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Die Bahá’í-Gemeinde und ihre gewählten Institutionen
Die Bahá’í-Religion gilt als jüngste unter den Weltreligionen. Ausweislich der Encyclopaedia Britannica (Jahrbuch 1991) ist sie nach dem Christentum die geographisch am weitesten verbreitete Religionsgemeinschaft. Rund 6 Mio. Bahá’í weltweit repräsentieren einen Querschnitt der Menschheit aus über 2100 ethnischen Gruppen, mehr als 230 Staaten und unabhängigen Territorien, von den verschiedensten sozialen und kulturellen Hintergründen. So stellen sie eine der vielfältigsten Gemeinschaften der Erde dar.

Deutschland

In Deutschland faßte die Bahá’í-Gemeinde zu Beginn dieses Jahrhunderts ab 1904 Fuß. Es entstanden rechtlich verfaßte Bahá’í-Gemeinden, seit 1923 gibt es einen Nationalen Geistigen Rat. Diese aus neun Personen bestehende Körperschaft wurde seither jährlich in freier, geheimer Wahl aus dem Kreis aller in Deutschland lebenden Bahá’í neu gewählt. Eine Ausnahme bildeten die Jahre 1937 bis 1945 aufgrund des durch einen Sondererlaß Himmlers verfügten Verbots der Bahá’í-Gemeinde, das auf die im Bahá’í-Glauben verankerten Gedanken der Völkerverständigung und der Toleranz unter den Religionen und Weltanschauungen zurückzuführen war. 1)

Der Nationale Geistige Rat der Bahá’í in Deutschland repräsentiert die Gemeinde auf bundesweiter Ebene und begeht dieses Jahr das 75-jährige Jubiläum seiner Gründung. Die auf dem ganzen Erdkreis einheitlich verfaßte, demokratische Rechtsstrukturen tragende Bahá’í-Weltgemeinde kennt weder Klerus noch monokratische Ämter. Ihre Belange werden auf örtlicher, nationaler und internationaler Ebene von gewählten Körperschaften wahrgenommen. Die Entscheidungsfindung führt dabei über einen Beratungsprozeß. So werden auch größere örtliche Gemeinden von gewählten Selbstverwaltungskörperschaften -"Geistigen Räten" - geleitet, die in Deutschland vereinsrechtlichen Status haben. Derzeit gibt es in der Bundesrepublik 107 Geistige Räte; darüber hinaus sind die Bahá’í in weiteren 800 Orten vertreten. In der deutschen Bahá’í-Gemeinde sind rund 70 Nationalitäten integriert.

Erwähnt sei auch, dass die Finanzmittel der örtlichen, nationalen und internationalen Bahá’í-Gemeinde ausschließlich aus freiwilligen Spenden der Gläubigen aufgebracht werden. Das Bahá’í-Recht läßt keine Spenden oder sonstige finanzielle Zuwendungen von außerhalb der Gemeinde Stehenden zu, es sei denn für rein karitative Zwecke.

1964 wurde in Hofheim im Taunus bei Frankfurt/Main das erste europäische Bahá’í-Haus der Andacht eingeweiht; es steht allen Menschen offen, ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung. Das Land Hessen nahm das Haus der Andacht 1991 in den Kreis der Kulturdenkmäler auf.

1986 überreichten die Bahá’í weltweit, so auch in Deutschland, eine Erklärung zum Frieden an zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und führende politische Amtsträger. In dieser Stellungnahme mit dem Titel "Die Verheißung des Weltfriedens" wurde dazu aufgerufen, ideologische Gegensätze hintanzustellen und eine die nationale Souveränität überwindende Völkerordnung zu schaffen, die die globale Vernetzung der Menschheit anerkennt.

1992 beging die deutsche Bahá’í-Gemeinde in der Frankfurter Paulskirche die Gedenkfeier zum hundertsten Jahrestag des Hinscheiden Bahá’u’lláhs (1817-1892). Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft wohnten dieser Würdigung des Stifters der Bahá’í-Religion bei. Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl, Willy Brandt sowie Professor Dr. Carl-Friedrich v. Weizsäcker sandten Grußbotschaften.

Seit einigen Jahren engagiert sich die deutsche Bahá’í-Gemeinde zunehmend in gesellschafts- und sozialpolitischen Themenfeldern. Örtliche Bahá’í-Gemeinden ergreifen Initiativen zur Völkerverständigung, beteiligen sich an Runden Tischen gegen Ausländerfeindlichkeit, unterstützen den Prozeß der Lokalen Agenda 21, wirken in interreligiösen Foren mit etc. Das Bahá’í-Frauen-Forum e.V. setzt sich seit 1996 für die Stärkung der Rolle der Frau in der Gestaltung der Gesellschaft ein und ist bemüht, den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter, wie er im Bahá’í-Glauben verankert ist, ins Bewußtsein rücken. Die deutsche Bahá’í-Jugend arbeitet europaweit wie international mit Jugendlichen aus anderen Ländern zusammen. So war sie 1997 im Rahmen des Nachfolgeprozesses zur Weltsiedlungskonferenz Habitat II bei der Youth for Habitat Konferenz in der Türkei repräsentiert. Auf regionaler Ebene initiierten engagierte Bahá’í-Jugendgruppen Workshops, die mit den Mitteln des Ausdruckstanzes Themen wie Drogensucht, Gewalt, Rassismus aufgreifen und zum Dialog anregen. Damit unterstützten sie u.a. Veranstaltungen innerhalb des Europäischen Jahres gegen Rassismus.

Als bundesweite Institution ist der Nationale Geistige Rat der Bahá’í in Deutschland als Nicht-Regierungsorganisation im Bereich Menschenrechte, Umwelt und Entwicklungspolitik tätig und in entsprechenden NRO-Foren vertreten. Er war 1995 beim UN-Sozialgipfel in Kopenhagen sowie 1996 bei der Weltsiedlungskonferenz Habitat II in Istanbul akkreditiert.

Die Bahá’í genießen in der Bundesrepublik generell Religionsfreiheit und sind rechtlich als eigenständige Religion anerkannt. Auch die Organisationsfreiheit wird davon erfaßt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 5. Februar 1991 (BverfGE, Bd. 83, S. 341 ff.) entschieden, dass, soweit die Rechtsstrukturen der Bahá’í-Gemeinde für die Bahá’í ius divinum sind, diese gemäß Art. 4 GG Vorrang vor den vereinsrechtlichen Normen des Bürgerlichen Gesetzbuches haben.2) In den meisten Bundesländern wurde im Erlaßwege geregelt, dass Schülern, die dem Bahá’í-Glauben angehören, an Bahá’í-Feiertagen Schulbefreiung gewährt werden kann.

Als nach der iranischen Revolution die dortigen Bahá’í unter dem Regime der Ayatollahs als Apostaten und Häretiker blutig verfolgt und bis heute ihrer Menschenrechte beraubt wurden, prangerten der Deutsche Bundestag und das Europäische Parlament in mehreren Resolutionen diese Menschenrechtsverletzungen an. Verantwortliche Politiker aller Parteien haben sich in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen und auch sonst stets für die verfolgten Bahá’í eingesetzt und darauf gedrungen, dass diese im Iran geächtete religiöse Minderheit Religionsfreiheit erhält. 3)

Auf internationaler Ebene 4)

Auf internationaler Ebene ist die Internationale Bahá’í-Gemeinde BIC (=Bahá’í International Community) seit 1948 als Nicht-Regierungsorganisation bei den Vereinten Nationen akkreditiert, mit beratendem Status beim Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) sowie beim Kinderhilfswerk (UNICEF). Aufgabenschwerpunkte der BIC sind gemäß der geistig-ethischen Grundlagen der Bahá’í-Religion die Förderung eines Bewußtseins der Einheit und Schicksalsgemeinschaft aller Menschen. So ist das weltweite Tätigkeitsfeld entsprechend weit gespannt, mit konkreten Projekten etwa in den Bereichen Friedensförderung, Menschenrechte, Bildung und Erziehung, Gesundheitsfürsorge, Bewahrung der Umwelt, Frauenförderung wie auch der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. Viele der BIC-Projekte werden in Zusammenarbeit mit den 181 nationalen Bahá’í-Gemeinden durchgeführt.

Anläßlich des 50-jährigen Jubiläums der Gründung der Vereinten Nationen veröffentlichte die Internationale Bahá’í-Gemeinde 1995 ein Statement "Wendezeit für die Nationen", das sich mit der Entwicklung und Rolle der Vereinten Nationen innerhalb einer globalen Ordnung befaßt und konkrete Vorschläge für den Prozeß der Integration aller Völker und Nationen enthält. Eine weitere Stellungnahme der BIC, "Entwicklungsperspektiven für die Menschheit", zeigt ein neues Verständnis von globalem Wohlstand auf und beschäftigt sich umfassend mit der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der Menschheit. Beide Erklärungen wurden in Deutschland von den örtlichen Bahá’í-Gemeinden zahlreichen Amts- und Entscheidungsträgern überreicht.

Anmerkungen:
1) Wegen der kosmopolitischen, antirassistischen Lehren der Bahá’í-Religion war der Konflikt mit dem NS-Staat vorgezeichnet. Der Reichsführer SS Heinrich Himmler verbot im Jahr 1937 den Bahá’í-Glauben. Alle deutschen Bahá’í-Gemeinden wurden aufgelöst, alles Eigentum, sämtliche Literatur konfisziert. Obwohl die Bahá’í keinen Widerstand leisteten, kam es zu Verhaftungen und vereinzelt auch zu KZ-Haft. Dafür genügte allein schon, wenn sich Bahá’í gegenseitig besuchten. Nach Kriegsende mußte sich die deutsche Bahá’í-Gemeinde wieder neu etablieren. Wie in allen kommunistischen Staaten war der Bahá’í-Glaube in der DDR bis zum Fall der Mauer verboten.
2) Der höchstrichterliche Spruch sichert die Rechtsfähigkeit der deutschen Bahá’í-Gemeinde und hat weit darüber hinaus Beachtung gefunden, regelt er doch eine zentrale verfassungsrechtliche Fragestellung zur Religionsfreiheit. Das Verhältnis Bahá’í-Gemeinde—Staat ist dabei grundsätzlich konfliktfrei: Den weltlichen Gewalten, welche die "Wahrzeichen der Gerechtigkeit unter den Menschen" sein sollen, ist der "Schutz, die Sicherheit und die Wohlfahrt der Menschen" anvertraut. Die Bahá’í sind glaubensmäßig verpflichtet, dem Staat und dem staatlichen Gesetz Gehorsam zu leisten, der allerdings da endet, wo der Staat vom einzelnen ein Handeln verlangt, das die Menschenwürde verletzt oder gegen die Menschenrechte und fundamentale Normen der Menschlichkeit verstößt.
3) So hatte die Bundesregierung auch zur Bedingung gemacht, dass bei den Deutsch-Iranischen Menschenrechtsseminaren in Hamburg 1992 und in Teheran 1994 jeweils ein Repräsentant der deutschen Bahá’í-Gemeinde anwesend war, der die Rechtsverletzungen gegenüber den Bahá’í im Iran zur Sprache brachte. Zum ganzen siehe auch: Die Bahá’í im Iran. Dokumentation der Verfolgung einer religiösen Minderheit. Hofheim, erste Aufl. 1985.
4) Das internationale Führungsgremium der Bahá’í-Gemeinde – das Universale Haus der Gerechtigkeit, mit Sitz in Haifa, Israel - wird im Turnus von fünf Jahren von den Mitgliedern aller Nationaler Geistiger Räte gewählt.


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