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Wer schreibt die Zukunft?
Nationaler Geistiger Rat der Bahá’í in Deutschland e.V. – April 1999
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Wer schreibt die
Zukunft?
m 28. Mai 1992 trafen sich die Volksvertreter Brasiliens zu einer Sondersitzung, um
dem 100. Jahrestag des Hinscheidens Bahá’u’lláhs, mit dessen Einfluß man in der
gesellschaftlichen und intellektuellen Landschaft der Welt immer vertrauter wird, zu
gedenken. Seine Botschaft der Einheit hat offensichtlich die brasilianischen Gesetzgeber in ihrem
Innersten tief berührt. Während jener Sondersitzung zollten Sprecher aller in der Kammer
vertretenen Parteien ihren Respekt jenen Schriften, die einer der Abgeordneten als „das
umfassendste religiöse Werk aus der Feder eines einzelnen Menschen“ bezeichnete. Der Respekt
der Abgeordneten galt auch einer Zukunftsvision für unseren Planeten, die „materielle Grenzen
überschreitet“ und - wie ein anderer Abgeordneter sagte - „sich an die ganze Menschheit wandte,
ohne kleinliche Unterschiede zwischen Nationen, Rassen, anderen Abgrenzungen oder Glaubensrichtungen
zu machen“.1
Dieser Tribut war um so beeindruckender aufgrund der Tatsache, dass im Geburtsland
Bahá’u’lláhs sein Vermächtnis weiterhin von der muslimischen Geistlichkeit, die den Iran regiert,
auf das Bitterste verdammt wird. Deren Vorgänger waren für seine Verbannung und
Gefangenschaft Mitte des 19. Jahrhunderts verantwortlich gewesen sowie für die Massaker an
Tausenden jener Menschen, die Bahá’u’lláhs Ideale der Veränderung der menschlichen
Lebensweise und der Gesellschaft teilten. Zur gleichen Zeit, als in Brasilia die Feierlichkeiten
vonstatten gingen, brachte den im Iran lebenden 300.000 Bahá’í die Weigerung,
Glaubensgrundsätze zu verneinen, die vom größten Teil der Welt hoch gelobt wurden,
Verfolgungen, Entbehrungen und, in zu vielen Fällen, auch Verhaftungen und Tod.
Von ähnlicher Gegnerschaft waren auch die Einstellungen verschiedener totalitärer Regime
im Verlaufe des vergangenen Jahrhunderts gekennzeichnet.
Aber welches Gedankengut beinhalten diese Lehren, die solch stark auseinanderklaffende
Reaktionen erregt haben?
A
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I
Die Hauptabsicht der Botschaft Bahá’u’lláhs ist die Erklärung der Wirklichkeit als etwas, was
primär geistiger Natur ist, und die Darstellung der Gesetze, die das Funktionieren dieser
Wirklichkeit beherrschen. Diese Darstellung betrachtet nicht nur den einzelnen Menschen als
geistiges Wesen, als eine „mit Vernunft begabte Seele“, sondern betont nachdrücklich, dass das
gesamte von uns als Zivilisation bezeichnete Unterfangen auch einen geistigen Prozess darstellt,
einen Prozess, in dessen Verlauf der menschliche Verstand und die menschliche Seele
zunehmend komplexere und effizientere Mittel entwickelt haben, um der ihnen innewohnenden
moralischen und intellektuellen Fähigkeiten Ausdruck zu verleihen.
Während Bahá’u’lláh die herrschenden Dogmen des Materialismus ablehnt, stellt er diesen
eine ganz entgegengesetzte Interpretation historischer Abläufe gegenüber. Die Menschheit -
Pfeilspitze der Evolution des Bewußtseins - durchläuft Stadien, die mit den Entwicklungsphasen
eines Säuglings, Kindes und Jugendlichen im Leben eines einzelnen Menschen vergleichbar sind.
Die Reise hat uns an die Schwelle unserer lange ersehnten Reife als vereinte Menschheit
gebracht. Die Kriege, Ausbeutung und Vorurteile, die für die Phasen der Unreife typisch waren,
sollten uns nicht verzweifeln lassen, sondern ein Anreiz dazu sein, die mit dem kollektiven
Reifealter verbundene Verantwortung anzunehmen.
In seinen Sendschreiben an die politischen und religiösen Führer seiner Zeit schrieb
Bahá’u’lláh, dass in den Völkern der Erde neue Fähigkeiten von unermesslicher Macht
erwachten, die das Vorstellungsvermögen der damals lebenden Generation überstiegen und die
bald danach das materielle Leben auf dem Planeten verändern würden. Er sagte, es sei unbedingt
erforderlich, diese künftigen materiellen Fortschritte zur moralischen und gesellschaftlichen
Entwicklung zu nutzen. Wenn nationalistische und sektiererische Konflikte dies verhindern
sollten, dann werde materieller Fortschritt nicht nur Vorteile, sondern bisher nie vorgestellte
negative Konsequenzen haben. Einige der von Bahá’u’lláh formulierten Warnungen erinnern uns
an finstere Ereignisse in unserem eigenen Zeitalter. „Seltsame, verblüffende Dinge gibt es in der
Erde”, warnte er. „Diese Dinge sind imstande, die ganze Erdatmosphäre zu verwandeln, und eine
Verseuchung mit ihnen wäre tödlich.”2
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II
Die zentrale Frage, mit der sich alle Völker - egal, welcher Nation, Religion oder ethnischer
Herkunft - auseinandersetzen müssen, sagt Bahá’u’lláh, ist die Schaffung der Grundlagen für eine
globale Gesellschaft, die die Einheit der menschlichen Natur widerzuspiegeln vermag. Die
Vereinigung der Bewohner der Erde ist weder eine weit entfernte utopische Vision, noch eine
Angelegenheit, bei der wir überhaupt die Wahl haben. Diese Vereinigung stellt die nächste
unausweichliche Phase im gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß dar, eine Phase, zu der alle
Erfahrungen der Vergangenheit und Gegenwart uns hindrängen. Erst wenn die Existenz diese
Tatsache erkannt und in Angriff genommen wird, können die unseren Planeten quälenden
Probleme gelöst werden, denn alle wesentlichen Herausforderungen des Zeitalters, in das wir
eingetreten sind, sind global und universell und nicht auf Einzelaspekte oder Regionen
beschränkt.
Die vielen Textstellen in den Schriften Bahá’u’lláhs, in denen es um das Erreichen des
Reifealters der Menschheit geht, sind durchdrungen von der von ihm verwandten
Lichtmetaphorik, die die verwandelnde Kraft der Einheit ausdrückt: „So mächtig ist das Licht der
Einheit, dass es die ganze Erde erleuchten kann.”3 Diese Aussage rückt die gegenwärtige
Geschichte in eine Perspektive, die sich stark von der am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts
vorherrschenden Sichtweise unterscheidet. Diese Feststellung drängt uns dazu, in all dem Leid
und dem Zerfall unserer Zeit das Wirken von Kräften zu erkennen, die das menschliche
Bewußtsein für eine neue Phase seiner Evolution befreien. Sie ruft uns dazu auf, die Ereignisse
der vergangenen hundert Jahre zu überdenken sowie die Wirkung, die diese Entwicklungen auf
die sie erlebenden unterschiedlichen Völker, Rassen, Nationen und Gemeinschaften hatten.
Wenn, wie Bahá’u’lláh betont, „die Wohlfahrt der Menschheit, ihr Friede und ihre
Sicherheit ... unerreichbar (sind), wenn und ehe nicht ihre Einheit fest begründet ist”4, dann ist
verständlich, warum die Bahá’í das zwanzigste Jahrhundert - mit all seinen Katastrophen - als
„das Jahrhundert des Lichts“5 betrachten. Denn diese hundert Jahre waren Zeuge eines Wandels
sowohl der Art und Weise, wie die Erdbewohner unsere gemeinsame Zukunft zu planen
begannen, als auch der Art und Weise, wie wir beginnen, uns gegenseitig zu betrachten. Das
Kennzeichen beider Prozesse ist eine Entwicklung zur Vereinigung hin gewesen. Umwälzungen,
die jenseits der Kontrolle existierender Institutionen lagen, haben die Führungskräfte der Welt
dazu gezwungen, neue Systeme globaler Organisation zu initiieren, die zu Beginn des
Jahrhunderts noch undenkbar gewesen wären. Während dies geschah, wurden Gewohnheiten und
Einstellungen untergraben, die Menschen und Nationen während ungezählter konfliktbeladener
Jahrhunderte getrennt hatten und deren Fortbestand man für selbstverständlich gehalten hatte.
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Mitte des Jahrhunderts führten diese zwei Entwicklungen zu einem Durchbruch, dessen
historische Bedeutung erst zukünftige Generationen voll und ganz verstehen und schätzen
werden. Während der lähmenden Nachwehen des Zweiten Weltkriegs konnten weitschauende
Persönlichkeiten endlich beginnen, durch die Organisation der Vereinten Nationen die
Grundlagen einer Weltordnung zu schaffen und zu festigen. Das lange von fortschrittlichen
Denkern ersehnte System internationaler Abkommen und damit verbundener Institutionen war
nun mit entscheidenden Befugnissen ausgestattet, die dem gescheiterten Völkerbund
tragischerweise verwehrt geblieben waren. Im Laufe des Jahrhunderts gewann das System im
Bereich der Friedenssicherung immer größere Wirksamkeit auf eine Art und Weise, die
überzeugend zeigte, was erreicht werden kann. Gleichzeitig entstanden in der ganzen Welt immer
mehr demokratische Regierungsformen. Die praktischen Auswirkungen mögen noch enttäuschen,
aber dies vermindert nicht die Tragweite des historischen und unumkehrbaren
Richtungswechsels, der in der Organisation menschlicher Angelegenheiten stattgefunden hat.
Wie im Falle der Weltordnung steht es auch mit den Rechten der Völker der Welt. Die
Enthüllung der schrecklichen Leiden, die die Opfer menschlicher Perversion im Laufe des
Krieges heimsuchten, löste eine weltweite Schockreaktion aus - und etwas, das man nur als
tiefste Schamgefühle bezeichnen kann. Aus diesem Trauma heraus entstand eine neue Art des
moralischen Verantwortungsbewußtseins, das offiziell in der Arbeit der
Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen und ihrer Unterorganisationen
institutionalisiert wurde - eine Entwicklung, die den von Bahá’u’lláh im neunzehnten Jahrhundert
diesbezüglich angeschriebenen Herrschern unvorstellbar erschienen wäre. So mit Macht
ausgestattet, haben sich eine wachsende Anzahl nicht-staatlicher Organisationen das Ziel gesetzt,
dafür Sorge zu tragen, daß die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als die Grundlage
normativer internationaler Standards gilt und dementsprechend durchgesetzt wird.
Eine parallel dazu verlaufende Entwicklung fand im Wirtschaftsleben statt. In der ersten
Hälfte des Jahrhunderts verabschiedeten viele Regierungen als Folge des durch die
wirtschaftliche Krise verursachten Chaos Gesetze zur Schaffung von Sozialhilfeprogrammen und
Systemen zur Finanzkontrolle, sowie Reservefonds und Handelsabkommen mit dem Ziel, ihre
Gesellschaft vor der Wiederholung solcher Verwüstung zu bewahren. Die Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg führte zu der Einrichtung von Institutionen, die weltweit arbeiten: des
Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens
und eines Netzwerks von Entwicklungsorganisationen, die sich der Förderung und der
Weiterentwicklung des materiellen Wohlstands auf dem Planeten widmen. Am Ende des
Jahrhunderts hat die Menschheit gezeigt bekommen, dass, egal wie die Absichten und wie
primitiv die Methoden sind, die Nutzung des Reichtums der Erde grundlegend umorganisiert
werden kann, um einer ganz neuen Vorstellung von Bedürfnissen gerecht zu werden.
Die Auswirkungen dieser Entwicklungen wurden enorm verstärkt durch den zunehmend
schnelleren Ausbau von Bildungsmöglichkeiten für die Massen. Neben der Bereitschaft
nationaler Regierungen und örtlicher Gemeindeverwaltungen, diesem Bereich sehr viel mehr
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Mittel zuzuteilen, und der Fähigkeit der Gesellschaft, Armeen an professionellen Lehrern
auszubilden, waren zwei weitere Fortschritte im 20. Jahrhundert auf der internationalen Ebene
besonders einflußreich. Der erste war eine Serie von Entwicklungsplänen, die sich auf
Bildungsbedürfnisse konzentrierten und massiv von Einrichtungen wie der Weltbank, von
Regierungsbehörden, großen Stiftungen und verschiedenen Zweigen des UN-Systems finanziert
wurden. Der zweite war die explosionsartige Entwicklung der Informationstechnologie, die aus
allen Erdenbürgern potentielle Nutznießer des gesamten Wissens der Menschheit gemacht hat.
Diese strukturelle Neuorganisierung auf globaler Ebene wurde von einem tiefgreifenden
Bewußtseinswandel belebt und verstärkt. Ganze Bevölkerungen sahen sich plötzlich mit dem
Preis eingefahrener Denkgewohnheiten, die zu Konflikten führen, konfrontiert, und zwar im
grellen Licht der weltweiten Verurteilung einst akzeptierter Praktiken und Einstellungen. Dies
regte revolutionäre Veränderungen in der Art und Weise, wie Menschen einander sehen, an.
Zum Beispiel schien im Laufe der Menschheitsgeschichte die Erfahrung zu zeigen - und
religiöse Lehren schienen dies zu bestätigen - dass Frauen vom Wesen her Männern unterlegen
wären. Wenn man die gesamte Geschichte als Zeitrahmen nimmt, begann geradezu über Nacht
der plötzliche und allgegenwärtige Rückzug dieser vorherrschenden Sichtweise. Wie lange und
leidvoll der Prozess auch sein mag, bis Bahá’u’lláhs Erklärung, dass Frauen und Männer in
jeglicher Hinsicht gleichwertig sind, voll verwirklicht wird - die intellektuelle und emotionelle
Unterstützung für dieser Erklärung entgegengesetzte Auffassungen verringert sich ständig.
Ein weiterer Fixpunkt im Selbstverständnis der Menschheit während dieses Jahrtausends
war die Verherrlichung ethnischer Unterschiede, die sich in den letzten Jahrhunderten zu
verschiedenen Formen rassistischer Wahnvorstellungen verhärtete. Mit einer Geschwindigkeit,
die im Gesamtzusammenhang der Menschheitsgeschichte verblüfft, erlebte das zwanzigste
Jahrhundert, wie sich die Einheit der Menschheit zu einem führenden Prinzip in internationalen
Beziehungen etablierte. Heute werden die ethnischen Streitigkeiten, die auch weiterhin in vielen
Teilen der Welt verheerende Folgen haben, nicht als natürliche Erscheinungen in den
Beziehungen zwischen unterschiedlichen Völkern betrachtet, sondern als willkürlich
herbeigeführte Verirrungen, die unter wirkungsvolle internationale Kontrolle gebracht werden
müssen.
Während der gesamten langen Kindheit der Menschheit nahm man auch an - erneut mit der
vollen Unterstützung religiöser Institutionen - dass Armut ein ewig andauerndes und
unausweichliches Merkmal der Gesellschaftsordnung sei. Heute wird jedoch diese Einstellung,
die die Prioritäten aller in der Welt je bekannten Wirtschaftssysteme geprägt hatte, allgemein
abgelehnt. Zumindest in der Theorie wird allerorts eine Regierung im Wesentlichen als ein
Treuhänder verstanden, dessen Verantwortung es ist, das Wohlergehen aller Mitglieder der
Gesellschaft zu sichern.
Besonders bedeutend war, aufgrund seiner engen Verbindung zu den Wurzeln
menschlicher Beweggründe, die Lockerung des festen Griffs religiöser Vorurteile. Bereits Ende
des neunzehnten Jahrhunderts erweckte das „Parlament der Religionen“ großes Interesse. Und
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diese Entwicklung des interreligiösen Dialogs und der Zusammenarbeit verstärkte die
Auswirkungen des Sekularismus, indem sie die einst uneinnehmbaren Mauern der Autorität
Geistlicher untergrub. In Anbetracht der Wandlung religiöser Vorstellungen während der
vergangenen hundert Jahre wird man vielleicht im nachhinein sogar die derzeitigen Ausbrüche
fundamenta-listischer Reaktionen als lediglich verzweifelte Aktionen einer Nachhut verstehen,
die sich gegen die unvermeidliche Auflösung der durch sektiererische Gruppen ausgeübten
Kontrolle aufbäumt. Wie Bahá’u’lláh schreibt: „Ohne Zweifel verdanken die Völker der Welt,
welcher Rasse oder Religion sie auch angehören, ihre Erleuchtung derselben himmlischen Quelle
und sind einem einzigen Gott untertan.”6
Während dieser entscheidenden Jahrzehnte erlebte der menschliche Geist auch
grundlegende Veränderungen in seinem Verständnis des materiellen Universums. In der ersten
Hälfte des Jahrhunderts entstanden neue Theorien über Relativität und Quantenmechanik, die
beide eng mit der Natur und Funktionsweise des Lichtes verbunden sind. Diese Theorien
revolutionierten die Physik und veränderten die gesamte Wissenschaftsentwicklung. Es wurde
offensichtlich, dass die klassische Physik nur einen begrenzten Bereich von Naturphänomenen
erklären konnte. Plötzlich hatte sich eine neue Tür in der Untersuchung sowohl der kleinsten
Bestandteile des Universums als auch der großen Systeme des Kosmos geöffnet, eine
Veränderung, die weit über die Physik hinaus Wirkungen zeigte und die Grundlagen eines
jahrhundertelang gültigen Denkens der Wissenschaften erschütterte. Für immer verloren waren
die Idee eines mechanischen Universums, das einem Uhrwerk ähnelt, sowie die damals
angenommene Trennung von Beobachter und Beobachtetem, von Geist und Materie. Vor dem
Hintergrund der dadurch ermöglichten weitreichenden Forschungsarbeiten beginnt die
theoretische Naturwissenschaft heute damit, die Möglichkeit zu erwägen, dass tatsächlich der
Natur und der Funktionsweise des Universums Zweck und Verstand innewohnen.
Im Sog dieser konzeptionellen Veränderungen trat die Menschheit dann in ein Zeitalter ein,
in dem die Zusammenarbeit der Naturwissenschaften - der Physik, Chemie, Biologie sowie der
noch jungen Ökologie - atemberaubende Möglichkeiten zur Verbesserung der
Lebensbedingungen eröffnete. Die positiven Auswirkungen wurden auf dramatische Weise
deutlich in so lebenswichtigen Problembereichen wie Landwirtschaft und Medizin sowie in
Bereichen, die aus den Erfolgen in der Nutzung neuer Energiequellen entstanden. Gleichzeitig
begann das neue Forschungsgebiet der Werkstoffkunde eine Vielzahl spezialisierter Materialien
wie Kunststoffe, Glasfasern und Kohlenstofffasern zur Verfügung zu stellen, die man zu Beginn
des Jahrhunderts noch nicht gekannt hatte.
Solche Fortschritte in Wissenschaft und Technologie befruchteten sich gegenseitig.
Sandkörner, das niedrigste und anscheinend wertloseste aller Materialien, verwandelten sich in
Silikonplättchen und optisch reines Glas und ermöglichten so die Schaffung weltweiter
Kommunikationsnetze. Diese Tatsache sowie der Einsatz von immer komplizierteren
Satellitensystemen beginnen für Menschen allerorts und ohne Unterschied Zugang zum gesamten
Wissen der ganzen Menschheit zu eröffnen. Es ist offensichtlich, dass die vor uns liegenden
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Jahrzehnte die Verbindung von Telefon-, Fernseh- und Computertechnologie zu einem einzigen,
vereinheitlichten System erleben werden, dessen preisgünstige Geräte in großen Mengen
erhältlich sein werden. Es wäre schwierig, die psychologischen und gesellschaftlichen
Auswirkungen zu übertreiben, die entstehen, wenn das Durcheinander an Währungssystemen -
die für manche die letzte Bastion nationalistischen Stolzes darstellen - durch eine einzige
Weltwährung, die größtenteils elektronisch funktioniert, ersetzt werden wird.
In der Tat sind die Einheit schaffenden Auswirkungen der Umwälzungen des zwanzigsten
Jahrhunderts nirgends so einfach ersichtlich wie in den Folgen der Veränderungen in der
Naturwissenschaft und in der Technologie. Am offensichtlichsten ist, dass die Menschheit nun
mit den Mitteln ausgestattet ist, die zur Verwirklichung der visionären Ziele nötig sind, welche
ein ständig reifer werdendes Bewußtsein sich gesetzt hat. Bei tieferer Betrachtung zeigt sich, dass
diese vielfältigen Möglichkeiten potentiell allen Erdenbewohnern ungeachtet der Rasse, der
Kultur oder der Nation zur Verfügung stehen. Bahá’u’lláh sah voraus: „Neues Leben durchpulst
in dieser Zeit alle Völker der Erde, und doch hat keiner seine Ursache entdeckt und seinen Grund
erkannt.”7 Heute, mehr als hundert Jahre nach der Niederschrift dieser Worte, wird
nachdenkenden Gemütern die Tragweite des seitdem Geschehenen langsam deutlich.
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III
Die Wandlungen, die durch die jetzt endende Zeitperiode bewirkt wurden, zu würdigen bedeutet
nicht, die sie begleitenden Schatten zu verleugnen, die den Errungenschaften scharfe Konturen
verleihen: die zielgerichtete Vernichtung von Millionen hilfloser Menschen; die Erfindung und
der Gebrauch neuer Zerstörungswaffen, die ganze Bevölkerungen auszulöschen vermögen; die
Entstehung von Ideologien, die das geistige und intellektuelle Leben ganzer Nationen erstickten;
Umweltzerstörung auf globaler Ebene in einem so großen Ausmaß, dass es Jahrhunderte dauern
kann, diese rückgängig zu machen; und der unermeßlich größere Schaden, der Generationen von
Kindern angetan wurde, indem man sie lehrte, dass Gewalt, Unanständigkeit und Selbstsucht
Triumphe persönlicher Freiheit seien. Dies sind nur die offensichtlichsten Beispiele aus einem
Katalog von Übeln, die in der Geschichte ihresgleichen suchen und deren Lektionen unser
Zeitalter zur Erziehung der gepeinigten zukünftigen Generationen als Erbe hinterlassen wird.
Die Dunkelheit ist jedoch kein Phänomen, dem irgendeine Form der Existenz, geschweige
denn der Autonomie innewohnt. Sie löscht das Licht nicht aus, noch verringert sie das Licht, aber
sie markiert diejenigen Regionen, die das Licht noch nicht erreicht oder angemessen erleuchtet
hat. So werden zweifelsohne die Historiker eines reiferen und objektiveren Zeitalters die
Zivilisation des zwanzigsten Jahrhunderts beurteilen. Die Grausamkeit der tierischen Natur, die
unkontrolliert in jenen kritischen Jahren wütete und manchmal das nackte Überleben der
Gesellschaft zu bedrohen schien, konnte tatsächlich nicht die fortlaufende Entfaltung der
schöpferischen Potentiale, mit denen das menschliche Bewußtsein ausgestattet ist, verhindern. Im
Gegenteil - je mehr das Jahrhundert voranschritt, desto mehr Menschen erkannten, wie leer die
Treueschwüre und wie gegenstandslos die Ängste waren, von denen sie nur wenige Jahre zuvor
gefangengehalten worden waren.
„Unvergleichlich ist dieser Tag,“ betont Bahá’u’lláh, „denn er ist wie das Auge für
vergangene Zeitalter und Jahrhunderte und wie ein Licht in der Finsternis der Zeiten.“8 Aus
dieser Perspektive ist nicht die Dunkelheit, die die Fortschritte der nun endenden
außergewöhnlichen hundert Jahre verlangsamt und überschattet hat, das Problem. Die Frage ist
vielmehr, wieviel Leid und Zerstörung die Menschheit noch ertragen muss, bis sie von ganzem
Herzen die geistige Natur annimmt, die sie zu einem einzigen Volk macht, und bis sie genug Mut
hat, ihre Zukunft im Lichte des so schmerzlich Erlernten zu planen.
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IV
Die in den Schriften Bahá’u’lláhs dargelegte Vorstellung von der künftigen Entwicklung der
menschlichen Kultur stellt vieles, was sich in unserer heutigen Welt als normativ und
unveränderlich darstellt, in Frage. Die während des Jahrhunderts des Lichts erzielten
Durchbrüche haben einer neuen Art von Welt Tür und Tor geöffnet. Wenn die gesellschaftliche
und intellektuelle Entwicklung tatsächlich eine Reaktion auf eine allem Existierenden
innewohnende moralische Intelligenz ist, dann beinhalten viele der Theorien, die zeitgenössische
Entscheidungsmethoden bestimmen, schwerwiegende Fehler. Wenn das menschliche
Bewusstsein von seinem Wesen her geistig ist - eine Tatsache, der sich die große Mehrheit der
Menschen intuitiv immer bewußt gewesen ist -, dann kann ein Wirklichkeitsverständnis, das
dogmatisch auf dem Gegenteil beharrt, die Entwicklungsbedürfnisse dieses Bewußtseins weder
begreifen noch ihnen dienlich sein.
Kein Teilbereich der heutigen Zivilisation wird von Bahá’u’lláhs Zukunftsvorstellung auf
direktere Weise in Frage gestellt als der vorherrschende Kult des Individualismus, der sich in
beinahe der ganzen Welt verbreitet hat. Von kulturellen Einflüssen wie politischer Ideologie,
akademischem Elitedenken und einer konsumorientierten Wirtschaft genährt, hat das „Streben
nach individuellem Glück“ ein aggressives und beinahe grenzenloses Bewußtsein für die
Ansprüche des Einzelnen gefördert. Die moralischen Folgen sind zersetzend für das Individuum
wie die Gesellschaft und verheerend, was die Verbreitung ansteckender Krankheiten, den
Drogenmissbrauch und andere allzu vertraute Übel unseres ausgehenden Jahrhunderts angeht.
Die Aufgabe, die Menschheit von einem so grundlegenden und alles durchdringenden
Missverständnis zu befreien, wird einige der eingefahrensten Vorstellungen des zwanzigsten
Jahrhunderts von Recht und Unrecht in Frage stellen.
Welche Denkweisen fallen in diese Kategorie der ungeprüften Ideen? Das offensichtlichste
Beispiel ist die Überzeugung, dass Einheit ein entferntes, beinahe unerreichbares Ideal ist, das
erst dann in Angriff genommen werden kann, wenn eine große Anzahl politischer Konflikte
irgendwie gelöst, materielle Bedürfnisse irgendwie befriedigt und Ungerechtigkeiten irgendwie
ausgemerzt worden sind. Bahá’u’lláh betont, dass das Gegenteil der Fall ist. Die Hauptkrankheit,
die die Gesellschaft peinigt und die Leiden hervorbringt, die die Gesellschaft lähmen, sagt er, ist
die Zwietracht innerhalb der Menschheit, die sich durch ihre Fähigkeit zur Zusammenarbeit
auszeichnet und deren Fortschritt bis heute von dem Ausmaß an gemeinsamem Handeln abhing,
das zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Gesellschaften erreicht wurde. Sich an die
Vorstellung zu klammern, dass Konfliktbereitschaft eine Grundeigenschaft der menschlichen
Natur sei statt eine Mischung aus erlernten Gewohnheiten und Einstellungen, bedeutet, einem
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neuen Jahrhundert einen Irrtum aufzuladen, der mehr als jeder andere Faktor auf tragische Weise
die Vergangenheit der Menschheit beeinträchtigt hat. „Betrachtet die Welt“, riet Bahá’u’lláh
gewählten Regierenden, „wie einen menschlichen Körper: Obwohl er bei seiner Erschaffung
gesund und vollkommen war, ist er aus verschiedenen Ursachen von schweren Störungen und
Krankheiten befallen worden.”9
Eng verknüpft mit der Problematik der Einheit ist die zweite moralische Herausforderung,
die das vergangene Jahrhundert mit zunehmend größerer Dringlichkeit gestellt hat. In Gottes
Augen ist, wie Bahá’u’lláh betont, die Gerechtigkeit „von allem das Meistgeliebte“.10 Sie befähigt
den Einzelnen, die Realität mit seinen eigenen Augen und nicht durch die Augen anderer
wahrzunehmen, und stattet kollektive Entscheidungsfindung mit einer Autorität aus, die allein die
Einheit in Denken und Handeln sicherstellen kann. Egal wie zufriedenstellend das aus den
schrecklichen Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts entstandene System internationaler
Ordnung sein mag - sein anhaltender Einfluß wird von der allgemeinen Annahme der ihm
innewohnenden moralischen Prinzipien abhängen. Wenn die gesamte Menschheit wahrhaftig eins
und unteilbar ist, dann entspricht die von ihren Führungseinrichtungen ausgeübte Amtsgewalt im
Wesentlichen der einer Treuhänderschaft. Jede einzelne Person kommt als der Gemeinschaft
anvertrautes Gut zur Welt; und dieses Merkmal menschlichen Daseins ist die wahre Grundlage
gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und kultureller Rechte, wie sie in der Charta der Vereinten
Nationen und den damit verbundenen Dokumenten Ausdruck finden. Gerechtigkeit und Einheit
stehen in einer Wechselbeziehung. „Der Zweck der Gerechtigkeit,“ schrieb Bahá’u’lláh, „ist das
Zustandekommen von Einheit unter den Menschen. Das Meer göttlicher Weisheit wogt in diesem
erhabenen Wort, und alle Bücher der Welt können seine innere Bedeutung nicht fassen.“11
Während sich die Gesellschaft, egal wie zögerlich und ängstlich, diesen und ähnlichen
moralischen Prinzipien verpflichtet, wird sie dem Einzelnen als bedeutungsvollste Rolle die des
Dienstes bieten. Eines der Paradoxa menschlichen Lebens ist, dass sich das Selbst hauptsächlich
durch die Hingabe an größere Ziele entwickelt, wobei sich das Selbst - wenn auch nur zeitweilig -
vergißt. In einem Zeitalter, das den Menschen in allen Lebenslagen die Möglichkeit eröffnet, auf
wirksame Art und Weise an der Gestaltung der Gesellschaftsordnung teilzuhaben, erhält das Ideal
des Dienstes an Anderen eine ganz neue Bedeutung. Wenn man Ziele wie persönliche
Bereicherung und Selbstbestätigung zum Lebensziel erklärt, dann fördert man nur die tierische
Seite der menschlichen Natur. Genauso wenig können simple Botschaften individueller Erlösung
die Sehnsüchte derjenigen Generationen erfüllen, die mit tiefer Gewißheit gelernt haben, dass
wahre Erfüllung eine Angelegenheit sowohl dieser als auch der nächsten Welt ist.
„Befasst euch gründlich mit den Nöten der Zeit, in der ihr lebt,“ rät Bahá’u’lláh, „und legt
den Schwerpunkt eurer Überlegungen auf ihre Bedürfnisse und Forderungen.“12
Solche Gesichtspunkte haben tiefgreifende Auswirkungen auf den Umgang mit den
Angelegenheiten der Menschheit. Zum Beispiel ist es offensichtlich, dass je länger der
Nationalstaat die wichtigste Rolle in der Entwicklung des Schicksals der Menschheit spielt - trotz
seiner in der Vergangenheit erbrachten Leistungen - die Erreichung des Weltfriedens verzögert
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und die Leiden der Erdbevölkerung vergrößert werden. Im Wirtschaftsleben der Menschheit ist
augenscheinlich, dass die Globalisierung trotz ihrer Segnungen auch noch nie dagewesene
Konzentrationen autokratischer Macht geschaffen hat, die unter internationale demokratische
Kontrolle gebracht werden muss, damit sie nicht für ungezählte Millionen von Menschen Armut
und Verzweiflung erzeugt. Ähnlich ist es mit dem historischen Durchbruch in der Informationsund
Kommunikationstechnologie, die ein so machtvolles Mittel zur Förderung sozialer
Entwicklung und zur Vertiefung des Gefühls des gemeinsamen Menschseins ist; diese
Technologie ist jedoch mit derselben Stoßkraft dazu in der Lage, die dem Vereinigungsprozess
förderlichen und für ihn nötigen, lebenswichtigen Impulse umzulenken und zu entstellen.
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V
Bahá’u’lláh spricht von einer neuen Beziehung zwischen Gott und der Menschheit, einer
Beziehung, die mit der heranbrechenden Reife der Menschheit in Einklang steht. Die höchste
Wirklichkeit, die das Universum geschaffen hat und es am Leben hält, wird immer außerhalb der
Reichweite des menschlichen Geistes und Verstandes bleiben. Die bewusste Beziehung, die die
Menschheit mit dieser göttlichen Realität geknüpft hat, ist das Ergebnis des Einflusses der großen
Religionsstifter gewesen: Moses, Zarathustra, Buddha, Jesus, Muhammad und früherer Stifter,
deren Namen größtenteils der Vergessenheit anheim gefallen sind. Indem sie auf diese göttlichen
Impulse reagierten, haben die Völker der Erde zunehmend die geistigen, intellektuellen und
moralischen Fähigkeiten entwickelt, die gemeinsam den menschlichen Charakter zivilisiert
haben. Diese aufeinander aufbauende, jahrtausendelange Entwicklung hat nun eine Phase
erreicht, die typisch ist für alle entscheidenden Wendepunkte einer Evolution, eine Phase, in der
vorher unerkannte Möglichkeiten sich plötzlich auftun: „Dies ist der Tag,“ bekräftigt Bahá’u’lláh,
„da Gottes erhabenste Segnungen den Menschen zugeströmt sind, der Tag, da alles Erschaffene
mit Seiner mächtigsten Gnade erfüllt wurde.“13
Aus Bahá’u’lláhs Perspektive gesehen hat die Geschichte der Stämme, Völker und
Nationen tatsächlich ihren Abschluss gefunden. Was wir heute miterleben, ist der Anfang der
menschenwürdigen Geschichte der Menschheit, der Geschichte einer Menschheit, die sich ihrer
eigenen Einheit bewusst ist. An diesem Wendepunkt in der Entwicklung menschlicher Kultur
bieten Bahá’u’lláhs Schriften eine Neubestimmung des Wesens und der Entwicklungsprozesse
der Zivilisation und eine Neuordnung ihrer Prioritäten. Ihr Ziel ist es, uns zu geistiger
Bewusstheit und Verantwortung zurückzurufen.
Man wird in den Schriften Bahá’u’lláhs nichts finden, das zu der Illusion ermutigt, dass die
prophezeiten Veränderungen auf einfache Art und Weise realisiert werden. Ganz im Gegenteil.
Wie die Ereignisse im zwanzigsten Jahrhundert schon zeigten, werden Gewohnheits- und
Einstellungsmuster, die seit Tausenden von Jahren fest verwurzelt sind, weder spontan noch als
einfache Reaktion auf Bildung oder Gesetzgebungen abgelegt. Sowohl im Leben des Einzelnen
als auch der Gesellschaft passieren tiefgreifende Veränderungen meistens als Antwort auf
intensives Leiden und unerträgliche Schwierigkeiten, die anderweitig nicht zu überwinden wären.
Genau eine solche große Prüfung, warnte Bahá’u’lláh, ist notwendig, um die verschiedenen
Völker der Erde zu einem einzigen Volk zusammenzuschmieden.
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13
Geistige und materialistische Vorstellungen vom Wesen der Realität sind miteinander
unvereinbar und führen in entgegengesetzte Richtungen. Während das neue Jahrhundert seinen
Anfang nimmt, hat die von der materialistischen Vorstellung gesetzte Zielrichtung eine
unglückliche Menschheit bereits weit über den Punkt hinausgebracht, an dem die Illusion der
Rationalität und erst recht die des menschlichen Wohlergehens aufrechterhalten werden konnte.
Mit jedem Tag, der verstreicht, mehren sich die Zeichen dafür, dass sich viele Menschen allerorts
dieser Erkenntnis bewußt werden.
Trotz der weithin vorherrschenden Gegenmeinung ist die Menschheit keine leere
Schrifttafel, auf der privilegierte Schiedsrichter menschlicher Angelegenheiten freizügig ihre
eigenen Wünsche eintragen können. Die Quellen des Geistes sprudeln wie und wo sie wollen. Sie
werden nicht auf unbestimmte Zeit durch das Geröll der zeitgenössischen Gesellschaft
unterdrückt werden. Es bedarf keiner prophetischen Fähigkeiten mehr um zu erkennen, dass die
Anfangsjahre des neuen Jahrhunderts Zeuge eines Freiwerdens von Energien und Zielsetzungen
sein werden, die unermesslich stärker sein werden als die gesammelten Gewohnheiten,
trügerischen Irrtümer und Abhängigkeiten, die so lange die Umsetzung jener Energien
verhinderten.
Wie groß der Aufruhr auch sein wird - die Zeitperiode, auf die sich die Menschheit derzeit
zubewegt, wird jedem Individuum, jeder Institution und jeder Gemeinschaft dieser Erde bisher
nicht dagewesene Möglichkeiten eröffnen, die Zukunft des Planeten mitzugestalten. „Bald“, so
verspricht Bahá’u’lláh voller Zuversicht, „wird die heutige Ordnung aufgerollt und eine neue an
ihrer Statt entfaltet werden.“14
Quellenangaben
1 Äußerungen der Abgeordneten Luis Gushiken und Rita Camata, Brasilia, 28. Mai 1992
2 Bahá’u’lláh, Botschaften aus ´Akká, Bahá’í-Verlag 1982, 6:32
3 Bahá’u’lláh, Brief an den Sohn des Wolfes, Bahá’í-Verlag 1988, S. 29
4 Bahá’u’lláh, Ährenlese, Bahá’í-Verlag 1980, 131:2
5 ´Abdu’l-Bahá, The Promulgation of Universal Peace, Wilmette: Bahá’í Publishing Trust, 1982, S. 74 und 126
6 Bahá’u’lláh, Ährenlese, Bahá’í-Verlag 1980, 111:1
7 Bahá’u’lláh, Ährenlese, Bahá’í-Verlag 1980, 96:2
8 Bahá’u’lláh, zitiert in: Shoghi Effendi, Das Kommen Göttlicher Gerechtigkeit, Bahá’í-Verlag 1969, S. 124
9 Bahá’u’lláh, Ährenlese, Bahá’í-Verlag 1980, 120:1
10 Bahá’u’lláh, Verborgene Worte, arab. 2, Bahá’í-Verlag 1997
11 Bahá’u’lláh, Botschaften aus ´Akká, Bahá’í-Verlag 1982, 6:26
12 Bahá’u’lláh, Ährenlese, Bahá’í-Verlag 1980, 106:1
13 Bahá’u’lláh, Ährenlese, Bahá’í-Verlag 1980, 4:1
14 Bahá’u’lláh, Ährenlese, Bahá’í-Verlag 1980, 4:2

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