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DAS UNIVERSALE HAUS DER GERECHTIGKEIT

BAHÁ'Í WELTZENTRUM


SekretariatsabteiIung

20. März 1991

An den Nationalen Geistigen Rat
der Bahá'í von Deutschland

Nachwahlen

Liebe Bahá'í-Freunde!

Das Universale Haus der Gerechtigkeit hat Ihren Brief vom 21. Januar 1991 zum obigen Thema erhalten und uns gebeten, Ihnen folgende Antwort zu senden.

Sie erwähnen zwei Probleme, die die Freunde bei den Ergebnissen der Bahá'í-Wahlen sehen. Sie sagen, daß bei den gewöhnlichen Wahlen zum Nationalen Rat das neunte Mitglied des Rates gewöhnlich mit einer geringen Stimmenzahl gewählt wird (gewöhnlich mit etwa 20 von 57 möglichen). In Nachwahlen ist die Zahl gewöhnlich noch kleiner und es ist besonders der Fall der Nachwahlen, der in Ihrem Rat ernsthaft ungute Gefühle weckt.

Dieses Problem hat zwei Aspekte. Einmal geht es um den richtigen Ablauf des Bahá'í-Wahlprozesses; der andere betrifft falsche Vorstellungen von dem, was das Ergebnis von Wahlen sein soll.

Natürlich ist es die Pflicht der Wähler bei jeder Bahá'í-Wahl, sich mit dem Charakter und dem Ruf ihrer Mitgläubigen vertraut zu machen, damit sie in vernünftiger Weise entscheiden können, für wen sie ihre Stimme abgeben. Sie sollten sich verantwortungsbewußt über die Neuigkeiten im Glauben informieren, an seiner Arbeit teilnehmen und sich ernsthaft bemühen, ihre Mit-Bahá'í kennen zu lernen. Diese Pflicht muß das ganze Jahr über wahrgenommen werden und nicht nur zur Zeit der Wahl.

In einem Brief vom 14. Mai 1927 an einen örtlichen Geistigen Rat schrieb der Hüter:
"Ich glaube, daß der Hinweis auf Persönlichkeiten vor der Wahl Mißverständnisse und Konflikte aufkommen ließe. Was die Freunde tun sollten, ist, miteinander völlig bekannt zu werden, Ansichten auszutauschen, freien Umgang zu haben und miteinander die Erfordernisse und Merkmale einer solchen Mitgliedschaft zu besprechen, ohne daß auf bestimmte Einzelpersonen hingewiesen oder angespielt wird, und sei es auch nur ganz indirekt. Wir sollten davon absehen, die Meinung anderer zu beeinflussen oder für bestimmte Personen zu werben; vielmehr sollten die Notwendigkeit wir die Notwendigkeit betonen, die Erfordernisse für die Mitgliedschaft, auf die in den Tablets unseres Geliebten hingewiesen ist, genau kennenzulernen und mehr von einander zu wissen: durch unmittelbare, persönliche Erfahrung, nicht durch Berichte und Meinungen unserer Freunde."
(Geistige Räte - Häuser der Gerechtigkeit, S. 13)

Auf dem Gebiet der nationalen Administration kann der Nationale Rat selbst dabei helfen, die Anzahl erfahrener Administratoren zu erweitern, indem er die Mitglieder von Ausschüssen weise aussucht und Ausschüssen Verantwortung überträgt, damit sie Fähigkeiten entwickeln und Erfahrungen gewinnen können. Ein Netz starker Ausschüsse hilft nicht nur dem Nationalen Rat, indem es ihn von viel Kleinarbeit entlastet, sondern erhöht auch bedeutend die Zahl von loyalen, ergebenen und kenntnisreichen Gläubigen mit reichen Erfahrungen. Wenn solche Freunde nicht dazu ermutigt werden durch den Dienst für den Glauben ihre Fähigkeiten zu entwickeln und nicht mit verantwortungsvollen Aufgaben betraut werden, so bleiben für die Wähler nur bedauerlich wenige Freunde mit den erforderlichen Eigenschaften, die sie wählen können.

In diesem Zusammenhang ist das Haus der Gerechtigkeit in den letzten Jahren besorgt gewesen, feststellen zu müssen, daß zu wiederholten Malen Mitglieder der deutschen Bahá'í-Gemeinde, die von Ihrem Rat gebeten wurden in Ausschüssen zu arbeiten, dies abgelehnt oder aus offensichtlich unzureichenden Gründen diesen Dienst aufgegeben haben. Es ist eine der Pflichten eines Bahá'í, einen Dienst, um den er gebeten wird, auch wirklich zu verrichten, wenn nicht wirklich ernste Gründe dem entgegenstehen.

Der zweite Aspekt dieses Problems betrifft die Erwartungen der Wählerschaft in Bezug auf das Ergebnis einer Wahl.

In den meisten modernen Demokratien besteht eine gesetzgebende Körperschaft aus Parteien oder aus Einzelpersonen, die gewählt werden, um eine besondere Sicht, ein Programm oder eine besondere Gruppe oder Schicht der nationalen Bevölkerung wie etwa einer ethischen oder religiösen Gruppe zu vertreten, und es wird gewöhnlich erwartet, daß diese "Vertreter" sich bemühen werden, die Interessen jener wahrzunehmen, die sie vertreten und das oft im Gegensatz zu den Vertretern anderer Gruppen und Interessen. Es gibt daher verschiedene Formen proportionaler Repräsentation in dem Bemühen sicherzustellen, daß die gesetzgebende Körperschaft auf diese Weise die vielen Elemente der nationalen Bevölkerung "vertritt."

Aus Bahá'í-Sicht wird die Wahl von Mitgliedern einer Minderheit in einen Rat begrüßt, aber das erfolgt keineswegs aus der Überlegung, daß diese Mitglieder sich um Vorteile für ihre jeweilige Minderheit bemühen werden. Im Gegenteil sollen alle Mitglieder des Rates vereint zum Wohl der ganzen Gemeinde arbeiten; ein Teil diese Wohls besteht aus dem Prinzip, daß die Rechte von Minderheiten geschützt und geachtet werden müssen. In diesem Sinne vertritt jedes Mitglied die ganze Gemeinde, nicht nur jene, die ihn gewählt haben oder die mit ihm gleicher Abstammung sind.

Weil die Freunde diesen Unterschied nicht erkennen, werden sie dazu verleitet zu meinen, daß, wenn jemand mit 8 % der Stimmen gewählt wird, dies keine "breite Vertretung" darstellt.

Die Freunde sollten auch berücksichtigen, was die Absicht der Wähler bei einer Bahá'í-Wahl ist. Sie besteht in den Worten des Hüters darin, jene zu wählen, "die am besten die notwendigen Eigenschaften fragloser Treue, selbstloser Ergebenheit, eines geschulten Verstandes, anerkannter Fähigkeiten und reifer Erfahrung in sich vereinen." (Geistige Räte - Häuser der Gerechtigkeit, S. 12) Daß bei einer Nachwahl ein neues Mitglied des Rates mit einer sehr geringen Stimmenzahl gewählt wird, kann das Ergebnis wenigstens zweier Möglichkeiten sein:

* Die Wähler sind so schlecht informiert, daß jeder einfach für jemanden wählt, den er zufällig kennt.
* Die Wähler sind gut informiert, aber das allgemeine Niveau einer großen Zahl von Gläubigen ist sich so ähnlich, daß keiner in überzeugender Weise herausragt, indem er die nötigen Eigenschaften wesentlich besser als die anderen verkörpert.

Heutzutage ist die wahre Situation gewöhnlich eine Kombination dieser beiden Möglichkeiten. Im zweiten Fall kann das Niveau natürlich entweder gleichmäßig hoch oder gleichmäßig tief sein, was zu dem gleichen Ergebnis führen würde. Trotzdem ist die Tatsache entscheidend, daß ein Gläubiger mehr Stimmen als alle anderen erhält: von allen, für die gestimmt worden ist, hat er die höchste Stimmenzahl erhalten, gleichgültig wie wenig höher im Verhältnis zu den anderen sie war.

In einer Bahá'í-Wahl hat es der Wähler nicht mit einer Reihe von Kandidaten zu tun, von denen jeder danach strebt, mit einem großen Abstand über seine Gegner gewählt zu werden. Bei einer Bahá'í-Wahl bemüht sich niemand darum, gewählt zu werden. Bei einer Bahá'í-Wahl besteht die eigentliche Absicht der Wähler darin, verantwortungsbewußt und im Geiste des Gebetes für jene Person zu stimmen, die die notwendigen Eigenschaften am besten in sich vereint. Die Absicht, das Verfahren und das Ergebnis sind verständlicherweise von einer politischen Wahl völlig verschieden.

Das Haus der Gerechtigkeit vertraut darauf, daß diese Anmerkungen das Unbehagen beseitigen werden, das gewisse Freunde empfunden haben mögen, und sie dazu anregen wird, mit steigendem Ernst ihre Verantwortung als Wähler wahrzunehmen.

Mit liebevollen Bahá'í-Grüßen

Sekretariatsabteilung

cc: Internationales Lehrzentrum
Kontinentales Berateramt für Europa
Berater Foad Kazemzadeh
(Übersetzung Günter Maltz)
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Botschaft des Universalen Hauses der Gerechtigkeit vom 20.03.91 an den NGR von Deutschl. Seite:3


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