPersia, Band 2, S. 439f.)
,8> „Hájí Mírzá Aqásí, der halbverrückte alte Premierminister, hatte die gesamte Verwaltung in Händen und den Sháh ganz unter seiner Kontrolle. Die Misswirtschaft im Lande wurde immer schlimmer; das Volk darbte und verfluchte die Qájáren-Dynastie ... Die Zustände in den Provinzen waren erbärmlich. Jeder, der irgendwie Begabung und Patriotismus aufwies, wurde von dem alten Hájí in die Verbannung getrieben, da dieser nur darauf aus war, in Tihrán auf Kosten des ausgeplünderten Landes Reichtümer für sich selbst anzuhäufen. Die Amter in den Provinzen wurden an diejenigen verkauft, die das meiste dafür boten und dann das Volk fürchterlich unterdrückten." (CR. Markham, A General Sketch of the Htstory of Persia, S. 486f.)
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dem er sie ausstattete, der riesige Aufwand an Arbeit und Geld, der für ihre Ausbesserung notwendig war - all das war zwei Jahre nach seiner Verfügung, die den Báb unbarmherzig zur Kerkerhaft in den unwirtlichen Bergen von Ádhirbáyján verdammte, unwiederbringlich verloren. All sein Besitz wurde vom Staat beschlagnahmt. Er selbst fiel bei seinem Herrscher in Ungnade, wurde schmählich aus Tihrán verstoßen und fiel Krankheit und Armut an-heim. In Karbilá siechte er hoffnungslos und elend bis zur Stunde seines Todes dahin.19'
Dem Báb wurde also befohlen, sich nach Tabriz zu begeben.20' Dieselbe Eskorte unter Führung von Muhammad Big begleitete Ihn auf Seiner Reise nach der Provinz Ádhirbáyján im Nordwesten. Es war Ihm erlaubt, sich für Seinen Aufenthalt in jener Provinz unter Seinen Anhängern einen Gefährten und einen Diener auszuwählen. Er wählte Siyyid Husayn-i-Yazdi und Siyyid Hasan, dessen Bruder. Von den Mitteln, welche die Regierung zur Bestreitung der Reisekosten ausgesetzt hatte, machte Er keinen Gebrauch für sich selbst. Alle Zuwendungen des Staates gab Er den Armen und Bedürftigen. Für Seine persönlichen Bedürfnisse verwendete Er das Geld, das Er als Kaufmann in Bu-shihr und Shíráz verdient hatte. Da Befehle ergangen waren, auf der Reise nach Tabriz die Städte zu meiden, begaben sich einige Gläubige aus Qazvin, die von der Durchreise ihres geliebten Führers gehört hatten, in das Dorf Síyáh-Dihán21) und konnten Ihm dort begegnen.
19> Gobineau schreibt über seinen Sturz: „Hájí Mírzá Áqásí, der Macht beraubt, über die er sich zum Zeitvertreib lustig zu machen pflegte, zog sich nach Karbilá zurück und verbrachte dort seine letzten Tage damit, den Mullas Streiche zu spielen, aber auch ein wenig mit dem Gedanken an die heiligen Märtyrer." (Les Religions et les Philosophies dans l'Asie Centrale, S. 160.) „Dieser schlaue Mann hatte sich in einer Weise in das Vertrauen des verstorbenen Sháhs eingeschlichen, dass der Minister, wie man mit Fug und Recht sagen konnte, der eigentliche Herrscher war. Er hat jedoch sein einstiges Glück nicht überlebt. Nach dem Tod von Muhammad Sháh verschwand er und verzog sich nach Karbilá, wo unter dem Schutz des hochheiligen Imams selbst ein Staatsverbrecher sicheres Asyl findet. Er erlag bald der Last eines nagenden Kummers, der mehr noch als Gewissensbisse sein Leben abkürzte." (Journal Asiatique) 1866, Band 7, S. 367f.)
20> Nach A Travellern Narrative (S. 16) „schrieb der Báb während dieser Reise einen Brief an den Premierminister folgenden Inhalts: ,Sie haben mich von Isfahán zu einer Zusammenkunft mit den Gelehrten gerufen, damit es zu einer endgültigen Schlichtung komme. Was ist nun geschehen, dass dieser vorzügliche Plan jetzt in Mah-Ku und Tabriz umgewandelt worden ist?'"
21> Nach Samandar (Manuskript S. 4-5) verweilte der Báb auf Seinem Weg nach Ádhirbáyján im Dorf Síyáh-Dihán, in der Nähe von Qazvin. Während dieser Reise soll Er mehrere Tablets an die führenden Ulamás von Qazvin offenbart haben, darunter an Hájí Mulla 'Abdu'l-Vahháb, Hájí Mulla Sálih, Hájí Mulla Taqí und Hájí Siyyid Taqí. Diese .Tablets wurden den Empfängern durch Hájí Mulla Ahmad-i-Ibdál übermittelt. Einigen Gläubigen darunter den
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Einer von ihnen war Mulla Iskandar, den Hujjat nach Shíráz entsandt hatte, um den ¡Báb dort zu besuchen und Seine Lehre zu erforschen. Der Báb beauftragte ihn, Sulaymán Khán-i-Afshár, einem großen Verehrer des verstorbenen Siyyid Kázim, folgende Botschaft zu überbringen: „Der, dessen Tugenden der verstorbene Siyyid unaufhörlich hervorhob, auf dessen bevorstehende Offenbarung er ständig hinwies, ist nun offenbart. Ich bin dieser Verheißene. Mache dich auf und befreie Mich aus der Hand des Unterdrückers." Als der Báb Mulla Iskandar mit dieser Botschaft betraute, befand sich Sulayman Khan in Zanjan im Aufbruch nach Tihrán. Nach drei Tagen war die Botschaft bei ihm. Er antwortete jedoch nicht auf diesen Ruf.
Zwei Tage darauf teilte ein Freund Mulla Iskandars dem auf Anstiften der 'Ulamás von Zanjan in der Hauptstadt gefangen gehaltenen Hujjat den Appell des Báb mit. Hujjat wies sogleich die Gläubigen seiner Vaterstadt an, alles Erforderliche vorzubereiten und die notwendigen Kräfte für die Befreiung ihres Meisters zu sammeln. Er schärfte ihnen ein, mit Vorsicht zu handeln und zu versuchen, den Báb in einem geeigneten Augenblick in ihre Gewalt zu bringen und Ihn fortzuführen, wohin Er wünsche. Bald stießen eine Anzahl Gläubige aus Qazvin und Tihrán zu ihnen und machten sich nach den Anweisungen des Hujjat daran, den Plan auszuführen. Um Mitternacht überraschten sie die Wachen im Schlaf, näherten sich dem Báb und baten Ihn zu fliehen. „Die Berge von Ádhirbáyján haben auch ihr Anrecht", war Seine zuversichtliche Antwort, als Er sie liebevoll bat, von ihrem Vorhaben abzusehen und wieder heimzukehren.221
Als sie das Stadttor von Tabriz erreichten, wusste Muhammad Big, dass die Stunde des Abschieds von seinem Gefangenen gekommen war; er trat zu Ihm und bat Ihn unter Tränen, Er möge Ihm seine Versäumnisse und Übertretun-
beiden Söhnen von Hájí Mulla 'Abdu'l-Vahháb, gelang es, mit dem Báb während der Nacht, che Er in Síyáh-Dihán zubrachte, zusammenzukommen. Von diesem Dorf aus soll der Báb auch Sein Schreiben an Hájí Mírzá Áqásí gerichtet haben.
22' Im Tärikh-i-Jadid wird berichtet, dass Muhammad Big Hájí Mírzá Jání folgendes erzählt habe: »So stiegen wir auf und ritten weiter, bis wir an eine aus Ziegelsteinen gemauerte Karawanserei kamen, etwa zwei Farsang von der Stadt entfernt. Von dort wandten wir uns nach Milán, wo viele Einwohner herbeikamen, um Seine Heiligkeit zu sehen. Sie staunten über die Majestät und Wurde dieses Herrn der Menschheit. Als wir am Morgen von Milán aufbrachen, trug eine alte Frau ein fieberheißes Kind herbei, dessen Kopf bis zum Nacken mit weißem Schorf bedeckt war. Sie flehte Seine Heiligkeit an, das Kind zu heilen. Die Wachen wollten sie abweisen, Seine Heiligkeit verwies ihnen das jedoch und rief das Kind zu sich. Dann legte Er ihm ein Tuch über den Kopf und sprach wiederholt bestimmte Worte. Kaum hatte Er dies getan, war das Kind geheilt. An diesem Ort sind etwa zweihundert Menschen gläubig geworden und haben eine wahre, aufrichtige Bekehrung erfahren." (S. 220f.)
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Tabríz
gen nachsehen. „Die Reise von Isfahán hierher", sagte er, „war lang und beschwerlich. Ich habe meine Pflicht versäumt und Dir nicht so gedient, wie ich es hätte tun sollen. Ich flehe um Deine Vergebung und bitte Dich um Deinen Segen." „Sei versichert", erwiderte der Báb, „dass Ich dich als Mitglied Meiner Gemeinde zähle. Wer immer sich zu Meiner Sache bekennt, wird dich ewiglich segnen und rühmen, wird dein Verhalten preisen und deinen Namen loben.t<23) Die übrigen Wachen folgten ihres Anführers Beispiel, flehten um den Segen ihres Gefangenen, küssten Ihm die Füße und sagten Ihm mit Tränen in den Augen ein letztes Lebewohl. Der Báb drückte jedem Seine Anerkennung für die erwiesene Aufmerksamkeit aus und versicherte ihn Seiner Fürbitte. Ungern gaben sie Ihn in die Gewalt des Gouverneurs von Tabríz, des Thronerben von Muhammad Sháh. Diese ergebenen Diener des Báb, diese Augenzeugen Seiner übermenschlichen Macht und Weisheit, erzählten allen, mit denen sie in der Folgezeit zusammenkamen, voll Ehrfurcht und Bewunderung von den Wundern, die sie gesehen und gehört hatten, und trugen so auf ihre Art dazu bei, die Kunde von der neuen Offenbarung zu verbreiten.
23) Mírzá Abu'1-Fadl berichtet in seinen Schriften, dass er in Tihrán dem Sohn von Muhammad Big, 'Ali-Akbar Big, begegnete und ihn die denkwürdigen Erlebnisse seines Vaters während seiner Reise nach Tabríz mit dem Báb erzählen hörte. 'Ali-Akbar Big war ein begeisterter Anhänger der Sache Bahá'u'lláhs und als solcher unter den Bahá'í Persiens bekannt.
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Die Nachricht von der bevorstehenden Ankunft des Báb in Tabriz brachte die Gläubigen dort in Bewegung. Alle strömten heraus, Ihm zu begegnen, voll Eifer, dem geliebten Führer ein Willkommen zu bereiten. Aber die Regierungsbeamten, die den Báb in Gewahrsam zu nehmen halten, erlaubten ihnen nicht, näher heranzukommen und Seinen Segen zu empfangen. Ein Jüngling jedoch konnte sich nicht zurückhalten; barfuß stürzte er davon, durchs Stadttor, voll Ungeduld, das Antlitz Seines Geliebten zu sehen, und lief Ihm einen halben Farsang24' entgegen. Als er zu den Reitern kam, die den Báb begleiteten, hieß er sie freudig willkommen, berührte den Gewandsaum des einen und küsste hingebungsvoll seinen Steigbügel. „Ihr seid die Gefährten meines Heiß-
Dic „Arche" (Burg) in Tabriz, wo der Báb gefangengehalten wurde, Innen- und Außenansicht Seines Aufenthaltsraumes
24> Ein Farsang entspricht etwa 4,5-6 km; s. Worterklärung im Anhang.
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geliebten**, rief er unter Tränen, „ich liebe euch wie meinen Augapfel!" Sein seltsames Gebaren, seine heftige Bewegung versetzte sie in Staunen. Sie gewährten ihm sofort die Bitte, in die Gegenwart seines Meisters zu gelangen. Als seine Augen Ihn erblickten, kam ein Jubelruf von seinen Lippen. Er fiel auf sein Angesicht und weinte fassungslos. Der Báb stieg vom Pferd, nahm ihn in Seine Arme, wischte ihm die Tränen ab und besänftigte den Sturm seines Herzens. Von allen Gläubigen aus Tabriz war es einzig diesem Jüngling geglückt, dem Báb seine Huldigung darzubringen und durch die Berührung Seiner Hand Seinen Segen zu erlangen. Die anderen mussten sich gezwungenermaßen mit einem Blick aus der Ferne auf ihren Geliebten zufriedengeben und damit ihre Sehnsucht zu stillen suchen.
Als der Báb nach Tabriz kam, wurde Er zu einem der Hauptgebäude in der Stadt geführt, das für Seine Haft vorgesehen war.25) Eine Abordnung des Násirí-Regiments stand am Eingang Seines Hauses Wache. Außer Siyyid Hu-sayn und dessen Bruder war es niemandem aus der Bevölkerung oder Seinen Anhängern erlaubt, mit Ihm zusammenzukommen. Dasselbe Regiment, aus Einwohnern von Khamsih rekrutiert und mit besonderen Ehren ausgezeichnet, wurde später ausgewählt, die tödliche Salve auf Ihn abzufeuern. Die Um-stände'Seiner Ankunft hatten das Volk von Tabriz heftig erregt. Ein ungestümer Volkshaufe hatte sich angesammelt, um Seinen Einzug in die Stadt zu er-leben.26) Einige kamen aus Neugier, andere begehrten ernsthaft, die Wahrheit über die wilden Gerüchte zu erfahren, die über Ihn in Umlauf waren, wieder andere kamen um ihres Glaubens und ihrer Ergebenheit willen, um in Seine Gegenwart zu gelangen und Ihn ihrer Treue zu versichern. Als Er durch die Straßen schritt, erscholl von allen Seiten der Beifall aus der Menge. Die überwiegende Mehrzahl derer, die Sein Antlitz sahen, grüßte Ihn mit dem Ruf „AUah-u-Akbar"27), andere priesen Ihn laut und jubelten Ihm zu, einige flehten den Segen des Allmächtigen auf Ihn herab, andere sah man verehrungsvoll den
**) Nach A Travellern Narrative (S. 16) blieb der Báb vierzig Tage in Tabriz. Nach dem Manuskript von Hájí Mu'ínu's-Saltanih (S. 138) verbrachte der Báb die erste Nacht in Tabriz im Heim von Muhammad Big. Von dort wurde Er in einen Raum der Zitadelle (der „Arche") gebracht, die an die Masjid-i-'AH Sháh angrenzt.
26> „Die Fortschritte dieses energischen Mannes (Mulla Yúsuf-i-Ardibílí) waren so groß und so rapide, dass sogar die Einwohner eines großen Dorfes vor den Toren von Tauris (Tabriz) sich ihm anschlössen und sich Bábí nannten. In der Stadt waren die Bábí selbstverständlich nicht weniger zahlreich; die Regierung ergriff darum Maßnahmen, den Báb öffentlich des Betrugs zu überführen, ihn zu bestrafen und sich dadurch vor dem Volk zu rechtfertigen." (Journal Asiatique, 1866, Band 7, S. 357f.)
27) „Gott ist der Größte"
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Staub Seiner Fußspuren küssen. Der Lärm, den Seine Ankunft hervorgerufen hatte, war so groß, dass man einem Ausrufer befahl, den Pöbel vor der Strafe zu warnen, die denen drohte, die sich Ihm zu nähern wagten. „Wer den Versuch macht, sich dem Siyyid-i-Báb zu nähern", so ertönte der Ruf, „oder versucht, mit ihm zusammenzukommen, der wird sofort all seines Besitzes enteignet und zu lebenslänglicher Haft verurteilt."
Am Tag nach der Ankunft des Báb wagten es Hájí Muhammad-Taqiy-i-Mílání, ein angesehener Kaufmann in der Stadt, und Hájí 'Alí-'Askar, den Báb zu besuchen. Ihre Freunde und Gönner hatten sie gewarnt und darauf hingewiesen, dass sie bei einem derartigen Versuch nicht nur ihr Vermögen riskierten sondern auch ihr Leben aufs Spiel setzten. Sie achteten jedoch nicht auf diese Ratschläge. Als sie zur Tür des Hauses kamen, in welchem der Báb gefangen war, wurden sie sogleich festgenommen. Siyyid Hasan, der in diesem Augenblick vom Báb kam, setzte sich nachdrücklich für sie ein. „Der Siyyid-i-Báb hat mir befohlen", protestierte er heftig, „euch diese Nachricht zu bringen: ,Erlaubt diesen Besuchern hereinzukommen, da Ich selbst sie zu Mir gebeten habe.' ** Ich habe gehört, wie 'Ali-'Askar-folgendes bezeugte: „Diese Botschaft brachte die Gegner sofort zum Schweigen. Wir wurden sogleich zu Ihm geführt. Er begrüßte uns mit den Worten: ,Diese elenden Kerle, die Meine Haustür bewachen, habe Ich Mir zum Schutz vor der hereindrängenden Menge ausersehen, die sich um das Haus schart. Wen Ich zu sehen wünsche, können sie nicht daran hindern, zu Mir zu kommen.* Wir blieben etwa zwei Stunden bei Ihm* Als Er uns verabschiedete, vertraute Er mir zwei Karneol-Ringsteine an mit der Weisung, in diese die beiden Verse, die Er mir vorher gegeben hatte, einzugravieren, sie dann fassen zu lassen und Ihm, sobald sie fertig wären, zu bringen. Er versicherte uns, dass niemand, wann immer wir zu Ihm kommen möchten, uns den Zutritt zu Ihm verwehren würde. Mehrmals wagte ich zu Ihm zu gehen, um Seine Wünsche zu bestimmten Einzelheiten im Zusammenhang mit dem Auftrag, den Er mir erteilt hatte, entgegenzunehmen. Niemals erfuhr ich auch nur den geringsten Widerstand seitens der Wachen vor Seinem Haus. Nicht ein rauhes Wort äußerten sie mir gegenüber, auch schienen sie nicht im geringsten eine Belohnimg für ihre Nachsicht zu erwarten.
Ich erinnere mich, wie tief ich während meines Zusammenseins mit Mulla Husayn von dessen Scharfblick und außergewöhnlichen Kraft beeindruckt war. Ich hatte das Vorrecht, ihn auf seiner Reise von Shíráz nach Mashhad begleiten zu dürfen, und besuchte mit ihm die Städte Yazd, Tabas, Bushrúyih und Turbat. Damals beklagte ich das betrübliche Versäumnis, dem Báb in Shíráz nicht begegnet zu sein. ,Gräme dich nicht', versicherte mir Mulla
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Husayn zuversichtlich, ,der Allmächtige ist zweifellos in der Lage, dich inTabriz für den Verlust, den du in Shíráz erlitten hast, zu entschädigen. Nicht nur einmal, siebenmal kann Er dir die Freude Seiner Gegenwart bescheren als Ersatz für den einen Besuch, den du versäumt hast.' Ich wunderte mich über die Zuversicht, mit der er diese Worte sprach. Erst in der Zeit meines Besuches beim Báb in Tabriz, als ich trotz widriger Umstände zu verschiedenen Gelegenheiten in Seine Gegenwart gelangen durfte, erinnerte ich mich wieder dieser Worte Mulla Husayns und bewunderte seine denkwürdige Vorausschau. Wie groß war mein Erstaunen, als ich hörte, wie der Báb bei meinem siebenten Besuch sagte: ,Preis sei Gott, der dir ermöglicht hat, die Zahl deiner Besuche zu erfüllen, und der dir Seinen liebevollen Schutz gewährt hat.'"
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Die Festung von Máh-Kú

Dreizehntes Kapitel DIE GEFANGENSCHAFT DES BÁB IN DER FESTUNG MÁH-KÚ
Den folgenden Bericht hat man von Siyyid Husayn-i-Yazdi vernommen: „Während der ersten zehn Tage der Gefangenschaft des Báb in Tabriz wusste niemand, was als nächstes mit Ihm geschehen würde. Die wirrsten Mutmaßungen schwirrten durch die Stadt. Eines Tages wagte ich Ihn zu fragen, ob Er bleiben würde, wo Er ist, oder ob Er noch an einen anderen Ort verbracht würde. ,Hast du die Frage vergessen, die du Mir in Isfahán gestellt hast?' antwortete Er sofort. ,Für eine Zeit von mindestens neun Monaten werden Wir im Jabal-i-Bási^ gefangen sein, von dort werden Wir zum Jabal-i-Shadid2) verbracht werden.' Diese beiden Orte gehören zu den Bergen von Khuy und liegen zu beiden Seiten der Stadt gleichen Namens. Fünf Tage nach dieser Vorhersage des Báb erging der Befehl, Ihn und mich nach der Festung Máh-Kú zu verbringen und uns 'Ali Khán-i-Máh-Kú'f in Haft zu geben."
Die Burg, ein solides viertürmiges Steingebäude, steht hoch an einem Berg, zu dessen Fuß die Stack Máh-Kú liegt. Der einzige Weg von dort herunter führt in die Stadt und endet an einem Tor unmittelbar neben dem Sitz der Regierung, welches stets geschlossen ist. Dieses Tor ist von dem der Burg getrennt. An der Grenze zwischen dem Osmanischen und dem Russischen Reich gelegen, diente die Burg in Anbetracht ihrer beherrschenden Lage und strategischen Bedeutung als Zentrum für Beobachtungszwecke. Der verantwortliche Offizier dieser Station beobachtete in Kriegszeiten die Bewegungen des Feindes, überwachte die Umgebung und berichtete seiner Regierung über
*> Wörtlich „der offene Berg", Anspielung auf Máh-Kú. Der Zahlenweit von „Jabal-i-Basit" ist derselbe wie der von „Máh-Kú".
2) Wörtlich »der Berg des Kummers", Anspielung auf Chihrfq. Der Zahlenwert von „Jabal-i-Shadid" ist derselbe wie der von „Chihrfq".
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die Vorfälle in seinem Beobachtungsgebiet. Im Westen ist die Burg vom Ara-xes, dem Grenzfluss zwischen dem Gebiet des Sháh und dem Russischen Reich, begrenzt. Im Süden liegt das Gebiet des Sultans der Türkei; die Grenzstadt Báyazíd liegt nur vier Farsang^ vom Berg Máh-Kú entfernt. Der wachhabende Grenzbeamte der Burg war ein Mann namens 'Ali Khan. Die Bewohner der Stadt sind Kurden und gehören dem Sunní-Islám an.4) Die Schiiten, welche die überwiegende Mehrheit der persischen Bevölkerung ausmachen, sind von jeher ihre geschworenen, erbitterten Feinde gewesen. Die Kurden verabscheuen besonders die Siyyids der Shi'ah-Sekte, die sie als die geistigen Führer und Hauptaufwiegler unter ihren Gegnern betrachten. 'Ali Khans Mutter war eine Kurdin; der Sohn stand in hohen Ehren, und die Bevölkerung von Máh-Kú war ihm blind ergeben. Sie betrachtete ihn als einen der Ihrigen und vertraute ihm voll und ganz.
Hájí Mírzá Áqásí hatte mit Vorbedacht bewerkstelligt, dass der Báb in eine so unwirtliche, gefährliche Ecke des kaiserlichen Gebietes verbannt wurde, verfolgte er doch einzig den Zweck, die Flut Seines wachsenden Einflusses einzudämmen und Ihn von jeder Verbindung mit Seinen Anhängern im ganzen Land abzuschneiden. Im Vertrauen darauf, dass nur wenige, wenn überhaupt, es wagen würden, in dieses wilde, unruhige Gebiet einzudringen, das von einem so rebellischen Volk bewohnt war, bildete er sich ein, dass die strenge Absonderung des Gefangenen vom Trachten und Streben Seiner Anhänger allmählich dazu führte, die Bewegung im Keim zu ersticken und schließlich auszulöschen.5) Doch sollte er bald merken, dass er die Offenbarung des Báb in ihrem Wesen schwer verkannt und die Macht ihres Einflusses unterschätzt hatte. Die unruhigen Gemüter dieses widerspenstigen Volkes waren bald durch die sanfte Art des Báb bezähmt, ihre Herzen wurden milde unter dem veredelnden Einfluss Seiner Liebe. Seine beispiellose Schlichtheit wandelte ihren Stolz in Demut, und ihr unvernünftiger Hochmut schmolz dahin vor der Weisheit Seiner Worte. Eine solche Glut hatte der Báb in ihren Herzen entfacht, dass sie als erstes jeden Morgen eine Stelle suchten, von wo sie Ihn
3' Ein Farsang entspricht etwa 4,5-6 km; s. Worterklärung im Anhang.
4) „Er wohnt auf einem Berg, dessen Bewohner nicht einmal das Wort „Jannat" (Paradies, ein arabisches Wort) aussprechen können; wieviel weniger vermögen sie erst dessen Sinn zu erfassen. Sieh also, was sich alles um der Wahrheit des Daseins willen begibt." (Le Bayän Version, Band 4, S. 14.)
5> „Als Heimat des Premierministers an der Grenze von Ádhirbáyján rückte diese Stadt unter der Verwaltung dieses Ministers aus ihrem Schattendasein heraus, und viele Leute von Máh-Kú sind dank ihrer Unterwürfigkeit gegenüber Hájí Mírzá Áqásí zu höchsten Staatsämtern aufgestiegen." (Journal Asiatique, 1866, Bd. 7, S. 356, Anm. 1.)
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sehen, mit Ihm in Verbindung treten und Ihn um Seinen Segen für ihr Tagwerk bitten konnten. Hatten sie Streit, so eilten sie von selbst dorthin, wandten ihr Gesicht Seinem Gefängnis zu, riefen Seinen Namen an und schworen, sich gegenseitig die Wahrheit sagen zu wollen. 'Ali Khan versuchte verschiedentlich, sie von diesem Brauch abzubringen, war aber machtlos, ihre Begeisterung einzudämmen. Er erfüllte seine Amtspflichten mit äußerster Strenge und erlaubte keinem der erklärten Anhänger des Báb, sich auch nur für eine Nacht in der Stadt Máh-Kú aufzuhalten.6)
6) „Der Báb schildert uns selbst, wie sein Leben in dem Gefängnis, in dem er eingekerkert war, verlief. Seine Klagen, die so oft im Bayán vorkommen, gehen wohl, denke ich, auf Haftverschärfungen zurück, die von Zeit zu Zeit auf Weisungen aus Tihrán hin erfolgt sind. Alle Historiker, seien es nun Bábí oder Muslime, berichten uns jedoch, dass der Báb trotz der strengen Befehle, jede Verbindung des Gefangenen mit der Außenwelt abzuschneiden, eine große Zahl von Anhängern und Besuchern in seinem Gefängnis empfangen hat. (Der Verfasser des Mutanabbiyyin schreibt: ,Die Bábí aus allen Teilen der Welt begaben sich auf die Pilgerschaft zu ihrem Herrn nach Ádhirbáyján'.) ,0 wie blind du doch bist, du mein Geschöpf! Was du tust, tust du im Glauben, mich damit zufriedenzustellen! Und trotz dieser Verse, die mein eigener Beweis sind, trotz dieser Verse, die meiner Macht entspringen und deren Schatz das Wesen dieses Menschen (des Báb) ist, trotz dieser Verse, die nur mit meiner Erlaubnis aus seinem Munde kommen, habt ihr ihn ohne jedes Recht auf den Gipfel eines Berges gebracht, dessen Bewohner nicht einmal der Erwähnung wert sind. In seiner Nähe, das heißt, mir nahe, ist niemand, es sei denn ein Buchstabe des Lebendigen meines Buches. In seinen beiden Händen, das sind meine beiden Hände, ist nicht einmal ein Diener, der ihm des Nachts die Lampe anzündet. Und doch wurden die Menschen, die auf Erden sind, nur um seinetwillen erschaffen. Dank seines Wohlwollens leben sie in Freude, und sie geben ihm nicht einmal eine Lampe!' (Einheit 2, Tor 1.) ,Die Frucht (der islamischen Religion) ist der Glaube an die Manifestation (des Báb), und ihn hält man in Máh-Kú gefangen!' (Einheit 2, Tor 7.),Alles, was dem Menschen des Paradieses gebührt, ist im Paradies. Dieser einsame Raum (in dem ich mich befinde), der nicht einmal eine Türe hat, ist heute der größte Garten des Paradieses, denn der Baum der Wahrheit ist hier gepflanzt. Alle seine Atome rufen aus: Wahrlich, es gibt keinen Gott, außer Gott! Wahrlich, ich bin Gott und es gibt keinen Gott außer mir, dem Herrn des Weltalls!' (Einheit 2, Tor 16.) ,Die Frucht dieses Tores ist, dass die Menschen, wenn sie sehen, dass es erlaubt ist, all dies für den Bayán, der nur die Spur Dessen ist, den Gott offenbaren wird, zu tun (viel Geld auszugeben), sich Rechenschaft darüber ablegen müssen, was man Dem schuldig ist, den Gott offenbaren wird, wenn Er erscheint, damit Ihm nicht dasselbe widerfahre wie mir heute. Das heißt, dass es in der Welt Qur'áne im Wert von vielen tausend Toman gibt, während Der, welcher die Verse offenbart (der Báb), auf einem Berg in einem Raum aus sonnengetrockneten Ziegeln gefangen ist. Und dennoch ist dieser Raum die Arche (neunter Himmel, Wohnsitz der Gottheit) selbst. Möge dies den Anhängern des Bayán als Beispiel dienen, damit sie Ihm nicht antun, was die Anhänger des Qur'án mir angetan haben.' (Einheit 3, Tor 19.)" (A.L.M. Nicola, Siyyid 'Ali-Muhammad dit le Báb, S. 365 f.) „Alle glauben sie an Ihn, und doch haben sie Ihn auf einem Berg eingekerkert! Alle leben durch Ihn in Freude, und doch haben sie Ihn verlassen! Kein Feuer ist heißer für die, welche so gehandelt haben, als
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„Während der ersten beiden Wochen", berichtete Siyyid Husayn weiter, „wurde niemandem erlaubt, den Báb zu besuchen. Nur mein Bruder und ich durften zu Ihm. Siyyid Hasan ging jeden Tag, von einer Wache begleitet, in die Stadt hinunter, um das Notwendige einzukaufen. Shaykh Hasan-i-Zunuzi, der nach Máh-Kú gekommen war, verbrachte die Nächte in einer Moschee außerhalb des Stadttores. Er diente als Mittelsperson zwischen den gelegentlich nach Máh-Kú kommenden Anhängern des Báb und meinem Bruder Siyyid Hasan, der wiederum die Anliegen der Gläubigen ihrem Herrn überbrachte und Shaykh Hasan Dessen Antworten übermittelte.
Eines Tages drängte der Báb meinen Bruder, Shaykh Hasan wissen zu lassen, dass Er persönlich 'Ali Khan ersuchen wolle, seine Haltung gegen die nach Máh-Kú kommenden Gläubigen zu ändern und seine Strenge zu mildern. ,Sage ihm', fügte Er hinzu, »morgen werde Ich die Wache anweisen, ihn hierher zu bringen.' Ich war sehr erstaunt über diese Nachricht. Wie könnte der herrschsüchtige, eigenwillige 'Ali Khan, so dachte ich bei mir, veranlasst werden, seine strenge Zucht zu mildern? Früh am andern Tag, das Tor der Burg war noch geschlossen, überraschte uns jähes Pochen am Tor, wussten wir doch von dem Befehl, vor Sonnenaufgang niemanden einzulassen. Wir erkannten die Stimme 'Ali Khans, der anscheinend mit den Wachen verhandelte, worauf einer von ihnen hereinkam und mir sagte, dass der Burgverwalter darauf bestehe, beim Báb vorgelassen zu werden. Ich gab diese Botschaft weiter und erhielt die Weisung, ihn sofort zu Ihm zu bringen. Als ich aus der Vorzimmertür trat, sah ich 'Ali Khan in unterwürfiger Haltung an der Schwelle stehen, mit einem Gesichtsausdruck ungewöhnlicher Demut und Verwunderung. Sein Geltungsbedürfnis, sein Stolz schien gänzlich verschwunden. Demütig und überaus höflich erwiderte er meinen Gruß und bat um Erlaubnis, beim Báb eintreten zu dürfen. Ich führte ihn in den von meinem Herrn bewohnten Raum. Er zitterte an allen Gliedern, als er mir folgte. Eine innere Erregung, die er nicht verbergen konnte, lag auf seinem Gesicht. Der Báb erhob sich von Seinem Sitz und hieß ihn willkommen. 'Ali Khan verneigte sich ehrerbietig, ging auf Ihn zu und warf sich Ihm zu Füßen. ,Befreie mich von meiner Verwirrung', bat er. ,Ich beschwöre Dich bei dem Propheten Gottes, Deinem erhabenen Vorfahren, zerstreue meine Zweifel, denn ihre Last bricht mir fast das Herz. Ich ritt durch die Wildnis und näherte mich dem Stadttor, als um die Stunde der Morgendämmerung meine Augen plötzlich Dich erblickten, wie
ihre Taten selbst, und für die Gläubigen ist kein Paradies erhabener als ihr Glaube!" (Le Bayän Person, Band 1, S. 126f.)
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Du am Flussufer standest und Dein Gebet verrichtetest. Mit ausgestreckten Armen und erhobenem Blick riefest Du den Namen Gottes an. Ich blieb stehen und beobachtete Dich. Ich wartete, dass Du Deine Andacht beendetest und ich zu Dir gehen und Dich dafür zurechtweisen könnte, dass Du es gewagt hast, die Burg ohne meine Erlaubnis zu verlassen. Du schienst so versunken in Deine Verbindung mit Gott, dass Du völlig entrückt warst. Ich nahte Dir leise, aber Du nahmst in Deiner Verzückung meine Anwesenheit nicht wahr. Plötzlich ergriff mich große Furcht und ich schreckte vor dem Gedanken zurück, Dich aus Deiner Ekstase zu wecken. Ich beschloss, Dich zu verlassen, zu den Wachen zu gehen und sie für ihre Nachlässigkeit zurechtzuweisen. Bald stellte ich zu meinem Erstaunen fest, dass die äußeren wie die inneren Tore geschlossen waren. Auf mein Verlangen wurden sie geöffnet, ich wurde zu Dir vorgelassen und sehe Dich zu meiner Verwunderung vor nur sitzen. Ich bin gänzlich verwirrt. Ich weiß nicht, ob ich nicht den Verstand verloren habe.' Der Báb antwortete und sprach: ,Was du erlebt hast, ist wahr und unleugbar. Du hast diese Offenbarung geringgeachtet und ihren Urheber verächtlich abgelehnt. Gott, der Allbarmherzige, der dich nicht mit Seiner Strafe betrüben wollte, hat vor deinen Augen die Wahrheit enthüllt. Durch Sein göttliches Eingreifen hat Er dir die Liebe zu Seinem Erwählten ins Herz gegeben und dich befähigt, die unbesiegbare Kraft Seines Glaubens zu erkennen.' **
Diese wundersame Erfahrung verwandelte 'Ali Khans Herz völlig. Die Worte des Báb hatten seine Erschütterung besänftigt und seine wilde Feindseligkeit bezwungen. Er beschloss, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln sein früheres Verhalten wieder gut zu machen. Eilfertig sagte er zu dem Báb: „Da verlangt ein Shaykh darnach, zu Dir zu gelangen. Er lebt in einer Moschee außerhalb des Tores von Máh-Kü. Ich ersuche darum, dass Du mir erlaubst, ihn hierher zu bringen, damit er Dich sehen kann. Ich hoffe, dass ich durch diese Tat für meine Übeltaten Vergebung erlange und es mir gelingt, den Makel meiner Härte gegen Deine Freunde abzuwaschen." Diese Bitte wurde ihm gewährt, worauf er sogleich zu Shaykh Hasan-i-Zunuzi ging und ihn zu seinem Herrn führte.
'Ali Khan machte sich daran, innerhalb der ihm gesetzten Grenzen alles in die Wege zu leiten, um für den Báb die Härten der Gefangenschaft zu mildern. Nachts blieb das Burgtor noch geschlossen; doch tagsüber wurden die, die der Báb zu sehen wünschte, vorgelassen, sie durften mit Ihm sprechen und Seine Weisungen entgegennehmen..
Während Er in den Mauern der Burg gefangen lag, widmete Er Seine Zeit der Arbeit am Persischen Bayán, dem gewichtigsten, aufschlussreichsten, um-
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fassend st en Seiner Werke.7) Darin legte Er die Gesetze und Verordnungen Seiner Sendung nieder, verkündete klar und eindringlich das Herannahen einer folgenden Offenbarung, forderte Seine Anhänger nachdrücklich auf, ,Ihn, den Gott offenbaren werde*8*, zu suchen und zu finden, und warnte sie davor, sich von den Mysterien und Anspielungen des Bayán darin beirren zu lassen, Seine Sache anzuerkennen.9'
7> „So groß war die Menge der Besucher, die aus allen Gegenden kamen, um den Báb zu sehen, und so zahlreich waren die Schriften, die während dieser Zeit aus Seiner erleuchteten Feder flössen, dass sie alles in allem mehr als hunderttausend Verse ausmachten." (Táríkh-i-Jadíd, S. 238). „Siehe, etwa hunderttausend Zeilen, die diesen Versen entsprechen, haben sich auf die Menschen ergossen, ohne die Stoßgebete, wissenschaftlichen und philosophischen Abhandlungen zu nennen." (Le Bayán Persan, Band 1, S. 43.) „Beachte auch den Punkt des Bayán. Diejenigen, welche ihn kannten, wissen, welche Stellung er vor der Manifestation eingenommen hat; nach der Offenbarung aber wurden, obwohl er bis heute mehr als fünfhunderttausend bayts (Verse) zu verschiedenen Themen hervorgebracht hat, so heftige Angriffe gegen ihn erhoben, dass die Feder sich weigert, sie wiederzugeben." (Le Bayán Persan, Band 3, S. 113.) „Die Verse aber, die aus dieser Wolke göttlicher Gnade geströmt sind, waren so überreichlich, dass noch niemand imstande war, ihre Zahl zu schätzen. Wohl zwanzig Bände sind jetzt zur Hand. Doch wie viele bleiben uns noch unerreichbar! Wie viele sind geraubt worden und in die Hände der Gottlosen gefallen, und niemand kennt ihr Schicksal." (Bahá'u'lláh, Das Buch der Gewissheit -Kitáb-i-íqán, S. 144.)
8) Anspielung auf Bahá'u'lláh: „Sprich die erhabenen Worte, die Mein Vorläufer, der Erste Punkt (der Báb), offenbart hat, mit reinem Herzen, geweiteter Brust und wahrheitsliebender Zunge. Er sagte - verherrlicht sei Seine Rede - zu dem ehrwürdigen 'Azim: ,Dies ist wahrlich, was Wir dir verheißen haben, bevor Wir noch deinen Ruf beantworteten. Warte, bis von der Zeit des Bayán neun verflossen sind. Alsdann rufe aus: „Gesegnet sei Gott hierfür, der erhabenste der Schöpfer!" Sprich: Dies ist wahrlich eine Verkündung, die niemand außer Gott begreift. Ihr aber werdet an jenem Tage nichts bemerken.' Im Jahre neun erhob sich diese Größte Offenbarung und erstrahlte hell am Horizont des Willens Gottes." (Bahá'u'lláh, Brief an den Sohn des Wolfes, S. 125.)
9> „Derselben Gedankenwelt entspricht es, dass er während seiner Gefangenschaft in Máh-Kú einen langen Brief an den Sháh (Muhammad Sháh) richtete, den wir hier untersuchen wollen. Das Dokument beginnt, wie fast alle schriftlichen Zeugnisse des Báb, mit einem überschwenglichen Lobpreis der göttlichen Einheit. Der Báb fährt, wie es üblich ist, fort mit einem Lobpreis Muhammads und der zwölf Imame, die, wie man im zweiten Band des Werkes sehen wird, die Ecksteine am Gebäude des Bayán sind. ,Ich bezeuge', ruft er aus, ,dass alles, was es in dieser Welt der Möglichkeiten gibt, im Vergleich zu ihnen das absolute Nichts ist, dass alles, wenn es überhaupt erwähnenswert ist, nur der Schatten eines Schattens ist. Ich bitte Gott um Vergebung wegen der Grenzen, die ich ihnen zuschreibe, denn in Wirklichkeit ist das höchste Lob, das man ihnen zollen kann, das Bekenntnis vor ihnen, dass man sie nicht preisen kann... Der Stoff, daraus Gott Mich erschaffen hat, ist nicht der Staub, daraus andere wurden. Er gab Mir, was die Weltweisen nie erfassen noch die Getreuen je entdecken können. ... Ich bin ein Tragpfeiler des Ersten Wortes Gottes. Wer Mich anerkennt, hat alles erkannt, was wahr und recht ist, und hat alles erreicht, was gut und ziemlich ist, und wer Mich nicht anerkennt, hat sich von allem,
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Ich habe Shaykh Iiasan-i-Zunúzí folgendes bezeugen hören: „Wenn der Báb die Lehren und Grundsätze Seines Glaubens diktierte, konnte, wer am Fuß des Berges wohnte, Seine Stimme deutlich hören. Sein melodischer Ge-
abgewandt, was wahr und recht ist, und erliegt allem, was übel und unziemlich ist. Ich schwöre bei der Gerechtigkeit Deines Herrn, des Herrn alles Erschaffenen, des Herrn aller Welten! Erstellte jemand in dieser Welt so viele Bauten wie möglich, verehrte er Gott durch alle tugendhaften Taten, die Sein Wissen umschließt, und erlangte die Gegenwart des Herrn, so wurden dennoch alle seine Taten zunichte, er bliebe der Strahlen göttlicher Gunst beraubt, zöge Seinen Zorn auf sich und ging ohne Zweifel zugrunde, wenn er auch nur einen Schatten von Arglist in seinem Herzen bärge, und sei er flüchtiger, als dass man vor Gott Rechenschaft dafür ablegen muss. Denn Gott hat verordnet, dass alles Gute, das in der Schatzkammer Seines Wissens verwahrt ist, durch Gehorsam gegen Mich erlangt wird, und jedes in Seinem Buche verzeichnete Feuer durch Ungehorsam gegen Mich. Mich dünkt, Ich erblicke an diesem Tage und von dieser Stufe alle, die Meine Liebe hegen und Meinem Befehl folgen, in den Wohnstätten des Paradieses, und die ganze Gesellschaft Meiner Feinde den tiefsten Tiefen des Höllenfeuers ausgeliefert. Bei Meinem Leben! Wäre es nicht Pflicht, die Sache Dessen, der das Zeugnis Gottes ist, anzuerkennen..., Ich hätte dir dies nicht gekündet.' Wie man sieht, bestätigt und wiederholt der Báb hier sehr klar seine Bekräftigungen aus dem Kitáb-i-baynu'1-i-Haramayn. Er fügt nichts hinzu und nimmt auch nichts zurück. ,Ich bin', so spricht er, ,der Erste Punkt, daraus alles Erschaffene gezeugt ward. Ich bin das Antlitz Gottes, dessen Glanz sich nie verdunkeln lässt, das Licht Gottes, dessen Strahlen nie verblassen können. Gewissheit und alles Gute ist dem bereitet, der Mich anerkennt, und Höllenfeuer und alles Übel erwartet den, der verfehlt, Mich anzuerkennen... Wahrlich, als Moses Gott bat, dass er Ihn sehen dürfe, erstrahlte Gott über dem Berg mit einem Licht wie bei einem Anhänger 'Alis und wie das Hádíth sagt: „Dieses Licht, ich schwöre es bei Gott, war Mein Licht." Siehst du nicht, dass der Zahlenwert der Buchstaben, die Meinen Namen bilden, dem der Buchstaben des Wortes Rabb (Herr) entspricht? Hat Gott nicht im Qur'án gesagt: »Und wenn dein Rabb über dem Berg erstrahlen wird"?' Der Báb fährt fort, die im Qur'án und einigen Hadithen enthaltenen Prophezeiungen über die Manifestation des Mihdi zu erforschen. Er berichtet über das berühmte Hadfth von Mufaddal, eines der stärksten Beweise für die Wahrheit seiner Sendung. Im Qur'án wird im 32. Kapitel, Vers 4, gesagt, »Gott lenkt die Geschicke (der Welt)"; er führt sie vom Himmel zur Erde, und alles kehrt an einem Tag, der nach unserer Zeitrechnung tausend Jahre währt, wieder zu ihm zurück. Andererseits ist der letzte Imam im Jahre 260 nach der Hedschra verschwunden, zu diesem Zeitpunkt ist die prophetische Offenbarung vollendet, ist ,das Tor der Erkenntnis' geschlossen. Aber Mufaddal hat den Imam Sádiq über die Zeichen der Ankunft des Mihdi befragt, und der Imam hat ihm geantwortet: ,Er wird sich im Jahr 60 offenbaren, und sein Name wird erhaben sein.' Das heißt also im Jahr 1260, und dies ist genau das Jahr der Offenbarung des Báb. ,Ich schwöre bei Gott', sagt hierzu Siyyid 'Ali-Muhammad, ,Ich habe keinen Unterricht genossen und bin lediglich zum Kaufmann ausgebildet worden. Im Jahr 60 war mein Herz voll mächtiger Verse, von sicherem Wissen und dem Zeugnis Gottes. Und noch im selben Jahr habe ich meine Sendung verkündet... Im selben Jahr habe ich euch einen Boten (Mulla Husayn-i-Bushrú'í) mit einem Buch gesandt, damit die Regierung unternehmen könne, was ihr dem Hujjat gegenüber zu tun oblag. Da es aber Gottes Wille war, dass Bürgerkriege ausbrachen, welche die Ohren taub, die Augen blind und die Herzen verstockt machten, hat man meinen Boten nicht bis zu dir vordringen lassen. Die sich als Patrioten betrachten, widersetzen
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sang, der rhythmische Strom der Verse von Seinen Lippen nahm unsere Ohren gefangen und drang uns tief in die Seele. Berg und Tal hallten wider von Seiner majestätischen Stimme. Unsere Herzen erzitterten bis ins Innerste beim Hall Seiner Worte."10»
sich; und bis heute - fast vier Jahre sind vergangen - hat dir kein Mensch über die Wahrheit dieser Frage berichtet. Und nun, da meine Zeit nahe, mein Werk ein göttliches und kein Menschenwerk ist, habe ich dir kurz geschrieben. Ich schwöre bei Gott, wenn du wusstest, was mir während dieser vier Jahre von deinen Beamten und Abgesandten angetan worden ist! Wusstest du es, so stünde dir aus Furcht vor Gott der Atem still, der in diesem Augenblick deinen Lippen entströmt, es sei denn, du unterwirfst dich dem Gebet des Hujjat und entschließt dich, unverzüglich wiedergutzumachen, was geschehen ist. Ich war in Shíráz und habe von dessen schlechten, verfluchten Gouverneur solche Gewalttaten erduldet, dass du, wüsstest du nur den kleinsten Teil davon, aus Gerechtigkeit Vergeltung übtest; denn seine Gewalttätigkeit hat die Strafe des Himmels bis zum Tag des Gerichts über das ganze Reich heraufbeschworen. Dieser hochmütige, ständig betrunkene Mann hat keinen einzigen Befehl erlassen, der von Klugheit zeugte. Man hat mich gezwungen, Shíráz zu verlassen, und ich habe mich nach Tihrán gewandt, um dich zu besuchen. Indessen hat der verstorbene Mu'tamidu'd-Dawlih die Wahrheit meiner Sendung erkannt und hat getan, was die Ehrerbietung gegenüber den Erwählten des Herrn verlangt. Unwissende haben in der Stadt einen Aufruhr angezettelt, weshalb ich mich im Hause des Sadr verborgen gehalten habe, bis der Mu'tamid starb. Gott lohne es ihm! Was er für mich tat, ist zweifellos Ursache für seine Errettung vom Höllenfeuer. Dann hat mich Gurgin gezwungen, sieben Nächte hindurch mit fünf Männern zu reisen, ohne das Notwendigste für eine Reise, mit tausend Lügen und Gewalttätigkeiten. Wehe! Wehe über das, was mir geschehen ist! Schließlich hat der Sultan angeordnet, mich nach Máh-Kú zu verbringen, ohne mir ein Reittier zu geben, das ich hätte besteigen können. Wehe! Wehe! Was mir geschehen ist, ist mir geschehen! Schließlich bin ich in dieses Dorf gekommen, dessen Bewohner unwissend und roh sind. Ach, ich schwöre bei Gott, wenn du wüsstest, an welchem Ort ich mich befinde, so wärest du der erste, der Mitleid mit mir hätte! Es ist eine Festung auf einem Berggipfel, und deinem Wohlwollen verdanke ich eine derartige Bleibe. Zwei Menschen und vier Hunde wohnen hier! Denke darüber nach, wie ich meine Zeit verbringen muss; ich danke Gott mit dem Dank, der ihm gebührt, und ich schwöre bei Gott, dass der, der mich hier gefangengesetzt hat, mit seiner Tat zufrieden ist. Wenn er indessen wüsste, an wem er so gehandelt hat, wäre er seines Lebens nicht mehr froh! Und nun verkünde ich dir ein Geheimnis. Dieser Mann hat (in meiner Person) alle Propheten, alle Heiligen und den, der mit dem Wissen um Gott erfüllt ist, eingekerkert. Es bleibt keine Sünde, unter der ich nicht geseufzt hätte... Als ich den Befehl vernahm, den du erteilt hattest (mich nach Máh-Kú zu verbringen), schrieb ich dem Sadr-i-A'zám: „Töte mich und sende mein Haupt wohin du willst; denn frei von Sünde dahin zu gehen, wo die Sünder leben, ist meiner nicht angemessen." Er antwortete mir nicht, und ich bin überzeugt davon, dass er die Wahrheit über diese Angelegenheit nicht kennt; denn grundlos die Herzen der Gläubigen zu betrüben, ist schlimmer, als das Haus Gottes zu zerstören. Und ich schwöre es bei Gott, heute bin ich das wahre Haus Gottes. Alles Gute kommt dem zu, der mir Gutes tut; denn es ist, als erwiese er es Gott, seinen Engeln, seinen Freunden. Vielleicht sind jedoch Gott und seine Freunde zu erhaben, als dass das Gute oder das Böse bis zum Staub ihrer Schwelle vordringe; was aber zu Gott gelangt, gelangt zu mir. Ich schwöre bei Gott; der mich eingekerkert hat, hat sich selbst eingekerkert, und mir geschieht nichts, als was Gott verordnet hat. Wehe aber, wehe über
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Die allmähliche Lockerung der dem Báb auferlegten strengen Haftbedingungen ermutigte eine zunehmende Zahl Seiner Anhänger aus den verschiedenen Provinzen Persiens, Ihn in der Festung Máh-Kú zu besuchen. Infolge der
den, aus dessen Hand das Böse hervorgegangen ist; und glücklich der, der Gutes in Fülle tut. Schließlich, um dieses sehr lange Sendschreiben zusammenzufassen: ,Die andere Frage ist eine Angelegenheit dieser niedrigen Welt. Der verstorbene Mu'tamid forderte eines Nachts alle Anwesenden auf, sich zurückzuziehen, selbst Hájí Mulla Ahmad. Dann sagte er mir: „Ich weiß sehr wohl, dass alles, was ich habe, durch Gewalt erworben ist; es gehört dem Sáhibu'z-Zamán. Ich gebe es dir voll und ganz hin, denn du bist der Herr der Wahrheit, und ich bitte dich um die Gunst, den Besitz anzunehmen." Er streifte einen Ring vom Finger und gab ihn mir. Ich nahm den Ring, gab ihn ihm zurück und entließ den Mu'tamid im Besitz all seines Gutes. Gott ist Zeuge dessen, was ich sage, und sein Zeugnis genügt. Ich will keinen Dinar von diesen Gütern, aber es ist deine Sache, zu befehlen, was du für gut befindest. Da aber Gott für alle Streitfragen selbst das Zeugnis zweier Zeugen aus dem Kreis der Gelehrten gefordert hat, so lasse Siyyid Yahyá und Akhund Mulla 'Abdu'1-Kháliq kommen. Sie werden dir meine Verse zeigen und erklären; und bei dieser Unterredung wird nur eine Sache Bestand haben: die Vollkommenheit meines Zeugnisses. Eine dieser beiden Persönlichkeiten hat mich schon vor meiner Offenbarung gekannt; der andere erst hernach. Beide kennen mich sehr gut, und darum habe ich sie gewählt.' Der Brief schließt mit kabbalistischen Beweisen und mit Hadithen. Der Báb fühlte sich also in seinem Gefängnis sehr schlecht; er blieb dort verhältnismäßig lang, da ja das Dokument, das wir soeben zitiert haben, aus dem Jahr 1264 stammt und die Hinrichtung des Märtyrers erst am 27. Sha'bán des Jahres 1266 (8. Juli 1850) erfolgte." (A.L.M. Nicolas, Siyyid 'Ali-Muhammad dit le Báb, S. 367-73.)
I0) Dies ist das Gebet, das der Báb im Dalä'il-i-Sab'ih als demütige Bitte während der Monate Seiner Gefangenschaft in der Festung Máh-Kú niedergelegt hat: „O mein Gott! Verleihe durch ihn ihm selbst, seinen Abkömmlingen, seiner Familie, seinen Freunden, seinen Untertanen, denen, die ihm nahe stehen, allen, allen Bewohnern der Erde einen Strahl, der ihre Blicke erhelle, erleichtere ihnen ihr Tagewerk und lasse sie zu den herrlichsten Werken in dieser und in jener Welt gelangen. Wahrlich, du vollbringst, was du willst. O mein Gott! Erwecke in ihm das, wodurch er deine Religion erneuern kann, und mache durch ihn lebendig, was in deinem Buch anders geworden ist; offenbare durch ihn, was du in deinen Geboten geändert hast, damit durch ihn deine Religion sich aufs neue erhebe; gib ihm ein neues Buch in die Hand, rein und heilig; damit kein Zweifel, keine Unschlüssigkeit in diesem Buch zu finden sei und keiner komme und es zerstöre oder abwandle. O mein Gott! Erleuchte mit deinem Strahlenglanz alles, was dunkel ist, und hebe durch seine offenbare Macht die veralteten Gesetze auf. Vernichte durch seine höhere Würde diejenigen, die nicht auf dem Wege Gottes wandeln. Durch ihn lass alle Tyrannen umkommen, durch sein Schwert beende alle Zwietracht, durch seine Gerechtigkeit tilge alle Unterdrückung, mache die Herrscher seinen Befehlen gehorsam. Bringe alle Herrschaft unter seiner Herrschaft zu Fall. O mein Gott! Erniedrige den, der ihn erniedrigen will; töte jeden, der ihm feind ist; verleugne den, der ihn verleugnet, und führe in die Irre, wer seine Wahrheit verwirft, seine Gebote missachtet, sein Licht verdunkeln und seinen Namen tilgen will." Der Báb fügt dann noch folgende Worte hinzu: „Wiederhole diese Segnungen immer wieder, und wenn du sie nicht ganz wiederholen kannst, so sprich wenigstens den letzten Abschnitt! Sei wach am Tage des Erscheinens dessen, den Gott offenbaren wird; denn dieses Gebet ist für ihn vom Himmel herabgekommen, obwohl ich hoffe, dass kein Kummer seiner harrt: ich habe die Anhänger meiner Religion gelehrt, sich nicht
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Freundlichkeit und Milde 'Ali Khans strebte ein unaufhörlicher Strom eifriger und ergebener Pilger zu den Toren der Burg.n) Sie wurden alle nach drei Tagen Aufenthalt von dem Báb verabschiedet mit der Weisung, in das jeweilige Feld ihres Dienstes zurückzukehren und ans Werk zu gehen, Seinen Glauben zu festigen. 'Ali Khan versäumte nie, jeden Freitag dem Báb seine Aufwartung zu machen und Ihn seiner unerschütterlichen Treue und Ergebenheit zu versichern. Oft beschenkte er Ihn mit den seltensten, erlesensten Früchten, die in der Umgebung von Máh-Kú zu bekommen waren, und bot Ihm ständig Genüsse, von denen er annahm, dass sie Seinem Geschmack und Wohlgefallen entsprächen.
Auf diese Weise verbrachte der Báb den Sommer und Herbst in den Mauern dieser Burg. Es folgte ein Winter von so außergewöhnlicher Strenge, dass selbst Kupfergerät von der großen Kälte angegriffen wurde. Der Beginn dieser Jahreszeit fiel in den Monat Muharram des Jahres 1264 n.d.H.12) Das Wasser, das der Báb für Seine Waschungen benutzte, war so kalt, dass die Tropfen glitzernd auf Seinem Gesicht gefroren. Nach Beendigung Seiner Gebete rief Er jedesmal Siyyid Husayn zu Sich und bat ihn, einen Abschnitt aus dem Muhri-qu'1-Qulúb laut vorzulesen, einem Werk, das der verstorbene Hájí MuUá-Mihdí, der Großvater des Hájí Mírzá Kamálu'd-Dín-i-Naráqí, verfasst hat und worin er die Tugenden des Imam Husayn preist, seinen Tod beklagt und die näheren Umstände seines Märtyrertodes schildert. Die Vorlesung jener Leiden brachte das Herz des Báb in tiefe Bewegung. Immer flössen Seine Tränen, wenn Er dem Bericht über die unsägliche Schmach lauschte, mit der Husayn überhäuft worden war, und die qualvollen Martern, die er von den Händen eines ruchlosen Feindes zu erdulden hatte. Wenn die tragischen Umstände jenes Lebens vor Ihm entfaltet wurden, erinnerten sie den Báb stets an die noch tragischeren Begebenheiten, die das Kommen des verheißenen Husayn ankündigen sollten. Für Ihn waren diese zurückliegenden Grausamkeiten nur Sinnbild für die bitteren Leiden, die Sein geliebter Husayn bald von der Hand Seiner Landsleute erdulden sollte. Er weinte, wenn Er sich im Geiste die Trübsale vor Augen führte, die Er, der offenbart werden sollte, werde ertragen müssen,
des Unglücks anderer Menschen zu freuen. Desgleichen möge dich, wenn diese Sonne der Wahrheit erscheint, kein Leid treffen." (Le Livre des Sept Preuves, nach der französischen Übersetzung von A.L.M. Nicolas, S. 64-65.)
l1' „Der Autor des Mutanabiyyin (Prinz 'Alí-Qmlí Mírzá, Ftidádu's-Saltanih) schreibt: ,Die Bábí aus allen Teilen der Welt begaben sich nach Adhirbáyján, auf die Pilgerreise zu ihrem Oberhaupt.'" (A.L.M. Nicolas, Siyyid 'Alí~Muhammad dit le Báb, S. 365, Anm. 227.)
12> 9. Dezember 1847 - 8. Januar 1848 n. Chr.
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Trübsale, wie sie der Imam Husayn selbst mitten in seinen schlimmsten Martern nicht erfuhr.13)
In einer Seiner Schriften, offenbart im Jahr 60 n.d.H., erklärte der Báb: „Der Geist des Gebets, der Meine Seele belebt, ist die unmittelbare Folge eines Traumes, den Ich im Jahr vor der Erklärung Meiner Sendung hatte. In dieser Vision sah Ich das Haupt des Imam Husayn, des Siyyidu'sh-Shuhadá', auf einem Baume hängen. Blut tropfte reichlich aus Seiner zerfleischten Kehle. Mit Gefühlen unaussprechlicher Wonne nahte Ich diesem Baum, streckte Meine Hände aus, fing einige Tropfen dieses heiligen Blutes auf und trank sie andächtig. Als Ich aufwachte, dachte Ich, dass der Geist Gottes Meine Seele durchdrungen und von ihr Besitz ergriffen hätte, Mein Herz war ergriffen vor Freude über Seine göttliche Gegenwart, vor Meinen Augen waren die Geheimnisse Seiner Offenbarung in all ihrer Herrlichkeit ausgebreitet."
13) „Während seines Aufenthaltes in Máh-Kú verfasste der Báb eine Anzahl von Werken, von denen als die wichtigsten besonders der Persische Bayän und die Sieben Beweise {Daiá'il-i-Sab'ih) erwähnt seien. Beide enthalten ausreichende innere Beweise dafür, dass sie in jener Zeit geschrieben worden sind. Wenn wir einer Behauptung im Táríkh-i-Jadíd glauben, die sich auf das Zeugnis von Mírzá 'Abdu'l-Vahháb beruft, so umfassen allein die verschiedenen in Tabriz umlaufenden Schriften des Báb im ganzen nicht weniger als eine Million Verse!" (A Travellers Narrative, S. 200, Anm. L.) Bezüglich des Dalá'il-i-Sab'ih schreibt Nicolas folgendes: „Das Buch der Sieben Beweise ist das wichtigste der polemischen Werke aus der Feder von Siyyid 'Ali-Muhammad, dem Báb." (Vorwort, S. 1.) „Sein Korrespondent hat ihn offensichtlich um alle Beweise für Seine Sendung gebeten, und die Antwort, die er darauf erhält, ist von bewundernswerter Präzision und Klarheit. Sie stützt sich auf zwei Verse aus dem Qur'án: nach dem ersten kann keiner mehr Verse hervorbringen, selbst wenn ihm alle Menschen und alle Geister dabei hülfen; nach dem zweiten wird keiner den Sinn der Verse aus dem Qur'án verstehen außer Gott und den wirklich Weisen." (Vorwort, S. 5.) „Wie man sieht, ist die Beweisführung des Báb neu und eigenständig, und man kann aus diesen Bemerkungen auf das starke Interesse schließen, das die Lektüre seiner schriftstellerischen Arbeit erweckt. Der Rahmen dieser Arbeit erlaubt mir nicht, die Grundsätze dieser kühnen Lehre, deren Gestalt sicherlich glänzend und sympathisch ist, auch nur kurz darzustellen. Ich hoffe, dies später tun zu können. An dieser Stelle habe ich jedoch noch eine Bemerkung über das Buch der Sieben Beweise mitzuteilen. Der Báb spricht gegen Ende seines Werks von den Wundern, die seine Offenbarung begleitet haben. Das wird den Leser zweifellos in Erstaunen versetzen, denn er wird gesehen haben, dass unser Sendbote in seiner Antwort ganz klar die körperlichen Wunder ablehnt, welche die Phantasie der Muslime Muhammad zuschreibt. Er macht für sich selbst und für den arabischen Propheten geltend, dass der einzige Beweis für seine Sendung das Herabströmen der Verse ist. Er hat keine anderen Beweise, nicht etwa, dass er nicht in der Lage wäre, Wunder zu vollbringen - denn Gott tut, was er will, - sondern lediglich darum, weil die körperlichen Wunder nicht den Wert der geistigen Wunder haben." (A.L.M. Nicolas, Vorwort zur französischen Übersetzung der Dalá'il-i-Sab'ih, Le Livre des Sept Preuves, S. 12-13.)
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Muhammad Sháh hatte kaum den Báb zur Gefangenschaft in der Bergfeste von Adhirbáyján verdammt, als ihn unvorhergesehen eine jähe Schicksalswendetraf und den Staat in seinen Grundfesten erschütterte. Schreckliches Unheil brach über die Streitkräfte herein, die in allen Provinzen zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung eingesetzt waren.14> In Khurásán wehte das Banner des Aufruhrs, und die Bestürzung darüber war so groß, dass der geplante Feldzug des Sháhs nach Hirát sofort abgeblasen wurde. Hájí Mírzá Áqásís Leichtsinn und Verschwendungssucht hatten das schwelende Feuer der Unzufriedenheit zu heller Flamme entfacht, die Massen erbittert und zu Aufruhr und Empörung aufgereizt. Die aufrührerischsten Elemente in Khurásán, die die Gebiete von Qúchán, Bujnúrd und Shíraván bewohnten, schlössen sich dem Sálár an, dem Sohn des Ásifu'd-Dawlih, des ältesten Onkels mütterlicherseits des Sháhs und Gouverneurs der Provinz, und lehnten die Autorität der Zentralregierung ab. Alle Streitkräfte, die Tihrán entsandte, wurden alsbald von den Hauptanstiftern des Aufruhrs geschlagen. Ja'far-Qulí Khán-i-Námdár und Amír Arslán Khan, der Sohn des Sálár, welche die Kriegshandlungen ge-
14' „Diese Provinz war seit einiger Zeit der Schauplatz schwerer Unruhen. Ende 1844 oder Anfang 1845 hatte sich der Gouverneur von Bujnúrd gegen die Gewalt des Sháhs aufgelehnt und sich mit den Turkmenen gegen Persien verbündet. Prinz Ásifu'd-Dawlih, der Gouverneur von Khurásán, forderte von der Hauptstadt Hilfstruppen an. Der Oberbefehlshaber der persischen Armee, General Khan Bábá Khan, erhielt den Befehl, zehntausend Mann gegen die Rebellen auszuschicken. Ebbe in der Staatskasse verhinderte jedoch den Feldzug. Der Sháh plante für das Frühjahr eine Expedition, an deren Spitze er sich setzen wollte. Die Vorbereitungen hierfür wurden mit Nachdruck vorangetrieben. Bald waren zehn Bataillone zu je tausend Mann gebildet, die nur noch auf das Eintreffen des Prinzen Hamzih Mírzá, des Oberbefehlshabers des Unternehmens, warteten. Mit einem Schlag sah sich der Gouverneur von Khurásán, Ásifu'd-Dawlih, der Bruder der Mutter des Königs, infolge der Verdächtigungen, die in Tihrán gegen ihn erhoben wurden, in seiner Sicherheit bedroht; er begab sich an den Hof, um sich dem König zu Füßen zu werfen, versicherte für seine Person völlige Ergebenheit und forderte Gerechtigkeit gegen seine Ankläger. Aber sein Hauptgegner war Hájí Mírzá Áqásí, der allmächtige Premierminister. Der Streit währte lange und endete mit der Niederlage des Gouverneurs, der den Befehl erhielt, sich mit der Mutter des Königs auf die Pilgerfahrt nach Mekka zu begeben. Sálár, der Sohn des Ásifu'd-Dawlih, der Hüter der Moschee von Mashhad, selbst vermögend, nahm im Vertrauen auf seine guten Beziehungen zu dem Kurdenführer Ja'far-Qulf Khan, dem ílkhání des Qájárenstammes, eine feindselige Haltung ein, was zur Folge hatte, dass sogleich dreitausend Mann und ein Dutzend Kanonen gegen ihn entsandt wurden, während die Regierungsgewalt über Khurásán Hamzih Mírzá übertragen wurde. Die Kunde, dass Ja'far-Quli Khan an der Spitze einer großen Reitertruppe aus Kurden und Turkmenen einige versprengte Truppen des königlichen Heeres niedergesäbelt hatte, bewirkte, dass sofort fünf weitere Regimenter mit achtzehn Kanonen entsandt wurden. Um den 28. Oktober 1847 schien die Revolte durch den Sieg von Sháh-Rúd (15. September) und die Versprengung und Flucht von Ja'far-Quli Khan und Sálár völlig unterdrückt." (A.L.M. Nicolas, Siyyid 'Ali-Muhammad dit le Báb, S. 257 f.)
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gen die Streitkräfte des Sháhs leiteten, gingen mit äußerster Grausamkeit vor und machten, wenn sie die feindlichen Angriffe zurückgeschlagen hatten, ihre Gefangenen erbarmungslos nieder.
Mulla Husayn wohnte damals in Mashhad15) und bemühte sich, trotz der Unruhen, die dieser Aufstand mit sich brachte, die neue Offenbarung zu verkünden. Ais er gewahr wurde, dass der Salar in der Absicht, den Aufstand noch weiter auszudehnen, an ihn herantreten und seine Unterstützung erlangen wollte, verließ er kurz entschlossen die Stadt, um zu vermeiden, in die Machenschaften dieses herrischen Rebellenoberhaupts verwickelt zu werden. In tiefer Nacht machte er sich, nur von Qambar-'Ali begleitet, zu Fuß auf den Weg nach Tihrán, von wo aus er nach Ádhirbáyján zu gehen gedachte, um den Báb zu sehen. Als seine Freunde von seiner Abreise erfuhren, besorgten sie sogleich alles, was zur Erleichterung einer so langen und anstrengenden Reise dienlich sein konnte, und eilten sich, ihn einzuholen. Mulla Husayn lehnte ihre Hilfe ab. „Ich habe gelobt", sagte er, „den ganzen Weg, der mich von meinem Geliebten trennt, zu Fuß zu gehen. Ich werde in meinem Entschluss nicht wanken, bis ich mein Ziel erreicht habe." Er versuchte sogar, Qambar-'Ali dazu zu bewegen, wieder nach Mashhad zurückzukehren, musste aber doch schließlich seinem Flehen nachgeben, ihn als Diener auf seine Pilgerfahrt nach Ádhirbáyján mitzunehmen.

15) „Mashhad ist der größte Wallfahrtsort von ganz Persien; denn Karbilá liegt, wie man weiß, auf osmanischem Gebiet. Dort ruht der Imam Ridá. Ich will midi nicht lange über die Hunderte von Wundern auslassen, die das heilige Grab früher bewirkt hat und bis auf den heutigen Tag immer noch vollbringt; es genügt zu wissen, dass jedes Jahr Tausende von Pilgern zu diesem Grab wallfahren und nicht eher nach Hause zurückkehren, als bis sie von den sehr geschickten Ausbeutern dieser einträglichen Industrie bis auf die letzten Pfennige ausgenommen worden sind. Der Goldstrom rinnt unaufhörlich durch die Finger der glücklichen Beamten; diese brauchen aber natürlich eine Menge von Helfershelfern, die ihnen ihre zahllosen Geprellten ins Garn schicken. Das dort ist sicherlich der bestorganisierte Verwaltungsapparat in ganz Persien. Daraus folgt, dass, wenn die eine Hälfte der Stadt von der Moschee lebt, auch die andere Hälfte am Zustrom der Besucher interessiert ist; ich spreche dabei von den Händlern, Gastwirten, Hoteliers - und von den Mädchen, die dabei zu der Stunde oder an dem Tag, der ihnen beliebt, einen Gatten finden können. Alle diese Leute mussten sich naturgemäß gegen einen Reformer zusammentun, von dessen Lehre sie nichts wussten, der aber ihre Industrie zu gefährden schien. In jeder anderen Stadt hätte man gegen derartige Übelstände angehen können; hier war es jedoch nicht geboten, wo alle Welt, groß und klein, nur von diesen Missständen lebte. Dass der Imam Mihdí erschien, war sein gutes Recht; es war aber höchst ärgerlich. Sicher, es war wunderschön, mit ihm in der Welt umherzuziehen und sie zu erobern; es war aber sehr ermüdend und gefährlich, weil man dabei Übles erleben konnte. Dagegen lebte man derzeit ruhig, in einer guten Stadt, wo man ohne Risiko und Gefahr sein Geld verdienen konnte." (A.L.M. Nicolas, Siyyid 'Ali-Muhammad dit ¡e Báb, S. 258 f.)
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Auf dem Weg nach Tihrán wurde Mulla Husayn von den Gläubigen in den verschiedenen Städten, durch die er kam, begeistert begrüßt. Sie stellten alle dieselbe Bitte und erhielten alle dieselbe Antwort von ihm. Ich habe aus dem Mund von Áqáy-i-Kalím das folgende Zeugnis vernommen: „Als Mulla Husayn nach Tihrán kam, ging ich mit einer großen Anzahl von Gläubigen ihn besuchen. Er erschien uns als die wahre Verkörperung von Beständigkeit, Frömmigkeit und Tugend. Seine Geradheit und leidenschaftliche Treue begeisterten uns. Wir waren überzeugt, dass er mit seiner Charakterstärke und seinem Glaubenseifer in der Lage sei, allein und ohne Hilfe dem Gottesglauben zum Triumph zu verhelfen." Im geheimen wurde er in die Gegenwart Bahá'u'lláhs geführt und begab sich bald nach dieser Unterredung nach Ádhirbáyján.
In der Nacht vor seiner Ankunft in Máh-Kú, es war der Vorabend des vierten Naw-Ruz nach der Erklärung der Sendung des Báb und fiel in jenem Jahr 1264 n.d.H.16) auf den dreizehnten Tag des Monats RabíVth-Thání, hatte 'Ali Khan einen Traum. „Im Schlaf, so erzählte er die Geschichte, „wurde ich durch das plötzliche Wissen erschreckt, dass Muhammad, der Prophet Gottes, bald nach Máh-Kú kommen werde, dass er direkt zur Burg gehe, um den Báb zu besuchen und Ihm Seine Glückwünsche zum herannahenden Naw-Ruz-Fest zu bringen. In meinem Traum eilte ich hinaus, um Ihm zu begegnen, voll Eifer, einem so heiligen Besucher meinen ergebenen Willkommensgruß zu entbieten. In einem Zustand unbeschreiblicher Freude eilte ich zu Fuß an den Fluss, und als ich die Brücke, etwa einen Maydan17) von der Stadt Máh-Kú entfernt, erreichte, sah ich zwei Männer auf mich zukommen. Ich nahm an, dass der eine der Prophet selbst sei, und hielt den anderen, der hinter Ihm ging, für einen Seiner berühmten Gefährten. Ich eilte, mich Ihm zu Füßen zu werfen, und beugte mich nieder, um den Saum Seines Gewandes zu küssen, da erwachte ich plötzlich. Eine große Freude durchflutete meine Seele. Mir war, als ob das Paradies mit all seinen Wonnen mir das Herz sprengen wollte. Von der Wirklichkeit meiner Vision überzeugt, nahm ich meine Waschungen vor, verrichtete mein Gebet, zog mein kostbarstes Gewand an, salbte mich mit Wohlgeruch und begab mich zu der Stelle, wo ich die Nacht zuvor im Traum das Antlitz des Propheten geschaut hatte. Ich hatte meinen Diener angewiesen, drei meiner besten und schnellsten Pferde zu satteln und direkt zu der Brücke zu führen. Die Sonne war eben aufgegangen, als ich allein, ohne Begleiter, die Stadt Máh-Kú verließ und zum Fluss ging. Als ich zur Brücke kam, sah ich mit
16> 1848 n. Chr.
17) Maydán bezeichnet einen Teil eines Farsang, siehe Wonerklärung im Anhang.
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Milán in Ádhirbáyján
freudigem Erschrecken die beiden Männer, die ich im Traum gesehen hatte, nacheinander auf mich zukommen. Unwillkürlich fiel ich dem zu Füßen, den ich für den Propheten hielt, küsste sie ihm demutsvoll und bat ihn und seinen Gefährten, die Pferde zu besteigen, die ich für ihre Ankunft in Máh-Kú bereitgestellt hatte. ,Nein', antwortete er, ,ich habe gelobt, meine ganze Reise zu Fuß zu machen. Ich will zu Fuß auf die Höhe dieses Berges gehen und dort euren Gefangenen besuchen.'"
Dieses seltsame Erlebnis 'Ali Khans hatte eine noch tiefere Ergebenheit in seinem Verhalten gegen den Báb zur Folge. Sein Glaube an die Kraft der Offenbarung wurde immer größer, seine Verehrung für den Báb wuchs immer mehr. In demütiger Haltung ging er hinter Mulla Husayn her, bis sie ans Tor der Festung kamen. Als Mulla Husayns Blick auf das Antlitz seines Herrn fiel, den er an der Schwelle des Tores stehen sah, blieb er augenblicklich stehen, verneigte sich tief vor Ihm und stand regungslos bei Ihm. Der Báb breitete die Arme aus und umarmte ihn liebevoll. Er nahm ihn bei der Hand und führte ihn in Sein Zimmer. Dann rief Er Seine Freunde zu sich und feierte mit ihnen zusammen das Naw-Ruz-Fest. Schalen mit Süßigkeiten und erlesensten Früchten waren vor Ihm aufgestellt. Er verteilte sie unter die versammelten Freunde, und als Er Mulla Husayn von den Quitten und Äpfeln anbot, sprach Er: „Diese süßen Früchte sind van Milán, dem Ard-i-Jannat18', zu uns gekommen,
18) Wörtlich: „Land des Paradieses".
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der Ismu'lláhul-Fatíq, Muhammad-Taqi, hat sie eigens für dieses Fest gepflückt und ihm geweiht."
Kein Anhänger des Báb bis auf Siyyid Husayn-i-Yazdi und sein Bruder hatte bisher Erlaubnis, in der Burg zu übernachten. An diesem Tag kam 'Ali Khan zu dem Báb und sagte: „Wenn Du Mulla Husayn diese Nacht bei Dir zu behalten wünschst, so bin ich bereit, diesem Wunsche zu willfahren, denn ich habe keinen eigenen Willen. Solange Du ihn auch bei Dir behalten willst, ich unterwerfe mich Deinem Gebot." Die Jünger des Báb kamen förderhin in wachsender Zahl nach Máh-Kú und wurden sogleich ohne jede Beschränkung zu Ihm gelassen.
Als der Báb eines Tages mit Mulla Husayn vom Dach der Burg aus über das Land hinsah, blickte Er nach Westen und sprach, während Er den Araxes betrachtete, der sich weit unter Ihm dahinschlängelte, zu Mulla Husayn: „Dies ist der Fluss und dies sein Ufer, von dem der Dichter Hafiz schrieb: ,0 Zephyr, kommst du an den Ufern des Araxes vorbei, dann hauche einen Kuss auf die Erde jenes Tales und lass deinen Atem süß duften. Heil, tausendmal Heil dir, o Salmás Wohnstatt! Wie köstlich ist die Stimme deiner Kameltreiber, wie süß der Klang deiner Glocken!'19* Die Tage deines Verweilens in diesem Land neigen sich ihrem Ende zu. Aber um der Kurze deines Aufenthalts willen wollen wir dir die ,Wohnstatt Salmás' zeigen, so wie wir deine Augen die ,Ufer des Araxes' haben schauen lassen." Mit ,Salmás Wohnstatt' meinte der Bäb die Stadt Salmás, die in der Nähe von Chihriq liegt und welche die Türken Salmás nennen. Der Báb fuhr fort: „Es ist der unmittelbare Einfluss des Heiligen Geistes, der solche Worte von den Lippen der Dichter strömen lässt, und sie verstehen oft selbst nicht ihre Bedeutung. Auch der folgende Vers ist von Gott eingegeben: ,Shiraz wird in Unruhe stürzen; ein Jüngling mit süßer Zunge wird erscheinen. Ich fürchte, dass der Atem Seines Mundes Baghdád erregt und in Aufruhr stürzt.' Das Geheimnis, das in diesem Vers liegt, ist noch verborgen; es wird im Jahre nach Hin offenbar werden."20* Hierauf zitierte der Báb die wohlbekannte Überlieferung: „Schätze liegen verborgen unter dem Throne Gottes; der Schlüssel zu diesen Schätzen ist die Zunge des Dichters." Dann zählte Er Mulla Husayn nacheinander die Geschehnisse auf, die sich in der Zukunft zwangsläufig ereignen müssen, bat ihn aber, zu
19) Nach Hájí Mu'inu's-Saltanihs Bericht (S. 67-68) hat Mírzá Habíb-i-Shírází, bekannt unter dem Namen Qá'iní, einer der bedeutendsten Dichter Persiens, als erster den Lobpreis des Báb gesungen und Seine erhabene Stufe verherrlicht. Der Verfasser des genannten Berichtes hat eine Abschrift von Gedichten Qá'inís gesehen, welche diese Verse enthält, und er zitiert die folgenden Worte am Anfang des Lobgesanges: »Zum Lobpreis der Offenbarung des Siyyid-i-Báb."
2°) Vergl. S. 52, Kap. 1, Anm. 18.
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niemandem darüber zu apreclien.21* „Wenige Tage nach deiner Abreise von hier", ließ der Báb ihn wissen, „werden sie Uns auf einen anderen Berg bringen. Noch ehe du an deinen Zielort kommst, wird dich die Nachricht Unserer Abreise von Mah-Ku erreichen.**
Diese Vorhersage des Báb sollte sich schnell erfüllen. Die damit beauftragt waren, jede Bewegimg und das ganze Verhalten von 'Ali Khan heimlich zu überwachen, sandten Hájí Mírzá Áqásí einen ausfuhrlichen Bericht, in dem sie sich über seine außergewöhnliche Ergebenheit gegenüber dem Gefangenen ausließen und Geschehnisse schilderten, die ihre Aussagen bekräftigen sollten. „Tag und Nacht**, schrieben sie, „kann man den Festungskommandanten von Máh-Kú völlig freizügig und freundschaftlich mit seinem Gefangenen verkehren sehen. *Ali Khan, der sich hartnäckig weigert, seine Tochter dem persischen Thronerben in die Ehe zu geben, mit der Behauptung, dies würde die sunnitischen Verwandten seiner Mutter so erzürnen, dass sie ihn und seine Tochter ohne weiteres töteten, hat nun den sehnlichsten Wunsch, diese Tochter mit dem Báb verheiratet zu sehen. Dieser hat es zwar abgelehnt, doch 'Ali Khan beharrt weiterhin auf seinem Wunsch. Ohne die Weigerung des Gefangenen wäre die Hochzeit des Mädchens schon gefeiert worden." 'Ali Khan hatte tatsächlich ein solches Ansinnen gestellt und Mulla Husayn gebeten, für ihn mit dem Báb zu sprechen, Dessen Einwilligung jedoch nicht erhalten.
Diese bösartigen Berichte machten auf Hájí Mírzá Áqásí sofort Eindruck. Furcht und Groll bestimmten den launischen Minister erneut zu dem strengen Befehl, den Báb in die Festung Chihriq zu verbringen.
Zwanzig Tage nach Naw-Rüz nahm der Báb Abschied von der Bevölkerung Máh-Kús, die während Seiner neun Monate währenden Gefangenschaft in bemerkenswerter Weise Seine machtvolle Persönlichkeit und die Erhabenheit Seines Wesens erkannt hatte. Mulla Husayn, der auf das Gebot des Báb hin schon von Máh-Kú abgereist war, befand sich noch in Tabriz, als ihn die Kunde von der vorausgesagten Verlegung Seines Meisters nach Chihriq erreichte. Als der Báb Mulla Husayn zum letztenmal Lebewohl sagte, sprach Er die folgenden Worte zu ihm: „Du hast den ganzen Weg von deiner Heimatprovinz bis hierher zu Fuß zurückgelegt. Zu Fuß musst du auch wieder zurück-
21' Im Dalá'il-i-Sab'ih offenbart der Báb folgendes: „Das Hadíth ,Ádhirbáyján' bezieht sich auf diesen Punkt: ,Was in Ádhirbávján geschehen wird, ist von größter Notwendigkeit für uns. Nichts kann verhindern, was sich dort ereignen muss. Bleibt also in euren Häusern. Wenn ihr aber hört, dass ein Aufwiegler auftritt, dann eilt zu ihm hin.1 Das Hadíth fährt folgendermaßen fort: ,Wehe über die Araber, denn der Burgerkrieg ist nahe.' Hätte der Prophet mit diesen Worten auf seine eigene Sendung anspielen wollen, wären diese eitel und wertlos gewesen." (Le Livre des Sept Preuves, nach der französischen Übersetzung von A.L.M. Nicolas, S. 47.)
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kehren, bis du dein Ziel erreichst, denn die Tage, da du reiten wirst, werden erst kommen. Du bist dazu ausersehen, solchen Mut zu zeigen, solche Fähigkeit und Heldenhaftigkeit, wie sie die machtvollsten Heldentaten vergangener Zeiten in den Schatten stellen. Deine tapferen Taten werden den Lobpreis und die Bewunderung der Bewohner des ewigen Reiches finden. Du solltest auf deinem Weg die Gläubigen von Khuy, Urúmíyyih^arághih, Milán, Tabríz,! Zanjan, Qazvín und Tihrán besuchen. Allen wirst du Meine Liebe und Meine j innige Zuneigung übermitteln. Du wirst dich bemühen, in ihren Herzen von neuem das Feuer der Liebe zur Schönheit Gottes zu entfachen, und wirst bestrebt sein, ihren Glauben an Seine Offenbarung zu festigen. Von Tihrán solltest du nach Mázindarán gehen, wo dir Gottes verborgener Schatz offenbar werden wird. Du wirst dazu berufen werden, Taten zu vollbringen, deren Größe die mächtigsten Errungenschaften der Vergangenheit in den Schatten stellt. An jenem Ort wird dir die Art deiner Aufgabe offenbart, und dir wird Kraft und Führung geschenkt werden, damit du fähig werdest, deinen Dienst Seiner Sache darzubringen."
Am Morgen des neunten Tages nach Naw-Ruz begab sich Mulla Husayn nach dem Gebot seines Meisters auf die Reise nach Mázindarán. An Qambar-'Ali richtete der Báb die folgenden Abschiedsworte: „Der Qambar-'Ali eines vergangenen Zeitalters würde sich freuen, dass sein Namensvetter lebte, um Zeuge eines Tages zu werden, nach dem selbst Er, der Herr seines Herrn22', vergebÜch schmachtete, von dem Er in heißer Sehnsucht sprach: ,Könnten doch Meine Augen die Gesichter Meiner Brüder schauen, denen das Vorrecht zuteil ward, Seinen Tag zu erleben.' "
22' Dies bezieht sich auf den Propheten Muhammad.
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Vierzehntes Kapitel MULLA HUSAYNS REISE NACH MÁZINDARÁN
'Ali Khan lud Mulla Husayn herzlich ein, vor der Abreise aus Máh-Kú noch einige Tage in seinem Heim zu verweilen. Er brachte seinen großen Wunsch zum Ausdruck, ihm für die Reise nach Mázindarán jede Erleichterung zu verschaffen. Doch Mulla Husayn lehnte es ab, seinen Aufbruch.noch länger aufzuschieben und die Bequemlichkeiten, die ihm 'Ali Khan so liebenswürdig angeboten hatte, in Anspruch zu nehmen.
Getreu den erhaltenen Anweisungen ging er in jede Stadt, in jedes Dorf, dessen Besuch ihm der Báb geboten hatte, rief die Gläubigen zusammen, übermittelte ihnen die Liebe, die Grüße und die Versicherungen ihres geliebten Herrn, belebte ihren Eifer aufs neue und ermahnte sie, standhaft auf Seinem Wege zu bleiben. In Tihrán hatte er wieder das Vorrecht, mit Bahá'u'lláh zusammenzukommen und aus Seinen Händen den geistigen Beistand zu empfangen, der ihm die Kraft verlieh, mit solch unerschrockenem Mut den Gefahren zu trotzen, die ihn während der letzten Tage seines Lebens so hart bedrohten.
Von Tihrán ging Mulla Husayn weiter nach Mázindarán in der heftigen Erwartung, dort die Offenbarung des verborgenen Schatzes zu erleben, wie der Meister es ihm verheißen hatte. Quddús lebte damals in Bárfurúsh in dem Haus, das ursprünglich seinem Vater gehört hatte. Er verkehrte freimütig mit allen Bevölkerungsschichten und hatte durch seine liebenswürdige Wesensart und seine umfassende Gelehrsamkeit bald die Zuneigung und uneingeschränkte Bewunderung der Stadtbewohner errungen. Als Mulla Husayn in die Stadt kam, ging er direkt zu Quddús' Haus und wurde von ihm liebevoll empfangen. Quddús bediente seinen Gast persönlich und versorgte ihn aufs beste mit allem, was zu seinem Wohlbefinden beitrug. Mit eigener Hand befreite er ihn vom Reisestaub und wusch ihm die blasenbedeckten Füße. Er wies ihm den Ehrenplatz im Kreis der versammelten Freunde an und stellte
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ihm in höchster Ehrerbietung jeden der Gläubigen vor, die gekommen waren, um ihn zu sehen.
Am Abend seiner Ankunft, nachdem die zum Essen mit Mulla Husayn eingeladenen Gläubigen wieder nach Hause gegangen waren, wandte sich der Gastgeber an seinen Gast und bat ihn, ausführlicher über seine persönlichen Erlebnisse mit dem Báb in der Burg Máh-Kú zu berichten. „Viel und mannigfaltig war, was ich gehört und erlebt habe während der neun Tage meines Zusammenseins mit Ihm", erwiderte Mulla Husayn. „Er sprach mit mir über Dinge, die direkt und indirekt Seine Lehre betreffen. Er gab mir jedoch über den Weg, den ich zur Verbreitung Seiner Sache verfolgen soll, keine bestimmten Weisungen. Alles, was Er mir gesagt hat, war dies: ,Auf deinem Weg nach Tihrán solltest du die Gläubigen in jeder Stadt, in jedem Dorf, durch das du kommst, besuchen. Von Tihrán aus solltest du nach Mázindarán gehen, denn dort liegt ein Schatz verborgen, der dir offenbar werden wird, ein Schatz, der dir für die Art der Aufgabe, die zu erfüllen dir bestimmt ist, die Augen öffnen wird.' Aus Seinen Hinweisen konnte ich, wenn auch dunkel, die Herrlichkeit Seiner Offenbarung erahnen und die Anzeichen des kommenden Aufstiegs Seiner Sache erkennen. Seinen Worten entnahm ich, dass ich schließlich dazu aufgerufen werde, mein unwürdiges Leben auf Seinem Pfade zu opfern. Denn früher hat mir der Báb, wenn Er mich entließ, stets versichert, dass ich wieder zu Ihm gerufen würde. Diesmal aber gab Er mir bei Seinen Abschiedsworten kein derartiges Versprechen und machte auch keinerlei Anspielung darauf, dass ich Ihn auf dieser Erde jemals wieder von Angesicht zu Angesicht sehen würde. ,Das Fest des Opfers naht rasch herbei', waren Seine letzten Worte an mich. ,Mache dich auf, gürte deine Lenden mit Eifer und lass dich durch nichts von deinem Schicksal abhalten. Und wenn du an dein Ziel gelangt bist, so halte dich bereit, Uns zu empfangen, denn auch Wir werden dir bald folgen.' "
Quddus fragte, ob er irgendwelche Schriften seines Meisters mitgebracht habe, und legte seinem Gast, als er dies verneinte, die Seiten eines Manuskripts vor, das er im Besitz hatte, und bat ihn, einige Abschnitte daraus zu lesen. Als dieser eine Seite aus dem Manuskript gelesen hatte, wurde sein Gesichtsausdruck plötzlich ganz anders. Ein unsagbarer Ausdruck der Bewunderung und des Staunens prägte sich in seine Züge. Die Erhabenheit, die Tiefe und vor allem die Eindringlichkeit der gelesenen Worte erregten ihn heftig bis ins Herz und ließen den höchsten Lobpreis von seinen Lippen fließen. Als er das Manuskript aus den Händen legte, sprach er: „Ich kann mir wohl vorstellen, dass der Verfasser dieser Worte Seine Erleuchtung aus dem Urquell bezog, der unermesslich erhaben ist über die Quellen, aus denen das Wissen der Menschen gemeinhin stammt. Ich bezeuge hiermit, dass ich aus ganzem Herzen die
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Erhabenheit dieser Worte erkenne und die Wahrheit, die aus ihnen spricht, uneingeschränkt annehme." Aus dem Schweigen, das Quddús bewahrte, und aus seinem Gesichtsausdruck schloss Mulla Husayn, dass niemand als sein Gastgeber diese Worte niedergeschrieben haben könnte. Er erhob sich rasch von seinem Sitz und erklärte, geneigten Hauptes an der Türschwelle stehend, ehrerbietig: „Der verborgene Schatz, von dem der Báb sprach, steht mir nun unverhüllt vor Augen. Sein Licht hat das Dunkel der Wirrnis und des Zweifels vertrieben. Wenn auch mein Meister noch in Ádhirbáyjáns Bergfesten verborgen ist, so steht doch das Zeichen Seiner Herrlichkeit, die Offenbarung Seiner Macht sichtbar vor mir. Ich habe in Mázindarán den Abglanz Seiner Herrlichkeit gefunden."
Wie schwer, wie schrecklich war doch der Missgriff des Hájí Mírzá Áqásí! Dieser törichte Minister hatte umsonst geglaubt, er könnte diese Flamme des unsterblichen Feuers Gottes vor den Augen seiner Landsleute verbergen, indem er den Báb zu einem hoffnungslosen Leben im Exil in einem abgelegenen, einsamen Winkel von Ádhirbáyján verdammte. Er hat nicht begriffen, dass er dadurch das Licht Gottes auf einen Berg gestellt und dazu beigetragen hat, seine Strahlen zu verbreiten und seinen Ruhm zu künden. Durch seine eigenen Taten, durch seine erstaunliche Fehlrechnung verlieh er jener himmlischen Flamme, anstatt sie zu verbergen, nur noch mehr Ruhm und half ihre Glut entfachen. Wie gerecht war andererseits Mulla Husayn, wie scharf und sicher sein Urteil! Wer ihn gekannt und gesehen hatte, konnte keinen Augenblick über das Wissen dieses Jünglings, seinen Charme, seine hohe Redlichkeit und seinen bewundernswerten Mut im Zweifel sein. Hätte er sich nach Siyyid Kázims Tod als den verheißenen Qá'im erklärt, so hätten die hervorragendsten unter seinen Mitschülern seinen Anspruch einmütig anerkannt und sich seiner Autorität unterworfen. Hatte Mulla Muhammad-i-Mámáqáni, jener hervorragende und gelehrte Schüler des Shaykh Ahmad-i-Ahsá'f, nachdem er in Tabriz durch Mulla Husayn mit den Forderungen der neuen Offenbarung bekannt geworden war, nicht erklärt: „Gott sei mein Zeuge! Wäre dieser Anspruch, den der Siyyid-i-Báb erhob, von Mulla Husayn erhoben worden, so wäre ich angesichts seiner bemerkenswerten Charakterzüge und seiner Wis-sensfülle der erste gewesen, der seine Sache unterstützt und sie allen Menschen verkündet. Da er jedoch vorgezogen hat, sich einem anderen Menschen unterzuordnen, habe ich kein Vertrauen mehr zu seinen Worten und weigere mich, seinem Ruf zu folgen." Hatte nicht Siyyid Muhammad-Báqir-i-Rashtí, als er Mulla Husayn geschickt die .Verwirrungen lösen hörte, die so lange sein Gemüt gequält hatten, mit glühenden Worten seine hohen Fähigkeiten gerühmt: „Ich habe mir eingebildet, ich könnte Siyyid Kazim-i-Rashti in Verlegenheit
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und zum Schweigen bringen, und erkenne beim ersten Zusammentreffen und Gespräch mit einem Mann, der nur sein bescheidener Anhänger sein will, wie schwer ich in meinem Urteil gefehlt habe. Die Kraft, die diesem Jüngling inne-zuwohnen scheint, ist so stark, dass ich ihn, wenn er den Tag zur Nacht erklärte, durchaus für fähig hielte, Beweise zu erbringen, die in den Augen der gelehrten Geistlichen die Wahrheit seiner Feststellung schlüssig erwiesen!"
In der Nacht, da er mit dem Báb in Berührung kam, erkannte Mulla Hu-sayn, obwohl er zunächst noch sehr von seiner unbegrenzten eigenen Überlegenheit überzeugt und geneigt war, die Ansprüche eines unbekannten Kauf-mannssohns aus Shíráz herabzusetzen, sobald sein Gastgeber das Thema zu entwickeln begann, die unermesslichen Segnungen, die Dessen Offenbarung innewohnten. Er bekannte sich begeistert zu Seiner Sache und gab leichten Herzens alles auf, was ihm in seiner Suche nach dem rechten Verständnis und der wirksamen Förderung ihrer Interessen hätte hinderlich sein können. Und wenn Mulla Husayn später Gelegenheit fand, die unübertreffliche Erhabenheit der Schriften von Quddús zu würdigen, so war er auch in der Lage, den wahren Wert und Vorzug der besonderen Gaben zu schätzen, die den Menschen Quddús wie seine Worte gleichermaßen auszeichneten. Der Umfang seines erworbenen Wissens wurde bedeutungslos vor den allumfassenden gottgegebenen Tugenden, die der Geist dieses Jünglings an den Tag legte. In diesem Augenblick gelobte er unbedingte Ergebenheit dem, der so machtvoll den Glanz seines eigenen geliebten Meisters widerspiegelte. Er empfand es als seine höchste Pflicht, sich Quddús gänzlich unterzuordnen, in seine Fußstapfen zu treten, sich seinem Willen zu fügen und mit allen zu Gebote stehenden Mitteln über sein Wohl und seine Sicherheit zu wachen. Bis zur Stunde seines Märtyrertodes blieb Mulla Husayn seinem Gelübde treu. In der höchsten Ehrerbietung, die er Quddús fortan bezeigte, wurde er ausdrücklich bestärkt durch den festen, unerschütterlichen Glauben an die Wirklichkeit der übernatürlichen Gaben, die ihn so deutlich vor seinen Mitschülern auszeichneten. Allein aus dieser Erwägung bezeigte er dem, der doch seinesgleichen schien, eine solche Ergebenheit und Ehrerbietung. Mulla Husayns tiefe Einsicht erfasste rasch die Größe der Kraft, die verborgen in ihm ruhte, und sein edler Charakter drängte ihn, seine Erkenntnis jener Wahrheit gebührend zu zeigen.
Mulla Husayns Haltung gegen Quddús war so verwandelt, dass die Gläubigen, als sie am anderen Morgen in dessen Haus zusammenkamen, sich sehr darüber verwunderten, wie der Gast, der am Abend zuvor den Ehrenplatz innehatte und dem so viel gastliche Aufmerksamkeit zuteil geworden war, seinen Platz dem Gastgeber überlassen hatte und statt dessen in einer Haltung äußerster Demut an der Schwelle stand. Die ersten Worte, die Quddús in Ge-
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genwart der versammelten Gläubigen zu Mulla Husayn sprach, waren: „Jetzt, in dieser Stunde, solltest du dich aufmachen und, gerüstet mit dem Stab der Weisheit und Macht, die Schar der bösen Verschwörer, die den guten Namen des Gottesglaubens zu schänden trachten, zum Schweigen bringen. Du sollst ihrer Vielzahl gegenübertreten und ihre Macht vernichten. Setze dein Vertrauen auf die Gnade Gottes und betrachte ihre Machenschaften als einen vergeblichen Versuch, den Glanz der Sache Gottes zu trüben. Sprich mit dem Sa'ídu'l-'Ulamá', dem berüchtigten, hinterhältigen Tyrannen, und lege ihm furchtlos die Grundzüge dieser Offenbarung dar. Von dort begib dich nach Khurásán. In der Stadt Mashhad baue ein Haus, welches zugleich uns als Wohnung dienen kann und für die Aufnahme unserer Gäste eingerichtet ist. Wir werden bald dorthin reisen und in diesem Hause wohnen. Dorthin sollst du jede aufnahmefähige Seele einladen, von der wir hoffen können, dass sie sich dem Strom ewigen Lebens zuführen lässt. Wir werden sie dann vorbereiten und ermahnen, dass sie sich alle zusammentun und die Sache Gottes verkünden."
Bei Sonnenaufgang des anderen Tages machte sich Mulla Husayn auf den Weg, um mit dem Sa'ídu'l-'Ulamá' zu sprechen. Allein und ohne Beistand ging er zu ihm und übermittelte ihm, wie Quddus ihn geheißen hatte, die Botschaft des neuen Tages. Furchtlos und redegewandt setzte er sich inmitten der versammelten Schüler für die Sache seines geliebten Meisters ein, rief ihn dazu auf, die Götzen zu vernichten, die sein eitler Wahn gemeißelt hatte, und auf ihren Trümmern das Banner göttlicher Führung zu hissen. Er forderte ihn auf, seinen Geist von den Glaubensfesseln der Vergangenheit zu lösen, um frei und ungehemmt zu den Gestaden ewigen Heils zu eilen. Mit der ihm eigenen Kraft widerlegte er jedes Argument, womit dieser trügerische Zauberer die Wahrheit der göttlichen Botschaft zu widerlegen suchte, und stellte mit seiner unschlagbaren Logik die Trugschlüsse in allen ins Feld geführten Lehrsätzen bloß. Gepackt von der Furcht, seine Schüler könnten sich alle um Mulla Husayn scharen, griff der Sa'ídu'l-'Ulamá' zu seinem gemeinsten Kunstgriff und erging sich in üblen Schimpfreden; so hoffte er, seine Stellung zu retten. Er schleuderte Mulla Husayn seine Verleumdungen ins Gesicht, überging geflissentlich die von seinem Gegner vorgebrachten Beweise und Zeugnisse und behauptete, ohne es im geringsten zu rechtfertigen, hartnäckig die Nichtswürdigkeit der Sache, zu deren Annahme er aufgefordert war. Als Mulla Husayn erkannte, dass jener völlig unfähig war, die überbrachte Botschaft in ihrer Bedeutung zu begreifen, erhob er sich von seinem Sitz und sprach: „Meine Beweisführung hat dich nicht aus deinem Schlaf der Nachlässigkeit erweckt. Meine Taten werden dir in den kommenden Tagen die Macht der Botschaft,
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die du zu verachten gewillt bist, beweisen." Er sprach mit solcher Heftigkeit und Erregung, dass der Sa'ídu'l-'Ulamá' tief bestürzt war. Seine Seele war so verwirrt, dass er nicht mehr antworten konnte. Mulla Husayn wandte sich an einen Zuhörer, von dem er den Eindruck hatte, dass er etwas von der Wirkung seiner Worte verspürt hätte, und gab ihm den Auftrag, Quddús über die Umstände dieses Gesprächs zu berichten. „Sage ihm folgendes", fügte er hinzu: „ ,Da du mir nicht ausdrücklich aufgetragen hast, dich aufzusuchen, habe ich mich entschlossen, sogleich nach Khurásán zu gehen. Dort werde ich alles ausführen, was du nur aufgetragen hast.' "
Auf sich gestellt, mit einem Herzen, gänzlich losgelöst von allem außer Gott, begab sich Mulla Husayn auf seine Reise nach Mashhad. Sein einziger Begleiter auf dem Weg nach Khurásán war der Gedanke, alle Wünsche Quddús' getreulich zu erfüllen, sein einziger Halt das Wissen um seine untrügliche Verheißung. Er ging geradewegs zur Wohnung von Mírzá Muhammad-Báqir-i-Qá'iní und fand bald Gelegenheit, in deren Nachbarschaft in Bálá-Khíyábán ein Stück Land zu kaufen, auf dem er, wie ihm aufgetragen war, ein Haus zu errichten begann, dem er den Namen Bábíyyih gab, den es bis zum heutigen Tage trägt. Kurz nachdem es fertiggestellt war, kam Quddús nach Mashhad und wohnte in dem Haus. Besucher, die durch Mulla Husayns Energie und Eifer für die Annahme des Glaubens vorbereitet waren, kamen in stetigem Strom zu Quddús, anerkannten bereitwillig den Anspruch der Sache Gottes und reihten sich unter ihr Banner. Die umsichtige Wachsamkeit, mit der Mulla Husayn sich mühte, die Kenntnis von der neuen Offenbarung zu verbreiten, und die meisterhafte Art, in der Quddús die immer größer werdende Zahl ihrer Anhänger erbaute, löste eine Woge der Begeisterung aus, welche die ganze Stadt Mashhad erfasste und ihren Einfluss rasch über die Grenzen von Khurásán hinaus ausdehnte. Das Haus Bábíyyih verwandelte sich bald in einen Sammelplatz vieler Anhänger, entflammt von dem unbeugsamen Willen, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln die ihrem Glauben innewohnenden gewaltigen Kräfte darzutun.
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Fünfzehntes Kapitel DIE REISE TÁHIRIHS VON KARBILÁ NACH KHURÁSÁN
Als die festgesetzte Stunde nahte, da nach der göttlichen Vorsehung der Schleier, der die Grundwahrheiten des Glaubens noch verbarg, zerreißen sollte, loderte im Herzen Khurásáns eine so verzehrende Flamme auf, dass die schwierigsten Hindernisse, die der Anerkennung der Sache Gottes noch im Wege standen, dahinschmolzen und verschwanden.1' Dieses Feuer entfachte solche Glut in den Herzen, dass man den Einfluss seiner belebenden Kraft in den entlegensten Provinzen Persiens spuren konnte. Es tilgte jede Spur der Ängste und Zweifel, welche die Gläubigen noch im Herzen getragen und die sie bisher daran gehindert hatten, die Sache Gottes in ihrer ganzen Herrlichkeit zu erfassen. Der Ratschluss des Feindes hatte Ihn, die Verkörperung der Schönheit Gottes, zu dauernder Absonderung verdammt und damit die Flamme Seiner Liebe für alle Zeit auszulöschen getrachtet. In einer Zeit jedoch, da die Schar der Übeltäter ihre finstersten Ränke wider Ihn schmiedete, vereitelte die Hand der Allmacht alle Machenschaften und ließ die Feinde ins Leere stoßen. In Khurásán, der östlichsten Provinz Persiens, hatte der Allmächtige durch Quddus ein Feuer entfacht, das mit heißer Flamme in den Herzen des Volkes glühte. Und in Karbilá, jenseits der westlichen Landesgren-
D „Man wird niemand erstaunen", schreibt Clement Huart, »wenn man darauf aufmerksam macht, dass sich die neue Sekte in Khurásán viel rascher ausbreitete als sonst überall. Khurásán hat das einzigartige Glück gehabt, dass neue Ideen dort stets auf den geeignetsten Boden gefallen sind; von dieser Provinz ist manch eine Revolution ausgegangen, die das Gesicht des muslimischen Orients verändert hat. Es genügt, daran zu erinnern, dass nach der arabischen Eroberung die Idee der persischen Erneuerung von Khurásán ausging, dass sich dort das Heer bildete, das unter der Führung von Abú-Muslim die Aristokratie von Mekka entmachtete, welche seit dem Aufstieg der Umayyaden das Khalifat innegehabt hatte, und die Abbassiden auf den Thron hob." (C. Huart, La Religion de Báb, S. 18f.)
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zen, hatte Er Táhirihs Licht entzündet, ein Licht, das seinen Glanz über ganz Persien ergießen sollte. Vom Osten und Westen des Landes rief die Stimme des Unsichtbaren diese beiden großen Leuchten dazu auf, ins Land Tá2) zu eÜen, zum Tagesanbruch der Herrlichkeit, zur Heimat Bahá'uTláhs, und hieß sie beide diese Sonne der Wahrheit in Seiner Person aufsuchen und umkreisen, Seinen Rat suchen, Sein Bestreben stärken und cten Weg für Seine kommende Offenbarung bereiten.
Dem göttlichen Ratschluss zufolge offenbarte die Feder des Báb in den Tagen, da Quddús noch in Mashhad weilte, ein Tablet an alle Gläubigen in Persien, das jeden aufrichtigen Anhänger des Glaubens auffordert, „nach dem Lande Khá", der Provinz Khurásán, zu eilen.3) Die Kunde von diesem hohen Befehl verbreitete sich mit Windeseile und rief allgemeine Begeisterung hervor. Sie kam auch Táhirih zu Ohren, die damals in Karbilá wohnte und sich nach Kräften bemühte, den Glauben, den sie angenommen hatte, zu verbreiten.4' Sie hatte ihre Vaterstadt Qazvin verlassen und war nach dem Tode von Siyyid Kázim in diese heilige Stadt gekommen voller Erwartung, dort die Zeichen zu sehen, die der verstorbene Siyyid vorausgesagt hatte. In einem früheren Kapitel haben wir gesehen, wie sie aus innerem Antrieb dazu geführt wurde, die Offenbarung des Báb zu entdecken, und wie sie deren Wahrheit spontan anerkannte. Unvorbereitet und unaufgefordert nahm sie das über der Stadt Shíráz aufgehende Morgenlicht der verheißenen Offenbarung wahr und fühlte sich getrieben, dem Offenbarer jenes Lichtes einen Brief zu schreiben und Ihn ihrerTreue zu versichern.
Die sofortige Antwort des Báb auf das Glaubensbekenntnis, das sie, ohne in Seine Gegenwart gelangt zu sein, abzulegen bewegt war, befeuerte ihren Eifer und stärkte ihren Mut. Sie machte sich auf, Seine Lehren überall zu verbreiten, wandte sich leidenschaftlich gegen die Korruption und Verderbtheit ihrer Zeitgenossen und setzte sich mutig für einen grundlegenden Wandel in den Lebensgewohnheiten ihrer Landsleute ein.5) Ihr unbezähmbarer Geist wurde



2> Tihrán.
3> „Man glaubt", schreibt Lieut.-Col. P. M. Sykes, „dass der zwölfte Imam nicht gestorben wäre, sondern sich im Jahre 260 n.d.H. (837 n.Chr.) in ein geheimes Refugium zurückgezogen hätte, von wo er am Tag des Gerichts in der Moschee Gawhar-Shád in Mashhad wieder erscheinen und als Mihdi begrüßt würde, als der .Führer', der die Erde mit Gerechtigkeit erfüllen wird." (P. M. Sykes, A History ofPersia, Bd.2, S.45.)
4> Nach Muhammad Mustafa (S. 108) kam Táhirih im Jahre 1263 n.d.H. in Karbilá an. Sie besuchte Kúfih und die umgebende Region und verbreitete dort die Lehren des Báb. Sie übermittelte den Menschen, mit denen sie zusammenkam, die Schriften ihres Herrn, darunter den Kommentar zur Súrih Kawthar.
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erquickt von ihrer glühenden Liebe zum Báb, und ihr durchgeistigter Weitblick wurde noch herrlicher und strahlender, als sie die in Seiner Offenbarung verborgenen unschätzbaren Segnungen entdeckte. Ihre angeborene Furchtlosigkeit, ihre Charakterstärke wurde durch unerschütterlichen Glauben an den endlichen Sieg der Sache, der sie sich verschrieben hatte, hundertfach verstärkt, und ihre grenzenlose Energie lebte auf in dem Maße, wie sie den Ewigkeitswert der von ihr verfochtenen Sendung erkannte. Wer ihr in Karbilá begegnete, war von ihrer hinreißenden Redegewandtheit bestrickt und verspürte den Zauber ihrer Worte. Niemand konnte ihrem Charme widerstehen, kaum einer der Ansteckung durch ihren Glauben entgehen. Alle bezeugten ihre außergewöhnlichen Charakterzüge, bestaunten ihre wundervolle Persönlichkeit und waren von der Aufrichtigkeit ihres Glaubens überzeugt.
Es gelang ihr, die verehrte Witwe von Siyyid Kázim für die Sache Gottes zu gewinnen. In Shíráz geboren, war sie die erste Frau von Karbilá, welche die Wahrheit erkannte. Ich habe Shaykh Sultán schildern hören, wie sehr sie Tahirih ergeben war, die sie als ihre geistige Führerin verehrte und als geliebte Gefährtin schätzte. Auch er bewunderte glühend die charaktervolle Witwe des Siyyids, deren Güte er oft in begeisterten Worten rühmte. „Sie hing so sehr an Tahirih", hörte man Shaykh Sultán immer wieder sagen, „dass sie diese Heldin, die als Gast in ihrem Hause weilte, nur äußerst ungern ausgehen ließ, und sei es auch nur für eine Stunde. Eine so große Anhänglichkeit musste natürlich die Neugier ihrer persischen und arabischen Freundinnen, die ständig ihr Haus besuchten, wachrufen und ihren Glauben festigen. Im ersten Jahr nach ihrem Bekenntnis zu der neuen Botschaft wurde sie plötzlich krank und verschied drei Tage später. Siyyid Kázim war es ebenso ergangen."
Unter den Männern, die sich in Karbilá durch Táhirihs Wirken zur Lehre des Báb bekannten, war ein gewisser Shaykh Sálih, ein dort ansässiger Araber,
5J „Im Kreis ihrer Familie hörte sie zum ersten Mal von den Predigten des Báb in Shíráz und dem Wesen der von ihm verkündeten Lehren. Was sie hierüber erfuhr, wie unzulänglich und lückenhaft es auch war, gefiel ihr außerordentlich. Sie trat in Briefwechsel mit dem Báb und nahm bald alle seine Ideen auf. Sie begnügte sich nicht mit passiver Sympathie, sondern bekannte sich öffentlich zum Glauben ihres Herrn; sie erhob sich nicht nur gegen die Vielehe, sondern auch gegen den Gebrauch des Schleiers, und zeigte sich mit unverhülltem Gesicht in der Öffentlichkeit, zum Schrecken ihrer entrüsteten Angehörigen und aller ergebenen Muslime, jedoch auch zum Beifall vieler, die ihre Begeisterung teilten und deren öffentliche Ansprachen den Kreis um viele vergrößerte. Ihr Onkel, ein Arzt, ihr Vater, ein Jurist, und ihr Gatte setzten alle Hebel in Bewegung, um sie wenigstens zu einem maßvolleren, reservierteren Verhalten zu veranlassen. Sie aber wies sie alle zurück mit unwiderlegbaren Argumenten ihres unermüdlichen Glaubens." (Comte de Go-bineau, Les Religions et les Philosophies dans l'Asie Centrale, S. 137f.)
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der in Tihrán als erster auf dem Pfade des Glaubens sein Blut vergießen sollte. Tahirih spendete Shaykh Sálih so überschwengliches Lob, dass einige mutmaßten, er käme Quddus gleich. Auch Shaykh Sultán gehörte zu denen, die in Táhirih s Bann gerieten. Bei seiner Rückkehr aus Shíráz trat er zum Glauben über, förderte kühn und einig dessen Wohl und tat alles, ihre Weisungen und Wünsche zu erfüllen. Ein anderer Bewunderer war Shaykh Muhammad-i-Shibl, der Vater des Muhammad-Mustafá, ein Araber aus Baghdád, hoch geachtet unter den 'Ulamás jener Stadt. Mit dem Beistand dieser erwählten Gruppe zuverlässiger und fähiger Förderer war Tahirih in der Lage, den Geist einer beträchtlichen Zahl persischer und arabischer Bewohner des 'Iráq zu beflügeln und ihre Treue zu gewinnen; den meisten von ihnen gab sie den Anstoß, sich ihren persischen Brüdern anzuschließen, die bald durch ihre Taten das Schicksal erfüllen und den Sieg der Sache Gottes mit ihrem Blut besiegeln sollten.
Der Aufruf des Báb, der ursprünglich Seinen Anhängern in Persien galt, wurde alsbald den Gläubigen im 'Iráq übermittelt. Tahirih antwortete ihm strahlend. Ihre treuen Bewunderer folgten sogleich in großer Zahl ihrem Beispiel, alle brachten ihre Bereitschaft zum Ausdruck, nach Khurásán zu reisen. Die 'Ulamás von Karbilá versuchten, ihr von dieser Reise abzuraten. Da sie aber sogleich den Grund für einen solchen Ratschlag erkannte und die böse Absicht durchschaute, schrieb sie jedem dieser gelehrten Herren einen ausführlichen Brief, worin sie ihre Beweggründe darlegte und sie der Heuchelei zieh.6)
Von Karbilá ging sie nach Baghdád.7) Eine ansehnliche Abordnung aus den fähigsten Vertretern der schiitischen, sunnitischen, christlichen und jüdischen
6' Nach Samandar (Manuskript, S.9) lag der Hauptgrund für die Erregung der Einwohner Karbilás, der Anlass dazu, dass Tahirih beim Gouverneur von Baghdád verklagt wurde, in ihrer mutigen Tat, den Jahrestag von Husayns Märtyrertod, der in den ersten Tagen des Monats Muharram im Hause des verstorbenen Siyyid Kazim zu Karbilá begangen wurde, außer acht zu lassen und stattdessen den Geburtstag des Báb am ersten Tag dieses Monats zu feiern. Sie soll ihre Schwestern und Verwandten gebeten haben, die Trauerkleider abzulegen und stattdessen Festgewänder zu tragen - in offenem Gegensatz zu den Sitten und Gebräuchen des Volkes an diesem Tag.
7> Nach Muhammad Mustafa (S. 108-9) befand sich Tahirih bei ihrer Ankunft in Baghdád in Begleitung folgender Anhänger und Gefährten: Mulla Ibráhim-i-Mahallátí, Shaykh Sálih-i-Karímí, Siyyid Ahmad-i-Yazdl (der Vater Siyyid Husayns, des Sekretärs des Báb), Siyyid Muhammad-i-Báyígání, Shaykh Sultán-i-Karbilá'í, der Mutter Mulla Husayns, deren Tochter, der Frau von Mírzá Hádíy-i-Nahrí, und dessen Mutter. Nach Kashfu'l-Ghitá', S.94, befanden sich unter den Damen und Anhängern, die Tahirih auf der Reise von Karbilá nach Baghdád begleiteten, die Mutter und die Schwester Mulla Husayns. Bei ihrer Ankunft bezogen sie Quartier
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Gemeinden der Stadt kam zu ihr und versuchte, sie von der Torheit ihres Tuns zu überzeugen. Sie widerlegte jedoch geschickt alle Einwände und versetzte durch die Kraft ihrer Beweisführung die Anwesenden in Staunen. Enttäuscht und verwirrt zog sich die Abordnung zurück, ihrer Unfähigkeit zutiefst bewusst.8'
Die 'Ulamás von Kirmánsháh empfingen sie mit Hochachtung und bedachten sie mit mannigfachen Beweisen ihrer Wertschätzung und Bewunderung.9) In Hamadán10' jedoch waren die geistlichen Führer der Stadt gespalten in ihrer Haltung gegen sie. Einige versuchten, insgeheim das Volk aufzuhetzen und ihr
im Hause von Shaykh Muhammad-ibn-i-Shiblu'l-'Aráqí, von wo sie später auf Befehl des Gouverneurs von Baghdád in das Haus des Mufti, Siyyid Mahmúd-i-Álúsí, verlegt wurden, des bekannten Verfassers der berühmten Abhandlung Rúhu'1-Ma'ání; dort sollten sie neue Anweisungen des Sultans aus Konstantinopel abwarten. Wie in Kashfu'l-Ghitä', S. 96, angeführt wird, finden sich in Rúhu'1-Ma'árd Hinweise auf Gespräche zwischen dem Mufti und Táhirih; der Mufti soll diese mit folgenden Worten angesprochen haben: „O Qurratu'l-'Ayn! Ich schwöre bei Gott, dass ich deinen Glauben teile! Aber ich furchte die Schwerter der Familie 'Uthmáns." „Sie begab sich direkt zum Haus des obersten Mufti, vor dem sie ihren Glauben und ihr Verhalten mit großer Geschicklichkeit verteidigte. Die Frage, ob ihr weiterhin erlaubt sein solle, zu lehren, wurde zunächst dem Páshá von Baghdád und dann der Zentralregierung unterbreitet; im Endergebnis wurde sie aufgefordert, den türkischen Boden zu verlassen." (A Travellern Narrative, Anm. Q, S. 310.)
8> Nach Muhammad Mustafa (S. 111) wurde Táhirih auf ihrem Weg von Khániqín (an der persischen Grenze) nach Kirmánsháh von folgenden Personen begleitet: Shaykh Sálih-i-Karímí, Shaykh Muhammad-i-Shibl, Shaykh Sultán-i-Karbilá'í, Siyyid Ahmad-i-Yazdi, Siyyid Muhammad-i-Báyigání, Siyyid Muhsin-i-Kázimí, Mulla Ibráhím-i-Mahallátí und etwa dreißig arabischen Gläubigen. Sie blieben drei Tage im Dorfe Karand, wo Táhirih furchtlos die Lehren des Báb verkündete und bei allen Bevölkerungsschichten mit großem Erfolg Interesse für die neue Offenbarung weckte. Es wird von tausendzweihundert Menschen berichtet, die sich erboten, ihr zu folgen und nach ihrem Befehl zu handeln.
9> Nach Muhammad Mustafa (S. 112) wurde ihr bei der Ankunft in Kirmánsháh ein begeisterter Empfang bereitet. Prinzen, 'Ulamás und Regierungsbeamte eilten herbei, sie zu besuchen, und waren tief beeindruckt von ihrer Redegewandtheit, ihrer Furchtlosigkeit, ihrem breiten Wissen und ihrem starken Charakter. Der vom Báb offenbarte Kommentar zur Surih Kawthar wurde öffentlich verlesen und übersetzt. Unter den Damen, die mit Táhirih zusammentrafen und hörten, wie sie die heiligen Lehren erklärte, war auch die Frau des Amirs, des Gouverneurs von Kirmánsháh. Der Amir und seine Familie erkannten die Wahrheit der Lehre und erklärten offen ihre Bewunderung und Liebe für Táhirih. Nach Muhammad Mustafa (S. 116) hielt sich Táhirih auf ihrem Weg nach Hamadán zwei Tage in dem Dorf Sahnih auf, wo ihr ein ebenso begeisterter Empfang bereitet wurde wie in Karand. Die Dorfbewohner baten darum, dass die Mitglieder ihrer Gemeinde zusammengerufen würden, um sich den Anhängern Táhirihs bei der Verbreitung und Förderung der Sache Gottes anzuschließen. Sie riet ihnen aber, dazubleiben, lobte und segnete ihre Bemühungen und begab sich nach Hamadán.
10' Nach Memorials o/the Faithful (S. 275)blieb Táhirih zwei Monate in Hamadán.
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Die beiden Wohnhäuser in Qazvin, wo Táhirih lebte

Die Bibliothek Táhirihs im Hause ihres Vaters in Qazvin
Ansehen zu untergraben, andere sahen sich veranlasst, öffentlich ihre Tugenden zu preisen und ihren Mut zu rühmen. „Es geziemt uns", so verkündeten diese Freunde von den Kanzeln herab, „ihrem edlen Beispiel zu folgen und sie ehrerbietig darum zu bitten, uns die Mysterien des Qur'án zu enthüllen und die schwierigen Stellen des heiligen Buches zu erklären, denn alles, was wir vermögen, ist nur ein Tropfen im Vergleich zu ihrem unermesslichen Wissen." Während Táhirih in Hamadán weilte, kamen Abgesandte ihres Vaters, Hájí Mulla Sálih, aus Qazvin zu ihr, um sie willkommen zu heißen und sie in seinem Namen dringend zu bitten, ihre Vaterstadt zu besuchen und dort längere Zeit bei ihnen zu bleiben.11' Ungern willigte sie ein. Vor ihrer Abreise bat sie diejenigen, die sie aus dem 'Iráq begleitet hatten, in ihre Heimat zurückzukehren. Dies waren unter anderen Shaykh Sultán, Shaykh Muhammad-i-Shibl und sein jugendlicher Sohn Muhammad Mustafa, 'Ábid und sein Sohn Násir, der später den Namen Hájí 'Abbás erhielt. Auch die Gefährten, die in Persien gelebt hatten, wie Siyyid Muhammad-i-Gulpáyigání, dessen Schriftstellername Tá'ir war und den Táhirih Fata'l-Malfli nannte, und andere, wurden
11) Nach Muhammad Mustafa (S. 117) waren unter den Abgesandten aus Qazvin auch die Brüder Táhirihs.
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gebeten, in ihre jeweilige Heimat zurückzukehren. Nur zwei ihrer Gefährten blieben bei ihr, Shaykh §alih und Mulla Ibráhím-i-Gulpáyigání - beide leerten den Kelch des Märtyrertums, der erste in Tihrán, der andere in Qazvin. Von ihren eigenen Verwandten begleiteten sie auf dem Weg von Karbilá nach Qazvin Mírzá Muhammad-'Alí, ein Buchstabe des Lebendigen und zugleich ihr Schwager, sowie Siyyid 'Abdul-Hádí, der ERemann ihrer Tochter.
Bei ihrer Ankunft im Hause ihres Vaters sandte ihr Vetter, der hochfahrende und falsche Mulla Muhammad, der Sohn des Mulla Taqi, der sich nächst seinem Vater und seinem Onkel für den vollkommensten aller Mujtahids von Persien hielt, einige Damen seines Haushalts zu Táhirih, um sie zu überreden, von ihres Vaters Haus in sein eigenes überzusiedeln. »Sagt meinem überheblichen, anmaßenden Verwandten", war ihre kühne Antwort an die Boten: „ ,Wenn du wirklich den Wunsch gehabt hättest, mir ein aufrichtiger Gatte und Gefährte zu sein, dann wärst du eilends zu mir nach Karbilá gekommen und hättest zu Fuß meine Howdah12) auf dem Weg nach Qazvin begleitet. Ich hätte dich auf dieser Reise aus dem Schlaf der Nachlässigkeit aufgerüttelt und dir den Weg der Wahrheit gezeigt. Doch es sollte nicht sein. Drei Jahre sind seit unserer Trennung vergangen. Weder in dieser noch in der nächsten Welt kann ich je mit dir vereinigt sein. Ich habe dich für immer aus meinem Leben ausgeschlossen.'"
Diese harte, unversöhnliche Erwiderung brachte Mulla Muhammad und seinen Vater zu Wutausbrüchen. Sie erklärten sie unverzüglich zur Ketzerin und wühlten Tag und Nacht, ihre Stellung zu untergraben und ihren Ruf in den Schmutz zu ziehen. Táhirih verteidigte sich heftig und fuhr fort, die charakterliche Verderbtheit der beiden bloßzustellen.13* Dir Vater, ein friedhebender, feinsinniger Mann, bedauerte diesen scharfen Wortstreit; er bemühte sich um eine Aussöhnung und um Harmonie, doch vergebens.
Dieses gespannte Verhältnis hielt an bis zu der Zeit, da ein gewisser Mulla 'Abdullah aus Shíráz, ein glühender Verehrer von Shaykh Ahmad und Siyyid Käzim, zu Beginn des Monats Ramadan im Jahr 1263 n.d.H.14) in Qazvin ein-
12> Sänfte.
13> „Wie konnte eine Frau, ein in Persien doch so schwaches Geschöpf, und dazu in einer Stadt wie Qazvin, wo die Geistlichkeit so starken Einfluss besitzt, wo die 'Ulamás durch ihre große Anzahl und Bedeutung die Aufmerksamkeit der Regierung und der Bevölkerung auf sich ziehen, wie ist es möglich, dass unter derart widrigen Umständen eine Frau eine so mächtige Partei von Ketzern organisieren konnte? Das ist eine Frage, die sogar den persischen Historiker Sipihr etwas aus der Fassung bringt; dies war tatsächlich ohne Beispiel in der Vergangenheit." (Journal Asiatique, 1866, Band 7, S. 474.)
14> 13. August - 12. September 1847 n.Chr.
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traf. Später hat dieser Mulla 'Abdullah im Verlauf seines Verhörs in Tihrán in Gegenwart des Sáhib-Díván folgendes berichtet: „Ich war noch kein überzeugter Bábí. Als ich in Qazvin ankam, war ich auf dem Weg nach Máh-Kú, wo ich den Báb besuchen und Seine Lehre erforschen wollte. Bei meiner Ankunft in Qazvin wurde ich gewahr, dass sich die Stadt in großem Aufruhr befand. Als ich über den Marktplatz ging, sah ich eine Gruppe von Rohlingen, wie sie einem Mann seine Kopfbedeckung und seine Schuhe entrissen und ihn an seinem Turban, den sie ihm um den Hals geschlungen hatten, durch die Straßen zerrten. Eine wütende Menge plagte ihn mit Drohungen, Schlägen und Flüchen. Auf meine Frage bekam ich zur Antwort: ,Seine unverzeihliche Schuld ist, dass er es gewagt hat, öffentlich die Tugenden von Shaykh Ahmad und Siyyid Kázim zu preisen. Darum hat ihn Hájí Mulla Taqi, der Hujjatu'1-Islám, zum Ketzer erklärt und seine Verstoßung aus der Stadt befohlen/
Ich wunderte mich über diese Erklärung. Wie kann ein Shaykhi, dachte ich bei mir, als Ketzer betrachtet und so grausam behandelt werden? In dem Verlangen, von Mulla Taqi selbst Aufschluss darüber zu erhalten, begab ich mich zu seiner Schule und fragte ihn, ob er wirklich ein derartiges Urteil ausgesprochen habe. Ja', antwortete er grob, ,an den Gott, den der verstorbene Shaykh Ahmad-i-Bahrayni verehrt hat, kann ich nicht glauben. Für mich sind er und seine Anhänger Verkörperungen des Irrtums.' Ich fühlte mich in diesem Augenblick versucht, ihm vor seinen versammelten Schülern ins Gesicht zu schlagen. Ich beherrschte mich aber und schwor mir, ihm eines Tages, so Gott will, mit dem Spieß die Lippen zu durchbohren, damit er nie mehr eine derartige Gotteslästerung aussprechen kann.
Ich ließ ihn stehen und lenkte meine Schritte wieder zum Marktplatz, wo ich einen Dolch und eine Lanzenspitze aus bestem, schärfstem Stahl kaufte. Ich verbarg sie im Gewand, bereit, meinen brennenden Zorn zu befriedigen. Ich wartete auf meine Gelegenheit, als ich eines Abends die Moschee betrat, in der er das gemeinsame Gebet zu leiten pflegte. Ich wartete bis zum Morgengrauen. Da sah ich, wie eine alte Frau in die Moschee hereinkam. Sie trug einen Teppich bei sich, den sie im Mihráb15' auf dem Boden ausbreitete. Kurz darauf sah ich Mulla Taqi hereinkommen. Er war allein, ging zum Mihráb und verrichtete sein Gebet. Ich folgte ihm vorsichtig und leise und blieb hinter ihm stehen. Als er sich am Boden niederbeugte, stürzte ich mich auf ihn, zog meine Lanzenspitze und bohrte sie ihm in den Nacken. Er stieß einen lauten Schrei aus. Ich warf ihn auf den Rücken, zog meinen Dolch und stieß ihn ihm
15> Die vornehmste Stelle in einer Moschee; dort betet der Imam, das Gesicht nach Mekka gewandt.
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bis zum Heft in den Mund. Mit demselben Dolch stach ich ihm an verschiedenen Stellen in die Brust und die Seite und ließ ihn blutend im Mihráb liegen.
Ich kletterte sofort auf das Dach der Moschee und beobachtete die rasende Wut der Menge. Die Leute kamen herein, legten ihn auf eine Bahre und brachten ihn nach Hause. Da sie den Mörder nicht ausmachen konnten, nahmen sie die Gelegenheit wahr und ließen ihren niedersten Instinkten Lauf. Sie sprangen sich gegenseitig an die Kehle, griffen einander wütend an und beschuldigten sich gegenseitig vor dem Gouverneur. Als ich merkte, wie zahlreiche Unschuldige schwer belästigt und ins Gefängnis geworfen wurden, trieb mich die Stimme des Gewissens, meine Tat einzugestehen. Ich suchte deshalb den Gouverneur auf und sprach zu ihm: ,Wenn ich Ihnen den Stifter dieses Mordes in die Hand gebe, wollen Sie mir dann versprechen, all die Unschuldigen, die an seiner Stelle leiden, freizulassen?' Sowie ich von ihm die nötige Zusicherung hatte, gestand ich ihm, dass ich die Tat begangen hätte. Er wollte mir zuerst nicht glauben. Auf meine Bitte ließ er die alte Frau kommen, die den Teppich im Mihráb ausgebreitet hatte, ließ sich aber auch durch ihre Aussage nicht überzeugen. Schließlich wurde ich an das Lager des Mulla Taqi geführt, der in den letzten Zügen lag. Als er mich sah, erkannte er mich sofort wieder. Erregt deutete er mit dem Finger auf mich und zeigte damit an, dass ich der Angreifer war. Er gab seinen Wunsch zu erkennen, dass man mich ihm aus den Augen brächte. Kurz darauf starb er. Ich war des Mordes überführt, wurde sofort festgenommen und ins Gefängnis geworfen. Der Gouverneur löste jedoch sein Versprechen nicht ein, er gab die Gefangenen nicht frei."
Die freimütige Aufrichtigkeit des Mulla 'Abdullah gefiel dem Sáhib-Díván sehr. Er gab seinen Wachen die geheime Anweisung, ihm Gelegenheit zur Flucht aus dem Gefängnis zu geben. Um Mitternacht nahm der Gefangene Zuflucht im Haus des Ridá-Khán-i-Sardár, der vor kurzem die Schwester des Sipah-Sálár geheiratet hatte, und hielt sich in diesem Haus verborgen bis zu dem großen Kampf von Shaykh Tabarsi, wo er sein Schicksal mit dem der heldenhaften Verteidiger der Festung zu vereinigen beschloss. Er wie auch Ridá-Khán, der ihm nach Mázindarán folgte, erlitten schließlich den Märtyrertod.
Die Begleitumstände des Mordes versetzten die Erben des Mulla Taqi in rasende Wut. Sie beschlossen, sich an Táhirih zu rächen. Es gelang ihnen, sie im Haus ihres Vaters streng gefangenzuhalten. Die zu ihrer Bewachung ausgewählten Frauen wurden angehalten, ihrer Gefangenen nicht zu erlauben, ihr Zimmer zu verlassen, außer zu ihren täglichen Waschungen. Man beschuldigte sie, das Verbrechen angestiftet zu haben. „Nur du bist schuld an der Ermordung unseres Vaters", behaupteten sie. „Du hast den Auftrag gegeben, ihn umzubringen." Die man verhaftet und eingesperrt hatte, wurden nach
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Tihrán gebracht und im Haus eines Kad-khudás16' gefangengesetzt. Die Freunde und Erben des Mulla Taqi verstreuten sich in alle Richtungen, beschuldigten die Gefangenen, sie verwürfen das islamische Gesetz, und forderten, dass sie unverzüglich getötet würden.
Bahá'u'lláh, der zu dieser Zeit in Tihrán wohnte, hörte von der Not dieser Gefangenen,'Tahirihs Gefährten und Helfer. Da Er den Kad-khudá, in dessen Haus sie eingekerkert waren, kannte, beschloss Er, sie zu besuchen und sich für sie zu verwenden. Der habgierige, hinterlistige Beamte kannte Bahá'u'lláhs unübertreffliche Großzügigkeit sehr wohl und hoffte, einen ansehnlichen Vermögensvorteil für sich zu gewinnen. Deshalb übertrieb er das Missgeschick dieser unglücklichen Gefangenen. „Es fehlt ihnen am AIlernötigsten zum Leben", mahnte der Kad-khudá. „Sie hungern nach Nahrung, und ihre Kleidung ist zum Erbarmen dürftig." Bahá'u'lláh gewährte sofort finanzielle Hilfe zu ihrer Unterstützung und drängte den Kad-khudá, die harten Bedingungen, unter denen sie gefangengehalten wurden, zu mildern. Dieser erklärte sich bereit, einige, die die drückende Last ihrer Ketten nicht ertragen konnten, zu entlasten und für die übrigen zu tun, was er könne, um ihnen die strenge Haft zu erleichtern. Von Habgier aufgereizt, unterrichtete er seinen Vorgesetzten über die Lage und hob hervor, dass Bahá'u'lláh regelmäßig für Nahrung und Geld zugunsten der Gefangenen in seinem Hause sorge.
Diese Beamten waren ihrerseits versucht, aus Bahá'u'lláhs Großzügigkeit den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. Sie befahlen Ihn zu sich, protestierten gegen Seine Handlungsweise und bezichtigten Ihn der Mitschuld an der Tat, deretwegen die Gefangenen verurteilt worden waren. »Der Kad-khudá", erwiderte Bahá'u'lláh, „hat sich für ihre Sache bei Mir eingesetzt und über ihre Leiden und Nöte verbreitet. Er selbst hat ihre Unschuld bezeugt und Mich zur Hilfe aufgefordert. Als Antwort für die Hilfe, die Ich auf seine Aufforderung hin zu gewähren gedrängt war, belastet ihr Mich mit einem Verbrechen, an dem Ich unschuldig bin." Sie hofften, Bahá'u'lláh durch die Androhung sofortiger Bestrafung einschüchtern zu können, und erlaubten Ihm nicht, in Seine Wohnung zurückzukehren. Diese Haft war die erste Heimsuchung, die Bahá'u'lláh auf dem Pfade der Sache Gottes widerfuhr, die erste Gefangenschaft, die Er um Seiner Geliebten willen erduldete. Er blieb einige Tage in Haft, bis Ja'far-Quli Khan, der Bruder des Mírzá Áqá Khán-i-Núrí, der später zum Großwesir des Sháh ernannt wurde, und eine Anzahl anderer Freunde sich für Ihn einsetzten, dem Kad-khudá mit scharfen Worten drohten und Bahá'u'lláhs Freilassung bewirken konnten. Diejenigen, die für Seine Haft ver-
'*) Hauptmann einer Wache oder eines Stadtbezirks; Dorfoberhaupt.
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antwortlich waren, hatten dreist gehofft, zum Dank für Seine Freilassung tausend Túmán17> zu erhalten, mussten jedoch bald erkennen, dass sie den Wünschen Ja'far-Quli Khans nachzukommen hatten, ohne die geringste Zuwendung von ihm oder von Bahá'u'lláh erhoffen zu können. Unter vielen Entschuldigungen und mit größtem Bedauern gaben sie ihm den Gefangenen heraus.
Inzwischen setzten die Erben des Mulla Taqi alles daran, das Blut ihres angesehenen Verwandten zu rächen. Unzufrieden mit dem, was sie bisher erreicht hatten, beschwerten sie sich bei Muhammad Sháh und versuchten, ihn für ihre Sache zu gewinnen. Der Sháh soll darauf zur Antwort gegeben haben: „Euer Vater Mulla Taqi konnte sicher nicht den Anspruch erheben, höher zu stehen als der Imam 'Ali, der Gebieter der Gläubigen. Hat dieser nicht seine Schüler gelehrt, dass, fiele er dem Schwert des Ibn-i-Muljam zum Opfer, allein der Mörder für seine Tat mit dem Leben büßen, kein anderer als er mit dem Tod bestraft werden sollte? Warum sollte der Mord an eurem Vater nicht auf ähnliche Weise gerächt werden? Nennt mir seinen Mörder, und ich will Befehl geben, dass er euch ausgeliefert werde, damit ihr die verdiente Strafe an ihm vollziehen könnt."
Die unbeugsame Haltung des Sháhs zwang sie, alle Hoffnungen fahren zu lassen. Sie erklärten Shaykh Sálih zum Mörder ihres Vaters, bewirkten seine Festnahme und brachten ihn schmählich um. Er war der erste, der auf persischem Boden sein Blut auf dem Pfade der Sache Gottes vergoss, der erste jener ruhmreichen Schar, der es bestimmt war, den Triumph des heiligen Gottesglaubens mit ihrem Blut zu besiegeln. Als er zum Schauplatz seines Märtyrertodes geführt wurde, glühte sein Anditz vor Freude und Begeisterung. Er eilte zum Galgen und begrüßte seinen Henker wie einen lieben alten Freund. Von seinen Lippen strömten unablässig Worte des Triumphes und der Hoffnung. „Was die Menschen erhoffen und glauben", rief er, als sein Ende nahte, voll Jubel, „habe ich dahingegeben in dem Augenblick, da ich Dich erkannt habe, der Du meine Hoffnung und mein Glaube bist!" Seine Überreste wurden im Hof des Schreins von Imám-Zádih Zayd in Tihrán beigesetzt.
Der unersättliche Haß, von dem die für den Märtyrertod von Shaykh Sálih Verantwortlichen erfüllt waren, trieb sie, nach anderen Werkzeugen für ihre Zwecke zu suchen. Hájí Mírzá Áqásí, den der Sáhib-Díván von der Heimtücke im Verhalten der Erben des Mulla Taqi überzeugen konnte, wies ihr Ansinnen zurück. Durch diese Zurückweisung nicht abgeschreckt, übergaben sie ihre Angelegenheit dem Sadr-i-Ardibili, einem für seine Anmaßung be-
17> Währungseinheit, etwa dem Dollar entsprechend. 312

rüchtigten Mann, einem der hoffärtigsten geistlichen Führer Persiens. „Sieh", sprachen sie, „welch ein Schimpf denen angetan wird, deren höchste Aufgabe es ist, über die Unverletzbarkeit des Gesetzes zu wachen. Wie kannst du als erster Verfechter und berühmter Repräsentant dieses Gesetzes einen so schweren Angriff auf seine Würde ungesühnt lassen? Bist du wirklich unfähig, das Blut jenes hingeschlachteten Dieners des Propheten Gottes zu rächen? Erkennst du nicht, dass die Duldung eines so verruchten Verbrechens eine Flut von Verleumdungen gegen die Hochburgen der Lehren und Grundsätze unseres Glaubens auslösen würde? Wird dein Schweigen nicht die Feinde des Islams dazu ermutigen, den Bau, den du mit eigenen Händen errichtet hast, zu erschüttern? Und wird am Ende nicht dein eigenes Leben in Gefahr kommen?"
Der Sadr-i-Ardibüli war heftig aufgeschreckt, und in seinem Unvermögen suchte er seinen Herrscher zu täuschen. Er richtete folgende Bitte an Muhammad Sháh: „Ich möchte Eure Majestät ergebenst bitten, den Gefangenen zu gestatten, die Erben dieses getöteten Führers bei ihrer Rückkehr nach Qazvin zu begleiten, damit diese ihnen aus eigenem Antrieb die Tat öffentlich vergeben und ihnen zur Freiheit verhelfen können. Eine solche Geste von ihrer Seite würde ihre Lage erheblich verbessern und ihnen die Achtung ihrer Landsleute wieder gewinnen." Der Sháh ahnte nichts von den bösen Absichten dieses verschlagenen Ränkeschmieds und gewährte ihm die Bitte unter der ausdrücklichen Bedingung, dass ihm von Qazvin aus schriftlich bestätigt würde, dass die Gefangenen sich nach ihrer Freilassung in zufriedenstellendem Zustand befänden und ihnen auch in Zukunft nichts Derartiges mehr widerführe.
Kaum waren die Gefangenen den Unheilstiftern in die Hände gefallen, als diese auch schon anfingen, ihren unversöhnlichen Haß an ihnen auszulassen. In der ersten Nacht nach der Auslieferung an die Feinde wurde Hájí Asadu'lláh, der Bruder des Hájí Alláh-Vardi und Onkel väterlicherseits von Muhammad-Hádí und Muhammad-Javád-i-Farhádí, ein bekannter Kaufmann aus Qazvin, der für seine Frömmigkeit und Aufrichtigkeit ebenso hoch angesehen war wie sein berühmter Bruder, erbarmungslos getötet. Weil sie wussten, dass sie die ihm zugedachte Strafe nicht in seiner Vaterstadt vollziehen konnten, beschlossen sie, ihn noch in Tihrán ums Leben zu bringen, auf eine Art, die einen Mordverdacht von ihnen fernhalten sollte. Um Mitternacht begingen sie die schändliche Tat und verkündeten am andern Morgen, dass Krankheit seinen Tod verursacht hätte. Seine Freunde und Verwandten, größtenteils aus Qazvin gebürtig, waren nicht in der Lage, das Verbrechen aufzudecken, das dieses edle Leben ausgelöscht hatte, und bereiteten ihm ein standesgemäßes Begräbnis.
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Die übrigen Gefährten, darunter Mulla Táhir-i-Shírází und Mulla Ibráhím-i-Mahallátí, beide ob ihrer Gelehrsamkeit und ihres Charakters hoch geachtet, wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Qazvin auf grausame Weise umgebracht. Pie ganze Einwohnerschaft, die schon im voraus eifrig aufgehetzt worden war, schrie nach ihrer sofortigen Hinrichtung. Eine Bande zügelloser Schurken fiel mit Messern, Spießen und Axtin über sie her und riss sie in Stücke. Sie verstümmelten ihre Leiber mit einer so wilden Roheit, dass man von ihren verstreuten Gliedern kein Stück mehr für eine Bestattung fand.
Gnädiger Gott! In einer Stadt wie Qazvin, die sich rühmt, mehr als hundert höchste geistliche Würdenträger des Islams in ihren Toren zu beherbergen, wurden Taten von so unglaublicher Grausamkeit begangen, und keiner von all ihren Einwohnern war da, um seine Stimme zum Protest gegen die empörenden Morde zu erheben! Niemand schien das Recht zu so frevelhaften, schändlichen Taten in Frage zu stellen. Niemand schien zu merken, wie unvereinbar diese grausamen Taten, begangen von denen, die den Anspruch erhoben, die alleinigen Bewahrer der Mysterien des Islams zu sein, mit dem vorbildlichen Verhalten derer waren, die als erste sein Licht in der Welt kundtaten. Niemand ließ sich zu dem empörten Aufschrei bewegen: „O böses, verderbtes Geschlecht! Zu welchen Tiefen der Gemeinheit und Schändlichkeit seid ihr herabgesunken! Haben nicht die Greuel, die ihr begingt, die Taten der niedrigsten Menschen an Ruchlosigkeit übertroffen? Wollt ihr nicht sehen, dass weder die Tiere auf dem Felde noch andere Lebewesen auf Erden je so grausam gehandelt haben wie ihr? Wie lange soll eure Achtlosigkeit währen? Glaubt ihr nicht, dass die Wirksamkeit des gemeinsamen Gebets von der Rechtschaffenheit dessen abhängt, der dieses Gebet leitet? Habt ihr nicht immer wieder erklärt, dass ein solches Gebet vor Gott keine Gnade findet, wenn der Imam, der die Versammlung leitet, sein Herz nicht von jeder Spur von Bosheit gereinigt hat? Und doch betrachtet ihr die Anstifter und Helfershelfer bei derartigen Scheußlichkeiten als die wahren Führer eures Glaubens, als Verkörperungen der Redlichkeit und Rechtschaffenheit. Habt ihr ihnen nicht die Zügel eurer Sache in die Hand gegeben und sie als die Herren eures Geschicks betrachtet?"
Die Kunde von dieser Gewalttat drang nach Tihran und verbreitete sich mit Windeseile in der ganzen Stadt. Hájí Mírzá Aqásí protestierte heftig. „Welche Stelle im Qur'án", soll er ausgerufen haben, „welche Überlieferung* von Muhammad rechtfertigt das Blutbad unter so vielen Menschen als Rache für den Mord an einem einzigen?" Auch Muhammad Sháh brachte ausdrücklich seine Missbilligung des heimtückischen Verhaltens des Sadr-i-Ardibüi und seiner Spießgesellen zum Ausdruck. Er brandmarkte seine Feigheit, verbannte
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ihn aus der Hauptstadt und verdammte ihn zu einem zurückgezogenen Leben in Qum. Dass er aus dem Amt gejagt wurde, gefiel dem Großwesir sehr, hatte er doch bislang vergeblich an seinem Sturz gearbeitet, und seine plötzliche Ausweisung aus Tihrán befreite ihn von den Befürchtungen, die seine wachsende Macht hervorgerufen hatte. Dass er selbst das Blutbad von Qazvin ablehnte, ging nicht so sehr auf seine Sympathie mit der Sache der schutzlosen Opfer zurück, als vielmehr auf seine Hoffnung, den Sadr-i-Ardibili in Úngele-genheiten verstrickt zu sehen, die ihn in den Augen seines Herrschers unweigerlich in Ungnade fallen ließen.
Dass der Sháh und seine Regierung es unterließen, die Missetäter sofort zu bestrafen, ermutigte diese dazu, nach weiteren Mitteln zur Befriedigung ihres unversöhnlichen Hasses gegen ihre Widersacher zu suchen. Sie lenkten nun ihre Aufmerksamkeit auf Táhirih und beschlossen, dass sie von ihren Händen dasselbe Schicksal erleiden sollte wie ihre Gefährten. Während sie noch in Haft war, sandte Táhirih, als sie von den Absichten ihrer Feinde erfuhr, folgende Botschaft an Mulla Muhammad, der der Amtsnachfolger seines Vaters geworden war und als der Imám-Jum'ih von Qazvin galt: „ , Wohl möchten sie gern mit ihrem Mund das Licht Gottes ausblasen, aber Gott wünscht nur Sein Licht zu vollenden, wenn auch die Ungetreuen es hassen.'18' Wenn meine Sache die Sache der Wahrheit ist, wenn der Herr, den ich anbete, kein anderer ist als der eine wahre Gott, dann wird Er mich, ehe neun Tage um sind, vom Joch eurer Tyrannei befreien. Befreit Er mich nicht, dann steht es euch frei zu tun, wie es euch beliebt. Ihr hättet unwiderruflich die Irrigkeit meines Glaubens erwiesen." Mulla Muhammad erkannte wohl sein Unvermögen, eine so kühne Herausforderung anzunehmen, er entschied sich dafür, ihre Botschaft gänzlich unbeachtet zu lassen, und versuchte verschlagen mit allen Mitteln, zu seinem Ziel zu kommen.
In jenen Tagen brachte Bahá'u'lláh, noch ehe die von Táhirih für ihre Befreiung angesetzte Stunde schlug, Seinen Wunsch zum Ausdruck, sie aus ihrer Gefangenschaft zu erlösen und nach Tihrán zu bringen. Er beschloss, die Wahrheit ihrer Worte in den Augen des Gegners zu beweisen und die Ränke, welche die Feinde zu ihrem Tod geschmiedet hatten, zu vereiteln. Muhammad Hádíy-i-Farhádí wurde darum zu Ihm gerufen und mit der Aufgabe betraut, sie sofort in Sein Haus nach Tihrán zu bringen. Muhammad-Hádí wurde angewiesen, seiner Frau Khátún-Ján einen versiegelten Brief zu geben mit dem Auftrag, sie solle, als Bettlerin verkleidet, zu dem Haus gehen, wo Táhirih gefangengehalten wurde, ihr, den Brief aushändigen, am Hauseingang warten,
»« Qur'án 9:33.
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bis sie zu ihr herauskäme, und dann mit ihr wegeilen und sie seiner Obhut übergeben. „Sobald Táhirih bei dir ist", drängte Bahá'u'lláh den Boten, „brich sofort auf nach Tihrán. Heute nacht werde Ich einen Diener mit drei Pferden in die Nähe des Qazviner Tores schicken. Diese wirst du mitnehmen und an einen bestimmten Platz außerhalb der Mauern von Qazvin aufstellen. Du wirst Táhirih dorthin führen, die Pferde besteigen und auf einer wenig benützten Strecke versuchen, bei Tagesanbruch die Hauptstadt zu erreichen. Sobald die Tore geöffnet werden, musst du in die Stadt kommen und sofort zu Meinem Haus gehen. Lass größte Vorsicht walten, damit Táhirih nicht erkannt wird. Der Allmächtige wird gewisslich deine Schritte lenken und dich mit Seiner nie versagenden Hilfe umgeben."
Gestärkt durch Bahá'u'lláhs Zusicherung, ging Muhammad-Hádí sogleich ans Werk, die erhaltenen Weisungen auszuführen. Ohne auf Hindernisse zu stoßen, entledigte er sich seiner Aufgabe geschickt und zuverlässig und konnte Táhirih wohlbehalten zur festgesetzten Stunde in das Haus seines Herrn führen. Ihr plötzliches, geheimnisvolles Verschwinden aus Qazvin brachte ihre Freunde und Feinde in Verwirrung. Die ganze Nacht durchsuchten sie die Häuser und konnten sie nirgends finden. Dass sich ihre Vorhersage erfüllt hatte, verblüffte selbst die misstrauischsten unter ihren Gegnern. Einige sahen sich veranlasst, das übernatürliche Wesen des Glaubens, den sie angenommen hatte, einzusehen, und fügten sich willig seinen Forderungen. Ihr Bruder Mírzá 'Abdu'l-Vahháb bekannte sich von diesem Tag an zur Wahrheit der Offenbarung, verfehlte es aber in der Folgezeit, die Aufrichtigkeit seines Glaubens durch Taten zu beweisen.19'
Zur Stunde, die Táhirih für ihre Befreiung angesetzt hatte, stand sie schon sicher behütet unter dem schirmenden Schutz Bahá'u'lláhs. Sie wusste wohl, in wessen Gegenwart man sie gebracht hatte, und war sich der Heiligkeit dieser Gastfreundschaft, die ihr so gütig gewährt war, zutiefst bewusst.20' So, wie sie
1?) Nach Kashfu'l-Qfritä' (S. 110) berichtet Mulla Ja'far-i-Vá'iz-i-Qazvmí, wie Mulla Husayn Táhirih begegnet im Haus von Áqá Hádí - vermutlich der Muhammad Hádíy-i-Farhádí, den Bahá'u'lláh beauftragt hatte, Táhirih nach Tihrán zu geleiten. Diese Begegnung soll vor der Ermordung Mulla Taqis stattgefunden haben.
20) 'Abdu'1-Bahá beschreibt in Memorials of the Faith/ul (S. 306), unter welchen Umständen Vahíd Táhirih im Hause Bahá'u'lláhs in Tihrán besuchte. Er schreibt: „Táhirih hörte ihn (VaMd) hinter dem Schleier an. Ich war damals ein Kind und saß auf ihrem Schoß. In feuriger Rede sprach Vahíd weitläufig über die Zeichen und Verse, die das Kommen der neuen Manifestation bezeugen. Plötzlich unterbrach sie ihn und erklärte mit leidenschaftlich erhobener Stimme: ,0 Yahyá! Lass Taten, nicht Worte, Zeugnis für deinen Glauben ablegen, wenn du ein wahrhaft Gelehrter bist! Höre auf, die Überlieferungen der Vergangenheit müßig aufzusagen, denn der Tag
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den vom Báb verkündeten Glauben annahm, als sie von selbst und unaufgefordert Seine Botschaft begrüßte und ihre Wahrheit erkannte, so erkannte sie intuitiv auch Bahá'u'lláhs künftige Herrlichkeit. Schon im Jahr 60 in Karbilá spielte sie in ihren Oden auf die erkannte Wahrheit an, die Er offenbaren sollte. Ich selbst durfte in Tihrán im Hause Siyyid Muhammads, den Táhirih Fata'l-Malfli nannte, die Verse sehen, die sie mit eigener Hand niedergeschrieben hatte, - jeder Buchstabe ein beredtes Zeugnis ihres Glaubens an die erhabene Sendung des Báb und Bahá'u'lláhs. In dieser Ode kommt der Vers vor: „Der Abha-Schönheit Strahlenglanz bricht durch den Schleier der Nacht; sieh, wie die Seelen derer, die Ihn Heben, den Faltern gleich um das Licht tanzen, das aus Seinem Antlitz leuchtet!" Es war ihr unerschütterliches Vertrauen auf die unbesiegbare Macht Bahá'u'lláhs, was sie veranlasst hat, so zuversichtlich ihre Vorhersage zu äußern und den Feinden ihre Herausforderung so kühn ins Gesicht zu schleudern. Der unverrückbare Glaube an die unfehlbare Wirksamkeit jener Kraft sollte sie dazu bewegen, in den dunkelsten Stunden ihrer Gefangenschaft mit Mut und Gewissheit von ihrem baldigen Sieg zu sprechen.
Wenige Tage nach Táhirihs Ankunft in Tihrán beschloss Bahá'u'lláh, sie nach Khurásán zu senden, in Begleitung der Gläubigen, die zum Aufbruch nach dieser Provinz rüsteten. Auch Er hatte beschlossen, die Hauptstadt zu verlassen und einige Tage später in dieselbe Richtung zu reisen. Er rief darum Áqáy-i-Kalím zu sich und wies ihn an, sofort die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um Táhirih und ihre Dienerin Qánitih an einen Ort außerhalb des Stadttors zu verbringen, von wo aus sie später nach Khurásán reisen sollten. Er legte ihm äußerste Vorsicht und Wachsamkeit ans Herz, damit die am Stadttor postierten Wachen, die den Befehl hatten, keine Frau ohne Genehmigung passieren zu lassen, sie nicht erkennen und an der Abreise hindern konnten.
Ich habe Áqáy-i-Kalím folgendes berichten hören: „Im Vertrauen auf Gott ritten wir hinaus, Táhirih, ihre Begleiterin und ich, und begaben uns an einen Platz in der Umgebung der Stadt. Die Wächter am Shimírán-Tor schöpften nicht den geringsten Verdacht und fragten nicht nach unserem Ziel. Zwei Farsang21) von der Hauptstadt entfernt hielten wir in einem Obstgarten, der am Fuß eines Berges gelegen und reich bewässert war, und in dessen Mitte ein Haus stand, welches völlig verlassen schien. Als ich umherging, um nach dem
des Dienstes, der standhaften Tat, ist angebrochen. Jetzt ist es an der Zeit, die wahren Zeichen Gottes hervorzukehren, die Schleier eitlen Wahns zu zerreißen, das Wort Gottes zu verkünden und uns selbst auf Seinem Pfad zu opfern. Lass Taten, nicht Worte, unsere Zierde seinl'^ 21) ein Farsang entspricht etwa 4,5-6 km, siehe Worterklärung im Anhang.
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Besitzer zu suchen, traf ich einen alten Mann, der seine Pflanzen goss. Auf meine Frage erklärte er mir, dass zwischen dem Eigentümer und seinen Pächtern Streit ausgebrochen sei, worauf diese den Platz verlassen hätten. ,Der Eigentümer', fügte er hinzu, ,hat mich beauftragt, bis zur Schlichtung des Streites über diesen Besitz zu wachen.' Ich war hoch erfreut über diese Auskunft und lud ihn ein, das Essen mit uns zu teilen. Als ith später wieder nach Tihrán aufbrach, war er bereit, für Táhirih und ihre Begleiterin zu sorgen und sie zu beschützen. Ich gab sie in seine Obhut und versprach ihm, entweder selbst am Abend zurückzukommen oder einen vertrauenswürdigen Gefährten zu schicken und am andern Morgen mit allem Nötigen für die Reise nach Khurásán nachzukommen.
Nach meiner Ankunft in Tihrán entsandte ich Mulla Báqir, einen Buchstaben des Lebendigen, zusammen mit einem Diener zu Táhirih. Ich unterrichtete Bahá'u'lláh über ihre ungestörte Abreise aus der Hauptstadt. Er war sehr erfreut über die Nachricht, die ich Ihm brachte, und nannte jenen Garten ,Bágh-i-Jannat'22). ,Dieses Haus', bemerkte Er, ,war durch göttliche Fügung für eure Aufnahme bereitet, damit ihr darin die Geliebten Gottes beherberget.'
Sieben Tage blieb Táhirih dort, dann brach sie in Begleitung von Muhammad-Hasan-i-Qazvini, genannt Fatá, und einigen anderen auf nach Khurásán. Ich war von Bahá'u'lláh damit beauftragt, ihre Abreise vorzubereiten und für alles zu sorgen, was für ihre Reise erforderlich war*"
**' „Ganen des Paradieses".
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Sechzehntes Kapitel DIE KONFERENZ VON BADASHT
Bald nachdem sich Táhirih auf die Reise begeben hatte, wies Bahá'u'lláh Áqáy-i-Kalím an, die nötigen Vorbereitungen für Seine geplante Reise nach Khurásán abzuschließen. Er übergab ihm Seine Familie zur Obhut und bat ihn, für ihr Wohl und ihre Sicherheit zu sorgen.
In Sháh-Rúd traf Er Quddús, der, als er von Bahá'u'lláhs baldiger Ankunft gehört hatte, von seinem Aufenthaltsort Mashhad sofort herbeigeeilt war, um Ihn zu begrüßen. Die ganze Provinz Khurásán befand sich in jenen Tagen in heftigem Aufruhr. Die Tätigkeiten, die Quddús und Mulla Husayn entfaltet hatten, ihr Eifer, ihr Mut, ihre beredte Sprache hatten die Bevölkerung aus ihrer Teilnahmslosigkeit aufgerüttelt, hatten in den Herzen der einen die edelsten Regungen des Glaubens und der Hingabe erweckt und im Busen der anderen leidenschaftlichen Fanatismus und Bosheit wachgerufen. Eine Menge Suchender strömte unaufhörlich aus allen Richtungen nach Mashhad, strebte eifrig zur Wohnung von Mulla Husayn und gelangte durch ihn zu Quddús.
Ihre Zahl nahm bald derart zu, dass die Behörden Verdacht schöpften. Der Polizeichef beobachtete mit Sorge und Unbehagen die Mengen erregter Menschen, die pausenlos durch alle Bezirke der heiligen Stadt strömten. Bestrebt, seine Rechte zu wahren, Mulla Husayn einzuschüchtern und ihn zu veranlassen, seine Tätigkeiten einzuschränken, gab er den Befehl, dessen persönlichen Diener Hasan sofort festzunehmen und einer grausamen, schändlichen Behandlung zu unterziehen. Sie durchbohrten ihm die Nase, zogen eine Schnur durch die Öffnung und führten ihn an diesem Halfter zur Schau durch die Straßen.
Mulla Husayn war bei Quddús, als ihn die Nachricht von der schimpflichen Schmach erreichte, die seinem Diener widerfuhr. Damit die traurige Kunde nicht seinem geliebten Herrn das Herz betrübe, erhob er sich und zog sich still
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zurück. Alsbald scharten sich seine Gefährten um ihn, brachten ihre Entrüstung über den schändlichen Angriff auf einen unschuldigen Anhänger ihres Glaubens zum Ausdruck und drängten ihn, diese Kränkung zu rächen. Mulla Husayn suchte ihren Zorn zu dämpfen. „Lasst euch durch die Schmach, die Hasan widerfuhr, nicht betrüben und aufregen", sprach er, „denn Husayn ist noch mit euch und wird ihn morgen sicher in eure Hände zurückgeben.**
Angesichts einer so feierlichen Versicherung wagten seine Gefährten keine weiteren Einwände mehr. Ihre Herzen aber brannten vor Ungeduld, das bittere Unrecht wiedergutzumachen. Einige von ihnen verbündeten sich kurz entschlossen und ließen in den Straßen von Mashhad laut den Ruf ,Yá Sáhibu'z-Zamán!'1) erschallen als Protest gegen diesen unerwarteten Angriff auf die Würde ihres Glaubens. Dies war der erste Ruf dieser Art, der in Khurásán im Namen der Sache Gottes erscholl. Die Stadt hallte wider vom Klang jener Stimmen. Das Echo ihres Rufes drang selbst in die entlegensten Gebiete der Provinz, brachte die Herzen gewaltig in Aufruhr und war das Signal für die schrecklichen Geschehnisse, die sich in der Zukunft ereignen sollten.
In der nun folgenden Verwirrung kamen diejenigen, die Hasan am Halfter durch die Straßen gezerrt hatten, durch das Schwert um. Die Gefährten Mulla Husayns führten den befreiten Gefangenen zu ihrem Führer und unterrichteten ihn über das Schicksal, das die Bedrücker ereik hatte. Mulla Husayn soll gesagt haben: „Ihr habt euch gegen die Prüfungen aufgelehnt, denen Hasan unterworfen wurde. Wie könnt ihr da das Martyrium Husayns ertragen!"2)
Die Stadt Mashhad, nach dem durch den Sálár angezettelten Aufruhr gerade wieder zu Ruhe und Frieden gekommen, stürzte aufs neue in Wirren und Drangsal. Vier Farsang3' von der Stadt entfernt stand der Prinz Hamzih Mírzá mit Soldaten und Kriegsmaterial, zu allen Notstandsmaßnahmen bereit, als die Kunde von den neuen Unruhen ihn erreichte. Er sandte unverzüglich einen Trupp in die Stadt mit der Weisung, durch den Gouverneur Mulla Husayn festnehmen zu lassen und ihm vorzuführen. 'Abdu'l-'Ali Khan-i-Marághiyí, Befehlshaber der Artillerie des Prinzen, schaltete sich sofort ein. „Ich zähle mich selbst zu den Anhängern und Bewunderern von Mulla Husayn", sagte er. „Wenn du ihm etwas zuleide tun willst, dann nimm bitte mir das Leben und schreite dann zur Ausführung deines Planes; denn ich kann, solange ich lebe, nicht die geringste Unehrerbietigkeit gegen ihn ertragen."
*) „O Herr des Zeitalters!", ein Titel des verheißenen Qá'im.
2' Anspielung auf seinen eigenen Märtyrertod.
*) ein Farsang entspricht etwa 4,5-6 km, siehe Worterklärung im Anhang.
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Diese unerwartete Erklärung brachte den Prinzen, der wohl wusste, wie sehr er auf diesen Offizier angewiesen war, in große Verlegenheit. „Auch ich bin Mulla Husayn schon begegnet", erwiderte er im Bemühen, 'Abdu'l-'Ali Khans Besorgnis zu zerstreuen. „Auch ich hege die größte Hochachtung für ihn. Wenn ich ihn zu mir ins Lager rufe, dann in der Hoffnung, das angerichtete Unheil einzudämmen und seine Person zu schützen." Dann schrieb der Prinz eigenhändig einen Brief an Mulla Husayn, in dem er ihm eindringlich vorstellte, wie sehr erwünscht es sei, dass er seinen Aufenthalt für wenige Tage in sein Hauptquartier verlegte, und versicherte ihn seines aufrichtigen Wunsches, ihn vor den Angriffen seiner wütenden Gegner zu schützen. Er gab Weisung, dass sein Prunkzelt in der Nähe des Lagers aufgestellt und für den Empfang des erwarteten Gastes bereitet würde.
Als Mulla Husayn diese Mitteilung erhielt, zeigte er sie Quddús, der ihm riet, der Einladung des Prinzen zu folgen. „Dir kann nichts geschehen", versicherte ihm Quddús. „Was mich betrifft, werde ich noch in dieser Nacht zusammen mit Mírzá Muhammad-'Alíy-i-Qazvíní, dem Buchstaben des Lebendigen, nach Mázindarán aufbrechen. So Gott will, wirst auch du später an der Spitze einer großen Schar von Gläubigen unter den ,Schwarzen Fahnen' Mashhad verlassen und zu mir stoßen. An einem Ort, den der Allmächtige bestimmt, werden wir uns treffen."
Mulla Husayn stimmte freudig zu. Er warf sich Quddús zu Füßen und versicherte ihm seinen festen Entschluss, alle Pflichten, die er ihm aufgetragen hatte, treulich zu erfüllen. Quddús nahm ihn liebevoll in die Arme, küsste ihn auf Augen und Stirne und befahl ihn dem nie versagenden Schutz des Allmächtigen. Am frühen Nachmittag bestieg Mulla Husayn das Pferd und ritt würdevoll und ruhig in das Lager des Prinzen Hamzih Mírzá. Er wurde von 'Abdu'l-'Ali Khan, der mit einigen Offizieren von dem Prinzen dazu ausersehen war, ihm entgegenzugehen und ihn willkommen zu heißen, feierlich zu dem Zelt geleitet, das eigens zu seinem Gebrauch errichtet worden war.
Am selben Abend rief Quddús Mírzá Muhammad-Báqir-i-Qá'iní, den Erbauer des Bábíyyih, mit den wichtigsten Gefährten zu sich und verpflichtete sie, Mulla Husayn unbedingt die Treue zu halten und bedingungslos alles zu tun, was er von ihnen verlangt. „Heftig sind die Stürme, die uns bevorstehen", sprach er zu ihnen. „Die Tage großer Anspannung und gewaltiger Erschütterungen nahen rasch. Haltet euch an ihn, denn im Gehorsam gegen sein Gebot liegt euer Hefl.*"
Mit diesen Worten nahm Quddús Abschied von seinen Gefährten und verließ Mashhad, begleitet von Mírzá Muhammad-'Alíy-i-Qazvíní. .Wenige Tage später traf er Mírzá Sulaymán-i-Núrí, der ihn über die näheren Umstände bei
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Das Dorf Sháh-Rúd
der Befreiung Táhirihs aus ihrer Haft in Qazvin unterrichtete, über ihre Abreise nach Khurásán und über Bahá'u'lláhs anschließende Abreise aus der Hauptstadt. Mírzá Sulaymán wie auch Mírzá Muhammad-'Ali blieben in Quddús' Gesellschaft bis zur Ankunft in Badasht. Bei einfallender Dämmerung kamen sie bei dieser Ortschaft an und fanden dort eine große Versammlung von Leuten, die sie als ihre Glaubensgenossen erkannten. Sie entschlossen sich jedoch, die Reise fortzusetzen, und gingen direkt nach Sháh-Rúd. Als sie sich diesem Dorf näherten, traf Mírzá Sulaymán, der in einiger Entfernung hinterher ging, auf Muhammad-i-Haná-Sáb, der nach Badasht unterwegs war. Auf seine Frage nach dem Grund der Menschenansammlung dort erfuhr Mírzá Sulaymán, dass wenige Tage zuvor Bahá'u'lláh und Táhiiih von Sháh-Rúd nach jenem Dorf aufgebrochen seien; dass in großer Zahl Gläubige aus Isfahán, Qazvin und anderen persischen Städten gekommen seien und darauf warteten, Bahá'u'lláh auf Seiner geplanten Reise nach Khurásán zu begleiten. „Sage Mulla Ahmad-i-Ibdál, der jetzt in Badasht ist", erwiderte Mírzá Sulaymán, „dass an diesem Morgen ein Licht über euch leuchtete, dessen Glanz ihr nicht erkanntet."4*
Als Bahá'u'lláh von Muhammad-i-Haná-Sáb erfuhr, dass Quddús nach Sháh-Rúd gekommen war, beschloss Er, sogleich zu ihm zu gehen. Begleitet von Mulla Muhammad-i-Mu'allim-i-Núrí brach Er noch am selben Abend zu
4) Anspielung auf Quddús.
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Pferd auf nach diesem Dorf und war am andern Morgen zur Stunde des Sonnenaufgangs mit Quddús wieder zurück in Badasht.
Es war zu Beginn des Sommers. Bahá'u'lláh mietete bei Seiner Ankunft drei Gärten, von welchen Er einen eigens für Quddús bestimmte, einen anderen für Táhirih und ihre Dienerin bewahrte und den dritten sich selbst vorbehielt. In Badasht hatten sich einundachtzig Menschen versammelt, und alle waren vom Tag ihrer Ankunft bis zu ihrer Abreise Gäste Bahá'u'lláhs. Jeden Tag offenbarte Er ein Tablet, das Mírzá Sulaymán-i-Núrí den versammelten Gläubigen vorsang. Bahá'u'lláh gab jedem einen neuen Namen. Er selbst trug hinfort den Namen Bahá; der Letzte Buchstabe des Lebendigen wurde mit dem Namen Quddús bedacht, und Qurratu'l-'Avn bekam den Namen Táhirih. Für jeden derer, die in Badasht zusammenkamen, wurde von dem Báb später ein besonderes Tablet offenbart, und jeder wurde dabei mit dem Namen angesprochen, den er jüngst erhalten hatte. Als später einige der Strengeren, der Konservativen unter ihren Mitjüngern glaubten, Táhirih beschuldigen zu müssen, sie lehne die altehrwürdigen Überlieferungen der Vergangenheit taktlos ab, antwortete der Báb, dem diese Klagen unterbreitet wurden, mit den Worten: „Was soll Ich sagen über die, welche die Zunge der Macht und Herrlichkeit Táhirih5) genannt hat?"
Jeder Tag dieser denkwürdigen Versammlung war Zeuge der Aufhebung eines weiteren Gesetzes und der Zurückweisimg einer alteingebürgerten Tra-
Badasht
5> J>ie Reine"
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dition. Die Schleier, welche die heiligen Gebote des Islams einhüllten, wurden jäh zerrissen, die Götzenbilder, die von ihren blinden Anbetern so lange Huldigung verlangten, ungestüm zerstört. Doch niemand kannte die Quelle, der diese kühnen, herausfordernden Neuerungen entsprangen; niemand wusste um die Hand, die stetig, unbeirrbar ihren Kurs steuerte. Selbst die Persönlichkeit Dessen, der all den in diesem Dorf Versammelten einen neuen Namen verliehen hatte, blieb den Empfängern verborgen. Nur wenige, wenn überhaupt, ahnten, dass Bahá'u'lláh es war, der diese weitreichenden Veränderungen so furchtlos eingeführt hat.
Shaykh Abú Turáb, einer der über die Vorgänge in Badasht am besten Unterrichteten, hat nach einem Bericht folgende Begebenheit erzählt: „Bahá'u'lláh lag eines Tages krank zu Bett. Als Quddús von Seiner Unpäßlichkeit erfuhr, eilte er herbei, um Ihn zu besuchen. Er wurde zu Ihm geführt und setzte sich zur Rechten Bahá'u'lláhs. Nach und nach gelangten die übrigen Gefährten herein und gruppierten sich um Ihn. Kaum waren alle versammelt, als plötzlich Muhammad-Hasan-i-Qazvini, Táhiríhs Bote, der gerade den Namen Fata'1-Qazvíní bekommen hatte, hereinkam und Quddús die dringende Aufforderung Táhiríhs überbrachte, sie in ihrem Garten aufzusuchen. ,Ich habe mich gänzlich von ihr losgesagt', erwiderte er kühn und entschieden. ,Ich weigere mich, zu ihr zu gehen.'6' Der Bote zog sich zurück, kam aber bald wieder und wiederholte dieselbe Aufforderung mit der Bitte, ihrem dringenden Ruf zu folgen. ,Sie besteht auf deinem Besuch', sagte er. ,Wenn du auf deiner Ablehnung beharrst, will sie selber zu dir kommen.' Als der Bote sah, dass Quddús unbeugsam blieb, zog er sein Schwert aus der Scheide, legte es Quddús vor die Füße und sprach: ,Ich weigere mich, ohne dich zu gehen. Entweder du gehst mit mir zu Táhirih oder du schlägst mir mit diesem Schwert den Kopf ab.' ,Ich habe schon erklärt, dass ich Táhirih nicht besuchen will', erwiderte Quddús ärgerlich. ,Ich bin bereit, auf die Alternative einzugehen, vor die du mich zu stellen beliebst.'
6) Nach Kashfu'1-Ghitá' hatten Quddús und Táhirih schon vorher eine Absprache getroffen, wonach Táhirih öffentlich die Unabhängigkeit der Offenbarung des Báb verkünden und die Abschaffung der Gesetze und Verordnungen der vorangegangenen Sendung hervorheben sollte. Quddús sollte dagegen ihrer Behauptung widersprechen und ihre Ansichten streng zurückweisen. Diese Obereinkunft sollte die Wirkung einer derart herausfordernden, weitführenden Verkündigung abmildern und die bei einer so aufsehenerregenden Neuerung sicher zu gewärtigenden Gefahren und Risiken abwenden. (S. 211) Bahá'u'lláh scheint in dieser Streitfrage, obwohl in Wirklichkeit der Haupturheber und in allen Stadien dieser denkwürdigen Episode die beherrschende, lenkende Kraft, eine neutrale Haltung eingenommen zu haben.
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Muhammad-Hasan, der sich Quddüs zu Füßen gesetzt hatte, beugte den Nacken, um den tödlichen Streich zu empfangen; da trat den versammelten Gefährten plötzlich die Gestalt Táhirihs vor die Augen, geschmückt und un-verschleiert. Bestürzung packte jäh die ganze Versammlung.71 Alle standen entsetzt vor dieser plötzlichen, unerwarteten Erscheinung. Ihr Gesicht unverschleiert zu sehen, war ihnen unfasslich. Schon ihren Schatten anzublicken, war etwas, was sie unschicklich dünkte, da sie in ihren Augen die Verkörperung Fátimihs8) war, des edelsten Sinnbilds der Keuschheit.
Ruhig, still und überaus würdevoll schritt Táhirih zu Quddüs und setzte sich zu seiner Rechten nieder. Ihre heitere Ruhe stand in scharfem Gegensatz zu den erschrockenen Mienen derer, die ihr ins Gesicht starrten. Furcht, Arger und Bestürzung wühlten sie in tiefster Seele auf. Vor dieser plötzlichen Entschleierung schien ihnen der Verstand stillzustehen. 'Abdu'1-Kháliq-i-Isfahání war so tief erschüttert, dass er sich mit eigener Hand die Kehle durchschnitt. Blutüberströmt und schreiend vor Erregung floh er vor Táhirihs Antlitz. Einige folgten seinem Beispiel, verließen ihre Gefährten und schworen ihren Glauben ab. Andere sah man in größter Verwirrung sprachlos vor ihr stehen. Quddüs war unterdessen auf seinem Platz sitzengeblieben, hielt sein blankes Schwert in der Hand, und sein Gesichtsausdruck verriet unsagbaren Zorn. Es sah aus, als ob er darauf warte, Táhirih den verhängnisvollen Streich zu versetzen.
Seine drohende Haltung rührte sie jedoch nicht. Ihr Antlitz zeigte dieselbe Würde und Zuversicht, die es vom ersten Augenblick ihres Auftretens vor den versammelten Gläubigen dartat. Siegesfreude leuchtete jetzt aus ihren Zügen. Sie erhob sich von ihrem Sitz und begann ungerührt von dem Aufruhr, den sie im Herzen ihrer Gefährten hervorgerufen hatte, zu den übriggebliebenen Anwesenden zu sprechen. Ohne jede Vorbereitung und in einer Sprache, die der des Qur'án glich, trug sie ihren Aufruf vor, unvergleichlich redegewandt und mit tiefem Ernst. Sie schloss ihre Rede mit dem Qur'ánvers: ,Wahrlich, inmit-
7> „Die Wirkung, die damit erzielt wurde, war vernichtend. Die einen verbargen ihr Gesicht in den Händen, andere warfen sich zu Boden, andere verhüllten ihre Häupter mit den Kleidern, damit sie nicht in das Antlitz ihrer Hoheit, der Reinen, blicken mussten. Wenn es schon ein schweres Vergehen war, einer fremden Frau beim Vorübergehen ins Gesicht zu sehen, was für ein Verbrechen war es dann, seinen Blick auf die Heilige, die sie war, zu werfen!... Die Sitzung ging in einem unbeschreiblichen Tumult unter. Beschimpfungen prasselten auf die Frau herab, die so unanständig ihr Gesicht ohne Schleier zeigte. Einige behaupteten, sie sei plötzlich verrückt geworden, andere nannten sie schamlos, und nur wenige verteidigten sie." (A. L. M. Nicolas Siyyid 'Ali-Muhammad dit le Bäb, S. 283f.)
8) Tochter Muhammads, Ehefrau des Imam 'Alf.
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ten von Gärten und Flüssen wird der Fromme weilen auf dem Sitz der Wahrheit in Gegenwart des mächtigen Königs.* Während sie diese Worte sprach, warf sie einen heimlichen Blick auf Bahá'u'lláh und Quddús, doch so, dass wer sie beobachtete, nicht sagen konnte, aufweichen von beiden sie anspielte. Unmittelbar darauf erklärte sie: ,Ich bin das Wort, das der Qá'im aussprechen wird, das Wort, welches die Oberhäupter und E'delleute der Erde in die Flucht schlagen wird.<9)
Dann wandte sie ihr Gesicht Quddús zu und tadelte ihn dafür, dass er in Khurásán gewisse Dinge, die ihr für das Wohl des Glaubens wichtig erschienen, nicht erledigt habe. ,Ich bin frei, meinem eigenen Gewissen zu folgen', erwiderte Quddús. ,Ich unterstehe nicht dem Willen und Wohlgefallen meiner Glaubensgenossen/ Táhirih wandte ihren Blick von ihm ab und forderte die Anwesenden auf, dieses große Ereignis gebührend zu feiern. ,Dieser Tag ist der Tag des Festes, der allumfassenden Freude', fügte sie hinzu, ,der Tag, da die Fesseln der Vergangenheit gesprengt sind. Lasst alle, die an diesem großen Werk teilhaben, sich erheben und einander umarmen.' "
Dieser denkwürdige Tag und die unmittelbar darauf folgenden brachten den revolutionärsten Wandel in das Leben und die Sitten der versammelten Bábí. Die Art ihres Gottesdienstes erfuhr eine plötzliche, grundlegende Umgestaltung. Die Gebete und Zeremonien, zu denen die frommen Anbeter erzogen waren, wurden unwiderruflich abgelegt. Große Verwirrung herrschte jedoch unter denen, die sich so eifrig für diese Reformen eingesetzt hatten. Einige verurteilten einen so radikalen Wandel als ausgesprochene Ketzerei und weigerten sich aufzugeben, was sie für unantastbare Vorschriften des Islams hielten. Einige sahen in Táhirih den einzigen Richter in derartigen Angelegenheiten, die einzige Person, der es zustand, von den Gläubigen unbedingten Gehorsam zu fordern. Andere, die ihr Verhalten rügten, hielten zu Quddús, den sie als den einzigen Repräsentanten des Báb ansahen, als den einzigen, dem es zustand, über so schwerwiegende Dinge zu befinden. Wieder andere, die sowohl Táhirihs als auch Quddús' Autorität anerkannten, betrachteten das Ganze als Prüfung, von Gott verhängt, um Wahres von Falschem, die Getreuen von den Untreuen zu unterscheiden.
Táhirih erlaubte sich einige Male, Quddús' Autorität zu widersprechen. „Ich betrachte ihn als einen Schüler, den mir der Báb zur Erbauung und Belehrung geschickt hat", soll sie erklärt haben. „Ich kann ihn in keinem anderen Licht sehen." Quddús unterließ es nicht, Táhirih seinerseits als „die Urheberin der Ketzerei" hinzustellen, und brandmarkte diejenigen, die ihre Ansichten
9> vergl. Seite 49.
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unterstützen, als „Opfer des Irrtums". Diese Spannungen dauerten einige Tage, bis Bahá'u'lláh vermittelnd eingriff und in Seiner überlegenen Art eine völlige Versöhnung zwischen den beiden zustande brachte. Er heilte die Wunden, die der harte Meinungsstreit geschlagen hatte, und lenkte beider Streben in die Bahn aufbauenden Dienstes.10)
Das Ziel dieser denkwürdigen Versammlung war erreicht.n) Der Fanfarenruf der neuen Ordnung war erschallt. Die veralteten Gepflogenheiten, die das Gewissen der Menschen gefesselt hatten, waren kühn herausgefordert und furchtlos hinweggefegt worden. Der Weg war frei für die Verkündung der Gesetze und Verordnungen, welche die neue Sendung einleiten sollten. Die noch in Badasht versammelten Gefährten entschlossen sich übereinstimmend, nach Mázindarán weiterzureisen. Quddus und Tahirih setzten sich in dieselbe
*°) »Die kühne Tat der Qurratu'l-'Ayn erschütterte den buchstabengetreuen Glauben an die islamischen Lehren bei den Persern zutiefst. Es sei hinzugefügt, dass der erste Lehrerfolg von Qurratu'l-'Ayn der heldenhafte Quddús selbst war und dass die redegewandte Lehrerin ihren Einblick wohl Bahá'u'lláh zu verdanken hat. Natürlich ist die Annahme, dass ihr großer Freund sie hätte tadeln wollen, nur köstliche Ironie." (T.K. Cheyne, The Reconciliation of Races and Religions, S. 103f.)
11) „Es wurde die Ansicht geäußert, der wahre Grund für die Einberufung dieser Konferenz wäre die Sorge um den Báb gewesen, der Wunsch, Ihn irgendwo in Sicherheit zu bringen. Die andere, verbreitetere Ansicht, dass die Konferenz das Verhältnis der Bábí zum islamischen Recht zum Gegenstand gehabt hätte, ist wahrscheinlich auch die richtigere." (Cheyne, a.a.O., S. 80.) „Das Ziel der Konferenz war es, ein weit verbreitetes Missverständnis auszuräumen. Viele glaubten, der neue Führer sei gekommen, das islamische Gesetz buchstabengetreu zu erfüllen. Sie wussten natürlich, dass Muhammad das Ziel verfolgte, ein universales Reich der Gerechtigkeit und des Friedens zu begründen, aber sie meinten, dass dies durch Ströme von Blut und mit der Hilfe des göttlichen Strafgerichts zustande käme. Der Báb schlug dagegen mit wenigen seiner Jünger, wenn auch nicht immer konsequent, den Weg der sittlichen Überzeugung ein; seine einzige Waffe war ,das Wort Gottes, dieses Schwert des Geistes'. Wenn der Qá'im erscheint, wird alles erneuert'. Des Qá'ims Erscheinen stand unmittelbar bevor, und alles, was zu tun blieb, war, sich auf sein Kommen vorzubereiten. Nicht länger sollten Unterschiede bestehen zwischen Hoch und Niedrig, zwischen Mann und Frau. Nicht länger sollte der lange, verhüllende Schleier Ausweis für die Minderwertigkeit der Frau bleiben. Unsere hochbegabte Frau hatte die ihr angemessene Lösung des Problems... In der einen Überlieferung wird berichtet, dass Qurratu'l-'Ayn im Schleier zur Konferenz gekommen sei. Wenn dies zutrifft, so legte sie ihn doch unverzüglich ab und brach, wie berichtet wird, in den flammenden Ruf aus: ,Ich bin der Posaunenstoß; ich bin der Hornruf!', um zu sagen, ,wie Gabriel wecke ich die schlafenden Seelen auf. Auch wird gesagt, dass nach der kurzen Ansprache dieser tapferen Frau Bahá'u'lláh die Súrih von der Auferstehung (Qur'án 75) rezitiert habe. Derartige Rezitationen wirken oft überwältigend. Der Sinn war, dass die Menschheit vor dem Eintritt in einen neuen kosmischen Zyklus stehe, für den ein neues System von Gesetzen und Lebensregeln unabdingbar sei." (T.K. Cheyne, The Reconciliation of Races and Religions, S. 101 f.)
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Howdah12), die BaháVlláh für ihre Reise bereitgestellt hatte. Unterwegs dichtete Táhirih jeden Tag eine Ode, welche sie ihre Begleiter singen lehrte, wenn sie hinter der Howdah hergingen. Berg und Tal hallte wider von den Rufen, mit denen die begeisterte Gesellschaft auf der Reise nach Mázindarán das Erlöschen der alten Zeit und die Geburt des neuen Tages begrüßte.
Der Aufenthalt Bahá'u'lláhs in Badasht währde zweiundzwanzig Tage. Auf der Reise nach Mázindarán versuchten einige Anhänger des Báb, die Freiheit, die ihnen durch die Aufhebung der Gesetze und Vorschriften eines überalteten Glaubens gegeben worden waren, zu missbrauchen. Sie betrachteten die unvergleichliche Tat Táhirihs, den Schleier abzulegen, als Signal dafür, die Grenzen der Mäßigung zu überschreiten und ihre eigennützigen Wünsche zu befriedigen. Die Ausschweifungen, die einige sich zuschulden kommen ließen, beschworen den Zorn des Allmächtigen herauf und hatten zur Folge, dass sie .unverzüglich ausgestoßen wurden. Im Dorf Níyálá harrten ihrer schwere Prüfungen, und sie mussten bittere Leiden aus den Händen ihrer Feinde erdulden. Dieser Schlag hat das Unheil, das einige Unverantwortliche unter den Gläubigen anzurichten suchten, im Keim erstickt und die Würde und Ehre des Glaubens ungetrübt bewahrt.
Ich habe Bahá'u'lláh selbst diesen Vorfall schildern hören: „Wir waren alle im Dorf Níyálá versammelt und ruhten am Fuß eines Berges, als wir um die
Eine persische Howdah (Sänfte)
12) Sänfte.
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Stunde der Dämmerung plötzlich durch Steine geweckt wurden, mit denen die Leute aus der Umgebung von der Höhe des Berges herab auf uns warfen. Der wilde Angriff veranlagte unsere Gefährten voll Schreck und Bestürzung zur Flucht. Ich schickte Quddús, in meine Gewänder gekleidet, an einen sicheren Platz, wo ich später zu ihm stoßen wollte. Als ich dort hinkam, stellte ich fest, dass er gegangen war. Keiner unserer Gefährten war in Níyálá geblieben bis auf Táhirih und einen jungen Mann aus Shíráz, Mírzá 'Abdu'lláh. Der wütende Überfall hatte unser Lager verödet. Ich fand niemanden, dem ich hätte Táhirih zum Schutz anvertrauen können, bis auf jenen jungen Mann, der bei dieser Gelegenheit wahrhaft erstaunlichen Mut und Entschlossenheit an den Tag legte. Mit dem Schwert in der Hand, unerschrocken vor dem wilden Angriff der Dorfbewohner, die herbeistürmten, um unsere Habe zu plündern, sprang er auf, den Angreifern zu wehren. Obwohl an verschiedenen Körperstellen verletzt, wagte er sein Leben, um unser Eigentum zu schützen. Ich bat ihn, von seinem Tun abzulassen. Als der Lärm sich gelegt hatte, ging ich auf einige Dorfbewohner zu und konnte sie von der Grausamkeit und Schändlichkeit ihres Vorgehens überzeugen. Später gelang es mir auch, einen Teil unseres geplünderten Besitzes zurückzuerhalten."
Begleitet von Táhirih und ihrer Dienerin, begab sich Bahá'u'lláh nach Nur. Er beauftragte Shaykh Abú-Turáb damit, sie zu behüten und für ihren Schutz und ihre Sicherheit zu sorgen. Unterdessen waren die Unheilstifter emsig bemüht, den Zorn Muhammad Sháhs gegen Bahá'u'lláh anzustacheln, und als sie Ihn als den Hauptanstifter der Unruhen von Sháh-Rúd und Mázindarán hinstellten, gelang es ihnen endlich, den Herrscher zu veranlassen, Ihn verhaften zu lassen. Der Sháh soll ärgerlich gesagt haben: „Ich habe es bis jetzt abgelehnt, das zu unterstützen, was gegen ihn vorgebracht wird. Ich war nachsichtig, weil ich die Dienste anerkenne, die sein Vater meinem Land erwiesen hat. Doch diesmal bin ich entschlossen, ihn zum Tode zu verurteilen."
Er befahl also einem seiner Offiziere in Tihrán, seinem in Mázindarán wohnenden Sohn die Weisung zu geben, Bahá'u'lláh zu verhaften und in die Hauptstadt zu bringen. Der Sohn des Offiziers erhielt die Mitteilung am Vortag des Empfangs, den er für Bahá'u'lláh, dem er treu ergeben war, vorbereitet hatte. Er kam dadurch in große Bedrängnis, sprach aber zu niemandem darüber. Bahá'uTláh bemerkte jedoch seine Traurigkeit und riet ihm, sein Vertrauen auf Gott zu setzen. Als Er am anderen Tag in Begleitung Seines Freundes zu dessen Haus ging, sahen sie einen Reiter aus Richtung Tihrán kommen. „Muhammad Sháh ist tot!" lief der Freund im Dialekt der Mázindaráner, nachdem er kurz mit dem Boten gesprochen hatte und zu Bahá'u'lláh zurückkam. Er zog die kaiserliche Vorladung heraus und zeigte sie Ihm. Das Doku-
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ment hatte seine Gültigkeit verloren. Die Nacht verging in der Gesellschaft des Gastes in einer Atmosphäre ungestörter Ruhe und Freude.
Quddús war inzwischen seinen Gegnern in die Hände gefallen und wurde in Sari im Haus von Mírzá Muhammad-Taqi, dem fuhrenden Mujtahid der Stadt, gefangengehalten. Seine Gefährten hatten sich, nachdem sie von Níyálá weggegangen waren, in verschiedene Richtungen verstreut, und jeder brachte seinen Glaubensgenossen die Kunde von den denkwürdigen Ereignissen in Badasht.
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Die Festung von Chihriq



Siebzehntes Kapitel

DIE GEFANGENSCHAFT DES BÁB IN DER FESTUNG CHIHRÍQ
Der Vorfall von Níyálá geschah Mitte des Monats Sha'bán im Jahr 1264 n.d.H.1} Gegen Ende dieses Monats wurde der Báb nach Tabriz gebracht, wo Ihm aus den Händen Seiner Unterdrücker schweres, demütigendes Unrecht widerfuhr. Diese vorsätzliche Verletzung Seiner Würde geschah fast gleichzeitig mit dem Angriff der Einwohner von Níyálá auf Bahá'u'lláh und Seine Gefährten. Der eine wurde von einem unwissenden, streitsüchtigen Volk mit Steinen beworfen, der andere von einem grausamen, heimtückischen Feind mit Schlägen heimgesucht.
Ich will nun über die Umstände berichten, die zu der abscheulichen Schmach gefuhrt haben, welche die Verfolger dem Báb zufügten. Er war auf Befehl des Hájí Mírzá Áqásí nach der Festung Chihriq2* verbannt und der Auf-
*> 3. Juli - 1. August 1848 n. Chr.
2> Nach A Travellern Narratwe, S. 18, blieb der Báb drei Monate in der Festung Chihriq. ehe man Ihn zum Verhör nach Tabriz brachte.
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sieht von Yahyá Khán-i-Kurd übergeben worden, dessen Schwester die Frau von Muhammad Sháh und die Mutter des NáyibuVSaltanih war. Der Großwesir hatte Yahyá Khan klare, strenge Weisungen erteilt und ihn verpflichtet, keinen Menschen zu seinem Gefangenen zu lassen. Er wurde insbesondere ermahnt, nicht dem Beispiel von 'Alí-Khán-i-Máh-Kú'í zu folgen, der allmählich dazu übergegangen war, die Befehle zu missachten.3'
Trotz dieses ausdrücklichen Befehls und der unbeugsamen Haltung des allmächtigen Hájí Mírzá Áqásí sah sich Yahyá Khan außerstande, diesen Weisungen zu folgen. Auch er sollte bald die Anziehungskraft seines Gefangenen spüren; auch er vergaß, sobald er mit Seinem Geist in Berührung kam, die Pflicht, deren Erfüllung man vom ihm erwartete. Vom ersten Augenblick an durchdrang die Liebe des Báb sein Herz und erfüllte sein ganzes Wesen. Auch die in Chihriq lebenden Kurden, deren eifernder Haß auf die Schiiten die Abneigung der Máh-Kúer gegen jene Leute noch übertraf, erlagen gleichfalls dem verwandelnden Einfluss des Báb. Die Liebe, die Er in ihren Herzen erweckte, war so groß, dass sie jeden Morgen, ehe sie an ihr Tagwerk gingen, die Schritte zu Seinem Gefängnis lenkten und von weitem auf die Burg schauten, die den Geliebten barg, Seinen Namen anriefen und um Seinen Segen baten. Sie warfen sich zu Boden und suchten im Gedenken an Ihn Erquickung für ihre Seelen. Sie erzählten einander von den Wundern Seiner Macht und Herrlichkeit und sprachen von ihren Träumen, welche die schöpferische Kraft Seines Einflusses bestätigten. Niemandem wurde von Yahyá Khan der Zutritt zur Burg versagt.4' Da Chihriq selbst die ständig steigende Zahl der Besucher, die zu seinen Toren strömten, nicht mehr zu fassen vermochte, schuf man die erforderlichen Unterkunftsmöglichkeiten in Iski-Shahr, dem alten Chihriq, etwa eine Stunde von der Burg entfernt. Das für den Báb zum Unterhalt Benötigte wurde in der alten Stadt besorgt und in Sein Gefängnis gebracht.
3) „Die Gefangenschaft des Báb war in Chihriq abgeschlossener und viel strenger als in Máh-Kú. Von da an nannte Er Chihriq den ,Berg des Kummers' (Jabal-i-Shadid, der Zahlenwert des Wortes Shadid ist derselbe wie der des Wortes Chihriq: 318) und Máh-Kú den «offenen Berg' (Jabal-i-Básit)." (A Travellern Narrative, Anm. L, S. 276.)
4' „Hier scharten sich wie überall die Menschen um ihn. M. Mochenin sagte in seinen Erinnerungen an den Báb: ,Als ich im Monat Juni 1850 (war es nicht eher 1849?) dienstlich in Chihriq war, sah ich den Bálá-Khánih. von dem herab der Báb seine Lehre verbreitete. Der Auflauf war so groß, dass der Hof nicht ausreichte, um all die Zuhörer zu fassen; die meisten mussten auf der Straße stehen; sie lauschten dort andächtig den Versen des neuen Qur'án. Kurz darauf wurde der Báb nach Tauris verbracht, wo er zum Tode verurteilt werden sollte.'" {Journal Asiatique, 1866, Band 7, S. 371.)
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Eines Tages bat der Báb darum, man möge Ihm etwas Honig besorgen. Der Kaufpreis dafür erschien Ihm ungewöhnlich hoch. Er wies ihn zurück und sprach: „Zweifellos hätte man Honig von besserer Qualität um einen geringeren Preis bekommen können. Ich, euer Lebensvorbild, war Kaufmann von Beruf. Ihr solltet bei allem, was ihr tut, Meinem Beispiel folgen. Ihr sollt euren Nächsten nicht betrugen, euch aber von ihm auch nicht betrügen lassen. So hat es euer Meister gehalten. Die geschicktesten und fähigsten Menschen vermochten Ihn nicht zu täuschen, und Er wiederum lehnte es ab, auch dem geringsten und hilflosesten Geschöpf gegenüber unedelmütig zu handeln." Er bestand darauf, dass der Diener, der den Kauf getätigt hatte, wieder hingehe und Ihm zu einem billigeren Preis besseren Honig bringe.
Während der Gefangenschaft des Báb in der Festung Chihriq wurde die Regierung von aufsehenerregenden Ereignissen heftig beunruhigt. Es zeigte sich bald, dass eine Anzahl der bedeutendsten Siyyids, 'Warnas und Regierungsbeamten von Khuy für die Sache des Gefangenen Partei ergriffen und sich ganz zu Seiner Lehre bekannten. Dazu gehörten Mírzá Muhammad-'Ah' und dessen Bruder Búyúk-Áqá, beide Siyyids von hervorragenden Verdiensten, die sich mit glühendem Eifer aufgemacht hatten, ihren Glauben unter allen Schichten ihrer Landsleute zu verkünden. Ein nicht abreißender Strom von Suchern und festen Gläubigen wogte als Ergebnis dieser Tätigkeit zwischen Khuy und Chihriq hin. und ho*.
Zu jener Zeit geschah es, dass ein hoher, sehr gebildeter Beamter, Mírzá Asadu'lläh, später von dem Báb Dayyán genannt, der alle Mühen, ihn für Seine Botschaft zu gewinnen, durch seine heftigen Anklagen vereitelt hatte, einen Traum hatte. Als er aufwachte, nahm er sich vor, niemandem davon zu erzählen, wählte zwei Verse aus dem Qur'án und richtete folgende-Anfrage an den Báb: „Ich habe drei bestimmte Dinge im Kopf. Ich ersuche dich, mir darzulegen, welcher Art sie sind." Mírzá Muhammad-'Alí wurde gebeten, diese schriftliche Anfrage dem Báb zu übermitteln. Wenige Tage später bekam er eine Antwort, in der ihm der Báb in eigener Handschrift den Traum in allen Einzelheiten schilderte und ihm den genauen Wortlaut jener Verse offenbarte. Diese genaue Antwort hatte eine rasche Bekehrung zur Folge. Obgleich des Gehens ungewohnt, eilte Mírzá Asadu'lláh zu Fuß den steilen, steinigen Weg hinauf, der von Khuy zur Burg führte. Seine Freunde versuchten ihn zu überreden, dass er zu Pferd nach Chihriq ritte, aber er lehnte ihren Vorschlag ab. Seine Begegnung mit dem Báb bestärkte ihn in seinem Glauben und erweckte in ihm einen Feuereifer, der» er bis an sein Lebensende bewies.
Im selben Jahr äußerte der Báb den Wunsch, dass vierzig Seiner Gefährten je eine Abhandlung schreiben und darin anhand von Versen und Überlieferun-
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gen die Gültigkeit Seiner Sendung darlegen sollten. Seinem Wunsch wurde sofort entsprochen, das Ergebnis ihrer Mühe wurde Ihm übermittelt. Mírzá Asadu'lláhs Abhandlung errang die uneingeschränkte Bewunderung des Báb, der sie am höchsten einschätzte. Er verlieh dem Autor den Namen Dayyán und offenbarte ihm zu Ehren das Lawh-i-Hurúfát5), worin Er folgende Feststellung traf: „Hätte der Punkt des Bayán6) keirfanderes Zeugnis, Seine Wahrheit darzulegen, so genügte es, dass Er ein Tablet wie dieses offenbart hat, ein Tablet, wie es höchste Gelehrsamkeit nicht hervorbringen kann."
Das Volk des Bayán missverstand gänzlich die dem Tablet zugrundeliegende Absicht und glaubte, es sei nur eine Auslegung der Wissenschaft von Jafr7). Als später in den ersten Jahren der Gefangenschaft Bahá'u'lláhs in der Gefängnisstadt 'Akká Jináb-i-Muballigh Ihn aus Shíráz darum bat, die Geheimnisse jenes Tablets zu erläutern, wurde aus Seiner Feder eine Erklärung offenbart, welche diejenigen, die die Worte des Báb so missverstanden hatten, genau durchdenken sollten. Bahá'u'lláh erbrachte aus den Feststellungen des Báb den unwiderleglichen Beweis, dass das Erscheinen des Man-Yuzhiru'llah8) nicht weniger als neunzehn Jahre nach der Erklärung des Báb erfolgen muss. Das Geheimnis des Mustagháth9) hatte lange Zeit die zutiefst suchenden Geister im Volk des Bayán verwirrt und ein unüberwindliches Hindernis vor ihrer Anerkennung des Verheißenen errichtet. Wohl hatte der Báb selbst in jenem Tablet das Geheimnis enthüllt, aber niemand vermochte die Erklärung, die Er gab, zu verstehen. Es blieb Bahá'u'lláh vorbehalten, es vor aller Augen zu enthüllen.
Der unermüdliche Eifer Mírzá Asadu'lláhs veranlasste seinen mit Hájí Mírzá Áqásí eng befreundeten Vater, diesen über die Umstände der Bekehrung seines Sohnes zu unterrichten und ihm mitzuteilen, dass er die Pflichten für den Staat vernachlässige. Er schilderte, mit welcher Begeisterung dieser fähige Staatsbeamte seinem neuen Herrn diente und welche Erfolge sein Streben schon gezeitigt hätte.
Ein weiterer Grund zur Besorgnis war für die Behörden die Ankunft eines Derwischs in Chihriq. Er kam aus Indien und bekannte sich unmittelbar nach der Begegnung mit dem Báb zur Wahrheit Seiner Sendung. Wer mit diesem Derwisch, dem der Báb den Namen Qahru'lláh verlieh, in Iski-Shahr zusam-
^ wörtlich: „Sendbrief der Buchstaben".
6' ein Titel des Báb.
7) Wissenschaft der Weissagung.
8' bezieht sich auf Bahá'u'lláh, s. Worterklärung im Anhang.
9' Termin der Ankunft des Verheißenen, s. Worterklärung im Anhang.
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menkam, spürte das Feuer seiner Begeisterung und war von seiner festen Überzeugung tief beeindruckt. Immer mehr Menschen wurden von dem Zauber seiner Persönlichkeit angezogen und erkannten die zwingende Kraft seines Glaubens. Sein Einfluss auf sie war so stark, dass einige unter den Gläubigen geneigt waren, ihn als ein Beispiel göttlicher Offenbarung anzusehen, obgleich er alle derartigen Behauptungen zurückwies. Oft hat man ihn folgendes erzählen hören: „In den Tagen, als ich in Indien die hohe Stellung eines Navváb bekleidete, erschien mir der Báb in einer Vision. Er schaute mich an und gewann -mein ganzes Herz. Ich erhob mich und wollte Ihm folgen, als Er mich durchdringend ansah und sprach: »Entledige dich deines prächtigen Gewandes, verlasse dein Heimatland und komme eilends zu Fuß zu Mir nach Ádhirbáyján. In Chihriq wird dein Herzenswunsch erfüllt werden/ Ich habe Seine Weisung befolgt und nun mein Ziel erreicht."
Die Kunde von dem Aufsehen, das dieser bescheidene Derwisch unter den Kurdenführern in Chihriq erregt hatte, drang nach Tabriz und wurde von dort nach Tihrán berichtet. Kaum hatte die Nachricht die Hauptstadt erreicht, da gab man Weisung, den Báb unverzüglich nach Tabriz zu bringen, in der Hoffnung, die von Seinem langen Aufenthalt hervorgerufene Erregung in Chihriq zum Abklingen zu bringen. Noch ehe dort die Nachricht von diesem neuen Befehl eingetroffen war, hatte der Báb 'Azím damit beauftragt, Qahru'lláh von Seinem Wunsch zu unterrichten, er möge nach Indien zurückkehren und dort sein Leben dem Dienst an Seiner Sache weihen. „Allein und zu Fuß", gebot Er, „soll er dahin zurückkehren, von wo er kam. Mit derselben Glut und Entsagung, mit der er seine Pilgerfahrt in dieses Land aufnahm, soll er nun in seine Heimat zurückkehren und unermüdlich daran arbeiten, das Wohl der Sache zu fördern." Desgleichen bat Er ihn, Mirzá 'Abdu'l-Vahháb-i-Turshizi, der in Khuy lebte, die Weisung zu bringen, er solle sofort nach Urúmíyyih gehen, wo der Báb, wie Er sagte, ihn bald treffen werde. 'Azím selbst wurde angewiesen*, nach Tabriz aufzubrechen und dort Siyyid Ibráhím-i-Khalíl von Seiner baldigen Ankunft in dieser Stadt zu unterrichten. „Sage ihm", fügte der Báb hinzu, „dass in Kürze das Feuer Nimrods zu Tabriz entfacht wird, dass aber trotz der Gewalt seiner Flammen unseren Freunden kein Leid widerfahren wird."
Als Qahru'lláh die Botschaft seines Herrn empfing, machte er sich sofort auf, um Dessen Wünsche zu erfüllen. Jedem, der ihn begleiten wollte, sagte er: „Du wirst die Prüfungen dieser Reise niemals aushalten können. Gib den Gedanken auf, mit mir zu gehen. Du würdest sicherlich unterwegs umkommen, da der Báb mir befahl, allein in meine Heimat zurückzukehren." Die zwingende Kraft seiner Antwort brachte alle zum Schweigen, die' ihn um die Erlaubnis zur Mitreise baten. Er lehnte es auch ab, Geld oder Kleider anzu-
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nehmen. Allein, aufs dürftigste bekleidet, den Stab in der Hand, wanderte er den ganzen Weg zurück in seine Heimat. Niemand weiß, was schließlich aus ihm geworden ist.
Muhammad-'Alíy-i-Zunúzí, genannt Anis, gehörte zu denen, die in Tabriz die Kunde vom Báb vernommen hatten und von dem brennenden Wunsch beseelt waren, nach Chihriq zu eilen, um dort*ín Seine Gegenwart zu gelangen. Gottes Wort hatte in seinem Herzen ein unstillbares Verlangen entfacht, sich auf Seinem Pfade zu opfern. Sein Stiefvater Siyyid 'Alíy-i-Zunúzí, ein angesehener Mann in Tabriz, widersetzte sich heftig seiner Absicht, die Stadt zu verlassen, und sah sich schließlich veranlasst, ihn im Haus einzusperren und streng zu bewachen. Der Sohn schmachtete in seinem Gefängnis bis zu der Zeit, da sein Geliebter nach Tabriz kam und von dort wieder in seinen Kerker nach Chihriq zurückgebracht wurde.
Ich habe Shaykh Hasan-i-Zunuzi folgendes erzählen hören: „Etwa zur selben Zeit, als der Báb 'Azím entließ, wies Er mich an, alle greifbaren Tablets, die Er während Seiner Haft in den Burgen Máh-Kú und Chihriq offenbart hatte, zu sammeln, sie Siyyid Ibráhím-i-Khalíl, der damals in Tabriz lebte, auszuhändigen und ihm dringend ans Herz zu legen, dass er sie mit größter Sorgfalt verberge und aufbewahre.
Während meines Aufenthalts in der Stadt besuchte ich oft Siyyid 'Alíy-i-Zunúzí, meinen Verwandten, und hörte ihn das traurige Geschick seines Sohnes bejammern. ,Man könnte meinen, er habe den Verstand verloren', klagte er bitterlich. «Schmach und Schande hat er mit seinem Verhalten über mich gebracht. Versuche du, den Aufruhr seines Herzens zu beschwichtigen, und bringe ihn dazu, seine Überzeugung geheimzuhalten.* Ich besuchte ihn jeden Tag und erlebte, wie ihm unaufhörlich die Tränen aus den Augen stürzten. Nachdem der Báb Tabriz verlassen hatte, ging ich eines Tages wieder zu ihm und war überrascht zu sehen, wie sein Gesicht vor Glück und Freude leuchtete. Sein edles Antlitz war ganz in Lächeln getaucht, als er mir entgegenkam und mich begrüßte. ,Die Augen meines Geliebten haben dieses Gesicht gesehen', sprach er, als er mich umarmte, ,und diese Augen haben Sein Antlitz geschaut.' ,Lass mich dir das Geheimnis meines Glücks erklären', sagte er weiter. ,Nachdem der Báb wieder nach Chihriq zurückgebracht worden war, wandte ich eines Tages, in meiner Zelle gefangen, mein Herz Ihm zu und flehte zu Ihm mit den Worten: „Du siehst, o mein innigst Geliebter, meine Gefangenschaft, meine Hilflosigkeit; Du weißt, wie ich mich darnach sehne, Dein Antlitz zu schauen. Vertreibe das Dunkel, das mein Herz bedrückt, mit dem Licht Deines Angesichts." Welche Tränen bitterer Seelenqual habe ich in jener Stunde vergossen! Ich war so überwältigt, dass ich das Bewusstsein ver-
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lor. Plötzlich hörte ich die Stimme des Báb, und siehe! Er rief mich. Er forderte mich auf, mich zu erheben. Ich schaute die Majestät Seines Angesichts, als Er vor mir erschien. Er sah mir in die Augen und lächelte. Ich stürzte vor und warf mich Ihm zu Füßen. „Freue dich", sprach Er, „die Stunde ist nahe, da Ich in dieser Stadt vor den Augen der Menge aufgehängt und dem Feuer des Feindes zum Opfer fallen werde. Niemanden außer dir werde Ich dazu ausersehen, den Kelch des Märtyrertums mit Mir zu teilen. Sei gewiss, dass die Verheißung, die Ich dir gebe, in Erfüllung geht." Ich war hingerissen von der Schönheit dieser Vision. Als ich wieder zu mir kam, fühlte ich mich in ein Meer von Freude getaucht, eine Freude, deren Glanz aller Kummer der Welt nicht trüben kann. Seine Stimme klingt mir noch im Ohr. Die Vision verfolgt mich Tag und Nacht. Die Erinnerung an dieses unbeschreibliche Lächeln hat die Einsamkeit meiner Haft dahinschwinden lassen. Ich bin überzeugt, dass die Stunde nicht mehr fern ist, da Sein Versprechen sich erfüllen muss.' Ich ermahnte Muhammad-'Ali, geduldig zu sein und seine Gefühle zu verbergen. Er versprach mir, dieses Geheimnis nicht preiszugeben, und bemühte sich, gegen Siyyid 'Ali größte Nachsicht zu üben. Ich beeilte mich, seinen Vater von diesem Beschluss zu unterrichten, und erreichte, dass er aus seiner Gefangenschaft befreit wurde. Bis zum Tag seines Märtyrertodes blieb dieser Jüngling in vollkommener Ruhe und Heiterkeit im Kreise seiner Eltern und Verwandten. Gegen seine Freunde und Angehörigen verhielt er sich so, dass an dem Tag, da er sein Leben für den Geliebten hingab, alles Volk in Tabriz um ihn weinte und klagte."



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Achtzehntes Kapitel DAS VERHÖR DES BÁB IN TABRÍZ



Der Báb hatte in Erwartung der herannahenden Leidensstunde Seine in Chihn'q versammelten Anhänger auseinandergeschickt und erwartete in stiller Ergebenheit den Befehl, der Ihn nach Tabn'z lud. Seine Bewacher hielten es nicht für ratsam, über Khuy zu reisen, das auf dem Weg zu der Hauptstadt Ádhirbáyjáns lag. Sie entschieden sich für den Weg über Urúmíyyih, um mögliche Protestkundgebungen der erregten Einwohnerschaft von Khuy gegen die Tyrannei der Regierung zu vermeiden. Als der Báb in Urúmíyyih ankam, wurde Er von Malik Qásim Mírzá feierlich empfangen und in herzlicher Gastfreundschaft aufgenommen. Der Prinz bewies in Seiner Gegenwart äußerste Ehrerbietung und duldete bei denen, die zu Ihm vorgelassen wurden, nicht die geringste Unhöflichkeit.
Als der Báb eines Freitags zum öffentlichen Bad ging, befahl der Prinz, der den Mut und die Kraft seines Gastes auf die Probe stellen wollte, seinem Stallknecht, Ihm eines seiner wildesten Pferde zum Reiten zu geben. Aus Sorge, dass dem Báb ein Leid geschehen könnte, trat der Diener heimlich zu Ihm und versuchte Ihn davon abzubringen, ein Pferd zu besteigen, das schon die tapfersten und geschicktesten Reiter abgeworfen hatte. „Hab keine Angst", lautete Seine Antwort. „Tu, wie dir befohlen worden ist, und befiehl Uns der Obhut des Allmächtigen." Die Einwohnerschaft von Urúmíyyih, die von der Absicht des Prinzen verständigt worden war, drängte sich auf dem Marktplatz voller Neugier, was mit dem Báb geschehen würde. Als Ihm das Pferd gebracht wurde, ging Er ruhig darauf zu, ergriff es am Zaum, den Ihm der Stallknecht reichte, streichelte es zärtlich und setzte Seinen Fuß in den Steigbügel. Das Pferd stand*still und regungslos bei Ihm, als ob es um die Kraft wüsste, von der es beherrscht wurde. Die Menge, die diesem höchst merkwürdigen Schauspiel zusah, bestaunte das Verhalten des Tieres. Ihren einfältigen
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Das Haus, in dem der Báb in Urúmíyyih wohnte; x kennzeichnet das Bálá-Khánih (oberes Zimmer), das Er bewohnte.
Gemütern erschien dieses außergewöhnliche Ereignis fast wie ein Wunder. In ihrer Begeisterung stürzten sie herbei, um die Steigbügel des Báb zu küssen, wurden aber von den Dienern des Prinzen daran gehindert aus Sorge, dass ein derartiger Menschenansturm Ihm schaden könnte. Der Prinz selbst, der seinen Gast zu Fuß bis in die Nähe des Bades begleitet hatte, wurde von dem Báb, ehe sie zum Eingang kamen, gebeten, zu seiner Residenz zurückzukehren. Auf dem ganzen Weg waren die Diener des Prinzen bemüht, die von allen Seiten herzudrängenden Menschen, die einen Blick auf den Báb werfen wollten, abzuwehren. Im Bad angekommen, entließ der Báb alle Seine Begleiter bis auf den Leibdiener des Prinzen und Siyyid Hasan, die im Vorraum warteten und Ihm beim Auskleiden halfen. Bei Seiner Rückkehr vom Bad bestieg Er wieder das Pferd und wurde von der gleichen Menschenmenge begrüßt. Der Prinz kam Ihm zu Fuß entgegen und geleitete Ihn zur Wohnung zurück.
Der Báb hatte kaum das Bad verlassen, als die Leute von Urúmíyyih herbeistürzten, um sich das Wasser, das Er für Seine Waschungen benützt hatte, bis zum letzten Tropfen zu nehmen. Große Erregung herrschte an diesem Tag. Als der Báb diese Beweise hemmungsloser Begeisterung vernahm, gedachte Er der wohlbekannten, gewöhnlich dem Imam 'Ali, dem Gebieter der Gläubigen, zugeschriebenen Überlieferung, die sich ausdrücklich auf Ádhirbáyján
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bezieht. Der See von Unimiyyih, heißt es dort in den letzten Abschnitten, wird aufkochen, wird über seine Ufer treten und die Stadt überfluten. Als man Ihm später berichtete, wie die Menschen in überwältigender Mehrheit spontan ihre ungeteilte Treue zu Seiner Sache erklärt hätten, sagte Er ruhig: „Meinen die Menschen,' sie würden, wenn sie sagen: ,Wir glauben', in Ruhe gelassen und keiner Prüfung unterworfen?"1' Diese Bemerkung erwies sich als voll berechtigt angesichts der Haltung, die dieselben Leute gegen Ihn einnahmen, als sie die Kunde von der furchtbaren Behandlung vernahmen, die Ihm in Tabriz zuteil ward. Zur Stunde der Prüfung blieben von denen, die so laut ihren Glauben an Ihn bekannt hatten, kaum eine Handvoll standhaft in Ergebenheit zu Seiner Sache. Unter diesen stand an erster Stelle Mulla Imám-Vardí, dessen Festigkeit im Glauben nur noch von Mulla Jalíl-i-Urúmí, einem Buchstaben des Lebendigen aus Unimiyyih, übertroffen werden konnte. Widrigkeiten waren für ihn nur Anlass für noch glühendere Hingabe und noch stärkeren Glauben an die Richtigkeit der Sache, der er sich geweiht hatte. In der Folgezeit gelangte er in die Gegenwart Bahá'u'lláhs, anerkannte die Wahrheit Seiner Sendung und setzte sich mit demselben flammenden Euer für deren Verbreitung ein, wie er es zuvor für die Sache des Báb getan hatte. In Anerkennung seiner langen Dienste wurden er wie seine Familie mit zahlreichen Tablets aus der Feder Bahá'u'lláhs geehrt, in denen Bahá'u'lláh seine Erfolge hervorhebt und den Segen des Allmächtigen für seine Bemühungen erfleht. Mit unwandelbarer Entschlossenheit arbeitete er weiterhin für die Förderung des Glaubens, bis er im Alter von über achtzig Jahren verschied.
Die Berichte über die Zeichen und Wunder, deren die ungezählten Bewunderer des Báb Zeuge waren, gingen rasch von Mund zu Mund und riefen eine Woge unvergleichlicher Begeisterung hervor, die sich mit bestürzender Schnelligkeit über das ganze Land ausbreitete, Tihrán überflutete und die geistlichen Würdenträger des Reichs zu neuen Aktionen gegen Ihn aufreizte. Diese zitterten angesichts der wachsenden Ausdehnung einer Bewegung, von der sie fürchteten, dass sie, wenn man ihr freien Lauf ließe, bald die Institutionen zu Fall brächte, von denen ihre Autorität, ja ihre ganze Existenz abhing. Überall sahen sie die Beweise eines Glaubens, einer Hingabe, wie sie selbst sie niemals zu erwecken imstande waren, einer Treue, die den Bau, den sie mit eigenen Händen errichtet hatte, an den Grundmauern traf, und die sie mit allen ihren vielen Hilfsmitteln nicht ins Wanken bringen konnten.
Besonders Tabriz lag in den Wehen wildester Erregung. Die Kunde von der bevorstehenden Ankunft des Báb hatte die Phantasie der Bewohner entzündet,
« Qur'án 29:2.
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in den Herzen der geistlichen Führer von Ádhirbáyján aber den wildesten Haß entfacht. Unter den Einwohnern von Tabriz blieben allein sie den Kundgebungen fern, mit denen die Bevölkerung die Rückkehr des Báb in ihre Stadt freudig begrüßte. Die allgemeine Begeisterung über diese Neuigkeit schlug so hohe Wellen, dass die Behörden entschieden, den Báb außerhalb der Stadttore unterzubringen. Nur wen Er zu sprechen wünschte, erlangte das Vorrecht, zu Ihm zu gelangen. Allen anderen wurde der Zutritt strikt verweigert.
In der zweiten Nacht nach Seiner Ankunft rief der Báb 'Azím zu Sich und betonte im Laufe Seines Gesprächs mit ihm nachdrücklich Seinen Anspruch, der verheißene Qá'im zu sein. Er merkte indessen, dass 'Azím zögerte, diesen Anspruch vorbehaltlos anzuerkennen. Da der Báb 'Azíms Erregung spürte, sprach Er: „Morgen werde Ich in Gegenwart des Vali-'Ahd2) und vor den versammelten 'Ulamás und Notabein der Stadt Meine Sendung verkünden. Wer dann noch meint, von Mir einen anderen Beweis fordern zu müssen als den der Verse, die Ich offenbart habe, den lass bei dem Qá'im seines eitlen Wahns Befriedigung suchen!"
Ich habe 'Azím folgendes berichten hören: „In jener Nacht war ich in einem Zustand größter Verwirrung. Ich blieb wach und ruhelos bis Sonnenaufgang. Sobald ich jedoch mein Morgengebet verrichtet hatte, merkte ich, dass eine große Veränderung mit mir vorgegangen war. Ein neues Tor schien entriegelt und vor meinen Augen aufgetan. Bald erwachte in mir die Überzeugung, dass, wenn ich meinem Glauben an Muhammad treu wäre, ich zwangsläufig auch den Anspruch, den der Báb geltend macht, vorbehaltlos anerkennen und mich ohne Furcht und Zögern allem unterwerfen müsse, was Er zu verfügen beliebt. Dieser Schluss stillte den Aufruhr meines Herzens. Ich eilte zu dem Báb und bat Ihn um Vergebung. Er sagte: ,Dies ist ein weiterer Beweis für die Größe dieser Sache, dass selbst 'Azim3) sich von ihrer Kraft und ihrem unermesslichen Anspruch so übermäßig erregen und erschüttern ließ.' ,Sei versichert', fügte Er hinzu, ,die Gnade des Allmächtigen wird dich befähigen, der Zaghaften Herzen zu stärken und der Wankenden Schritte zu festigen. So groß wird dein Glaube sein, dass der Feind, wenn er auch deinen Leib verstümmelt und zerstückelt in dem Wahn, er könnte die Glut deiner Liebe auch nur um ein Jota vermindern, sein Ziel nicht erreicht. Du wirst in künftigen Tagen Ihn, den Herrn aller Welten, von Angesicht zu Angesicht sehen und an der Freude Seiner Gegenwart teilhaben.* Diese Worte vertrieben das Dunkel meiner Sorgen. Von diesem Tag an wich jede Spur von Angst und Unruhe von min*
2> der Thronerbe.
V „'azím" bedeutet „groß".
342

Násiri'd-Dín Sháh als Kind, zu seiner Rechten Mírzá Abu'l-Qásim Qá'im-Maqám, zu seiner Linken Hájí Mírzá Áqásí; ganz links (x) Manúehihr Khan, der Mu'tamidu'd-Dawlih.
Dass der Báb vor den Toren von Tabríz untergebracht war, konnte die in der Stadt herrschende Erregung nicht lindern. Jede Vorsichtsmaßnahme, jede Beschränkung, die die Behörden anordneten, trug nur dazu bei, die unheilvolle, bedrohliche Situation zu verschärfen. Hájí Mírzá Áqásí gab Befehl für eine sofortige Versammlung aller geistlichen Würdenträger von Tabríz im Amtssitz des Gouverneurs von Ádhirbáyján zu dem ausdrücklichen Zweck, den Báb vor Gericht zu stellen und die wirksamsten Maßnahmen zu ersinnen, um Seinen Einfluss zu unterbinden. Unter denen, die zu diesem Zweck zusammenkamen, waren Hájí Mulla Mahmúd, genannt Nizámu'IríUlamá', - der Hauslehrer bei Násiri'd-Dín Mírzá Valí-'Ahd4) -, ferner Mulla Muhammad-i-Mámáqání, Mírzá-'Alí-Asghar, der Shaykhu'l-Islám, sowie eine Anzahl der hervorragendsten ffliaykhí und Doktoren der Theologie.5, Násiri'd-Dín Mírzá wohnte der Versammlung bei. Den Vorsitz
4) geboren am 17. Juli 1831; Regierungsantritt September 1848; gestorben 1896. „Dieser
Prinz verließ Tihrán, um am 23. Januar 1848 in sein Gouvernement zurückzukehren; als sein
Vater am 4. September starb, kehrte er am 18. desselben Monats und Jahrs als Sháh nach Tihrán
zurück." (A. L. M. Nicolas, Siyyid 'Ali-Muhammad dit le Báb, S. 243, Fußn. 195.)
5) A Travellern Nafrative, S. 19, erwähnt zusätzlich den Namen des Imám-Jum'ih Mírzá
Ahmad.
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führte der Nizámu'l-'Ulamá', der den Prozeß eröffnete und im Namen der Ver
sammelten einen Armeeoffizier beauftragte, den Báb hereinzuführen. Unter
dessen belagerten viele Menschen den Eingang zum Saal und warteten unge
duldig darauf, einen Blick auf Sein Antlitz zu werfen. Sie drängten so zahlreich
herzu, dass man Ihm den Zugang durch die vor der Tür angesammelte Menge
erzwingen musste. •
Als der Báb hereinkam, sah Er, dass alle Sitze in dem Saal belegt waren bis auf einen dem Vali-*Ahd vorbehaltenen. Er begrüßte die Versammlung und nahm, ohne im geringsten zu zögern, diesen freien Sitz ein. Seine majestätische Haltung, der Ausdruck überwältigender Zuversicht auf Seiner Stirne, vor allem aber die geistige Macht, die Sein ganzes Wesen ausstrahlte, das alles schien den Empfängern Seines Grußes für einen Augenblick die Seele aus dem
Leib getrieben zu haben. Tiefes, geheimnisvolles Schweigen breitete sich plötzlich aus. Keiner in dieser erlauchten Versammlung wagte auch nur ein einziges Wort. Schließlich brach der Nizámu'l-'Ulamá' das auf allen lastende Schweigen. »Wer behauptest du zu sein", fragte er den Báb, „und welche Botschaft bringst du?" „Ich bin", rief der Báb dreimal, „Ich bin, Ich bin der Verheißene! Ich bin Der, Dessen Namen ihr seit tausend Jahren anrufet, bei Dessen Erwähnung ihr euch erhebt, Dessen Kommen zu erleben ihr ersehnt und um Dessen Offenbarung ihr Gott bittet, dass Er ihre Stunde beschleunige. Wahrlich, Ich sage, es obliegt den Völkern des Ostens wie des Westens, Meinem Wort zu gehorchen und Mir Treue zu geloben." Keiner wagte zu antworten bis auf Mulla Muhammad -i-Mámáqání, ein Führer der Shaykhi-Gemeinde, der selbst ein Schüler Siyyid Kazims gewesen war. Er war es, von dessen Unglauben und Unaufrichtigkeit der Siyyid unter
Násiri'd-Dín §háh
344




Násiri'd-Dín Sháh
Tränen gesprochen und über dessen verderbtes Wesen er geklagt hatte. Shaykh Hasan-i-Zunúzí, der Äyyid Kázims Kritik an ihm mit angehört hatte, erzählte mir folgendes: „Ich war höchst erstaunt, in welchem Ton er über Mulla Muhammad sprach, und war neugierig zu wissen, wie dessen zukünftiges Verhalten solche Worte des Bedauerns und der Verurteilung seitens seines Lehrers verdiente. Erst als ich in jenen Tagen seine Haltung gegen den Báb sah, erkannte ich das Ausmaß seiner Arroganz und Blindheit. Ich stand mit anderen Leuten zusammen draußen vor dem Saal, konnte aber dem Gespräch derer folgen, die sich darinnen befanden. Mulla Muhammad saß linker Hand vom Vali-'Ahd. Der Báb saß zwischen ihnen. Unmittelbar nachdem Er Sich als den Verheißenen erklärt hatte, packte die Anwesenden Furcht. Verwirrt und stumm hielten sie die Köpfe gesenkt. Ihre blassen Gesichter verrieten die Erschütterung ihrer Herzen. Mulla Muhammad, dieser Abtrünnige, einäugig und weißbärtig, verwies Ihn unverschämt und sprach: ,Du elender, unreifer Bursche aus Shíráz! Du hast schon den 'Iráq erschüttert und unterwühlt, willst du jetzt in Ádhirbáyján denselben Aufruhr stiften?' ,Eurer Ehrwürden', erwiderte der Báb, ,Ich bin nicht freiwillig hierher gekommen. Ich bin hierher befohlen worden.' ,Halt den Mund!' fuhr Ihn Mulla Muhammad wütend an, ,du falscher, gemeiner Anhänger des Satans!' ,Euer Ehrwürden', antwortete der Báb wiederum, ,Ich halte aufrecht, was Ich erklärt habe.'
Der Nizámu'l-'Ulamá, hielt es für das beste, die Sendung des Báb öffentlich in Frage zu stellen. ,Der Anspruch, den du geltend machst', sagte er, ,ist erstaunlich; er muss unbedingt durch unwiderlegliche Beweise gestützt werden.' Der Báb antwortete: »Der5 mächtigste, der überzeugendste Beweis für die Wahrheit der Sendung des Propheten Gottes ist anerkanntermaßen Sein eigenes Wort. Er selbst bezeugt diese Wahrheit: „Genügt ihnen nicht, dass Wir Dir

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das Buch herabgesandt haben?"61 Gott gab Mir die Macht, diesen Beweis zu erbringen. Ich erkläre Mich imstande, binnen zwei Tagen und zwei Nächten Verse zu offenbaren, deren Zahl dem Umfang des ganzen Qur'án entspricht.' »Wenn du die Wahrheit sprichst, dann schildere mündlich', bat der Nizámu'l~*'Ulamá', ,in einer Sprache, die in ihrem Stil den Versen des Qur'án gleicht, das Verfahren dieser Versammlung, damit der Vali-'Ahd und die anwesenden Geistlichen sich von der Wahrheit deiner Behauptung überzeugen können.' Der Báb ging bereitwillig auf diesen Wunsch ein. Doch kaum hatte Er die Worte gesprochen: ,1m Namen Gottes, des Barmherzigen, des Mitleidigen, Preis sei Ihm, der Himmel und Erde erschaffen hat!', als Mulla Mámáqání Ihn unterbrach und auf die Verletzung einer grammatikalischen Regel hinwies. ,Dieser unser selbsternannter Qá'im', schrie er dünkelhaft und höhnisch r ,hat gleich zu Beginn seiner Rede seine Unkenntnis der grammatikalischen Grundregeln bewiesen!' ,Der Qur'án selbst', machte der Báb geltend,
Berühmte persische Mujtahids
,hält sich keineswegs an die den Menschen geläufigen Regeln und Gepflogenheiten. Das Wort Gottes kann niemals den Begrenzungen Seiner Geschöpfe unterworfen sein. Nein, die Regeln und Vorschriften, welche sich die Menschen zu eigen gemacht haben, sind von dem Text der Worte Gottes abgeleitet und beruhen auf ihm. Die Menschen haben gerade in den Texten dieses heiligen Buches nicht weniger als dreihundert grammatikalische Fehler entdeckt, deren du einen jetzt kritisierst. Da es aber das Wort Gottes ist, haben sie keine andere Wahl, als sich Seinem Willen zu fügen.'7)
6> Qur'án 29:51.
7> „Wer einen Einwand gegen die Grammatik oder die Syntax (dieser Verse) erhebt, der tadelt vergeblich, denn die Sprachregeln müssen aus diesen Versen abgeleitet werden, nicht die Verse
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Dann wiederholte Er dieselben Worte, die Er gesprochen hatte, worauf Mulla Muhammad wiederum dieselben Einwände erhob. Bald darauf wagte ein anderer, dem Báb folgende Frage zu stellen: ,Zu welcher Zeitform gehört das Wort Ishtartanna?' Als Antwort zitierte ihm der Báb folgenden Qur'án-Vers: ,Fern Sei der Herrlichkeit deines Herrn, des Herrn aller Größe, was sie Ihm zuschreiben, und Friede sei auf Seinen Gesandten! Und Preis sei Gott, dem Herrn aller Weitend, Darauf erhob Er sich und verließ die Ver-• Sammlung. "8)
Der Nizámu'1-TIlamá' war höchst ungehalten über die Art, wie die Verhandlung geführt worden war. „Wie beschämend ist doch die Unhöflichkeit des Volks von Tabriz!" hörte man ihn später rufen. „Wie kann man nur diese dummen Bemerkungen machen gegenüber der Bedeutung so gewichtiger, so denkwürdiger Worte?" Einige andere neigten gleichfalls dazu, die unwürdige Behandlung des Báb bei diesem Ereignis zu verurteilen. Mulla Muhammad-i-Mámáqání jedoch blieb bei seinen heftigen Anschuldigungen. „Ich warne euch", protestierte er laut. „Wenn ihr zulasst, dass dieser Jüngling weiter unangefochten den Kurs seines Wirkens verfolgt, dann wird der Tag kommen, an dem sich die ganze Einwohnerschaft von Tabriz um seine Fahne schart. Wenn
sich nach den Sprachregeln richten. Im übrigen besteht kein Zweifel darüber, dass der Herr der Verse diese Regeln abgelehnt hat, dass er geleugnet hat, sie auch nur gekannt zu haben." (Le Bayätt Person, Bd. 1, S. 45f.)
8) „Die muslimischen Berichte, die wir vor uns haben, tragen nicht den Stempel der Zuverlässigkeit. Anscheinend sind es Fälschungen. Nach dem, was wir über den Báb wissen, hat er wahrscheinlich die besten Argumente vorgebracht, während die anwesenden Doktoren und Amtsträger nicht willens waren, ihr Fiasko zuzugeben." (T.K. Cheyne, The Reconciliation of Races and Religions, S. 62.) „Es ist schwer zu entscheiden, wie weit man dem erwähnten Bericht (der muhammadanischen Version des Verhörs des Báb in Tabriz) Glauben schenken darf. Sehr wahrscheinlich sind derartige Fragen, wie sie dort berichtet werden, gestellt worden - einige davon sind ohne Zweifel frivol und taktlos. Aber selbst, wenn der Báb nicht in der Lage gewesen wäre, darauf zu antworten, so ist doch die in Tärikh-i-Jadid nachzulesende Stelle viel glaubwürdiger, dass er lieber mit Würde schwieg, als sich zu den Absurditäten zu äußern, die ihm seitens der muhammadanischen Schreiber zugemutet wurden. Diese haben sich wirklich selbst geschadet. Indem sie es nämlich darauf absahen, dem Báb nachzuweisen, dass er keineswegs übermenschliches Wissen besitze, präsentierten sie ihn so, als ob er derartig ignorant wäre, wie wir es schwerlich glauben können. Dass das ganze Verhör durchweg eine Farce war, dass das Urteil auf vorgefasstem Beschluss beruhte, dass kein ernstzunehmender Versuch gemacht wurde, das Wesen und die Berechtigung des Anspruchs und der Lehre des Báb zu begreifen, dass von Anfang bis Ende systematisch ein Kurs der Einschüchterung, der Ironie und der Verhöhnung gesteuert wurde, sind offenbar Tatsachen, die nicht weniger aus muhammadanischen als aus Berichten der Bábí über diese inquisitorischen Vorgänge erhärtet werden." (A Travellern Narrative, Anm. M, S. 290.)
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er dann an diesem Tag den Wunsch äußerte, dass alle TJlamás von Tabriz, dass
selbst der Vali-'Ahd aus der Stadt vertrieben werde, und er allein die Zügel der
weltlichen und geistlichen Amtsgewalt an sich risse, dann wird keiner von
euch, die ihr jetzt mit Gleichmut auf seine Sache seht, ihm wirksam entgegen
treten können. Die ganze Stadt, ja die ganze Provinz Ádhirbáyján wird an die
sem Tag einmütig zu ihm stehen." •
Das Namáz-Khánih des Shaykhu'1-Islám von Tabriz
Hier wurde der Báb ausgepeitscht
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Die ständigen Anschuldigungen dieses üblen Ränkeschmieds erregten schließlich Besorgnis bei den Behörden von Tabriz. Die Machthaber beratschlagten, mit welchen Maßnahmen die Ausbreitung Seines Glaubens am wirksamsten zu verhindern wäre. Einige drangen darauf, dass der Báb angesichts der betonten Missachtung, die Er dem Valf-'Ahd gegenüber gezeigt hatte, als Er, ohne um Erlaubnis zu fragen, dessen Platz einnahm und dann unerlaubt aufstand und wegging, noch einmal zu einer derartigen Versammlung vorgeladen werden und aus den Händen der Anwesenden eine demütigende Strafe erhalten sollte. Násiri'd-Dín Mírzá wies jedoch diesen Vorschlag zurück. Schließlich beschloss man, den Báb in das Haus des Mírzá 'Alí-Asghar zu bringen, der sowohl Shaykhu'1-Islám von Tabriz als auch ein Siyyid war, wo Er von den Händen der Leibwache des Gouverneurs die verdiente Züchtigung erhalten sollte. Die Wachen lehnten es jedoch ab, diesem Ansinnen nachzukommen, da sie nicht in eine Angelegenheit eingreifen wollten, die nach ihrer Ansicht allein die 'Ulamás der Stadt betraf. So beschloss der Shaykhul-Islám, selbst die Strafe auszuführen. Er befahl den Báb in sein Haus und hieb Ihm eigenhändig elfmal mit der Rute auf die Füße.9)
9) Das Folgende ist ein Bericht von Dr. Cormick über seine persönlichen Eindrucke von Mírzá 'Ali-Muhammad, dem Báb; er ist in Briefen enthalten, die Dr. Cormick an Rev. Benjamin Labaree, D.D., schrieb. (Dr. Cormick war ein englischer Arzt, der lange in Tabriz lebte, wo er sehr geachtet war.Professor E.G. Browne von der Universität Cambridge hat das Dokument von Mr. W. A. Shedd erhalten, der in einem Brief vom 1. März 1911 darüber schreibt: »Lieber Professor Browne, bei Durchsicht der Papiere meines Vaters (des verst. Rev. J.H.Shedd, D.D., von der amerikanischen Mission in Urúmíyyih, der auch Dr. Benjamin Labaree angehörte), fand ich etwas, was meiner Ansicht nach von historischem Wert sein könnte. Ich habe hier keine Bücher, auch sind hier keine zugänglich, um sicher zu sein, ob von diesem Zeugnis Gebrauch gemacht worden ist oder nicht. Wahrscheinlich nicht, wie ich denke, und sicherlich kann ich nichts Besseres tun, als sie Ihnen zu senden mit dem Wunsch, dass Sie nach Gutdünken Gebrauch davon machen. An der Authentizität der Papiere kann kein Zweifel bestehen.") „Sie fragen mich nach Einzelheiten bezüglich meiner Unterredung mit dem Begründer der Bábí-Sekte. Bei dieser Unterredung hat sich nichts von Belang ereignet, da der Báb gewahr wurde, dass ich zusammen mit zwei anderen persischen Ärzten zu ihm geschickt worden war, um festzustellen, ob er geistig gesund oder ein Verrückter sei, um danach zu entscheiden, ob er umzubringen sei oder sieht. Dessen bewusst, war er nicht willens, auf die gestellten Fragen zu antworten. Auf alle Fragen sah er uns nur sanft an, während er mit tiefer, melodischer Stimme vermutlich Hymnen sang. Es waren noch zwei andere Siyyids zugegen, seine engen Freunde, die später zusammen mit ihm getötet wurden, außerdem zwei Regierungsbeamte. Nur einmal würdigte er mich einer Antwort, als ich ihm sagte, dass ich kein Muslim sei und gern etwas über seine Religion wissen möchte, da ich vielleicht geneigt wäre, sie anzunehmen. Als ich dies sagte, betrachtete er mich aufmerksam und erwiderte, er zweifle nicht daran, dass alle Europäer zu seiner Religion übertreten würden. Unser damaliger Bericht an den Schah war derart, dass man den Báb am Leben ließ. Einige Zeit später wurde er auf Befehl des Amír-Nizám Mírzá Taqí Khan
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Noch im selben Jahr wurde dieser anmaßende Despot von Lähmung befallen; er starb nach qualvollem Siechtum eines elenden Todes. Sein hinterhältiges, habgieriges, selbstsüchtiges Wesen war der Bevölkerung von Tabriz allgemein bekannt. Als grausam und gemein berüchtigt, war er bei dem Volk, das unter seinem Joch stöhnte und um Erlösung betete, gefürchtet und verachtet. Die üblen Begleitumstände seines Todes erinnerten Freund und Feind an die Strafe, die unweigerlich den trifft, den weder Gottesfurcht noch Gewissen davon abhält, heimtückisch und grausam gegen die Mitmenschen zu handeln. Nach seinem Tod wurde das Amt des Shaykhu'1-Islám in Tabriz abgeschafft. So groß war seine Niedertracht, dass schon der Name der Institution, für die er tätig gewesen, bei den Leuten verhaßt war.
Und doch war sein Verhalten, so niedrig und heimtückisch es war, nur ein Beispiel für die schändliche Art, wie die geistlichen Führer unter seinen Landsleuten sich dem Báb gegenüber verhielten. Wie weit, wie schmerzlich sind sie vom Pfade der Redlichkeit und Gerechtigkeit abgeirrt! Wie verächtlich haben sie die Ratschläge des Propheten Gottes und der Imáme des Glaubens von sich gewiesen! Haben diese nicht ausdrücklich erklärt: „Wenn ein Jüngling von
getötet. Auf unseren Bericht hin bekam er lediglich die Bastonade, wobei ein Farrash. ob absichtlich oder nicht, ihn mit dem Stock, der für seine Füße bestimmt war, quer über das Gesicht schlug, was zu einer großen Wunde mit Schwellung im Gesicht führte. Gefragt, ob man ihm zur Behandlung einen persischen Arzt schicken solle, äußerte er den Wunsch, dass man mich zu ihm bitten solle, und so behandelte ich ihn ein paar Tage lang; aber bei den darauf folgenden Unterredungen konnte ich ihn nie für ein vertrauliches Gespräch gewinnen, weil er als Gefangener ständig Amtspersonen um sich hatte. Er war für meine Betreuung sehr dankbar. Er war ein sehr sanfter, zart aussehender Mann, ziemlich klein von Gestalt, sehr hell für einen Perser, und harte eine weiche, melodische Stimme, die mich zutiefst bewegte. Da er ein Siyyid war, trug er das Gewand dieser Sekte, wie auch seine beiden Gefährten. Wirklich, sein ganzes Aussehen und Verhalten war dazu angetan, für ihn einzunehmen. Von seiner Lehre vernahm ich aus seinem Mund nichts, wenn auch die Vorstellung besteht, dass seine Religion eine gewisse Nähe zum Christentum hat. Armenische Teppich knüpfer, die den Auftrag hatten, einige Reparaturen in seinem Gefängnis vorzunehmen, haben ihn in der Bibel lesen sehen. Er hat dies auch keineswegs zu verheimlichen versucht, sondern hat im Gegenteil mit ihnen darüber gesprochen. Ganz bestimmt gibt es in seiner Religion den muslimischen Fanatismus gegen die Christen nicht, auch die heute noch bestehende Unterdrückung der Frauen nicht." Im Zusammenhang mit diesem Schreiben berichtet Professor Browne folgendes: „Das erste dieser beiden Dokumente ist sehr wertvoll, gibt es doch den persönlichen Eindruck wieder, den der Báb während seiner Gefangenschaft und Leiden auf einen kultivierten, unvoreingenommenen westlichen Geist gemacht hat. Nur ganz wenige westliche Christen können Gelegenheit gehabt haben, den Báb zu sehen, geschweige denn, mit ihm zu sprechen; und ich weiß auch von niemand anderem, der über seine Eindrücke berichtet hätte." (E.G.Browne, Materials for the Study ofthe Babt Religion, S. 260f.)
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Baní-Háshim10, offenbart wird und die Menschen zu einem neuen Buch und zu neuen Gesetzen ruft, sollen alle Ihm entgegeneilen und sich zu Seiner Sache bekennen"? Obgleich ebendiese Imáme deutlich dargelegt haben, dass „die meisten Seiner Feinde die 'Ulamás sein" werden, hat das blinde, gemeine Volk es vorgezogen, dem Beispiel seiner Führer zu folgen und deren Verhalten als Muster für Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit anzusehen. Sie gehen in ihren Fußstapfen, gehorchen blindlings ihren Befehlen und dünken sich das „Volk des Heils", die »Auserwählten Gottes", die „Hüter der Wahrheit".
Von Tabriz wurde der Báb nach Chihriq zurückgebracht und wieder der Obhut Yahyá Kháns anvertraut. Seine Verfolger hatten sich töricht eingebildet, sie brächten Ihn durch die Vorladung, durch Drohungen und Einschüchterungsversuche dazu, Seiner Sendung abzuschwören. Diese Zusammenkunft gab dem Báb Gelegenheit, in der Hauptstadt von Ádhirbáyján in Gegenwart höchster Würdenträger die Wesenszüge Seines Anspruchs nachdrücklich darzutun und mit knappen, überzeugenden Worten die Argumente Seiner Gegner zu widerlegen. Die Kunde von dieser denkwürdigen Erklärung, die so weitgehende Folgen barg, verbreitete sich mit Windeseile über ganz Persien und wühlte die Anhänger des Báb aufs neue zutiefst auf. Sie belebte ihren Eifer, festigte ihre Haltung und bildete den Auftakt für die schrecklichen Ereignisse, die bald das Land erschüttern sollten.
Kaum war der Báb wieder in Chihriq, da schrieb Er in kühner, bewegender Sprache eine Anklage wider den Charakter und die Handlungsweise des Hájí Mírzá Áqásí. In den einleitenden Sätzen dieses Schreibens, das die Bezeichnung Khutbiy-i-Qahriyyihn* erhielt, spricht der Verfasser den Großwesir des Muhammad Sháh mit den Worten an: „O du, der du an Gott nicht glaubst' und dein Gesicht von Seinen Zeichen abwendest!" Das sehr lange Schreiben wurde an Hujjat gesandt, der in jenen Tagen in Tihrán gefangen war. Er erhielt die Weisung, es persönlich Hájí Mírzá Áqásí zu übergeben.
Ich hatte das Vorrecht, in der Gefängnisstadt 'Akká aus dem Munde Bahá'u'lláhs den folgenden Bericht zu hören: „Mulla Muhammad-'Aliy-i-Zanjání kam bald, nachdem er jenes Schreiben Hájí Mírzá Áqásí übergeben hatte, zu Mir. Ich befand Mich in Gesellschaft von Mírzá Masíh-i-Núrí und einer Anzahl anderer Gläubiger, als er vorsprach. Er berichtete über die Begleitumstände bei der Übergabe des Schreibens und rezitierte vor uns den ganzen Text, den er auswendig gelernt hatte, etwa drei Seiten lang." Der Ton, in dem Bahá'u'lláh von Hujjat sprach, verriet Sein Wohlgefallen an der Rein-
10) Háshim war der Urgroßvater Muhammads.
11) wörtlich: „Predigt des Zorns".

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heit und dem Adel von Hujjats Leben und zeigte, wie sehr BaháVlláh Hujjats unerschrockenen Mut, seinen unbeugsamen Willen, seine Weltentsagung und seine unerschütterliche Standhaftigkeit bewunderte.
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Neunzehntes Kapitel
DIE ERHEBUNG IN MÁZINDARÁN Erster Teil
Im selben Monat Sha'bán, in dem der Báb in Tabriz so schmachvoll behandelt wurde und Bahá'u'lláh mit Seinen Gefährten in Níyálá solches Leid widerfuhr, kehrte Mulla Husayn aus dem Lager des Prinzen Hamzih Mírzá nach Mashhad zurück, von wo er sieben Tage später mit Begleitern nach seiner Wahl nach Karbilá gehen sollte. Der Prinz sandte ihm einen Geldbetrag zur Bezahlung seiner Reisekosten, Mulla Husayn schickte das Geld jedoch zurück mit einer Botschaft, in der er bat, es für die Armen und Bedürftigen zu verwenden. 'Abdul-'Ali Khan bot gleichfalls an, für alles aufzukommen, was Mulla Husayn für seine Pilgerfahrt benötigte, und brachte das heftige Verlangen zum Ausdruck, auch die Kosten für die Begleiter seiner Wahl zu tragen. Aber alles, was er von ihm annahm, waren- ein Schwert und ein Pferd, die er beide mit höchstem Mut und Geschick bei der Abwehr eines heimtückischen Feindes gebrauchen sollte.
Meine Feder ist unfähig, die Ergebenheit, die Mulla Husayn im Herzen der Bewohner von Mashhad erweckt hatte, angemessen zu schildern oder seinen Einfluss erschöpfend darzustellen. Sein Haus war in jenen Tagen ständig von Scharen begeisterter Menschen belagert, die baten, ihn auf seiner geplanten Reise begleiten zu dürfen. Mütter brachten ihre Söhne, Schwestern ihre Brüder und baten ihn unter Tränen, diese als ihre teuerste Gabe auf dem Altar das Opfers anzunehmen.
Mulla Husayn war noch in Mashhad, als ein Bote eintraf, der ihm den Turban des Báb überbrachte mit der Kunde, dass ihm von seinem Herrn ein neuer Name verliehen-sei: Siyyid 'Ali. „Schmücke dein Haupt", so lautete die Botschaft, „mit Meinem grünen Turban, dem Zeichen Meiner Abstammung, eile,.
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die Schwarze Fahne1' vor dir entfaltet, zum Jazíriy-i-Khadrá'2) und leiste Meinem geliebten Quddus Beistand."
Sobald ihn die Botschaft erreichte, machte sich Mulla Husayn auf, die Wünsche seines Herrn zu erfüllen. Er begab sich von Mashhad zu einem Platz, einen Farsang3' weit vor der Stadt, hißte die Schwarze Fahne, setzte sich den Turban des Báb aufs Haupt, versammelte seinC Gefährten, bestieg das Pferd und gab das Aufbruchzeichen zum Marsch nach dem Jazíriy-i-Khadrá'. Seine Gefährten, zweihundertzwei an der Zahl, folgten ihm begeistert. Dieser denkwürdige Tag war der neunzehnte Sha'bán des Jahres 1264 n.d.H.4) Wo immer sie haltmachten, in jedem Dorf und Weiler, durch die sie kamen, verkündeten Mulla Husayn und seine Glaubensgenossen furchtlos die Botschaft von dem Neuen Tag, forderten die Menschen auf, seine Wahrheit anzunehmen, wählten von denen, die ihrem Ruf folgten, einige aus und forderten sie auf, sich ihnen auf der Reise anzuschließen.
In der Stadt Níshápúr reihte sich Hájí 'Abdu'l-Majid, der Vater Badi's5', ein angesehener Kaufmann, unter Mulla Husayns Banner. Obgleich sein Vater als Besitzer der wohlbekannten Türkismine von Níshápúr unvergleichliches An-
Níghápúr
!) siehe Seite 379.
2) Wörtlich „Grüne Insel".
•" ein Farsang entspricht 4,5 - 6 km, s. Worterklärung im Anhang.
4) 21. Juli 1848 n.Chr.
5' Badi" war der Überbringer des Sendschreibens Bahá'u'lláhs an Násiri'd-Dín Sháh.
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Míyámay
sehen genoss, entsagte er allen Ehren und materiellen Vorteilen, die ihm seine Vaterstadt bot, und gelobte Mulla Husayn ungeteilte Treue. Im Dorf Míyámáy bekannten sich dreißig Einwohner zum Glauben und schlössen sich ihnen an. Alle bis auf Mulla 'ísá fielen als Märtyrer in der Festung von Shaykh Tabarsi.6)
Als sie nach Chashmih-'Ali kamen, einem Ort in der Nähe von Dámghán an der Straße nach Mázindarán, beschloss Mulla Husayn, die Reise zu unterbrechen und einige Tage zu rasten, im Schatten eines großen Baumes, an einem. Bach schlug er das Lager auf. »Wir stehen am Scheideweg", sprach er zu seinen Gefährten. „Wir werden Seine Weisung abwarten, wohin wir uns wenden sollen." Gegen Ende des Monats ShawáP brach ein heftiger Sturm los und riss einen großen Ast des Baumes ab. Darauf bemerkte Mulla Husayn: »Der Baum der Herrschaft Muhammad Sháhs ist durch den Willen Gottes entwurzelt und
6> Jir (Mulla Husayn) kam zuerst nach Míyámay, wo er sich dreißig Bábí anschloss. Dir Oberhaupt, Mírzá Zaynu'l-'Ábidín, ein Schüler des verstorbenen Shaykh Ahmad-i-Ahsá'í, war ein frommer und geachteter Greis. So groß war sein Eifer, dass er seinen Schwiegersohn, einen* Jungling von achtzehn Jahren, mitbrachte, der erst wenige Tage zuvor seine Tochter geheiratet hatte. ,Komm', sprach er zu ihm, ,komm mit mir auf die letzte Reise. Komm, denn ich will dir ein wirklicher Vater sein und dich an den Freuden des Heils teilhaben lassen.' Und so brachen sie auf, und der Greis bestand darauf, den Weg, der ihn zum Märtyrertod fuhren musste, zu Fuß zurückzulegen." (A. L. M. Nicolas, Siyyid 'Ali-Muhammad dit le Báb, S. 290.)
7) 31. August - 29. September 1848 n. Chr.
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zu Boden geschleudert worden." Am dritten Tag nach dieser Vorhersage kam aus Tihrán ein Bote, der nach Mashhad unterwegs war, und brachte die Nachricht vom Tode des Herrschers.8^ Am nächsten Tag beschloss die Gesell-
Die Masjid in Míyámay, wo Mulla Husayn und seine Gefährten beteten
8) Muhammad Sháh starb am Abend des sechsten Shavvál (4. September 1848 n. Chr.) „Es folgte ein Interregnum von ungefähr zwei Monaten. Eine provisorische Regierung wurde gebildet, bestehend aus vier Administratoren unter dem Vorsitz der Witwe des verstorbenen Sháh. Nach vielen Verhandlungen konnte schließlich der legitime Erbe, der junge Prinz Ná'siri'd-Dín Mírzá, der Gouverneur von Ádhirbáyján, den Thron besteigen." (Journal Astatique, 1866, Band 7, S. 367.)
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schaft, nach Mázindarán weiterzureisen. Als ihr Anführer zum Aufbruch rüstete, wies er in Richtung Mázindarán und sprach: „Das ist der Weg, der nach unserem Karbilá fuhrt. Wer nicht bereit ist für die großen Prüfungen, die vor uns liegen, der mag nun nach Hause zurückkehren und die Reise aufgeben." Mehrmals wiederholte er diesen Anruf, und als sie nach Savád-Kúh kamen, erklärte er nachdrücklich: „Ich werde zusammen mit zweiundsiebzig Gefährten um des Vielgeliebten willen den Tod erleiden. Wer der Welt nicht • entsagen kann, der möge augenblicklich umkehren, denn später kann er nicht mehr entrinnen." Zwanzig Gefährten zogen es vor umzukehren, da sie sich den Prüfungen, auf die ihr Oberhaupt ständig hinwies, nicht gewachsen fühlten.
Die Kunde von ihrem Anmarsch auf die Stadt Bárfurúsh schreckte den Sa'idu'l-'Ulamá' auf. Die weit verbreitete und wachsende Beliebtheit Mulla Husayns, die Begleitumstände seines Aufbruchs von Mashhad, die Schwarze Fahne, die vor ihm herwehte, und vor allem die Zahl, die Zucht und Begeisterung seiner Gefährten, all das trug dazu bei, den unerbittlichen Haß dieses grausamen, anmaßenden Mujtahids zu wecken. Er befahl dem Ausrufer, die Einwohner von Bárfurúsh in die Moschee zusammenzurufen und anzukündigen, dass er dort eine so bedeutsame Rede halten werde, dass kein treuer Anhänger des Islams in der Umgegend es sich leisten könne, sie zu versäumen. In Scharen drängten sich Männer und Frauen zur Moschee und sahen, wie er die Kanzel bestieg, seinen Turban zu Boden schleuderte, sein Hemd zerriss und die Not beklagte, die über den Glauben gekommen sei. „Wachet auf!" donnerte er von der Kanzel herab, „denn unsere Feinde stehen vor den Toren, bereit, alles hinwegzufegen, was uns am Islam rein und heilig ist! Wenn wir ihnen nicht wehren, wird keiner von uns ihren Ansturm überleben. Der Anführer dieser Bande kam eines Tages allein und besuchte meinen Unterricht. Mich beachtete er nicht und behandelte mich vor meinen Schülern mit deutlicher Geringschätzimg. Als ich ihm die Ehren verweigerte, die er erwartete, stand er verärgert auf und schleuderte mir seine Herausforderung entgegen. Dieser Mann war zu der Zeit, da Muhammad Sháh noch auf dem Thron saß und auf der Höhe seiner Macht stand, so dreist, mir viel Bitterkeit zuzufügen. Was wird wohl dieser Unheilstifter, der eben an der Spitze seiner wilden Bande heranrückt, jetzt begehen, da die schützende Hand von Muhammad Sháh plötzlich abgezogen ist! Es ist die Pflicht aller Bewohner von Bárfurúsh, jung und alt, Mann und Frau, gegen diese nichtswürdigen Zerstörer des Islams zu den Waffen zu greifen und mit allen zu Gebote stehenden Mitteln ihrem Ansturm zu widerstehen. Macht euch alle morgen zur Dämmerstunde auf und zieht hinaus, ihre Streitmacht zu vernichten."
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Als Antwort auf seinen Aufruf erhob sich die ganze Versammlung. Seine mitreißende Redegewandtheit, seine unfragliche Autorität, die Angst um Leben und Besitz - all das veranlasste die Einwohner der Stadt, alle möglichen Vorbereitungen für das bevorstehende Gefecht zu treffen. Sie versahen sich mit allen erdenklichen Waffen und brachen bei Tagesanbruch von Bárfurúsh auf, fest entschlossen, den Glaubensfeinden entgegenzutreten, sie zu schlagen und auszuplündern.9)
Nachdem sich Mulla Husayn entschlossen hatte, den Weg nach Mázinda-rán einzuschlagen, forderte er die Gefährten nach Verrichtung des Morgengebets auf, sich all ihres Besitzes zu entledigen. „Lasst alle eure Habe zurück", sprach er eindringlich zu ihnen, „und begnügt euch mit euren Schwertern und euren Rossen, damit alle sehen, dass ihr dem Irdischen entsagt habt, dass diese kleine Schar der auserwählten Gefährten Gottes kein Verlangen hat, den eigenen Besitz zu schützen oder gar das Eigentum anderer anzutasten." Alle luden sogleich gehorsam ihre Pferde ab, saßen auf und folgten ihm freudig. Badi's Vater war der erste, der seine Tasche mit einer beträchtlichen Menge Türkisen wegwarf, die er von seines Vaters Bergwerk mitgebracht hatte. Ein Wort von Mulla Husayn hatte ihm genügt, seinen zweifellos kostbarsten Besitz in den Straßengraben zu werfen, um den Wunsch seines Führers zu erfüllen.
Einen Fa^ang^ von Bárfurúsh entfernt stieß Mulla Husayn mit seinen Gefährten auf die Feinde. Eine Menschenmenge, reich mit Waffen und Munition ausgerüstet, hatte sich zusammengerottet und verstellte ihnen den Weg. Grimmige Wut lag auf ihren Gesichtern, und übelste Schimpfwörter kamen
9) „Der Minister (Mírzá Taqí Khan) gab äußerst willkürlich, ohne Anweisung oder Erlaubnis hierzu, nach allen Seiten Befehl, die Bábí zu züchtigen und zu bestrafen. Gouverneure und Richter suchten nach Vorwänden, um Reichtümer zu sammeln, Beamte nach Mitteln zum Profit, berühmte Gelehrte hetzten von ihren Kanzeln herab das Volk zum Generalangriff. Die Machte des geistlichen und des bürgerlichen Rechts reichten sich die Hand und trachteten darnach, diese Gemeinde auszumerzen und zu vernichten. Nun kannten diese Menschen von den Grundsätzen und Lehren des Báb das Wenigste und wussten darum nichts von ihren Pflichten. Ihre Begriffe und Vorstellungen waren veraltet, ihr Verhalten entsprach herkömmlichem Brauch. Der Weg zum Báb war ihnen überdies verschlossen, und die Flamme des Aufruhrs loderte sichtbar von allen Seiten. Auf Geheiß der berühmtesten Gelehrten begannen die Behörden, in Wirklichkeit das gemeine Volk, mit unaufhaltsamer Gewalt an allen Ecken zu rauben und zu plündern, zu strafen und zu quälen, zu töten und zu verderben, um dieses Feuer zu verlöschen und diese armen Seelen zu vernichten. In Ortschaften, wo ihre Zahl gering war, fielen alle mit gebundenen Händen dem Schwert zum Opfer, während sie in Städten, wo sie zahlreich waren, gemäß ihrem früheren Glauben zur Selbstverteidigung griffen, da sie nicht wissen konnten, was ihre Pflicht ist, und alle Tore verschlossen waren." (A Travellers Narrative, S. 34f.)
,0) ein Farsang entspricht etwa 4,5 - 6 km, s. Worterklärung im Anhang.
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ihnen unaufhörlich über die Lippen. Die Gefährten machten angesichts des Aufruhrs dieses aufgebrachten Pöbels Anstalten, die Schwerter zu ziehen. „Noch nicht", befahl ihr Anführer, „nicht ehe der Angreifer uns zur Verteidigung zwingt, dürfen unsere Schwerter aus der Scheide." Kaum waren diese Worte gefallen, als die Feinde das Feuer eröffneten. Sechs der Gefährten stürzten sofort zu Boden. „Geliebter Führer", rief einer von ihnen, „wir haben uns aufgemacht und sind dir gefolgt mit dem einzigen Wunsch, uns auf dem Pfade • der Sache, der wir uns verschrieben haben, zu opfern. Bitte, erlaube, dass wir uns verteidigen, lass nicht zu, dass wir so unrühmHch dem Feuer des Feindes zum Opfer fallen." „Noch ist es nicht Zeit", erwiderte Mulla Husayn, „die Zahl ist noch nicht erfüllt." Unmittelbar darauf durchbohrte eine Kugel die Brust eines seiner Gefährten, eines Siyyids aus Yazd, der den ganzen Weg von Mashhad bis hierher zu Fuß zurückgelegt hatte und zu seinen treuesten Helfern zählte.n) Beim Anblick des ergebenen Gefährten, tot zu seinen Füßen hingestreckt, hob Mulla Husayn die Augen zum Himmel und betete: „Sieh, o SGott, mein Gott, die Not Deiner auserwählten Gefährten und sei Du Zeuge von dem Empfang, den dieses Volk Deinen Geliebten bereitet. Du weißt, dass wir kein anderes Verlangen hegen, als sie auf den Pfad der Wahrheit zu führen und ihnen das Wissen um Deine Offenbarung zu vermitteln. Du selbst hast uns befohlen, unser Leben gegen die Anschläge des Feindes zu verteidigen. Getreu Deinem Befehl erhebe ich mich nun mit meinen Gefährten, um dem Angriff, den sie gegen uns richten, zu widerstehen."12)
Mulla Husayn gab seinem Pferd die Sporen und sprengte mit gezogenem Schwert mitten unter die Feinde. Mit unglaublicher Beherztheit verfolgte er den Mörder seines gefallenen Gefährten. Sein Widersacher, voll Angst, ihm entgegenzutreten, verzog sich hinter einen Baum, hielt sein Gewehr über den Kopf und versuchte sich so zu schützen. Mulla Husayn entdeckte ihn sofort, ritt herzu und durchhieb mit einem einzigen Streich seines Schwertes den Baumstamm, den Gewehrlauf und den Leib seines Gegners.13) Die Feinde
u) „Die Kugel traf den genannten Siyyid Rida mitten in die Brust und tötete ihn auf der Stelle. Er war ein Mann von reinem, einfachem Lebenswandel und von aufrichtigem, tiefem Glauben. Aus Ehrfurcht vor seinem Oberhaupt ging er stets zu Fuß neben dessen Pferd her, bereit, ihm bei jeder Gelegenheit zu dienen." (A.L.M. Nicolas, Siyyid 'Ali-Muhammad dit le Bäb, S. 294.)
ll~> „Niemand darf seines Unglaubens wegen getötet werden, denn das Töten einer Seele steht außerhalb der Religion Gottes;... und wenn irgendwer dies befiehlt, so gehört er nicht zum Bayán und hat noch nie zu ihm gehört^ und keine Sünde kann größer für ihn sein denn diese." (»The Bayán" in: Journal ofthe Royal Asiatic Society, Oct. 1889, Art. 12, S. 927f.)
l3> „Aber Schmerz und Zorn verdoppelten (Mulla Husayns) Kraft, und mit einem einzigen Hieb seiner Waffe schlug er das Gewehr, den Mann und den Baum entzwei." (Mírzá Jání fügt
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waren von der erstaunlichen Wucht dieses Hiebs bestürzt und gelähmt. Alle flohen in panischem Schrecken vor diesem außergewöhnlichen Beweis von Können, Kraft und Mut. Dies war die erste derartige Tat, durch die Mulla Husayn seine Tapferkeit und seinen Heldenmut bewies, eine Tat, die ihm das Lob des Báb eintrug. Auch Quddiis zollte der kühlen Furchtlosigkeit, die Mulla Husayn hier an den Tag gelegt hatte, seine Anerkennung. Er soll, als man ihm die Kunde überbrachte, den Qur'án-Vers zitiert haben: „So wart nicht ihr es, der sie schlug, sondern Gott schlug sie, und es waren die Pfeile Gottes, nicht die euren! Er wollte die Getreuen prüfen durch eine gnädige Prüfung von Ihm: Wahrlich, Gott hört und weiß. Solches geschah, damit Gott die List der Ungetreuen zunichte mache. "14)
Im Jahr 1265 n.d.H.15), einen Monat nach dem Ausgang des denkwürdigen Kampfes um Shaykh Tabarsi, hörte ich in Tihrán, wie Mírzá Ahmad in Anwesenheit einer Anzahl Gläubiger, darunter Mírzá Muhammad-Husayn-i-Hakamíy-i-Kirmání, Hájí Mulla Ismá'íl-i-Faráhání, Mírzá Habíbu'lláh-i-Isfahání und Siyyid Muhammad-i-Isfahání, diese Begebenheit mit ihren Begleitumständen erzählte.
Ais ich später einmal in Khurásán war und im Hause des Mulla Sádiq-i-Khurásání in Mashhad weilte, wohin ich eingeladen war, um dort die Sache zu lehren, bat ich Mírzá Muhammad-i-Furúghí in Gegenwart einer Anzahl Gläubiger, darunter Nabü-i-Akbar und der Vater Badi's, mich über die Wahrheit dieses erstaunlichen Berichts aufzuklären. Mírzá Muhammad sagte mit
hinzu, dass der Bushrú'í - Mulla Husayn - sich dabei der linken Hand bedient habe. Selbst die Muslime stellen die Zuverlässigkeit dieser Erzählung nicht in Frage.} (AX.M. Nicolas, Siyyid 'Ali-Muhammad dit le Báb, S. 295 und Anm. 215) „Dann wandte sich Jináb-i-Bábu'1-Báb um und sprach: ,Nun haben sie es uns zur Pflicht gemacht, uns zu verteidigen.' Er fasste den Schwertknauf und begann, dem Ratschluss der göttlichen Vorsehung ergeben, zurückzuschlagen. Trotz seiner zarten, zerbrechlichen Gestalt und seiner zitternden Hände entfaltete er an jenem Tag einen derartigen Heldenmut, dass, wer Augen für die Wahrheit hatte, klar erkennen musste, wie diese gewaltige Kraft nur von Gott kommen konnte, weil sie jegliche menschliche Fähigkeit übersteigt... Dann sah ich, wie Mulla Husayn mit gezücktem Schwert sein Angesicht zum Himmel emporhob, und hörte ihn rufen: ,0 Gott, ich habe diesem Feindesheer den Beweis erbracht, aber es genügt nicht.' Dann begann er uns mit der Rechten und der Linken anzugreifen. Ich schwöre bei Gott, dass er an diesem Tag das Schwert führte, wie es Menschenkraft übersteigt. Nur die Berittenen aus Mázindarán behaupteten das Feld und flohen nicht. So richtig in der Hitze des Gefechts setzte Mulla Husayn einem flüchtenden Soldaten nach, der sich hinter einem Baum zu verstecken und zugleich mit dem Gewehr zu schützen suchte. Mulla Husayn versetzte ihm aber mit dem Schwert einen solchen Schlag, dass er ihn selbst, den Baum und die Muskete in sechs Teile zerspaltete." {Táríkh-i-Jadíd, S. 49, 107f.)
14> Qur'án 8:17, 18.
1« 1848/49 n.Chr.
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Nachdruck: „Ich selbst war Zeuge dieser Tat Mulla Husayns. Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, ich hätte es niemals geglaubt." In diesem Zusammenhang erzählte uns Mírzá Muhammad folgende Geschichte: „Nach dem Treffen von Vás-Kas, als der Prinz Mihdí-Qulí Mírzá vernichtend geschlagen und barfuß vor den Anhängern des Báb geflohen war, tadelte ihn der Amír-Nizám16) streng. ,Ich habe dich mit der Aufgabe betraut', schrieb er ihm, ,eine Handvoll junger, nichtswürdiger Studenten zu unterwerfen. Ich habe dir das Heer des Sháhs zur Verfügung gestellt, und du hast zugelassen, dass es eine derart beschämende Niederlage erlitt. Was wäre wohl aus dir geworden, möchte ich wissen, hätte ich dich damit beauftragt, die vereinten Streitkräfte der russischen und der ottomanischen Regierung zu schlagen?' Der Prinz hielt es für das beste, einen Boten mit den Bruchstücken des Gewehrlaufs, der durch Mulla Husayns Schwert entzweigeschlagen war, hinzuschicken mit der Weisung, sie dem Amír-Nizám persönlich vorzulegen. ,So sieht $ie nichtswürdige Kraft eines Gegners aus', ließ er dem Amir sagen, ,der mit einem einzigen Schwertstreich den Baum, die Muskete und ihren Träger in sechs Stücke gehauen hat.' '
Ein so überzeugender Beweis für die Kraft seines Gegners war in den Augen des Amír-Nizám eine Herausforderung, die ein Mann seines Ranges und Amtes nicht ignorieren durfte. Er beschloss, die Kraft zu bändigen, die sich durch eine so herausfordernde Tat gegen seine Streitkräfte zu behaupten suchte. Da er trotz der überwältigenden Zahl seiner Truppen nicht in der Lage war, Mulla Husayn und seine Gefährten offen und ehrlich zu besiegen, griff er schäbig zu Verrat und Betrug als Mittel zum Zweck. Er befahl dem Prinzen,



lfi) Mírzá Taqí Khan. rtimádu'd-Dawlih, Großwesir und Nachfolger von Hájí Mírzá Áqásí. In A Travellern Narrative (S.32f) findet sich folgender Beitrag über ihn: „Mírzá Taqí Khan Amír-Nizám, der Premierminister und oberste Reichsverweser, ergriff mit despotischer Faust die Zügel des Reiches und preschte auf dem Roß des Ehrgeizes in die Arena der Willkür und Alleinherrschaft. Dieser Minister war bar jeder Erfahrung, ohne Blick für die Folgen seines Handelns, blutdürstig, unverschämt und rasch bereit zum Blutvergießen. Strenge Strafen hielt er für weise Maßnahmen; hartes Fordern und Drängen, das Volk in Angst und Schrecken versetzen, galt ihm als Drehpunkt für das Gedeihen der Monarchie. Da Seine Majestät erst an der Schwelle seines jungen Lebens stand, verfiel der Minister auf seltsame Launen und blies die Fanfare des Absolutismus bei der Führung der Staatsgeschäfte: auf eigene Faust, ohne Erlaubnis des Königs oder den Rat kluger Staatsmänner, erließ er Befehle für die Verfolgung der Bábí; er bildete sich ein, dass er mit arroganter Gewalt derartige Dinge unterdrücken und ausmerzen könnte, dass Roheit gute Früchte zeitigte. Dagegen bekommen Gewissensangelegenheiten, wenn man wider sie streitet, einfach mehr Gewicht und Kraft; je mehr du dich bemühst, die Flamme zum Verlöschen zu bringen, umso heller wird sie auflodern. Das gilt besonders für Glauben und Religion, die sich ausbreiten und Einfluss gewinnen, sobald Blut fließt und die Herzen ergreift."
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dem Qur'án sein Siegel aufzudrücken und bei der Ehre seiner Offiziere zu versprechen, dass sie von nun an jede feindselige Handlung gegen die Besetzer der Festung unterließen. Mit diesen Mitteln konnte er erreichen, dass seine Gegner die Waffen streckten und wehrlos eine schmähliche, vernichtende Niederlage erlitten."'
Ein so einzigartiger Beweis von Gewandtheit und Kraft konnte bei vielen Beobachtern, deren Geist bisher noch nicht von Haß und Vorurteil getrübt war, seinen Eindruck nicht verfehlen. Es erregte die Begeisterung von Dichtern, die in verschiedenen Städten Persiens die kühne Heldentat und ihren Vollbringer priesen. Ihre Gedichte trugen dazu bei, die Kunde von dieser gewaltigen Tat hinauszutragen und sie unsterblich zu machen. Unter denen, die der Tapferkeit Mulla Husayns ihren Tribut zollten, war auch ein gewisser Ridá-Qulí Khán-i-Lalih-Báshí, der im Tártkh-i-Násití eine Lobeshymne schrieb über die wunderbare Kraft und die unvergleichliche Kühnheit, von der dieser Schwerthieb zeugte.
Ich habe Mírzá Muhammad-i-Furúghí zu fragen gewagt, ob er wüsste, dass im Násikhu't- Taváríkh steht, Mulla Husayn hätte in seiner frühen Jugend Unterricht in der Fechtkunst erhalten und erst nach langer Übung diese Meisterschaft erlangt. „Das ist glatt erfunden", versicherte Mulla Muhammad. „Ich kenne ihn von Kind auf und bin als Klassenkamerad und Freund lange Zeit mit ihm zusammengewesen. Ich habe nie bemerkt, dass er so viel Kraft besessen hätte. Ich glaube sogar, dass ich ihm an Kraft und körperlicher Ausdauer überlegen war. Seine Hand zitterte beim Schreiben, und er hat oft gesagt, er könne nicht so gut und so viel schreiben, wie er wolle. Er war in dieser Hinsicht stark behindert und hat darunter stets gelitten, bis zu seiner Reise nach Mázindarán. Doch in dem Augenblick, da er sein Schwert zog, um diesen wilden Angriff abzuwehren, schien er plötzlich durch eine geheimnisvolle Macht verwandelt. Bei allen späteren Gefechten sah man ihn als ersten voranstürmen und auf seinem Schlachtroß ins Lager der Angreifer preschen. Ganz allein stellte er sich dem Feind, nahm den Kampf gegen die geballten Kräfte seiner Gegner auf und errang den Sieg. Wir, die wir hinter ihm an der Reihe waren, mussten uns mit den bereits Kampfunfähigen begnügen, die von den empfangenen Schwertstreichen geschwächt waren. Sein Name allein genügte, die Herzen der Gegner in Furcht und Schrecken zu versetzen. Sie flohen schon, wenn er nur erwähnt wurde; sie zitterten, wenn er sich nahte. Selbst seine ständigen Gefährten verstummten vor Staunen über ihn. Wir waren überwältigt von der Entfaltung seiner unerhörten Kraft, seines unbezähmbaren Willens und seiner völligen Furchtlosigkeit. Wir waren alle überzeugt, dass dies nicht mehr der Mulla Husayn war, den wir gekannt hatten, dass üi ihm ein
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Geist lebendig war, den ihm nur Gott verliehen haben konnte."
Das Haus des Sa'ídu'l-'UIamá' in Bárfurúsii, Mázindarán
Derselbe Mírzá Muhammad-i-Furúghí hat mir folgendes erzählt: „Mulla Husayn hatte kaum seinem Gegner diesen denkwürdigen Schlag versetzt, als er auch schon unseren Augen entschwand. Wir wussten nicht, wo er hingekommen war. Nur sein Diener Qambar-'Alf hatte ihm folgen können. Er hat uns später berichtet, dass sein Herr sich ungestüm auf die Feinde gestürzt und es fertig gebracht habe, jeden, der ihn anzugreifen wagte, mit einem einzigen Schwertstreich niederzustrecken. Ungeachtet des Kugelregens rings um ihn, erzwang er sich seinen Weg durch die Reihen der Feinde und drängte nach Bárfurúsh. Er ritt geradewegs zur Residenz des Sa'idu'l-'Ulamá', umrundete dreimal dessen Haus und rief: ,Der erbärmliche
Feigling, der die Einwohner dieser Stadt zum heiligen Krieg gegen uns aufgewiegelt hat und sich nun schmählich hinter den Mauern dieses Hauses verbirgt, soll herauskommen aus seinem unrühmlichen Versteck! Er soll damit die Aufrichtigkeit seines Appells und die Gerechtigkeit seiner Sache beweisen. Hat er vergessen, dass wer den heiligen Krieg predigt, selbst an der Spitze seiner Anhänger marschieren und mit seinen eigenen Taten ihre Hingabe wecken, ihre Begeisterung anfeuern muss?' "
Die Stimme Mulla Husayns übertönte den Lärm der Menge. Die Einwohner von Bárfurúsh ergaben sich, und bald erhob sich der Ruf: „Friede, Friede!" Kaum war der Ruf zur Übergabe ertönt, als man von allen Seiten die Zurufe der Anhänger Mulla Husayns erschallen hörte, die in diesem Augenblick auf Bárfurúsh heransprengten. Der Ruf „Yá Sáhibu'z-Zamán!"17), den sie mit lauter Stimme kündeten, schlugen die Herzen der Hörer mit Entsetzen. Die Gefährten Mulla Husayns, die alle Hoffnung aufgegeben hatten, ihn am

17' „O Herr des Zeitalters!", ein Titel des verheißenen Qá'im.

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Leben zu finden, waren höchst überrascht, als sie ihn aufrecht auf seinem Pferd sitzen sahen, unverletzt und unerschüttert von diesem wilden Angriff. Alle traten ehrfürchtig zu ihm und küssten seine Steigbügel.
Am Nachmittag wurde der Friede, um den die Einwohner von Barfurüsh gebeten hatten, geschlossen. Mulla Husayn sprach zu der Menge, die sich um ihn scharte, die folgenden Worte: „O ihr Anhänger des Propheten Gottes, Schiiten der Imáme Seines Glaubens! Warum habt ihr euch gegen uns erhoben? Warum dünkt euch, unser Blut zu vergießen, eine gute Tat vor Gott? Haben wir je die Wahrheit eures Glaubens geleugnet? Ist das die Gastfreundschaft, die der Gesandte Gottes Seinen Anhängern gegen Gläubige wie gegen Ungläubige geboten hat? Was haben wir getan, dass ihr uns verdammt? Bedenkt: Allein, nur mit dem Schwert in der Hand, vermochte ich dem Kugelregen standzuhalten, mit dem die Einwohner von Barfurüsh mich überschüttet haben, und bin unversehrt aus dem Feuer hervorgegangen, mit dem ihr mich bedrängt habt. Ich und mein Pferd haben euren überwältigenden Angriff unverletzt überstanden. Bis auf die leichte Schramme im Gesicht habt ihr mir nichts antun können. Gott hat mich beschützt, Er wollte vor euren Augen die Überlegenheit Seines Glaubens dartun."
Darauf begab sich Mulla Husayn zur Karawanserei Sabzih-Maydan. Er stieg ab und erwartete am Eingang zu dem Gasthof die Ankunft seiner Gefährten. Sobald sie versammelt und untergebracht waren, schickte er nach Bror und Wasser. Aber die Leute, die er darnach ausgesandt hatte, kehrten mit leeren Händen zurück und berichteten, dass sie weder vom Bäcker Brot noch auf dem Markt Wasser bekommen konnten. „Du hast uns ermahnt", sagten sie zu ihm, „unser Vertrauen auf Gott zu setzen und uns Seinem Willen zu ergeben. ,Nichts kann uns geschehen, als was Gott für uns bestimmt hat. Er ist unser Lehensherr, und auf Gott sollen die Gläubigen vertrauen!'",,)
Mulla Husayn befahl, die Türen der Karawanserei zu schließen. Er versammelte seine Gefährten und bat sie, bis Sonnenuntergang bei ihm zusammenzubleiben. Als es Abend wurde, fragte er, ob jemand von ihnen willens sei, seinem Leben um seines Glaubens willen zu entsagen, auf das Dach der Karawanserei zu steigen und dort den Ruf zum Gebet19' anzustimmen. Ein Jüngling meldete sich freudig. Kaum waren die einleitenden Worte „Allah-u-Akbar"
»« Qur'án 9:52. ^j^
I9> „Der Bábu'1-Báb wollte, wie unser Verfasser sagt, einer religiösen Pflicht nachkommen und zugleich ein Beispiel für die Glaubensgewissheit und Todesverachtung seiner Anhänger geben, sowie andererseits die Welt auf den Unglauben, die Gottvergessenheit derer hinweisen, die sich Muslime nennen; und so gab er einem seiner Leute den Befehl, auf den Dachgarten zu steigen und den Ruf zum Gebet zu singen." (A.L.M. Nicolas, Siyytd' Alt-Muhammad dit le Báb, S. 295 f.) »Es
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Die Karawanserei von Sabzih-Maydán in Mázindarán
von seinen Lippen gekommen, als ihn auch schon eine Kugel traf und sofort tötete. „Lasst einen andern von euch aufstehen", drängte Mulla Husayn, „und mit derselben Hingabe das Gebet fortsetzen, das dieser Jüngling nicht zu Ende fuhren konnte." Ein anderer Jüngling sprang auf und hatte kaum die Worte: „Ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte Gottes ist", gesprochen, als auch er von einer Kugel des Feindes niedergestreckt wurde. Ein dritter Jüngling ver-
war in Marand," schreibt Lady Sheil, „wo ich zum ersten Mal den Adhán hörte, den Ruf der Muslime zum Gebet, so feierlich und eindrucksvoll, besonders wenn er gut gesungen wird, denn dies ist wirklich ein Singen... Er wandte sich nach Mekka und rief, die geöffneten Hände zum Haupt emporgehoben, mit lauter, sonorer Stimme: ,Alláh-u-Akbar', und wiederholte dies viermal; dann ,Ashhad-u-an-Iá-iláh-a-illa'lláh' - ,ich bezeuge, dal? es keinen Gott gibt als Gott', dieses zweimal; dann ,Ashhad-u-inna-Muhammadan-Rasú'lláh' - ,ich bezeuge, dass Muhammad der Prophet Gottes ist', zweimal; dann ,Ich bezeuge, dass 'Ali, der Gebieter der Gläubigen, der Freund Gottes ist'... Das einsame Läuten der Totenglocke klingt an, das die Toten zu ihrer letzten Ruhestätte geleitet, und damit verbunden tiefe, feierliche Gedanken; so klingt auch die Trompete durch das Lager, wenn der Soldat zu Grabe getragen wird; aber über allem steht der Ruf, wenn er weit über die Berge und Täler von Munster hallt und verkündet, dass ein Gälischer zu seinen' Vätern versammelt worden ist. Der Adhán erweckt verschiedene Empfindungen. Er ruft Gefühle der Würde, der Feierlichkeit, der Frömmigkeit hervor, im Vergleich zu denen der Schall von Glocken bedeutungslos wird. E¿ ist überaus eindrucksvoll, mitten in der Nacht die ersten Rufe des Mu'adhdhin zu hören: ,Allah-u-Akbar - Mächtig ist der Herr; ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt als Gott!' Die Dome voicS. Peter rad St. Paul können zusammen nicht eine solche Wirkung hervorrufen." (Glimpses of Life and Manners in Persia, S. 84f.)
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suchte nach dem Gebot seines Oberhaupts, das Gebet zu Ende zu fuhren, das seine getöteten Gefährten unbeendet lassen mussten. Auch er erlitt dasselbe Schicksal. Als er zum Schluss seines Gebetes kam und die Worte sprach: „Es gibt keinen Gott als Gott", fiel auch er.
Der Tod seines dritten Gefährten veranlasste Multó Husayn, das Tor der Karawanserei zu öffnen und mit seinen Freunden hervorzubrechen, um diesen
Die Karawanserei von Sabzih-Maydán in Mázindarán
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unerwarteten Angriff eines verräterischen Feindes zurückzuschlagen. Er schwang sich aufs Pferd und gab das Zeichen, sich auf die Gegner zu stürzen, die sich vor dem Tor drängten und den Sabzih-Maydán füllten. Mit gezogenem Schwert und gefolgt von seinen Gefährten, gelang es ihm, der gegen ihn aufgestellten Streitmacht schwere Verluste beizubringen. Die wenigen, die dem Schwert entkommen waren, flohen in panischer Angst, schrien wieder nach Frieden, flehten wieder um Gnade. Mit Einbruch der Nacht war der ganze Haufen verschwunden. Der Sabzih-Maydán, wenige Stunden zuvor noch von einer wogenden Masse von Gegnern überflutet, lag nun verlassen da. Das Geschrei der Menge war verstummt. Übersät mit den Leibern der Erschlagenen, bot der Maydán mit seiner Umgebung einen traurigen, herzbewegenden Anblick, einen Schauplatz, der vom Sieg Gottes über Seine Feinde zeugte.
Dieser aufsehenerregende Sieg20' veranlasste eine Reihe von Würdenträgern und Oberhäuptern des Volkes, sich im Namen ihrer Mitbürger mit Mulla Husayn ins Benehmen zu setzen und ihn um Gnade zu bitten. Sie kamen zu Fuß, ihr Bittgesuch zu unterbreiten. „Gott ist unser Zeuge", sprachen sie, „dass wir nur die Absicht negen, Frieden und Versöhnung zwischen uns zu erwirken. Bleibe solange auf deinem Pferd sitzen, bis wir dir unsere Beweggründe dargelegt haben." Als Mulla Husayn den Ernst ihres Ansinnens spürte, stieg er ab und forderte sie auf, zu ihm in die Karawanserei zu kommen. „Wir wissen im Gegensatz zu dem Volk dieser Stadt, wie man einen Fremden bei
^ „Da der Sa'idul-'Ulamá* um jeden Preis Schluss damit machen wollte, sammelte er soviel Leute um sich, als er zusammenbringen konnte, und belagerte die Karawanserei aufs neue. Die Schlacht dauerte schon fünf oder sechs Tage, als 'Abbás-Qulf Khan Sardár-i-Láríjání erschien. In der Zwischenzeit und seit Beginn der Kampfhandlungen hatten die 'Ulamás von Bárfurúsh, im höchsten Grad erbittert über die zahlreichen Bekehrungen, die Quddus in der Stadt gelungen waren - 300 in einer Woche, wie die muslimischen Historiker missgelaunt feststellten -, darüber dem Gouverneur der Provinz, dem Prinzen Khánlar Mírzá, Bericht erstattet. Dieser hatte aber ganz andere Dinge im Kopf und schenkte ihren Klagen keinerlei Beachtung. Der Tod von Muhammad Sháh beunruhigte ihn persönlich viel mehr als das Gezeter der Mullas, und er bereitete sich auf eine Reise nach Tihrán vor, um dort dem neuen Herrscher zu huldigen, von dem er sich große Vorteile erhoffte. Da sie auf diese Weise nicht zum Ziel kamen und die Ereignisse sich überstürzten, schrieben die 'Ulamás einen dringenden Brief an den militärischen Oberbefehlshaber der Provinz, 'Abbás-Qulí Khán-i-Láríiání. Dieser hielt es jedoch nicht für nötig, sieb selbst mit der Angelegenheit zu befassen, und entsandte Muhammad Bik, Yávar (Oberst) an der Spitze von 300 Männern, um die Sache in Ordnung zu bringen. Damals begannen die Muslime die Karawanserei ztMbelagern. Das Ringen fing an, aber für zehn Bábí, die getötet wurden, musste eine viel größere Anzahl der Angreifer das Leben lassen. Die Sache zog sich in die Länge; *Abbás-Qulí Khan glaubte nun, sich selbst vom Stand der Dinge unterrichten zu müssen." (A.L.M. Nicolas, Siyyid 'Atí-Muhammad dit le Bäb, S. 296f.)
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sich empfängt", sprach er, lud sie ein, an seiner Seite Platz zu nehmen, und ließ ihnen Tee darbieten. „Allein der Sa'íduVUlamá*", sagten sie darauf, „ist dafür verantwortlich, dass soviel Unheil angerichtet worden ist. Man darf das Volk von Bárfurush für das Verbrechen, das er begangen hat, keineswegs mitverantwortlich machen. Lass, was geschehen ist, nun vergessen sein. Wir möchten im Interesse beider Parteien vorschlagen, dass du dich mit deinen Gefährten morgen nach Ámul begibst. Bárfurush ist in großer Erregung, wir furchten, dass man sie aufs neue dazu aufhetzen könnte, euch anzugreifen." Mulla Husayn ging, wenn auch mit einem Hinweis auf die Hinterhältigkeit der Bevölkerung, auf ihren Vorschlag ein, worauf sich 'Abbás-Qulí Khán-i-Laríjání21) und Hájí Mustafa Khan erhoben und bei dem Qur'an, den sie mitgebracht hatten, feierlich ihre Absicht bekundeten, sie für diese Nacht als ihre Gäste zu betrachten und am nächsten Tag Khusraw-i-Qádí-Kalá'í22' damit zu beauftragen, mit hundert Reitern ihre sichere Durchreise durch Shír-Gáh zu gewährleisten. „Gottes und Seines Propheten Fluch komme aber uns in dieser und in der nächsten Welt", fuhren sie fort, „wenn wir je zulassen, dass dir und den Deinen der geringste Harm zugefugt wird.**
Nachdem sie diese Erklärung abgegeben hatten, kamen die Freunde zurück, die gegangen waren, um Essen für die Gefährten und Futter für ihre Pferde zu holen. Mulla Husayn gebot seinen Glaubensgenossen, ihr Fasten zu brechen, zumal an diesem Tag, es war ein Freitag, der zwölfte Tag des Monats Dhi'l-Qa'dih23', seit Sonnenaufgang keiner von ihnen etwas gegessen oder getrunken hatte. Die Standespersonen und ihre Begleiter drängten sich so zahlreich in der Karawanserei, dass weder er noch seine Gefährten etwas von dem Tee bekommen hatten, den sie ihren Besuchern anboten.
Am Abend aßen Mulla Husayn und seine Freunde in Gesellschaft von 'Abbás-Qulí Khan und Hájí Mustafa Khan etwa vier Stunden nach Sonnen-
21) Gobineau beschreibt ihn folgendermaßen: „Die türkischen und persischen Nomaden verbringen ihr Leben mit Jagen, oft auch mit Krieg, vor allem aber mit Gesprächen über die Jagd und den Krieg. Sie sind tapfer, aber nicht alle Tage, und auf sie trifft wohl zu, was Brant über seine Erlebnisse aus den Kriegen seiner Zeit berichtet, wo er auf viele derartige Beweise von Mut stieß, den er recht treffend mit Eintagsmut bezeichnet. Aber allgemein und gleichbleibend für diese Nomaden gilt, dass sie große Schwätzer, große Städtezerstörer, große Heldenschlächter, große Massenmörder sind! Alles in allem sind sie naiv, leicht durchschaubar in ihren Gefühlen, sehr lebhaft im Ausdruck dessen, was ihre Gemüter erhitzt, und außerordentlich unterhaltsam. 'Abbás-Qulí Khán-i-Láríjání, sicherlich ein Mann von gutem Herkommen, war ein typischer Nomade." (Comte de Gobineau, Les Religio(tm) et les Philosophies dans l'Asie Centrale, S. 171.)
**) Ein berüchtigter Verbrecher, der oft gegen die Regierung rebellierte.
") 10. Oktober 1848 n. Chr.
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Untergang zu Nacht. Um die Mitte derselben Nacht ließ der Sa'íduVUlamá' den Khusraw-i-Qádi-Kalá'í zu sich rufen und setzte ihn vertraulich von seinem Wunsch in Kenntnis, dass der gesamte Besitz der Reisegesellschaft, für die er die Verantwortung übernommen habe, beschlagnahmt und die Bábí selbst ohne Ausnahme getötet würden - Ort und Zeit möge er selbst festlegen. „Sind sie denn nicht Anhänger des Islams?" bemerkte Khusraw. „Haben sie nicht, wie ich hörte, lieber drei ihrer Gefährten geopfert, als den Ruf zum Gebet unbeendet zu lassen? Wie könnten wir, die wir solche Absichten hegen und solche Taten verüben, dieses Namens wert erscheinen?" Aber der Schurke bestand darauf, dass seinen Befehlen gehorcht wird. „Erschlage sie", sagte er und wies mit dem Finger auf seinen Nacken, „und hab keine Angst. Ich erkläre mich allein verantwortlich für deine Tat. Ich will am Tag des Gerichts vor Gott für dich die Verantwortung tragen. Wir, die wir das Zepter der Amtsgewalt tragen, wissen sicher besser als du und können besser beurteilen, wie diese Ketzerei auszurotten ist."
Bei Sonnenaufgang bat 'Abbás-Qulí Khan, dass man Khusraw zu ihm bringe, und trug ihm auf, Mulla Husayn und seinen Gefährten größte Aufmerksamkeit zu erweisen, sie sicher durch Shír-Gáh zu geleiten und jede Belohnung, die sie ihm anböten, abzulehnen. Khusraw heuchelte Gehorsam gegen diese Weisungen und versicherte ihn seiner wie seiner Reiter unablässigen Wachsamkeit und Dienstbereitschaft. „Bei unserer Rückkehr", fügte er hinzu, „werden wir dir die schriftliche Bestätigung seiner Zufriedenheit mit unseren Diensten zeigen."
Als Khusraw durch 'Abbás-Qulí Khan, Hájí Mustafa Khan und andere repräsentative Oberhäupter von Bárfurúsh zu Mulla Husayn gebracht und diesem vorgestellt wurde, bemerkte dieser: „ ,Wenn du wohltust, wird es dir zum Vorteil gereichen; handelst du übel, wird das Übel auf dich zurückfallen.<24) Wenn dieser Mann gut mit uns umgeht, wird sein Lohn groß, und wenn er Verrat an uns begeht, wird seine Strafe schwer sein. Wir stellen unsere Sache Gott anheim, und Seinem Willen fügen wir uns ganz."
Nach diesen Worten gab Mulla Husayn das Zeichen zum Aufbruch. Ein weiteres Mal Heß Qambar-'Ali den Ruf seines Herrn erschallen: „Auf zu Pferd, ihr Streiter Gottes!" - ein Ruf, den er bei solcher Gelegenheit immer hören ließ. Beim Klang dieser Worte eilten sie alle zu ihren Pferden. Eine Abteilung von Khusraws Reitern ritt ihnen voraus. Unmittelbar dahinter folgten Khusraw und Mulla Husayn, Seite an Seite in der Mitte des Zuges reitend. Hinter ihnen ritten die übrigen Gefährten, rechts und links begleitet
*»> Qur'án 17:7
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von dem Rest der hundert Reiter, die Khusraw als willige Werkzeuge für die Ausführung seiner Absichten bewaffnet hatte. Es war vereinbart, dass man früh am Morgen von Bárfurúsh aufbrechen und am Mittag desselben Tages in Shír-Gáh ankommen wollte. Zwei Stunden nach Sonnenaufgang brachen sie auf zu ihrem Ziel. Khusraw wählte absichtlich den Weg durch den Wald, wo er, wie er dachte, leichter seinen Plan ausführen konnte.
Sowie sie im Wald waren, gab er das Zeichen zum Angriff. Seine Leute warfen sich wild auf die Gefährten, nahmen an sich, was sie besaßen, töteten eine Anzahl von ihnen, darunter den Bruder von Mulla Sádiq, und nahmen die übrigen gefangen. Als Mulla Husayn die Todesschreie und Hilferufe hörte, hielt er an, stieg vom Pferd und protestierte gegen Khusraws Verrat. „Mittag ist längst vorüber", sprach er zu ihm, „und noch haben wir unser Ziel nicht erreicht! Ich weigere mich, weiter mit dir zu reiten; auf deine Führung und die Begleitung deiner Leute kann ich verzichten." Dann wandte er sich zu Qambar-'Ali und bat ihn, seinen Gebetsteppich auszubreiten, damit er seine Andacht verrichten könne. Er nahm seine Waschungen vor, als Khusraw, der ebenfalls abgestiegen war, einen seiner Begleiter zu sich rief und ihm den Auftrag gab, Mulla Husayn zu sagen, er solle, wenn er sicher an seinen Bestimmungsort kommen wolle, ihm sein Schwert und sein Pferd ausliefern. Mulla Husayn gab keine Antwort und betete weiter. Kurz darauf wandte sich Mírzá Muhammad-Taqíy-i-Juvayníy-i-Sabzivárí, ein literarisch gebildeter und furchdos mutiger Mann, an einen der Begleiter, welcher gerade die Qalyán25) vorbereitete, und bat ihn, diese persönlich Khusraw bringen zu dürfen, eine Bitte, die dieser ihm bereitwillig gewährte. Mírzá Muhammad-Taqi beugte sich nieder, um die Qalyán anzuzünden, fuhr dann plötzlich mit der Hand in Khusraws Busen, zog ihm den Dolch aus dem Gewand und stieß ihn ihm bis ans Heft ins Herz.26)
Mulla Husayn war noch bei der Verrichtung seines Gebets, als seine Gefährten aufs neue den Ruf „Yá Sáhibu'z-Zamán"27) erhoben. Sie stürzten sich auf ihre verräterischen Angreifer und streckten sie in einem Zuge nieder bis auf den Diener, der die Qalyán zubereitet hatte. Schreckerfüllt und wehrlos fiel er Mulla Husayn zu Füßen und flehte ihn um Hilfe an. Ihm wurde die juwelengeschmückte Qalyán gereicht, die seinem Herrn gehört hatte, mit der Aufforderung, nach Bárfurúsh zurückzukehren und dort 'Abbás-Qulí
W Wasserpfeife.
26) Nach A Travellers Narrative (S.36) war es der Sekretär Mírzá Lutf-'AJí, der seinen Dolch zog und Khusraw erstach.
27' „O Herr des Zeitalters!", siehe Anm. 17.
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Der Schrein von Shaykjj Tabarsi
Khan alles zu berichten, was er erlebt hatte. „Sag ihm", sprach Mulla Husayn, „wie getreulich Khusraw sich seiner Aufgabe entledigt hat. Der falsche Schurke hat sich vergeblich eingebildet, meine Mission sei zu Ende, mein Schwert und mein Pferd hätten ihre Aufgabe erfüllt. Er hatte keine Ahnung, dass sie ihr Werk erst begonnen haben, dass keine Macht der Welt sie mir entreißen kann, ehe die Dienste, zu denen sie taugen, voll und ganz erfüllt sind."
Als die Nacht hereinbrach, entschloss sich die Gruppe, dort bis zur Morgendämmerung zu bleiben. Bei Tagesanbruch, nachdem er sein Gebet verrichtet hatte, rief Mulla Husayn seine Gefährten zusammen und sprach: „Wir nähern uns unserem Karbilá, unserem letzten Ziel." Darauf machte er sich zu Fuß dorthin auf den Weg; seine Gefährten folgten ihm. Als er merkte, dass einige von ihnen Anstalten machten, die Habseligkeiten Khusraws und seiner Leute mitzunehmen, befahl er ihnen, alles liegen zu lassen außer ihren Schwertern und ihren Pferden. „Euch geziemt es", sagte er eindringlich, „in völliger Loslösung zu jenem heiligen Ort zu gelangen, geheiligt von allem, was zu dieser Welt gehört."28' Als er etwa einen Maydán29) weit gegangen war, kam er
28) „Dann wandte er sich«n seine Gefährten: ,Lasst uns für die wenigen Tage, die wir noch zu leben haben, vermeiden, dass uns vergängliche Reichtümer entzweien und trennen. All dies sei uns gemeinsam und diene jedem.' Die Bábí waren mit Freuden einverstanden, und dieses wundervolle Opfer, diese totale Selbstverleugnung, hat ihnen den Vorwurf eingetragen, der heute noch
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zum Schrein von Shaykh Tabarsi.30) Der Shaykh war ein Übermittler der
Überlieferungen gewesen, die man den Imámen des Glaubens zuschreibt, und
seine Grabstätte wurde von den Menschen der Umgebung besucht. An dieser
Stätte angekommen, sang er den folgenden Vers aus dem Qur'án: „O mein
Herr, segne Du meine Ankunft an diesem Ort, denn Du allein kannst solchen
Segen spenden." •
Die Grabstätte von Shaykb Tabarsi
erhoben wird, dass sie totale Gütergemeinschaft, auch in Bezug auf die Frauen, angestrebt hätten!" (A.L.M. Nicolas, Siyyid 'Ali-Muhammad dit le Báb, S. 299.)
29) Wegstrecke im Bruchteil eines Farsang, s. Worterklärung im Anhang.
3°) Schrein von Shaykh Ahmad-ibn-i-Abí-Tálib-i-Tabarsí, etwa 14 Meilen südöstlich von Bárfurúsh gelegen. Professor Browne von der Universität Cambridge besuchte diesen Orram 26. September 1888 und sah den Namen des dort begrabenen Heiligen auf einer Tafel eingraviert mit den Worten, die bei seinem Besuch gesprochen werden. Die Tafel hing an einem das Grab
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In der Nacht vor ihrer Ankunft hatte der Wächter des Schreins geträumt, der Siyyidu'sh-Shuhadá', der Imam Husayn, sei in Shaykh Tabarsi angekommen, begleitet von nicht weniger als zweiundsiebzig Kriegern und einer großen Zahl Gefährten. Er hatte weiter geträumt, sie seien beim Aufenthalt an diesem Ort in den heroischsten Kampf verwickelt worden, wobei sie in jedem Treffen über die feindlichen Streitkräfte siegten, und eines Nachts sei der Prophet Gottes selbst gekommen und habe sich dieser gesegneten Gesellschaft angeschlossen. Als Mulla Husayn am darauffolgenden Tag ankam, erkannte ihn der Aufseher sofort als den Helden, den er in seiner Vision gesehen hatte, warf sich ihm zu Füßen und küsste sie ehrfürchtig. Mulla Husayn forderte ihn auf, an seiner Seite Platz zu nehmen, und ließ ihn seine
Die den Schrein umgebende Befestigungsanlage
umgebenden Geländer. Professor Browne schreibt: „Zur Zeit besteht es aus einer flachen, mit Gras bewachsenen und von einer Hecke eingefassten Anlage, in der sich außer dem Bau des Schreins und einem anderen Gebäude am Torweg (gegenüber diesem, aber außerhalb der Einfriedung steht das Haus des Mutavalli, des Aufsehers) lediglich zwei oder drei Orangenbäume und einige schmucklose, mit flachen Steinen bedeckte Gräber befinden, vielleicht die letzten Ruhestätten einiger Bábí-Verteidiger. Das Gebäude am Torweg ist zweistöckig über dem Durchlass zum umfriedeten Bezirk und ist mit Ziegeln gedeckt. Das Gebäude des Schreins, das am anderen Ende der Einzäunung steht, ist wesentlich besser gebaut. Seine Längsseiten (etwa 20 Schritte lang) liegen nach Osten und Westen, die Breitseiten sind ungefähr 10 Schritte lang. Außer der gedeckten Säulenhalle am Eingang besteht es aus zwei Räumen, in die durch ein hölzernes Gitterwerk über den Türen nur spärlich Licht eindringt. Das von einem hölzernen Gatter umgebene Grab des Shaykh, dessen Namen der Ort trägt, steht in der Mitte des inneren Raumes, zu dem man entweder durch eine Verbindungstür zum Vorraum gelangt oder durch eine Tür, die von außen her in die Anlage führt." (Pläne und Skizzen enthält das vom Verfasser übersetzte Buch Tärikh-t-Jadid) (E.G.Browne, A Year amongst the Perstans, S. 565.)
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Geschichte erzählen. „Alles, was du gesehen hast", versicherte er dem Wächter des Schreins, „wird geschehen. Alle diese ruhmreichen Ereignisse werden sich vor deinen Augen abspielen." Der Wächter vereinigte schließlich sein Schicksal mit dem der heldenmütigen Verteidiger der Festung und fiel als Märtyrer auf ihren Wällen.
Noch am Tag ihrer Ankunft, es war der vierzehnte des Dhi'l-Qa'dih,31* gab Mulla Husayn Mírzá Muhammad-Báqir, der Bábíyyih erbaut hatte, die ersten Anweisungen zum Bau einer Verteidigungsanlage. Gegen Abend desselben
Eingang zum Schrein von Shaykh Tarbasi in Mázindarán
Tages sahen sie sich plötzlich von einer wilden Schar von Reitern umzingelt, die aus dem Wald hervorbrachen und Miene machten, das Feuer zu eröffnen. „Wir gehören zu den Bewohnern von Qádí-Kalá*, schrien sie. „Wir kommen, um das Blut Khusraws zu rächen. Wir werden nicht eher ruhen, als bis wir euch alle umgebracht haben." Von der wilden Horde bedrängt, die über sie herfallen wollte, musste die Gruppe zu ihrer Verteidigung wieder zum Schwert greifen. Mit dem Ruf „Yá Sáhibu'z-Zamán" stürzten sie hervor und schlugen die Angreifer in die Flucht. So erschreckend klang ihr Ruf, dass die Reiter so
3I> 12. Oktober 1848 n.Chr.
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rasch verschwanden, wie sie gekommen waren. Mírzá Muhammad-Taqiy-i-Juvayni hatte auf eigenen Wunsch bei diesem Kampf das Kommando übernommen.
Da die Bábí befürchteten, die Angreifer könnten zurückkommen und ein großes Morden anrichten, verfolgten sie sie bis zu einem Dorf, das sie für Qádí-Kalá hielten. Bei ihrem Anblick flohen alle Männer in hellem Entsetzen. Im Dunkel der Nacht wurde in der allgemeinen Verwirrung die Mutter von "Nazar Khan, dem Besitzer des Dorfes, versehentlich getötet. Das Geschrei der Weiber, die heftig beteuerten, dass sie mit den Einwohnern von Qádí-Kalá nichts zu tun hätten, drang alsbald an das Ohr von Mírzá Muhammad-Taqi, der seinen Gefährten sofort innezuhalten befahl, bis sie Namen und Art des Ortes ermittelt hätten. Sie erfuhren bald, dass das Dorf Nazar Khan gehörte, und dass die ums Leben Gekommene dessen Mutter war. Mírzá Muhammad-Taqi war tief bedrückt, als er diesen schweren Missgriff seiner Gefährten entdeckte, und rief voll Sorgen: „Es war nie unsere Absicht, die Männer und Frauen dieses Dorfes zu belästigen! Unsere einzige Absicht war, die Wildheit der Leute von Qádí-Kalá, die uns alle umzubringen drohten, zu bändigen." Er entschuldigte sich aufrichtig für das leidige Unglück, das seine Gefährten unwissentlich heraufbeschworen hatten.
Nazar Khan, der sich unterdessen in seinem Haus verborgen gehalten hatte, war von der Aufrichtigkeit des Bedauerns überzeugt, das Mírzá Muhammad-Taqi zum Ausdruck brachte. Obgleich er unter diesem schweren Verlust litt, fühlte er sich bewogen, ihn aufzusuchen und zu sich einzuladen. Er bat sogar Mírzá Muhammad-Taqi, ihn Mulla Husayn vorzustellen, und äußerte den lebhaften Wunsch, die Lehren einer Sache kennenzulernen, die in den Herzen ihrer Anhänger solche Glut zu entfachen vermochte.
Zur Stunde der Dämmerung kam Mírzá Muhammad-Taqi, begleitet von Nazar Khan, zum Schrein von Shaykh Tabarsi und traf dort Mulla Husayn, der das gemeinsame Gebet -leitete. Sein Angesicht leuchtete so vor Verzückung, dass sich Nazar Khan unwiderstehlich bewegt fühlte, sich den Betern anzuschließen und die Gebete, die ihre Lippen formten, mitzusprechen. Nach dem Gebet wurde Mulla Husayn von dem Verlust unterrichtet, den Nazar Khan erlitten hatte. Er brachte in den bewegendsten Worten das Mitgefühl zum Ausdruck, das er und alle seine Glaubensgenossen angesichts des großen Verlusts mit ihm empfanden. „Gott weiß", versicherte er ihm, „dass unsere einzige Absicht war, unser Leben zu verteidigen, und nicht, den Frieden der Nachbarschaft zu stören." Mulla Husayn fuhr dann fort, ihm die Umstände darzulegen, die zu dem Angriff der Leute von Bárrarúsh geführt hatten, und erklärte ihm das verräterische Verhalten Khusraws. Er versicherte
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ihm nochmals, welchen Kummer ihm der Tod seiner Mutter bereite. „Quäle dein Herz nicht", erwiderte Nazar Khan spontan. „Ich wollte, mir wären hundert Söhne gegeben, dass ich sie dir alle freudig als Opfer für den Sáhibu'z-Zamán zu Füßen legen könnte!" Und er gelobte zugleich Mulla Husayn unverbrüchliche Treue; er eilte zu seinem Dorf zurück, um mit dem nötigen Proviant für die Gruppe wiederzukommen.
Mulla Husayn befahl seinen Gefährten, die geplante Befestigung ins Werk zu setzen. Jeder Gruppe wies er einen bestimmten Abschnitt zu und trieb sie an, das Werk rasch zu vollenden. Im Verlauf dieser Arbeiten wurden sie ständig durch die Bevölkerung der umliegenden Dörfer belästigt, die auf die unaufhörliche Hetze des Sa'fdu'l-'Ulamá' hin ausrückten und über sie herfielen. Doch alle diese feindlichen Attacken endeten als schmachvoller Fehlschlag. Die Gefährten ließen sich durch die wiederholten wilden Angriffe nicht abschrecken, sondern leisteten tapfer Widerstand, bis es ihnen gelang, die Streitkräfte, die sie von allen Seiten behindert hatten, zeitweise kampfunfähig zu machen. Als das Bauwerk fertig war, traf Mulla Husayn die nötigen Vorbereitungen für die Belagerung, die die Festung auszuhalten haben würde, und bereitete trotz vieler Hindernisse alles vor, was ihm für die Sicherheit ihrer Verteidiger notwendig erschien.
Kaum war das Werk vollendet, als Shaykh Abú-Turáb eintraf und die Kunde von Bahá'u'lláhs Ankunft im Dorf des Nazar Khan brachte. Er unterrichtete Mulla Husayn, Bahá'u'lláh habe ihm ausdrücklich aufgetragen, ihnen mitzuteilen, dass sie alle an diesem Abend Seine Gäste sein sollten, und dass Er selbst sie am Nachmittag aufsuchen wolle. Ich habe Mulla Mírzá Muhammad-i-Furúghí folgendes erzählen hören: „Die Kunde, die Shaykh Abú-Turáb brachte, bereitete Mulla Husayn eine unbeschreibliche Freude. Er eilte sofort zu seinen Gefährten und forderte sie auf, sich auf Bahá'u'lláhs Empfang vorzubereiten. Er beteiligte sich selbst daran, den Eingang zum Schrein zu fegen und mit Wasser zu besprengen, und half persönlich bei allem, was für die Ankunft des geliebten Besuchers noch zu tun war. Als er Ihn mit Nazar Khan kommen sah, eilte er hin, umarmte Ihn zärtlich und führte Ihn zu dem Ehrenplatz, der für Seinen Empfang bereitet war. Wir waren damals zu blind, um die Herrlichkeit Dessen zu erkennen, den unser Führer mit solcher Ehrfurcht und Liebe in unserer Mitte aufnahm. Zu erkennen, was Mulla Husayn schaute, waren unsere stumpfen Sinne noch nicht fähig. Welche Besorgtheit, als er Ihn in seine Arme schloss! Welch stürmische Freude bei Seinem Anblick ihm das Herz erfüllte! Er war so in seine Bewunderung vertieft, dass er uns alle völlig darüber vergaß. Seine Seele war so in die Betrachtung jenes Antlitzes versunken, dass wir, die wir auf die Erlaubnis, uns
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hinsetzen zu dürfen, warteten, lange neben ihm stehen bleiben mussten. Bahá'u'lláh selbst forderte uns schließlich auf, Platz im nehmen. Auch wir sollten bald, wenngleich unzulänglich, die Anziehungskraft Seiner Rede verspüren, obgleich keiner von uns der unermesslichen Kraft Seiner Worte auch nur entfernt gewahr wurde.
Das Haus des Mujtahids
Mírzá Muhammad-Taqi
in Sari, Mázúidarán
Bahá'u'lláh besichtigte bei diesem Besuch die Festung und brachte Seine Zufriedenheit mit dem vollbrachten Werk zum Ausdruck. In Seiner Unterredung mit Mulla Husayn besprach Er im einzelnen Dinge, die für das Wohl und die Sicherheit seiner Gefährten unerläßlich waren. ,Was diese Burg und ihre Leute noch nötig haben', sprach Er, ,ist die Anwesenheit von Quddus. Seine Verbündung mit dieser Mannschaft machte sie vollkommen.' Er wies Mulla Husayn an, Mulla Mihdiy-i-Khu'i mit sechs Leuten nach Sari zu entsenden und von Mírzá Muhammad-Taqi zu fordern, dass er ihnen sofort Quddús
ausliefere. ,Die Furcht vor Gott und Seiner Strafe', versicherte Er Mulla Husayn, ,wird ihn veranlassen, seinen Gefangenen ohne Zögern herauszugeben.'
Bevor Er schied, gebot Bahá'ulláh den Gefährten, geduldig zu sein und sich in den Willen des Allmächtigen zu ergeben. ,Wenn es Sein Wille ist', fügte Er hinzu, ,werden Wir euch an diesem Ort noch einmal besuchen und euch Unseren Beistand gewähren. Dir seid von Gott ausersehen, die Vorhut Seiner Heerscharen zu sein, die Begründer Seines Glaubens. Und Seine Heerscharen werden wahrlich siegen. Was immer geschehen mag, der Sieg ist euer, ein Sieg, vollständig und gewiss.' Mit diesen Worten empfahl Er die tapferen Gefährten der Obhut Gottes und kehrte mit Nazar Khan und Shaykh Abú-Turáb in das Dorf zurück. Von dort aus begab Er sich über Nur nach Tihrán."
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Mulla Husayn begann sogleich, die empfangenen Weisungen auszuführen. Er rief Mulla Mihdi und beauftragte ihn, mit sechs Gefährten nach Sari zu gehen und den Mujtahid zu bitten, seinen Gefangenen freizugeben. Mírzá Muhammad-Taqi kam dieser Bitte, als die Botschaft überbracht war, bedingungslos nach. Die Macht, die in dieser Botschaft lag, hatte ihn offenbar völlig entwaffnet. „Ich habe ihn stets", beeilte er sich, dem Boten zu versichern, „nur als einen geehrten Gast in meinem Haus betrachtet. Es steht mir nicht an, zu sagen, dass ich ihn entließe oder frei ließe; er ist frei zu tun, was ihm beliebt. Wenn er es wünscht, bin ich gerne bereit, ihn zu begleiten."
Mulla Husayn hatte inzwischen seine Gefährten von Quddús' bevorstehender Ankunft in Kenntnis gesetzt und ihnen befohlen, ihm die gleiche Verehrung entgegenzubringen, die sie dem Báb selbst erwiesen. „Was mich anbelangt", fügte er hinzu, „so sollt ihr mich als seinen niedrigen Diener betrachten. Ihr müßt ihm so ergeben sein, dass ihr, wenn er von euch verlangte, mich zu töten, ohne Zögern gehorchtet. Wenn ihr schwanktet oder zögertet, erwieset ihr damit Untreue gegen den Glauben. Ihr dürft euch ihm keinesfalls aufdrängen, es sei denn, er ruft euch in seine Gegenwart. Ihr müßt eure eigenen Wünsche aufgeben und euch nach seinem Willen und Wohlgefallen richten. Ihr sollt nicht seine Hände oder Füße küssen, denn sein gesegnetes Herz hebt solche Beweise verehrungsvoller Zuneigung nicht. Ihr sollt euch so verhalten, dass ich vor ihm auf euch stolz sein kann. Der Ruhm und die Autorität, die ihm verliehen sind, müssen auch von dem geringsten seiner Gefährten gebührend geachtet werden. Wer vom Geist und vom Wortlaut meiner Ermahnungen abweicht, den wird gewiss schwere Züchtigung treffen."
Quddús' Kerkerhaft im Hause des Mírzá Muhammad-Taqi, des bedeutendsten Mujtahids von Sari, der mit ihm verwandt war, dauerte fünfundneunzig Tage. Obgleich gefangengehalten, wurde Quddús mit betonter Zuvorkommenheit behandelt und durfte die meisten der Gefährten, die bei der Konferenz von Badasht zugegen waren, empfangen. Doch erlaubte er keinem, in Sari zu bleiben. Wer ihn besuchte, wurde sehr eindringlich aufgefordert, zu der Schwarzen Fahne zu eilen, die Mulla Husayn gehißt hatte, die Fahne, von der Muhammad, der Prophet Gottes, sprach: „Wenn eure Augen die Schwarzen Fahnen von Khurásán kommen sehen, dann eilt ihnen entgegen, selbst wenn ihr durch den Schnee stapfen müsstet; denn sie künden die Ankunft des verheißenen Mihdi32), des Statthalters Gottes." Die Schwarze Fahne wurde auf Befehl des*Báb im Namen von Quddús durch Mulla Husayns
32) Bezeichnung für die im Islam erwartete Manifestation Gottes.
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Hand entfaltet. Sie wurde den ganzen Weg von Mashhad bis zum Schrein von Shaykh Tabarsi vorangetragen. Elf Monate lang, vom Beginn des Sha'bán des Jahres 1264 n.d.H.33) bis zum Ende des Jamádíyu'th-Thání des Jahres 1265 n.d.H.,34) flatterte dieses irdische Symbol einer überirdischen Herrschaft über den Häuptern der kleinen, tapferen Schar und rief die vielen, die sie erblickten, dazu auf, der Welt zu entsage» und sich der Sache Gottes anzuschließen.
In Sari hatte Quddús oft versucht, Mírzá Muhammad-Taqi von der Wahrheit der göttlichen Botschaft zu überzeugen. Freimütig sprach er mit ihm über die schwierigsten, wichtigsten Streitfragen bezüglich der Offenbarung des Báb. Seine kühnen und herausfordernden Äußerungen fasste er in so sanfte, so überzeugende und höfliche Worte und brachte sie so anregend und heiter vor, dass seine Zuhörer nicht im geringsten Anstoß nehmen konnten. Selbst seine Hinweise auf das heilige Buch deuteten sie fälschlich als heitere Bemerkungen, mit denen er seine Zuhörer unterhalten wollte. Mírzá Muhammad-Taqi fühlte sich trotz der in ihm schlummernden grausamen Bosheit, die später auch darin zum Ausdruck kam, wie er darauf bestand, die überlebenden Verteidiger der Festung von Shaykh Tabarsi auszurotten, von einer inneren Macht davor zurückgehalten, Quddús gegenüber auch nur die leiseste Missachtung zu zeigen, solange dieser in seinem Hause gefangen war. Er fühlte sich sogar veranlasst, die Einwohner von Sari daran zu hindern, Quddús zu kränken, und man hörte oft, wie er sie zurechtwies, wenn sie ihm etwas antun wollten.
Die Kunde von der bevorstehenden Ankunft von Quddús versetzte die Insassen der Festung Tabarsi in Aufregung. Als er sich seinem Ziel näherte, sandte er einen Boten voraus, der ihn ankündigen sollte. Diese frohe Kunde gab den Gefährten frischen Mut und neue Kraft. Von unbezähmbarer Begeisterung erfasst, sprang Mulla Husayn auf und eilte, von etwa hundert seiner Gefährten begleitet» dem erwarteten Gast entgegen. Er gab jedem zwei Kerzen, zündete sie eigenhändig an und hieß seine Begleiter, Quddús entgegenzuziehen. Das Licht, das diese frohen Herzen auf ihrem Weg zu dem Geliebten ausstrahlten, vertrieb das Dunkel der Nacht. Mitten im Wald von Mázindarán erkannten ihre Augen mit einemmal das Antlitz, nach dem sie sich so lange gesehnt hatten. Ungeduldig drängten sie sich um sein Pferd und huldigten ihm mit allen Zeichen der Verehrung, Liebe und unverbrüchlichen Treue. Immer noch die brennenden Kerzen in Händen, folgten sie ihm zu Fuß.
33> 3. Juli - 1. August 1848 n. Chr. 34> 24. April - 23. Mai 1849 n. Chr.
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Quddús, der in ihrer Mitte ritt, glich der Sonne inmitten ihrer Wandelsterne. Als die Gruppe langsam auf die Festung zuschritt, erklang aus den Kehlen seiner begeisterten Bewunderer ein Loblied ihm zu Ruhm und Ehre. „Heilig, heilig ist der Herr unser Gott, der Herr der Engel und des Geistes!" ertönten rings ihre jubelnden Stimmen. Mulla Husayn stimmte den frohen Refrain an, in den die ganze Gruppe einfiel. Der Wald von Mázindarán hallte wider von ihren Beifallsrufen.
So kamen sie zum Schrein von Shaykh Tabarsi. Die ersten Worte Quddús', als er abstieg und sich gegen den Schrein lehnte, waren: „Der Baqíyyatu'lláh35' wird euer Bestes sein, so ihr zu denen gehört, die glauben."36* Durch diese Worte hatte sich die Prophezeiung Muhammads erfüllt, die in der folgenden Überlieferung zum Ausdruck kommt: „Und wenn der Mihdi37) offenbart ist, wird Er Seinen Rücken an die Ka'bih lehnen und zu den dreihundertdreizehn Anhängern, die sich um Ihn geschart haben, die Worte sprechen: ,Der Baqíyyatu'lláh wird euer Bestes sein, so ihr zu denen gehört, die glauben.'" Mit „Baqíyyatu'lláh" meinte Quddús keinen anderen als Bahá'u'lláh. Dies bezeugte Mulla Mírzá Muhammad-i-Furúghí, der mir folgendes erzählte: „Ich war selbst zugegen, als Quddús vom Pferd stieg. Ich sah, wie er sich gegen den Schrein lehnte, und hörte ihn diese Worte sprechen. Danach erwähnte er sogleich Bahá'u'lláh und erkundigte sich bei Mulla Husayn nach Ihm. Dieser sagte, Bahá'u'lláh hätte die Absicht geäußert, wenn es Gott nicht anders bestimme, vor dem ersten Muharram hierher zurückzukehren.38)
Kurz hernach übergab Quddús Mulla Husayn eine Anzahl von Homilien und bat ihn, sie seinen versammelten Gefährten laut vorzulesen. Die erste Homilie, die er las, war gänzlich dem Báb gewidmet; die zweite betraf Bahá'u'lláh und die dritte Táhirih. Wir wagten, Mulla Husayn gegenüber unsere Zweifel zu äußern, ob die Hinweise in der zweiten Homilie wirklich auf Bahá'u'lláh zuträfen, der im Gewände des Adels erschien. Die Angelegenheit wurde Quddús vorgetragen, der uns versicherte, dass uns dieses Geheimnis, wenn es Gott will, zur rechten Zeit gelüftet würde. Da wir damals um das Wesen der Sendung Bahá'u'lláhs nichts wussten, war es uns unmöglich, die Bedeutung dieser Anspielungen zu begreifen; vergeblich stellten wir Mutmaßungen darüber an. In meinem Eifer, die Überlieferungen bezüglich des verheißenen Qá'im bis in die letzten Feinheiten zu enträtseln, ging ich mehr-
35) wörtlich „Rest Gottes", Bezeichnung für den Báb und für Bahá'u'lláh.
J6> Qur'án 11:85. ^|
37> Bezeichnung für die im Islam erwartete Manifestation Gottes.
38> 27. November 1848 n. Chr.
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mals zu Quddús und bat ihn, mir darüber Aufschluss zu geben. Er verhielt sich zunächst ablehnend, kam aber schließlich meinem Wunsche nach. Seine Art zu antworten, seine überzeugenden, erleuchtenden Erklärungen trugen dazu bei, das Gefühl der Ehrfurcht und Hochachtung, das uns seine Gegenwart vermittelte, noch zu vertiefen. Er zerstreute alle Zweifel, die wir noch hatten, und bewies solchen Scharfblick, dass wir schließlich glaubten, ihm sei die Gabe verliehen, unsere verborgensten Gedanken zu lesen und den wildesten Aufruhr in unseren Herzen zu beschwichtigen.
Manche Nacht sah ich Mulla Husayn den Schrein umschreiten, in dessen Umfriedung Quddús schlafend lag. Wie oft sah ich ihn um Mitternacht aus seinem Gemach kommen und leise seinen Schritt dorthin lenken; dann hörte ich ihn jenen Vers flüstern, mit dem wir alle die Ankunft des geliebten Besuchers begrüßt hatten. Ich erinnere mich noch mit tiefer Bewegung, wie er in der Stille der dunklen, einsamen Stunden, die ich der Andacht und dem Gebet weihte, zu mir kam und mir ins Ohr flüsterte: ,Verbanne aus deinem Geist, o Mulla Mírzá Muhammad, all diese verwirrenden Spitzfindigkeiten, befreie dich aus ihren Netzen, erhebe dich und trachte mit mir darnach, den Kelch des Martyriums zu leeren. Dann wirst du, wenn das Jahr SO39* am Horizont der Welt heraufsteigt, das Geheimnis dessen, was dir jetzt noch verborgen ist, verstehen können.' "
Bei seiner Ankunft am Schrein von Shaykh Tabarsi gab Quddús Mulla Husayn den Auftrag, die Zahl der anwesenden Gefährten festzustellen. Einen nach dem andern zählte er auf und ließ ihn durch das Tor in die Befestigung gehen: Es waren zusammen dreihundertundzwölf. Dann ging er selbst hinein, um Quddús das Ergebnis mitzuteilen, als plötzlich ein junger Mann, der den ganzen Weg von Bárfurúsh gelaufen war, hereingestürzt kam, Mulla Husayn am Saum seines Gewandes fasste und bat, mit den anderen Gefährten eingetragen zu werden, und dass ihm erlaubt werde, sein Leben, wann immer es erforderlich sei, auf dem Pfade des Geliebten hinzugeben. Sein Wunsch wurde bereitwillig erfüllt. Als man Quddús die Gesamtzahl der Gefährten meldete, bemerkte er: „Was die Zunge des Propheten Gottes über den Verheißenen gesprochen hat, erfüllt sich zwangsläufig,40' damit hierdurch in den Augen der Geistlichen, die sich für die einzigen Ausleger des Gesetzes und der
39> im Jahr 1280 n.d.H. (1863/64 n.Chr.) erklärte BaháVlláh in Baghdád Seine Sendung.
*°' Das Zusammentreffen von dreihundertdreizehn auserwählten Helfern des Imam in Táliqán in Khurásán ist eines der Zeichen, das mit Sicherheit das Kommen des verheißenen Qá'im ankündigen soll. (E. G. Browne, A History ofPersian Literature in Modern Times (A.D. 1500-1924), S. 399.)
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Überlieferungen des Islams halten, Sein Zeugnis vollkommen sei. Durch sie wird das Volk die Wahrheit erkennen und die Erfüllung dieser Überlieferungen anerkennen."4^
41) „Unter ihnen war auch Ridá Khan, der Sohn des Muhammad Khan. Turkamán und Stallmeister Seiner verstorbenen Majestät Muhammad Sháh. Er war ein Jüngling von anmutiger Gestalt, schönem Angesicht, begabt mit vielerlei Talenten und Tugenden, würdig, maßvoll, vornehm, großzügig, mutig und männlich. Aus Liebe und Ergebenheit für Seine höchste Heiligkeit verzichtete er auf Stellung und Einkommen, sah nicht auf Rang und Namen, Ruhm und Schande, weder auf Vorwürfe der Freunde noch auf Schmähungen der Feinde. Als erstes ließ er Würde, Reichtum und Stellung, allen Einfluss und alle Hochachtung, deren er sich erfreute, hinter sich, spendete eine große Summe Geldes (mindestens vier- oder fünftausend Turnan) für die Sache Gottes und brachte wiederholt seine Bereitwilligkeit zum Ausdruck, sein Leben zu opfern. Eine dieser Gelegenheiten ergab sich, als Seine höchste Heiligkeit zu dem Dorf Khánliq bei Tihrán kam und, um die Treue Seiner Anhänger zu prüfen, sagte: ,Wenn nur einige Reiter hier wären, die Mich aus den Banden der Feinde und ihren Anschlägen befreiten, das wäre nicht falsch.' Mehrere erfahrene, hervorragende Reiter, voll ausgerüstet und bewaffnet, machten sich nach diesen Worten sogleich auf, sagten sich von allem los und stellten sich Seiner Heiligkeit zur Verfügung. Unter ihnen waren Mírzá Qurbán-'Alí von Astarábád und Ridá Khan. Als sie vor Seiner Heiligkeit standen, lächelte Er und sprach, ,der Berg von Adhirbáyján hat auch einen Anspruch auf Mich', und bat sie, wieder zurückzukehren. Nach seiner Rückkehr widmete sich Ridá Khan dem Dienst an den Freunden Gottes, und sein Haus war oft der Versammlungsort für die Gläubigen; Jináb-i-Quddús und Jináb-i-Bábu'1-Báb waren eine Zeitlang seine geehrten Gäste. Wirklich, er schonte sich nicht und ließ es an nichts mangeln in seinem Dienst an diesem Kreis, sondern strebte, ungeachtet seiner hohen Stellung, mit Herz und Seele darnach, die Pläne der Diener Gottes zu fördern. Als zum Beispiel Jináb-i-Quddús die Lehre in Mázindarán zu verkünden begann und der Sa'ídu'l-'Ulamá' davon erfuhr und ihm größte Schwierigkeiten machte, eilte Ridá Khan unverzüglich nach Mázindarán und ging, wann immer Jináb-i-Quddús das Haus verließ, ungeachtet seiner hohen Stellung und des Ansehens, das er überall genoss, mit dem blanken Schwert auf der Schulter zu Fuß vor ihm her. Als die Böswilligen das sahen, wagten sie nicht mehr, sich irgendwelche Freiheiten herauszunehmen... Auf diese Weise hielt sich Ridá Khan so lange in Mázindarán auf, bis er Jináb-i-Quddús nach Mashhad begleitete. Nach seiner Rückkehr von dort war er bei den Auseinandersetzungen in Badasht zugegen, wo er die wertvollsten Dienste leistete und mit wichtigsten, heikelsten Aufgaben betraut war. Nach dem Abschluss der Versammlung in Badasht wurde er krank und kam in Begleitung von Mírzá Sulaymán-Qulí von Nur (einem Sohn des verstorbenen Shátir-báshí, ebenfalls ein leuchtendes Beispiel durch seine Tugenden, sein Wissen und seine Ergebenheit) nach Tihrán. Die Krankheit Ridá Kháns dauerte eine Weile, und nach seiner Genesung war die Situation in der belagerten Festung Tabarsi schon sehr bedrohlich geworden. Er entschloss sich sogleich, der Besatzung zu Hilfe zu eilen. Da er jedoch eine bedeutende Persönlichkeit und sehr bekannt war, konnte er die Hauptstadt nicht ohne triftigen Grund verlassen. Er gab darum vor, dass ihm seine frühere Haltung leid täte, und bat darum, dass er entsendet würde, um an dem Kampf in Mázindarán teilzunehmen und so das Geschehene wiedergutzumachen. Der König gewährte ihm die Bitte und beauftragte ihn damit, die unter dem Prinzen Mihdí-QuH Mírzá gegen die Festung marschierenden Streitkräfte zu begleiten. Während des Marsches dorthin sagte er ständig zu dem Prinzen, ,ich werde dies tun',
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Jeden Morgen und jeden Nachmittag rief Quddús in diesen Tagen Mulla Husayn und die edelsten Gefährten zu sich und bat sie, die Schriften des Báb zu singen. Er saß auf dem Maydán, dem offenen Platz der Festung, lauschte im Kreis seiner ergebenen Freunde aufmerksam auf die Worte seines Herrn und warf dann und wann eine Erläuterung dazu ein. Weder die Drohungen der Feinde noch die Wut ihrer ständigen Anscftläge vermochten seine Glut zu mindern oder die regelmäßigen Andachten zu unterbrechen. Ungeachtet aller Gefahr, blind gegen seine eigenen Bedürfnisse und Wunsche, setzte er selbst unter schwierigsten Umständen sein tägliches Zwiegespräch mit seinem Geliebten fort, schrieb Preislieder auf Ihn nieder und fachte die Verteidiger der Festung zu neuem Bemühen an. Obwohl den pausenlos auf seine bedrängten Gefährten herabregnenden Kugeln ausgesetzt, ging er unbeeindruckt von den wilden Angriffen und in unbeirrbarer Ruhe seine Wege. ¡^Meine Seele ist Deiner Erwähnung vermählt!" hörte man ihn oft ausrufen. „Deiner zu gedenken ist Stütze und Trost meines Lebens! Mein Ruhm ist, dass ich als erster in Shíráz um Deinetwillen Schmach erleiden durfte. Und ich sehne mich
,ich werde jenes tun', so dass der Prinz schließlich große Hoffnungen auf ihn setzte und ihm einen seinen Verdiensten entsprechenden Posten versprach; denn bis zu dem Tag, da der Kampf unvermeidlich wurde und der Friede nicht länger zu halten war, war er in der Armee immer vorne, immer tätig für ihre Belange. Am ersten Kampftag begann er sein Pferd in Galopp zu bringen und andere kriegerische Übungen zu vollführen, bis er schließlich, ohne Verdacht zu erregen, seinem Pferd die Zügel schießen ließ und sich mit seinen wahren Brüdern verband. In ihrer Mitte angelangt, küsste er Jináb-i-Quddús das Knie und warf sich ihm dankbar zu Füßen. Dann kehrte er wieder auf das Schlachtfeld zurück und begann den Prinzen zu beschimpfen und zu verfluchen, indem er sprach: ,Wer ist Manns genug, sich über das Gepränge dieser Welt und ihre Umstände zu erheben, sich freizumachen von den Banden der Fleischeslust und sich den Heiligen Gottes anzuschließen, wie ich es tat? Ich für mein Teil werde mit meinem Kopf erst zufrieden sein, wenn er in Blut und Staub auf diesem Felde niederfällt.' Dann stürzte er sich wie ein rasender Löwe mit blankem Schwert auf den Feind und schlug sich so männlich, dass alle königlichen Offiziere staunten und sprachen: ,£ine derartige Tapferkeit muss ihm der Himmel jüngst beschert haben, oder es ist ein neuer Geist in ihn gefahren.' Denn es geschah mehr als einmal, dass er einen Schützen im Augenblick, da dieser schoß, niederstreckte, und es fielen so viele Anführer der königlichen Armee von seiner Hand, dass der Prinz und seine Stabsoffiziere viel mehr darauf aus waren, sich an ihm als an den anderen Bábí zu rächen. Ridá Khan war sich wohl bewusst, dass sie ihn in ihrem wilden Haß unter grausamsten Foltern umbringen würden, und begab sich deshalb am Abend des für Jináb-i-Quddús' Übergabe festgesetzten Tages bei Dunkelheit ins Lager zum Quartier eines Offiziers, den er als alten Freund und Kameraden kannte. Nachdem die anderen Bábí niedergemetzelt waren, suchte man nach Ridá Khan und entdeckte ihn schließlich. Der Offizier, unter dessen Obhut er stand, bot ein Lösegeld von zweitausend Túmán in bar für ihn, aber das Angebot wurde ausgeschlagen. Auch dass er anbot, die Summe zu erhöhen,'und sich ernstlich bemühte, seinen Freund zu retten, half nichts. Der Prinz befahl in seinem abgründigen Haß gegen Ridá Khan, ihn in Stücke zu hauen." (Tárik¡)-i-Jadid, S. 96-101.)
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darnach, als erster auf Deinem Pfade einen Tod zu erleiden, der Deiner Sache würdig ist."
Manchmal bat er auch seine irakischen Gefährten, verschiedene Abschnitte aus dem Qur'án zu singen, wobei er mit größter Aufmerksamkeit zuhörte und oft Anlass nahm, ihre Bedeutung auszulegen. Einmal kamen sie im Verlauf ihrer Gesänge an den Vers: „Mit Furcht und Hunger, mit dem Verlust von Reichtum, Leben und Fruchten werden Wir euch gewisslich prüfen: Den Geduldigen aber bringen wir frohe Kunde." „Diese Worte", bemerkte Quddús, „wurden ursprünglich in bezug auf Hiob und die Plagen, die über ihn kamen, offenbart. Heute aber sind sie auch auf uns anwendbar, die wir dazu ausersehen sind, dieselben Leiden zu erdulden. Das Ausmaß unserer Not wird so groß sein, dass nur der Standhafte und Geduldige in der Lage sein wird, sie zu überstehen."
Das Wissen Und die Klugheit, die Quddús bei solcher Gelegenheit an den Tag legte, die Zuversicht, mit der er sprach, die Mittel und Wege, die er in seinen Anweisungen an die Gefährten aufzeigte, vermehrten seine Autorität und steigerten sein Ansehen. Zuerst meinten sie, dass die tiefe Verehrung, die Mulla Husayn ihm bewies, eher auf die kritische Lage zurückzuführen sei als auf ein spontanes Gefühl der Ergebenheit seiner Person gegenüber. Seine Schriften jedoch und sein ganzes Verhalten zerstreuten derartige Zweifel mit der Zeit und trugen dazu bei, ihn in der Achtung seiner Gefährten zu erhöhen. Während der Tage seiner Haft in Sari hatte Quddús, den Mírzá Muhammad-Taqi um einen Kommentar zur Sure Ikhlás, besser bekannt unter dem Titel Qul Huva'lláhu'1-Ahad, gebeten hatte, eine Abhandlung verfasst, die allein in der Darstellung des Sád von Samad den dreifachen Umfang des Qur'án hatte. Diese ausführliche, meisterhafte Darstellung hatte Mírzá Muhammad-Taqi tief beeindruckt und war der Anlass für seine Hochachtung vor Quddús, wenn er auch schließlich mit dem Sa'ídu'l-'Ulamá' zusammen den Tod der heldenhaften Märtyrer von Shaykh Tabarsi betrieb. Während der Belagerung fuhr Quddús fort, an seinem Kommentar zu jener Sure zu schreiben, und brachte es fertig, trotz der heftigen feindlichen Angriffe ebenso viele Verse zu schreiben, wie er vorher in Sari zur Auslegung dieses Buchstabens geschrieben hatte. Die Geschwindigkeit und Ausführlichkeit seiner Niederschrift, die unermesslichen Schätze, die in seinen Schriften zutage traten, erfüllten seine Gefährten mit Staunen und rechtfertigten in ihren Augen seine Führerschaft. Begierig lasen sie die Seiten jenes Kommentars, die ihnen Mulla Husayn täglich brachte, und denen auch er den schuldigen Tribut zollte.
Der Bau der Befestigungsanlage und die Vorsorge für alles, was für die Verteidigung nötig war, wirkten begeisternd auf die Gefährten von Mulla
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Husayn und erweckte die Neugier der Bevölkerung aus der Umgebung.42) Einige suchten aus reiner Neugier, andere aus handfesten Interessen heraus, wieder andere aus Bewunderung für die Sache, deren Sinnbild dieser Bau war, Einlass in das Innere der Befestigung und bewunderten die Schnelligkeit, mit der sie aufgebaut worden war. Sobald Quddús die Zahl der Insassen festgestellt hatte, befahl er, keinen Besucher mehr einzulassen. Das Lob derer, die die Festung schon besichtigt hatten, ging von Mund zu Mund, bis es auch dem Sa'ídu'l-'Ulamá' zu Ohren kam und die Flamme unbezähmbarer Eifersucht in seiner Brust entfachte. In seinem Abscheu gegen die für den Bau Verantwortlichen verbot er jedermann strengstens, sich der Festung zu nähern, und befahl, Mulla Husayn und seine Gefährten zu boykottieren. Trotz dieser strengen Befehle fanden sich Menschen, die seine Wünsche in den Wind schlugen und, soweit sie konnten, den so unverdientermaßen Verfolgten halfen. Die Leiden, welche diese Dulder auszustehen hatten, waren zuweilen so groß, dass sie den einfachsten Lebensbedarf schmerzlich entbehrten. In der dunklen Stunde ihres Unglücks leuchtete ihnen jedoch plötzlich das Licht göttlicher Befreiung, tat sich vor ihrem Angesicht das Tor unerwarteter Hilfe auf. Die Art und Weise, wie die Verteidiger der Festung durch die göttliche Vorsehung von der lastenden Not befreit wurden, versetzte den eigenwilligen, herrischen Sa'ídu'l-'Ulamá' in helle Wut. In seinem unerbittlichen Haß richtete er einen flammenden Appell an Násiri'd-Dín Sháh, der kürzlich den Thron bestiegen hatte, und wies auf die Gefahr hin, die nicht nur seiner Dynastie, sondern der Monarchie selbst drohe. „Diese verächtliche Bábí-Sekte", schrieb er, „hat die Fahne des Aufruhrs gehißt. Diese elende Bande verantwortungsloser Aufwiegler hat es gewagt, an den Grundfesten der Autorität zu rütteln,
42' „Nach den mir vorliegenden Beschreibungen war die von Mulla Husayn erbaute Festung ein ziemlich starkes Bauwerk. Die Mauer ringsum war zehn Meter hoch und bestand aus großen Steinen. Auf diesem Fundament errichtete man eine Holzkonstruktion aus riesigen Baumstämmen, zwischen denen man eine ausreichende Anzahl Schießscharten anlegte. Das Ganze wurde dann mit einem tiefen Graben umzogen. Kurz, es war eine Art mächtiger Turm mit steinernen Grundmauern, die oberen Stockwerke bestanden aus Holz mit drei Reihen Schießscharten, an denen man so viele Tufang-Chfs (Gewehrschützen) aufstellen konnte, wie man wollte - vielmehr wie man hatte. Man brachte viele Türen und Pförtchen an, um leicht herein-und hinauskommen zu können. Man legte Brunnen an und hatte dadurch reichlich Wasser; man grub unterirdische Gänge, um im Notfall Fluchtwege zu haben. Magazine wurden eingerichtet, die alsbald mit Mundvorräten aller Art, die man in den umliegenden Dörfern gekauft oder vielleicht auch mitgenommen hatte, versehen und angefüllt wurden. Schließlich belegte man die Garnison der Festung mit den kräftigsten, ergebensten und zuverlässigsten Bábí, die zur Hand waren." (Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies dans l'Asie Centrale, S. 156.)
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mit der Eure Majestät bekleidet ist. Aus einer ganzen Anzahl Dörfer in der Umgebung ihres Hauptquartiers sind die Bewohner schon zu ihren Fahnen geeilt und haben ihrer Sache Treue geschworen. Sie haben sich eine Festung gebaut und sich hinter massigen Mauern verschanzt, bereit, gegen Euch zu Felde zu ziehen. Standhaft und eigensinnig, sind sie entschlossen, ihre Unabhängigkeit zu proklamieren und damit das kaiserliche Diadem Eurer erlauchten Vorfahren in den Staub zu treten. Ihr steht an der Schwelle Eurer Regentschaft. Welch größerer Triumph könnte den Antritt Eurer Herrschaft kundtun als die Ausrottung dieses verhaßten Glaubens, der sich gegen Euch zu verschwören gewagt hat! Dies würde dazu beitragen, Eurer Majestät das Vertrauen Eures Volkes zu sichern. Es würde Euer Ansehen erhöhen und Eure Krone mit unsterblichem Ruhm schmücken. Solltet Ihr jedoch schwanken in Eurer Politik, solltet Ihr die geringste Nachsicht gegen sie üben, dann empfände ich es als meine Pflicht, Euch zu warnen, dass die Zeit kommt, da nicht nur die Provinz Mázindarán, sondern ganz Persien von einem Ende bis zum anderen Eure Autorität zurückweist und sich ihrer Sache anschließt." Násiri'd-Dín Sháh, in Staatsgeschäften noch unerfahren, überließ die Angelegenheit den befehlshabenden Offizieren der Armee von Mázindarán, die bei Hofe weilten.43> Er gab ihnen Weisung, mit allen ihnen tauglich erscheinenden Mitteln die Bedroher seines Reiches auszumerzen. Hájí Mustafa Khán-i-Turkamán unterbreitete dem Herrscher seine Ansicht: „Ich komme selbst von Mázindarán und habe die Streitmacht, über die jene verfügen, schätzen können. Die Handvoll unausgebildeter, schwächlicher Studenten, die ich gesehen habe, sind niemals in der Lage, gegen die Kräfte, über die Eure Majestät gebietet, Widerstand zu leisten. Das Heer, das Sie auszusenden gedenken, ist meines Erachtens nicht erforderlich. Eine kleine Abteilung
43>„Der Anrir-Nizám, außer sich über diesen Befehl, gedachte die Angelegenheit ftl Mázindarán schnell zu erledigen, und man legte den Großen dieser Provinz, die nach Tihrán gekommen waren, um dem König ihre Aufwartung zu machen, bei der Abreise dringend ans Herz, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, damit der Bábí-Aufstand sich nicht noch mehr in die Länge ziehe. Sie versprachen, ihr Bestes zu tun. Und wirklich begannen die Stammeshäuptlinge nach ihrer Rückkehr ihre Streitkräfte zu sammeln und untereinander zu beraten. Jeder schrieb an seine Verwandten, sie möchten kommen und sich anschließen. Hájí Mustafa Khan bestellte seinen Bruder 'Abdu'lláh; 'Abbás-Qulí Khán-i-Láríjání rief Muhammad-Sultán und 'AK Khan aus Savád-Kúh herbei. Alle diese Edelmänner vereinigten sich zu dem Zweck, die Bábf in ihrer Festung anzugreifen, bevor diesen selbst einfiele, die Offensive zu ergreifen. Als die königlichen Offiziere die Stammeshäupter in einer so guten Verfassung sahen, beriefen sie eine große Ratsversammlung ein, zu der alle die genannten Herren dienstfertig hineilten, desgleichen Mírzá Áqá, der Mustawfí und Aufseher über das Rechnungswesen von Mázindarán, sowie der oberste 'Ulamá' und viele andere Persönlichkeiten von Rang und Würden." (Gobineau, a.a.O., S. 160f.)
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dieses Heeres wird ausreichen, sie hinwegzufegen. Sie sind meines Herrschers Sorge und Beachtung nicht wert. Sollte Eure Majestät geneigt sein, in einer kaiserlichen Botschaft an meinen Bruder 'Abdullah Khán-i-Turkamán den Wunsch zum Ausdruck zu bringen, dass er die nötige Vollmacht erhält, diese Bande zu unterwerfen, so bin ich überzeugt, dass er innerhalb von zwei Tagen ihren Aufstand niedergeschlagen und ihre Hoffnungen zerspellt haben wird."
Der Sháh gab seine Einwilligung, richtete seinen Farman44' an 'Abdu'Uáh Khan und befahl ihm, unverzüglich aus einem beliebigen Teil seines Reiches die Streitkräfte auszuheben, die er zur Erledigung der Aufgabe braucht. Zusammen mit diesem Schreiben übersandte er ihm einen Orden zum Zeichen des kaiserlichen Vertrauens in seine Fähigkeit zur Lösung dieser Aufgabe. Der Farmán und die Ehre, mit der sein Herrscher ihn auszeichnete, ermutigten 'Abdu'Uáh Khan zu seiner Mission. In kurzer Zeit hatte er ein Heer von etwa zwölftausend Mann aufgestellt, vorwiegend aus Angehörigen der Usanlü-, Afghán- und Küdar-Stämme.45' Er stattete sie mit der erforderlichen Munition aus und stationierte sie im Dorf Afra, das dem Nazar Khan gehörte und den Zugang zur Festung Tabarsi beherrschte. Er hatte kaum das Lager auf jener Anhöhe aufgeschlagen, als er sich daran machte, die täglichen Brotlieferungen für die Gefährten Mulla Husayns abzufangen. Selbst die Wasserzufuhr war ihnen bald verwehrt, da es den Belagerten unmöglich wurde, unter dem feindlichen Beschuß die Festung zu verlassen.
Das Heer bekam Befehl, vor der Festung eine Anzahl Barrikaden zu errichten und auf jeden zu feuern, der wagen sollte, aus dem Tor zu treten. „Unser Brot ist vom Feind abgefangen worden", klagte Rasúl-i-Bahnimírí. „Was soll aus uns werden, wenn man uns auch das Wasser versagt?" Quddüs, der zur Stunde des Sonnenuntergangs mit Mulla Husayn von der Terrasse der Festung aus das feindliche Heer beobachtete, wandte sich ihm zu und sprach: „Der Wassermangel peinigt unsere Gefährten. So Gott will, wird noch heute nacht ein Regenguß unsere Gegner überraschen, gefolgt von starkem Schneefall, der uns helfen wird, ihren geplanten Angriff abzuschlagen."
In dieser Nacht wurde das Heer 'Abdullah Khans von einem wolken-bruchartigen Regen überrascht, welcher die nähere Umgebung der Festung
^königlicher Befehl.
45)„Der Finanzminister hob seinerseits eine Truppe unter den Afghanen aus, die in Sari seßhaft waren, und verstärkte sie durch einige Leute aus türkischen Stämmen, die seiner Verwaltung unterstanden. 'Alí-Abád, das Dorf, das von den Bábí so schwer heimgesucht worden war und auf Rache hoffte, steuerte bei, soviel es konnte, und holte Verstärkung durch einen Trupp Männer von Qádí, die sich als Nachbarn anwerben ließen." (Comte de Gobineau, Les Religions et ¡es Philosopbies dam l'Asie Centrale, S. 161.)
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Das Dorf Afra
überflutete. Viele Munition wurde dadurch vernichtet. Innerhalb der Festungsmauern sammelte sich eine Menge Wasser, das für lange Zeit den Bedarf der Belagerten deckte. Im Lauf der folgenden Nacht verstärkte ein Schneefall, wie ihn die Leute in dieser Gegend selbst im tiefsten Winter nie erlebt hatten, noch beträchtlich den Verdruss, den der Regen schon verursacht hatte. In der nächsten Nacht, es war der Vorabend des fünften Muharram des Jahres 1265 n.d.H.46', beschloss Quddús, vor die Festung zu treten. „Preis sei Gott", sprach er zu Rasúl-i-Bahnimírí, als er ruhig und ernst durch den Torweg schritt, „Er hat gnädig unser Gebet erhört und hat Regen und Schnee über unsere Feinde geschüttet, was Verwüstung in ihr Lager und Erquickung in unsere Festung gebracht hat."
Als die Stunde des Angriffs nahte, auf die sich das starke Heer trotz der erlittenen Schäden eifrig vorbereitete, beschloss Quddús, einen Ausfall zu wagen, um diese Streitmacht zu schlagen. Zwei Stunden nach Sonnenaufgang bestieg er sein Pferd und ritt, begleitet von Mulla Husayn und drei anderen seiner Gefährten, die an seiner Seite ritten, zum Tor hinaus, die ganze Mannschaft folgte zu Fuß. Sowie sie draußen waren, erscholl der Ruf „Yá Sáhibu,z-Zamán!"47) - ein Ruf, der im Lager des Feindes Schrecken verbreitete. Der Ruf, den ¿ie löwenmutigen Anhänger des Báb im Wald von
46> 1. Dezember 1848 n. CM^
47> „O Herr des Zeitalters!", s. Anm. 17.
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Mázindarán erschallen ließen, scheuchte die erschreckten Feinde auf, die in ihren Verstecken im Hinterhalt lagen. Ihre Augen wurden geblendet vom Glitzern der blanken Waffen, und diese Drohung reichte aus, sie zu lähmen und zu überwältigen. In feiger Flucht zogen sie sich vor dem Ansturm zurück, ihren ganzen Besitz zurücklassend. Nach nur fünf und vier zig Minuten wurde der Sieg ausgerufen. Quddús und Mulla Husa^n war es gelungen, die Reste des besiegten Heeres in ihre Gewalt zu bringen. 'Abdullah Khán-i-Turkamán und zwei seiner Offiziere, Habíbu'lláh Khán-i-Afghán und Núru'lláh Khán-i-Afghán, waren mit nicht weniger als vierhundertunddreißig Mann umgekommen.
Quddús kehrte in die Festung zurück, während Mulla Husayn fortsetzte, was so tapfer durchgeführt worden war. Bald jedoch hörte man die Stimme von Siyyid 'Abdu'l-'Azim-i-Khu'i nach ihm rufen, der ihn im Auftrag von Quddús aufforderte, unverzüglich in die Festung zurückzukommen. „Wir haben die Angreifer geschlagen", sagte Quddús, „wir brauchen die Bestrafung nicht weiter fortzusetzen. Unsere Absicht ist, uns zu schützen, damit wir imstande sind, unsere Arbeit an der Erneuerung der Menschen weiterzuführen. Wir haben keineswegs vor, jemandem unnötig Leid zuzufügen. Was wir schon erreicht haben, genügt, die unüberwindliche Macht Gottes kundzutun. Durch Seine helfende Gnade ist es uns, einer kleinen Gruppe Seiner Anhänger, gelungen, das gegen uns aufgestellte kampfstarke Heer unserer Feinde zu besiegen."
Das Dorf Shír-Gáh
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Ungeachtet des Sieges verlor bei diesem Treffen kein einziger Anhänger des Báb das Leben. Keiner, bis auf einen Mann namens Quli, der vor Quddús herritt, wurde ernstlich verwundet. Alle hatten Befehl, den Gegnern außer ihren Schwertern und Pferden nichts wegzunehmen.
Als allem Anschein nach die von 'Abdu'lláh Khan befehligten Truppen sich aufs neue sammelten, befahl Quddús seinen Gefährten, zum Schutz gegen eine neue Attacke einen Graben um die Festung herum auszuheben. Neunzehn Tage lang mühten sie sich aufs äußerste, die ihnen gestellte Aufgabe zu erfüllen. Tag und Nacht arbeiteten sie mit Freude an der Ausführung des Werks, das ihnen aufgetragen war.
Kurz nachdem die Arbeit beendet war, traf die Meldung ein, dass Prinz Mihdí-Qulí Mírzá48) an der Spitze eines starken Heeres im Anmarsch auf die Festung sei und gegenwärtig in Shír-Gáh lagere. Wenige Tage später hatte er sein Hauptquartier nach Vás-Kas verlegt. Bei seiner Ankunft sandte er einen seiner Leute zu Mulla Husayn, um ihn wissen zu lassen, dass er Befehl vom Sháh habe, Ermittlungen über seine Tätigkeiten anzustellen und Aufschluss über das Ziel zu heischen, das er verfolge. „Sage deinem Herrn", erwiderte Mulla Husayn, „dass wir keinerlei Absicht haben, die Grundlagen der Monarchie zu erschüttern oder die Autorität von Násiri'd-Dín Sháh anzutasten. Unsere Sache betrifft die Offenbarung des verheißenen Qá'im und hat ausschließlich mit der geistlichen Ordnung dieses Landes zu tun. Wir können unwiderlegliche Beweise und unfehlbare Argumente für die Wahrheit unserer Botschaft erbringen." Die- leidenschaftliche Aufrichtigkeit, mit der Mulla Husayn für seine Sache eintrat, und die Einzelheiten, die er aufführte, um die Berechtigung seiner Ansprüche darzutun, rührten dem Boten so an das Herz, dass ihm Tränen in die Augen traten. „Was sollen wir tun?" rief er. Mulla Husayn erwiderte: „Der Prinz soll die 'Ulamás von Sari und Bárfurúsh
48) „Der Amír-Nizám geriet in rasende Wut, als er erfuhr, was vor sich gegangen war. Er war empört über den Schrecken, den man ihm beschrieb. Zu weit vom Ort der Handlung entfernt, als dass er die unbändige Begeisterung der Rebellen hätte ermessen können, war ihm nur eines klar, dass man.baldigst Schluss machen musste mit ihnen, bevor ihr Mut durch zu große Erfolge noch mehr gesteigert wurde. Prinz Mihdí-Qulí Mírzá, königlicher Oberleutnant der bedrohten Provinz, reiste mit außerordentlichen Vollmachten dorthin. Man erteilte Befehl, eine Liste der Toten aufzustellen, die im Kampf vor der Festung der Bábí und bei der Plünderung von Ferra gefallen waren, und versprach den Hinterbliebenen eine Pension. Hájí Mustafa Khan, der Bruder von 'Abdullah, empfing einen stattlithen Beweis der königlichen Gunst. Sodann machte man alle Anstrengungen, um die Gemüter anzufeuern und den Muslimen wieder ein wenig Selbstvertrauen einzuflößen." (Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies dans l'Asie Centrale, S. 163f.)
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hierher kommen und uns die Gültigkeit der vom Báb verkündeten Offenbarung darlegen lassen. Der Qur'án soll entscheiden, wer die Wahrheit spricht. Der Prinz selbst soll unsere Sache beurteilen und Recht sprechen. Er soll auch bestimmen, was er mit uns zu tun gedenkt, wenn es uns nicht gelingt, anhand von Versen und Überlieferungen die Wahrheit dieser Sache zu begründen." Der Bote brachte seine völlige Zufriedenheit mit der erhaltenen Antwort zum Ausdruck und versprach, ehe drei Tage vergingen, würden die geistlichen Würdenträger, wie vorgeschlagen, einberufen.
Das Versprechen des Abgesandten sollte uneingelöst bleiben. Drei Tage später setzte der Prinz Mihdí-Qulí Mírzá im bisher größten Maßstab seinen Angriff auf die Verteidiger der Festung an. An der Spitze von drei Infanterie-und mehreren Kavallerieregimentern verlegte er seine Streitmacht auf eine Anhöhe, von der aus man das Fort überblickte, und gab Zeichen, das Feuer zu eröffnen.
Der Tag war noch nicht angebrochen, als Quddús mit dem Schlachtruf: „Auf zu Pferde, ihr Streiter Gottes!" die Tore der Festung aufs neue öffnen Heß. Mulla Husayn und zweihundertzwei seiner Gefährten eilten zu ihren Pferden und folgten Quddús, der in Richtung Vás-Kas hinausritt. Unerschrocken vor der überwältigenden Streitmacht, die ihnen gegenüberstand, und ohne sich von Schnee und Schlamm auf den Wegen abschrecken zu lassen, jagten sie ohne Rast durch die Finsternis auf die Stellungen zu, die dem Feind als Angriffsbasis dienten.
Das Dorf Vás-Kas
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Das Dorf Ríz-Áb
Das Dorf Fírúz-Kúh
Der Prinz, der Mulla Husayns Bewegungen beobachtete, sah ihn aus der Festung herannahen und befahl seinen Leuten, das Feuer zu eröffnen. Die abgefeuerten Kugeln konnten ihn nicht aufhalten. Er erzwang sich seinen Weg durch das Lagertor und eilte zum Quartier des Prinzen, der plötzlich erkannte, dass sein Leben in Gefahr war, sich aus einem rückwärtigen Fenster in den
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Graben stürzte und barfuß entkam.49' Das Heer, das sich seines Führers beraubt sah, geriet in Panik und floh in schmählicher Hast vor der kleinen Truppe, die es trotz überwältigender Überzahl und aller Hilfsmittel aus der kaiserlichen Rüstkammer nicht besiegen konnte.50'
Als die Sieger sich im Heerlager den Zugang zu einem dem Prinzen vorbehaltenen Abschnitt erzwangen, fielen zwei weitere Prinzen königlichen Geblüts51' bei dem Versuch, ihre Gegner zu schlagen. In die Räume des Prinzen eingedrungen, entdeckten sie Kästen voll Gold und Silber, die sie alle unangetastet ließen. Bis auf einen Topf mit Schießpulver und das Lieblingsschwert des Prinzen, das sie Mulla Husayn zum Zeichen ihres Sieges überbrachten, nahmen die Gefährten keine Notiz von den kostbaren Gegen-
49) „Wir haben Mihdí-Qulí Mírzá verlassen, wie er fern von seinem brennenden Haus einsam
durch Schnee und Finsternis über das Land irrte. In der Morgendämmerung fand er sich an einem
unbekannten Engpaß, verloren in einer schrecklichen Gegend; in Wirklichkeit war er aber nicht
viel mehr als eine halbe Meile vom Schlachtfeld entfernt. Der Wind trug ihm die Salven der
Musketiere ans Ohr. In diesem kläglichen, hilflosen Zustand begegnete ihm ein Mázindaráner,
der bequem zu Pferd saß und ihn im Vorbeireiten erkannte. Der Mann stieg ab, ließ den Prinzen
aufsitzen und bot sich als Führer an. Er brachte ihn in ein Bauernhaus, wo er ihn im Pferdestall
unterbrachte, in Persien durchaus kein verächtlicher Aufenthaltsort. Während der Prinz aß und
sich ausruhte, bestieg der Mázindaráner wieder sein Pferd, um allen Soldaten, auf die er stieß, die
frohe Kunde zu bringen, dass der Prinz wohlauf und in Sicherheit sei. Zug um Zug führte er ihm
seine Leute wieder zu, oder wenigstens eine stattliche Anzahl von ihnen. Wäre Mihdí-Qulí Mírzá
ein stolzer Geist gewesen, der durch eine Niederlage nicht zu entmutigen ist, so hätte er vielleicht
seine Lage durch das Unglück der vergangenen Nacht nicht wesentlich beeinträchtigt gesehen; er
hätte die Angelegenheit als das Ergebnis einer Überraschung betrachtet und hätte mit den
verbliebenen Truppen versucht, den Schein zu wahren, indem der das Feld behauptete, denn die
Bábí hatten sich tatsächlich zurückgezogen und waren nicht mehr zu sehen. Der Sháhzádih
jedoch, von solcher Entschlossenheit weit entfernt, war ein schwacher Charakter; als er seine
Person so wohlbehütet sah, verließ er seinen Pferdestall und eilte nach dem Dorf Qádí-Kalá, von
wo er sich in großer Hast nach Sari begab. Dieses Verhalten bekräftigte in der ganzen Provinz den
bei der ersten Kunde des Überfalls von Váskas hervorgerufenen Eindruck. Überall verlor man den
Kopf. Die offenen Städte fühlten sich allen möglichen Gefahren ausgesetzt, und trotz der rauhen
Jahreszeit sah man Karawanen friedliebender Bürger, die verzweifelt versuchten, ihre Frauen und
Kinder in den Einöden des Damávand in Sicherheit zu bringen vor den unvermeidlichen
Gefahren, auf die das ängstliche Verhalten des Sháhzádih offensichtlich hinwies. Wenn Asiaten
einmal den Kopf verlieren, dann verlieren sie ihn völlig." (Comte de Gobineau, Les Religions et les
Philosophies dans l'Asie Centrale, S. 169f.)
50) „In wenigen Augenblicken war seine schon stark in Unordnung geratene Armee durch die
dreihundert Männer von Mulla Husayn zersprengt. War das nicht des Herrn und Gideons
Schwert?" (Gobineau, a.a.O., S. 167.)
51' Nach Gobineau (S. 167) waren es Sultán Husayn Mírzá, der Sohn des Fath-'AH Shah, und Dawúd Mírzá, der Sohn des Zillu's-Sultán, eines Onkels des Sháh. A. L. M. Nicolas erwähnt in seinem Buch Siyyid 'Ali-Muhammad dit ¡e Bäb noch Mustawfí Mírzá 'Abdu'1-Báqí.
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ständen, die der Eigentümer verzweifelt zurückgelassen hatte. Als sie Mulla Husayn das Schwert brachten, merkten sie, dass dieser sein eigenes Schwert, weil es von einer Kugel getroffen worden war, gegen das von Quddús ausgetauscht hatte, um den Angreifer zurückzuschlagen.
Die Bábí sprengten das Tor des Gefängnisses, das der Feind gehalten hatte, und hörten die Stimme von Mulla Yúsuf-i-Ardibílí, der auf seinem Weg zur Festung in Gefangenschaft geraten war und unter den Häftlingen schmachtete. Er setzte sich für seine Leidensgefährten ein und erwirkte deren sofortige Freilassung.
Am Morgen dieses denkwürdigen Kampfes versammelte Mulla Husayn seine Gefährten in der Nähe von Vás-Kas um Quddús, während er selbst in Erwartung eines neuen feindlichen Angriffs zu Pferde blieb. Auf die Bewegungen des Gegners achtend, sah er plötzlich eine unübersehbare Heerschar von beiden Seiten heranstürmen. Alle sprangen auf und drängten mit dem Schlachtruf „Yá Sáhibu'z-Zaman!" voran, um den Angriff aufzufangen. Mulla Husayn sprengte auf seinem Pferde nach der einen Seite. Quddús mit seinen Gefährten nach der andern. Der Trupp, der Mulla Husayn angriff, änderte plötzlich seine,Richtung, floh vor ihm, vereinigte sich mit den übrigen Feinden und umzingelte Quddús und seine Gefährten. Zur gleichen Zeit feuerten sie tausend Kugeln ab; eine davon traf Quddús in den Mund, schlug ihm mehrere Zähne aus und verletzte ihm Zunge und Kehle. Das Getöse der gleichzeitig abgefeuerten tausend Kugeln, das zehn Farsang52* weit zu hören war, erfüllte Mulla Husayn mit Sorge; er eilte den Freunden zu Hilfe. Bei ihnen angekommen, sprang er vom Pferd, gab es seinem Diener Qambar-'Ali und lief zu Quddús. Als er sah, wie seinem geliebten Herrn Blut aus dem Mund strömte, packten ihn Angst und Schrecken. Entsetzt hob er die Hände und wollte sich auf den Kopf schlagen; aber Quddús forderte ihn auf, innezuhalten. Mulla Husayn gehorchte augenblicklich und bat Quddús um sein Schwert, zog es aus der Scheide und schickte sich an, die feindlichen Kräfte zu zerschmettern, die sich um sie gesammelt hatten. Mit einhundertzehn Gefährten stellte er sich der ganzen Streitmacht. In der einen Hand das Schwert seines geliebten Führers, in der anderen das seines entehrten Gegners, focht er einen verzweifelten Kampf, und innerhalb von dreißig Minuten wundersamen Heldenmuts schlug er das ganze Heer in die Flucht.
Nachdem sich das Heer des Prinzen Mihdí-Qulí Mírzá so schmählich aus dem Staube gemacht hatte, konnten sich Mulla Husayn und seine Gefährten in die Festung zurückziehen. Voll Kummer und Schmerz geleiteten sie ihren
52) ein Farsang entspricht 4,5 - 6 km, siehe Worterklärung im Anhang.
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verwundeten Führer in die schützenden Mauern. Dort angekommen, richtete Quddús einen schriftlichen Aufruf an die Freunde, die seine Verletzung beklagten, und besänftigte mit aufmunternden Worten ihr Leid. „Wir müssen uns ganz dem Willen Gottes fügen", ermahnte er sie. „Wir müssen fest und standhaft sein in der Stunde der Prüfung. Der Stein eines Ungläubigen brach dem Propheten Gottes die Zähne; die meinen»fielen der Kugel eines Feindes zum Opfer. Ist auch mein Körper verletzt, so ist meine Seele doch voll Freude. Meine Dankbarkeit gegen Gott kennt keine Grenzen. Wenn ihr mich liebt, dann lasst nicht zu, dass diese Freude durch euere Seufzer und Klagen getrübt werde."
Dieses denkwürdige Treffen fiel auf den fünfundzwanzigsten Muharram 1265 n.d.H.*3 Zu Beginn dieses Monats machte sich Bahá'u'Iláh, getreu dem Mulla Husayn gegebenen Versprechen und begleitet von einer Anzahl Seiner Freunde, von Nur aus auf den Weg zur Festung TabarsL In Seiner Begleitung waren Hájí Mírzá Jáníy-i-Káshání, Mulla Báqir-i-Tabrízí, der Buchstabe des Lebendigen, und Mírzá Yariyá, Sein Bruder. Bahá'u'Iláh brachte den Wunsch zum Ausdruck, dass man ohne Unterbrechung direkt zu dem Bestimmungsort reise. Er wollte bei Nacht dort ankommen, zumal, seit 'Abdullah Khan das Kommando übernommen hatte, strenge Befehle ergangen waren, den Verteidigern der Festung auf keinen Fall Hilfe zukommen zu lassen. An verschiedenen Stellen waren Wachen aufgestellt, um die Belagerten einzuschließen. Seine Gefährten bedrängten Ihn jedoch, die Reise zu unterbrechen und sich einige Stunden Ruhe zu gönnen. Er wusste, dass man durch diese Verzögerung Gefahr lief, vom Feind überrascht zu werden, gab aber ihren inständigen Bitten nach. Sie hielten bei einem einsamen Haus am Wege an. Nach dem Essen zogen sich die Gefährten zum Schlafen zurück. Er allein blieb trotz der zurückliegenden Strapazen wach. Er wusste um die Gefahren, denen Er und Seine Freunde ausgesetzt waren, und war sich bewusst, welche Möglichkeit Seine frühere Ankunft in der Festung eröffnet hätte.
Während Er bei Seinen Gefährten wachte, unterrichteten Vertrauensleute des Feindes die Wachen in der Nähe von der Ankunft der Reisegesellschaft und ordneten an, alles, was man bei ihnen fände, zu beschlagnahmen. „Wir sind streng gehalten", sagten sie zu Bahá'u'Iláh, den sie sofort als den Führer der Gruppe erkannten, „jeden festzunehmen, den wir im Umkreis antreffen, und haben Befehl, ihn ohne vorherige Untersuchung nach Ámul zu bringen und dem Gouverneur auszuliefern." „Man hat euch die Sache falsch dargestellt", bemerkte Bahá'u'Iláh. „Ihr habt unsere Absicht missdeutet. Ich möchte
«2 21. Dezember 1848 n. Chr.
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euch raten, so zu handeln, dass ihr es nicht eines Tages bereuen musst/' Diese würdevoll und ruhig vorgebrachte Ermahnung veranlasste den Führer der Wachen, seine Gefangenen mit Achtung und Höflichkeit zu behandeln. Er bat sie, auf die Pferde zu steigen und mit ihm nach Amul zu reiten. Als sie zum Ufer eines Flusses kamen, gab Bahá'u'lláh Seinen Gefährten, die in einigem Abstand von den Wachen ritten, zu verstehen, sie sollten alle mitgeführten Schriften ins Wasser werfen.
Bei Tagesanbruch näherten sie sich der Stadt. Ein Bote wurde zum stellvertretenden Gouverneur vorausgeschickt, um ihn über die Ankunft einer Reisegesellschaft zu unterrichten, die auf dem Weg nach der Festung Tabarsi verhaftet worden war. Der Gouverneur selbst hatte Befehl erhalten, sich mit seiner Leibwache dem Heer des Prinzen Mihdí-Qulí Mírzá anzuschließen, und hatte deshalb einen Verwandten damit beauftragt, ihn während seiner Abwesenheit zu vertreten. Als dieser die Nachricht erhielt, begab er sich sofort . i zur Moschee von Amul und rief die 'Ulamás und die führenden Siyyids der Stadt zu einer Zusammenkunft mit der Reisegesellschaft herbei. Sowie er Bahá'u'lláh erkannte, war er sehr erstaunt und bedauerte zutiefst die Befehle, die er gegeben hatte. Er tat so, als ob er Ihm für Sein Unternehmen einen Verweis erteilte, in der Hoffnung, auf diese Weise den Tumult zu beschwichtigen und die Erregung der in der Moschee Versammelten zu besänftigen. „Wir sind der Taten nicht schuldig, die man uns zur Last legt", erklärte Bahá'u'lláh. „Unsere Schuldlosigkeit wird euch eines Tages klar vor Augen stehen. Ich rate euch, so zu handeln, dass ihr es nicht später bereuen müßt." Der diensttuende Gouverneur forderte die anwesenden 'Ulamás auf, Fragen zu stellen. Bahá'u'lláh gab auf ihre Fragen deutliche, überzeugende Antworten. Während sie ihre Fragen stellten, entdeckten sie bei einem Seiner Gefährten ein Manuskript, in welchem sie Schriften des Báb erkannten, und reichten es dem obersten der anwesenden 'Ulamás. Als dieser einige Zeilen überflogen hatte, legte er das Schriftstück beiseite und rief, zu den um ihn Sitzenden gewandt: „Diese Leute, die da so unerhörte Ansprüche stellen, beweisen allein mit dem Satz, den ich eben gelesen habe, dass sie nicht einmal die einfachsten Regeln der Rechtschreibung beherrschen." „Mein sehr geschätzter und gelehrter geistlicher Herr", erwiderte Bahá'u'lláh, „die Worte, die Ihr kritisiert, sind nicht die Worte des Báb. Sie hat kein Geringerer als der Imam 'Ali, der Gebieter der Gläubigen, geäußert, in seiner Antwort an Kumayl-ibn-i-Zíyád, den er zu seinem Gefährten ausersehen hatte."
Die Umstände im Zusammenhang mit dieser Antwort, wie Bahá'u'lláh sie später erzählte, und nicht weniger die Art und Weise Seiner Darstellung brachten dem anmaßenden Mujtahid seine Dummheit und seinen Missgriff
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Amul
zum Bewusstsein. Unfähig, eine so schwerwiegende Feststellung zu widerlegen, zog er vor, zu schweigen. Ein Siyyid warf ärgerlich ein: „Diese Feststellung bestätigt eindeutig, dass ihr Verfasser selber ein Bábí, ja ein führender Ausleger der Lehrsätze dieser Sekte ist." Er verlangte mit heftigen Worten, dass ihre Anhänger getötet würden. „Diese obskuren Sektierer", schrie er, „sind die geschworenen Feinde des Staates wie des islamischen Glaubens! Wir müssen die Ketzerei ausrotten, koste es, was es wolle." Von den anderen anwesenden Siyyids bei dieser Anklage unterstützt und durch die in der Versammlung ausgestoßenen Verwünschungen erkühnt, bestand er darauf, dass der Gouverneur unverzüglich ihren Forderungen entspreche.
Der diensthabende Gouverneur war in großer Verlegenheit; er merkte, dass jedes Zeichen der Nachsicht seinerseits schwere Folgen für die Sicherheit seiner Stellung nach sich zöge. In dem Bestreben, die von ihm selbst erregten Leidenschaften zu zügeln, befahl er seinen Dienern, die Ruten vorzubereiten und die Gefangenen einer gehörigen Strafe zu unterziehen. „Wir werden sie hernach", fügte er hinzu, „gefangenhalten, bis der Gouverneur zurückkommt und sie nach Tihrán schickt, wo sie von der Hand des Herrschers die verdiente Strafe erhalten werden."
Der erste, der für die Bastonade festgebunden wurde, war Mulla Báqir. „Ich bin nur ein Pferdeknecht Bahá'ulláhs", flehte er. „Ich war auf dem Weg nach Mashhad, als sie mich plötzlich gefangennahmen und hierher brachten." Bahá'u'lláh setzte sich für ihn ein und erreichte, dass seine Bedrücker von ihm
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abließen. Ebenso trat Er für Hájí Mírzá Jání ein, der, wie Er sagte, „nur ein Kaufmann" sei, den Er als Seinen „Gast" betrachte, so dass Er für alle Beschuldigungen gegen ihn verantwortlich sei. Auch Mírzá Yahyá, der nun festgebunden werden sollte, wurde sofort losgelassen, als Bahá'u'lláh ihn als Seinen Diener bezeichnete. „Keiner von diesen Männern", sagte Er zu dem stellvertretenden Gouverneur, „hat sich etwas zuschulden kommen lassen. .Wenn du darauf bestehst, eine Strafe zu verhängen, so biete Ich Mich als freiwilliges Opfer für deine Züchtigung." So sah sich der Gouverneur mit Widerstreben genötigt, Befehl zu geben, dass Bahá'u'lláh allein die unwürdige Behandlung erleiden sollte, die ursprünglich Seinen Gefährten zugedacht war.54)
Nun erduldete Bahá'u'lláh in Gegenwart der versammelten 'Ulamás von Ámul dieselbe Behandlung, die der Báb fünf Monate zuvor in Tabriz erleiden musste. Die erste Gefangennahme, die dem Báb durch seine Feinde widerfuhr, geschah im Hause von 'Abdul-Hamid Khan, dem Polizeihauptmann von Shíráz; die erste Gefangennahme Bahá'u'lláhs war im Hause eines Kad-Khudá
Das Haus des Gouverneurs von Ámul
54) »O Shaykh! Was über diesen Unterdrückten kam, übersteigt jedes Bild und jeden Vergleich. Alles haben Wir mit äußerster ''feigkeit und Ergebenheit ertragen, damit die Seelen der Menschen erbaut und das Wort Gottes verherrlicht werden. Während Wir im Gefängnis des Landes Mim (Mázindarán) eingekerkert waren, wurden Wir eines Tages den Geistlichen ausgeliefert. Du kannst dir gewiss vorstellen, was Uns zustieß." (Bahá'u'lláh, Brief an den Sohn des Wolfes, S. 76 f.)
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Die Masjid von Ámul
in Tihrán. Die zweite Gefangenschaft des Báb war in der Feste Máh-Kú, die von Bahá'u'lláh in der Privatwohnung des Gouverneurs von Ámul. Der Báb wurde im Namáz-Khánih55' des Shaykhu'1-Islám von Tabriz gegeißelt; dieselbe
55) wörtlich „Gebetshaus".
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Schmach wurde Bahá'u'lláh im Namáz-Khánih des Mujtahid von Ámul zuteil. Das dritte Mal eingekerkert war der Báb in der Festung von Chihriq, Bahá'u'lláh im Síyáh-Chál56) von Tihrán. Der Báb, dessen Prüfungen und Leiden fast alle denjenigen Bahá'u'lláhs vorausgegangen waren, hatte sich selbst geopfert, um Seinen Geliebten aus den Gefahren zu erlösen, die Dessen kostbares Leben bedrängten, während Bahá'u'lláh, der nicht wollte, dass Er, der Ihn so sehr liebte, alle Leiden allein auf sich nehme, bei jeder Gelegenheit von dem Kelch des Leidens mittrank. Kein Auge hat je solch eine Liebe gesehen, kein sterbliches Herz eine derartige Hingabe erfahren. Wären die Zweige aller Bäume in Federn und alle Meere in Tinte verwandelt, und wären Himmel und Erde das Pergament, unerforscht bliebe die Unermesslichkeit dieser Liebe, unergründet die Tiefe dieser Hingabe.
Bahá'u'lláh und Seine Gefährten blieben eine Zeitlang in einem zur Moschee gehörenden Raum eingesperrt. Der diensthabende Gouverneur, immer noch entschlossen, seinen Gefangenen vor den Angriffen eines unnachgiebigen Gegners zu schützen, hatte insgeheim seine Diener angewiesen, in einer unverdächtigen Stunde eine Öffnung in die Mauer des Raumes zu brechen, wo die Gefangenen eingesperrt waren, und ihren Führer in seine Wohnung zu bringen. Er selbst führte eben Bahá'u'lláh in sein Haus, als ein Siyyid herbei-
Die Masjid von Ámul, x bezeichnet die Stelle der Maueröffhung
56> wörtlich „Schwarzes Loch", unterirdisches Gefängnis in Tihrán, ftir*<wélchem Bahá'u'lláh gefangen war.
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sprang, Bahá'u'lláh die heftigsten Beschimpfungen entgegenschleuderte und den Knüppel in seiner Hand hob, um Ihn zu schlagen. Der diensthabende Gouverneur warf sich sofort dazwischen und beschwor den Angreifer „beim Propheten Gottes!", seine Hand zurückzuhalten. „Was!" schrie der Siyyid. „Wie kannst du es wagen, einen Mann freizulassen, der ein geschworener Feind unseres Väterglaubens ist?" Mittlerweile hatte sich ein Haufen Raufbolde um sie geschart; mit Schimpf, Hohn und Spott verstärkten sie den Lärm, den der Siyyid angefangen hatte. Trotz des wachsenden Tumults gelang es den Dienern des Gouverneurs, Bahá'u'lláh wohlbehalten in die Wohnung ihres Herrn zu bringen, wobei sie erstaunlichen Mut und Geistesgegenwart bewiesen.
Auch die übrigen Gefangenen konnten trotz des Protestgeschreis der Menge zum Wohnsitz des Gouverneurs gebracht werden und entgingen so den drohenden Gefahren. Wortreich tat der Gouverneur bei Bahá'u'lláh Abbitte für das Verhalten der Leute von Ämul gegen Ihn. „Ohne das Walten der Vorsehung", sagte er, „hätte dich keine Macht der Welt aus den Klauen dieses böswilligen Volkes befreien können. Und weil ich gelobt habe, mein Leben um deinetwillen aufs Spiel zu setzen, wäre auch ich ihrer Wut zum Opfer gefallen und von ihnen zertrampelt worden." Er klagte bitter über das empörende Verhalten der Siyyids von Amul und verurteilte ihren niedrigen Charakter. Er brachte zum Ausdruck, dass ihm ihre boshaften Anschläge eine ständige Qual seien. Er gab sich Mühe, Bahá'u'lláh hingebungsvoll und freundlich zu dienen, und sagte mehrmals im Gespräch zu Ihm: „Es liegt mir fern, dich als Gefangenen in meinem Heim zu betrachten. Dies Haus ist, glaube ich, nur dafür gebaut worden, dir Schutz vor den Anschlägen deiner Feinde zu bieten."
Ich habe Bahá'u'lláh selbst folgendes erzählen hören: „Kein Gefangener hat jemals die Behandlung erfahren, die Mir von Seiten des diensthabenden Gouverneurs von Amul zuteil wurde. Er kam Mir mit äußerster Hochachtung und Zuvorkommenheit entgegen. Er hat Mich großzügig bewirtet und alles getan, was Mir zur Sicherheit und Behaglichkeit diente. Nur konnte Ich das Haus nicht verlassen. Mein Gastgeber war in Sorge, dass der Gouverneur, der mit 'Abbás-Qulí Khán-i-Láríjání verwandt war, von der Festung Tabarsi zurückkommen und Mir etwas antun könnte. Ich versuchte, seine Befürchtungen zu zerstreuen. ,Dieselbe Allmacht', versicherte Ich ihm, ,die uns aus den Händen der Unheilstifter von Amul befreit und es uns ermöglicht hat, von dir in diesem Haus mit soviel Gastfreundschaft aufgenommen zu werden, kann auch das Herz des Gouverneurs wandeln und bewirken, dass er uns nicht weniger Achtung und Liebe entgegenbringt.'
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Eines Nachts weckte uns plötzlich der Lärm von Leuten, die vor dem Tor des Hauses zusammenliefen. Die Tür stand offen, und es hieß, der Gouverneur sei nach Ámul zurückgekehrt. Unsere Gefährten, die sich auf einen neuen Angriff gefasst machten, waren hoch erstaunt, als sie die Stimme des Gouverneurs hörten, wie er die, die uns bei unserer Ankunft so schwer bedroht hatten, zurechtwies. ,Wie kommen diese elenden Kerle dazu', hörten wir ihn laut protestieren, ,so unehrerbietig gegen einen Gast zu handeln, dem die Hände gebunden sind, der keine Möglichkeit hat, sich zu wehren? Womit wollen sie ihre Forderung rechtfertigen, dass er sofort getötet würde? Welche Beweise haben sie, die ihre Behauptungen stützen könnten? Wenn es ihnen ernst ist mit ihren Versicherungen, dass sie dem Islam treu sind und seine Interessen wahren, dann sollen sie selbst zu der Festung von Shaykh Tabarsi gehen, dort ihre Fähigkeit unter Beweis stellen und den Glauben, dessen Vorkämpfer zu sein sie vorgeben, verteidigen.'
Was er an Heldenmut bei den Verteidigern der Festung gesehen hatte, hatte Sinn und Herz des Gouverneurs von Amul völlig verwandelt. Erfüllt von Bewunderung für eine Sache, die er zuvor verachtet und deren Ausbreitung er eifrig zu verhindern getrachtet hatte, kehrte er zurück. Die Szenen, die er erlebt hatte, hatten seinen Zorn entwaffnet und seinen Stolz gedämpft. Demütig und respektvoll ging er zu Bahá'u'lláh und entschuldigte sich für die Unverschämtheit der Bewohner einer Stadt, die er zu regieren ausersehen war. Er diente Ihm mit äußerster Ergebenheit, gänzlich ungeachtet seines eigenen Ranges und seiner Stellung. Er pries Mulla Husayn mit glühenden Worten und verbreitete sich über seine Findigkeit, Unerschrockenheit, Geschicklichkeit und seinen Seelenadel. Einige Tage später bewerkstelligte er glücklich die ungestörte Abreise Bahá'u'lláhs und Seiner Gefährten nach Tihrán.
Bahá'u'lláhs Plan, das Los der Verteidiger der Festung von Shaykh Tabarsi zu teilen, sollte unerfüllt bleiben. Obwohl Er von ganzem Herzen alles tun wollte, was in Seiner Macht lag, um den Belagerten beizustehen, blieb Er durch das geheimnisvolle Walten der Vorsehung vor dem tragischen Schicksal bewahrt, das bald darauf die Hauptgestalten des denkwürdigen Kampfes ereilte. Hätte Er die Festung erreichen können und wäre Ihm vergönnt gewesen, sich jener heroischen Schar anzuschließen, wie hätte Er dann Seine Rolle in dem großen Geschehen spielen können, das zu entfalten Seine Bestimmung war? Wie hätte Er das Werk vollenden können, das so herrlich geplant und so wunderbar eröffnet worden, war? Er stand auf dem Höhepunkt Seines Lebens, als Ihn der Ruf aus Shíráz erreichte. Im Alter von siebenundzwanzig Jahren machte Er sich auf, diesem Ruf Sein ganzes Leben zu weihen, bekannte sich furchtlos zu den göttlichen Lehren und zeichnete sich durch eine beispielhafte
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Rolle bei deren Verbreitung aus. Keine Mühe war zu groß für die Kraft, mit der Er ausgestattet war, kein Opfer zu schmerzlich für die Hingabe, mit der Sein Glauben Ihn beseelte. Alle Rücksichten auf Rang und Namen, Geld und Gut ließ Er fahren, wenn es um die Aufgabe ging, der Er Sein Herz geweiht hatte. Weder der Spott Seiner Freunde noch die Drohung der Feinde konnte Ihn hindern, sich für eine Sache einzusetzen, die den einen wie den andern als eine obskure, geächtete Sekte galt.
Die erste Kerkerhaft, die Ihm aus Anlass Seiner Hilfe für die Gefangenen von Qazvin widerfuhr, die Geschicklichkeit, mit der Er Táhirihs Befreiung erreichte, die beispielhafte Weise, wie Er die turbulenten Vorgänge in Badasht lenkte, die Art, wie Er Quddús in Níyálá das Leben rettete, die Weisheit, mit der Er die durch Táhirihs Impulsivität verursachte heikle Situation beherrschte, Sein wachsames Auge über ihre Sicherheit, die Ratschläge, die Er den Verteidigern der Festung Tabarsi erteilte, Sein Plan, die Kräfte von Quddús mit denen Mulla Husayns und seiner Gefährten zu vereinigen, die Bereitwilligkeit, mit der Er die Bemühungen jener tapferen Verteidiger unterstützte, Seine Großmut, die Ihn als Stellvertreter für Seine von bitterer Schmach bedrohten Gefährten eintreten ließ, die Gelassenheit, mit der Er die über Ihn verhängten Härten aus Anlass des Attentats auf das Leben des Násiri'd-Dín Sháh trug, die Schmach, mit der Er auf dem ganzen Weg von Lavásán zum Hauptquartier des kaiserlichen Heeres und von dort bis zur Hauptstadt überhäuft wurde, die lastenden Ketten, die Ihn in der Finsternis des Síyáh-Chál von Tihrán quälten - das sind nur wenige Beispiele, die Seine einzigartige Stellung als Urheber der Kräfte bezeugen, die das Gesicht Seines Vaterlandes wandeln sollten. Er selbst hat diese Kräfte ausgelöst, ihren Kurs gesteuert, ihre Wirkung harmonisiert und sie schließlich zur höchsten Vollendung geführt in der Sache, die Er zu einem späteren Zeitpunkt offenbaren sollte.
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Zwanzigstes Kapitel
DIE ERHEBUNG IN MÁZINDARÁN Zweiter Teil
Die Streitkräfte unter dem Befehl des Prinzen Mihdí-Qulí Mfrzá hatten sich mittlerweile aus ihrem demoralisierten Zustand erholt und bereiteten sorgfältig einen neuen Angriff auf die Festung Tabarsi vor. Die Verteidiger sahen sich aufs neue von einem stattlichen Heer umzingelt, an dessen Spitze 'Abbás-Qulí Khán-i-Láríjání und Sulaymán Khán-i-Afshár-i-Shahríyárf standen; letzterer war mit einigen Regimentern Infanterie und Kavallerie herbeigeeilt, um die Truppen des Prinzen zu verstärken.1' Die vereinigten Streitkräfte
1} „Bestürzt und ratlos, wohin er sich wenden sollte, gab der arme Sháhzádih Befehl, dass neue Streitkräfte gesammelt und ein anderes Heer aufgestellt werden sollten. Aber die Bevölkerung der Stadt zeigte wenig Neigung, unter einem Befehlshaber zu dienen, der seine Verdienste und seine Unerschrockenheit so bloßgestellt hatte. Immerhin gelang es schließlich, mit etwas Geld und vielen Versprechungen vor allem bei den Mullas, die ihr Ziel nicht aus den Augen verloren, sicherlich an der ganzen Sache am meisten interessiert waren und unruhig wurden, eine ansehnliche Zahl von Tufang-Chis (Gewehrschützen) zusammenzubringen. Was die Starrunesreiter betrifft, so tun sie, wenn ihre Häuptlinge das Pferd besteigen, ohne zu fragen dasselbe. 'Abbás-Qulí Khán-i-Láríjání kam unverzüglich dem Befehl nach, ein neues Kontingent zu stellen. Aber sei es, dass er fürchtete, die Dummheit des Prinzen könnte seine Verwandten und seine Untergebenen in unnötige Schwierigkeiten bringen, sei es aus dem Ehrgeiz heraus, sich in den Vordergrund zu rücken, vertraute er diesmal keinem anderen die Führung seiner Leute an. Er stellte sich selbst an die Spitze und, statt zum kaiserlichen Heer zu stoßen, machte er sich geradewegs auf, in einem kühnen Streich die Bábí in ihrer Zuflucht anzugreifen. Dann gab er dem Prinzen Nachricht, dass er vor der Festung von Shaykh Tabarsi stehe und sie belagere. Im übrigen meldete er, er brauche weder Unterstützung noch Hilfe, seine Leute genügten vollauf, und wenn seine königliche Hoheit sähe, wie er, 'Abbás-Qulí Khán-i-Láríjání. die Rebellen behandele, dies ihm eine Ehre und ein Vergnügen wäre.'4 (Comte de Gobineau, Les Religions et les Pbilosophies dans ¡'Aste Centrale, S. 170f.)
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schlugen ihr Lager in der Nähe der Festung2' auf und errichteten sieben Schanzen um sie herum. Überheblich führten sie zunächst den Umfang der ihnen zur Verfügung stehenden Streitmacht vor und übten mit wachsendem Eifer Tag für Tag ihre Waffen.
Inzwischen hatte der Wassermangel die Belagerten gezwungen, innerhalb der Festung einen Brunnen zu graben. Als Mtillá Husayn am achten Tag des Monats RabiVl-Awal3) die Arbeit seiner Gefährten beobachtete, die noch an diesem Tage fertig werden sollte, sprach er: „Heute werden wir so viel Wasser haben, wie wir für unser Bad benötigen. Von allem irdischen Schmutz gereinigt, werden wir den Hof des Allmächtigen aufsuchen und unserer ewigen Wohnstatt zueilen. Wer willens ist, am Kelch des Märtyrertums teilzuhaben, der mache sich bereit und harre der Stunde, da er mit seinem Herzblut seinen Glauben an die Sache Gottes besiegeln kann. Wer sich mir anschließen möchte, der halte sich heute Nacht vor Tagesanbruch bereit, aus dem Schutz dieser Mauern hervorzubrechen, noch einmal die dunklen Mächte, die uns den Weg verlegt haben, auseinanderzutreiben und aller Fesseln ledig zu den Höhen der Herrlichkeit aufzusteigen."
An diesem Nachmittag vollzog Mulla Husayn seine Waschungen, zog neue Gewänder an, schmückte sein Haupt mit dem Turban des Báb und bereitete sich auf den kommenden Kampf vor. Eine unbeschreibliche Freude leuchtete aus seinem Antlitz. Ruhig sprach er von der Stunde seines Scheidens und feuerte bis zum letzten Augenblick die Begeisterung der Gefährten an. Die letzten freien Augenblicke seines irdischen Daseins verbrachte er einsam zu Füßen von Quddus, der ihn so machtvoll an seinen Geliebten erinnerte. Dabei strömte aus ihm hervor, was seine verzückte Seele nicht länger halten konnte. Kaum war kurz nach Mitternacht der Morgenstern aufgegangen, das Gestirn, das ihm den Morgen ewiger Vereinigung mit seinem Geliebten verhieß, da erhob er sich, bestieg sein Pferd und gab das Zeichen, das Tor der Festung zu öffnen. Während er an der Spitze von dreihundertunddreizehn seiner Gefährten zu dem Treffen mit dem Feind hinausritt, erhob sich wieder der Ruf
2) „Mihdí-Qulí Mírzá hätte sich, wie man sieht, nicht gerade als kühnen Krieger ausgeben
können, ersetzte jedoch maßlose Kühnheit durch eine andere, für einen General ebenso nützliche
Eigenschaft: er nahm die Prahlerei seiner Offiziere nicht für bare Münze. Da er jedoch fürchtete,
dass dem unklugen Nomaden ein Unheil zustoßen könnte, sandte er ihm sogleich Verstärkung.
Und so machten sich Muhsin Khán-i-Súrití mit seinen Reitern, einer Truppe Afghanen,
Muhammad-Karim Khán-i-Ashrafi mit den Tufang-Chis der Stadt und Khalfl Khan von Savád-
Kuh mit den Männern von Qádí-Kalá in größter Eile auf den Weg." (Gobineau, a.a.O., S. 171.)
3) 1. Februar 1849 n. Chr.
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„Yá Sáhibu'z-Zamán!"4), ein Ruf, so gewaltig und machtvoll, dass Wald, Festung und Lager von seinem Widerhall erzitterten.
Der Baum, von dem aus Mulla Husayn erschossen wurde
Mulla Husayn griff zuerst die Schanze an, die Zakaríyyáy-i-Qádí-Kalá'í, einer der tapfersten feindlichen Offiziere, verteidigte. Innerhalb kurzer Zeit hatte er das Hindernis durchbrochen, den Kommandeur unschädlich gemacht, die Mannschaft verjagt. Mit derselben Schnelligkeit und Unerschrockenheit voranstürmend, überwand er den Widerstand der zweiten und dritten Schanze. Wohin er kam, verbreitete er Furcht und Verzweiflung unter den Feinden. Unbekümmert um den Kugelregen, der pausenlos auf ihn und seine Gefährten niederging, drängten sie voran, bis alle übrigen Schanzen gestürmt und eingenommen waren. Mitten im Getümmel war 'Abbás-Qulí Khán-i-Láríjání auf einen Baum geklettert und lauerte, in den Ästen verborgen, auf seine Gegner. Im Schutz der Dunkelheit, die ihn umgab, konnte er von seinem Versteck aus die Bewegungen Mulla Husayns und seiner Gefährten im grellen Licht eines lodernden Brandes, den sie entzündet hatten, verfolgen. Plötzlich verfing sich Mulla Husayns Pferd üi den Seilen eines Zeltes; bevor er sich freimachen konnte, traf ihn eine Kugel seines hinterlistigen Gegners üi die Brust. 'Abbás-Qulí Khan wusste nicht, wer der Reiter war, den er verwundet hatte. Mulla Husayn, stark blutend, stieg vom Pferd, taumelte einige Schritte, konnte aber nicht weitergehen und fiel erschöpft zu Boden. Zwei junge Gefährten aus Khurásán, Qulí und Hasan, eilten ihm zu Hilfe und trugen ihn in die Festung.5)
4> „O Herr des Zeitalters!"
5> „Auch mit einer solchen Verwundung gab der Führer der Bábf Befehle und leitete und feu-
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Ich habe von Mulla Sádiq und Mulla Mírzá Muhammad-i-Furúghí folgenden Bericht gehört: „Wir waren unter denen, die mit Quddús in der Festung zurückgeblieben waren. Als Mulla Husayn, anscheinend ohne Bewusstsein, hereingetragen wurde, wurden wir angewiesen, uns zurückzuziehen. ,Lasst mich mit ihm allein', waren Quddus' Worte, als er Mírzá Muhammad-Báqir bat, die Tür zu sdhließen und keinen einzulassen, der ihn zu sehen verlangte. ,Es sind gewisse vertrauliche Angelegenheiten, die ich ihn allein wissen lassen möchte.' Wir waren erstaunt, als wir einige Augenblicke später die Stimme Mulla Husayns vernahmen, der auf Fragen von Quddús Antwort gab. Zwei Stunden lang unterhielten sie sich miteinander. Wir waren überrascht, Mírzá Muhammad-Báqir so erregt zu sehen: ,Ich habe Quddús durch einen Spalt in der Türe beobachtet', erzählte er uns später. ,Als er Mulla Husayn beim Namen rief, sah ich, wie dieser sich aufrichtete und sich in gewohnter Art mit untergeschlagenen Beinen neben ihm niederließ. Mit geneigtem Haupt und niedergeschlagenen Augen lauschte er auf jedes Wort, das aus Quddús' Munde kam, und antwortete auf seine Fragen. „Du hast die Stunde deines Scheidens beschleunigt", konnte ich Quddús sagen hören, „und hast mich der Gewalt meiner Feinde preisgegeben. Gebe Gott, dass ich dir bald nachfolge und die süßen, unaussprechlichen Wonnen des Himmels koste." Ich konnte auch die Worte von Mulla Husayn aufnehmen: „Möge mein Leben ein Opfer für dich sein. Bist du zufrieden mit mir?' "
Eine lange Zeit verstrich, bis Quddús Mírzá Muhammad-Báqir bat, die Tür zu öffnen und die Gefährten einzulassen. ,Ich habe Abschied von ihm genommen', sagte er, als wir ins Zimmer traten. ,Ich habe bisher Unaussprechliches nun mit ihm geteilt.' Bei unserem Eintritt sahen wir, dass Mulla Husayn entschlafen war. Auf seinem Angesicht lag noch ein feines Lächeln. Seine Gesichtszüge waren so friedlich, als ob er nur schliefe. Quddús kümmerte sich um sein Begräbnis; er kleidete ihn in sein eigenes Hemd und gab Weisungen, ihn nach Süden neben den Schrein von Shaykh Tabarsi zu betten.6' ,Wohl dir, dass du bis zum letzten Atemzug dem Bündnis Gottes treu
erte die Kampfbewegungen der Seinen an bis zu dem Augenblick, da er sah, dass das Erreichbare gelungen war, und das Zeichen zum Rückzug gab, wobei er selbst bei der Nachhut blieb." (Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies dans l'Asie Centrale, S. 174.)
*) „Seine (Mulla Husayns) sterblichen Überreste ruhen noch in dem kleinen Innenraum des Schreins von Shaykh Tabarsi, wo sie auf Anordnung von Mulla Muhammad-'Ali Bárfurúshí von seinen betrübten Kameraden zu Beginn des Jahres 1849 A.D. ehrerbietig beigesetzt worden sind." (A Travellers Narratiue, Anm. F, S. 245.)
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bliebst', sagte er, als er ihm zum Abschied Augen und Stirne küsste. ,Ich bete zu Gott, dass es niemals eine Trennung zwischen dir und mir gebe.' Er sprach so eindringlich, dass die sieben Gefährten an seiner Seite bitterlich weinten und wünschten, dass sie anstelle des Toten geopfert worden wären. Quddus bettete den Leib mit eigenen Händen in das Grab und schärfte den Umstehenden ein, über die Lage der Ruhestätte Stillschweigen zu bewahren und sie selbst vor ihren Gefährten geheimzuhalten. Später ordnete er an, die sechsunddreißig Märtyrer, die im Verlauf dieses Kampfes gefallen waren, auf der Nordseite des Schreins von Shaykh Tabarsi in einem Sammelgrab zu beerdigen. ,Mögen die Geliebten Gottes', hörte man ihn sprechen, als er sie ihrem Grab übergab, ,sich ein Beispiel nehmen an diesen Märtyrern unseres Glaubens. Mögen sie im Leben so vereint sein und bleiben, wie es diese nun im Tode sind.' "
Nicht weniger als neunzig Gefährten wurden in jener Nacht verwundet, die meisten von ihnen erlagen ihren Verletzungen. Vom Tag ihrer Ankunft in Bárfurúsh am zwölften Dhi'l-Qa'dih des Jahres 1264 n.d.H.7), dem Tag, da sie erstmals angegriffen wurden, bis zum Todestag Mulla Husayns in der Morgenfrühe des neunten Rabi'ul-Awal 1265 n.d.H.8) hatte nach der Rechnung von Mírzá Muhammad-Báqir die Gesamtzahl der Märtyrer zweiundsiebzig erreicht.
Von dem Zeitpunkt, da Mulla Husayn von seinen Feinden angegriffen wurde, bis zur Stunde seines Märtyrertums waren es hundertsechzehn Tage, ein Zeitraum, den derart heroische Taten denkwürdig gemacht haben, dass selbst die erbittertsten Feinde nicht umhin konnten, ihre Verwunderung zu bekennen. Bei vier verschiedenen Gelegenheiten hatte er sich zu solchen Höhen des Mutes und der Kraft aufgeschwungen, wie es wirklich wenigen gelang. Das erste Treffen fand am zwölften Dhi'l-Qa'dih7* außerhalb von Bárfurúsh statt, das zweite gegen die Streitkräfte von 'Abdullah Khan-i-Turkamán am fünften Muharram9) in unmittelbarer Nähe der Festung von Shaykh Tabarsi, das dritte gegen das Heer des Prinzen Mihdí-Qulí Mírzá am fünfundzwanzigsten Muharram10' in Vás-Kas. Der letzte und denkwürdigste aller Kämpfe wurde gegen die vereinigten Streitkräfte von 'Abbás-Qulí Khan, dem Prinzen Mihdí-Qulí Mírzá und Sulaymán Khán-i-Afshár geführt, denen eis Stab von fünfundvierzig erprobten, fähigen und erfahrenen Offizieren beistand. Aus all diesen heißen, heftigen Gefechten ging Mulla Husayn trotz
aO. Oktober 1848 n. Chr. «
2. Februar 1849 n. Chr.
9) 1. Dezember 1848 n. Chr.
!0) 21. Dezember 1848 o. Chr.
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der überwältigenden gegnerischen Übermacht unversehrt und siegreich hervor. Bei jedem dieser Treffen zeichnete er sich durch Taten von solcher Tapferkeit, Ritterlichkeit, Gewandtheit und Kraft aus, dass jede einzelne allein genügt hätte, den außerordentlichen Rang des Glaubens, für dessen Schutz er so tapfer gekämpft hat und auf dessen Pfad er so edel gestorben ist, für alle Zeiten zu beweisen. Seine Gesinnung find die Persönlichkeit, deren Wesenszüge er schon von Jugend an zeigte, sein tiefschürfendes Wissen, seine Glaubensstärke, sein furchtloser Mut, seine Zielstrebigkeit, sein ausgesprochener Sinn für Gerechtigkeit und unwandelbare Treue prägten ihn zu einer Gestalt, die unter den Blutzeugen für die Herrlichkeit und Macht der neuen Offenbarung herausragt. Er war sechsunddreißig Jahre alt, als er den Kelch des Märtyrertums leerte. Mit achtzehn Jahren hatte er in Karbilá die Bekanntschaft von Siyyid Kázim-i-Rashtí gemacht. Neun Jahre saß er ihm zu Füßen und nahm die Lehren in sich auf, die ihn für die Annahme der Botschaft des Báb vorbereiten sollten. Die restlichen neun Jahre seines Lebens verbrachte er in rastloser, fieberhafter Tätigkeit, die ihn schließlich unter Umständen, die einen unvergänglichen Glanz auf die Geschichte seines Landes werfen, auf das Feld des Martyriums führte.11'
n> „Unter ihnen war Mulla Husayn, welcher zum Empfänger der Strahlenglorie der Sonne göttlicher Offenbarung werden durfte. Nur für ihn hat Gott den Sitz Seiner Barmherzigkeit errichtet und sich auf den Thron ewiger Herrlichkeit gesetzt." (BaháVlláh, Das Buch der Gewissheit - Kitäb-i-tqän, Seite 148; vgl. S. 57, Fußnote 26.) „Zart von Gestalt, doch ein tapferer Soldat und Gott in leidenschaftlicher Liebe ergeben, verband er in sich Tugenden und Charaktereigenschaften, wie man sie selbst bei der geistigen Aristokratie Persiens selten in einer Person vereinigt findet." T. K. Cheyne, The Reconciliation of Races and Religions, S. 83.) „Schließlich," schreibt Gobineau, „starb er, und die neue Religion, die in ihm ihren wichtigsten Märtyrer gewann, verlor mit einem Schlag einen Mann, der ihr durch seine Charakterstärke und Gewandtheit noch wertvolle Dienste hätte leisten können, hätte er langer gelebt. Die Muslime erinnern sich mit Schrecken an diesen Führer; die Bábí hegen für ihn eine entsprechende Verehrung. Beide haben von sich aus recht. Eines ist sicher, Mulla Husayn-i-Bushrú'í hat als erster dem Bábismus im persischen Reich zu der Stellung verholfen, wie sie eine religiöse oder politische Richtung im Empfinden des Volks erst dann erringt, wenn sie eine Leistung kriegerischer Mannhaftigkeit vollbracht hat." (Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies dans l'Asie Centrale, S. 176.) „Der verstorbene Hájí Mírzá Jání schreibt: ,Ich bin ihm (Mírzá Muhammad-Hasan, dem jüngeren Bruder von Mulla Husayn) begegnet, als er seine Mutter und seine Schwester von Karbilá nach Qazvin und von dort nach Tihrán brachte. Seine Schwester war die Frau von Shaykh Abú-Turáb aus Qazvin, eines Gelehrten und Philosophen, wie man ihn selten trifft. Sein Glaube war von tiefster Aufrichtigkeit und Lauterkeit, seine Liebe und Ergebenheit gegenüber dem Báb so groß, dass er die Tränen nicht zurückhalten konnte, wenn nur jemand den Namen Seiner Erhabenen Heiligkeit - mögen außer ihm alle Seelen ein Opfer für Ihn sein - erwähnte. Oft habe ich gesehen, wie er die Schriften Seiner Erhabenen Heiligkeit studierte, vor Begeisterung fast außer sich geriet und
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Die vollständige, demütigende Niederlage lähmte für einige Zeit die Anstrengungen der Feinde. Fünfundvierzig Tage vergingen, ehe sie ihre Kräfte wieder sammeln und erneut angreifen konnten. In der Zwischenzeit, die mit dem Naw-Rúz-Tag endete, zwang sie die strenge Kälte, ihre Rache an einem Gegner, der so viel Schmach und Schande auf sie gehäuft hatte, zu verschieben. Die Angriffe wurden zwar aufgeschoben, die Offiziere, denen die Reste des kaiserlichen Heeres unterstellt waren, hatten jedoch strengen Befehl gegeben, jeglichen Nachschub in die Festung zu unterbinden. Als deren Vorrat an Verpflegung nahezu erschöpft war, wies Quddús Mírzá Muhammad-Báqir
vor Freude fast ohnmächtig wurde. Von seiner Frau pflegte er zu sagen: „Ich habe sie vor drei Jahren in Karbilá geheiratet. Sie war damals noch selbst im Persischen eine unbedeutende Schülerin; nun aber kann sie Textstellen aus dem Qur'án erklären und die schwierigsten Fragen und feinsten Aspekte über die Lehre von der göttlichen Einheit in einer Weise auslegen, dass ich keinen Mann kenne, der ihr hierin ebenbürtig wäre oder dieselbe Auffassungsgabe besäße. Diese Gaben sind ihr durch den Segen Seiner Heiligkeit, des Erhabenen, verliehen worden und durch den Umgang mit Ihrer Heiligkeit, der Reinen (Qurratu'l-'Ayn). Ich habe an ihr eine Geduld und Ergebenheit erlebt, wie sie auch bei den selbstlosesten Menschen selten sind, denn während dieser ganzen drei Jahre hat sie, obgleich ich ihr nicht einen Dinar für ihren Lebensunterhalt geschickt habe und sie nur mit größter Mühe für ihren Unterhalt gesorgt hat, nie ein Wort darüber verloren; und nun, da sie nach Tihrán gekommen ist, vermeidet sie es ganz und gar, von der Vergangenheit zu reden; und obgleich sie nun auf Wunsch von Jináb-i-Bábu'1-Báb nach Khurásán gehen möchte und buchstäblich nichts anzuziehen hat als das einzige abgetragene Kleid, das sie trägt, bittet sie doch niemals um Kleider oder Reisegeld, sondern sucht stets nach plausiblen Ausflüchten, damit ich mich wohlfühlen und mich nicht vor ihr schämen soll. Ihre Reinheit, ihre Keuschheit und Tugendhaftigkeit sind grenzenlos, und während dieser ganzen Zeit hat kein Unberufener ihre Stimme gehört." Die Tugenden der Tochter wurden jedoch noch durch die der Mutter übertroffen, die seltene Fähigkeiten und Talente besaß und viele Gedichte und beredte Elegien über die Leiden ihrer Söhne schrieb. Obgleich Jináb-i-Bábu'1-Báb ihr seinen bevorstehenden Märtyrertod angekündigt und ihr all die drohenden Leiden vorhergesagt hatte, bewies sie auch weiterhin dieselbe tiefe Ergebenheit und freudige Hingabe, froh darüber, dass Gott das Opfer ihrer Söhne angenommen hatte, und sie betete noch darum, dass sie dieser hohen Ehre teilhaftig würden und nicht einer so großen Segnung beraubt würden. Es ist wirklich wundervoll, über diese edle und fromme Familie nachzudenken, über die Söhne, die so hervorragend waren durch ihre einzigartige Hingabe und Selbstaufopferung, über die Mutter und die Tochter, die so geduldig und ergeben waren. Als ich, Mírzá Jání, mit Mírzá Muhammad-Hasan zusammenkam, war er erst siebzehn Jahre alt; ich beobachtete jedoch an ihm so viel Würde, Ernst, Gelassenheit und Tugend, die mich in Erstaunen setzten. Nach dem Tode von Jináb-i-Bábu'1-Báb schenkte Hadrat-i-Quddus ihm das Schwert und den Turban jenes wunderbaren Märtyrers und ernannte ihn zum Führer der Truppen des Wahren Königs. Bezüglich seines Märtyrertodes bestehen verschiedene Ansichten darüber, ob er im Lager am Frühstückstisch erschlagen worden ist oder ob er mit Jináb-i-Quddús auf dem Feld von Bárfurúsh den Märtyrertod erlitten hat.' " {Táríkh-i-Jadíd, S. 93f.) Die Schwester von Mulla Husayn führte den Beinamen ,Varaqatu'l-Firdaws' und war, während sie in Karbilá weilte, eng mit Táhirih befreundet. (Memorials of the Faithful, S. 178.)
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an, den Reis, den Mulla Husayn für Notzeiten zurückgelegt hatte, an die Gefährten zu verteilen. Als jeder seinen Anteil erhalten hatte, rief Quddús sie zusammen und sprach: „Wer sich stark genug fühlt, den Leiden, die bald über uns kommen werden, standzuhalten, der möge mit uns in der Festung bleiben. Wer aber in sich das geringste Zögern spürt und sich-fürchtet, der begebe sich fort. Er gehe gleich, ehe der Feind seine Streitkräfte wieder sammelt und uns angreift. Bald wird der Weg vor unseren Augen versperrt sein; wir werden sehr bald härtester Not ausgesetzt sein und verheerenden Leiden zum Opfer fallen."
In derselben Nacht, da Quddús diese Warnung aussprach, fühlte sich ein Siyyid aus Qum, Mírzá Husayn-i-Mutavalli, getrieben, seine Gefährten zu verraten. Er schrieb an 'Abbás-Qulí Khán-i-Láríjání: „Wie kommt es, dass ihr euer begonnenes Werk unbeendet liegen lasst? Einen furchtbaren Gegner habt ihr schon vernichtet. Durch die Beseitigung von Mulla Husayn, der treibenden Kraft hinter diesen Mauern, habt ihr den Pfeiler zerstört, von dem die Stärke und Sicherheit dieser Festung abhängen. Hättet ihr nur einen Tag länger Ausdauer gehabt, dann hättet ihr gewiss den Siegeslorbeer gewonnen. Ich gebe euch mein Wort, dass ihr mit nur hundert Mann in zwei Tagen die Festung einnehmen und ihre Besatzung zur bedingungslosen Übergabe zwingen könnt. Sie sind erschöpft vor Hunger und harter Belastung." Den versiegelten Brief gab er einem gewissen Siyyid 'Aliy-i-Zargar, der steh mit seinem von Quddús empfangenen Anteil Reis um Mitternacht aus der Festung wegstahl und den Brief 'Abbás-Qulí Khan überbrachte, den er schon kannte. Diesen erreichte die Botschaft, als er gerade in einem vier Farsang12* von der Festung entfernten Dorf Zuflucht gesucht hatte und nun nicht wusste, ob er nach der Hauptstadt zurückkehren und sich nach einer so demütigenden Niederlage vor seinem Herrscher sehen lassen sollte, oder ob er sich in sein Heim in Láríján zurückziehen sollte, wo er der Vorwürfe seiner Verwandten und Freunde sicher sein konnte.
Er war gerade aus dem Bett aufgestanden, als ihm zur Stunde des Sonnenaufgangs der Siyyid den Brief überbrachte. Die Kunde von Mulla Husayns Tod spornte ihn zu einem neuen Entschluss an. Aus Sorge, der Bote könnte die Nachricht vom Tod eines so gefürchteten Gegners weiter verbreiten, tötete er ihn sogleich und brachte es dann auf seltsame Weise fertig, den Mordverdacht von sich abzulenken. Fest entschlossen, die Nodage der Eingeschlossenen und die Erschöpfung ihrer Kräfte auszunutzen, traf er sofort die erforderlichen Maßnahmen für die Wiederaufnahme der Angriffe. Zehn Tage vor Naw-Rúz
12) ein Farsang entspricht etwa 4,5 - 6 km, siehe Worterklärung im Anhang. 412

bezog er einen halben Farsang von der Festung entfernt ein Lager und überzeugte sich von der Richtigkeit der Botschaft, die ihm der verräterische Siyyid überbracht hatte. In der Hoffnung, alle Ehren für die schließliche Übergabe seiner Gegner auf sich häufen zu können, teilte er selbst den ihm am nächsten stehenden Offizieren die erhaltene Nachricht nicht mit.
Der Tag war eben angebrochen, als er seine Fahne13) hissen ließ, mit zwei Regimentern Infanterie und Kavallerie die Festung umzingelte und seinen Leuten Befehl gab, das Feuer auf die Posten zu eröffnen, die die Türme
13' „Diesmal erreichte der Schrecken seinen Höhepunkt in der Provinz. Die Bevölkerung war durch die Niederlagen, die der Islam ständig erlitt, übermäßig erregt und begann allmählich, sich der neuen Religion zuzuneigen: die Militärchefs fühlten ihre Autorität wanken; die religiösen Führer verloren ihr Selbstbewusstsein; die Situation hatte sich gefährlich zugespitzt, und der geringste Zwischenfall konnte bewirken, dass Mázindarán dem Reformator zu Fußen fiel." (A.L.M. Nicolas, Siyyid 'Ali-Muhammad dit le Bäb, S. 315.) „Als jedoch der Sa'ídu'l-'Ulamá' davon erfuhr, verfiel er in Aufregung und Bestürzung (aus Furcht, die Bábí könnten nach Bárfurúsh kommen und ihm die verdiente Strafe zumessen), und schrieb hintereinander mehrere Briefe an 'Abbás-Qulí Khan, in denen es hieß: ,Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Mut und zu Ihrer Verschwiegenheit, aber bedauerlich ist es doch, dass Sie, nachdem Sie soviel ausgestanden, so viele Ihrer Landsleute verloren und schließlich dann doch einen so bedeutenden Sieg errungen hatten, diesen nicht weiter genutzt haben. Sie haben dem Schwert viel zu tun gegeben, sind zurückgekehrt und haben nur wenige schwächliche, alte Männer als Überlebende zurückgelassen. Ach, dass nun, nach all Ihren Anstrengungen und Ihrer Ausdauer der Prinz sich anschickt, auf die Festung vorzurücken und diese wenigen armen Teufel gefangennehmen wird, so dass nun er nach alledem diesen hervorragenden Sieg als sein Verdienst buchen und das ganze Geld und den Besitz der Besiegten an sich bringen wird. Es muss Ihr erstes und wichtigstes Anliegen sein, zu der Festung zurückzukehren, bevor er hinauszieht; denn die Regierung einer Provinz wie Mázindarán ist etwas, mit dem man nicht spaßen kann. Bemühen Sie sich also, das gesamte Verdienst an diesem Sieg für sich selbst zu gewinnen, und vollenden Sie durch Ihre Bemühungen, was Sie mit so viel Eifer begonnen haben.' Desgleichen schrieb er ausführlich an die Geistlichkeit von Amul und beschwor sie, ihr Bestes zu tun, dass der Sartip 'Abbás-Qulí Khan sich unverzüglich auf den Weg mache. Sie stellten ihm dann unaufhörlich vor Augen, dass es seine Pflicht sei, in aller Eile nach der Festung zu marschieren. Obgleich der Sartip genau wusste, dass das, was der Sa'ídu'l-'Ulamá' ihm geschrieben hatte, völlig falsch und unbegründet war, war er dennoch darauf aus, wenn irgend möglich, das Geschehene wiedergutzumachen und sich so gewissermaßen von der Schande reinzuwaschen, die er in den Augen der Regierung und der Frauen von Láríjání, deren Männer er geopfert, auf sich geladen hatte. Innertich aber war er voller Angst und fürchtete, dass er wie bei dem letzten Kampf versagen könnte. Auch waren die meisten seiner Leute verwundet; viele waren in die umliegenden Dörfer, vier oder fünf Farsang von der Stadt entfernt, geflohen und hielten sich dort verborgen. So schrieb er als Ausweg an den Klerus von Amul: , Wenn dies tatsächlich ein Religionskrieg ist, dann sollten Sie, die Sie so eifrige Verteidiger des Glaubens sind und zu denen die Menschen als zu ihrem Vorbild aufsehen, auch die Führung übernehmen und den ersten Schritt tun, damit die anderen Ihnen folgen.' Die Geistlichen, um eine passende Antwort verlegen, wussten nicht, wie sie sich herauswinden sollten, und sahen sich schließlich genötigt, eine Botschaft zu senden des
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bewachten. „Der Verräter", sprach Quddus zu Mírzá Muhammad-Báqir, der herbeigeeilt war, um ihn über die schwierige Lage zu informieren, „hat 'Abbás-Qulí Khan den Tod von Mulla Husayn mitgeteilt. Dadurch ermutigt, ist er nun entschlossen, unsere Festung zu stürmen und sich den Ruhm zu sichern, ihr einziger Eroberer zu sein. Mache du mit achtzehn Mann dir zur Seite einen Ausfall und erteile dem Angreifer und seinem Heer die gebührende Strafe. Lass ihn erkennen, dass die unüberwindliche Macht Gottes, wenn auch Mulla Husayn nicht mehr ist, weiterhin seinen Gefährten beisteht und ihnen hilft, über die Streitkräfte ihrer Feinde zu triumphieren."
Sofort wählte Mírzá Muhammad-Báqir seine Gefährten aus und gab Befehl, das Tor der Festung zu öffnen. Sie sprangen auf die Pferde, und mit dem Ruf „Yá Sáhibu'z-Zamán!" stürzten sie sich auf das feindliche Lager. Die ganze Streitmacht floh verwirrt über diesen furchterregenden Ansturm. Bis auf wenige konnten alle entkommen. Zermürbt und schmachbeladen kamen sie nach Bárfurúsh. 'Abbás-Qulí Khan erschrak so fürchterlich, dass er vom Pferd fiel. In seiner Not ließ er einen seiner Stiefel im Steigbügel hängen und rannte nur mit dem anderen völlig verstört in dieselbe Richtung davon, die seine Truppe eingeschlagen hatte. Verzweifelt eilte er zu dem Prinzen und gestand ihm seinen unrühmlichen Rückzug.14' Mírzá Muhammad-Báqir ging dagegen
Inhalts, dass dieser Krieg tatsächlich ein Religionskrieg sei. Eine große Schar von Handelsleuten, gemeinem Volk und Tagedieben hatte sich zusammengefunden, und diese machten sich zusammen mit der Geistlichkeit und mit Studenten auf, angeblich, um einer religiösen Pflicht nachzukommen; in Wirklichkeit waren sie aber auf Raub und Plünderung aus. Die meisten wandten sich nach Bárfurúsh und schlössen sich dort dem Vormarsch des Prinzen Mihdí-Qulf Mírzá an, der, nachdem er ein schon einen Farsang yon der Festung entferntes Dorf erreicht hatte, einen Trupp seiner Leute aussandte, um die Bewegungen der Bábí-Besatzung zu erkunden." (Tárikh-i-Jadtd, S. 72f.)
14) „Die ehrwürdigen geistlichen Herrn, die gekommen waren, um mit ihren Schülern an dem heiligen Krieg teilzunehmen, taten in dieser Nacht vor Angst fast kein Auge zu (obgleich ihre Unterkünfte zwei Farsang von der Festung entfernt lagen). In ihren Gesprächen schimpften sie ununterbrochen auf den Prinzen und 'Abbás-Qulí Khan und verfluchten den Sa'ídul-'Ulamá', ,denn diese', sagten sie, ,haben uns ohne triftigen Grund von unseren Studien, unseren Diskussionen und vom Verdienen unseres Lebensunterhalts abgezogen und haben uns außerdem in höchste Gefahr gebracht, denn mit Männern wie diesen zu kämpfen, die der Welt entsagt haben und ihr Leben in ihren Händen tragen, heißt ein großes Risiko eingehen.' So wurde der heilige Vers: ,Begib dich nicht selbst in Gefahr', zu ihrem täglichen Ausspruch. Einer sagte: ,Gewisse Umstände entbinden mich von der Pflicht, gegenwärtig an diesem Krieg teilzunehmen.' Ein anderer führte gleich dreißig verschiedene Vorwände an und sprach: ,Ich bin rechtmäßig entschuldigt und sehe mich veranlasst, zurückzukehren.' Ein dritter sagte: ,Ich habe kleine Kinder, die auf mich angewiesen sind; was will ich machen?' Ein vierter sagte: ,Ich habe keinerlei Vorkehrungen für meine Frau getroffen, darum muss ich weg. Wenn es aber notwendig werden sollte, werde ich zurück-
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mit seinen achtzehn Gefährten unversehrt aus dem Treffen hervor, kehrte frohlockend in die Festung zurück und übergab seinem Herrn, der ihn mit solchem Mut erfüllt hatte, die Fahne, die der erschreckte Feind zurückgelassen hatte, zum Zeichen seines Sieges.
Die wilde Flucht der Feinde brachte den schwer bedrängten Gefährten sogleich Erleichterung. Sie festigte ihren Zusammenhalt und rief ihnen aufs neue die Kraft ihres Glaubens ins Gedächtnis. Als Nahrung hatten sie indessen nur noch das Fleisch der Pferde, die sie aus dem verlassenen feindlichen Lager mitgebracht hatten. Standhaft und tapfer ertrugen sie die Leiden, die sie von allen Seiten umgaben. Ihre Herzen waren auf die Wünsche von Quddús ausgerichtet; alles andere hatte nur geringe Bedeutung. Weder ihre schweren Nöte noch die ständigen Drohungen des Feindes vermochten sie auch nur um Haaresbreite von dem Pfad abzubringen, den ihre dahingegangenen Gefährten so heldenmütig beschritten hatten. Einige versagten später in der schwärzesten
kommen/ Ein fünfter sagte: .Meine Guthaben bei verschiedenen Personen sind noch nicht beglichen. Sollte ich als Märtyrer fallen, so wäre mein Reichtum dahin und meiner Frau und meinen Kindern geschähe Unrecht, und sowohl Vergeudung wie Unrecht sind verboten als unvereinbar mit unserer heiligen Religion und als Gott nicht wohlgefällig.' Ein sechster sprach: ,Ich bin einigen Leuten Geld schuldig und habe niemanden, der für meine Schulden einsteht. Wenn ich fallen sollte, dann werden meine Schulden mich daran hindern, über die Brücke des Sirát zu gehen.' Ein siebenter sagte: ,Ich bin ohne Wissen meiner Mutter mitgegangen und sie hat zu mir gesagt: „Wenn du gehst, dann werde ich die Milch, mit der ich dich genährt habe, als dir zu Unrecht gereicht erklären." Ich furchte daher, dass meine Mutter mich als ungehorsam verstoßen wird.' Ein achter weinte und sagte: ,Ich habe ein Gelübde getan, dieses Jahr nach Karbilá zu pilgern. Ein einziges Mal das Grab des heiligsten Märtyrers zu umschreiten, entspricht dem Verdienst von hunderttausend Martyrien oder tausend Pilgerfahrten nach Mekka. Ich fürchte, nun mein Gelübde nicht halten zu können und somit dieser großen Segnung verlustig zu gehen.' Andere wiederum sprachen: ,Was uns betrifft, so haben wir bei diesen Menschen weder etwas gesehen noch gehört, was sie als Ungläubige erwiese, denn auch sie sagen: „Es gibt keinen Gott außer Gott, Muhammad ist der Gesandte Gottes und 'Ali ist der Freund Gottes." Höchstens, dass sie behaupten, die Wiederkunft des Imam Mihdí hätte stattgefunden. Lasst sie doch in Ruh; sie sind auf jeden Fall nicht schlimmer als die Sunnis, welche die zwölf Imáme ablehnen und die vierzehn unbefleckten Heiligen; sie anerkennen 'Umar als Kalifen, ziehen 'Uthmán dem 'Alí-ibn-i-Abí-Tálib vor und anerkennen Abu-Bakr als den Nachfolger unseres heiligen Propheten. Warum sollten unsere Geistlichen jene in Frieden lassen und mit diesen über Dinge streiten, bei denen Recht oder Unrecht noch absolut nicht erwiesen ist?' Kurz, im ganzen Lager entstand ein allgemeines Geraune und aus aller Munde waren Klagen zu hören; jeder sang nach einer anderen Melodie und berief sich auf einen anderen Vorwand. Und jeder wartete auf einen plausiblen Grund, sich auf die Flucht zu begeben. Als 'Abbás-Qulí Khan von dieser Situation erfuhr, befürchtete er, das Gift ihrer Angst könnte auf seine Soldaten übergreifen, und so sah er sich gezwungen, die Entschuldigungen dieser ehrenwerten Geistlichen, ihrer Schüler und Gefolgschaft anzunehmen, die sich sogleich mit großem Vergnügen und unter Gebeten für den Erfolg des Sartip verabschiedeten." {Táríkh-i-Jadld, S. 74f.)
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Stunde der Not. Die Feigheit, die ein unbedeutender Teil sich zuschulden kommen ließ, schwand und verblasste jedoch in dem glänzenden Licht, das der Großteil ihrer beherzten Gefährten in ihrer Schicksalsstunde ausstrahlte.
Prinz Mihdí-Qulí Mírzá, der in Sari stand, nahm mit lebhafter Freude die Kunde von der Niederlage auf, die die Streitkräfte unter dem unmittelbaren Kommando seines Kollegen 'Abbás-Qulí Kháh erlitten hatten. Obgleich er selbst sehr an der Ausrottung der Schar interessiert war, die hinter den Mauern der Festung Zuflucht gesucht hatte, freute es ihn, dass es seinem Rivalen nicht gelungen war, den erhofften Sieg zu erringen, den er sich so sehr wünschte.15) Er schrieb sofort nach Tihrán und forderte, dass unverzüglich Nachschub an Munition und Kamelreiter-Artillerie mit aller erforderlichen Ausrüstung in das Gebiet der Festung geschickt werde, da er entschlossen sei, diesmal die völlige Unterwerfung der hartnäckigen Verteidiger herbeizuführen.
Während die Feinde einen weiteren, noch heftigeren Angriff auf ihre Festung vorbereiteten, sahen die Gefährten von Quddús mit Freude und Dankbarkeit dem nahenden Naw-Ruz-Fest entgegen, völlig ungeachtet aller Not, die sie bedrängte. Während dieses Festes ließen sie ihren Gefühlen des Dankes und des Lobpreises für die mannigfachen Segnungen, mit denen der Allmächtige sie bedacht hatte, freien Lauf. Von Hunger gequält, schwelgten sie in Liedern und Fröhlichkeit, aller drohenden Gefahr spottend. Die Festung hallte wider von Gottes Verherrlichung und Lobpreis, welcher Tag und Nacht aus den Herzen dieser seligen Schar zum Himmel stieg. Der Vers „Heilig, heilig ist der Herr unser Gott, der Herr der Engel und des Geistes", strömte ununterbrochen von ihren Lippen, steigerte ihre Begeisterung und belebte ihren Mut aufs neue.
Eine Kuh, die Hájí Na§íru'd-Dín-i-Qazvíní zurückbehalten hatte, war alles, was von dem in die Festung mitgebrachten Vieh noch übrig war. Aus ihrer
1S) „Mihdí-Qulí Mírzá war etwas überrascht. Darauf war er nicht gefasst. Was ihn aber noch mehr beeindruckte, war, dass der Sardár nun ebenso als geschlagen angesehen werden konnte wie er selbst; und diese Betrachtung mit all ihren für seine Eigenliebe tröstlichen Folgerungen machte ihm die Angelegenheit höchst angenehm. Er war nun nicht nur die Angst los, dass einer seiner Offiziere sich mit dem beneidenswerten Ruhm schmücken könnte, die Festung der Bábí eingenommen zu haben, er war darüber hinaus jetzt nicht mehr der einzige, der gescheitert war: er hatte nun einen Leidensgenossen, und zwar einen, von dem er sich sehr erhoffte, dass man ihm die Schuld an beiden Niederlagen in die Schuhe schieben könne. Voll Begeisterung rief er seine Führer, groß und klein, zusammen und teilte ihnen die Neuigkeit mit; dabei beklagte er wohlweislich das traurige Geschick des Sardár und äußerte den brennenden Wunsch, dass dieser tüchtige Soldat ein andermal mehr Glück haben möchte." (Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies darts l'Asie Centrale, S. 179.)
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Milch bereitete er jeden Tag eine Speise für Quddús' Tisch. Quddús wollte jedoch seinen von Hunger geplagten Freunden ihren Anteil an dieser Köstlichkeit, die sein treuer Gefährte für ihn bereitete, nicht vorenthalten und verteilte darum stets,, nachdem er einige Teelöffel voll von der Speise genossen hatte, den Rest unter sie. „Seit dem Hinscheiden von Mulla Husayn", hörte man ihn oft sagen, „kann mich Speise und Trank, für mich bereitet, nicht mehr .erfreuen. Mir blutet das Herz beim Anblick der ausgehungerten, abgezehrten Gefährten um mich her." Trotz dieser widrigen Umstände fuhr er unentwegt fort, in seinem Kommentar die Bedeutung des Sád von Samad hervorzuheben und seine Freunde zu ermahnen, in ihren heldenhaften Mühen bis zum Ende auszuharren. Am Morgen und am Abend sang Mírzá Muhammad-Báqir vor den versammelten Gläubigen Verse aus diesem Kommentar, belebte damit ihre Begeisterung und gab ihnen frische Hoffnung.
Mulla Mírzá Muhammad-i-Furúghí hat als Augenzeuge folgendes berichtet: „Gott weiß, dass wir aufgehört hatten, nach Nahrung zu hungern. Unser Denken kreiste nicht mehr um unser täglich Brot. Wir waren so überwältigt von der hinreißenden Melodie jener Verse, dass nicht die geringste Spur von Überdruss oder Ermüdung unsere Begeisterung hätte mindern und unsere Freude hätte stören können, auch wenn wir jahrelang in diesem Zustand verharrt hätten. Wann immer der Mangel an Nahrung unsere Lebenskraft unterhöhlen und unsere Kraft schwächen wollte, eilte Mírzá Muhammad-Báqir zu Quddús und berichtete ihm von unserer Not. Ein kurzer Blick in sein Antlitz, der Zauber seiner Worte, wenn er unter uns umherging, verwandelte unsere Verzagtheit in lautere Freude. Wir waren neu gestärkt und von einer solchen Kraft erfüllt, dass wir uns fähig fühlten, die ganze Streitmacht unserer Feinde zu unterwerfen, hätte sie plötzlich vor uns gestanden."
Am Naw-Ruz-Tag, dem vierundzwanzigsten Rabí'u'th-Thání des Jahres 1265 n.d.H.16' deutete Quddús in einer schriftlichen Botschaft an seine Gefährten schwere Leiden als bevorstehend an und sagte den Märtyrertod einer beträchtlichen Zahl seiner Freunde voraus. Wenige Tage später schlug ein unübersehbares Heer,17) von dem Prinzen Mihdí-Qulí Mírzá18) angeführt
16> 1849 a. Chr.
17> „Der Prinz verteilte die Posten, die jeder zur Belagerung der Festung zu beziehen hatte. Er beauftragte Hájí Khan Nuri und Mírzá 'Abdullah Navayy mit der Versorgung der Truppen. Zum Oberbefehlshaber bestimmte er den Sardár 'Abbás-Qulí Khán-i-Láríjání, dem er nach seinem geringen Erfolg mehr Interess? schenkte; sodann Nasru'lláh Khán-i-Bandibi. einen anderen Stammeshäuptling, und Mustafa Khan von Ashraf, dem er den Oberbefehl über die tapferen Tufang-Chis dieser Stadt und der Súritís übergab. Andere weniger bedeutende Herren befehligten die Leute von Dúdánkih und Bálá-Rastáq, desgleichen eine Anzahl türkischer und kurdischer
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und durch die vereinigten Streitkräfte von Sulaymán Khán-i-Afshár, 'Abbás-Qulí Khán-i-Láríjání, Ja'far-Qufí Khan und etwa vierzig anderen Offizieren unterstützt, ein Lager in der Nachbarschaft der Festung auf und machte sich daran, in unmittelbarer Nähe Schützengräben auszuheben und Schanzen zu errichten.19* Am neunten Tag des Monats Bahá20) ließ der befehlshabende Offizier seine Artillerie das Feuer auf die Belagerten eröffnen. Während der Beschießung verließ Quddús seinen Raum und begab sich in die Mitte der Festung. Auf seinem Antlitz lag ein Lächeln, vollkommene Ruhe strömte von ihm aus. Plötzlich fiel ihm eine Kanonenkugel vor die Füße. „Was wissen diese überheblichen Angreifer über die Gewalt von Gottes rächendem Zorn", sagte er ruhig, während er sie mit dem Fuß hinwegrollte. „Haben sie vergessen, dass ein so unbedeutendes Geschöpf wie eine Mücke das Leben des allmächtigen Nimrod auszulöschen vermochte? Haben sie nicht gehört, wie das Brausen des Sturms genügt hat, die Völker von 'Ad und Thamud zu zerstreuen und ihre
Nomaden, die nicht zu den Truppen der großen Häuptlinge gehörten. Diese türkischen und kurdischen Nomaden wurden vorwiegend zur Überwachung des Feindes verwendet. Nach vielen Erfahrungen nahm man sich vor, sich diesmal etwas besser vorzusehen als das letzte Mal. Man wies daher die Türken und Kurden an, bei Tag und Nacht zu beobachten, was auf der feindlichen Seite vorging, und stets auf der Lauer zu sein, so dass man vor Überraschungen sicher sein konnte." (Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies darts l'Asie Centrale, S. 180f.)
18' „Mihdí-Qulí Mírzá wollte den veralteten Kriegsmitteln etwas Modernes hinzufügen, um nichts zu versäumen, und ließ darum aus Tihrán zwei Kanonen und zwei Mörser mit der notwendigen Munition kommen. Er sicherte sich gleichzeitig die Hilfe eines Mannes aus Hirát, der das Geheimnis eines Sprengstoffes besaß, der, angezündet, siebenhundert Meter weit flog und alles in Brand setzte. Man machte einen Versuch damit, and das Resultat war befriedigend. Diese Mischung wurde in die Festung geschleudet; dort entzündete sie sich und setzte bald alle aus Holz, Schilf oder Stroh gebauten Wohnräume in Flammen, welche die Bábí sich im Innern erbaut hatten, sei es im Hof oder auf dem Bollwerk. Während dieses Zerstörungswerk um sich griff, verursachten die durch die Mörser geschleuderten Bomben und Steinkugeln beträchtlichen Schaden an dem Mauerwerk, das in großer Eile von Leuten aufgeführt worden war, die keine Architekten und noch viel weniger Ingenieure waren und die nicht damit gerechnet hatten, dass sie durch Artillerie angegriffen werden könnten. Binnen kurzem waren die Festungsmauern zerstört. Nichts war vom Feuer übriggeblieben als eingestürzte Balken, verkohlte, rauchende Holztrümmer und herumliegende Steinhaufen." (Gobineau, a.a.O., S. 181f.)
19) „Nach diesen Vorsichtsmaßnahmen hub man Löcher und Gräben aus, in denen man Tufang-Chis in Stellung gehen ließ mit dem Befehl, auf jeden Bábí zu schießen, der sich zeigte. Man baute große Türme, so hoch oder noch höher als die verschiedenen Stockwerke der Festung, und durch das ständige Feuer von oben wurde es dem Feind noch schwerer gemacht, sich auf seinen Mauern zu bewegen oder gar über den Hof zu gehen. Das war ein beträchtlicher Vorteil. Aber nach einigen Tagen erhöhten die Bábí im Schutz der langen Nächte ihre Verschanzungen so, dass diese die Türme der Angreifer wieder überragten." (Gobineau, a.a.O., S. 181.)
^ der neunte Tag nach Naw-Rúz.
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Streitmacht zu vernichten? Wollen sie die Helden Gottes, für die königlicher Prunk nur ein flüchtiger Schatten ist, mit derart verächtlichen Zeichen ihrer Grausamkeit bange machen?" An seine Freunde gewandt, fügte er hinzu: „Ihr seid die Gefährten, von denen Muhammad, der Gesandte Gottes, gesagt hat: ,0, wie sehne ich mich danach, das Angesicht meiner Brüder zu sehen, die am Ende der Welt auftreten werden! Gesegnet sind wir und gesegnet sind sie; .ihr Segen aber ist größer denn unserer/ Hütet euch zuzulassen, dass die Übergriffe eures Selbstes und eurer Begierde eine so herrliche Stufe beeinträchtigen. Fürchtet euch nicht vor den Drohungen des Bösen, erschrecket nicht vor dem Geschrei der Gottlosen. Jeder von euch hat seine bestimmte Stunde, und wenn die Zeit gekommen ist, dann werden weder die Feinde mit ihren Anschlägen noch die Freunde mit ihren Mühen diese Stunde hinauszögern oder beschleunigen können. Und wenn die Mächte dieser Welt sich gegen euch verbünden, so werden sie, ehe die Stunde schlägt, machtlos sein, die Spanne eures Lebens auch nur um ein Jota zu verkürzen. Wenn ihr aber zulasst, dass euer Herz sich auch nur für einen Augenblick über das Krachen der Gewehrsalven erregt, die mit zunehmender Heftigkeit auf diese Festung hageln, dann habt ihr euch selbst aus der Feste des göttlichen Schutzes verstoßen."
Dieser machtvolle Aufruf musste die Herzen derer, die ihn hörten, mit neuer Zuversicht erfüllen. Einige jedoch, deren Mienen Unentschlossenheit und Furcht verrieten, sah man sich in einem geschützten Winkel der Festung zusammendrängen, von wo sie neidisch den Mut bestaunten, der ihre Gefährten beseelte.21'
21> „Einmal jedoch gingen ein paar von ihnen hinaus, um zu versuchen, für Jináb-i-Quddús ein wenig Tee und Zucker zu bekommen. Der bedeutendste von diesen war Mulla Sa'id von Zar-kanád. Er war ein Mann von so vollendetem Wissen, dass einmal, als gewisse Gelehrte aus der Verwandtschaft von Mulla Muhammad-Taqi aus Nur einige schriftliche Anfragen bezüglich astrologischer Weissagungen an Jináb-i-Quddús richteten, dieser zu Mulla Sa'id sagte: .Schreibe du rasch eine kurze, zusammenfassende Antwort für sie, damit der Bote nicht zu lange warten muss; sie bekommen dann später noch eine ausführliche Antwort.' Und Mulla Sa'id schrieb dann, obgleich durch das Warten des Boten gedrängt und durch den Lärm der Belagerung gestört, rasch einen formvollendeten Brief, in dem er die gestellten Fragen beantwortete und dabei fast hundert wohl verbürgte Oberlieferungen anführte, welche die Wahrheit der neuen Manifestation des verheißenen Beweises belegten, darunter solche, in denen das Zögern derer, die bei Tabarsi an den Herrn geglaubt hatten, und ihr Märtyrertod vorhergesagt wurde. Die Gelehrten von Nur waren über alle Maßen erstaunt über síine Gelehrsamkeit und sagten: ,Redlichkeit gebietet es, zuzugeben, dass eine derartige Darstellung dieser Dinge ein großes Wunder ist und dass eine solche Gelehrsamkeit und Redegewandtheit weit über den Mulla Sa'id, den wir kannten, hinausgeht. Diese Gabe ist ihm gewiss vom Himmel verliehen worden, und er wiederum hat sie uns offenbar ge-
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Mehrere Tage lang feuerte das Heer des Prinzen Mihdí-Qulí Mírzá auf die Festung. Erstaunt nahmen seine Leute wahr, dass der Geschützdonner die Stimmen des Gebets und die Freudenrufe, mit denen die Belagerten auf die Gefahr antworteten, nicht zum Schweigen bringen konnte. Anstatt der erwarteten bedingungslosen Übergabe vernahmen sie ohne Unterlass den Ruf des Muadhdhin22), den Gesang von Versen aus dem Qur'án und den Chor freudiger Stimmen mit Lob- und Dankeshymnen.
Aufgebracht über diese Beweise unauslöschlicher Glut und getrieben von dem brennenden Verlangen, die Begeisterung zu ersticken, die seinen Gegnern die Brust schwellte, baute Ja'far-Quli Khan einen Turm, auf dem er sein Geschütz23* aufstellte, und feuerte von diesem hohen Punkt aus mitten in die Festung. Quddüs rief sofort Mírzá Muhammad Báqir und beauftragte ihn damit, einen weiteren Ausfall zu machen und dem „prahlerischen Aufsteiger" eine Niederlage zu bereiten, nicht weniger niederschmetternd als die, welche 'Abbás-Qulí Khan hatte einstecken müssen. „Zeige ihm", fügte er hinzu, „dass die löwenmutigen Streiter Gottes, bedrängt und von Hunger getrieben,
macht.' Nun Helen Mulla Sa'id und seine Gefährten, als sie außerhalb der Festung waren, in die Hände der königlichen Truppen und wurden dem Prinzen vorgeführt. Der Prinz versuchte mit allen Mitteln, aus ihnen einige Informationen über die Bábí Besatzung, ihre Zahl und die Stärke ihrer Bewaffnung herauszubringen; doch was er auch unternahm, er konnte nichts in Erfahrung bringen. Als er merkte, dass Mulla Sa'id ein begabter und kluger Mann war, sagte er zu ihm: ,Bereue, und ich will dich freigeben und nicht töten lassen.' Hierauf erwiderte Mulla Said: ,Noch nie hat jemand seinen Gehorsam gegenüber dem Gebot Gottes bereut; weshalb sollte dann ich es tun? Bereue du vielmehr, der du Seinem Wohlgefallen zuwiderhandelst, und zwar schlimmer, als das bisher irgend jemand getan hat.' Und er sagte ihm noch viel mehr dergleichen. Schließlich wurde er in Ketten und Fesseln nach Sari geschickt; dort wurde er auf die grausamste Weise mit seinen Gefährten, es werden etwa fünf gewesen sein, erschlagen." (Táríkh-i-Jadíd, S. 79f.)
22) der Rufer zum Gebet.
23) „Und so errichtete er vier Türme an den vier Seiten der Festung und machte sie so hoch,
dass er mit seinen Gewehren das Innere der Festung beherrschen und die Besatzung aufs Korn neh
men konnte. Als die Getreuen dies sahen, begannen sie unterirdische Gänge auszuheben und sich
dorthin zurückzuziehen. Der Boden von Mázindarán liegt jedoch nahe am Grundwasser und ist
vollgesogen mit Feuchtigkeit, darüber hinaus regnete es ununterbrochen, was die Unbill vergrö
ßerte, und so mussten die armen Dulder zwischen Schlamm und Wasser aushalten, bis ihre Kleider
vor Feuchtigkeit vermoderten... Und wenn einer der Gefährten vor ihren Augen den Märtyrertod
erlitt, dann waren sie froh und trauerten nicht. So fiel einmal eine Granate auf das Dach einer Ba
racke und setzte sie in Flammen. Shaykh Salin von Shíráz eilte herbei, um das Feuer zu löschen.
Eine Kugel traf ihn am Kopf und zerschmetterte ihm den Schädel. Als man seinen Leichnam auf
hob, riss eine zweite Kugel Áqá Mírzá Muhammad-'Ali, dem Sohn von Siyyid Ahmad und Vater
von Áqá Siyyid Husayn, ,dem Geliebten', die Hand ab. Desgleichen wurde Áqá Siyyid Husayn,
,der Geliebte', ein zehnjähriges Kind, vor den Augen seines Vaters getötet; er fiel und wälzte sich
mit zuckenden Gliedern wie ein halbtoter Vogel in Schlamm und Blut." (Táríkh-i-Jadld, S. 81f.)
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derartige Heldentaten zu vollbringen fähig sind, wie kein gewöhnlicher Sterblicher sie aufweisen kann. Lass ihn wissen, dass, je größer ihr Hunger ist, umso verheerender ihre Erbitterung wirkt,"
Wiederum befahl Mírzá Muhammad-Báqir achtzehn seiner Gefährten, die Pferde zu besteigen und ihm zu folgen. Die Festungstore wurden aufgestoßen, und der Ruf „Yá Sáhibu*z-Zamán!", wilder und packender denn je, .verbreitete Panik und Verwirrung in den Reihen der Feinde. Ja'far-Quli Khan fiel mit dreißig seiner Leute unter dem Schwert seines Gegners, der den Turm stürmte, die Geschütze packte und sie auf den Boden hinabschleuderte. Dann "warfen sie sich auf die vordersten Schanzen, zerstörten einen Teil davon und hätten, wäre die Nacht nicht hereingebrochen, auch die übrigen genommen und zerstört.
Siegreich und unverletzt kehrten sie in die Festung zurück und brachten eine Anzahl sehr kräftiger und wohlgenährter Hengste mit, die zurückgelassen worden waren. Einige Tage gingen hin, ohne dass sich ein Anzeichen für einen Gegenangriff gezeigt hätte.24) Eine plötzliche Explosion in einem feindlichen Munitionslager hatte mehrere Artillerie-Offiziere und eine Anzahl ihrer Leute getötet und den Feind gezwungen, seine Angriffe auf die Festung einen ganzen Monat lang auszusetzen.25' Diese Pause machte es einigen Gefährten möglich,
24) „Das dauerte vier Monate lang; auch der Sháh wurde ungeduldig: Der Lrtolg der Bábí entflammte seinen Zorn, den er dem persischen Geschichtsschreiber gegenüber in folgenden Worten zum Ausdruck brachte: ,Wir haben erwartet, dass unsere Armee ohne Zögern durch Wasser und Feuer ginge, dass sie furchtlos gegen Löwen und Wale kämpfte. Wir haben sie ausgesandt, um gegen eine Handvoll schwacher, hilfloser Männer zu kämpfen, und sie erreicht nichts! Denken denn die Großen von Mázindarán, diese Verzögerungen wären uns angenehm? Wollen sie die Feuersbrunst noch mehr um sich greifen lassen, damit ihr Erfolg größer erscheine? Wohlan, sie mögen wissen, dass ich tun werde, als ob Allah niemals Mázindarán erschaffen hätte, und dass ich seine Bewohner bis zum letzten ausrotten werde.' " (A. L. M. Nicolas, Siyyid 'AU-Mtibammad dit le Báb, S. 322.)
25' »Vier Monate schon dauerte die Belagerung, und es wurden keine merklichen Fortschritte gemacht. Die ursprünglichen Befestigungen waren zerstört worden; die Bábí aber hatten sie mit unverwüstlicher Energie durch andere ersetzt; Tag und Nacht arbeiteten sie daran, besserten sie aus und erweiterten sie. Der Ausgang dieser Sache war nicht abzusehen, umsoweniger, als, wie ich soeben berichtet habe, Mázindarán nicht mehr das einzige Gebiet in Persien war, wo die Kämpfer dieser neuen Religion so außerordentliche Beweise für ihren Glauben, ihren Eifer und ihre Unerschrockenheit ablegten. Der König und der Premierminister brachen, beunruhigt über diese Situation, in Zorn über die entsandten Heerführer aus. Sie warfen ihnen nicht nur in herben Worten Unfähigkeit vor; sie dronten ihnen und der ganzen Bevölkerung der Provinz vielmehr an, sie ebenso zu behandeln wie die Bábí, wenn die Angelegenheit nicht schnellstens erledigt würde. Hierauf wurde der Oberbefehl Mihdí-Qulí Mírzá entzogen und Afshár Sulaymán Khan übertragen, einem Mann von bekannter Entschlossenheit und großem Einfluss nicht nur in seinem
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dann und wann die Festung zu verlassen und, was sie an Gras auf dem Feld finden konnten, zu sammeln, das einzige, womit sie ihren Hunger lindern konnten. Das Fleisch der Pferde und selbst das Leder der Sättel war von diesen schwer bedrängten Männern bereits verzehrt worden. Sie kochten Gras und würgten es in heißem Hunger hinab.26) Als ihnen die Kräfte schwanden, als sie erschöpft in den Mauern ihrer Festung dahinsiechten, vermehrte Quddiis seine Besuche und bemühte sich, ihnen mit Worten des Ansporns und der Hoffnung die Schwere des Todeskampfes zu erleichtern.
Der Monat Jamádíyu'th-Thání27) hatte eben begonnen, als die feindliche Artillerie ihren Kugelregen wiederum über die Festung ausschüttete. Unter dem Dröhnen der Kanonen setzte eine Heeresabteilung aus verschiedenen Regimentern Infanterie und Kavallerie, von einigen Offizieren angeführt, zum Sturm an. Der Lärm bei ihrem Anrücken veranlasst« Quddús sogleich, seinen
eigener Stamm, einem der vornehmsten Persiens, sondern auch bei allen Kriegsleuten, die ihn kannten und hoch in Ehren hielten. Er erhielt die strengsten Befehle." (Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies dans l'Asie Centrale, S. 183f.) „Die standhaft ausharrten, hatten nicht nur ihre letzten Rationen verzehrt, sondern auch das wenige Gras, das sie innerhalb ihres Schutzwalls hatten pflücken können, und die Baumrinden. Nun blieben ihnen nur noch ihre Säbelkoppeln und Degenscheiden. Sie wurden auch zu dem äußersten Mittel gezwungen, zu dem einst der spanische Gesandte den belagerten Verbündeten in Paris geraten hatte: Sie zerrieben Knochen von Toten und machten daraus eine Art Mehl. Schließlich entschlossen sie sich zu einer Art Entweihung. Das Pferd von Mulla Husayn war an den Verwundungen gestorben, die es in jener blutigen Nacht erlitten hatte, in der sein Herr verschieden war. Die Bábí hatten es im Gedenken an ihren Heiligen begraben, und ein Abglanz seiner Herrlichkeit, etwas von der tiefen Verehrung für ihn schwebte auch über dem Grab des armen Tiers. Sie hielten Kriegsrat, beklagten zutiefst, dass es notwendig war, über derartiges zu beraten, und erörterten die Frage, ob höchste Not es den Getreuen erlaube, das heilige Streitroß wieder auszugraben und sich zur Nahrung zu machen. Mit großem Schmerz beschloss man, dass diese Handlung verzeihlich sei. Und sie nahmen schließlich der Erde wieder, was sie ihr gegeben hatten, teilten sich die Stücke des Pferdes, kochten sie mit Knochenmehl und griffen nach dem Mahl wieder zu den Gewehren." (Gobineau, a.a.O., S. 186f.)
26) 'Abdu'1-Bahá erwähnt in Memorials of the Fatthful (S. 7) die Härten und Leiden, welche die heldenmütigen Verteidiger der Festung von Shaykh Tabarsi zu erdulden hatten. Er zollte der Standhaftigkeit, der Begeisterung und dem Mut der Belagerten einen glühenden Tribut und erwähnt dabei besonders Mulla Sádiq-i-Muqaddas. „Die Gläubigen", schreibt er, „waren achtzehn Tage ohne Nahrung. Sie nährten sich vom Leder ihrer Schuhe. Auch dieses hielt nicht lange vor, und so blieb ihnen nichts als Wasser. Sie tranken jeden Morgen einen Mundvoll, dann lagen sie hungrig und erschöpft in ihrem Fort. Griff der Feind jedoch an, sprangen sie sofort auf. Sie legten großartigen Todesmut und erstaunlichen Widerstandsgeist an den Tag ... Unter solchen Bedingungen einen festen Glauben und Geduld zu wahren, ist ungeheuer schwierig, und dass solche grauenhafte Leiderfahrungen überstanden werden, ist eine seltene Erscheinung."
27> 24. April - 23. Mai 1849 n. Chr.
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tapferen Leutnant, Mírzá Muhammad-Báqir, zu sich zu rufen und ihm zu gebieten, mit sechsunddreißig Gefährten auszufallen und den Angriff zurückzuschlagen. „Seit wir diese Festung halten", fügte er hinzu, „haben wir uns niemals unterstanden, unsere Gegner von uns aus anzugreifen. Erst wenn sie uns überfielen, haben wir uns erhoben, unser Leben zu verteidigen. Hätten wir den Ehrgeiz gehabt, den heiligen Krieg gegen sie zu führen, hätten wir die leiseste Absicht gehegt, mit den Waffen die Oberhand über die Ungläubigen zu bekommen, so wären wir nicht bis zum heutigen Tag in diesen Mauern belagert geblieben. Die Gewalt unserer Waffen hätte inzwischen wie einst bei den Gefährten Muhammads die Völker der Erde erschüttert und sie für die Aufnahme unserer Botschaft vorbereitet. Doch diesen Weg wollten wir nicht einschlagen. Seit wir uns in diese Festung begaben, war es unser einziges, unwandelbares Streben, durch unsere Taten, durch die Bereitschaft, unser Blut auf dem Pfade unseres Glaubens zu vergießen, die erhabene Wesensart unserer Sendung zu rechtfertigen. Rasch naht die Stunde, da wir diese Aufgabe werden vollenden können."
Noch einmal bestieg Mírzá Muhammad-Báqir das Pferd, trat mit sechsunddreißig auserwählten Gefährten den sie belagernden Streitkräften entgegen und zerschmetterte sie. Er brachte, als er in die Festung zurückkehrte, das Banner mit, das der Feind bei dem hallenden Ruf „Yá Sáhibu'z-Zamán!" erschreckt im Stich gelassen hatte. Fünf Gefährten erlitten in diesem Gefecht den Märtyrertod; er trug sie in die Festung zurück und setzte sie in einem Grab nahe der Ruhestätte ihrer gefallenen Brüder bei.
Prinz Mihdí-Qulí Mírzá war sprachlos über diesen weiteren Beweis der unerschöpflichen Lebenskraft seiner Gegner. Er hielt Kriegsrat mit den Offizieren seines Stabes und beschwor sie, auf Mittel zu sinnen, die es ermöglichten, dieses kostspielige Unternehmen zu einem raschen Ende zu bringen. Drei Tage lang beriet er mit ihnen und kam schließlich zu dem Schluss, dass der beste Weg der wäre, für ein paar Tage jegliche Feindseligkeit einzustellen in der Hoffnung, dass die Belagerten, vor Hunger erschöpft und verzweifelt, sich doch entschlössen, aus ihrer Zufluchtsstätte hervorzukommen und sich bedingungslos zu ergeben.
Während der Prinz auf das Gelingen des Planes wartete, den er sich ausgedacht hatte, kam ein Bote aus Tihrán und brachte ihm den Farmán28) seines Herrschers. Der Bote war ein Einwohner von Kand, einem Dorf in der Nähe der Hauptstadt. Er erreichte von dem Prinzen die Erlaubnis, in die Festung zu gehen und zu versuchen, zwei der Verteidiger, Mulla Mihdi und
28' kaiserlicher Befehl.
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seinen Bruder, Mulla Báqir-i-Kandí, zur Flucht vor der drohenden Gefahr zu bewegen, der ihr Leben ausgesetzt war. Als er zu den Wällen kam, rief er die Wachen an und bat sie, Mulla Mihdiy-i-Kandi zu melden, dass ihn ein Bekannter besuchen wolle. Mulla Mihdi berichtete Quddús darüber, der ihm erlaubte, seinen Freund zu empfangen.
Ich habe Áqáy-i-Kalím den folgenden Bericht wiedergeben hören, wie er ihn von jenem Boten erzählt bekam, den er in Tihrán getroffen hatte: „ ,Ich sah', so berichtete mir der Bote, ,Mullá Mihdi auf dem Festungswall erscheinen; auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck ernster Entschlossenheit, wie man ihn kaum beschreiben kann. Er blickte grimmig wie ein Löwe, sein Schwert war nach Art der Araber über ein langes weißes Hemd gegürtet, um den Kopf hatte er ein~weißes Tuch geschlungen. „Was suchst du hier?" fragte er ungeduldig. „Sag es schnell, denn ich fürchte, mein Herr ruft mich, und ich bin dann nicht da." Die Entschlossenheit, die aus seinen Augen glühte, verwirrte mich. Ich war sprachlos über sein Aussehen und sein Gebaren. Mir ging blitzartig der Gedanke durch den Sinn, dass ich ein in seinem Herzen schlummerndes Gefühl wecken müsse. Ich erinnerte ihn an seinen kleinen Sohn Rahmán, den er im Dorf zurückgelassen hatte in seinem Eifer, sich unter die Fahne Mulla Husayns zu stellen. In seiner großen Liebe zu dem Kind hatte er eigens ein Gedicht verfasst, das er sang, wenn er es in der Wiege schaukelte und es in Schlaf lullte. „Dein geliebter Rahmán", sagte ich, „hat Sehnsucht nach der Liebe, die du ihm einst überreich geschenkt hast. Er ist allein und verlassen und sehnt sich nach dir." „Sag ihm von mir", war des Vaters rasche Antwort, „dass die Liebe zum wahren Rahmán29*, eine Liebe, die über allen irdischen Gefühlen steht, mein Herz so erfüllt, dass darin kein Platz mehr ist für eine andere Liebe." Die Schärfe, mit der er das sagte, trieb mir die Tränen in die Augen. „Verflucht seien die", rief ich aufgebracht, „die von dir und deinen Glaubensgenossen behaupten, ihr wäret vom Pfade Gottes abgewichen!" „Was würdest du sagen", fragte ich ihn, „wenn ich in die Festung käme und mich euch anschließen wollte?" „Wenn dein Beweggrund der ist, die Wahrheit zu suchen und zu finden", erwiderte er ruhig, „dann will ich dir gern den Weg zeigen. Und wenn du mich als alten, dir zeitlebens verbundenen Freund besuchen willst, dann will ich dich mit den Worten des Propheten Gottes willkommen heißen, der gesprochen hat: »Heiße deine Gäste willkommen, auch wenn sie zu den Ungläubigen gehören.' Ich werde dir dann getreu dieser Weisung das gekochte Gras und die zerstampften Knochen anbieten, die mir
29) Gott; rahmán heißt wörtlich „der Barmherzige",
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als Nahrung dienen, das Beste, was ich für dich beschaffen kann. Doch hast du die Absicht, mir zu schaden, so warne ich dich. Ich würde mich zu verteidigen wissen und dich von den Höhen dieser Mauern hinabstürzen." Seine unerschütterliche Hartnäckigkeit überzeugte mich von der Vergeblichkeit meine Mühe. Ich spürte, dass. eine solche Begeisterung in ihm loderte, dass, wollten die Geistlichen des ganzen Reiches gemeinsam versuchen, ihn von seinem gewählten Kurs abzubringen, er allein und ohne Beistand ihre Bemühungen vereitelt hätte. Und ich war überzeugt, dass alle Herrscher der Welt ihn nicht von dem Geliebten seines Herzens wegzulocken vermöchten. So drängte es mich zu sagen: „Möge der Kelch, den deine Lippen berührt haben, dir all die Segnungen bringen, nach denen dich verlangt. Der Prinz", fügte ich hinzu, „hat versprochen, dass jeder, der diese Festung verlässt, außer Gefahr ist, ja, dass er freies Geleit und soviel Reisegeld bekommt, wie er für seine Heimreise braucht." Er versprach, seinen Gefährten die Botschaft des Prinzen weiterzugeben. „Hast du mir sonst noch etwas zu sagen?" fügte er hinzu, „ich bin-ungeduldig, wieder zu meinem Herrn zu kommen." „Möge dir Gott beistehen, dein Ziel zu erreichen", antwortete ich. „Er hat mir in der Tat geholfen!" brach es triumphierend aus ihm hervor. „Wie hätte ich sonst aus dem Dunkel meines heimatlichen Gefängnisses in Kand befreit werden können? Wie wäre ich sonst zu dieser erhabenen Feste gekommen?" Nach diesen Worten kehrte er sich schnell von mir ab und entschwand meinem Blick.' **
Bei seinen Gefährten angekommen, übermittelte Mulla Mihdi ihnen sogleich die Botschaft des Prinzen. Am selben Nachmittag verließ Siyyid Mírzá Husayn-i-Mutavalli mit seinem Diener die Festung und begab sich geradewegs ins Lager des Prinzen. Am andern Tag nahmen Rasúl-i-Bahnimírí und einige andere Gefährten, unfähig, den nagenden Hunger länger auszuhalten, und durch die ausdrücklichen Zusicherungen des Prinzen ermutigt, traurig und widerstrebend Abschied von ihren Freunden. Kaum hatten sie die Festung verlassen, wurden sie alle auf Befehl von 'Abbás-Qulí Khán-i-Láríjání erschlagen.
Während der wenigen Tage, die nach diesem Vorfall vergingen, enthielt sich der Feind, der immer noch in der Nähe der Festung lagerte, jeglicher feindlichen Handlung gegen Quddiis und seine Gefährten. Am Mittwochmorgen, dem sechzehnten Jamádíyu'th-Thání30), kam ein Abgesandter des Prinzen zur Festung mit dem Ersuchen, dass die Belagerten zwei Delegierte zu
*» 9. Mai 1849 n. Chr.
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vertraulichen Verhandlungen entsenden möchten, in der Hoffnung, die mit ihnen bestehenden Streitfragen friedlich beizulegen.31*
Quddús bestellte Mulla Yúsuf-i-Ardibíll und Siyyid Ridáy-i-Khurásání zu seinen Vertretern und ließ sie dem Prinzen mitteilen, dass er bereit sei, seinem Wunsch zu entsprechen, Mihdí-Qulí Mírzá empfing sie höflich und lud sie zum Tee ein, den er bereitet hatte. „Wir würden es für einen Akt der Untreue halten", sagten sie, als sie die Einladung ablehnten, „wenn wir etwas zu essen oder zu trinken annähmen, während unser geliebter Führer elend und darbend in der Festung schmachtet." „Die Feindseligkeiten zwischen uns", bemerkte der Prinz, „haben ungebührlich lange gedauert. Wir haben auf beiden Seiten lange gekämpft und schwer gelitten. Es ist mein dringender Wunsch, zu einer freundschaftlichen Beilegung unserer Auseinandersetzung zu kommen." Er griff nach einem Exemplar des Qur'án, das neben ihm lag, und schrieb als Bestätigung seiner Erklärung folgende Worte eigenhändig an den Rand der eröffnenden Sure: „Ich schwöre bei diesem heiligsten Buch, bei der Gerechtigkeit Gottes, der es offenbart hat, und bei der Sendung Dessen, der von seinen Versen beseelt war, dass ich keine andere Absicht hege, als Frieden und Freundschaft zwischen uns zu fördern. Kommt heraus aus eurer Festung und seid versichert, dass keine Hand sich wider euch erheben wird. Ich erkläre feierlich, dass ihr und eure Gefährten unter der schützenden Obhut des Allmächtigen, des Propheten Muhammad und unseres Herrschers Násiri'd-Dín Sháh steht. Ich gebe mein Ehrenwort, dass niemand, weder aus diesem Heer noch aus der Umgebung, es jemals wagen wird, euch anzugreifen. Der Fluch Gottes, des allmächtigen Rächers, komme über mich, wenn ich in meinem Herzen einen anderen Wunsch hege als den geäußerten."
Er drückte sein Siegel auf diese Erklärung, gab den Qur'án Mulla Yúsuf in die Hand und bat ihn, seinem Führer seine Grüße zu übermitteln und ihm diese feierliche, schriftlich niedergelegte Zusicherung zu übergeben. „Ich werde entsprechend meiner Erklärung", fügte er hinzu, „noch heute nachmittag eine Anzahl Pferde an das Tor der Festung schicken und hoffe, dass er und seine führenden Gefährten sie annehmen werden, um damit in die
31) „Dieser entschlossene and verzweifelte Mut, dieser unüberwindliche Feuereifer, diese durch nichts zu mindernde Begeisterung gaben den Befehlshabern der kaiserlichen Armee sehr zu denken. Ohne Aussicht, die Schanzen, von denen sie schon so oft zurückgeschlagen worden waren, zu bezwingen, sannen sie auf eine List. Der Prinz war damit natürlich einverstanden und Sulaymán Khán-i-Afshár, der zuletzt vom Sháh entsandt worden war, um die militärischen Operationen zu überwachen, drang mit aller Macht darauf, da ihm klar war, dass ein weiterer Aufschub sein Glück und sein Leben in Gefahr brächte." (A. L. M. Nicolas, Siyyid 'Ali-Muhammad dit U Báb, S. 325.)
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Nähe dieses Lagers zu reiten, wo eigens für ihre Aufnahme ein Zelt errichtet sein wird. Ich möchte sie bitten, meine Gäste zu sein, bis ich ihre Heimreise auf meine Kosten in die Wege leiten kann."
Quddús nahm den Qur'án aus den Händen seines Abgesandten entgegen, küsste ihn ehrfürchtig und sprach: „O unser Herr, entscheide Du in Wahrheit zwischen uns und unserem Volk, denn Du vermagst am besten zu entscheiden.^ Darauf bat er den Rest seiner Gefährten, sich zum Verlassen der Festung bereit zu machen. „Indem wir ihre Einladung annehmen", sprach er, „geben wir ihnen Gelegenheit, die Aufrichtigkeit ihrer Absichten zu beweisen."
Als die Stunde des Aufbruchs nahte, schmückte Quddús sein Haupt mit dem grünen Turban, den ihm der Báb gesandt hatte, als Er auch Mulla Husayn den Turban schickte, den dieser am Tage seines Märtyrertodes trug. Vor dem Tor der Festung bestiegen sie die Pferde, die man ihnen zur Verfügung gestellt hatte; Quddús schwang sich auf das Lieblingspferd des Prinzen, das dieser für ihn mitgeschickt hatte. Seine führenden Gefährten, darunter einige Siyyids und gelehrte Geistliche, ritten hinter ihm; die übrigen folgten zu Fuß, alles mit sich führend, was ihnen an Waffen und persönlicher Habe geblieben war. Als der Trupp von zweihundertundzwei Männern das Zelt erreichte, das der Prinz für Quddús nahe dem öffentlichen Bad des Dorfes Dfzvá hatte errichten lassen, von wo aus man das Lager des Feindes überblicken konnte, stiegen sie ab und schickten sich an, ihre Unterkünfte in der Nähe des Zeltes zu beziehen.
Bald nach ihrer Ankunft trat Quddús aus seinem Zelt, versammelte seine Gefährten um sich und sprach zu ihnen diese Worte: „Ihr müßt beispielhafte Entsagung an den Tag legen, denn solches Verhalten eurerseits wird das Ansehen unserer Sache erhöhen und ihr zum Ruhm gereichen. Alles andere als völlige Loslösung ist nur dazu angetan, die Reinheit ihres Rufes zu trüben und ihren Glanz zu verdunkeln. Betet zum Allmächtigen, dass Er euch gnädig helfe, bis zu eurer letzten Stunde euren Anteil zur Erhöhung Seines Glaubens beizutragen."
Einige Stunden nach Sonnenuntergang brachte man ihnen Essen aus dem Lager des Prinzen. Das Essen, das ihnen in verschiedenen Schalen angeboten wurde, jeweils eine für dreißig Mann, war ärmlich und knapp. Die mit Quddús zusammen waren, erzählten später: „Neun von uns wurden von unserem Führer eingeladen, an dem Essen teilzunehmen, das in seinem Zelt zubereitet war. Da er sich weigerte, davon zu essen, folgten wir seinem
W Qur'án 7:88.
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Beispiel und aßen ebenfalls nichts. Die Diener, die uns aufwarteten, freuten sich, dass sie nun von den Speisen, die wir nicht angerührt hatten, essen konnten, und verzehrten sie gern und gierig." Man hörte, wie einige Gefährten, die außerhalb des Zeltes aßen, mit den Dienern darüber verhandelten, um Brot, das sie benötigten, zu jedem Preis, und sei er noch so hoch, von ihnen zu kaufen. Quddús missbilligte dieses Verhalten sehr und tadelte sie für ihre Bitte. Hätte sich nicht Mírzá Muhammad-Báqir für sie eingesetzt, hätte er sie streng dafür bestraft, dass sie seine ernsten Ermahnungen so sehr missachtet hatten.
Das Dorf Dízvá
Bei Tagesanbruch erschien ein Bote, der Mírzá Muhammad-Báqir zu dem Prinzen rief. Im Einverständnis mit Quddús kam Mírzá Muhammad-Báqir dieser Aufforderung nach. Eine Stunde später kehrte er zurück und berichtete seinem Herrn, der Prinz hätte in Gegenwart von Sulaymán Khán-i-Afshár die bereits gegebenen Zusicherungen wiederholt und hätte ihn sehr höflich und freundlich behandelt. „Er hat mir versichert: ,Mein Schwur ist unwiderruflich und heilig' ", berichtete Mírzá Muhammad-Báqir. „Er hat den Fall des Ja'far-Quli Khan erwähnt, der, ungeachtet dessen, dass er im Verlauf des von dem Sálár angezettelten Aufruhrs Tausende von Soldaten der kaiserlichen Armee schändlich hingemetzelt hatte, von seinem Herrn begnadigt und von Muhammad Sháh rasch mit neuen Ehren bedacht worden sei. Der Prinz beabsichtigt, dich morgen früh ins öffentliche Bad zu begleiten. Von dort will er zu
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deinem Zelt kommen und dann für die Bereitstellung der Pferde sorgen, die erforderlich sind, um die ganze Mannschaft nach Sang-Sar zu bringen, von wo sie auseinandergehen wird und einige in ihre Heimat im 'Iráq zurückkehren, andere nach Khurásán aufbrechen werden. Auf die Vorhaltung von Sulaymán Khan, er befürchte, die Anwesenheit so vieler Menschen an einem befestigten Ort wie Sang-Sar sei mit zu großer Gefahr verbunden, bestimmte der Prinz, dass die Schar sich stattdessen in Fírúz-Kúh auflösen sollte. Ich bin der Meinung, dass sein Herz keineswegs glaubt, was seine Zunge spricht." Quddús, der diese Ansicht teilte, gebot seinen Gefährten, sich noch in derselben Nacht zu zerstreuen, und sagte, er selbst werde bald nach Bárfurúsh gehen. Doch sie beschworen ihn, sich nicht von ihnen zu trennen, sie baten, er möge ihnen erlauben, auch weiterhin des Segens seiner Gesellschaft teilhaftig zu bleiben. Er riet ihnen, ruhig und geduldig zu sein, und versicherte ihnen, dass, welche Not auch immer die Zukunft bringen möge, sie sich wieder begegnen- würden. „Weinet aicht", waren seine Abschiedsworte, „die Wiedervereinigung, die auf diese Trennung folgt, wird ewig währen. Wir haben unsere Sache in Gottes Hand gelegt; was immer Sein Wille und Wohlgefallen ist, das wollen wir freudig annehmen."
Der Prinz löste sein Versprechen nicht ein. Anstatt Quddús in seinem Zelt aufzusuchen, ließ er ihn mit einigen seiner Gefährten in sein Hauptquartier kommen und teilte ihm, als sie zu dem Zelt des Farrásh-Báshí33' kamen, mit, er werde ihn am Mittag zu sich rufen. Kurz darauf gingen einige Diener des Prinzen zu den übrigen Gefährten und sagten, Quddús hätte ihnen erlaubt, zu ihm in das Heerlager zu kommen. Einige ließen sich durch diese Nachricht täuschen; sie wurden gefangengenommen und schließlich als Sklaven verkauft. So blieben diese unglücklichen Opfer übrig von den Gefährten aus der Festung von Shaykh Tabarsi und überlebten jenen heroischen Kampf; sie blieben bewahrt, damit sie ihren Landsleuten die traurige Geschichte von ihren Leiden und Prüfungen berichten konnten.
Kurz darauf setzten die Bediensteten des Prinzen Mulla Yúsuf unter Druck, dass er seinen übrigen Gefährten sage, Quddús wünschte, sie sollten sofort die Waffen niederlegen. „Was wirst du ihnen nun wirklich sagen?" fragten sie ihn, als er an eine Stelle geführt wurde, die vom Heereshauptquartier etwas entfernt war. „Ich werde sie warnen", erwiderte er kühn, „und werde ihnen sagen, dass von nun an jede Botschaft, die ihr ihnen im Namen ihres Führers zu übermitteln beliebt, eine glatte Lüge ist." Kaum waren diese Worte über seine Lippen gekommen,*da wurde er erbarmungslos niedergemacht.
i3) Anfuhrer der „Farrash" (Büttel).
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Nach dieser Untat wandten sie sich der Festung zu, plünderten sie aus und machten sich daran, sie zu beschießen und gänzlich zu zerstören.34) Dann umzingelten sie áie übriggebliebenen Gefährten und eröffneten das Feuer. Wer den Kugeln entkam, wurde von den Säbeln der Offiziere und den Lanzen ihrer Leute35' niedergemacht. Noch unter ihren Todesqualen hörte man diese unüberwindlichen Helden die Worte rufen: „Heilig, heilig, o Herr unser Gott, Herr der Engel und des Geistes", Worte, die in Augenblicken der Verzückung von ihren Lippen fielen, die sie nun zu dieser Stunde, die die Krönung ihres Lebens war, mit unverminderter Glut wiederholten.
Nach diesen Greueln befahl der Prinz diejenigen, die als Gefangene zurückbehalten worden waren, einen nach dem anderen zu sich. Wer von ihnen anerkannten Ranges war wie Badi's Vater365, Mulla Mírzá Muhammad-i-Furúghí und Hájí Násír-i-Qazvíní, die ließ er durch seine Bediensteten nach Tihrán führen37) und ihnen entsprechend ihrer Stellung und ihrem Wohlstand
34> „Man machte sämtliche von den Bábí errichteten Befestigungsanlagen dem Erdboden gleich; man ebnete den Boden ein, damit nicht die geringste Spur von der heldenhaften Verteidigung derer übrig bleibe, die für ihren Glauben gestorben waren; sie glaubten, auf diese Weise erreichen zu können, dass dieses Geschehen nicht in die Geschichte eingehen werde." (A. L. M. Nicolas Siyyid 'AU-Muhammad dit le Báb, S. 327.)
35) „Man stellte sie in einer Reihe auf und vergnügte sich damit, ihnen den Bauch aufzuschlitzen. Das machte ihnen umso mehr Spaß, als aus den verletzten Eingeweiden noch unverdautes Gras heraustrat, ein Beweis für die Leiden, die sie ausgestanden hatten, aber auch für den Glauben, der sie aufrecht erhalten hatte. Einigen ganz wenigen gelang es, in den Wald zu entkommen." (Nicolas, a.a.O.)
36' Hájí 'Abdul-Majíd-i-Níshábúrí, der später in Khurásán den Märtyrertod starb.
37' „Damals", sagt Mírzá Jání, „bot der Islam der Welt ein schändliches Schauspiel. Die Sieger, wenn man sie so nennen kann, wollten ihren Sieg auskosten. Quddús, Mírzá Muhammad-Hasan Khan, der Bruder von Bábu'1-Báb, Akhúnd Mulla Múhammad-Sádiq-i-Khurásání, Mírzá Muhammad-Sádiq-i-Khurásánf. Hájí Mírzá Hasan-i-Khurásáni. Shaykh Ni'matu'lláh-i-Amulí, Hájí Násír-i-Qazvíní, Mulla Yúsuf-i-Ardibílí, Áqá Siyyid 'Abdu'l-'Azím-i-Khu'í und einige andere wurden in Ketten gelegt. Man nahm sie in die Mitte eines Triumphzugs, der sich alsbald mit Musik und Trommelklang in Marsch setzte. Sooft man durch bewohnte Ortschaften kam, schlug man auf sie ein." (A. L. M. Nicolas, Siyyid 'Ali-Muhammad dit le Báb, S. 327f.) „Es blieb nicht bei diesen Szenen der Rohheit. Wenn auch einige als Sklaven verkauft wurden und so dem Tod entgingen, starben doch andere den Märtyrertod. Wohlwollende Leibherren fanden Akhúnd Mulla Muhammad-Sádiq-i-Khurásání, Mulla Muhammad-i-Mahvalátíy-i-Dúgh-Ábádí, Áqá Siyyid 'Azím-i-Khu'í, Hájí Násír-i-Qazvíní, Hájí 'Abdu'1-Majíd-i-Níshábúrí, Mírzá Husayn-i-Mutavalliy-i-Qumí. Vier Bábí erlitten in Bárfurúsh den Märtyrertod. Zwei wurden nach Ámul geschickt: Ni'matu'lláh-i-Ámulí und Mírzá Muhammad-Báqir-i-Khurásánív-i-Qá'iní. der Vetter unseres Bábí-Schriftstellers. Qá'iní wohnte früher in Mashhad, in der Khíyábán-Bálá-Straße, und sein Haus, das den Beinamen Bábíyyih erhalten hatte, war gleichzeitig Treffpunkt der Sekretäre und Wohnstätte der auf Reisen befindlichen Gläubigen. Dort wohnten auch Quddús
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als Entgelt für die Freigabe ein Lösegeld abnehmen. Die übrigen ließ er von seinem Scharfrichter sofort hinrichten. Einige wurden mit dem Schwert381 in Stücke gehauen, andere auseinandergerissen, an Bäume gebunden, von Kugeln durchsiebt, von Kanonenmündungen aus in die Luft gesprengt oder den Flammen übergeben.39*
Das entsetzliche Gemetzel war kaum zu Ende, als drei von Quddús' Gefährten, Bürger von Sang-Sar, zu dem Prinzen befohlen wurden. Der eine
und der Bábu'1-Báb auf ihrer Reise nach Khurásán. Neben seinem religiösen Wissen besaß Qá'iní große handwerkliche Geschicklichkeit; die Befestigungen von Shaykh Tabarsi sind ihm zu verdanken." (A. L. M. Nicolas, Siyyid 'Alí-Muhammad dit le Bäh, S. 329.)
38' »Die übrigen Gefangenen mussten sich alle nebeneinander auf den Boden legen, und einem nach dem anderen wurde der Bauch aufgeschlitzt. Man konnte dabei feststellen, dass bei mehreren dieser Unglücklichen die Eingeweide mit rohem Gras gefüllt waren. Nach dieser Exekution fand man, dass es noch einiges zu tun gäbe, und metzelte auch die Überläufer nieder, die begnadigt worden waren. Darunter befanden sich auch Frauen und Kinder, denen man den Hals abschnitt. Das ging einen ganzen Tag so fort. Man tötete viel und riskierte nichts dabei." (Comte de Gobineau, Les Reltgions et les Philosophies dam l'Asie Centrale, S. 189.) „In Amul angekommen, wurde Mulla Ni'matu'lláh mit unerbittlicher Grausamkeit gefoltert. Mit diesem Schauspiel erreichte wohl die Wut des Qá'iní ihren Höhepunkt. Als der Scharfrichter auf Qá'iní zuging, zerriss dieser die Fesseln, mit denen er gebunden war, stürzte sich auf den Henker, entriss ihm das Schwert und schlug so kräftig zu, dass des Henkers Kopf 15 Schritte weit wegrollte. Die Menge warf sich auf ihn, aber schrecklich schlug er jeden nieder, der in Reichweite seiner Waffe kam. Sie mussten ihn schließlich von ferne mit dem Gewehr erschießen. Nach seinem Tod fand man in seiner Tasche ein Stück geröstetes Pferdefleisch, eine Erinnerung an die Leiden, die er für seinen Glauben erduldet hatte." (Gobineau, a.a.O., S. 329f.)
-*9) „Genügt dem Volke dieses Tages nicht das Zeugnis dieser heiligen Seelen, die sich so herrlich erhoben haben, ihr Leben für ihren Gehebten zu opfern, dass die ganze Welt über die Art ihres Opfers staunte? ... Der Verstand ist erstaunt über ihre Taten, und die Seele ergriffen über ihre Standhaftigkeit und körperliche Ausdauer ... Diese heiligen Leuchten (hielten) achtzehn Jahre lang heldenhaft den Hagel von Trübsalen aus ..., der von allen Seiten auf sie herabregnete. Mit welcher Liebe, welcher Ergebenheit, welchem Jauchzen und welch heiliger Verzückung opferten sie ihr Leben auf dem Pfade des Allherrlichen! Alle bezeugen dies als Wahrheit. Wie können sie aber trotzdem diese Offenbarung so leichtnehmen? Hat irgendein Zeitalter so folgenschwere Ereignisse gesehen? Wenn diese Gefährten nicht die wahren Sucher nach Gott waren, wer sonst könnte mit diesem Namen benannt werden? Haben diese Gefährten Macht oder Ruhm gesucht? Haben sie je nach Reichtum verlangt? Haben sie irgendeinen Wunsch gehegt außer dem nach Gottes Wohlgefallen? Wenn diese Gefährten in all ihrer wundervollen Zeugenschaft, mit all ihren wunderbaren Werken falsch wären, wer wäre es dann wohl wert, die Wahrheit für sich zu beanspruchen? Ich schwöre bei Gott, gerade ihre Taten sind ein hinreichendes Zeugnis und ein unwiderleglicher Beweis für alle Erdenvölker - würden die Menschen doch in ihrem Herzen über die Mysterien göttlicher Offenbarung nachsinnen! ,Und jene, welche Unrecht tun, werden bald wissen, welches Los ihrer wartet!' " (Bahá'ulláh, Das Buch der Gewissheit - Kitáb-i-íqán, S. 148, 149, ISO.)
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von ihnen war Siyyid Ahmad, dessen Vater, Mir Muhammad-'Ali, ein ergebener Bewunderer von Shaykh Ahmad-i-Ahsá'í, ein hochgelehrter und verdienter Mann gewesen war. Mir Muhammad-'Ali war im Jahre vor der Erklärung des Báb mit Siyyid Ahmad und dessen Bruder Mir Abu'1-Qásim, der in derselben Nacht wie Mulla Husayn den Tod fand, nach Karbilá abgereist, um seine beiden Söhne Siyyid Kázifh vorzustellen. Aber bevor er ankam, war Siyyid Kazirn gestorben. Mir Muhammad-'Ali entschloss sich, nach Najaf zu gehen. Dort erschien ihm eines Nachts im Traum der Prophet Muhammad und gebot dem Imam 'Ali, dem Gebieter der Gläubigen, ihm anzukündigen, dass nach seinem Tode seine beiden Söhne Siyyid Ahmad und Mir Abu'1-Qásim in die Gegenwart des verheißenen Qá'im gelangen und den Märtyrertod auf Seinem Pfade erleiden würden. Als er erwachte, rief er nach seinem Sohn Siyyid Ahmad und machte ihn mit seinem letzten Willen und seinen Wünschen bekannt. Am siebenten Tage nach diesem Traum starb er.
In Sang-Sar bemühten sich noch zwei weitere Männer, die Menschen auf den Empfang der verheißenen Offenbarung vorzubereiten, deren Ankunft sie nahen fühken. Es waren dies Karbilá'í 'Ali und Karbilá'í Abú-Muhammad, beide für ihre Frömmigkeit und geistige Erkenntnis bekannt. Im Jahr 1264 n.d.H.40) verkündeten sie öffentlich, noch im selben Jahr werde ein Mann namens Siyyid 'Ali unter einer Schwarzen Fahne und in Begleitung einer Anzahl auserwählter Gefährten von Khurásán kommen und sich nach Mázindarán begeben. Sie drängten jeden treuen Anhänger des Islams, sich aufzumachen und ihm jeglichen Beistand zu leisten. »Die Fahne, die er hissen wird", erklärten sie, „ist keine andere als die des verheißenen Qá'im, und der sie entrollen wird, ist kein anderer als Sein Statthalter und der wichtigste Förderer Seiner Sache. Wer ihm folgt, wird gerettet sein, wer sich aber abkehrt, wird zu den Gefallenen gehören." Karbilá'í Abú-Muhammad bat seine beiden Söhne Abu'1-Qásim und Muhammad-'Ali dringend, sich für den Sieg der neuen Offenbarung zu erheben und für dieses Ziel alle irdischen Erwägungen aufzugeben. Sowohl Karbilá'í Abú-Muhammad wie auch Karbilá'í 'Ali starben noch im Frühjahr desselben Jahres.
Diese beiden Söhne des Karbilá'í Abú-Muhammad waren die zwei Gefährten, die gemeinsam mit Siyyid Ahmad dem Prinzen vorgeführt wurden. Mulla Zaynu'l-'Ábidín-i-Shahmírzádí, ein verläßlicher und gelehrter Ratgeber der Regierung, machte den Prinzen mit ihrer Vergangenheit bekannt und berichtete ihm über die Kenntnisse und Tätigkeiten ihrer Väter. „Warum hast du", wurde Siyyid Ahmad gefragt, „einen Pfad eingeschlagen, der dich und die
4°) 1847/48 n. Chr. 432

Deinen derart in Elend und Schande gestürzt hat? Genügten dir nicht die gelehrten und weisen Geistlichen, die man hierzulande und im 'Iráq in großer Zahl findet?" „Mein Glaube an diese Sache", erwiderte er furchtlos, „entspringt nicht eitler Nachahmung. Ich habe mich unvoreingenommen mit ihren Lehren befasst und bin von ihrer Wahrheit überzeugt. Als ich in Najaf war, bat ich den hervorragendsten Mujtahid jener Stadt, Shaykh Muhammad-Hasan-i-Najafí, mir gewisse Wahrheiten im Zusammenhang mit den untergeordneten Grundsätzen zu erklären, welche die Lehren des Islams stützen. Er hat mein Ersuchen abgelehnt. Ich wiederholte die Bitte, worauf er mich ärgerlich tadelte und bei seiner Weigerung blieb. Wie kann man angesichts dieser Erfahrung von mir erwarten, über die unklaren Glaubensartikel des Islams bei einem Geistlichen, und sei er noch so berühmt, Erleuchtung zu suchen, wenn er es ablehnt, meine Frage zu so einfachen und allgemeinen Dingen zu beantworten, und seine Entrüstung darüber ausdrückt, dass ich ihm eine solche Frage gestellt habe!" „Was ist dein Glaube im Hinblick auf Hájí Muhammad-'Ali?" fragte der Prinz. „Wir glauben", erwiderte er, „dass Mulla Husayn der Träger der Fahne war, von der Muhammad gesagt hat: ,Und wenn eure Augen die Schwarzen Fahnen von Khurásán kommen sehen, dann eilt ihnen entgegen, und wenn ihr durch den Schnee kriechen müßt.' Aus diesem Grunde haben wir der Welt entsagt und uns um diese Fahne geschart, dieses Sinnbild unseres Glaubens. Wenn du mir eine Gunst erweisen willst, dann befiehl deinem Scharfrichter, ein Ende mit mir zu machen, damit ich mich der Schar meiner unsterblichen Gefährten zugesellen kann. Denn die Welt mit all ihren Reizen kann mich nicht mehr locken. Ich sehne mich darnach, aus diesem Leben zu scheiden und zu meinem Gott zurückzukehren." Dem Prinz widerstrebte es, einem Siyyid das Leben zu nehmen, und er lehnte es ab, seine Hinrichtung zu befehlen. Seine beiden Gefährten aber wurden sofort umgebracht. Er selbst wurde zusammen mit seinem Bruder, Siyyid Abú-Tálib, Mulla Zaynu'1-Ábidín übergeben mit dem Auftrag, sie nach Sang-Sar zu bringen.
Unterdessen brach Mírzá Muhammad-Taqi in Begleitung von sieben 'Ulamás in Sari auf, um sich an der verdienstvollen Tat, die Todesstrafe über die Gefährten von Quddús zu verhängen, teilzuhaben. Als sie erfuhren, dass die meisten schon umgebracht waren, drang Mírzá Muhammad-Taqi in den Prinzen, seinen Beschluss zu überprüfen und die unverzügliche Hinrichtung von Siyyid Ahmad anzuordnen; dabei machte er geltend, dass dessen Eintreffen in Sari den Auftakt zu neuen Unruhen, so schwer wie die vorhergegangenen, bilden könnte. Der Prinz gab schließlich nach unter der ausdrücklichen Bedingung, dass Ahmad als sein, des Prinzen, Gast betrachtet werde, bis
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er selbst in Sari eintreffe. Dann werde er alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um ihn zu hindern, dort den Frieden zu stören.
Kaum hatte Mírzá Muhammad-Taqi sich nach Sari auf den Weg gemacht, als er anfing, Siyyid Ahmad und seinen Vater zu schmähen. „Warum misshandelst du einen Gast", wandte der Gefangene ein; „den der Prinz deiner Obhut übergeben hat? Warum missachtest du das ausdrückliche Gebot des Propheten: ,Ehre deinen Gast, selbst wenn er ein Ungläubiger ist'?" Berstend vor Wut zogen Mírzá Muhammad-Taqi und seine sieben Begleiter die Säbel und hieben seinen Leib in Stücke. Man hörte, wie Siyyid Ahmad mit seinem letzten Atemzug den Sáhibu'z-Zamán um seinen Beistand anrief. Sein Bruder Siyyid Abú-Tálib wurde wohlbehalten von Mulla Zaynu'l-'Ábidín nach Sang-Sar geleitet und lebt seither zusammen mit seinem Bruder Siyyid Muhammad-Ridá in Mázindarán. Beide widmen sich dem Dienst an der Sache und zählen zu ihren tatkräftigen Helfern.
Nach Abschluss seiner Tätigkeit kehrte der Prinz, von Quddús begleitet, nach Bárfurúsh zurück. Sie kamen am Freitag nachmittag, dem achtzehnten Jamádíyu'th-Thání,41) dort an. Der Sa'ídu'l-'Ulamá' kam mit allen 'Ulamás der Stadt herbei, den Prinzen willkommen zu heißen und zu seiner siegreichen Rückkehr zu beglückwünschen. Die ganze Stadt war beflaggt, um den Sieg zu feiern, und die nächtlich lodernden Freudenfeuer kündeten von dem Jubel, mit dem eine dankbare Bevölkerung die Rückkehr des Prinzen begrüßte. Drei Tage gingen mit Festlichkeiten dahin, an denen der Prinz nicht verlauten ließ, was er mit Quddús vorhatte. Er war unschlüssig über die einzuschlagende Politik, hütete sich aber sehr, seinen Gefangenen schlecht zu behandeln. Vorerst ließ er nicht zu, dass die Bevölkerung ihrem unbändigen Haß freien Lauf ließ, und es gelang ihm, ihre Wut einzudämmen. Ursprünglich hatte er die Absicht, ihn nach Tihrán zu bringen und sich der Verantwortung zu entziehen, indem er ihn seinem Herrscher auslieferte.
Die unstillbare Feindseligkeit des Sa'ídu'l-'Ulamá' vereitelte jedoch die Ausführung dieses Plans. Sein Haß gegen Quddús und seine Sache loderte zu heller Wut auf, als er sah, wie der Prinz mehr und mehr dazu neigte, diesen schrecklichen Gegner seinem Zugriff zu entziehen. Tag und Nacht machte er dem Prinzen Vorhaltungen und versuchte, ihn mit jeder List, die sein erfinderisches Hirn ersinnen konnte, davon abzubringen, eine Politik weiter zu verfolgen, die er für verhängnisvoll und feige zugleich hielt. In verzweifelter Wut wandte er sich an den Pöbel; er suchte die Leidenschaften aufzustacheln
41> 11. Mai 1849 n.Chr.
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und die niedrigsten Rachegefühle in den Herzen zu wecken. Seine beharrlichen Aufrufe erregten schließlich ganz Bárfurúsh. Mit teuflischer Geschicklichkeit hatte er bald die Sympathie und die Unterstützung der Massen gewonnen. „Ich habe geschworen", beteuerte er stolz, „mir Essen und Schlaf zu versagen, bis es mir gelungen ist, den Hájí Muhammad-'Ali mit meinen eigenen Händen ums Leben zu bringen!" Die drohende Haltung der aufgebrachten Menge unterstützte sein Drängen und erweckte bei dem Prinzen Besorgnis. Aus Furcht, dass sein eigenes Leben in Gefahr kommen könnte, rief er die führenden 'Ulamás von Bárfurúsh zu sich, um mit ihnen über Maßnahmen zu beraten, mit denen man die Erregung des Volkes beschwichtigen könnte. Alle Eingeladenen kamen, außer Mulla Muhammad-i-Hamzih, der darum bat, dass ihm die Teilnahme an dieser Zusammenkunft erlassen würde. Er hatte schon während der Belagerung der Festung mehrfach versucht, die Leute zum Gewaltverzicht zu bewegen. Ihm hatte Quddüs wenige Tage vor Aufgabe der Festung durch einen vertrauten Gefährten aus Mázindarán eine verschlossene Satteltasche geschickt, die den Text seiner Auslegung des Sád von Samad sowie seine anderen Schriften und Papiere enthielt. Ihr Schicksal ist bis auf den heutigen Tag unbekannt.
Kaum hatten die 'Ulamás sich versammelt, als der Prinz befahl, Quddüs herbeizubringen. Seit dem Tag, da Quddüs die Festung verlassen hatte und der Aufsicht des Farrásh-Báshí übergeben worden war, war er nicht zu dem Prinzen befohlen worden. Als er eintrat, erhob sich der Prinz und lud ihn ein, neben ihm Platz zu nehmen. An den Sa'ídu'l-'Ulamá' gewandt, bat er dringend darum, dass die Gespräche leidenschaftslos und gewissenhaft geführt würden. „Eure Erörterungen", machte er geltend, „müssen sich um die Verse des Qur'án und die Überlieferungen Muhammads drehen und darauf beruhen, denn nur dadurch könnt ihr die Wahrheit oder Falschheit eurer Behauptungen dartun." „Aus welchem Grund", fragte der Sa'ídu'l-'Ulamá* frech, „hast du dir einen grünen Turban auf den Kopf gesetzt und dir damit ein Recht angemaßt, auf das nur ein wahrer Abkomme des Propheten Anspruch hat? Weißt du nicht, dass, wer diese heilige Tradition missachtet, von Gott verflucht ist?" „War Siyyid Murtadá, den alle anerkannten 'Ulamás preisen und achten, durch seinen Vater oder seine Mutter ein Abkömmling des Propheten?" erwiderte Quddüs ruhig. Einer der Anwesenden erklärte sogleich, dass lediglich die Mutter eine Siyyid gewesen sei. „Weshalb erhebt ihr dann bei mir Einwendungen", erwiderte Quddüs, „wo doch meine Mutter bei den Einwohnern dieser Stadt voy jeher als ein direkter Abkömmling des Imam Hasan anerkannt war? Wurde sie nicht um ihrer Abstammung willen von jedem von euch in Ehren gehalten, ja verehrt?"
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Niemand wagte ihm zu widersprechen. Der Sa'ídu'l-'Ulamá' brach in Empörung und Verzweiflung aus. Wütend warf er seinen Turban zu Boden und stand auf, um die Versammlung zu verlassen. „Diesem Mann", donnerte er, bevor er ging, „ist es gelungen, euch zu beweisen, dass er ein Abkömmling des Imam Hasan sei. Binnen kurzem wird er auch noch seinen Anspruch rechtfertigen, das Sprachrohr Gottes und der*Offenbarer Seines Willens zu sein!" Der Prinz sah sich zu folgender Erklärung veranlasst: „Ich wasche meine Hände in Unschuld für alles Ungemach, das diesen Mann befällt. Macht mit ihm, was ihr wollt. Ihr werdet euch selbst am Tag des Gerichts vor Gott zu verantworten haben." Nach diesen Worten rief er sogleich nach seinem Pferd und brach, von seinen Dienern begleitet, nach Sari auf. Eingeschüchtert durch die Verwünschungen der 'Ulamás und ungeachtet seines Eides überließ er Quddús schmählich den Händen seiner unerbittlichen Feinde, jenen gierigen Wölfen, die nur auf den Augenblick lauerten, wo sie sich mit hemmungsloser Gewalt auf ihr Opfer stürzen und ihre niedrigsten Rache- und Haßgelüste an ihm auslassen konnten.
Kaum hatte sie der Prinz von den vorherigen Einschränkungen entbunden, da machten sich die 'Ulamás und das Volk von Bárfurúsh unter den Anweisungen des Sa'ídu'l-'Ulamá'42' auf, dem Leib ihres Opfers derart abscheuliche Grausamkeiten zuzufügen, dass keine Feder sie beschreiben kann. Nach dem Zeugnis Bahá'u'lláhs wurde dieser heldenhafte Jüngling, der noch an der Schwelle seines Lebens stand, Foltern unterworfen und erlitt einen Tod, wie selbst Jesus in der Stunde Seiner größten Todesqual nicht. Das Fehlen jeglicher Einschränkung von Seiten der Regierungsgewalt, die erfinderische Grausamkeit der Folterknechte von Bárfurúsh, der wilde Fanatismus in der Brust seiner schiitischen Einwohner, die moralische Unterstützung durch die Würdenträger von Kirche und Staat in der Hauptstadt, und vor allem anderen die Heldentaten des Opfers und seiner Gefährten^ welche die Erbitterung noch steigerten, - das alles stärkte die Hände der Angreifer und steigerte die teuflische Grausamkeit, die seinen Märtyrertod kennzeichnete.
42i »Die Bábí stellten aufmerksam fest, dass der Sa'ídu'l-'Ulamá' einige Zeit darnach von einer unbekannten Krankheit befallen wurde. Trotz der Pelze, in die er sich hüllte, trotz des Feuers, das ständig in seinem Zimmer brannte, zitterte er vor Kälte und hatte so hohes Fieber, dass nichts seinen unerträglichen Durst löschen konnte. Er starb; sein wunderschönes Haus blieb verlassen und verfiel zur Ruine. Allmählich wurde es zur Gewohnheit, auf dem Platz, wo es gestanden hatte, Müll abzuladen. Dies hat sich den Mázindaránern so tief ins Gedächtnis gegraben, dass sie, wenn sie sich beschimpfen, am Schluss immer sagen: ,Möge deinem Haus dasselbe Schicksal widerfahren wie dem des Sa'ídu'l-'Ulamá'." (A. L. M. Nicolas, Siyyid 'Ali-Muhammad dit le Báb, S. 330.)
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Die Umstände waren so schlimm, dass der Báb, der damals in der Burg Chihriq gefangen lag, sechs Monate lang weder zu schreiben noch zu diktieren imstande war. Sein tiefer Kummer ließ die Stimme der Offenbarung verstummen und brachte Seine Feder zum Schweigen. Wie tief trauerte Er um den Verlust! Welche Qual muss aus Ihm geschrien haben, als Ihm die Kunde von der Belagerung, den unermesslichen Leiden, dem schändlichen Verrat und dem Massenmord an den Gefährten von Shaykh Tabarsi zu Ohren kam und sich yor Seinen Augen entfaltete! Welchen Schmerz muss Er gelitten haben, als Er von der schändlichen Behandlung erfuhr, die das Volk von Bárfurúsh Seinem geliebten Quddüs in der Stunde des Martyriums angetan hatte, wie ihm die Kleider vom Leibe gerissen, wie der Turban, den Er ihm geschenkt hatte, besudelt worden war, wie man ihn barfuß und barhäuptig in Ketten durch die Straßen geführt hatte, gefolgt und verhöhnt von der ganzen Bevölkerung der Stadt, wie er, von dem johlenden Mob verflucht und bespien, vom Abschaum der weiblichen Einwohner mit Messern und Äxten angegriffen, wie sein Leib durchbohrt, verstümmelt und schließlich den Flammen übergeben worden war!
Mitten in seinen Qualen hörte man Quddús leise um Vergebung für seine Feinde beten. „Vergib, o mein Gott", rief er, „die Vergehen dieser Menschen. Behandle sie nach Deiner Barmherzigkeit, denn sie wissen nicht, was wir
Die Madrisih von Mtrzá Zaki in Bárfurúsh
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Die Madrisih von Mírzá Zakí in Bárfurúsh, Quddús Ruhestätte
schon entdeckt haben und lieben. Ich habe mich bemüht, ihnen den Pfad zu ihrer Errettung zu zeigen; sieh, wie sie sich aufgemacht haben, mich zu überwältigen und zu töten! Zeige ihnen, o Gott, den Weg der Wahrheit und wandle ihre Unwissenheit in Glauben!" In seiner Todesstunde sah man den Siyyid-i-Qumi, der so niederträchtig die Festung verlassen hatte, an ihm vorübergehen. Wie er seine Hilflosigkeit sah, schlug er ihm ins Gesicht. „Du hast behauptet", schrie er in überheblichem Hohn, „dass deine Stimme die Stimme Gottes ist. Wenn du die Wahrheit sprichst, dann zerreiße deine Fesseln und befreie dich aus den Händen deiner Feinde." Quddús schaute ihm fest ins Gesicht, seufzte schwer und sprach: „Möge dir Gott deine Tat lohnen, da du geholfen hast, das Maß meiner Leiden zu vergrößern." Als er zum Sabzih-Maydán kam, erhob er seine Stimme und sprach: „Ich wollte, meine Mutter wäre bei mir und könnte mit eigenen Augen den Glanz meines Hochzeitsfestes sehen!" Kaum hatte er diese Worte gesprochen, da fiel die wütende Menge über ihn her, riss seinen Körper in Stücke und warf die
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zerfetzten Glieder in ein dafür vorbereitetes Feuer. Um Mitternacht hat ein ergebener Freund43*, was an Überresten des verbrannten und verstümmelten Leibes noch vorhanden war, aufgesammelt und unweit der Stelle seines Märtyrertodes beigesetzt.44)
43) „Auf alle Fälle hat offenbar nach dem Märtyrertod von Jináb-i-Quddús ein frommer Geistlicher namens Hájí Muhammad-'Aliy-i-Hamzih, allgemein angesehen für seine Geistesgaben und Fähigkeiten in der Schriftauslegung, insgeheim einige Menschen dazu gebracht, die verstummelten Überreste in den Ruinen der schon erwähnten Schule zu begraben. Weit davon entfernt, das Verhalten des Sa'ídu'l-'Ulamá' zu billigen - er pflegte im Gegenteil ihn zu schmähen und zu verfluchen -, hat er selbst niemals ein Todesurteil gegen einen Bábí ausgesprochen; aber er erreichte immer ein angemessenes Begräbnis für die vom Sa'ídu'l-'Ulamá' Getöteten. Und wenn ihn jemand nach der Besatzung der Festung fragte, antwortete er: ,Ich verurteile sie nicht und spreche nicht schlecht von ihnen.' Daher kam es auch, dass halb Bárfurúsh sich neutral verhielt, denn er hatte den Menschen zunächst verboten, die Bábí zu verleumden und zu belästigen. Doch später, als die Unruhen wuchsen, hielt er es für ratsam, still zu sein und sich in seinem Haus einzuschließen. Seine einfache Lebensweise, seine Frömmigkeit, Gelehrsamkeit und Tugend waren der Bevölkerung von Mázindarán ebenso bekannt wie die Gottlosigkeit, die Sittenlosigkeit und Weltlichkeit des Sa'íduVUlamá'." (Tärfto-i-Jodid, S. 92.)
44' „Der ihn (Quddiis) erkannt und mit ihm die Pilgerfahrt gemacht hat, ist derjenige, über den acht Einheiten hingegangen sind, und Gott wird ihn bei seinen Engeln in den höchsten Himmeln ehren um der Art willen, wie er sich von allem losgelöst hat, und weil er ohne Tadel und zur Zufriedenheit Gottes ist." (Le Bayán Persan, Band 2, S. 164.) „Noch wunderbarer als die oben beschriebenen Ereignisse ist jedoch der Bericht darüber, den 'Abbás-Qulí Khan dem Prinzen Ahmad Mírzá mit vielen Worten der Bewunderung erstattet hat. Der verstorbene Hájí Mírzá Jání schreibt: ,Etwa zwei Jahre nach der Katastrophe von Shaykh Tabarsi hörte ich einen nicht gläubigen, doch ehrenhaften, zuverlässigen und vertrauenswürdigen Mann folgendes erzählen: „Wir saßen beisammen, als eine Anspielung auf den Krieg fiel, den einige der Anwesenden gegen Hadrat-i-Quddús und Jináb-i-Bábu'1-Báb führten. Prinz Ahmad Mírzá und 'Abbás-Qulí Khan gehörten auch zu dieser Gruppe. Der Prinz wollte von 'Abbás-Qulí Khan Näheres darüber hören, und dieser erwiderte: ,Die Sache ist die: Wer ohne Karbilá gesehen zu haben Tabarsi gesehen hätte, der hätte nicht nur begriffen, was dort geschah, er hätte auch nicht länger darüber nachgedacht; und hätte er Mulla Husayn von Bushrüyih gesehen, so wäre er davon überzeugt gewesen, dass der Höchste Märtyrer auf die Erde zurückgekehrt wäre. Und wäre er Zeuge meines Handelns geworden, so hätte er sicherlich gesagt: „Das ist Shimr, der mit Schwert und Speer wiedergekommen ist." Ich schwöre bei der heiligen Feder Seiner Erhabenheit des Mittelpunkts des Weltalls, dass Mulla Husayn eines Tages mit einem grünen Turban auf dem Haupt und einem Leichentuch um die Schulter aus der Burg heraustrat, auf freiem Feld stehen blieb und auf den Speer in seiner Hand gelehnt sprach: „O Menschen, weshalb handelt ihr ohne zu prüfen, nur nach eurer Leidenschaft und aufgrund voreingenommener Fehldarstellungen so grausam gegen uns? Weshalb trachtet ihr darnach, grundlos unschuldig Blut zu vergießen? Schämt euch vor dem Schöpfer des Weltalls und gebt uns wenigstens den Weg frei, damit wir dieses Land verlassen können." Als ich sah, dass die Soldaten davon bewegt waren, ließ ich das Feuer eröffnen und befahl Ben Truppen zu schreien, um seine Stimme zu übertönen. Aber immer noch hörte ich, wie er, auf seinen Speer
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An dieser Stelle erscheint es angemessen, die Märtyrer aufzuzeichnen, die an der Verteidigung der Festung von Shaykh Tabarsi beteiligt waren, in der Hoffnung, dass kommende Geschlechter sich mit Stolz und Dankbarkeit der Namen und Taten jener Pioniere erinnern, die durch ihr Leben und ihren Tod die Annalen des unsterblichen Gottesglaubens so großartig bereichert haben. Diese Namen, welche ich aus verschiedenen Quellen zusammentragen konnte, wofür ich vor allem Ismu'lláhu'1-Mím, Ismu'lláhu'l-Javád und Ismu'lláhu'l-Asad Dank schulde, führe ich auf in der Hoffnung, dass so, wie ihre Seelen in der jenseitigen Welt mit dem Lichte unvergänglichen Ruhmes bekleidet sind,
gestützt, rief:' „Ist da einer, der mir helfen will?" Dreimal rief er so, und alle hörten seinen Ruf. Da wurden alle Soldaten still, einige begannen zu weinen, und viele der Reiter waren sichtlich gerührt. Da ich fürchtete, das Heer könnte den Gehorsam verweigern, befahl ich ihnen wiederum zu schießen und zu schreien. Da sah ich, wie Mulla Husayn das Schwert zog und sein Antlitz zum Himmel emporhob, und ich hörte ihn rufen: „O Gott, ich habe diesem Feind den Beweis erbracht, aber es hilft nichts." Dann begann er uns mit der Rechten und der Linken anzugreifen. Ich schwöre bei Gott, an jenem Tag hat er das Schwert in einer Weise geführt, wie es Menschenkraft übersteigt. Einzig die Reiter von Mázindarán hielten stand und flohen nicht. In der Hitze des Kampfes verfolgte Mulla Husayn einen fliehenden Soldaten. Der Soldat suchte Deckung hinter einem Baum und versuchte sich mit seiner Flinte zu schützen. Mulla Husayn versetzte ihm einen derartigen Streich mit seinem Schwert, dass er ihn, den Baum und die Flinte in sechs Stücke hieb. Und während des ganzen Krieges verfehlte sein Schwert nicht ein einziges Mal sein Ziel, jeder Hieb saß. Ich konnte an der Art der Verwundung erkennen, wer von Mulla Husayns Schwert niedergestreckt worden war; und seitdem ich gehört hatte und wusste, dass keiner imstande war, das Schwert so zu führen wie der Führer der Gläubigen, und dass es nahezu unmöglich war, dass ein Schwert so gut trifft, verbot ich allen, die das mit angesehen hatten, davon zu sprechen und es bekannt werden zu lassen, damit die Truppen nicht den Mut verlören und schwach im Kampf würden. Ich weiß wirklich nicht, was man diesen Leuten gezeigt hat oder was sie gesehen haben, dass sie mit einer solchen Bereitwilligkeit und Freude zum Kampf angetreten sind, dass sie sich so tapfer und froh geschlagen haben, ohne dass man ihren Gesichtern die geringste Spur von Angst oder Besorgnis angesehen hätte. Man hätte meinen können, dass in ihren Augen das scharfe Schwert und der blutige Dolch nur die Mittel wären, das ewige Leben zu erlangen, so begierig boten sie Nacken und Brust dar, als sie sich wie Salamander um den Feuerregen unserer Kugeln scharten. Das Erstaunliche daran war, dass alle diese Männer Gelehrte waren, zurückgezogen lebende Männer aus Schule und Kloster, unterernährt, von zarter Gestalt und wirklich an Strenge gewöhnt, doch fremd waren ihnen der Kanonendonner, das Knattern der Gewehre und das Schlachtfeld. Überdies waren sie während der letzten drei Monate der Belagerung völlig ohne Brot und Wasser und waren äußerst geschwächt, da sie nicht mehr das Mindeste hatten, das zum Leben notwendig ist. Und trotzdem hatte es den Anschein, als ob während des Kampfes ein neuer Geist über sie gekommen wäre. Denn unfasslich waren ihr Mut und ihre Tapferkeit. Nicht nur mutig und furchdos boten sie ihre Leiber den Kugeln der Gewehre und Kanonen dar, vielmehr begierig und mit Freude, als betrachteten sie das Schlachtfeld als Festsaal und wären erpicht, das Leben wegzuwerfen.' " ' " {Tärikt-i-Jadtd, S. 106-109.)
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sie auch für immer in aller Munde seien, dass ihre Erwähnung auch fernerhin dieselbe Begeisterung und Hingabe in den Herzen derer wecke, denen dieses unschätzbare Erbe weitergegeben worden ist. Ich konnte durch meine Gewährsleute nicht nur die Namen der meisten sammeln, die im Verlauf der denkwürdigen Belagerung gefallen sind, sondern auch eine ansehnliche, wenn auch unvollständige Liste der Märtyrer aufstellen, die vom Jahr 6045) bis auf den heutigen Tag, dem letzten Teil des Monats RaWu'l-Awal des Jahres 1306 n/d.H.46) ihr Leben auf dem Pfade der Sache Gottes hingegeben haben. Ich beabsichtige, mit jedem dieser Namen das besondere Ereignis zu erwähnen, mit dem er hauptsächlich verknüpft ist. Die Namen derer, die bei der Verteidigung der Festung Tabarsi den Kelch des Märtyrertodes geleert haben, sind die folgenden:
1. Als erster und an der Spitze von aUen steht Quddus, dem der Beb den Namen Ismu'lláhu'1-Ákhar47' verliehen hat. Er, der letzte Buchstabe des Lebendigen, des Báb erwählter Gefährte auf Seiner Pilgerfahrt nach Mekka und Medina, war zusammen mit Mulla Sádiq und Mulla 'Ali-Akbar-i-Ardistání der erste, der um der Sache Gottes willen auf persischem Boden Verfolgung zu erdulden hatte. Er war erst achtzehn Jahre alt, als er seine Heimatstadt Bárfurúsh verließ und nach Karbilá ging. Etwa vier Jahre lang saß er Siyyid Kázim zu Füßen, und im Alter von zweiundzwanzig Jahren traf und erkannte er seinen Geliebten in Shíráz. Fünf Jahre später,, am dreiundzwanzigsten Jamádíyu'th-Thání des Jahres 1265 n.d.H.48' war ihm bestimmt, auf dem Sabzih-Maydán von Bárfurúsh als ein Opfer raffiniertester, wildester Grausamkeit unter den Händen seiner Feinde zu sterben. Der Báb und später Bahá'u'lláh haben in zahllosen Tablets und Gebeten seinen Verlust beklagt und ihm Nachrufe gewidmet. So hoch stand er bei Bahá'u'lláh in Ehren, dass Dieser ihm in Seinem Kommentar über den Vers von Kullu't-Tatam49),. den Er in Baghdád offenbarte, die unvergleichliche Stufe des Nuqtiy-i-Ukhrá50) zugesprochen hat, eine Stufe nächst der des Báb selbst.51'
4* 1260 n.d.H., 1844 n. Chr.
**) November/Dezember 1888 n. Chr.
47' wörtlich „der Letzte Name Gottes".
48> 16. Mai 1849 n.Chr.
4» Qur'án 3:93.
s°) wörtlich »der Letzte Punkt".
51) vergl. Anmerkung 44.
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Mulla Husayn mit dem Beinamen Bábu'1-Báb war der erste, der die neue Offenbarung erkannte und annahm. Auch er verließ im Alter von achtzehn Jahren seine Heimatstadt Bushrúyih in Khurásán und ging nach Karbilá; neun Jahre lang stand er in enger Beziehung zu Siyyid Kázim. Vier Jahre vor der Erklärung des Báb begegnete er auf Veranlassung von Siyyid Kázim in Isfahán dem gelehrten Mujtahid Siyyid Báqir-i-Rashtí und in Mashhad Mírzá 'Askarí; beiden übermittelte er würdig und redegewandt die Botschaften, mit denen ihn sein Führer betraut hatte. Die Begleitumstände seines Märtyrertodes brachten unaussprechlichen Schmerz über den Báb, einen Schmerz, der in Nachrufen und Gebeten seinen Ausdruck fand, die an Umfang dem Dreifachen des Qur'án gleichkamen. In einem Seiner Besuchstabiets versichert der Báb, dass an dem Ort, wo die Überreste von Mulla Husayn begraben liegen, selbst dem Staub eine solche Kraft verliehen sei, dass er jedem Trostbedürftigen Freude, jedem Kranken Heilung zu bringen vermöge. Im Kitáb-i-íqán preist Bahá'u'lláh noch machtvoller die Tugenden Mulla Husayns. „Wäre es nicht um seinetwillen", so schreibt Er, „so hätte Gott nicht den Sitz Seiner Gnade eingenommen und hätte nicht den Thron ewigen Ruhms bestiegen!"52*
Mírzá Muhammad-Hasan, der Bruder Mulla Husayns.
Mírzá Muhammad-Báqir, der Neffe Mulla Husayns. Er und Mírzá Muhammad-Hasan begleiteten Mulla Husayn von Bushrúyih nach Karbilá und von dort nach Shíráz, wo sie die Botschaft des Báb annahmen und unter die Buchstaben des Lebendigen aufgenommen wurden. Abgesehen von der Reise Mulla Husayns zur Festung Máh-Kú blieben sie ständig bei ihm, bis sie in der Festung Tabarsi den Märtyrertod erlitten.
Der Schwager Mulla Husayns, Vater von Mírzá Abu'l-Hasan und Mírzá Muhammad-Husayn, die beide jetzt in Bushrúyih leben und denen die Fürsorge für Varaqatu'l-Firdaws, Mulla Husayns Schwester, obliegt. Beide sind standhafte und ergebene Anhänger des Glaubens.
Der Sohn von Mulla Ahmad, der ältere Bruder des Mulla Mírzá Muhammad-i-Furúghí. Er erlitt, anders als sein Onkel Mulla Mírzá Muhammad, den Märtyrertod. Er war, wie von letzterem bezeugt wird, ein sehr frommer Jüngling und zeichnete sich durch Gelehrsamkeit und untadeligen Charakter aus.
Mírzá Muhammad-Báqir, bekannt als Harátí, obwohl er ursprünglich
J2) vergl. Anmerkung 11. 442

aus Qáyin war. Er war ein naher Verwandter von Nabil-i-Akbars Vater und war der erste, der sich in Mashhad zur Sache Gottes bekannte. Er baute das Bábíyyih und diente Quddús während seines Aufenthalts in jener Stadt mit großer Ergebenheit. Als Mulla Husayn die Schwarze Fahne hißte, eilte er mit seinem kleinen Sohn Mírzá Muhammad-Kázim begeistert zu diesem Banner und ging mit ihm nach Mázindarán. Das Kind ist gerettet worden und in Mashhad zu einem eifrigen, tatkräftigen Helfer der Sache Gottes herangewachsen. Mírzá Muhammad-Báqir war der Fahnenträger der Truppe, entwarf den Plan für die Festung mit Mauern, Türmen und Gräben, ordnete als Mulla Husayns Nachfolger die Streitkräfte seiner Gefährten, führte sie gegen den Feind und war bis zur Stunde, da er als Märtyrer auf dem Pfade der Sache Gottes fiel, der enge Gefährte, Stellvertreter und vertraute Berater von Quddús.
Mírzá Muhammad-Taqíy-i-Juvayní aus Sabzihvár, der sich durch seine literarische Bildung auszeichnete und oft von Mulla Husayn damit beauftragt wurde, den Angriff gegen den Feind anzuführen. Sein Kopf und der seines Kameraden Mírzá Muhammad-Báqir wurden auf Lanzen gesteckt und unter dem Geschrei und Gejohle der erregten Bevölkerung durch die Straßen von Bárfurúsh getragen.
Qambar-'Ali, der furchtlose und treue Diener Mulla Husayns, der ihn auf seiner Reise nach Máh-Kú begleitete und in derselben Nacht den Märtyrertod erlitt, in der sein Herr den Kugeln des Feindes zum Opfer fiel.
16. Hasan und
Quli, die zusammen mit einem Mann namens Iskandar, gebürtig aus Zanjan, den Leib Mulla Husayns in der Nacht seines Märtyrertodes in die Festung trugen und Quddús zu Füßen legten. Hasan wurde auf Weisung des Polizeichefs von Mashhad an einem Strick durch die Straßen der Stadt geführt.
Muhammad-Hasan, der Bruder von Mulla Sádiq, den Khusraws Spießgesellen auf dem Wege zwischen Bárfurúsh und der Festung Tabarsi erschlugen. Er zeichnete sich durch seine unerschütterliche Standhaftigkeit aus und war einer der Diener am Schrein des Imams Ridá.
Siyyid Ridá, der mit Mulla Yúsuf-i-Ardibílí in Quddús' Auftrag den Prinzen aufsuchte und das gesiegelte Exemplar des Qur'án mitbrachte, in dem der schriftlich niedergelegte Eid des Prinzen stand. Er war einer der bekanntesten Siyyids aus Khurásán und wegen seiner Gelehrsamkeit wie auch wegen seines untadeligen Charakters angesehen.
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Mulla Mardán-'Alí, ein ruhmreicher Gefährte aus Khurásán, Einwohner des Dorfes Míyámay mit einer starken Burg zwischen Sabzihvár und Sháh-Rúd. Er scharte sich mit dreiunddreißig Gefährten unter das Banner Mulla Husayns an dem Tag, da dieser durch das Dorf zog. In der Moschee von Míyámay, wohin sich Mulla Husayn zur Verrichtung des gemeinsamen Freitagsgebets begeben hatte, richtete er seinen aufrüttelnden Appell an die Anwesenden und legte dabei besonderen Nachdruck auf die Erfüllung der Überlieferung von der Entfaltung der Schwarzen Fahne in Khurásán, als deren Träger er sich erklärte. Seine beredte Ansprache beeindruckte die Zuhörer so tief, dass am selben Tag die Mehrzahl derer, die ihn gehört hatten, vorwiegend Männer von hohen Verdiensten, sich aufmachten und ihm folgten. Nur ein einziger dieser dreiunddreißig Gefährten, Mulla 'Isa, blieb am Leben; seine Söhne stehen heute in Míyámay tätig im Dienst an der Sache. Die Namen der Märtyrer aus Míyámay sind:
Mulla Muhammad-Mihdi,
Mulla Muhammad-Ja'far,
Mulla Muhammad-ibn-i-Mullá Muhammad,
Mulla Rahim,
Mulla Muhammad-Ridá,
Mulla Muhammad-Husayn,
Mulla Muhammad,
Mulla Yúsiif,
Mulla Ya'qúb,
«Mulla 'AH,
Mulla Zaynu'l-'Ábidín,
Mulla Muhammad, Sohn des Mulla Zaynu'l-'Ábidín,
Mulla Báqir,
Mulla 'Abdul-Muhammad,
Mulla Abu'l-Hasan,
Mulla Ismá'íl,
Mulla'Abdu'l-'Alí,
Mulla Áqá-Bábá,
Mulla 'Abdu'1-Javád,
Mulla Muhammad-Husayn,
Mulla Muhammad-Baqir,
Mulla Muhammad,
Hájí Hasan,
Karbüá'í'Ali,
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Mulla KarbÜá'í'Ali,
Karbilá'í Núr-Muhammad,
Muhammad-Ibráhím,
Muhammad-Sá'im,
Muhammad-Hádí,
Siyyid Mihdí,
Abú-Muhammad.
Unter den Gefährten des Dorfes Sang-Sar, das zum Bezirk von Simnán gehört, fanden achtzehn den Märtyrertod. Ihre Namen sind:
Siyyid Ahmad, dessen Leib von Mírzá Muhammad-Taqi und den sieben 'Ulamás von Sari in Stücke gehackt wurde. Er war ein bekannter Geistlicher, für seine Beredsamkeit und Fömmigkeit hoch geschätzt.
Mir Abu'1-Qásim, der Bruder von Siyyid Ahmad, der die Krone des Märtyrertums in derselben Nacht erwarb, in der Mulla Husayn den Tod fand.
Mir Mihdí, Siyyid Ahmads Onkel väterlicherseits,
Mir Ibrahim, Siyyid Ahmads Schwager,
Safar-'Ali, der Sohn von Karbilá'í 'Ali, der sich mit Karbilá'í Muhammad eifrig bemüht hatte, die Bewohner von Sang-Sar aus dem Schlaf ihrer Achtlosigkeit wachzurütteln.' Wegen ihrer Gebrechen konnten sich beide nicht zur Festung von Tabarsi begeben.
Muhammad-'Ali, der Sohn von Karbilá'í Abú-Muhammad,
Abu'l-Qásim, der Bruder von Muhammad-'Ali,
Karbilá'í Ibrahim,
'Ali-Ahmad,
Mulla 'Ali-Akbar,
56. Mulla Husayn-'Ali,
£7-i í&bbás-'Atí,
Husayn-'Ali,
Mulla 'Ali-Asghar, . 60. Karbilá'í Ismá'íl,

'AM Khan,
Muhammad-Ibráhím,
'AbduVAzím.
Aus dem Dorf Shah-Mírzád fielen bei der Verteidigung der Festung zwei:
Mulla Abú-Rahím und
Karbilá'í Kázim. •
Von den Anhängern« des Glaubens in Mázindarán wurden bis jetzt siebenundzwanzig Märtyrer bekannt:
445

Mulla Ridáy-i-Sháh,
'Azím,
Karbilá'í Muhammad-Ja'far,
Siyyid Husayn,
Muhammad-Báqir,
Siyyid Razzáq, •
Ustád Ibráhím,
Mulla Sa'íd-i-Zirih-Kinárí,
Ridáy-i-'Arab,
Rasúl-i-Bahnimírí,
Muhammad-Husayn, der Bruder des Rasúl-i-Bahnimírí,
Táhir,
Shan",
Qásim,
Mulla Muhammad-Ján,
Masíh, der Bruder des Mulla Muhammad-Ján,
Itá-Bábá,
Yúsuf,
Fadlu'lláh,
Bábá,
Safí-Qulí,
Nizám,
Rúhu'lláh,
'Alí-Qulí,
Sultán,
Ja'far,
Khalíl.
Von den Gläubigen aus Savád-Kúh wurden bis jetzt die fünf folgenden Namen
ermittelt:
Karbilá'í Qambar-Kálish,
Mulla Nád-'Alíy-i-Mutavallí,
'Abdu'1-Haqq,
Ítábakí-Chúpán,
Der Sohn des Ítábakí-Chúpán.
Aus der Stadt Ardistán haben die folgenden den Märtyrertod erlitten:
Mírzá 'Ali-Muhammad, der Sohn des Mírzá Muhammad-Sa'id,
Mírzá 'Abdu'-Vási', der Sohn des Hájí 'Abdu'l-VahháB,

Muhammad-Husayn, der Sohn des Hájí Muhammad-Sádiq,
Muhammad-Mihdi, der Sohn des Hájí Muhammad-Ibráhím,
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Mírzá Ahmad, der Sohn des Muhsin,
Mírzá Muhammad, der Sohn des Mir Muhammad-Taqi. Aus der Stadt Isfahán wurden bisher dreißig gemeldet:

Mulla Ja'far, der Weizensieber, dessen Namen der Báb im Persischen Bayán erwähnte,
Ustád Áqá mit dem Beinamen Buzurg-Banná,
Ustád Hasan, der Sohn des Ustád Áqá,
Ustád Muhammad, der Sohn des Ustád Áqá,
Muhammad-Husayn, der Sohn des Ustád Áqá, dessen jüngerer Bruder Ustád Ja'far mehrmals von seinen Feinden verkauft wurde, bis er seine Heimatstadt erreichte, wo er jetzt lebt.
109.ft¿Ustád Qurbán-'Alíy-i-Banná,
'Ali-Akbar, der Sohn des Ustád Qurbán-'Alíy-i-Banná,
'Abdullah, der Sohn des Ustád Qurbán-'Alíy-i-Banná,
Muhammad-i-Báqir-Naqsh, der Onkel mütterlicherseits von Siyyid Yariyá, dem Sohn des Mírzá Muhammad-'Aliy-i-Nahri. Er war vierzehn Jahre alt und erlitt den Märtyrertod in derselben Nacht, als Mulla Husayn den Tod fand.
Mulla Muhammad-Taqi,
Mulla Muhammad-Ridá, beide Brüder des verstorbenen 'Abdu'1-Sáli^, des Gärtners im Ridván von 'Akká.
Mulla Ahmad-i-Saffär,
Mulla Husayn-i-Miskar,
Ahmad-i-Payvandi,
Hasan-i-Sha'r-Baf-i-Yazdi,
Muhammad-Taqi,
Muhammad-'Attár, der Bruder des Hasan-i-Sha'r-Baf,
Mulla 'Abdu'1-Kháliq, der sich in Badasht die Kehle durchschnitt und den Táhirih Dhabíh nannte.
Husayn,
Abu'l-Qásim, Husayns Bruder,
Mírzá Muhammad-Ridá,
Mulla Haydar, der Bruder des Mírzá Muhammad-Ridá,
Mírzá Mihdí,
Muhammad-Ibráhím,
Muhammad-Husayn, mit dem Beinamen Dastmál-Girih-Zan,
Muhammad-Hasan«i-Chít-Sáz, ein bekannter Tuchhersteller, der in die Gegenwart des Báb gelangte.
Muhammad-Husayn-i-'Aftár,
447

Ustád Hájí Muljammad-i-Banná,
Mahmúd-i-Muqári'í, ein bekannter Tuchhändler. Er war frisch verheiratet und auf der Burg Chihriq mit dem Báb zusammengekommen. Der Báb hatte ihn dringend gebeten, zum Taziriy-i-Khadrá zu gehen und Quddús beizustehen. Während er in Tihrán war, erhielt er von seinem Bruder einen Brief mit der Nachricht von der Geburt eines Sohnes und der dringenden Bitte, schnell nach Isfahán zu kommen, um ihn zu sehen und von dort aus weiterzureisen, wohin er wolle. „Mich hat die Liebe zu dieser Sache zu sehr entflammt*4, antwortete er, „als dass ich meinem Sohn Aufmerksamkeit widmen könnte. Ich bin ungeduldig, Quddús zu treffen und mich unter sein Banner zu stellen."
Siyyid Muhammad-Ri4áy-i-Pá-Qariyí, ein hervorragender Siyyid und hochgeachteter Geistlicher, dessen erklärte Absicht, sich unter das Banner Mulla Husayns zu stellen, unter den 'Ulamás von Isfahán große Aufregung hervorrief.
Unter den Gläubigen von Shíráz erreichten die folgenden die Stufe des Märtyrertums:
Mulla 'Abdu'lláh, auch unter dem Namen Mírzá Sálih bekannt.
Mulla Zaynu'l-'Ábidín,
Mírzá Muhammad.
Von den Anhängern des Glaubens in Yazd sind bis jetzt nur vier verzeichnet worden:
Der Siyyid, der den ganzen Weg von Khurásán bis Bárfurúsh zu Fuß zurücklegte, wo er einer feindlichen Kugel zum Opfer fiel.
Siyyid Ahmad, der Vater des Siyyid Husayn-i-'Aziz, des Sekretärs des Báb,
Mírzá Muhammad-'Alí, der Sohn des Siyyid Ahmad, dem der Kopf von einer Kanonenkugel abgerissen wurde, als er am Eingang der Festung stand, und den Quddús ob seines zarten Alters sehr liebte und bewunderte.
Shaykh 'Ali, der Sohn des Shaykh ' Abdu'1-Kháliq-i-Yazdi, ein Bewohner von Mashhad, ein Jüngling, dessen Begeisterung und unermüdliche Tatkraft Mulla Husayn und Quddús hoch gepriesen haben.
Von den Gläubigen aus Qazvin sind die folgenden den Märtyrertod gestorben:
141. Mírzá Muhammad-'Alí, ein bekannter Geistlicher, dessen Vater Hájí
Mulla 'Abdu'1-Vahháb einer der hervorragendsten Mujtahids in Qazvin
war. Er kam in Shíráz mit dem Báb zusammen und war einer der
Buchstaben des Lebendigen.
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Muhammad-Hádí, ein bekannter Kaufmann, der Sohn des Hájí 'Abdu'l-Karim, der den Beinamen Bághbán-Báshí führte.
Siyyid Ahmad,
Mírzá 'Abdu'l-Jalfl, ein bekannter Geistlicher,
Mírzá Mihdí,
Aus dem Dorf Lahárd war es ein Mann namens Hájí Muhammad-'Ali, der infolge des Mordes an Mulla Taqi in Qazvin viel zu leiden hatte.
Vbn den Gläubigen in Khuy haben die folgenden den Märtyrertod erlitten:
147. Mulla Mihdí, ein bedeutender Geistlicher, der einer der geachteten
Schüler von Siyyid Kázim gewesen ist. Er war für seine Gelehrsamkeit,
Redegewandtheit und Glaubensstärke bekannt.
Mulla Mahmúd-i-Khu'í, der Bruder des Mulla Mihdí, einer der Buchstaben des Lebendigen und ein hervorragender Geistlicher.
Mulla Yúsuf-i-Ardibílí, einer der Buchstaben des Lebendigen, für seine Gelehrsamkeit, seine Begeisterung und Redegewandtheit bekannt. Er erregte bei seiner Ankunft in Kirmán die Besorgnis des Hájí Karím Khan und versetzte die Herzen seiner Gegner in Schrecken. „Dieser Mann**, hörte man Hájí Karím Khan zu seiner Gemeinde sagen, „muss unbedingt aus dieser Stadt ausgewiesen werden, denn wenn man ihm zu bleiben erlaubt, wird er bestimmt in Kirmán denselben Aufruhr verursachen, wie er es bereits in Shíráz getan hat. Der Schaden, den er stiften würde, wäre nicht wiedergutzumachen. Der Zauber seiner Redegewandtheit und die Macht seiner Persönlichkeit sind zweifellos nicht geringer als die von Mulla Husayn, wenn sie sie nicht noch übertreffen." So zwang man ihn, seinen Aufenthalt in Kirmán abzukürzen, und hinderte ihn, von der Kanzel herab zur Bevölkerung zu sprechen. Der Báb gab ihm folgende Weisungen: „Du musst Persiens Städte und Ortschaften besuchen und ihre Bewohner zur Sache Gottes rufen. Am ersten Tag des Monats Muharram im Jahre 1265 n.d.H.53) musst du in Mázindarán sein und Quddús allen in deiner Macht liegenden Beistand leisten." Getreu den Weisungen seines Meisters, lehnte es Mulla Yúsuf ab, seinen Aufenthalt in den jeweils besuchten Städten und Plätzen über eine Woche hinaus auszudehnen. Bei seiner Ankunft in Mázindarán wurde er von den Truppen des Prinzen Mihdí-Qulí Mírzá, der ihn sogleich erkannte, gefangengesetzt. Wie wir schon erfahren haben, wurde er durch die Gefährten Mulla Husayns am Tag des Kampfes von Vás-Kas endlich befreit. •
53> 27. November 1848 n. Chr.
449

Mulla Jalíl-i-Urúmí, einer der Buchstaben des Lebendigen, bekannt wegen seiner Gelehrsamkeit, seiner Redegewandheit und Glaubensstärke.
Mulla Ahmad, ein Einwohner von Marághih, einer der Buchstaben des Lebendigen und ein hervorragender Schüler von Siyyid Kázim.
Mulla Mihdiy-i-Kandi, ein enger Gefährde Bahá'u'lláhs und Privatlehrer der Kinder Seines Haushalts.
Mulla Báqir, der Bruder des Mulla Mihdi, beide sehr gelehrte Männer, deren bedeutende Kenntnisse Bahá'u'lláh im Kitáb-i-íqán bezeugt.
Siyyid Kázim, ein Bürger und bekannter Kaufmann aus Zanjan. Er kam in Shíráz mit dem Báb zusammen und begleitete Ihn nach Isfahán. Sein Bruder, Siyyid Murtadá, war einer der Sieben Märtyrer von Tihrán.
Iskandar, ebenfalls ein Bewohner Zanjáns, der zusammen mit Hasan und Quli den Leib Mulla Husayns in die Festung trug.
Ismá'íl,
Karbilá'í 'Abdu'l-'Alí,
'Abdu'l-Muhammad,
Hájí 'Abbás,
Siyyid Ahmad - alle waren Bewohner von Zanjan.
Siyyid Husayn-i-Kuláh-Dúz, ein Bürger von Bárfurush, dessen Kopf, auf eine Lanze gespießt, durch die Straßen getragen wurde.
Mulla Hasan-i-Rashti,
Mulla Hasan-i-Bayájmandí,
Mulla Ni'matu'lláh-i-Bárfurúshí,
Mulla Muhammad-Taqíy-i-Qarákhílí,
Ustád Zaynu'l-'Abidín,
Ustád Qásim, Sohn des Ustád Zaynu'l-'Abidín,
Ustád 'Alí-Akbar, der Bruder des Ustád Zaynu'l-'Abidín.
Die letzten drei waren Maurer von Beruf; sie stammten aus Kirmán und wohnten in Qáyin in der Provinz Khurásán.
169. und 170. Mulla Ridáy-i-Sháh und ein junger Mann aus Bahnimir
wurden zwei Tage nachdem Quddüs die Festung verlassen hatte, im
Panj-Shanbih-Bázár von Bárfurush erschlagen. Dem Hájí Mulla
Muhammad-i-Hamzih, mit dem Beinamen Sharí'at-Madár, gelang es,
ihre Körper in der Nähe der Masjid-i-Kazim-Big zu beerdigen und ihren
Mörder dazu zu bringen, dass er bereute und um Vergebung bat.
171. Mulla Muhammad-i-Mu'allim-i-Nuri, ein vertrauter Gefährte Bahá'u'lláhs, der in Nur, Tihrán und Mázindarán in enger Verbindung mit Ihm stand. Er war berühmt ob seiner Klugheit und Gelehrsamkeit
450

und hatte die furchtbarsten Rohheiten zu erdulden, die je ein Verteidiger der Festung von Tabarsi, einzig abgesehen von Quddús, erleiden musste. Der Prinz hatte versprochen, ihn unter der Bedingung freizugeben, dass er den Namen von Quddús verfluche, und ihm sein Wort darauf gegeben, dass er, wenn er zu widerrufen bereit sei, ihn nach Tihrán mitnehmen und zum Erzieher seiner Söhne machen wolle. „Nie werde ich einwilligen", erwiderte Mulla Muhammad, „den Geliebten Gottes auf das Verlangen eines Mannes wie du zu verunglimpfen. Und wenn du mir das ganze Königreich Persien gäbest, so würde ich doch keinen Augenblick das Gesicht von meinem geliebten Führer abwenden. Mein Körper ist dir preisgegeben, meiner Seele kannst du nichts anhaben. Quäle mich, wie du magst, damit ich dir die Wahrheit des Verses ,Wünschet den Tod, wenn ihr Männer der Wahrheit seid'54), beweisen kann." Der Prinz, wütend über diese Antwort, gab den Befehl, seinen Körper in Stücke zu hauen und keine Mühe zu scheuen, ihn besonders demütigend zu strafen.
Hájí Muhammad-i-Karrádí, dessen Haus in einem der Palmenhaine lag, die an die Altstadt von Baghdád anschließen, ein sehr mutiger Mann, der im Krieg gegen Ibráhím Páshá von Ägypten gekämpft und hundert Mann angeführt hatte. Er war ein eifriger Schüler von Siyyid Kázim gewesen und ist der Verfasser eines langen Gedichts, in dem er eingehend die Tugenden und Verdienste des Siyyids preist. Er war fünfundsiebzig Jahre alt, als er den Glauben des Báb annahm, den er ebenfalls in einem beredten, ausführlichen Gedicht gerühmt hat. Er zeichnete sich während der Belagerung der Festung durch heldenmütige Taten aus und fiel schließlich den Kugeln des Feindes zum Opfer.
Sa'íd-i-Jabbáví, der aus Baghdád stammte und während der Belagerung außerordentlichen Mut bewies. Er erhielt einen Bauchschuß und brachte es fertig, sich trotz seiner schweren Verwundung noch bis zu Quddús zu schleppen. Freudig warf er sich ihm zu Füßen und verschied. Die näheren Umstände des Märtyrertodes dieser beiden letzten Gefährten sind von Siyyid Abú-Tálib-i-Sang-Sarí, einem der Überlebenden der denkwürdigen Belagerung, in einem Bericht an Bahá'u'lláh geschildert worden. Er berichtet darin auch seine eigene, Geschichte und die seiner beiden Brüder, Siyyid Ahmad und Mir Abu'l-Qásim, die beide während der Belagerung der Festung den Märtyrertod erlitten. „An dem«Tag, an dem Khusraw fiel", schrieb er, „war ich
*?) Qur'án 2:94.
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zufällig der Gast eines gewissen Karbilá'í 'Alí-Ján, des Kad-khudá55 eines der Dörfer in der Nachbarschaft der Festung. Er war hingegangen, um etwas für Khusraws Schutz zu tun, und erzählte mir bei seiner
Muhammad-Ridá, ein Mitstreiter von Quddús, der den Kampf von §haykh Tabarsi überlebte
Rückkehr Näheres über seinen Tod. Gerade an diesem Tag teilte mir ein Bote mit, dass zwei Araber im Dorf angekommen wären, die darauf drängten, sich den Verteidigern der Festung anzuschließen. Sie hätten
55' Vorsteher einer Gemeinde, Dorfoberhaupt.
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zum Ausdruck gebracht, dass sie vor den Einwohnern des Dorfes Qádí-Kalá Scheu hätten, und versprochen, denjenigen reichlich zu belohnen, der bereit wäre, sie an ihr Ziel zo bringen. Ich rief mir die Ratschläge
Mírzá Abú-Tálib, ein Mitstreiter von Quddús, der den Kampf von Shaykh Tabarsi überlebte
meines Vaters Mir Muhammad-'Ali ins Gedächtnis zurück, der mich ermahnt hatte, mich aufzumachen und zu helfen, die Sache des Báb zu fördern. Ich entschloss mich sofort, die sich bietende Gelegenheit zu ergreifen, und kam so mit der Hilfe und dem Beistand des Kad-khudá, zusammen mit diesen beiden Arabern, zur Festung, begegnete dort
453

Mulla Husayn und beschloss, mein restliches Leben dem Dienst an der Sache zu weihen, für die dieser sich entschieden hatte."
Die Namen einiger Offiziere, die sich unter den Gegnern der Gefährten von
Quddus hervorgetan hatten, sind:
Prinz Mihdí-Qulí Mírzá, Bruder des verstorbenen Muhammad Sháh,
Sulaymán Khán-i-Afshár,
Hájí Mustafa Khán-i-Súr-Tíj, *
'Abdullah Khan, Bruder des Hájí Mustafa Khan,
'Abbás-Qulí Khán-i-Láríjání, der Mulla Husayn erschoß.
Núru'lláh Khán-i-Afghán,
Habíbu'lláh Khán-i-Afghán,
Dhul-Faqár Khán-i-Karávulí,
'Alí-Asghar Khán-i-Du-Dungi'í,

Khudá-Murád Khán-i-Kurd,
Khálíl Khán-i-Savád-Kúhí,
Ja'far-Qulí Khán-i-Surkh-Karri'í,
der Sartip von Fawj-i-Kalbát,
Zakaríyyáy-i-Qádí-Kalá'í, ein Vetter Khusraws und sein Nachfolger. Von den Gläubigen, die bei der denkwürdigen Belagerung beteiligt waren
und ihr tragisches Ende überlebt haben, ist es mir nicht gelungen, alle Namen und die volle Zahl festzustellen. Ich habe mich mit einer ansehnlichen, wenn auch unvollständigen Namensliste ihrer Märtyrer begnügt und hoffe, dass in späteren Tagen die tapferen Förderer des Glaubens sich aufmachen, diese Lücke zu schließen, und dass sie durch emsige Nachforschungen die Unvoll-kommenheiten dieser im ganzen unzureichenden Beschreibung dessen beheben werden, was allezeit eines der erschütterndsten Ereignisse der Neuzeit bleiben wird.
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1 D 1846 n. Chr.
2 „Er (Manuchihr Khan) war ein energischer, mutiger Mann. Im Jahre 1841 vernichtete er die Stämme der Bakhtíyárí, die sich in einem Aufstand erhoben hatten. Seine tatkräftige, strenge Verwaltung sicherte den Bewohnern von Isfahán eine gewisse Gerechtigkeit." (CR. Markham, A General Sketch of the History of Venia, S. 487.)
3 Nach Mírzá Abu'1-Fadl (Manuskript S. 66) war der Name des Imám-Jum'ih von Isfahán Mir Siyyid Muhammad, sein Titel „Sultánu'l-'Ulamá"'. „Das aus der Zeit der Safaviden stammende Amt des Sadru's-Sudur, oder des obersten Priesters, wurde von Nadir Sháh abgeschafft. Nun ist der Imám-Jum'ih von Isfahán der führende geistliche Würdenträger von ganz Persien." (CR. Markham, A General Sketch of the History of Persia, S. 365.)
4 Das bedeutet „Giftschlange".
5 Qur'án 103.
6 Muhammads „besondere Mission".
7 Hier bezieht Er sich auf Seine eigene Sendung und auf die darauffolgende Offenbarung Bahá'u'lláhs.
8 Vgl. dazu die Anmerkung K in A Travellers Harrative und Gobineau,S. 65-73.
9 „Weil Muhammad verstummt war, stellte Mírzá Muhammad-Hasan, ein Anhänger der philosophischen Lehren Mulla Sadrás, dem Báb Fragen und bat Ihn, drei Wunder so erschöpfend zu erklären, dass der Leser erleuchtet werde. Das erste ist das Tiyyu'1-Ard oder, wenn man so will, das Wunder, dass ein Mensch von einem Ort auf der Welt unmittelbar an einen anderen, weit entfernten Ort gelangen kann. Die Schiiten sind überzeugt davon, dass der dritte Imam, Javád, auf diese einfache, zweckmäßige Art gereist ist: Z.B. begab er sich innerhalb eines Augenblicks von Medina in Arabien nach Tus in Khurásán. Das zweite Wunder ist die vielfache, gleichzeitige Anwesenheit einer und derselben Person an verschiedenen Orten. 'Ali war beispielsweise in derselben Minute Gast von 60 verschiedenen Menschen. Das dritte schließlich ist ein kosmographisches Problem, das ich unseren Astronomen unterbreite, die seine Bedeutung sicherlich zu schätzen wissen. In den Überlieferungen heißt es, dass der Himmel während der Herrschaft eines Tyrannen schnell kreist, während er sich unter der Herrschaft eines Imam langsam dreht. Daraus ergibt sich erstens die Frage, wie der Himmel überhaupt zwei Bewegungen haben kann, und zweitens, was wohl während der Herrschaft der 'Umayyaden und Abbassiden geschah. Diese unsinnigen Fragen wollte man dem Báb zur Lösung vorlegen. Ich möchte mich hier nicht länger aufhalten, aber ich glaube, dass an dieser Stelle eine Bemerkung über die Mentalität der muslimischen Gelehrten in Persien angebracht ist. Wenn man bedenkt, dass die Wissenschaft des Irán seit nahezu tausend Jahren nur auf solchen oder ähnlichen Hirngespinsten beruht und die Menschen sich in ständigen Nachforschungen über solche Themen erschöpfen, dann versteht man ohne weiteres die Hohlheit und Arroganz all dieser Köpfe. Wie dem auch sei, die Versammlung wurde abgebrochen durch die Ankündigung des Essens, an dem alle teilnahmen und nach welchem sich jeder nach Hause begab." (A.L.M. Nicolas, Siyyid 'All-Muhammad dit le Báb, S. 239-40).

10 Mírzá Muhammad-Hasan und Mírzá Muhammad-Husayn starben in Isfahán den Märtyrertod (vgl. Shoghi Effendi, Gott geht vorüber, S. 228) und wurden von Bahá'u'lláh mit den Namen Sultánu'sh-Shuhadá' (König der Märtyrer) und Mahbúbu'sh-Shuhadá' (Geliebter der Märtyrer) geehrt.
11 Hinweis auf Munirih Khan ums Heirat mit 'Abdu'1-Bahá.
12 Nach Mírzá Abu'1-Fadl hatten etwa 70 hervorragende 'Ulamás und Standespersonen ihr Siegel unter ein Dokument gesetzt, das den Báb als Ketzer verurteilte und Ihn der Todesstrafe schuldig befand.
13 Ein Farsang entspricht etwa 4,5 bis 6 km, s. Worterklärung im Anhang.
14 Maydán bezeichnet einen Teil eines Farsang, s. Worterklärung im Anhang.
15 Nach A Travellers Narrative (S. 13) gab der Mu'tamid geheimen Befehl, dass sobald Múrchih-Khár (auf der nördlichen Straße die zweite Station, etwa 35 Meilen von Isfahán entfernt,) erreicht sei, der Báb nach Isfahán zurückkehren sollte.
16 „So ist dieser Raum (in dem ich mich befinde), der weder Türen noch genaue Abgrenzungen hat, heute die höchste Halle des Paradieses, denn der Baum der Wahrheit weilt darin. Es ist, als ob alle Atome dieses Raumes in einen Gesang einstimmen, der da lautet: ,Wahrlich! Ich bin Gott! Es gibt keinen Gott außer mir, dem Herrn aller Dinge.' Und sie singen es über alle Räume dieser Erde hinweg, selbst über jene, die mit Spiegeln und Gold ausgekleidet sind. Weilt der Baum
der Wahrheit aber in einem dieser geschmückten Räume, dann singen die Atome ihrer Spiegel dieses Lied, wie es die Atome der Spiegel im Palaste Sádrí taten und noch tun, denn in den Tagen von Sád (Isfahán) weilte er dort." (Le Bayán Person, Bd. 1, S. 128.)
17 Nach A Travellers Narrative, S. 13, lebte der Báb vier Monate in diesem Haus.
18 Am 4. März 1847 schrieb M. de Bonniere an den französichen Außenminister: ,Der
kürzlich verstorbene Gouverneur von Isfahán, Mu'tamidu'd-Dawlih, hinterlässt ein Vermögen,
das auf 40 Millionen Francs geschätzt wird.' " (A.L.M. Nicolas, Siyyid 'All-Muhammad dit le
Báb, S. 242, Anmerkung 192.)

19 Qur'án, 8:42
20 Nach E.G. Browne (A Travellern Narrative, Anmerkung L, S. 277) starb er im Monat Rabí'u'1-Awal des Jahres 1263 n.d.H. (Februar-März 1847 n.Chr).
21 Nach A Travellern Narrative, S. 13, war er ein Neffe des Mu'tamid.
22 Nach A Traueller's Narrative, Anmerkung 1, S. 14, waren die Männer der Eskorte Nusayri-Reiter.
23 „Chápárchí" bedeutet „Kurier".
24 „Launenhaft und voller Grillen wie er war, hatte er ganz vergessen, dass er kurz zuvor die Ermordung des Reformators befohlen hatte; jetzt fühlte er den Wunsch, diesen Mann, der so viel von sich reden machte, endlich kennenzulernen. Er befahl Gurgin Khan, ihn nach Tihrán zu schicken." (A.L.M. Nicolas, Siyyid 'AU-Muhammad dit le Báb, S. 242.)



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