Read: Abdul-Baha in London


Lady Blomfield (Hrsg.)
‘Abdu’l-Bahá in London
Ansprachen und Gesprächsnotizen
Bahá’í-Verlag
Bibliografische Information der?Deutschen Nationalbibliothek?Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Erstveröffentlichung des englischen Originals: ‘Abdu’l-Bahá in London, London 1912.?Ins Deutsche übertragen aufgrund der Commemorative Edition zum fünfundsiebzigsten Jahrestag von ‘Abdu’l-Bahás zweitem Besuch in Großbritannien, Dezember 1987, © Bahá’í Publishing Trust, London.
Texte vom zweiten Besuch ‘Abdu’l-Bahás in London aus der englischen Ausgabe von ?Paris Talks, Adresses Given by ‘Abdu’l-Bahá in 1911, London, 12. Auflage 1995.?Abbildung Seite 2: © Bahá’í International Community
© Bahá’í–Verlag GmbH D–65719 Hofheim 2011 – 168 ISBN 978–3–87037–483–9 Titelnummer 422–131
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Im August 1910 schiffte sich ‘Abdu’l-Bahá – von Haifa kommend – nach Port Said ein: der Anfang einer fast drei Jahre dauernden Reise, die Ihn nach Ägypten, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Österreich, Ungarn, die Vereinigten Staaten und Kanada führen sollte.
Wer war ‘Abdu’l-Bahá? Geboren 1844 in Teheran, Iran – gestorben 1921 in Haifa, Palästina (heute Israel), ist Er der älteste Sohn Bahá’u’lláhs, des Stifters der Bahá’í-Religion, von Ihm zum „Mittelpunkt Seines Bundes“ und zum Ausleger Seiner Lehren bestimmt. Bahá’u’lláhs Lehre von Liebe und Brüderlichkeit, von der Einheit aller Menschen und dem gemeinsamen Ursprung und Ziel der Religionen stieß auf die erbitterte Feindschaft religiöser Fanatiker. Seit seinem neunten Lebensjahr teilte ‘Abdu’l-Bahá mit seinem Vater Verbannung, Haft und Kerker, zunächst im Iran, dann im Osmanischen Reich, dort zuletzt in Palästina. Erst 1908, nach sechsundfünfzig langen Jahren, sollte Er gealtert und von Entbehrungen gezeichnet wieder die Freiheit erlangen. Trotz Krankheit und Alter besuchte Er Europa und Nordamerika, um den Bahá’í-Glauben dem westlichen Denken zu vermitteln und angesichts schwelender internationaler Konflikte für Verständigung und Frieden zu werben.
Der Ertrag dieser Reisen kann nicht hoch genug bewertet werden: Für die Gläubigen der noch jungen Bahá’í-Gemeinden des Westens sollte die unmittelbare Begegnung
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mit Ihm, dem „Meister“, prägend werden. Viele empfanden Ihn spontan als „eine Gestalt wie Jesus“, der ihr ganzes Sein verwandelte. Durch diese Begegnung erhielten die Gemeinden des Westens einen eigenen, ganz unmittelbaren Bezug zum Quell der Offenbarung, einen Bezug, der noch heute fortdauert. Aber auch für das Verständnis der Offenbarung Bahá’u’lláhs ist die Hinterlassenschaft dieser Reise nicht zu überschätzen: ‘Abdu’l-Bahá stand vor der Aufgabe, die zentralen Gedanken der Bahá’í-Religon einem westlichen Publikum zu vermitteln – ein Lehrstück religiöser Inkulturation. Dies hieß auch exemplarisch aufzugreifen und explizit zu machen, was in der Offenbarung Bahá’u’lláhs bereits implizit als Antwort und Fortführung christlicher und aufklärerischer Inhalte angelegt ist. Auch dies wird das Verständnis des Bahá’ítums nachhaltig prägen. Ansprachen aus dieser Zeit sind veröffentlicht in Ansprachen in Paris1, The Promulgation of Universal Peace2, in „Mein Herz ist bei euch“3 und im vorliegenden Band.
Während des Ersten Weltkriegs suchte ‘Abdu’l-Bahá nach Kräften die Not der Bevölkerung Palästinas zu lindern. 1920 wurde Er für seine humanitären Verdienste vom englischen König geadelt. Seine Beisetzung am 28. November 1921 in Haifa wurde zur Vision einer besseren,
. 1  Hofheim 1999
. 2  Talks Delivered by ‘Abdu’l-Bahá during His Visit to the United ?States and Canada in 1912, Compiled by Howard MacNutt, Wilmette 52007; eine Auswahl in deutscher Übersetzung in: Ansprachen in England und Nordamerika 1911-1912, Hofheim 2010
. 3  Werner Gollmer, „Mein Herz ist bei euch“. ‘Abdu’l-Bahá in Deutschland, Hofheim 1988; erweiterte Neuausgabe in Vorbereitung
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friedlicheren Zukunft Palästinas: Tausende von Anhängern aller Religionen des Heiligen Landes, Juden, Christen, Muslime, alle Bevölkerungsgruppen, alle Schichten vereinten sich in der Trauer um ‘Abdu’l-Bahá, dem „Diener Gottes“, dem Diener der Menschheit.
Zweimal kam ‘Abdu’l-Bahá auf Seinen Reisen nach Großbritannien: Zuerst vom 4. September bis zum 3. Oktober 1911. Während dieser Zeit weilte Er zumeist in London, mit kurzen Abstechern zu mehreren Orten in Surrey und nach Bristol. Im Anschluss an die Nordamerikareise dauerte der zweite Aufenthalt vom 13. Dezember 1912 bis zum 21. Januar 1913. In dieser Zeit besuchte ‘Abdu’l-Bahá Liverpool, London, Oxford, Edinburgh, Bristol und Woking.
‘Abdu’l-Bahá in London wurde erstmals 1912 durch die Bemühungen von Lady Blomfield veröffentlicht. Die in diesem Band gesammelten Ansprachen und Gesprächsnotizen stützen sich auf englische Mitschriften und Erinnerungen sowie auf Presseberichte.
Welchen Stellenwert haben derartige Texte im Bahá’í-Schrifttum? Zu ihrem Status erklärt Shoghi Effendi: „Bezüglich ‘Abdu’l-Bahá in London: Als Teil der Schrift kann nur gelten, wofür ein Originaltext vorliegt. Eine Mitschrift Seiner Ansprachen in persisch wäre natürlich verlässlicher als eine in englisch, da Er nicht immer richtig übersetzt wurde. Gleichwohl hat ein solches Buch seinen Wert und selbstverständlich auch seinen Platz in unserer Literatur.“4
4 Brief im Auftrag Shoghi Effendis vom 24. Oktober 1947, in: Unfolding Destiny: The Messages from the Guardian of the Bahá’í Faith to the Bahá’í Community of the British Isles, London 1981, S. 208
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Die hier erstmals vorliegende deutsche Ausgabe wurde ergänzt durch weitere Ansprachen und Texte vom zweiten Besuch ‘Abdu’l-Bahás in Großbritannien, die in der englischen Ausgabe von Paris Talks, Adresses Given by ‘Abdu’l-Bahá in 19115 als Anhang aufgenommen sind.
5 London, 12. Auflage 1995
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Einführung
Unter den Gläubigen in London und Paris war es nur wenigen vergönnt gewesen, nach ‘Akká zu reisen, um ‘Abdu’l-Bahá persönlich zu erleben, Seine Stimme zu hören und von Ihm selbst mit materieller und geistiger Nahrung versorgt zu werden. Viele sehnten sich danach, Ihn zu sehen und mit Ihm zu sprechen, doch stellten sich ihnen die unterschiedlichsten Hindernisse in den Weg. Der standhafte Gläubige, der in England gewissenhaft die Lampe am Brennen hielt, hegte wohl die leise Hoffnung, der Lehrmeister werde, nun, da Er endlich von den Fesseln befreit war und die Gefängnistore aufgestoßen worden waren, reisen und darin körperliche Erholung und Erquickung finden und dabei Seine Mitgläubigen im Westen besuchen. Aber eine solche Freude war fast jenseits seines Vorstellungsvermögens, und als es Verzögerungen gab, fragten die Freunde einander voller Unsicherheit: „Was wurde aus Seinem Versprechen, zu kommen?“ Umso größer war ihre Freude, als Er dann tatsächlich ankam. So gut wie ohne Ankündigung traf Er völlig unerwartet in London ein. Er kam ohne viel Aufhebens, so wie der Größte Friede ohne Paukenschlag anbrechen wird. Und den Grundstein für jenen Größten Frieden zu legen, das war der vorrangige und letztliche Zweck Seines Kommens.
In einem Haus untergebracht, dessen Besitzerin Er Seine „verehrte Tochter“ nannte, fühlte Er sich sogleich
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„daheim“. Jeden lieben langen Tag empfing Er herbeiströmende Besucher, die Ihm ihre Ehrerbietung erweisen und Seinen Segen empfangen wollten. Die Atmosphäre, die Ihn umgab, stand in vollem Einklang mit der nie erlahmenden Höflichkeit und Güte ‘Abdu’l-Bahás. Professoren ganz unterschiedlicher Glaubensrichtungen kamen und wurden vom Charme Seines würdevollen Auftretens und der inneren Überzeugung Seiner Seele überwältigt. Seine Botschaft der Einheit drang tief in die Herzen Seiner Zuhörer gleich welchen Glaubens.
Viele Menschen kamen, zahlreiche Fragen wurden gestellt. Selbst wenn die Notwendigkeit der Übersetzung eine Beeinträchtigung darstellen mochte, waren Seine Zuhörer von Seinen Antworten überrascht und angetan. Sie staunten, wie schnell Er ihre Gedanken erfasste, und nahmen Seine Antworten voll Bewunderung und mit Freundlichkeit auf. Ganz selten konnte man Ihn dazu überreden, durch die vollen Straßen der Stadt zu fahren oder in den einen oder anderen von herrlichstem Sonnenschein erfüllten Park zu gehen. Gelegentlich brachte man Ihn auch zur Freude und zur geistigen Erbauung der Freunde zu den Zentren verschiedener Gruppierungen. Dort hielt Er meist kurze, aber immer auf das Thema konzentrierte Ansprachen, in deren Mittelpunkt stets Seine Mission und Seine Botschaft standen. Wenn Er über Einheit und Frieden sprach, konnte man jedes Mal das Beben Seiner Stimme spüren.
Nur einoder zweimal gestand Er sich das Vergnügen zu, Freunde auf dem Lande zu besuchen: Ein typisches Dorf, mit dem Auto leicht zu erreichen, eine Großstadt im
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Westen Bristol. Dort fand Er nicht nur gastliche Aufnahme, sondern auch ehrerbietig und aufmerksam lauschende Menschen versammelt. Es gab denkwürdige Tage, an denen ‘Abdu’l-Bahá in Andachtsstätten und sozialen Einrichtungen zu einer großen Zuhörerschaft sprach. Der Pastor des City Temple, Reverend R. J. Campbell, M.A., stellte Ihn in einer überfüllten Kirche mit äußerst freundlichen Worten seiner Gemeinde vor, die ‘Abdu’l-Bahá mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörte. Die Ansprache wurde sogleich ins Englische übersetzt.
In der St. John’s Church von Westminster hielt der Erzdiakon, Hochwürden Wilberforce, einen ähnlichen Gottesdienst ab. Auf seinen Wunsch hin kniete die Kirchengemeinde nieder, um den Segen ‘Abdu’l-Bahás zu empfangen. Im Passmore Edwards Settlement, einer Wohlfahrtseinrichtung am Tavistock Place, versammelte sich ein dicht gedrängtes Publikum, um Ihn zu sehen und zu hören.
Diese Begegnungen hinterließen einen bleibenden und tiefen Eindruck im Herzen und im Gedächtnis von Männern und Frauen jedweder Schicht und Herkunft. Die Weite des Empfindens ‘Abdu’l-Bahás und Sein unterscheidender Scharfblick, mit dem Er auf unterschwellige oder auch offenkundige Probleme einging, verhalfen in allem, was Er ansprach, zu neuen Erkenntnissen. Jeder, der sich an Ihn wandte, fühlte sich verstanden und war erstaunt über ‘Abdu’l-Bahás umfassende Kenntnisse religiöser Unterschiede, mehr noch aber über Seine Darlegung religiöser Übereinstimmungen, und fühlte sich befreit. Themen von persönlichem oder allgemeinem Interesse wurden
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einmal durch meisterhafte, kurz gefasste Monologe oder ein andermal durch Fragen und Antworten behandelt und erklärt.
‘Abdu’l-Bahás Aufenthalt in London wurde überaus hoch geschätzt und Seine Abreise überaus tief bedauert. Er ließ viele, viele Freunde zurück. Seine Liebe hatte ihrerseits Liebe entfacht. Sein Herz hatte sich dem Westen geöffnet, und die patriarchalische Gestalt aus dem Osten hatte die westlichen Herzen gewonnen. In Seinen Worten schwang etwas mit, das nicht nur die gerade anwesenden Zuhörer, sondern ganz allgemein Männer wie Frauen ansprach. Sein Blick in die Zukunft war so voll Hoffnung und Sein ganzes Sein so sehr darauf gerichtet, die Prinzipien von Frieden und Einheit zu verkünden, dass Seine Ausführungen und Antworten keinesfalls unaufgezeichnet bleiben durften. Dem vorliegenden Versuch, sie zur Bereicherung aller Leser wiederzugeben, liegt die feste Hoffnung zugrunde, dass sie Anliegen und Arbeit des Redners begreiflich machen und die Bekennenden aller Glaubensrichtungen in aller Welt ‘Abdu’l-Bahá beipflichten mögen.
Eric Hammond
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Erster Besuch ‘Abdu’l-Bahás in Großbritannien vom 4. September bis zum 3. Oktober 1911
Öffentliche Ansprachen
City Temple: Einführung
Am 10. September, dem ersten Sonntag nach ‘Abdu’l-Bahás Ankunft in England, sprach Er auf besonderen Wunsch des Pastors, Reverend R. J. Campbell, von der Kanzel des City Temple zu der zum Abendgottesdienst versammelten Gemeinde.
Obwohl man ‘Abdu’l-Bahás Kommen nicht bekannt gegeben hatte, war die Kirche bis zum letzten Platz besetzt. Kaum einer der Anwesenden wird jemals die ehrwürdige Gestalt vergessen, die in ihrem orientalischen Gewand die Stufen zur Kanzel hinaufstieg, um zum ersten Mal in ihrem Leben das Wort an eine öffentliche Versammlung zu richten. Dass dies an einem christlichen Andachtsort im Westen geschah, ist schon an sich von tiefer Bedeutung. Mr. Campbell stellte den Besucher mit einigen schlichten Worten vor, indem er sagte: „Wir als die Anhänger des Herrn Jesus Christus, der für uns das Licht der Welt ist und immer sein wird, betrachten jede Bewegung des Geistes Gottes im Leben der Menschheit mit Wohlwollen und Hochachtung, und daher begrüßen wir ‘Abdu’l-Bahá im Namen aller, die am Geist unseres Herrn teilhaben und versuchen, in diesem Geiste zu leben. Die Bahá’í-Bewegung ist mit dem geistigen Ziel des Christentums sehr eng verwandt, ich möchte fast sagen identisch.“
Bevor ‘Abdu’l-Bahá die Kirche verließ, schrieb Er in die von Priestern seit Generationen benutzte alte Bibel folgende Worte in Seiner persischen Muttersprache, hier in Übersetzung:
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Eintrag in die Alte Bibel
geschrieben von ‘Abdu’l-Bahá auf Persisch
„Dieses Buch ist das Heilige Buch Gottes, ein Buch der himmlischen Eingebung. Es ist die Bibel der Erlösung, das erhabene Evangelium. Es ist das Geheimnis des Königreiches und sein Licht. Es ist die göttliche Gnadengabe, das Zeichen der Führung Gottes.“
‘Abdu’l-Bahá ‘Abbás
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Ansprache ‘Abdu’l-Bahás im City Temple
Sonntag, 10. September 1911
O edle Freunde, die ihr Gott sucht! Preis sei Gott! Heute strahlt das Licht der Wahrheit in seiner ganzen Fülle über die Welt, die Brisen des himmlischen Gartens wehen durch alle Regionen, der Ruf des Königreichs wird in allen Ländern vernommen und der Odem des Heiligen Geistes von allen gläubigen Herzen erfühlt. Der Geist Gottes gibt ewiges Leben. In diesem wunderbaren Zeitalter ist der Osten erleuchtet, der Westen ist von Duft erfüllt, und überall atmet die Seele den heiligen Wohlgeruch. Das Meer der Einheit der Menschheit wogt vor Freude, denn die Herzen und Gedanken der Menschen kommen tatsächlich in Verbindung miteinander. Das Banner des Heiligen Geistes ist erhoben. Die Menschen sehen es, und die Erkenntnis dieses neuen Tages gibt ihnen Gewissheit.
Dies ist ein neuer Zyklus menschlicher Macht. Alle Horizonte der Welt sind erleuchtet, und die Welt wird wahrhaftig wie ein Garten und ein Paradies werden. Es ist die Stunde der Einheit für die Menschenkinder, die Stunde, in der alle Rassen und alle Klassen zueinander finden. Ihr seid von überlieferten abergläubischen Vorstellungen befreit, die die Menschen im Stande der Unwissenheit gehalten und die Grundlagen wahrer Menschlichkeit zerstört haben.
Die Gabe Gottes an dieses erleuchtete Zeitalter ist die Erkenntnis der Einheit der Menschheit und der grundlegenden Einheit der Religion. Der Krieg zwischen den Nationen wird aufhören, und durch den Willen Gottes wird der Größte
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Frieden kommen; die Welt wird als eine neue Welt gesehen werden, und alle Menschen werden wie Brüder leben.
In alten Zeiten entwickelte sich im Kampf mit wilden Tieren der Instinkt für das Kriegerische. Man braucht ihn nicht länger; nein, man erkennt vielmehr, dass Zusammenarbeit und gegenseitiges Verständnis der Menschheit den größten Segen bringen. Feindschaft ist jetzt nur noch die Folge von Vorurteilen.
In den Verborgenen Worten sagt Bahá’u’lláh: „Von allem das Meistgeliebte ist mir die Gerechtigkeit.“ Gott sei gepriesen, in diesem Land wurde das Banner der Gerechtigkeit gehisst; große Anstrengungen werden gemacht, um allen Menschen einen angemessenen und rechten Platz zu geben. Dies ist der Wunsch aller edlen Naturen; dies ist heute das Gebot für Ost und West; daher werden der Osten den Westen und der Westen den Osten verstehen und schätzen, sie werden einander umarmen wie Liebende, die sich nach langer Trennung gefunden haben.
Es gibt nur einen Gott, nur eine Menschheit; die Grundlagen der Religion sind eins. Wir wollen Ihn anbeten und preisen für Seine großen Propheten und Sendboten, die Seine Lichtfülle und Seine Herrlichkeit offenbart haben.
Der Segen des Ewigen sei mit euch in all seiner Fülle, damit jede Seele entsprechend ihrer Fähigkeit, so viel sie kann, aus diesem Reichtum schöpfen mag. Amen.6
6 Diese Ansprache erschien am 13. September 1911 in „The Christian Commonwealth“ und wurde hier mit freundlicher Genehmigung des Verlags abgedruckt. ‘Abdu’l-Bahá sprach von der Kanzel des City Temple auf Persisch. Die Übersetzung ins Englische wurde der Gemeinde dann von Mr. W. Tudor-Pole vorgelesen.
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St. John’s, Westminster: Einführung
Am 17. September sprach ‘Abdu’l-Bahá auf Einladung seiner Hochwürden Erzdiakon von Westminster nach der Abendmesse zur Gemeinde von Saint John the Divine7. Mit kurzen, herzlichen, seine ganze Haltung kennzeichnenden Worten stellte Erzdiakon Wilberforce den geehrten Botschafter aus dem Osten vor, der für seine Mission des Friedens und der Einheit vierzig Jahre Gefangenschaft und Verfolgung erlitten und nun Meere und Länder durchquert hatte. Der Erzdiakon hatte für seinen Gast den Ehrensitz des Bischofs auf die Stufen vor der Kanzel stellen lassen. Er selbst stand daneben und verlas persönlich die Übersetzung der Ansprache ‘Abdu’l-Bahás. Die Gemeinde war tief bewegt. Sie folgte dem Beispiel des Erzdiakons und kniete nieder, um den Segen des Dieners Gottes zu empfangen, der mit ausgebreiteten Armen dastand, während sich in der Stille seine wundervolle Stimme melodisch hob und senkte. Als der Erzdiakon die Worte: „Wahrlich, der Osten und der Westen sind einander heute Abend an diesem heiligen Ort begegnet“, gesprochen hatte, sang die ganze Versammlung im Stehen die Hymne „O God our help in ages past“ („O Gott, Du uns’re Hilfe in vergang’nen Zeiten“), während ‘Abdu’l-Bahá und der Erzdiakon Hand in Hand durch das Seitenschiff zur Sakristei schritten.
Draußen vor der Kirche hielten die Mitglieder der Heilsarmee ihre Versammlung ab. ‘Abdu’l-Bahá war tief beeindruckt und berührt, als Er die Männer, Frauen und Kinder sah, die da nachts an der Straßenecke zu Gebet und Gesang zusammenkamen.
7 d.i. der Apostel Johannes (Anm. d. Übers.) 24
Ansprache ‘Abdu’l-Bahás in der Kirche St. John’s, Westminster
17. September 1911
O edle Freunde! O ihr Sucher nach dem Königreich Gottes! Der Mensch sucht überall auf der Welt nach Gott. Nur Gott existiert wirklich; doch die Wirklichkeit des Göttlichen ist über alles Verstehen geheiligt.
Die Bilder des Göttlichen, die uns in den Sinn kommen, sind das Erzeugnis unserer Phantasie; sie existieren im Reich unserer Vorstellung. Sie werden der Wahrheit nicht gerecht. Das Wesen der Wahrheit lässt sich nicht in Worte fassen.
Das göttliche Wesen lässt sich nicht erfassen, da es umfassend ist.
Auch der Mensch existiert wirklich, wird aber von Gott umfasst. Daher ist das Göttliche, das der Mensch verstehen kann, nur ein Teil; es ist nicht das Ganze. Das Göttliche ist die eigentliche Wahrheit und das wirkliche Sein, nicht irgendeine Darstellung davon. Das Göttliche birgt das All; es ist selbst nicht Inhalt eines anderen.
Obwohl dem Mineral, der Pflanze, dem Tier und dem Menschen, jedem für sich, wirkliches Sein zukommt, hat das Mineral dennoch kein Wissen von der Pflanze. Es kann die Pflanze nicht wahrnehmen. Es kann sich weder ein Bild von ihr machen noch sie begreifen.
Dasselbe gilt für die Pflanze. Sie mag noch so weit fortschreiten und sich entwickeln, nie wird sie je einen Begriff vom Tier haben oder es verstehen. Sie hat von ihm
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sozusagen keine Ahnung. Sie hat keine Ohren, kein Sehund kein Begriffsvermögen.
Ebenso verhält es sich mit dem Tier. Welch große Fortschritte es innerhalb seines Schöpfungsreiches auch machen mag, wie ausgeprägt seine Empfindungen auch werden mögen, es wird keinen wirklichen Begriff von der Welt des Menschen oder dessen besonderen intellektuellen Fähigkeiten haben.
Das Tier kann weder verstehen, dass die Erde rund ist, noch dass sie sich im All bewegt. Es begreift weder den zentralen Standort der Sonne, noch kann es sich etwas wie den alldurchdringenden Äther vorstellen.
Mineral, Pflanze, Tier und der Mensch selbst sind real existierende Wesen. Aber der Unterschied zwischen ihren Schöpfungsreichen hindert die der niedrigeren Stufe Angehörenden daran, Wesen und Seinsweise der auf der höheren Stufe Stehenden zu begreifen. Da dem so ist, wie kann dann das Zeitbedingte, Irdische den Herrn der Heerscharen erfassen?
Das ist offensichtlich unmöglich!
Aber das Wesen des Göttlichen, die Sonne der Wahrheit, scheint von allen Horizonten und ergießt ihre Strahlen über alle Dinge. Jedes Geschöpf ist Empfänger eines gewissen Anteils dieser Kraft, und der Mensch, der in sich die Vollkommenheiten des Minerals, der Pflanze und des Tieres zusammen mit den ihn allein auszeichnenden Merkmalen vereint, ist zum edelsten aller erschaffenen Wesen geworden. Es steht geschrieben, dass er nach dem Bilde Gottes geschaffen ist. Er entdeckt verborgene Mysterien und bringt versteckte Geheimnisse ans Licht. Durch Wis-
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senschaft und Kunst lässt er verborgene Kräfte ins Reich der sichtbaren Welt treten. Der Mensch erkennt die in den erschaffenen Dingen verborgenen Gesetze und arbeitet mit ihnen.
Der vollkommene Mensch, der Prophet, ist am Ende jener, der verklärt wurde, der die Reinheit und Klarheit eines vollkommenen Spiegels besitzt und die Sonne der Wahrheit widerspiegelt. Von einem solchen vollkommenen Menschen, einem solchen Propheten oder Sendboten, können wir sagen, in ihm wohnt das Licht des göttlichen Wesens mit seinen himmlischen Vollkommenheiten.
Wenn wir behaupten, die Sonne sei im Spiegel sichtbar, dann meinen wir nicht, dass die Sonne selbst aus den heiligen Höhen ihres Himmels herabgestiegen und in den Spiegel eingetreten sei! Das ist unmöglich. Die Göttliche Natur wird in ihren Manifestationen sichtbar, und ihr Licht und Glanz zeigen sich in höchstem Ruhm.
Darum sind die Menschen zu allen Zeiten von den Propheten Gottes gelehrt und geführt worden. Die Propheten Gottes sind die Mittler Gottes. Alle Propheten und Boten sind von dem Einen Heiligen Geist gekommen und tragen die Botschaft Gottes, die jeweils dem Zeitalter angepasst ist, in dem sie erscheinen. Das Eine Licht ist in ihnen, und sie sind eins untereinander. Aber das Ewige wird nicht zur Erscheinung, noch kann die bloße Erscheinung zum Ewigen werden.
Der große Apostel Paulus hat gesagt: „Wenn wir mit offenem Angesicht wie in einem Spiegel die Herrlichkeit Gottes schauen, werden wir alle in dieses selbe Bild ver-
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wandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn.“8
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O Gott, o Vergeber! O Himmlischer Erzieher! Diese Versammlung ist mit der Erwähnung Deines heiligen Namens geschmückt. Deine Kinder wenden ihr Antlitz Deinem Königreiche zu, die Herzen werden beglückt und die Seelen erquickt.
Gnädiger Gott! Gib, dass wir unsere Verfehlungen bereuen! Nimm uns an in Deinem himmlischen Königreich und weise uns eine Stätte zu, wo es kein Irren gibt. Gib uns Frieden, gib uns Wissen und öffne vor uns die Tore Deines Himmels.
Du bist der Geber aller Gaben! Du bist der Vergebende! Du bist der Gnädige. Amen.
8 vgl. 2. Korinther 3, 18
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Theosophische Gesellschaft: Einführung
Auf ausdrücklichen Wunsch der Vorsitzenden, Mrs. Annie Besant, besuchte ‘Abdu’l-Bahá am 30. September die Theosophische Gesellschaft in ihrem neuen Zentrum. Nachdem Mr. A. P. Sinnett kurz die Geschichte der Gesellschaft vorgetragen und freundliche Willkommensworte gesprochen hatte, erhob sich ‘Abdu’l-Bahá und hielt vor der zahlreichen Zuhörerschaft eine Rede über die unterscheidenden Merkmale der Bahá’í-Lehren, wobei Er die eifrige Suche der Gesellschaft nach Wahrheit mit herzlichen Worten würdigte.
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Rede ‘Abdu’l-Bahás im Theosophischen Zentrum
30. September 1911
Verehrte Versammlung, o Freunde der Wahrheit! Das natürliche Wesen des Feuers ist, zu brennen, das natürliche Wesen der Elektrizität, Licht zu spenden, das natürliche Wesen der Sonne, zu scheinen, und das natürliche Wesen der organischen Erde die Kraft, etwas wachsen zu lassen.
Eine Sache lässt sich nicht von ihren natürlichen, ihr Wesen ausmachenden Eigenschaften abtrennen.
Es liegt im natürlichen Wesen der Dinge auf dieser Erde, sich zu verändern. Deshalb beobachten wir um uns herum den Wechsel der Jahreszeiten. Jedem Frühling folgt ein Sommer und jedem Herbst ein Winter, jedem Tag eine Nacht und jedem Abend ein Morgen. Alle Ereignisse geschehen folgerichtig der Reihe nach.
So kam es, dass, als Hass und Feindschaft, Kampf, Gemetzel und große Herzenskälte diese Welt regierten und Finsternis über die Nationen hereinbrach, am Horizont Persiens Bahá’u’lláh wie ein heller Stern erschien und mit dem machtvollen Licht der Führung leuchtete, himmlischen Strahlenglanz spendete und die neue Lehre stiftete.
Er sprach von den höchsten Tugenden des Menschen. Er machte die Kräfte des Geistes offenbar und zeigte, wie sie sich in der Welt, die Er vorfand, in die Praxis umsetzen lassen.
Erstens: Er legt großen Nachdruck auf das Suchen nach Wahrheit. Dies ist von höchster Bedeutung, denn die Menschen lassen sich nur zu leicht von Traditionen leiten. Allein aus diesem Grund entstehen oft Feindschaft und Streit.
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Das Offenbarwerden der Wahrheit jedoch macht das zuvor Dunkle plötzlich erkennbar und wird zur Ursache der Harmonie zwischen Glaubensrichtungen und Bekenntnissen, denn die Wahrheit kann nicht zweigeteilt sein! Das ist nicht möglich.
Zweitens: Bahá’u’lláh lehrte die Einheit der Menschheit, das bedeutet, dass alle Menschenkinder unter der Barmherzigkeit Gottes, des Herrn, stehen. Sie sind die Söhne eines Gottes, sie werden von Gott erzogen. Er setzt jedem einzelnen Gottesdiener die Krone des Menschseins aufs Haupt. Deshalb müssen alle Nationen und Völker einander als Brüder betrachten. Sie sind die Zweige, Blätter, Blüten und Früchte eines Baumes. Sie sind Perlen aus einer Muschel. Jedoch brauchen die Menschenkinder Erziehung und Kultur, und sie müssen poliert werden, bis sie strahlen und glänzen.
Beide, Männer und Frauen, sollten die gleiche Erziehung erhalten und als gleichwertig betrachtet werden.
Rassische, vaterländische, religiöse und Klassenvorurteile waren und sind die Ursache für den Niedergang der Menschheit.
Drittens: Nach der Lehre Bahá’u’lláhs ist Religion das wichtigste Fundament für Liebe und Einheit und die Ursache für Harmonie. Wird eine Religion zum Anlass für Hass und Missklang, wäre es besser, es gäbe sie gar nicht. Ohne eine solche Religion zu sein, wäre besser, als mit ihr zu leben.
Viertens: Religion und Wissenschaft sind eng miteinander verflochten und können nicht getrennt werden. Sie sind die beiden Flügel, mit denen die Menschheit fliegen muss. Ein
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Flügel genügt nicht. Jede Religion, die sich nicht mit Wissenschaft befasst, ist bloße Tradition und geht am Wesentlichen vorbei. Deshalb sind für ein erfülltes religiöses Leben Wissenschaft, Bildung und Kultur absolute Notwendigkeiten.
Fünftens: Die Wirklichkeit der Religionen Gottes ist eine gemeinsame, denn es gibt nur eine einzige Wirklichkeit; es kann nicht zwei Wirklichkeiten geben. Alle Propheten stimmen in ihrer Botschaft felsenfest überein. Sie sind wie die Sonne: Sie gehen zu den verschiedenen Jahreszeiten an unterschiedlichen Punkten des Horizontes auf. Darum verkündete jeder Prophet früherer Zeitalter die Frohbotschaft einer kommenden Zeit, und jede neue Zeit hat die Vergangenheit anerkannt.
Sechstens: Gleichheit und Brüderlichkeit müssen unter allen Gliedern der menschlichen Gemeinschaft herrschen. Das entspricht der Gerechtigkeit. Die allgemeinen Menschenrechte müssen geschützt und festgeschrieben werden.
Alle Menschen müssen gleich behandelt werden. Dies ist im Wesen des Menschen angelegt.
Siebtens: Die Lebensbedingungen der Menschen müssen so gestaltet werden, dass die Armut verschwindet und jeder seiner Stellung und seinem Rang entsprechend soweit wie möglich sorgenfrei leben kann. Wenn der Adel und andere hochrangige Personen angenehme Verhältnisse genießen, sollen auch die Mittellosen in der Lage sein, ihr tägliches Brot zu erwerben und nicht an den Rand des Verhungerns getrieben werden.
Achtens: Bahá’u’lláh verhieß den Größten Frieden. Alle Nationen und Völker werden unter dem Schatten des Zeltes des großen Friedens und der Harmonie zusam-
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menkommen. Das bedeutet, dass durch allgemeine Wahl ein Oberster Gerichtshof geschaffen werden muss, der die Aufgabe hat, Differenzen und Konflikte zwischen den Mächten beizulegen, so dass Kontroversen nicht mehr zu Kriegen führen.
Neuntens: Bahá’u’lláh lehrte, dass die Herzen den besonderen Segen des Heiligen Geistes auf sich ziehen müssen, so dass eine geistige Kultur entstehen kann, denn materielle Zivilisation genügt den Bedürfnissen der Menschheit nicht und kann ihr Glück nicht bewirken. Materielle Zivilisation ist wie der Körper und geistige Zivilisation wie die Seele. Ein Körper kann ohne Seele nicht leben.
Dies ist eine kurze Zusammenfassung der Lehren Bahá’u’lláhs. Um dies zu lehren, musste Bahá’u’lláh große Schwierigkeiten und Bedrängnis auf sich nehmen. Er war zeitlebens ein Gefangener und musste schwere Verfolgung erdulden. Aber in der Feste9 errichtete Er einen Palast des Geistes, und aus der Dunkelheit Seines Kerkers sandte Er ein großes Licht in die Welt.
Die Bahá’í haben den sehnlichen Wunsch, diese Lehren überall in die Tat umzusetzen, und sie streben mit Herz und Seele danach, ihr Leben diesem Ziel zu widmen, bis das himmlische Licht die ganze Menschenwelt erleuchtet.
Ich bin sehr glücklich, dass ich bei dieser Versammlung zu Ihnen sprechen durfte, und hoffe, dass dieses mein ernstes Anliegen Ihnen annehmbar erscheint.
Ich bete für Sie um Erfolg in Ihren Bestrebungen und dass Ihnen die Gnadengaben des Reiches Gottes zuteil werden mögen.?9 ‘Akká (Anm. d. Übers.)
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Abschiedsempfang: Einführung
Am Abend des Sankt-Michaels-Tages gab man für ‘Abdu’l-Bahá im großen Saal des Passmore Edwards’ Settlement einen großen Empfang. Der Raum war mit Vertretern aller Berufssparten, manche von weit her angereist, bis auf den letzten Platz besetzt.
Auf der Tribüne war ‘Abdu’l-Bahá von Männern verschiedenster Denkrichtungen umringt, die ihre Sympathie für die Arbeit und den Auftrag ihres ehrenwerten Besuchers bekunden wollten. Den Vorsitz führte Professor Michael E. Sadler.
Die Veranstaltung begann mit dem Vaterunser, von allen Anwesenden gemeinsam gesprochen. Darauf folgte das Gebet Bahá’u’lláhs um Einheit sowie ein Gebet aus dem fünften Jahrhundert, das Papst Gelasius10 zugeschrieben wird. Professor Sadler sprach dann Worte, die allen Zuhörern im Gedächtnis bleiben werden. In seiner Ansprache zitierte er aus einem Gebet für die ganze Menschheit, welches ein tief gläubiger Bahá’í ‘Abdu’l-Bahá ein Jahr zuvor in Ägypten vorgelegt hatte, das ‘Abdu’l-Bahá dann vervollständigte und den Menschen aller Glaubensrichtungen in Ost und West ans Herz legte.
Dem Vorsitzenden folgten Sir Richard Stapley, Mr. Eric Hammond, Mr. Claude Montefiore, Mrs. Stannard aus Ägypten und einige andere. Als ‘Abdu’l-Bahá den Saal verließ, drängten sich auf dem Bürgersteig die Armen aus der Umgebung, um Ihn zu sehen. Ein lahmes Mädchen auf Krücken, das Ihn sehnsüchtig anschaute, wurde extra zu Ihm hingeführt.
10 Gelasius I., Pontifikat 492-496 (Anm. d. Übers.) 34
Abschiedstreffen für ‘Abdu’l-Bahá
Auf Einladung von Mrs. Thornburgh-Cropper fanden sich am letzten Freitag Abend im großen Saal des Passmore Edwards’ Settlement, Tavistock Place, etwa vierhundertsechzig Damen und Herren der Gesellschaft ein, um ‘Abdu’l-Bahá ‘Abbás am Vorabend Seiner Abreise nach Paris Lebewohl zu sagen. Seit Seiner Ankunft in London am Abend des 4. September verbrachte Er vier glückliche, ereignisreiche Wochen in unserer Mitte. Abgesehen von einem Kurzbesuch in Bristol letzte Woche weilte Er in Cadogan Gardens 97. Seine Zeit wurde vorwiegend von Gesprächen mit Menschen in Anspruch genommen, die Ihn gerne treffen wollten. Darunter waren nicht wenige, deren Namen in diesem Land in aller Munde sind, und einige reisten von weit her an, um Ihm persönlich zu begegnen.
Am Freitagabend herrschte ein wunderbarer Geist. Die Stimmung unterschied sich sehr von der einer gewöhnlichen Versammlung oder religiösen Zusammenkunft. Jeder Anwesende wurde durch die feine, geistige Atmosphäre der Veranstaltung bereichert. Die angesprochenen Themen kreisten alle um Brüderlichkeit, Einheit und Frieden. Ein Bericht über die Ansprachen kann höchstens eine unzureichende Ahnung von deren Wirkung vermitteln, aber sie waren alle so gut durchdacht, so aufrichtig und so vorzüglich in Worte gefasst, dass sie der Wiedergabe wert sind. Neben anderen Personen teilte Amír ‘Alí Siyyid schriftlich sein Bedauern mit, dass er nicht anwesend sein
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konnte, und Erzdiakon Wilberforce sandte eine herzliche Grußbotschaft.
Nach dem Vaterunser und Gebeten für Einheit, verfasst von Bahá’u’lláh und Gelasius (fünftes Jahrhundert) sprach Professor Michael Sadler die folgenden Worte.
Ansprache von Professor Michael Sadler
„Wir sind zusammengekommen, um ‘Abdu’l-Bahá Lebewohl zu sagen und um Gott zu danken für Sein Vorbild und die Lehren, die Er gegeben hat, sowie für die Macht Seines Gebets, Licht in verworrenes Denken zu bringen, Hoffnung an die Stelle von Furcht zu setzen, Glaube dorthin zu tragen, wo Zweifel herrschte, und in gequälte Herzen die Liebe zu senken, die Selbstsucht und Angst überwindet.
Obwohl wir alle trotz gemeinsamer Glaubensbekenntnisse doch unterschiedliche persönliche Überzeugungen hegen, hat ‘Abdu’l-Bahá für uns alle eine Botschaft von Einheit, Mitmenschlichkeit und Frieden. Er fordert uns auf, aufrichtig und ehrlich zu sein in dem, was wir als Glauben bekennen, und vor allen Dingen den Geist zu ehren, der hinter der Form steht. Mit Ihm verbeugen wir uns vor dem verborgenen Namen, vor dem, was eines jeden Lebens innerster Kern ist. Er gebietet uns, in furchtloser Treue zu unserem eigenen Glauben Gott zu dienen, jedoch mit wachsendem Verlangen nach Einheit, Brüderlichkeit und Liebe, so dass wir uns mit der Kraft des Geistes und aus vollem Herzen aufmachen, die über Klasse und Rasse erhabene zeitlose Absicht Gottes besser zu begreifen.“
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Professor Sadler schloss mit einem wunderschönen Gebet von James Martineau.
Mr. Eric Hammond sagte, die Bahá’í-Bewegung trete für die Einheit ein, das bedeute: ein Gott, eine Menschenfamilie. Ungezählt viele Seelen bekundeten die göttliche Einheit, eine so vollkommene Einheit, dass Unterschiede in Farbe oder Konfession keinen Raum lassen, zwischen den Manifestationen Gottes zu unterscheiden. Alle diese Seelen legten eine umfassende Menschenliebe an den Tag, die auch die sozial am tiefsten stehenden und die unbedeutendsten, heruntergekommensten Menschen mit einschloss. Einigkeit, Mitgefühl und Brüderlichkeit führten letztendlich zu universeller Eintracht. Er schloss mit einem Zitat von Bahá’u’lláh, wonach die Sache Gottes für das Wohl der Welt bestimmt sei und weder auf den Osten noch auf den Westen beschränkt werden könne.
Miss Alice Buckton sagte, wir stünden am Beginn einer der Frühlingszeiten der Welt. Der Einfluss, der von dieser Zusammenkunft von Vertretern der Welt des Denkens, der Arbeit und der Liebe ausgehe, werde weltweit Einheit und Brüderlichkeit bewirken. Die völlige Gleichberechtigung von Mann und Frau sei eines der hervorstechendsten Merkmale der Bahá’í-Lehre.
Sir Richard Stapley hob hervor, dass Einheit nicht in Bräuchen und formalen Nebensachen, sondern im inneren Geist der Religion gesucht werden muss. Persien habe einen solchen Impuls hin zu wirklicher Einheit erfahren; für dieses sogenannte christliche Land sei das wie eine Rüge.
Mr. Claude Montefiore freute sich als Jude über den wachsenden Geist der Einheit und sah in diesem Treffen
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ein Vorzeichen für das Herannahen besserer Zeiten und in gewisser Hinsicht die Erfüllung der von einem römischkatholischen Märtyrer, Sir Thomas More, ausgesprochenen und beschriebenen Idee von der großen Kirche der Utopier, in der alle verschiedenen Glaubensrichtungen sich versammeln und einen Gottesdienst mit einer Liturgie abhalten, die eine höhere Einheit bekundet und gleichzeitig besondere Treuebindungen zulässt.
Mrs. Stannard ging näher darauf ein, was diese Versammlung und die hier ausgedrückten Gefühle für den Osten und dort besonders für die Frauen und deren im Westen schwer begreifbare Lage bedeuteten.
Tammaddun’ul-Mulk bestätigte den einigenden Einfluss, den die Bahá’í-Bewegung in Persien gehabt habe, und auf welch erstaunliche Weise sie sich in Amerika und anderen Ländern verbreitet habe.
Dann erhob sich ‘Abdu’l-Bahá, um Seine Abschiedsrede zu halten. Als eindrucksvolle Gestalt, die Gesichtszüge eher erschöpft, aber die Augen voller Leben, stand Er etwa fünfzehn Minuten da und sprach in sanft melodischem Persisch. Mit ausgebreiteten Armen, die Handflächen nach oben, schloss Er mit einem Gebet.
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Abschiedsrede ‘Abdu’l-Bahás
O edle Freunde und Sucher nach dem Reich Gottes! Vor etwa sechzig Jahren, zu einer Zeit, als das Feuer des Krieges unter den Nationen der Welt loderte und die Menschheit Blutvergießen für ehrbar hielt, zu einer Zeit, als das Abschlachten Tausender die Erde mit Blut befleckte, Kinder ihrer Väter beraubt wurden, Väter keine Söhne mehr hatten und Mütter sich in Tränen verzehrten, als die Finsternis des Hasses und der Feindschaft zwischen den Rassen die Menschheit zu verschlingen und das göttliche Licht zu verhüllen drohte, als das Wehen des heiligen Hauches Gottes scheinbar erstickt wurde – in dieser Zeit erhob sich am Horizont Persiens Bahá’u’lláh gleich einem strahlenden Stern. Er war betraut mit der Botschaft von Frieden und Brüderlichkeit unter den Menschen.
Er brachte der Welt das Licht der Führung; Er entzündete das Feuer der Liebe und offenbarte die erhabene Wirklichkeit des Wahren Geliebten. Vorurteilen der Rasse und der Religion und politischer Rivalität suchte Er den Boden zu entziehen.
Er verglich die Menschenwelt mit einem Baum und alle Nationen mit dessen Zweigen und die Menschen mit seinen Blättern, Knospen und Früchten.
Es war Sein Anliegen, unwissenden Fanatismus in allumfassende Liebe zu wandeln, im Denken und Fühlen Seiner Anhänger die Grundlage für die Einheit der Menschheit zu legen und die Gleichheit der Menschen praktisch herbeizuführen. Er sprach von der Gleichheit aller Menschen unter der Gnade und Barmherzigkeit Gottes.
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Alsdann wurde das Tor des Reiches Gottes weit geöffnet, und die Sonne eines neuen Himmels auf Erden offenbarte sich den wahrhaft sehenden Augen.
Bahá’u’lláh war jedoch Zeit Seines Lebens von schweren Heimsuchungen betroffen und grausamer Unterdrückung ausgeliefert. In Persien wurde Er ins Gefängnis geworfen und in Ketten gelegt und lebte unter ständiger Bedrohung des Schwertes. Er wurde verhöhnt und ausgepeitscht.
Als Er etwa dreißig Jahre alt war, verbannte man Ihn nach Baghdád, dann von Baghdád nach Konstantinopel, von dort nach Adrianopel und zuletzt in die Festung ‘Akká.
Doch selbst in Ketten und aus Seiner Gefängniszelle heraus gelang es Ihm, Seine Sache zu verbreiten und das Banner der Einheit der Menschheit aufzupflanzen.
Gelobt sei Gott! Jetzt sehen wir das Licht der Liebe im Osten wie im Westen leuchten, und das Zelt der Brüderlichkeit ist inmitten aller Völker errichtet worden, auf dass alle Herzen und Seelen sich darin versammeln mögen.
Der Ruf des Gottesreiches ist erschallt, und die Kunde, dass die Welt den universalen Frieden dringend nötig hat, brachte das Weltgewissen zur Einsicht.
Ich hoffe, dass durch die inbrünstige Hingabe derer, die reinen Herzens sind, die Finsternis aus Hass und Streit gänzlich getilgt und der Liebe und Einheit Licht leuchten werde. Diese Welt soll eine neue Welt werden. Materielles soll zum Spiegel des Göttlichen werden. Menschenherzen sollen einander begegnen und einander bereitwillig annehmen. Die ganze Welt soll zum Heimatland des Menschen werden und die verschiedenen Rassen als eine einzige gelten.

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Wortstreit und Uneinigkeit werden dann dahinschwinden und der göttliche Geliebte wird auf dieser Erde offenbar werden.
Wie Ost und West von einer Sonne erleuchtet werden, so wird man alle Rassen, Nationen und Glaubensbekenntnisse als die Diener des einen Gottes ansehen. Die ganze Erde ist eine Heimat, und alle Völker sind in die Einheit der Gnade Gottes eingetaucht – würden sie es nur erkennen. Gott hat sie alle erschaffen. Er sorgt für alle. Er leitet und erzieht alle unter der Obhut Seiner Gnadenfülle. Wir müssen dem Beispiel folgen, das Gott selbst uns gibt, und allen Hader und Wortstreit aus der Welt schaffen.
Gelobt sei Gott! Die Zeichen der Freundschaft mehren sich, und als Beweis dafür habe ich heute, vom Osten kommend, in diesem westlichen London in höchstem Maße Wohlwollen, Achtung und Liebe erfahren. Ich bin zutiefst dankbar und glücklich. Die mit Ihnen gemeinsam verbrachten Stunden werde ich niemals vergessen.
Vierzig Jahre habe ich in einem türkischen Gefängnis verbracht. Dann rüttelte 1908 das „Komitee für Einheit und Fortschritt“ der Jungtürken an den Toren der Tyrannei und ließ alle Gefangenen frei, auch mich. Gott möge alle segnen, die für Einheit und Fortschritt arbeiten. Darum bete ich.
In Zukunft wird man unwahre Berichte über Bahá’u’lláh ausstreuen, um die Verbreitung der Wahrheit zu verhindern. Ich sage Ihnen das, damit Sie wachsam und vorbereitet sind.
Ich nehme von Ihnen Abschied mit dem Gebet, dass Sie die Schönheit des Gottesreichs in ihrer ganzen Fülle emp-
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fangen mögen. In tiefem Bedauern darüber, dass wir uns trennen müssen, sage ich Ihnen Lebewohl.
Nachdem Professor Sadler die Übersetzung der Abschiedsrede verlesen hatte, spendete ‘Abdu’l-Bahá zum Abschluss der Zusammenkunft mit melodischer und rhythmisch bewegter Stimme allen Seinen Segen.
Wenn diese Zeilen erscheinen, wird ‘Abdu’l-Bahá unsere Küsten bereits verlassen haben. Die Erinnerung an Seine gütige Persönlichkeit ist jedoch ein bleibender Schatz. Sein Einfluss wird noch in künftigen Zeiten zu spüren sein. Bereits jetzt hat Er sehr viel dazu beigetragen, die von vielen seit langem ersehnte Einigung von Ost und West voranzubringen.
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London W., 10 Cheniston Gardens
Die nachfolgenden Aufzeichnungen wurden “The Quarterly Record of ‘Higher Thought’Work” (Zentrum für Höheres Denken) vom November 1911 entnommen.
Eine der interessantesten und bedeutendsten Veranstaltungen, die stattfanden, war der Besuch ‘Abdu’l-Bahás in London. Der persische Weise hat Sein im Gefängnis verbrachtes Leben in den Dienst der Förderung von Frieden und Einheit gestellt und verfolgt dabei die einzig zielführende Methode, nämlich die Förderung der geistigen Entwicklung des Einzelmenschen. Er muss im wahrsten Sinne des Wortes „viel ertragen“, und „das Licht geschaut“ haben11. Er wurde nicht nur privat von fast jedem ernsthaften Wahrheitssucher und wegweisenden Denker in London besucht. Seine Botschaft wurde auch Tausenden vermittelt, die Seinen Namen zuvor kaum je gehört hatten.
‘Abdu’l-Bahá kannte das Higher Thought Centre gut als den Ort, an dem die Bahá’í ihre wöchentlichen Versammlungen unter der Leitung von Miss Rosenberg abhielten, und erst zwei Tage vor Seiner Abreise nahm Er eine Einladung in das Zentrum an. ‘Abdu’l-Bahá ließ durch Seinen Übersetzer Grußworte übermitteln und hielt eine kurze, eindrucksvolle Ansprache, in der Er hervorhob, welch ein Segen auf einer solchen Versammlung ruhe, die in einer Atmosphäre von Einheit und geistigem Streben zusammenkam. Er schloss mit einem demütig gesprochenen
11 vgl. Jesaja 53, 11; siehe besonders die Luther-Übersetzung (Anm. d. Übers.)
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Gebet in Seiner Muttersprache und einem Segenswunsch, den alle Anwesenden als sehr aufrichtig empfanden.
Am nächsten Tag traf im Zentrum eine Botschaft ‘Abdu’l-Bahás ein, in der Er Seine große Dankbarkeit für all das Wohlwollen ausdrückt, das den Bahá’í erwiesen wird, und die mit den Worten endet: „Es kommt nicht darauf an, wie sich jemand nennt – es gibt nur eine große Aufgabe!“
„Christus ist stets gegenwärtig in der Welt des Seins. Er hat sie nie verlassen ... Seid gewiss, dass Christus anwesend ist. Die geistige Schönheit, die wir heute um uns wahrnehmen, entstammt dem Lebenshauch Christi.“
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Botschaft von ‘Abdu’l-Bahá, verfasst für „The Christian Commonwealth“
veröffentlicht am 29. September 1911
Gott sendet Propheten, damit sie die Menschen erziehen und die Menschheit Fortschritte macht. Jede dieser Manifestationen Gottes hat die Menschheit vorangebracht. Durch Gottes Gnade dienen sie der ganzen Welt. Den sicheren Beweis, dass sie Offenbarer Gottes sind, erbringt die Erziehung und Weiterentwicklung der Menschen. Die Juden waren in einem Zustand tiefster Unwissenheit und Gefangene des Pharao, als Moses erschien und sie auf eine hohe Kulturstufe führte. So kam das Reich Salomos zustande und die Menschheit lernte Wissenschaft und Kunst kennen. Selbst griechische Philosophen studierten die Lehren Salomos. Damit wurde die Prophetenschaft Mose unter Beweis gestellt.
Im Laufe der Zeit sind die Israeliten moralisch verkommen und wurden von den Römern und den Griechen unterworfen. Da erhob sich am Horizont über den Israeliten der strahlende Stern Jesu und erleuchtete die Welt, bis allen Sekten, Bekenntnissen und Völkern das an der Einheit so Wunderbare kundgetan war. Es gibt keinen besseren Beweis als diesen für die Tatsache, dass Jesus das Wort Gottes war.
Ebenso verhielt es sich mit den Völkern Arabiens, die als unzivilisiert galten und von den Persern und Griechen unterdrückt wurden. Als das Licht Muhammads zu leuchten begann, erstrahlte ganz Arabien. Diese unterdrückten
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und gering geschätzten Völker wurden aufgeklärt und kultiviert und zwar in solchem Maße, dass andere Völker die arabische Zivilisation übernahmen. Das war der Beweis für Muhammads göttliche Sendung.
Alle Lehren der Propheten sind wesenseins. So gibt es nur eine Religion, ein die Welt erleuchtendes göttliches Licht. Unter dem Banner der Einheit der Menschheit sollten nun alle Menschen jedweden Bekenntnisses ihre Vorurteile ablegen, Freunde werden und an alle Propheten glauben. Wie die Christen an Moses, so sollten die Juden an Christus glauben. Wie die Muslime an Christus und Moses, so sollten die Juden und Christen gleichfalls an Muhammad glauben. Dann gäbe es keinen Streit mehr, so wären alle vereint. Genau zu diesem Zweck erschien Bahá’u’lláh. Er machte aus den drei Religionen eine. Er hob inmitten der Welt das Banner der Glaubenseinheit und der Ehre der Menschheit empor. Um dieses müssen wir uns heute scharen und mit Herz und Seele versuchen, die Einigung der Menschheit zuwege zu bringen.
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Ansprache, gehalten beim Einigkeitstreffen im Heim von Miss E. J. Rosenberg
am 8. September 1911
Preis sei Gott, dass in London eine solche Versammlung der Reinheit und Standhaftigkeit stattfindet. Die Herzen der Anwesenden sind makellos und dem Reiche Gottes zugewandt. Ich hoffe, dass alles, was die Heiligen Bücher Gottes beinhalten und als Wahrheit verkünden, in euch zum Tragen kommt. Die Boten Gottes sind die wichtigsten und besten Lehrer. Wann immer diese Welt sich verfinstert, gleichgültig wird und die Meinungen auseinandergehen, schickt Gott einen Seiner heiligen Boten.
Moses erschien in einer solch dunklen Zeit, in der die Menschen vielerorts unwissend, naiv und wankelmütig waren. Moses war der von Gott gesandte Lehrer. Er lehrte Heiligkeit und erzog die Israeliten. Er holte das Volk aus seinem unwürdigen Zustand heraus und brachte es dazu, sich hohes Ansehen zu erwerben. Er lehrte sie Wissenschaft und Kunst, schulte sie in Kultur und vermehrte ihre menschlichen Tugenden. Nach einiger Zeit ging das, was sie von Gott erhalten hatten, wieder verloren. Der Rückkehr schlechter Eigenschaften wurde der Weg geebnet und Tyrannei unterdrückte die Welt.
Da kündigte sich erneut das Licht der Wirklichkeit an und der Odem des Heiligen Geistes war zu spüren. Die Wolke himmlischer Gnade spendete Regen, der Führung Licht leuchtete über die Erde. Die Welt legte ein neues Gewand an, die Menschen wurden neue Menschen, die
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Einheit der Menschheit wurde verkündet. Die wunderbare Einheit im Denken verwandelte die Menschheit und schuf eine neue Welt. Doch wiederum haben die Menschen nach einiger Zeit alles vergessen. Die Lehren Gottes beeinflussten ihr Leben nicht mehr. Seine Weissagungen und Gebote verblassten und die Menschen verbannten sie aus ihren Herzen. Wieder herrschten Gewalt und Achtlosigkeit.
Dann erschien Bahá’u’lláh und erneuerte wiederum das Fundament des Glaubens. Er rief die Lehren Gottes und die Werke der Menschlichkeit in der Zeit Christi ins Leben zurück. Er löschte den Durst der Dürstenden, rüttelte die Achtlosen wach und lenkte die Aufmerksamkeit der Nachlässigen auf die göttlichen Geheimnisse. Er verkündete die Einheit der Menschheit und verbreitete die Lehre von der Gleichwertigkeit aller Menschen.
Deshalb solltet ihr alle mit Herz und Seele danach streben, die Menschen durch Wohlwollen zu gewinnen, auf dass diese wunderbare Einheit fest gegründet, kindischer Aberglaube überwunden und alle eins werden mögen.
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Ansprache im Hause Thornburgh-Cropper
am 13. September 1911
‘Abdu’l-Bahá sagte:
Dank sei Gott! Dies ist ein schönes Treffen. Es ist wirklich erleuchtet, es ist vergeistigt.
Ein persischer Dichter schrieb einmal: „Das Himmelsall wurde so geformt, dass die irdische Welt die höhere Welt widerspiegelt“. Das soll bedeuten, dass alles im Himmel Vorhandene in dieser Erscheinungswelt sein Spiegelbild hat. Nun, gelobt sei Gott, dieses unser Treffen ist ein Widerschein der himmlischen Versammlung, es ist, als ob wir einen Spiegel genommen und hineingeschaut hätten. Dieses Spiegelbild der himmlischen Versammlung kennen wir als Liebe.
Die unter den himmlischen Heerscharen herrschende Liebe findet sich hier wieder. Die himmlischen Heerscharen sind von der Sehnsucht nach Gott erfüllt, und dieses Sehnen ist – Gott sei Dank – auch hier zu spüren.
Wenn wir also sagen, diese Zusammenkunft sei himmlisch, entspricht es der Wahrheit. Warum? Weil wir nichts anderes begehren als was von Gott kommt. Allein Gottes zu gedenken, ist unser Sinn.
Manche Menschen auf dieser Erde trachten nach Herrschaft über andere. Einige sehnen sich nach Ruhe und Bequemlichkeit, andere erstreben eine hohe Stellung, manche möchten gerne berühmt werden – Gott sei Dank sehnen wir uns nach Geistigkeit und Gemeinschaft mit Gott.
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Wir, die wir hier versammelt sind, möchten das Banner der Einheit Gottes hissen, Gottes Licht verbreiten und die Menschenherzen dazu bringen, sich dem Reiche Gottes zuzuwenden. Ich danke darum Gott, dass Er uns dieses große Werk vollbringen lässt.
Ich bete darum, dass ihr alle himmlische Krieger werdet, überall die Einheit Gottes verkünden und Ost und West erleuchten möget, und dass ihr die Liebe Gottes in alle Herzen tragt. Dies ist meine höchste Sehnsucht, und ich bitte Gott, dass ihr den gleichen Wunsch hegen möget.
Mein Beisammensein mit euch allen macht mich sehr glücklich. Ich fand Gefallen am englischen König, der Regierung und dem Volk.
Ihr könnt Gott danken, dass ihr in diesem Land so frei seid. Ihr könnt gar nicht ahnen, welcher Mangel an Freiheit im Osten herrscht. Wer immer in dieses Land kommt, kann zufrieden sein.
Ich wünsche euch allen Gottes Schutz und sage euch allen Lebewohl.
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Ansprache ‘Abdu’l-Bahás beim Einigkeitsfest von Miss Jack und Miss Herrick
am 22. September 1911
Heute ist ein kalter, unfreundlicher Tag. Da ich euch jedoch sehr gerne sehen wollte, kam ich hierher. Für einen liebenden Menschen ist Anstrengung eine Erholung. Um seine Freunde zu besuchen, nimmt er jede Entfernung in Kauf.
Ich sehe, dass ihr – Gott sei Dank – vergeistigt und entspannt seid. Ich bringe euch diese Botschaft Gottes: Ihr müsst euch Ihm zuwenden. Danket Gott, dass ihr Ihm nahe seid! Die wertlosen Dinge dieser Welt haben euch nicht von der Suche nach der geistigen Welt abgehalten. Wenn ihr auf jene Welt eingestimmt seid, dann macht ihr euch nichts aus vergänglichem Tand. Euer Streben gilt dann dem Unsterblichen, und das Reich Gottes liegt offen vor euch. Ich hoffe, dass sich die Lehren Gottes über die ganze Welt verbreiten werden und alle Menschen dazu bringen, einig zu sein.
Zur Zeit Jesu ergoss sich das Licht von Ost nach West, führte die Menschen unter einem Himmelsbanner zusammen und erleuchtete sie mit himmlischer Erkenntnis. Das Licht Christi entflammte die westlichen Länder. Möge in diesem fortgeschrittenen Zeitalter das göttliche Licht die Welt so erhellen, dass alle sich um das Banner der Einheit scharen und geistig erzogen werden. Darum bete ich inständig.
Dann werden die Probleme, die unter den Völkern der Erde Streit auslösen, verschwunden sein, weil es sie an
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sich nicht gibt. Ihr seid alle die Wogen eines Meeres, die Spiegel einer Lichtquelle.
Heute herrscht in den Ländern Europas Ruhe. Bildung wird groß geschrieben. Die Freiheitsfackel ist das Licht des Westens. Die Regierungen in den westlichen Ländern bemühen sich um Wahrheit und Gerechtigkeit. Aber seit jeher leuchtet das Licht der Geistigkeit vom Osten her. In diesem Zeitalter verblasste dieses Licht. Die Religion ist zu einer Formsache geworden und beschränkt sich auf Zeremonien, und die Sehnsucht nach der Liebe Gottes ist verloren gegangen.
In jeder von tiefer geistiger Finsternis erfüllten Zeit wird im Osten ein Licht entzündet. So kam das Licht göttlicher Lehren erneut zu euch. Genau wie Bildung und Fortschritt von West nach Ost wandern, so wandert das geistige Feuer von Ost nach West.
Die Menschen im Westen mögen, so hoffe ich, vom Lichte Gottes erleuchtet werden, so dass das Reich Gottes zu ihnen kommt, sie ewiges Leben erlangen, der Geist Gottes sich unter ihnen wie ein Lauffeuer verbreitet und sie mit dem Wasser des Lebens getauft und neu geboren werden.
Dies ist meine Sehnsucht. Beim Willen Gottes hoffe ich, Er möge euch bereit machen, diesen meinen Wunsch aufzunehmen, und euch glücklich werden lassen.
Möget ihr im selben Maße, in dem ihr Bildung und Fortschritt erlangt, einen Anteil am Lichte Gottes erhalten.
Gott schütze euch alle.
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Gesprächsnotizen
Ankunft in London
Am Montagabend, dem 4. September 1911, sagte ‘Abdu’l-Bahá bei Seiner Ankunft in London:
Der Himmel hat diesen Tag gesegnet. Es hieß, London sei ein Ort, an dem der Glaube weithin verkündet werde. Als ich an Bord des Schiffes ging, war ich erschöpft. Jetzt aber, nachdem ich in London ankam und die Gesichter der Freunde sah, ist meine Müdigkeit verflogen. Eure große Liebe erquickt mich. Ich bin mit den englischen Freunden sehr zufrieden.
Die Gefühle, die in der Begegnung zwischen Ost und West vorherrschen, wandeln sich im Lichte der Lehren Bahá’u’lláhs. Früher war es so, dass ein Orientale die Tasse zerbrach, wenn jemand aus dem Okzident daraus getrunken hatte, weil man sie für beschmutzt hielt. Wenn heute ein Bahá’í aus dem Westen mit einem Bahá’í aus dem Osten speist, werden die von ihm benützten Schüsseln und Teller in Erinnerung an ihn aufbewahrt und in seinem Gedenken in Ehren gehalten.
Dann erzählte ‘Abdu’l-Bahá das folgende historische Beispiel von wundervoller brüderlicher Liebe:
Eines Tages kam ein Trupp Soldaten zum Haus eines Bahá’í und verlangte, aufgrund eines Haftbefehls einen Gast zur Hinrichtung auszuliefern. Der Gastgeber übernahm den Platz seines Gastes und starb an dessen Stelle.
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London
Eure Liebe zog mich wie ein Magnet in dieses Land. Ich hoffe, dass hier das göttliche Licht scheinen möge und der himmlische Stern Bahá’u’lláhs euch stärkt, so dass durch euch die Einheit der Menschheit Wirklichkeit und mit eurer Hilfe die Dunkelheit des Aberglaubens und der Vorurteile vertrieben wird und alle Glaubensrichtungen und Völker vereint werden.
Dies ist ein leuchtendes Jahrhundert. Die Augen sind jetzt offen für das Schöne an der Einheit der Menschheit, für Liebe und Brüderlichkeit. Der Unterdrückung Dunkel wird weichen und der Einheit Licht leuchten. Wir können keine Liebe und Einheit schaffen, wenn wir nur davon reden. Wissen reicht nicht aus. Wir wissen, dass Reichtum, Wissenschaft und Bildung etwas Gutes sind. Aber wir müssen auch arbeiten und eifrig lernen, damit die Frucht des Wissens zur Reife gelangt.
Wissen ist der erste Schritt, Entschlossenheit der zweite, und der dritte Schritt ist die Ausführung, die Tat. Um ein Gebäude zu errichten, muss man zuallererst einen Plan machen, dann braucht man das Leistungsvermögen (Geld), dann kann man bauen. Die Gründung einer Gesellschaft für Einheit ist eine gute Sache, aber Treffen und Diskussionen reichen nicht aus. In Ägypten gibt es eine solche Gruppe, doch es wird nur geredet und nichts kommt dabei heraus. Diese Treffen hier in London sind gut, das Wissen und die Absicht sind gut, aber wie kann ohne Handeln ein Ergebnis erzielt werden? Die Kraft zur Einigung ist heute der Heilige Geist Bahá’u’lláhs. Er verkörpert
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diesen Geist der Einheit. Bahá’u’lláh bringt Ost und West zusammen. Forscht nach in der früheren Geschichte, ihr werdet nichts Vergleichbares finden.
Unterschiede
Gott erschuf die Welt als ein Ganzes. Die Menschen haben Grenzen abgesteckt. Gott hat das Land nicht aufgeteilt, aber jeder Mensch besitzt Haus und Wiese. Pferde und Hunde teilten die Felder nicht in Parzellen. Darum sagt Bahá’u’lláh: „Es rühme sich nicht, wer sein Vaterland liebt, sondern wer die ganze Welt liebt“. Alle gehören einer Familie an, einer Art, alle sind sie Menschen. Meinungsverschiedenheiten über die Aufteilung von Landstrichen sollten kein Grund zur Spaltung unter den Menschen sein.
Ein starker Trennungsgrund ist die Hautfarbe. Seht, wie stark dieses Vorurteil z.B. in Amerika ist. Schaut, wie sie einander hassen! Tiere streiten sich nicht wegen ihrer Farbe! Der Mensch, der auf einer so viel höheren Schöpfungsstufe steht, sollte gewisslich nicht primitiver sein als die Tiere. Denkt darüber nach. Welche Einfältigkeit! Weiße Tauben streiten nicht mit blauen Tauben wegen ihrer Farbe, aber weiße Menschen kämpfen gegen Dunkelhäutige. Von allen das schlimmste ist das Rassenvorurteil.
Im Alten Testament heißt es, Gott habe den Menschen nach Seinem eigenen Bildnis geschaffen. Im Koran steht: „Es gibt keinen Unterschied in der Schöpfung Gottes!“ Denkt darüber nach: Gott hat alle erschaffen, sorgt für alle, und alle stehen unter Seinem Schutz. Gottes Plan ist besser als unsere Pläne. Wir sind nicht so weise wie Gott!
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Religion
Den meisten Menschen, die den Inhalt dieser Lehre nicht kennenlernten, scheint Religion nur äußere Form und leerer Schein zu sein, lediglich eine Garantie für Anstand. Manche Priester bekleiden ihr heiliges Amt nur, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie glauben selbst nicht an die Religion, die zu lehren sie vorgeben. Würden diese Männer ihr Leben opfern für ihren Glauben? Fordern Sie einen solchen Christen auf, Christus zu verleugnen und damit sein Leben zu retten. Er wird es tun.
Verlangen Sie von einem Bahá’í, irgendeinen der großen Propheten, seinen eigenen Glauben oder den an Moses, Muhammad oder Christus zu verleugnen, dann wird er sagen: „Ich möchte lieber sterben“. Also ist ein Bahá’í muslimischer Herkunft ein besserer Christ als viele sogenannte Christen.
Ein Bahá’í lehnt keine Religion ab. Er anerkennt die in allen vorhandene Wahrheit, hält sie hoch und würde sein Leben dafür geben. Er liebt alle Menschen als seine Brüder, gleich welcher Klasse, Art oder Nationalität, welchen Glaubens oder welcher Hautfarbe sie sind, ob gut oder böse, reich oder arm, schön oder hässlich. Er wendet keine Gewalt an. Wird er geschlagen, gibt er den Streich nicht zurück. Er enthält sich der üblen Nachrede und folgt damit dem Beispiel Seines Herrn, Bahá’u’lláh. Als Schutz vor Trunksucht nimmt er weder Wein noch Spirituosen zu sich. Bahá’u’lláh sagte, für einen gesunden Menschen sei nicht gut, etwas zu sich zu nehmen, das seine Gesundheit und seinen Verstand zerstört.
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Die Religion Gottes hat in dieser Welt zwei Seiten: die geistige (eigentliche) und die formelle (sichtbare). Die formelle Seite ändert sich im Laufe der Jahrhunderte genau wie der Mensch. Die geistige Seite, die Wahrheit an sich, ändert sich nie. Die Propheten und Offenbarer Gottes überbringen stets die gleiche Lehre. Zunächst halten sich die Menschen daran; doch nach einiger Zeit verunstalten sie die Wahrheit. Menschengemachte, äußerliche Förmlichkeiten und irdische Gesetze verzerren die Wahrheit. Ein Schleier aus materiellen Dingen und weltlichem Trachten wird über die tatsächliche Wahrheit gezogen.
Wie Moses und Jesus dem Volk ihre Botschaft brachten, bringt auch Bahá’u’lláh die Seine, die gleiche Botschaft.
Wann immer Gott uns einen solch überragenden Geist schickt, werden wir neu belebt. Die von jeder Manifestation verkündete Wahrheit ist jedoch stets die gleiche. Nicht die Wahrheit ändert sich, sondern die geistige Sehkraft des Menschen. Sie wird durch den Filz von Förmlichkeiten abgestumpft und irregeführt.
Die Wahrheit ist nicht schwer zu begreifen, wenn auch die äußeren Formen, in denen sie zum Ausdruck gebracht wird, den Verstand in die Irre führen. Mit zunehmender Reife sehen die Menschen ein, wie nutzlos von Menschen gemachte Formen sind, und lehnen sie ab. Viele treten darum aus der Kirche aus, denn dort wird oft nur das Äußerliche betont.
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Gedankenaustausch?mit einem Kreis von Theosophen
London, im September 1911
Welch wunderbare Tage! Wir sehen, wie ein Gast aus dem Osten im Westen liebevoll und zuvorkommend empfangen wird. Trotzdem ich mich nicht wohl fühlte, zog mich der Magnet Ihrer Liebe und Zuneigung hierher.
Vor einigen Jahren wurde ein Botschafter von Persien nach London geschickt, wo er sich fünf Jahre lang aufhielt. (Er hieß ‘Abdu’l Hasan Khán). Als er nach Persien zurückkehrte, bat man ihn, zu schildern, wie das englische Volk denn so sei. Er antwortete: „Ich kenne die Engländer nicht, denn obwohl ich jahrelang in London lebte, traf ich nur die Leute vom Hof.“ In Persien genoss dieser Mann hohes Ansehen. Die Prinzen schickten ihn nach England. Doch er lernte die Menschen nicht kennen, obwohl er fünf Jahre unter ihnen verbrachte. Ich aber, ein langjähriger Gefangener, komme zum ersten Mal nach England, und obwohl mein Besuch so kurz ist, habe ich bereits viele liebe Freunde getroffen und kann sagen, dass ich das Volk kennenlernte. Diejenigen, die ich traf, sind aufrichtige Seelen, die sich um Frieden und Einheit bemühen. Bedenken Sie den Unterschied zwischen der Zeit, in der wir jetzt leben, und der vor siebzig Jahren! Sehen Sie sich den Fortschritt an! – den Fortschritt in Richtung Einheit und Frieden.
Gottes Wille ist, dass die Streitigkeiten unter den Nationen aufhören. Wer das Werk der Einigkeit voranbringt, der vollbringt Gottes Werk. Einigkeit ist die Gabe Gottes

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für dieses erleuchtete Jahrhundert. Gepriesen sei Gott! Heutzutage gibt es viele Vereine für Einheit und viele Versammlungen werden dafür abgehalten. Feindschaft ist nicht mehr ein Grund für Spaltung. Jetzt sind vorwiegend Vorurteile verantwortlich für Uneinigkeit. Ein Beispiel: Wenn vor Jahren Europäer den Osten bereisten, hielt man sie für unrein und hasste sie. Jetzt ist es anders: Wenn westliche Menschen im Osten jene besuchen, die Anhänger des Neuen Lichtes sind, werden sie liebevoll und zuvorkommend empfangen.
‘Abdu’l-Bahá umarmte ein kleines Kind und meinte:
Der wahre Bahá’í liebt die Kinder, weil sie, wie Jesus sagt, dem Himmelreich angehören. Ein schlichtes, reines Herz steht Gott nahe. Ein Kind strebt nicht ehrgeizig nach Weltlichem.
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Vorurteile
Der „Kongress der Rassen der Welt“ war eine gute Sache, denn er hatte zum Ziel, die Einheit unter allen Nationen und ein besseres wechselseitiges Verständnis zu fördern und voranzubringen. Die Absicht war gut. Die Anlässe für Streitigkeiten unter verschiedenartigen Nationen sind immer in einer der folgenden Arten von Vorurteilen zu suchen: rassische, sprachliche, theologische, persönliche sowie Vorurteile von Sitte und Tradition. Es bedarf einer weltweit wirkenden Kraft, um diese Uneinigkeit zu überwinden. Für eine unbedeutende Krankheit genügt ein schwaches Heilmittel, aber eine den ganzen Körper durchdringende Krankheit verlangt nach einer starken Arznei. Eine kleine Lampe kann einen Raum erhellen, eine größere ein Haus, eine noch größere die ganze Stadt, aber man braucht eine Sonne, um Licht in die ganze Welt zu bringen.
Sprachverschiedenheiten verursachen Uneinigkeit unter den Nationen. Wir brauchen eine gemeinsame Sprache für die Welt. Glaubensunterschiede sind ebenfalls ein Grund zur Trennung. Die wirkliche Grundlage aller Religionen muss bewiesen und äußerliche Unterschiede müssen beseitigt werden. Es muss zu einer Einheit im Glauben kommen. Diesen Streitigkeiten ein Ende zu setzen ist eine schwierige Aufgabe. Die ganze Welt ist krank und braucht dringend die Macht des Großen Heilers.
Diese Versammlungen lehren uns, dass Einheit gut ist und dass Unterdrückung (Versklavung unter das Joch von
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Tradition und Vorurteil) Uneinigkeit verursacht. Dies zu erkennen ist nicht genug. Jedes Wissen ist gut, aber ohne Taten kann es keine Früchte zeitigen. Es ist gut zu wissen, dass Reichtum eine gute Sache ist, aber dieses Wissen wird keinen Menschen reich machen – er muss arbeiten, er muss sein Wissen anwenden. Wir hoffen, dass die Menschen sehen und erkennen, dass Einigkeit gut ist, und wir hoffen auch, dass sie sich nicht mit erreichtem Wissen begnügen. Sie sollten nicht nur sagen, Liebe und Brüderlichkeit seien gut. Um deren Verwirklichung müssen sie sich bemühen.
Der Zar von Russland schlug der Haager Friedenskonferenz vor, alle Nationen sollten abrüsten. Bei dieser Konferenz zeigte sich, dass Friede für alle Länder von Vorteil ist und dass Krieg den Handel usw. zerstört. Doch so bewundernswert auch die Äußerungen des Zaren waren – nach Beendigung der Konferenz war gerade er der erste, der einen Krieg erklärte (gegen Japan).
Wissen ist nicht genug. Hoffentlich können wir es durch Gottes Liebe in Taten umsetzen. Dazu brauchen wir eine geistige, weltweit wirkende Kraft. Versammlungen sind ein gutes Mittel, um geistige Kraft zu erzeugen. Es ist gut zu wissen, dass man einen gewissen Grad an Vollkommenheit erreichen kann. Besser ist es, auf diesem Weg zügig voranzugehen. Wir wissen, dass es Gott gefällt, wenn wir den Armen helfen und Mitleid haben, aber Wissen allein ernährt keinen verhungernden Menschen, noch kann man einen Armen im bitterkalten Winter durch Erkenntnis und Worte wärmen. Wir müssen liebevolle Güte in Form von praktischer Hilfe geben.
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Frage: Und wie steht es mit dem Friedenskongress?
Antwort: Er gleicht der Versammlung einer Menge von Trunkenbolden, die sich trafen, um gegen den Alkohol zu protestieren. Sie sagen, Trinken sei schrecklich, gehen geradewegs aus dem Gebäude und trinken unverdrossen weiter.
Theosophie
Als ‘Abdu’l-Bahá gefragt wurde, ob Er das Gute gesehen habe, das die Theosophische Gesellschaft leiste, antwortete Er:
Es ist mir bewusst, ich halte sehr viel davon. Ich weiß, dass sie der Menschheit gerne dienen will. Ich danke dieser noblen Gesellschaft persönlich und im Namen aller Bahá’í. Ich hoffe, dass diese Freunde mit Gottes Hilfe Liebe und Einheit zuwege bringen. Es ist ein großes Werk, das den Einsatz aller Diener Gottes verlangt.
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Frieden
In den letzten sechstausend Jahren haben sich die Nationen gegenseitig gehasst. Nun ist es Zeit, dem Einhalt zu gebieten. Kriegsführung muss aufhören. Lasst uns einig sein, einander lieben und dem Ergebnis entgegensehen. Wir wissen, dass der Krieg schlimme Folgen hat. Lasst uns das Experiment Frieden versuchen, und wenn die Folgen des Friedens schlecht sind, können wir nach Belieben auf das vielleicht bessere alte Mittel des Krieges zurückgreifen. In jedem Fall sollten wir das Experiment wagen. Wenn wir sehen, dass Einigkeit Licht verbreitet, sollten wir dabei bleiben. Sechstausend Jahre lang beschritten wir den linken Pfad; lasst uns nun den rechten beschreiten. Wir haben viele Jahrhunderte im Dunkeln verbracht. Lasst uns nun dem Licht entgegengehen.
Frage: (Die Bemerkung fiel, die Theosophie lehre, die Wahrheit sei in allen Religionen die gleiche). Findet die Aufgabe, alle Religionen zu vereinen, die Zustimmung ‘Abdu’l-Bahás?
Antwort: Ganz gewiss.?Frage: Kann ‘Abdu’l-Bahá uns Richtlinien vorschlagen,
nach denen am besten vorgegangen werden soll?
Antwort: Suchen Sie die Wahrheit zu ergründen. Suchen Sie das Wesentliche in allen Religionen. Legen Sie alle abergläubischen Vorstellungen ab. Viele unter uns sind sich über das wahre Wesen der Religionen nicht im Klaren.
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Göttliche Manifestationen (1)
Frage: Was lehrt ‘Abdu’l-Bahá über die verschiedenen göttlichen Manifestationen?
Antwort: Das Wesentliche ist bei allen gleich. Es gibt nur eine Wahrheit. Die Religionen gleichen den Ästen eines Baumes. Ein Ast ist hoch oben, einer unten und einer in der Mitte, aber alle beziehen ihre Lebenskraft aus dem einzigen Stamm. Ein Ast trägt Früchte, andere sind nicht so reich beladen. Alle Propheten sind Lichter, nur ihre Leuchtkraft ist verschieden. Sie strahlen wie funkelnde Himmelskörper. Für jeden sind Aufgangsort und -zeit vorherbestimmt. Manche sind wie Lampen, manche wie der Mond, manche wie weit entfernte Sterne. Und einige wenige sind wie die Sonne, die von einem Ende der Erde bis zum anderen scheint. Alle spenden das gleiche Licht, doch ihre Leuchtkraft ist verschieden.
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Buddhismus
Einige Anwesende verwiesen auf die Lehren Buddhas. ‘Abdu’l-Bahá sagte:
Die wahre Lehre Buddhas ist die gleiche wie die Lehre Jesu Christi. Dem Wesen nach sind die Lehren aller Propheten gleich. Die Menschen haben die Lehren aber abgeändert. Wenn Sie schauen, wie die buddhistische Religion heutzutage ausgeübt wird, sehen Sie, dass vom Wesentlichen wenig übrig blieb. Viele beten Götter an, obwohl ihre Lehren es verbieten.
Buddha hatte Jünger und wollte sie in die Welt hinausschicken, damit sie die Lehre verbreiten. Also stellte Er ihnen Fragen, um zu sehen, ob sie so vorbereitet waren, wie Er es sich wünschte. „Wenn ihr nach Osten oder nach Westen geht“, sagte Buddha, „und die Menschen vor euch ihre Türen verschließen und nicht mit euch sprechen wollen, was macht ihr dann?“ – Die Jünger antworteten: „Wir werden sehr dankbar sein, dass sie uns kein Leid antun“. – „Und wenn sie euch verletzen und verspotten, was tut ihr dann?“ – „Wir werden sehr dankbar sein, dass sie uns nicht noch schlimmer behandeln.“ – „Wenn sie euch ins Gefängnis werfen?“ – „Wir werden dennoch dankbar sein, dass sie uns nicht töten.“ – „Gesetzt den Fall sie töten euch?“, fragte der Meister ein letztes Mal. „Noch immer“, antworteten die Jünger, „werden wir dankbar sein, weil sie uns zu Märtyrern machen. Gibt es ein glorreicheres Schicksal als zum Ruhme Gottes zu sterben?“ Und Buddha sagte: „Ausgezeichnet!“
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Die Lehren von Buddha waren wie ein kleines, schönes Kind, und jetzt sind sie wie ein vom Alter gebrochener Mann und können wie dieser nicht sehen, nicht hören, sich an nichts erinnern. Warum so weit zurück gehen? Betrachten Sie die Gesetze des Alten Testamentes: die Juden folgen ihrem Vorbild Moses nicht nach, noch halten sie Seine Gebote. Genauso ergeht es vielen anderen Religionen.
Frage: Wie können wir die Kraft erlangen, um den richtigen Weg zu gehen?
Antwort: Wenn man die Lehren in die Tat umsetzt, wird uns die Kraft gegeben. Sie wissen, welcher Weg zu verfolgen ist: Sie können sich nicht irren, denn der Unterschied zwischen Gott und dem Bösen, zwischen Licht und Finsternis, Wahrheit und Falschheit, Liebe und Hass, Großmut und Niedertracht, Bildung und Unwissenheit, Gottesglaube und Aberglaube, guten und ungerechten Gesetzen ist sehr groß.
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Glaube
Frage: Wie kann man seinen Glauben mehren?
Antwort: Sie müssen sich sehr darum bemühen. Ein Kind weiß nicht, dass es durch Lernen Wissen erwirbt. Suchen Sie nach Wahrheit.
Glaube ist von dreierlei Art: Erstens der Glaube, der durch Tradition und Abstammung vermittelt wird. Beispielsweise ist ein Kind muslimischer Eltern Muslim. Das ist ein schwacher, überlieferter Glaube. Zweitens das, was der Erkenntnis entspringt, ein Glaube der Einsicht. Das ist ein guter Glaube, aber es gibt einen noch besseren: den Tatglauben. Er ist der wahre Glaube.
Wir hören von einer Erfindung. Wir glauben, dass sie gut ist, gehen hin und betrachten sie. Wir hören, dass es Reichtum gibt, wir sehen ihn, wir arbeiten hart dafür, werden selbst reich und helfen damit anderen. Wir kennen und sehen das Licht, wir gehen dicht heran, es erwärmt uns und wir geben seine Ausstrahlung an andere weiter. Das ist wahrer Glaube. Auf diese Weise empfangen wir die Kraft, Gottes unvergängliche Kinder zu werden.
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Heilung
‘Abdu’l-Bahá sagte:
Es gibt zwei Arten von Krankheiten, körperliche und geistige. Nehmen wir als Beispiel eine Hand mit einer Schnittwunde. Wenn Sie um Heilung für die Wunde beten und die Blutung nicht stillen, werden Sie kaum etwas erreichen.
Man braucht ein stoffliches Heilmittel.?Wenn zuweilen das Nervensystem durch Angstzustände
lahmgelegt wird, ist ein geistiges Hilfsmittel von Nöten. Wahnsinn, eine sonst unheilbare Krankheit, kann mit Gebeten behandelt werden. Sehr oft machen Sorgen krank. Hier können geistige Mittel Heilung bringen.
Wohltätigkeitsvereine
Jemand fragte, ob die „Gesellschaft der Menschenfreunde“ empfehlenswert sei.
Antwort: Ja, alle Vereine, alle Organisationen, die sich für die Besserung der Welt einsetzen, sind gut, sehr gut. Alle, die für ihre Brüder und Schwestern tätig sind, genießen Bahá’u’lláhs Segen. Sie werden gewiss Erfolg haben.
‘Abdu’l-Bahá sagte: Es macht mich so glücklich, alle gläubigen Freunde in London zu treffen. Ihr alle, gleich welcher Art oder welchen Glaubens, seid Mitglieder einer Familie. Die Lehren Bahá’u’lláhs bringen euch dazu, zu begreifen, dass ihr Brüder seid.
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Des Menschen Begriff von Gott und den Höheren Welten
Für den Menschen ist die Wesenheit Gottes nicht begreifbar, genau wie die jenseitigen Welten und deren Beschaffenheit. Der Mensch bekam die Gabe, Wissen zu erwerben, hohe geistige Vollkommenheit zu erlangen, verborgene Wahrheiten zu entdecken und sogar göttliche Eigenschaften zu verkörpern. Dennoch kann der Mensch Gottes Wesenheit nicht verstehen. Sobald der immer größer werdende Kreis menschlicher Erkenntnis die geistige Welt zu berühren beginnt, wird eine Manifestation Gottes gesandt als Spiegel Seiner Herrlichkeit.
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Göttliche Manifestationen (2)
Frage: Ist die göttliche Manifestation Gott?
Antwort: Ja, und doch nein in Bezug auf Ihre Wesenheit. Eine göttliche Manifestation ist wie ein Spiegel, der das Licht der Sonne widerspiegelt. Es ist das gleiche Licht, doch der Spiegel ist nicht die Sonne selbst. Alle Manifestationen Gottes vermitteln das gleiche göttliche Licht. Nur das Ausmaß ist jeweils anders, nicht die Substanz. Es gibt nur eine Wahrheit. Das Licht ist dasselbe, wenngleich die Lampen verschieden sein können. Wir müssen auf das Licht schauen, nicht auf die Lampe. Wenn wir das Licht einer der Lampen annehmen, müssen wir an das Licht aller Lampen glauben. Alle stimmen überein, weil sie alle gleich sind. Die Lehre ist stets die gleiche, nur die Erscheinungsformen ändern sich.
Die Manifestationen Gottes sind wie Himmelskörper. Alle gehen an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit auf, spenden jedoch das gleiche Licht. Wenn jemand sehen möchte, wie die Sonne aufgeht, schaut er nicht stets auf die gleiche Stelle, weil der Aufgangsort sich je nach Jahreszeit ändert. Wenn jemand die Sonne weiter im Norden aufgehen sieht, erkennt er sie, obwohl sie zuvor an einer anderen Stelle aufging.
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Notizen aus einem Gespräch mit ‘Abdu’l-Bahá
Ein Schwarzer aus Südafrika besuchte ‘Abdu’l-Bahá und meinte, selbst heute würde sich kein Weißer wirklich um einen Schwarzen kümmern.
‘Abdu’l-Bahá antwortete:
Vergleichen Sie die Einstellung gegenüber Schwarzen von heute mit dem Verhalten von vor zweioder dreihundert Jahren und sehen Sie, wie viel sich bis heute gebessert hat. Schon bald wird sich die Beziehung zwischen Schwarzen und Weißen noch günstiger gestalten und nach und nach wird kein Unterschied mehr wahrnehmbar sein. Es gibt weiße Tauben und farbenprächtige Tauben, beides sind Tauben.
Bahá’u’lláh verglich einmal die Schwarzen mit der schwarzen Pupille des Auges, die von Weiß umgeben ist. In dieser schwarzen Pupille sehen Sie das Spiegelbild dessen, was sie vor sich hat. Aus ihr strahlt das Licht des Geistes hervor.
Vor Gott hat die Hautfarbe überhaupt keine Bedeutung. Er schaut auf die Herzen der Menschen. Gott wünscht sich vom Menschen dessen Herz. Ein schwarzer Mensch mit einem guten Charakter ist weit besser als ein weißer mit einem weniger guten Charakter.
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Östliche und westliche Ideale
Einer der anwesenden Veranstalter des Rassenkongresses sprach darüber, dass die westlichen Ideale Bahá’u’lláhs anders sind als die der früheren Propheten, in denen deutliche Spuren der Ideenund Kulturwelt des Ostens zu finden sind. Er fragte dann, ob Bahá’u’lláh die Schriften des Westens besonders sorgfältig studiert und seine Lehren dann in Übereinstimmung damit gestiftet habe.
‘Abdu’l-Bahá lachte herzlich und sagte, die vor sechzig Jahren geschriebenen und gedruckten Bücher Bahá’u’lláhs beinhalteten Ideale, die erst jetzt im Westen allgemein bekannt seien. Zu jener Zeit aber habe man sie im Westen weder gedruckt noch habe man darüber nachgedacht. Nähmen wir an, meinte Er weiter, ein sehr fortschrittlicher Denker aus dem Westen hätte sich aufgemacht, um Bahá’u’lláh zu besuchen und zu lehren, wäre der Name eines solch herausragenden Mannes und die Tatsache seines Besuches unbekannt geblieben und nicht schriftlich festgehalten worden? Nein! Früher, zu Zeiten Buddhas und Zoroasters, hätten Asien und der Osten eine weit höhere Kultur gehabt als der Westen. Die Ideen und Gedanken der Völker des Ostens seien denen des Westens weit voraus und der göttlichen Gedankenwelt viel näher gewesen. Doch seit dem hätten immer mehr abergläubische Vorstellungen Eingang in die Religion des Ostens gefunden und ihre Ideale unterwandert. So seien aus vielen verschiedenen Gründen die Ideale und Tugenden der Völker des Ostens immer mehr abhanden gekommen und weiter und weiter entartet, während die Völker des Westens ständig
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Fortschritte gemacht und sich zum Licht vorgerungen hätten. Infolge dessen habe heute der Westen ein viel höheres Kulturniveau als der Osten, und das Sinnen und Trachten des Westens stünden der Gedankenwelt Gottes weit näher als das des Ostens. Aus diesem Grunde erkenne man die Ideale Bahá’u’lláhs im Westen schneller.
Um dies weiter auszuführen, wies ‘Abdu’l-Bahá darauf hin, dass Bahá’u’lláh in einem Seiner Bücher genau das beschrieben habe, was seither im Internationalen Schiedsgerichtshof Gestalt angenommen hat. Bahá’u’lláh habe die vielfältigen Funktionen eines solchen Gerichtshofs erläutert, von denen man einige noch gar nicht wahrgenommen habe. Er (‘Abdu’l-Bahá) möchte sie uns jetzt erklären, damit wir erkennen, dass Bahá’u’lláh sie vorausgesehen hat, wenn sie in naher Zukunft zum Einsatz kommen.
Krieg sei das schlimmste Unheil, das einem Volk widerfahren könne, weil das Volk, das sich normalerweise Landwirtschaft, Handel, Gewerbe und anderem nützlichem Schaffen widmet, von seinen verschiedenen Tätigkeiten weggeholt und zu Soldaten gemacht werde, so dass Vergeudung und Verlust und dazu noch Zerstörung und Kriegsgemetzel in hohem Maße um sich greifen.
Die Aufgabe des Internationalen Gerichtshofes werde laut Bahá’u’lláh darin bestehen, Streitigkeiten zwischen Nationen beizulegen, exakte Grenzen für die verschiedenen Länder abzustecken und darüber zu entscheiden, welche Anzahl Soldaten und Waffen jede Nation ihrer Bevölkerungszahl entsprechend beibehalten darf, um im Inland Ordnung zu gewährleisten. So könne z. B. ein Staat zehntausend, ein anderer zwanzigtausend und wieder ein
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anderer fünfzehntausend Soldaten haben, je nach Größe und Bevölkerungszahl des Landes. Sollte irgend ein Volk sich gegen die Entscheidung des Gerichtshofes auflehnen und sich ihr widersetzen, könne der Gerichtshof die anderen dazu ermächtigen, ihre Streitkräfte zusammenzuziehen, um seine Entscheidung nachdrücklich zu unterstützen und notfalls gemeinsam vorzugehen.
Noch könnten wir nicht feststellen, dass irgendeiner dieser Punkte umgesetzt worden sei, aber in Zukunft würden wir Zeuge dessen sein.
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Wissenschaft und Glaube
Derselbe Herr stellte dann eine Frage, die er seiner Aussage und Ansicht nach im Zusammenhang mit einer religiösen Bewegung, die Weltgeltung beansprucht, für ganz besonders wichtig halte. Er fragte, welche Bedeutung Bahá’u’lláh, wenn überhaupt, den modernen Ideen und Auffassungen der Wissenschaft in seinen Lehren beimesse. Die gesamte Struktur der modernen Zivilisation beruhe auf Ergebnissen und Erkenntnissen, die von Wissenschaftlern durch arbeitsaufwendige, geduldige Beobachtung von Vorgängen gesammelt wurden, in manchen Fällen durch jahrhundertelange gewissenhafte Forschung. Um seine Ansicht zu verdeutlichen führte er als Beispiel die Ethik und die Morallehre der chinesischen Philosophen an, denn er könne sich nichts Erhabeneres vorstellen. Dennoch hätten diese Lehren außerhalb Chinas sehr geringe Wirkung gezeigt, weil sie seiner Ansicht nach ursprünglich nicht auf den Lehren der Wissenschaft beruhten.
‘Abdu’l-Bahá antwortete, im Schrifttum Bahá’u’lláhs werde Wissenschaft und Bildung große Bedeutung beigemessen. Bahá’u’lláh habe geschrieben, wenn jemand den Kindern von Armen Bildung ermögliche, die dazu selbst nicht in der Lage sind, dann sei dies vor Gott, als habe er Gottes Sohn erzogen.
Wenn eine Religion sich Wissenschaft und Bildung widersetze, sei diese Religion keine wahre Religion. Wissenschaft und Religion sollten gemeinsam Fortschritte machen, sie sollten in der Tat sein wie zwei Finger an einer Hand.
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Bahá’u’lláh habe in Seinen Schriften auch der Kunst einen sehr wichtigen Platz eingeräumt, ebenso den durch Ausbildung erworbenen Berufen. Er habe erklärt, dass das Ausüben einer Kunst oder eines Gewerbes im wahren Geiste des Dienens der Anbetung Gottes gleichzusetzen sei.
Ein in einer Wohlfahrtseinrichtung engagierter Herr fragte nach der besten Methode, mittels der die schwächsten, geringsten und unwissendsten Menschen aufgerichtet und kultiviert werden könnten, und ob ihre Bildung durch allmähliche geistige Einsicht vorankomme oder ob es besondere Mittel und Wege gäbe, die wir einsetzen könnten, um dem Endziel zu dienen.
‘Abdu’l-Bahá antwortete, der beste Weg sei, ihnen geistige Lehren und Einsichten zu vermitteln. Er erwähnte auch, die beste Art und Weise, um das Verständnis besonders engherziger und vorurteilsvoller Menschen zu erweitern und sie dazu zu bringen, einem umfassenden Unterricht Aufmerksamkeit zu schenken, sei, ihnen größte Freundlichkeit und Liebe zu erweisen. Das Beispiel unseres Lebens sei mehr wert als Worte.
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Verkehr mit verstorbenen Personen
Es wurde die Frage gestellt, ob es möglich sei, mit den Toten Verbindung herzustellen, und ob es weise oder ratsam sei, an spiritistischen Sitzungen oder an Tischrücken, Tischklopfen etc. teilzunehmen.
Der Meister sagte, all dieses Klopfen usw. sei etwas Materielles und Körperliches. Es sei nötig, sich über das Stoffliche zu erheben hin zu den Reichen reiner Geistigkeit. Tischrücken und ähnliches sei materiell, ein naturbedingtes Ergebnis und nicht geistig. Es sei aber möglich, mit den Toten Verbindung zu haben, wenn bestimmte Voraussetzungen bezüglich des Charakters und des Herzens erfüllt seien.
Ist Aberglaube nützlich?
Eine Dame fragte, ob nicht einige abergläubische Vorstellungen für unwissende Menschen, die ohne solche wohl an gar nichts glauben würden, nützlich sein könnten.
‘Abdu’l-Bahá antwortete, es gebe zwei Arten von Aberglauben: den schädlichen und gefährlichen sowie den harmlosen mit sogar günstigen Auswirkungen.
Es habe z.B. arme Leute gegeben, die daran glaubten, dass Missgeschicke und Strafen von einem großen Engel bewirkt werden, der mit einem Schwert in der Hand jene, die stahlen, mordeten und andere Verbrechen begingen, niederschlägt.
Sie dachten, Gewitterblitze seien die Waffen dieses Engels, und wenn sie Böses taten, werde sie ein Blitzschlag
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treffen. Dieser Glaube brachte sie dazu, von Übeltaten zu lassen.
Die Chinesen pflegten die Vorstellung, sie könnten mit dem Verbrennen von bestimmten Papierstücken die Teufel vertreiben. Manchmal verbrannten sie auf Reisen an Bord von Schiffen solche Papierstücke, um Teufel zu vertreiben, und steckten dabei das Schiff in Brand und brachten viele zu Tode. Das war ein Aberglaube der gefährlichen, schädlichen Art.
Das Leben nach dem Tod
Mrs. S. stellte einige Fragen in Bezug auf das Dasein in der nächsten Welt und das Leben nach dem Tod. Weil sie vor kurzem einen ihr sehr nahestehenden Verwandten verloren habe, sagte sie, habe sie sehr viel über dieses Thema nachgedacht. Viele glauben, dass ein erneutes Zusammenfinden mit denen, die wir lieb hatten und die in das künftige Leben hinübergingen, erst nach Ablauf eines längeren Zeitraumes erfolgen werde. Sie wollte gerne wissen, ob man unmittelbar nach dem Tod mit denen wieder vereint sein werde, die vorausgegangen sind.
‘Abdu’l-Bahá antwortete, dies sei von der jeweiligen Stufe beider Seiten abhängig. Wenn beide den gleichen Entwicklungsgrad innehatten, könnten sie unmittelbar nach dem Tod wieder beisammen sein.
Wie kann man, meinte dann die Fragestellerin, diesen Entwicklungsstand erreichen? ‘Abdu’l-Bahá erwiderte: durch ständiges Bemühen, durch rechtes Handeln und durch den Erwerb geistiger Eigenschaften.
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Die Fragestellerin merkte an, dass viele verschiedene Ansichten über die Beschaffenheit des künftigen Lebens in Umlauf seien. Manche Leute glaubten, wir alle hätten dann genau die gleichen Vollkommenheiten und Tugenden und seien völlig gleich.
‘Abdu’l-Bahá sagte, es werde Vielfalt geben und Unterschiede an Einsicht und Weisheit genau wie in dieser Welt. Dann wurde gefragt, wie es wohl möglich sei, ohne materiellen Körper und Lebensraum die verschiedenen Wesen und Merkmale zu erkennen, wenn alle im selben
Zustand und auf der gleichen Seinsebene wären. ‘Abdu’l-Bahá meinte, wenn mehrere Menschen zur gleichen Zeit in einen Spiegel schauten, würden sie all die verschiedenen Persönlichkeiten, ihre Merkmale und Bewegungen sehen, es gebe aber nur eine Spiegelfläche, auf die sie schauen. Jeder habe eine Vielfalt an Gedanken im Kopf, aber alle seien getrennte und voneinander unterschiedene Einzelgedanken. Vielleicht habe jemand mehrere hundert Freunde. Aber wenn er sich diese ins Gedächtnis rufe, vermenge er nicht den einen mit dem andern jeder habe, klar und deutlich, seine ganz persönliche Ei-
genart und seine typischen Kennzeichen.?Einem anderen Fragesteller antwortete Er, wenn zwei
Menschen, z.B. Mann und Frau, in diesem Leben vollkommen vereint und ihre Seelen wie eine Seele gewesen seien, dann werde diese Einheit von Herz und Seele unverändert weiterbestehen, auch wenn einer von ihnen diese Welt verlässt.
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Geistige Verbindung
Am 28. September war ‘Abdu’l-Bahá abends mit einer Anzahl von Gästen zusammen. Er sagte:
Ihr alle hier seid Schwestern. Leibliche Verwandtschaft mag an Bindungskraft verlieren, selbst zwei Schwestern können einander feind sein. Aber geistige Verwandtschaft ist ewig und erzeugt gegenseitige Liebe und Dienstbarkeit.
Seid stets zu jedem freundlich und eine Zuflucht für die ohne Obdach.
Seid denen Töchter, die älter sind als ihr.?Seid denen Schwestern, die gleich alt sind wie ihr. Seid denen Mütter, die jünger sind als ihr.?Seid Pflegerinnen für die Kranken, Schatzmeister für
die Armen und versorgt die Hungrigen mit himmlischer Speise.
Ein persischer Arzt aus Qazvin sagte, es sei das große Werk Gottes, dass Ost und West so vereint wurden, und wir sollten immerzu Gott danken, dass die Bahá’í-Religion solch große Harmonie und Eintracht unter uns schuf. Dieser Besuch ‘Abdu’l-Bahás im Westen werde ein höchst bedeutendes Ergebnis zeitigen.
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Eine Bahá’í-Hochzeit
Für orientalische Stimmung sorgte die Hochzeit eines jungen persischen Paares, das gegen Ende des Besuches ‘Abdu’l-Bahás in London um Seine Anwesenheit bei ihrer Trauung gebeten hatte. Die Braut kam in Begleitung ihres Onkels aus Baghdád angereist, um sich hier mit ihrem Bräutigam zu treffen und vor der Abreise ‘Abdu’l-Bahás getraut zu werden. Vater und Großvater der Braut waren schon Gläubige in Bahá’u’lláhs Verbannungszeit.
Wir möchten die Schilderung des Bräutigams von der Zeremonie nicht verfremden und geben sie deshalb in der ihm eigenen einfachen, schönen Ausdrucksweise wieder. Sie wird uns eine Seite zeigen, die nirgendwo genannt wurde und ohne die kein Eindruck von ‘Abdu’l-Bahás Besuch vollständig wäre. Wir meinen damit den großen Respekt, den die Menschen aus dem Osten, die ‘Abdu’l-Bahá besuchen kamen, ihrem großen Lehrer entgegenbrachten. Stets erhoben sie sich und standen mit gesenktem Haupt, wenn Er den Raum betrat.
Mírzá Dáwúd schrieb:
Am Sonntagmorgen, dem 1. Oktober 1911 A.D., dem 9. Tishi 5972 (Hebräischer Zeitrechnung), wurde Regina Núr Mahal Khánum und Mírzá Yuhanna Dáwúd erlaubt, in die heilige Gegenwart ‘Abdu’l-Bahás zu treten – möge mein Leben ein Opfer für Ihn sein! Nachdem ‘Abdu’l-Bahá uns empfangen hatte, sagte Er: „Ihr seid herzlich willkommen, und ich freue mich, euch hier in London zu sehen.“

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Er schaute mich an und sagte: „Ich habe noch nie jemanden getraut außer meinen eigenen Töchtern. Weil ich dich aber so sehr lieb habe und du dem Reiche Abhás in diesem und in anderen Ländern große Dienste erwiesen hast, werde ich euch heute trauen. Ich hoffe, dass ihr beide weiterhin dem gesegneten Pfad des Dienens treu bleiben werdet.“
Dann nahm ‘Abdu’l-Bahá zuerst Núr Mahal Khánum mit in einen Nebenraum und fragte sie: „Liebst du Mírzá Yuhanna Dáwúd von ganzem Herzen und mit ganzer Seele?“ Sie antwortete: „Ja.“
Dann rief ‘Abdu’l-Bahá mich zu sich und stellte mir die gleiche Frage, also: „Liebst du Núr Mahal Khánum von ganzem Herzen und ganzer Seele?“ Ich antwortete: „Ja.“ Wir kehrten gemeinsam ins Zimmer zurück und ‘Abdu’l-Bahá nahm die rechte Hand der Braut und legte sie in die des Bräutigams und bat uns, Ihm nachzusprechen: „Wir tun alles, was Gott will“ („Wahrlich, wir wollen alle an Gottes Willen festhalten“).
Alle nahmen Platz und ‘Abdu’l-Bahá fuhr fort:
„Die Ehe ist eine heilige Einrichtung. In dieser gesegneten Sache wird sehr dazu ermutigt. Ihr beide seid nun nicht mehr zwei, sondern eins. Bahá’u’lláh wünscht, dass alle Menschen eines Geistes werden und sich als einem großen Haushalt zugehörig betrachten, so dass das Bewusstsein der Menschheit nicht länger uneinig ist.
Ich erhoffe und wünsche für euch ein gesegnetes Leben. Möge Gott euch helfen, dem Abhá-Königreich große Dienste zu erweisen und euch zum Werkzeug für dessen Wachstum machen. Möge euch im Laufe der Jahre immer mehr Freude zuteil werden. Möget ihr zu blühenden Bäu-

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men werden, die köstliche, wohlriechende Früchte tragen als Segensgaben auf dem Pfade des Dienens.“
Als wir aus dem Zimmer traten, beglückwünschten uns die anwesenden Freunde aus Persien und London zu der großen Ehre, die uns zuteil geworden war, und die liebenswürdige Gastgeberin lud uns zum Essen ein.
Nach kurzer Zeit versammelten wir uns mit Ihm um den Tisch. Während des Essens fragte einer der Freunde ‘Abdu’l-Bahá, wie Ihm sein Aufenthalt in London gefallen habe sowie nach Seiner Meinung über die Engländer. Ich betätigte mich als Übersetzer. ‘Abdu’l-Bahá sagte:
„Es hat mir in London sehr gut gefallen, und die strahlenden Gesichter der Freunde haben mein Herz erfreut. Ihre Einheit und Liebe zogen mich hierher. In der Welt des Seins gibt es keinen stärkeren Magneten als den Magneten der Liebe. Diese wenigen Tage gehen vorüber, aber Gottes Freunde werden sich durch alle Zeitalter hindurch und in allen Ländern an ihre Bedeutung erinnern.
Es gibt lebendige Nationen und tote Nationen. Syrien hat seine Kultur durch geistige Trägheit verloren. Die englische Nation ist lebendig, und wenn die göttliche Wahrheit in dieser geistigen Frühlingszeit mit neuer Kraft hervorbricht, werden die Engländer zu fruchtbaren Bäumen werden und der Heilige Geist wird sie reich gedeihen lassen. Dann werden sie nicht nur materiellen, sondern den weit wichtigeren geistigen Fortschritt erlangen, der ihnen dann die Möglichkeit gibt, der Menschheit weit größere Dienste zu erweisen.“
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Jemand anderes fragte, warum die Lehren aller Religionen vorwiegend über Gleichnisse und Metaphern vermittelt werden und nicht in der einfachen Sprache des Volkes.
‘Abdu’l-Bahá antwortete:
„Göttliches ist zu unergründlich, um in gewöhnlichen Worten ausgedrückt zu werden. Die himmlischen Lehren werden in Gleichnissen ausgedrückt, damit sie verstanden und für kommende Zeitalter aufbewahrt werden. Wenn die geistig Gesinnten sich tief in das Meer ihrer Bedeutung versenken, bringen sie die Perlen ihrer inneren Bedeutung ans Licht. Es gibt keine größere Freude, als Gottes Wort mit geistigem Sinn zu studieren.
Gott lehrt den Menschen mit dem Ziel, dass der Mensch sich selbst erkennt, so dass er die Erhabenheit Gottes begreift. Gottes Wort steht für Einvernehmen und Eintracht. Wenn Sie nach Persien gehen, wo es viele Freunde in Abhá gibt, werden Sie sogleich die einigende Macht der Sache Gottes wahrnehmen. Die Freunde bemühen sich bis zum Äußersten, um dieses Freundschaftsband zu stärken. Dort treffen sich Menschen verschiedener Nationalitäten in der gleichen Versammlung und singen einmütig die göttlichen Verse. Man könnte meinen, sie seien alle Brüder. Wir betrachten niemand als fremd, denn Bahá’u’lláh sagte: ‚Ihr seid alle die Strahlen einer Sonne, die Früchte eines Baumes und die Blätter eines Zweiges.‘12 Wir ersehnen für die Menschen wahre Brüderlichkeit. So wird es sein, der Anfang ist gemacht. Preis sei Gott, dem Helfenden, dem Vergebenden.“
12 vgl. Bahá’u’lláh, Botschaften aus ‘Akká 8:58; 11:6, Ährenlese 112:1; 132:3 sowie Brief an den Sohn des Wolfes 1:20
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Besuch in Bristol
Das Wochenende vom 23. – 25. September verbrachte ‘Abdu’l-Bahá im Gästehaus Clifton in Clifton, Bristol.
Am ersten Nachmittag zeigte ‘Abdu’l-Bahá während einer Ausfahrt lebhaftes Interesse für die englische Landschaft und staunte über die jahrhundertealten Bäume und das saftige Grün der Wälder und Wiesen. Alles war so ganz anders als im dürren Osten. „Es sieht aus wie im Frühling, obwohl es Herbst ist“, sagte Er. Die Häuser mit ihren kleinen Grundstücken erinnerten ‘Abdu’l-Bahá an eine Stelle in den Schriften Bahá’u’lláhs, in der Dieser andeutet, dass einmal jede Familie ein Haus mit einem Stück Land haben werde. ‘Abdu’l-Bahá verglich das Land mit der Seele und die Stadt mit dem Körper des Menschen und sagte: „Der Körper kann nicht ohne die Seele leben“, und bemerkte: „Es ist gut, unter freiem Himmel, im Sonnenschein und in der frischen Luft zu sein.“ Als er eine junge Frau mit wehendem Haar vorbeireiten und einige Radfahrerinnen ohne Begleitung vorbeifahren sah, meinte Er: „Dies ist das Zeitalter der Frau. Sie sollte die gleiche Bildung erhalten wie ihr Bruder und das gleiche Vorrecht genießen, denn vor Gott sind alle Seelen gleich. Das Geschlecht spielt seine notwendige Rolle auf der Ebene des Stofflichen, hat aber mit dem Geistigen nichts zu tun. In diesem Zeitalter geistigen Erwachens hat die Welt den Weg des Fortschritts
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eingeschlagen und die Arena der Entwicklung betreten, in der die Kraft des Geistes die des Körpers übertrifft. Bald wird der Geist die Herrschaft über die Menschenwelt erlangen.“
Am Abend wurden an die Bahá’í in Teheran telegraphische Grüße geschickt und den Freunden die Anwesenheit ‘Abdu’l-Bahás in Bristol mitgeteilt. Er ließ sie herzlich grüßen und wollte sie wissen lassen, dass es Ihm bei den Freunden in Clifton sehr gut ginge. Dieses Telegramm war die Antwort auf ein vorheriges aus Teheran, in dem die Freunde den Menschen im Gästehaus zu Seinem bevorstehenden Besuch gratulierten.
Später kamen neunzig Personen zu einem offenen Empfang, um ‘Abdu’l-Bahá zu begrüßen. Er sprach zu ihnen mit eindrucksvoller Bestimmtheit und sagte:
„Ich heiße Sie herzlich willkommen. Ich kam von weit her, um Sie zu besuchen. Ich danke Gott, dass ich nach vierzig Jahren des Wartens endlich kommen und meine Botschaft bringen durfte. Diese Versammlung ist voll Geistigkeit. Alle hier Anwesenden haben ihre Herzen Gott zugewandt. Sie suchen und sehnen sich nach frohen Botschaften. Die Kraft des Geistes hat uns hier zusammengeführt. Darum sind unsere Herzen von Dank erfüllt. ‚Sende Dein Licht und Deine Wahrheit, o Gott, auf dass sie uns zu Heiligen Höhen führen!’ Mögen die heiligen Quellen, die das Leben der Welt erneuern, uns erfrischen! Wie der Tag auf die Nacht folgt und nach dem Sonnenuntergang der Morgen anbricht, so erschien Jesus Christus wie eine Sonne der Wahrheit am Horizont dieser Welt. So war es auch, als die Menschen die Lehren Christi und Sein Vor-
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bild der Liebe zu allen Menschen vergessen hatten und von materiellen Dingen wieder übersättigt waren, da ging in Persien aufs neue ein himmlisches Gestirn auf; ein neues Licht erschien, und jetzt ergießt sich ein großes Leuchten über alle Länder.
Die Menschen behalten ihren Besitz sich selbst zur Freude und teilen die von Gott empfangenen Gnadengaben nicht genug mit anderen. So wird der Frühling in einen Winter aus Selbstsucht und Eigennutz verwandelt. Jesus Christus sagte: ‚Ihr müsst wiedergeboren werden’, so dass in euch erneut himmlisches Leben entstehen kann. Seid zu den Menschen um euch freundlich und dienet einander. Liebt Gerechtigkeit und Ehrlichkeit in all eurem Tun. Betet inständig und lebt euer Leben so, dass Sorge euch nicht beeinflussen kann. Betrachtet die Menschen eures Volkes und anderer Völker als Teile eines organischen Ganzen, als Söhne des selben Vaters. Zeigt durch euer Verhalten, dass ihr zum Volke Gottes gehört. Dann werden Krieg und Streit aufhören und der Größte Friede wird die ganze Welt umspannen.“
Nachdem ‘Abdu’l-Bahá sich zurückgezogen hatte, hielten Tammaddun’ul-Mulk und Mr. W. Tudor Pole kurze Ansprachen, in denen sie auf das Martyrium der Gläubigen in Persien, besonders auf das der herausragenden Dichterin Qurratu’l-‘Ayn, hinwiesen.
Der folgende Tag war ein herrlicher Sonntag und ‘Abdu’l-Bahá fuhr mit Seinen Freunden aufs Land hinaus. Sie gingen auf den Wiesen spazieren. Danach rief Er die Bediensteten des Hauses herbei, sprach zu ihnen über die Würde der Arbeit, dankte ihnen für ihre Dienste und gab
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jedem ein Andenken an Seinen Besuch. Er ging durch das Gästehaus, erteilte ihm als einem Zentrum für Pilger aus aller Welt Seinen Segen und sagte, es werde ein wahres Erholungsheim werden.
Am Morgen des dritten Tages besuchte Ihn beim Frühstück ein Domherr der anglikanischen Kirche. Das Gespräch kam auf das zögerliche Widerstreben der Reichen, sich von ihren Besitztümern zu trennen, und ‘Abdu’l-Bahá zitierte den Ausspruch Jesu: „Wie selten werden die Reichen ins Himmelreich kommen“ 13. Er sagte, der wahre Sucher werde erst dann frohgemut den Pfad des Verzichtes beschreiten, wenn er erkenne, dass die Bindung an das Materielle ihn von seinem geistigen Erbe fernhalte. Dann werde der Reiche seinen weltlichen Besitz freudig mit dem Bedürftigen teilen. ‘Abdu’l-Bahá verglich die Ihm gewährte schlichte Gastfreundschaft mit den kostspieligen Gelagen der Reichen, die allzu oft an ihren teuren Tafeln sitzen und die hungrigen Menschenmassen vergessen.
Er bat Seine Zuhörer dringend, das Licht in ihrem eigenen Heim zu verbreiten, damit es schließlich das ganze Volk erleuchte.
Dann kehrte ‘Abdu’l-Bahá nach London zurück. Wer das Vorrecht hatte, Ihm zu begegnen, wünschte sich aufrichtig, dass die Gläubigen in anderen Ländern erfahren würden, wie sehr die Menschen in Clifton Seinen Besuch geschätzt und Seine geistige Kraft und Liebe gespürt haben.
13 vgl. Matthäus 19:24 (Anm. d. Übers.)
Thomas Pole
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In Byfleet
Am 9. September genoss eine Gruppe von Mitarbeiterinnen des Passmore Edwards’ Settlement nachmittags das große Vorrecht, ‘Abdu’l-Bahá zu begegnen. Diese Damen verbrachten gerade ihre Ferien bei Miss Schepel und Miss Buckton im Hause Vanners in Byfleet, einem etwa zwanzig Meilen außerhalb von London gelegenen Dorf. Sie schrieben für sich einen kurzen Bericht über das, was Er gesagt hatte. Hier ein Auszug daraus:
Wir versammelten uns um Ihn im Kreis und Er hieß uns auf der Fensterbank neben Ihm Platz nehmen. Eine der Damen, die gerade krank war, ließ Er ganz besonders herzlich grüßen. Während Er sich setzte, begann ‘Abdu’l-Bahá zu fragen: „Seid ihr glücklich?“, und unsere Gesichter müssen Ihm verraten haben, dass wir es waren. Dann sagte Er: „Ich liebe euch alle. Ihr seid die Kinder des Königreichs und ihr seid von Gott angenommen. Wenn ihr hier auch arm seid, so seid ihr doch reich an den Schätzen des Königreiches. Ich bin der Diener der Armen. Denkt an die Worte Jesu: ,Selig sind die Armen!‘ Wenn auch alle Königinnen der Erde hier versammelt wären, so könnte ich nicht froher sein!“
‘Abdu’l-Bahá wusste, dass wir eine Sammelbüchse hatten, aus der wir Menschen zu helfen versuchten, die weniger vom Glück begünstigt waren als wir. Plötzlich stand Er auf und sagte: „Ihr seid mir sehr lieb. Ich möchte
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etwas für euch tun! Ich kann nicht für euch kochen (Er hatte uns zuvor in der Küche hantieren sehen), aber hier ist etwas für euren Fonds.‘ Er ging reihum zu einer jeden, schüttelte uns allen mit herzlichem Lächeln die Hand und sagte den Bahá’í-Gruß: „Alláh-u-Abhá!“
Hernach spazierte Er durch das Dorf. Viele arme Kinder, Mütter mit kranken Babies und arbeitslose Männer kamen zu Ihm. Mit Hilfe eines Dolmetschers sprach Er mit allen. Zum Nachmittagstee gesellten sich weitere Freunde zu uns. ‘Abdu’l-Bahá mochte den Landhausgarten, den Obstgarten und die Rosen von Vanners und meinte: „Hier ist es wie in einem persischen Garten. Die Luft ist so rein.“
Bei Seiner Abreise nach London überreichte Er jedem ein purpurfarbenes wildes Stiefmütterchen aus dem Garten und sagte immer wieder auf Englisch „Good-bye“.
Am 28. September besuchte ‘Abdu’l-Bahá noch einmal Vanners, das kleine Landhaus auf dem alten königlichen Herrensitz aus der Zeit Edward II. Er kam mit dem Auto von London, blieb über Nacht und fuhr am zweiten Tag abends zurück.
Auf der Fahrt beeindruckten ‘Abdu’l-Bahá zwei Pfadfindergruppen, die den Weg entlang wanderten. Als man Ihm den Leitsatz der Pfadfinder „Seid bereit“ mitteilte und dass eine ihrer Regeln sei, jeden Tag eine gute Tat zu tun und dass einige dieser Jungen ein Feuer gelöscht und kürzlich bei einem Eisenbahnunglück Hilfe geleistet hätten, meinte Er: „Das macht mich sehr glücklich.“
In Vanners angekommen fand Er vor dem Tor eine sehr ungewöhnlich zusammengesetzte Menschenmenge vor – von den Ärmsten bis zu den mit dem Auto von ihren Land-
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sitzen angereisten Reichen – die Ihn herzlich begrüßten. Ein guter Teil folgte Ihm und so viele eben konnten drängten in den Garten und ließen sich um Ihn herum nieder. Es herrschte eine eindrucksvolle Stille. Auch unter diesen Menschen war die gleiche Aufmerksamkeit und Begier nach Seinen Worten zu beobachten wie beim vorherigen Besuch ‘Abdu’l-Bahás im Dorf.
Nachdem Er Seine Freude über das Beisammensein mit ihnen bekundet hatte, begann Er vor der kleinen Gruppe eine Frage zu beantworten, in der es um die hoch entwickelte westliche Zivilisation ging.
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Die Knechtschaft des Menschen
‘Abdu’l-Bahá sagte:
„Luxus legt den freien Austausch lahm. Ein von Wünschen besessener Mensch ist immer voller Sorgen. Die Kinder des Reiches Gottes haben die Fesseln ihrer Wünsche abgeworfen. Zerreißt alle Ketten und sucht nach geistiger Freude und Erleuchtung. Dann werdet ihr erkennen, dass euer Blick schon auf dieser Erde die Weiten des göttlichen Horizontes wahrnimmt. Nur der Mensch ist dazu fähig.
Wenn wir uns umschauen sehen wir, dass jedes andere Geschöpf von seinem Umfeld abhängt. Der Vogel ist an die Luft gebunden, der Fisch an das Meer. Nur der Mensch steht über den Dingen und sagt zu den Elementen: ,Ich will euch zu meinen Dienern machen! Ich kann euch beherrschen!‘ Durch seine Erfindungsgabe sperrt er die Elektrizität ein und macht sie zum wunderbaren Kraftquell für Beleuchtung und zum Kommunikationsmittel über Entfernungen von Tausenden von Meilen. Doch der Mensch kann zum Gefangenen seiner eigenen Erfindungen werden. Seine wahre zweite Geburt erlebt er, wenn er sich von allem Materiellen befreit hat, denn nur wer nicht an seine Wünsche gefesselt ist, ist frei. Dann wird er, wie Jesus sagte, vom Heiligen Geist eingenommen.“
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Die Macht Gottes
Ein Freund fragte ‘Abdu’l-Bahá, wie sehr ein Mensch dem Christusbewusstsein, von dem Paulus als unserer ruhmreichen Hoffnung spricht,14 in seinem Herzen nahekommen kann.
Mit einem Blick voll großer Freude wandte ‘Abdu’l-Bahá sich um und sagte mit einer beeindruckenden Geste: „Die Gnade und Kraft Gottes ist jeder Menschenseele zugedacht und kennt keine Grenzen. Überlegt: welch belebende Kraft strömte von Christus aus, als Er auf Erden weilte. Betrachtet Seine Jünger! Sie waren arme, ungebildete Menschen. Aus dem derben Fischer formte Er den großen Petrus, und aus Magdalena, dem armen Mädchen vom Dorf, machte Er eine Gestalt, die heute in aller Welt Einfluss ausübt. Viele Königinnen haben regiert, von denen nur historische Daten blieben und sonst nichts. Aber Maria Magdalena überragt sie alle. Sie war es, deren Liebe die Jünger erstarken ließ, als deren Glaube ermattete. Was sie für die Welt tat, kann nicht hoch genug geschätzt werden. Seht, welch göttliche Kraft in ihr durch die Macht
Gottes entflammt wurde!“
14 Kol 1, 28: „Christus ist unter euch, er ist die Hoffnung auf Herrlichkeit.“ (Anm. d. Übers.)
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Erleuchtete Boten
Auf die Frage, ob das Auftreten von Propheten von Zeit zu Zeit notwendig sei – „würde die Welt nicht im Laufe der Ereignisse durch Weiterentwicklung zur vollen Erkenntnis Gottes gelangen?“ – antwortete ‘Abdu’l-Bahá:
„Die Menschheit braucht eine umfassend motivierende Antriebskraft, damit sie neu belebt wird. Der erleuchtete Bote, dem die Macht Gottes unmittelbar beisteht, bringt allumfassende Resultate zuwege. Bahá’u’lláh stieg als Licht in Persien empor, und nun strahlt dieses Licht über die ganze Welt.“
Frage: Ist darunter das Zweite Kommen Christi zu verstehen?
Antwort: In Christus bringt sich die Göttliche Wirklichkeit, die Eine und Himmlische Wesenheit, die weder Anfang noch Ende hat, zum Ausdruck. In jedem Zyklus tritt sie in Erscheinung, erstrahlt, offenbart sich und geht unter.
Wer mit ‘Abdu’l-Bahá beisammen war, bemerkte, dass Er sich öfters nach einem ernsten Gespräch mit Menschen plötzlich umwandte und wegging, um allein zu sein, und dass Ihm in solchen Augenblicken niemand folgte. Als Er diesmal seine Rede beendet hatte und durch das Gartentor ins Dorf ging, beeindruckte alle Seine gelöste, wunderbare Art zu gehen, von der ein amerikanischer Freund meinte, sie gleiche der eines Hirten oder eines Königs.
Als Er an den zerlumpten Kindern vorbeiging, die Ihn zu Dutzenden umringten, salutierten die Buben so, wie sie
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es in der Schule gelernt hatten und zeigten damit, wie instinktiv sie die hohe Bedeutung Seiner Anwesenheit spürten. Am bemerkenswertesten war das Verstummen selbst der derbsten Männer, wenn ‘Abdu’l-Bahá erschien. Ein armer Landstreicher rief: „Er ist ein guter Mann!“ und fügte hinzu „Er hat sicher viel gelitten!“
Ganz besonders interessierte Er sich für die kranken, behinderten und unterernährten Kinder. Mütter mit ihren Kleinen auf dem Arm gingen Ihm nach, und ein Freund machte ihnen verständlich, dass dieser hohe Besucher über die Meere aus dem Heiligen Land gekommen sei, von dort, wo Christus geboren worden war.
Den ganzen Tag über kamen Menschen aus allen Schichten zum Gartentor in der Hoffnung, Ihn zu sehen. Mehr als sechzig kamen mit dem Auto oder Rad nach Vanners, um Ihn dort zu treffen. Viele wollten Ihm zu bestimmten Themen Fragen stellen. Darunter waren Geistliche verschiedener Bekenntnisse, der Direktor einer staatlichen Jungenschule, ein Mitglied des Parlaments, ein Arzt, ein prominenter politischer Essayist, der Vizerektor einer Universität, mehrere Journalisten, ein bekannter Dichter und ein Richter aus London.
Lange wird man daran denken, wie Er in der Nachmittagssonne im Erker saß und Seinen Arm um einen völlig zerlumpten, aber überglücklichen kleinen Jungen gelegt hatte, der gekommen war, um ‘Abdu’l-Bahá um eine SixPence-Münze für seine Spardose und für seine kranke Mutter zu bitten – und gleichzeitig unterhielten sich im Zimmer um Ihn herum Männer und Frauen über Erziehung, Sozialismus, das erste Reformgesetz und die Be-
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deutung von U-Booten und drahtloser Telegraphie für das neue Zeitalter, in das der Mensch nun eintritt.
Irgendwann am Abend bat ein junges verlobtes Paar aus dem Dorf, das einige Bahá’í-Bücher gelesen hatte, um die Erlaubnis, Ihn zu besuchen. Scheu betraten sie den Raum, der Mann vom Mädchen geführt. ‘Abdu’l-Bahá erhob sich, um sie zu begrüßen und hieß sie im Kreise Platz nehmen. Er sprach sehr ernst mit ihnen über die Heiligkeit der Ehe, die Schönheit einer wahren Vereinigung und die große Bedeutung von kleinen Kindern und deren Erziehung. Bevor sie gingen segnete Er sie und benetzte ihnen Stirn und Haare mit einem persischen Duftstoff.
Erziehung
‘Abdu’l-Bahá legte großen Wert auf Erziehung. Er sagte:
„Die Erziehung der Mädchen ist heute wichtiger als die der Jungen, denn sie sind die Mütter der kommenden Generation. Alle haben die Pflicht, sich um die Kinder zu kümmern. Wer keine Kinder hat, sollte möglichst die Verantwortung für die Erziehung eines Kindes übernehmen.“
Die Lebensbedingungen der Mittellosen in den Dörfern wie auch in London haben ‘Abdu’l-Bahá zutiefst berührt. In einem ernsten Gespräch mit dem Leiter einer Pfarrgemeinde sagte ‘Abdu’l-Bahá:
„Ich stelle fest, dass England wohl darum weiß; man ist geistig rege. Aber Ihre Armen sind so schrecklich arm! Das sollte nicht sein. Zum einen leben Sie in Wohlstand und großem Luxus, zum anderen leben Männer und Frauen in allergrößter Not und hungern. Dieser enorme Gegensatz
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ist einer der Schandflecken für die Zivilisation dieses erleuchteten Zeitalters.
Sie müssen sich wesentlich ernsthafter um die Besserung der Lebensbedingungen der Armen kümmern. Ruhen Sie nicht, bis jeder einzelne, mit dem Sie zu tun haben, für Sie wie ein eigenes Familienmitglied ist. Betrachten Sie jeden entweder als Vater oder Bruder oder Schwester oder Mutter oder als Kind. Wenn Sie das erreichen, werden sich Ihre Probleme lösen und Sie werden wissen, was zu tun ist. Dies besagt die Lehre Bahá’u’lláhs“.
Der Wandel des Herzens
Jemand sprach über den Wunsch des Volkes, das Land zu besitzen, und die latente Bereitschaft zur Rebellion in der Arbeiterklasse. ‘Abdu’l-Bahá antwortete:
„Kampf und Gewaltanwendung werden keine guten Ergebnisse zeitigen, selbst wenn sie einer gerechten Sache dienen. Die Unterdrückten, die das Recht auf ihrer Seite haben, sollten dieses Recht nicht mit Gewalt an sich reißen, sonst bleibt das Übel bestehen. Die Herzen müssen verwandelt werden. Der Reiche muss den Wunsch haben zu geben! Die Lebenskraft im Menschen sollte wie eine Flamme sein, die jeden erwärmt, der mit ihr in Berührung kommt. Die geistig Erweckten sind in den Augen Gottes wie helle Fackeln, die ihren Mitmenschen Licht und Erquickung spenden.“
Auf die Frage, ob Er die Umgangsformen der Engländer im Vergleich mit denen im Osten nicht als rüde und unangenehm erfahren habe, sagte ‘Abdu’l-Bahá, Er habe
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nichts dergleichen wahrgenommen. Wenn die Geistigkeit in einem Volk zunehme, werde das Betragen sich verändern.
Christus und Bahá’u’lláh
Ein Freund fragte, inwiefern die Lehren Bahá’u’lláhs zu den Lehren Jesu Christi im Gegensatz stehen. „Die Lehren sind gleich“, erklärte ‘Abdu’l-Bahá, „sie haben die gleiche Grundlage und entstammen dem gleichen Tempel. Es gibt nur eine ungeteilte Wahrheit. Die Lehren Jesu sind sehr konzentriert. Bis heute sind die Menschen sich über die Bedeutung vieler Seiner Aussagen gar nicht einig. Seine Lehren sind wie eine in der Knospe verborgene Blüte. Heute entfaltet sich die Knospe zur Blüte! Bahá’u’lláh hat die Lehren erfüllt, sie erweitert und Punkt für Punkt auf die ganze Welt angewandt.
Unter den Bahá’í gibt es keine Einzelgänger, keine Einsiedler. Der Mensch muss mit seinen Mitmenschen zusammenarbeiten. Jeder, ob reich oder arm, sollte ein Gewerbe, eine Kunst oder einen erlernten Beruf ausüben, und damit muss er der Menschheit dienen. Ein solcher Dienst wird als höchste Form der Anbetung angenommen.“
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Kunst
Eine Malerin fragte: „Ist Kunst eine achtbare Beschäftigung?“ ‘Abdu’l-Bahá wandte sich ihr in beeindruckender Weise zu und sagte: „Kunst ist Anbetung.“
Ein Schauspieler erwähnte das Schauspiel und dessen Einfluss. „Das dramatische Schauspiel ist höchst bedeutsam“, sagte ‘Abdu’l-Bahá. „Früher hatte es große erzieherische Kraft, und diese wird es wieder erlangen.“ Er schilderte, wie Er als kleiner Junge das Mysterienspiel vom Verrat an ‘Alí und dessen Leidensweg gesehen habe und Ihn dieses Spiel so tief ergriffen habe, dass Er weinte und nächtelang nicht schlafen konnte.
Bekenntnissymbole
Jemand wollte wissen, ob das Tragen von Bekenntnissymbolen, z.B. eines Kreuzes, eine gute Gewohnheit sei. Er sagte: „Sie tragen das Kreuz zum Gedenken, es konzentriert Ihre Gedanken. Es hat keine magische Kraft. Die Bahá’í tragen oft einen Stein, in den der Größte Name eingraviert ist. Der Stein übt keinen magischen Einfluss aus. Er dient als Mahner und Begleiter.
Wenn Sie im Begriff sind, etwas Selbstsüchtiges oder Vorschnelles zu tun und Ihr Blick dann auf den Ring an Ihrer Hand fällt, werden Sie sich besinnen und Ihre Absicht ändern.“
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Esperanto
Ein Freund sprach Bahá’u’lláhs Prophezeiung in den „Worten des Paradieses“ an, es werde eine Weltsprache geschaffen werden,15 und wollte gerne wissen, ob Esperanto einmal die dafür auserwählte Sprache sein werde. Er antwortete:
„Die für Esperanto aufgewendete Liebe und Mühe wird nicht verloren sein, aber eine Einzelperson kann nicht eine universale Sprache ausarbeiten. Sie muss von einem Rat, der alle Länder vertritt, geschaffen werden und Wörter aus verschiedenen Sprachen beinhalten. Die einfachsten Regeln sollen gelten und es wird keine Ausnahmen geben, auch keine Geschlechtswörter oder besondere und stumme Laute. Jede Sache wird nur eine Bezeichnung haben. Im Arabischen gibt es hunderte Worte für das Kamel! In den Schulen aller Länder wird die Muttersprache und gleichzeitig die überarbeitete Weltsprache gelehrt werden.“
15 Deutlicher angesprochen ist dies in den Sendschreiben „Bishárát“ und „Lawh-i-Maqsúd“ (Sendschreiben aus ‘Akká 3:6; 11:9) (Anm. d. Übers.)

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Tolstoi
Der gleiche Fragesteller sagte: „Ich habe vieles von Tolstoi gelesen und sehe eine Parallele zwischen seinen Lehren und den Ihrigen. In einem seiner Bücher spricht er vom Rätsel des Lebens und beschreibt, wie wir bei unserem Streben, den Schlüssel zu finden, unser Leben vergeuden. Aber Tolstoi fährt fort: ‚Es gibt in Persien einen Mann, der das Geheimnis kennt.‘“
„Ja“, sagte ‘Abdu’l-Bahá, „Ich bekam von Tolstoi einen Brief und darin schrieb er, dass er ein Buch über Bahá’u’lláh schreiben wolle.“
Heilung
Ein an der Heilkunst interessierter Freund zitierte die Worte Bahá’u’lláhs: „Wenn jemand krank ist, soll er zum besten Arzt gehen.“16
‘Abdu’l-Bahá sagte: „Es gibt nur eine heilende Kraft – das ist Gott. Die Verfassung oder die Vorbedingung, unter der sich die Heilung vollzieht, ist die Zuversicht des Herzens. Bei manchen wird dieser Zustand durch Pillen, Pulver und Ärzte erreicht, bei anderen durch Hygiene, Fasten und Beten, bei wieder anderen durch unmittelbares Empfinden.“
Bei einer anderen Gelegenheit sagte ‘Abdu’l-Bahá zu eben diesem Thema: „Wir sehen um uns herum nichts als das Wirken des Geistes. Der Geist in den Kräutern und im
16 Bahá’u’lláh, Kitáb-i-Aqdas 113: „Bei Krankheit wendet euch an fähige Ärzte.“ (Anm. d. Übers.)
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Mineral wirkt auf den menschlichen Körper und verändert seinen Zustand.“ Die Ansprache entwickelte sich zu einer wissenschaftlichen Erörterung der Philosophie von Aristoteles.
Tod
Ein Freund fragte: „Wie soll man dem Tod entgegensehen?“ ‘Abdu’l-Bahá antwortete: „Wie sieht man dem Ende einer Reise entgegen? Mit Hoffnung und Erwartung. So ist es auch mit dem Ende dieser Erdenreise. In der nächsten Welt wird der Mensch sich von vielen Unzulänglichkeiten, unter denen er jetzt leidet, befreit fühlen. Wer durch den Tod gegangen ist, lebt in einer eigenen Sphäre. Sie ist der unsrigen nicht entrückt: ihr Wirken im Königreich ist das unsrige. Aber sie ist geheiligt von dem, was wir Raum und Zeit nennen. Unsere Zeit wird nach der Sonne gemessen. Wenn es keinen Sonnenaufgang und keinen Sonnenuntergang mehr gibt, so gibt es für den Menschen auch nicht mehr diese Art von Zeit. Die Aufgestiegenen haben Merkmale, die sich von den Eigenschaften derer unterscheiden, die noch auf Erden sind. Doch besteht keine wirkliche
Trennung zwischen ihnen.?Im Gebet tritt eine Vermischung der Stufen und Zustände
ein. Betet für sie, wie sie auch für euch beten. Wenn ihr, ohne es zu wissen, in einem empfänglichen Zustand seid, können sie euch, falls ihr Schwierigkeiten habt, Ratschläge geben. Dies geschieht manchmal im Schlaf. Es gibt jedoch keinen äußerlich wahrnehmbaren Austausch! Was ein wahrnehmbarer Austausch zu sein scheint, ist anders zu erklären.“
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Ein Fragesteller rief aus: „Aber ich habe eine Stimme gehört!“
‘Abdu’l-Bahá sagte: „Ja, das ist möglich, in Träumen hören wir deutliche Stimmen. Es ist nicht das körperliche Ohr, mit dem Sie gehört haben. Der Geist derer, die hingeschieden sind, ist vom Sinnesleben befreit und benützt keine physikalischen Mittel. Diese bedeutsamen Themen in menschliche Worte zu fassen ist nicht möglich. Die Sprache des Menschen ist eine Kindersprache, und oft führen menschliche Erklärungen in die Irre.“
Ein Gast fragte, wie es zugehe, dass sich das Herz öfters instinktiv an bestimmte Freunde wende, die in das nächste Leben eingegangen sind.
‘Abdu’l-Bahá antwortete: „Es ist ein Gesetz in Gottes Schöpfung, dass sich der Schwache an den Starken lehnt. Die, an die Sie sich wenden, mögen Vermittler der göttlichen Kraft für Sie sein, wie wenn sie auf Erden wären. Aber es ist der eine Heilige Geist, der allen Menschen Kraft verleiht.“
Daraufhin wies ein anderer Freund auf das Gespräch von Jesus auf dem Berg der Verklärung mit Moses und Elias hin.
‘Abdu’l-Bahá sagte: „Die Gläubigen werden stets durch die Anwesenheit der Himmlischen Heerscharen unterstützt. Zu den Himmlischen Heerscharen gehören Jesus und Moses und Elias und Bahá’u’lláh und andere erhabene Seelen, und ebenso die Märtyrer.“
Als Er über das Weiterbestehen der Persönlichkeit eines Tieres nach dessen Tod gefragt wurde, sagte ‘Abdu’lBahá: „Selbst die edelsten Zuchthunde besitzen nicht die
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unsterbliche Seele des Menschen, doch der Hund ist auf seiner Stufe vollkommen. Sie streiten doch nicht mit einem Rosenbäumchen, weil es nicht singen kann!“
Ein wahrer Bahá’í (1)
Ein junger Mann, der die modernen Methoden der Bibelkritik studierte, fragte ‘Abdu’l-Bahá, ob er gut daran tue, wenn er weiterhin der Kirche angehöre, mit der er zeitlebens verbunden war und deren Sprache für ihn so voller Bedeutung war. ‘Abdu’l-Bahá antwortete:
„Sie sollten sich nicht von ihr trennen. Sie sollten wissen: Das Reich Gottes gehört keiner bestimmten Gruppe. Manche Sucher durchwandern viele Gemeinschaften so wie ein Reisender viele Städte durchstreift, bis er sein Ziel erreicht. Wenn Sie schon zu einer Gruppe gehören, verleugnen Sie nicht ihre Brüder. Sie können ein Bahá’í-Christ, ein Bahá’í-Freimaurer, ein Bahá’í-Jude, ein Bahá’í-Muslim sein. Die Zahl neun enthält acht und sieben und alle anderen Zahlen und verleugnet keine davon. Bringen Sie niemanden durch die Worte ,Er ist kein Bahá’í‘ in Bedrängnis, weisen Sie keinen ab. Er wird an seinen Taten erkannt werden. Bei den Bahá’í gibt es keine Geheimnisse, ein Bahá’í hat nichts zu verbergen.“
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Verbreiten der Lehren
Als ein amerikanischer Freund fragte, „welcher der beste Weg sei zum Verbreiten der Lehren“, sagte Er:
„Durch Taten. Dieser Weg steht allen offen, und Taten werden von allen verstanden. Arbeiten Sie mit jenen zusammen, die sich für die Armen, Schwachen und Glücklosen einsetzen, das ist höchst lobenswert. Mit Worten zu lehren erfordert das Können eines weisen Arztes. Er bietet denen, die keine Behandlung wünschen, seine Hilfe auch nicht an. Drängen Sie Ihre Hilfe nicht jenen auf, die Ihren Beistand nicht brauchen. So zu lehren ist nicht jedem gegeben.“
Die folgende Episode zeigt, wie sehr ‘Abdu’l-Bahá auf die kleinsten Einzelheiten achtete, wenn es um andere Menschen ging. Als Er hörte, dass einige Seiner Freunde von London hergereist waren und vorhatten, die Nacht im Dorf zu verbringen, um in Seiner Nähe zu sein, lud ‘Abdu’l-Bahá sie sogleich als Seine Gäste in den Gasthof ein, begab sich in Sorge um ihr Wohl persönlich dorthin und prüfte die Zimmer, weil es nachts bereits kalt wurde.
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In Brooklands17
Am Morgen des zweiten Tages schickte eine Nachbarin ihren Wagen herüber und ließ fragen, ob ‘Abdu’l-Bahá nicht gerne mit Seinen Besuchern zum Flugplatz von Brooklands fahren möchte. Trotz windigen Wetters war ein Pilot auf der Piste. Als er hörte, wer der Besucher war, bot er an, für ihn zu fliegen. ‘Abdu’l-Bahá ging ohne Seine Freunde mitten aufs Rollfeld hinaus, wo Er ganz alleine stand und zuschaute, wie der Doppeldecker über Ihm seine Kreise zog.
Ein Hindu, der an der Schule fliegen lernte, gesellte sich zu ‘Abdu’l-Bahás Freunden und fragte: „Wer ist dieser Mann in orientalischer Kleidung?“ Als man es ihm sagte, rief er: „Oh, ich kenne ihn sehr gut durch seine Lehren, die ich aufmerksam studiert habe!“ und ging sofort zu ‘Abdu’l-Bahá.
Eine Weile unterhielten sie sich auf arabisch. Dem jungen Mann sah man an, wie überglücklich er über sein Beisammensein mit ‘Abdu’l-Bahá war. Später erzählte er, dass er sich seit Jahren nach diesem Augenblick gesehnt hatte.
Als es draußen Tee gab, saßen ‘Abdu’l-Bahá und der junge Hindu am oberen Ende der langen, dafür aufgestell-
17 Brooklands, außerhalb von Byfleet gelegen, ist die erste, 1907 erbaute Autound Motorradrennstrecke der Welt. Im selben Areal lag das erste britische Flugfeld, der Beginn der britischen Luftfahrtgeschichte. (Anm. d. Übers.)
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ten Bänke und unterhielten sich mit allen recht angeregt. ‘Abdu’l-Bahá beobachtete, wie sich zwei der Piloten auf dem Boden balgten, und als sie aufhörten, ging Er zu ihnen, klatschte in die Hände und rief auf Englisch: „Bra-
vo, bravo! Das war eine gute Übung!“
Nachdem ‘Abdu’l-Bahá wieder zurück in Ägypten war, sandte Er den Menschen in Byfleet eine freundliche Grußbotschaft und schrieb, Er werde sie niemals vergessen.
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Aufenthalt in London
Während ‘Abdu’l-Bahás Aufenthalt in Cadogan Gardens kamen tagtäglich von früh am Morgen bis spät am Abend Menschen in der Hoffnung, Ihn zu sehen und zu sprechen. Zahlreich waren die Begegnungen am Tisch dieses gastlichen Hauses. Hunderte Menschen wurden willkommen geheißen. Viele kamen unangemeldet, aber niemand wurde abgewiesen. Es kamen Geistliche verschiedener Bekenntnisse, Parlamentsmitglieder, Beamte und Schriftsteller.
Nicht nur Engländer kamen zu Besuch. Zahlreiche Perser waren aus Teheran und anderen Städten des Ostens angereist, um ungehindert Den zu sehen, der ihnen durch Seine Gefangenschaft so lange vorenthalten gewesen war.
Der Herausgeber einer in Japan gedruckten Zeitung änderte seine Rückreiseroute nach Japan, damit er einen Abend in ‘Abdu’l-Bahás Nähe verbringen konnte, und ein zoroastrischer Arzt aus Bombay kam an seinem Rückreiseabend nach Indien noch zu später Stunde.
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Frauenbewegung
‘Abdu’l-Bahás Interesse an der Frauenbewegung und dem Fortschritt der Frauen ist bekannt. Von den beachtenswerten führenden Persönlichkeiten, die Ihn besuchten, sind zu erwähnen: Mrs. Annie Besant, die Präsidentin der Theosophischen Gesellschaft, Organisatorinnen verschiedener Frauenrechtsgruppen, Wohlfahrtsund Sozialarbeiterinnen, die Leiterinnen mehrerer Frauenakademien sowie Ärztinnen.
An die folgende lebhafte Unterhaltung mit einer leidenschaftlichen Frauenrechtlerin werden sich alle, die dabei sein durften, noch lange erinnern. Männer und Frauen drängten sich im Zimmer, und viele Perser saßen in ihrer üblichen respektvollen Haltung auf dem Boden.
Nachdem ‘Abdu’l-Bahá ganz allgemein die Stellung der Frau im Osten mit der im Westen verglichen und dann geschildert hatte, dass die Frauen im Osten gegenüber ihren westlichen Schwestern in mancherlei Hinsicht im Vorteil seien, wandte Er sich um und sagte zu Seiner Besucherin: „Nennen Sie mir Ihre Gründe, weshalb Sie meinen, die Frauen sollten heutzutage das Stimmrecht haben!“
Antwort: „Ich glaube, dass die Menschheit göttlichen Ursprungs und Wesens ist und dass sie sich höher und höher entwickeln muss. Sie kann sich jedoch nicht mit nur einem Flügel emporschwingen.“
‘Abdu’l-Bahá brachte seine Freude über diese Antwort zum Ausdruck und erwiderte lächelnd: „Aber was machen Sie, wenn ein Flügel stärker ist als der andere?“
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Antwort: „Dann müssen wir den schwächeren stärken, sonst wird der Flug immer Schwierigkeiten bereiten.“
‘Abdu’l-Bahá lächelte und fragte: „Was werden Sie sagen, wenn ich Ihnen beweise, dass die Frau der stärkere Flügel ist?“
Die Antwort kam – zur Erheiterung der ganzen Gesellschaft – genauso humorvoll zurück: „Ich werde Ihnen ewig dankbar sein!“
Dann fuhr ‘Abdu’l-Bahá in ernsterem Ton fort:
„Die Frau hat für die Menschheit tatsächlich die größere Bedeutung. Sie hat die größere Last zu tragen und schwerere Arbeit zu leisten. Betrachten wir die Pflanzenund die Tierwelt. Die fruchttragende Palme ist der vom Züchter am meisten geschätzte Baum. Der Araber weiß, dass auf einer weiten Reise die Stute den längeren Atem hat. Wegen ihrer größeren Kraft und Wildheit fürchtet der Jäger die Löwin mehr als den Löwen.
Die bloße Größe des Gehirns erwies sich in keinerlei Weise als Grund für eine Überlegenheit. Die Frau hat mehr Zivilcourage als der Mann; sie hat auch besondere Gaben, die sie in Gefahr und Krisenzeiten befähigen, den Überblick zu bewahren. Wenn nötig wird sie sogar zur Kämpferin.“
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Zenobia
‘Abdu’l-Bahá fragte die Anwesenden, ob sie die Geschichte von Zenobia und dem Untergang Palmyras kennen. Also erzählte Er die folgende Geschichte, begleitet von den für Ihn so charakteristischen würdigen, einfachen Gesten Seiner Hände.
„Im Altertum lebte in Syrien ein Herrscher,18 der eine schöne und kluge Frau hatte. Sie war so tüchtig, dass man sie nach dem Tod des Herrschers zur Regentin an seiner statt machte.19 Unter ihrer Herrschaft kam das Land zu Wohlstand, und die Männer anerkannten dankbar, dass sie besser regierte als ihr Mann. Nach einiger Zeit fielen römische Legionen ins Land ein, aber sie jagte sie immer wieder in die Flucht. Sie ließ ihr schönes Haar offen wallen und ritt selbst an der Spitze ihres Heeres, trug einen
. 18  Nach spätantiker Geschichtsschreibung Septimus Odaenathus, der 261 mit römischer Duldung als „Aufrichter des ganzen Ostens“ den Schutz des Ostens übernahm und sein Reich über Syrien, Mesopotanien und Kilikien ausdehnte und nach Feldzügen gegen den persischen König Schapur 267 einem Attentat zum Opfer fiel (bzw. nach anderer Quelle in einer Schlacht fiel). (Anm. d. Übers.)
. 19  Zenobia (arabisch: Zinab, syrisch/aramäisch: Bathzabbai) war eine aus einer romanisierten Familie stammende Araberin, hieß romanisiert zunächst Aurelia, nannte sich nach ihrer Regierungsübernahme Septimia und nach der Eroberung Ägyptens 270 „Königin der Könige“. Sie wird als äußerst gebildet, schön und tatkräftig geschildert, richtete sich in Kleidung und beim Hofzeremoniell nach persischen Vorbildern und pflegte intensive Kontakte zum Bischof von Antiochia, dem neuplatonischen Philosophen Longinus und Manichäern. Als sie sich ca. 272 „Augusta“ (Kaiserin) nannte und die Autonomie Palmyras signalisierte, provozierte dies den Feldzug des römischen Kaisers gegen sie. (Anm. d. Übers.)
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scharlachroten Mantel, eine goldene Krone und führte ein zweischneidiges Schwert in der Hand. Da zog der römische Kaiser20 seine Streitmacht aus fünf anderen Provinzen ab, um sie zu unterwerfen. Nach langem, tapferem Kampf zog sich Zenobia in die Stadt Palmyra zurück, deren Festungsanlagen sie bewundernswert verstärkte. Dort hielt sie einer viermonatigen Belagerung stand, und dem Kaiser gelang es nicht, sie zu vertreiben. Schließlich waren die in der Festung gelagerten Nahrungsmittel aufgebraucht und die Not ihres hungernden, von Seuchen geplagten Volkes zwang sie, sich zu ergeben.
Der Caesar bewunderte den Mut und die Ausdauer dieser großartigen Frau unendlich und bat sie, seine Frau zu werden. Sie aber lehnte ab und sagte, sie werde nie nachgeben und den Feind ihres Volkes zum Manne nehmen. Der Kaiser raste vor Wut und beschloss, sie zu demütigen. Auf der Rückfahrt nahm er sie auf seinen Schiffen mit nach Rom. Für seinen triumphalen Einzug wurde eine große Prozession zusammengestellt, und in den Straßen drängten sich die Menschen. In der Prozession kamen zuerst die Elefanten, nach den Elefanten kamen die Kamele, nach den Kamelen kamen die Tiger und Leoparden, nach den Leoparden kamen die Affen und ganz am Ende nach den Affen schritt Zenobia mit einer goldenen Kette um ihren Hals. Ruhig und hoch erhobenen Hauptes blieb sie fest in ihrer entschlossenen Haltung. Nichts konnte ihren Mut brechen! Sie weigerte sich, des Caesars Kaiserin zu werden. Also wurde sie in einen Kerker geworfen, wo sie schließlich starb.“?20 Aurelian (214–275) (Anm. d. Übers.)
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‘Abdu’l-Bahá verstummte. Der Raum versank in tiefes Schweigen, das erst nach geraumer Zeit gebrochen wurde. Bei einer anderen Gelegenheit sagte ‘Abdu’l-Bahá zu
einem Ihn umgebenden Kreis von Freunden:
„Im Großen und Ganzen haben die Frauen heute einen stärkeren Sinn für Religion als die Männer. Die Intuition der Frau ist treffsicherer, sie ist aufnahmefähiger und ihre Intelligenz erfasst die Dinge rascher. Die Zeit wird kommen, in der die Frau geltend macht, dass sie dem Mann überlegen ist.
Die Frau wurde allenthalben wegen ihrer Treue gelobt. Nachdem der Herr Christus den Märtyrertod erlitten hatte, weinten die Jünger und gaben sich ihrem Kummer hin. Sie meinten, ihre Hoffnungen seien zerstört und die Sache gänzlich verloren, bis Maria Magdalena zu ihnen kam und sie aufrichtete mit den Worten: ‚Trauert ihr um den Körper unseres Herrn oder um Seinen Geist? Wenn ihr um Seinen Geist trauert, seid ihr im Irrtum, denn Jesus lebt! Sein Geist wird uns niemals verlassen!’ So wurde durch ihre Weisheit und Ermutigung die Sache Christi für alle Zeiten am Leben erhalten. Ihre Intuition befähigte sie, die geistige Bedeutung zu erfassen.“
‘Abdu’l-Bahá fügte dann hinzu: „Aber vor Gottes Antlitz ist das Geschlecht nicht von Bedeutung. Wer Gott am nächsten ist, der oder die ist am größten.“
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Als ‘Abdu’l-Bahá eines Morgens den Raum betrat, schaute Er sich um und sagte: „Unser Beisammensein ist wie ein Wunder. Nichts Rassisches, Politisches oder Patriotisches verbindet uns. Die Worte Bahá’u’lláhs führen uns zusammen, und genau so werden alle Rassen auf Erden vereint werden. Seid dessen sicher!“
Ein wahrer Bahá’í (2)
„Ich habe vorher noch nie von Bahá’u’lláh gehört“, sagte ein junger Mann. „Erst vor kurzem habe ich etwas über diese Bewegung gelesen. Ich halte das Anliegen ‘Abdu’l-Bahás jedoch für richtig und möchte gerne zu seinen Anhängern gehören. Ich habe immer daran geglaubt, dass Brüderlichkeit unter den Menschen die beste Lösung ist für alle unsere nationalen und internationalen Probleme.“
„Ob Sie jemals von Bahá’u’lláh gehört haben, ist nicht entscheidend“, war die Antwort. „Der Mensch, der nach den Lehren Bahá’u’lláhs lebt, ist schon ein Bahá’í. Andererseits kann jemand sich fünfzig Jahre lang Bahá’í nennen; wenn er aber nicht das Leben eines Bahá’í führt, dann ist er kein Bahá’í. Ein hässlicher Mensch mag sich selbst schön nennen, aber er täuscht niemanden, und ein Schwarzer mag sich selbst weiß nennen, doch auch er vermag niemanden zu täuschen, nicht einmal sich selbst.“
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Der künftige Friede
„Durch welche Schritte“, fuhr der Fragende fort, „wird dieser Friede auf Erden errichtet? Wird er plötzlich nach einer weltweiten Verkündung der Wahrheit kommen?“
„Nein, er wird schrittweise erreicht,“ sagte ‘Abdu’lBahá. „Eine Pflanze, die zu schnell wächst, lebt nur kurze Zeit. Ihr seid meine Familie“, und Er sah mit einem Lächeln um sich, „meine neuen Kinder! Wenn eine Familie in Einklang lebt, werden große Ergebnisse erzielt. Zieht einen größeren Kreis: Wenn eine Stadt in inniger Eintracht lebt, werden größere Ergebnisse die Folge sein, und ein völlig geeinter Erdteil wird ebenso alle anderen Erdteile einen. Dann ist die Zeit der größten Ergebnisse gekommen, denn alle Bewohner der Erde gehören zu einem Heimatland.“
Das reine Herz
Als ‘Abdu’l-Bahá gefragt wurde, was unter einem reinen Herzen zu verstehen sei, sagte Er:
„Das ist ein reines Herz, das sich vom Selbst gänzlich getrennt hat. Selbstlos sein bedeutet rein sein.“
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Wahre Geistigkeit
Eines Morgens traf ‘Abdu’l-Bahá mit der Gruppe von Suchern zusammen und begann unvermittelt mit einer Rede: „Gelobt sei Gott! Dieses Jahrhundert ist ein wunderbares Jahrhundert! Möge die Liebe Tag für Tag zunehmen. Möge sie Funken schlagen, um die Kerze im Dunkeln an-
zuzünden – wie ein Geschenk und eine Gnade von Gott. Wisset, o ihr Einsichtigen, dass wahre Geistigkeit wie ein See voll klaren Wassers ist, der das Göttliche widerspiegelt. Die Geistigkeit Christi war von dieser Art. Es gibt noch eine andere Art, die einer Luftspiegelung gleicht und geistig zu sein scheint, es aber nicht ist. Das wahrhaft Geistige muss den Pfad zu Gott erhellen und sich in Taten äußern. Wir können der Aufforderung zur Geistigkeit nicht glauben, wenn keine Ergebnisse vorliegen. Der Geist ist eine Wirklichkeit, und wenn der Geist in jedem von uns sich mit der Erhabenen Wirklichkeit zu vereinen sucht, muss er seinerseits Leben spenden. Zur Zeit Christi waren die Juden tot, ohne wahres Leben, und Jesus blies in Wirklichkeit neuen Odem in ihre Leiber. Schaut, was seither
vollbracht wurde!“
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Wissen muss zu Taten führen
Der Vertreter einer bekannten Vereinigung sprach von deren Zusammenkünften, die das Erforschen des Wesens der Wahrheit zum Ziele hätten. ‘Abdu’l-Bahá sagte:
„Ich kenne Ihre Arbeit. Ich schätze sie sehr. Ich weiß, dass Sie den Menschen dienen und die Menschheit unter dem Banner der Einheit versammeln möchten. Aber Ihre Mitglieder müssen auf der Hut sein, dass sie es nicht bei Worten bewenden lassen. Schauen Sie sich um! Wie viele Komitees wurden schon gebildet, bestanden kurze Zeit und verschwanden wieder! Komitees und Gesellschaften können weder Lebenskraft schaffen noch spenden.
Die Menschen kommen zusammen und reden, aber nur das Wort Gottes erzielt einflussreiche Ergebnisse. Denken Sie kurz nach: Sie würden keinen Handel treiben, wenn Sie davon kein Einkommen hätten und keinen Nutzen! Betrachten Sie die Anhänger Christi. Sie verdankten ihre Kraft ihrem Eifer und ihren Werken. Jede Leistung muss ein Ergebnis einbringen, sonst war sie keine wirkliche Leistung. Sie müssen zum Werkzeug für die Erleuchtung der Menschenwelt werden. Das ist der untrüglich sichtbare Beweis. Jeder Fortschritt hängt von zwei Faktoren ab: von Wissen und Handeln. Erwerben Sie zuerst Wissen, und wenn Sie Gewissheit erlangt haben, setzen Sie es in Taten um.
Einmal kam ein Gelehrter angereist, um mich zu besuchen und meinen Segen zu empfangen. Er sagte, er kenne die Bahá’í-Lehren und habe sie völlig verstanden. Als ich ihm sagte, er könne die Segnungen des Heiligen Geistes jederzeit empfangen, wenn er sich in eine aufnahmebereite
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Haltung versetze, um sie entgegenzunehmen, meinte er, er sei immer aufnahmebereit.
‚Was würden Sie tun’, fragte ich, ‚wenn ich mich plötzlich umdrehen und Sie schlagen würde?’ Er brauste augenblicklich empört auf und lief ärgerlich im Zimmer umher. Nach kurzer Zeit trat ich auf ihn zu, ergriff seinen Arm und sagte: ‚Aber Sie müssen Böses mit Gutem vergelten. Ob von mir geehrt oder verachtet, sollten Sie die Lehren befolgen. Bis jetzt haben Sie sie nur gelesen. Denken Sie an die Worte Jesu, der gesagt hat: ‚Die ersten werden die letzten und die letzten werden die ersten sein!’. Der Mann wandte sich um, schüttelte mir die Hand und ging, und ich habe seither von vielen guten Taten gehört, die er vollbracht hat.“
Wenn ‘Abdu’l-Bahá mit dem Titel Prophet angesprochen wurde, antwortete Er: „Mein Name ist ‘Abdu’l-Bahá, der Diener Gottes (wörtlich der Sklave21 der Herrlichkeit).“
21 Vergleiche aus einem Brief an die Freunde in New York vom 1. Januar 1907: „Mein Name ist ‘Abdu’l-Bahá. Mein Wesen ist ‘Abdu’lBahá, und der Dienst an der Menschheit ist meine immerwährende Religion... ‘Abdu’l-Bahá ist das Banner des Größten Friedens... Der Herold des Reiches Gottes ist er, auf dass er die Menschen in Ost und West wachrüttele. Die Stimme der Freundschaft, der Wahrheit und der Versöhnung ist er, der alle Regionen belebt. Keinen Namen, keinen Titel will er jemals tragen außer ‘Abdu’lBahá. Das ist mein sehnlichster Wunsch. Das ist mein größter Stolz. O ihr Freunde Gottes! ‘Abdu’l-Bahá ist die Verkörperung des Dienens und nicht Christus. Der Diener der Menschheit ist er, nicht ihr Oberhaupt. Ruft die Menschen zur Stufe der Dienstbarkeit ‘Abdu’l-Bahás und nicht ihn in das Amt des Messias.“ (Vgl. Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 203) (Anm. d. Übers.)
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Besuch beim Bürgermeister
Auf ausdrücklichen Wunsch des Bürgermeisters ging ‘Abdu’l-Bahá ihn eines frühen Morgens im Rathaus besuchen. Die Unterredung drehte sich hauptsächlich um die soziale Lage in den großen Städten. ‘Abdu’l-Bahá sagte ihm, dass von allen Städten, in denen Er sich aufgehalten habe, London die beste Ordnung aufweise.
Er sagte: „Jeder Mensch auf der Straße bewegt sich so frei, als ob er in seinem eigenen Königreich lebe. In London gibt es ein starkes geistiges Licht. Der Einsatz für die Gerechtigkeit ist aufrichtig, und in diesem Land gilt für die Armen das gleiche Recht wie für die Reichen.“
Mit großem Interesse hörte Er von der Fürsorge, mit der Gefangene nach ihrer Entlassung betreut werden und meinte, gut sei es um ein Land bestellt, wenn die hohen Beamten für das Volk wie Väter seien.
Ehe ‘Abdu’l-Bahá London verließ, ging Er in ein Krankenhaus im East-end und besuchte einen jungen Schriftsteller, der ernstlich erkrankt war, ‘Abdu’l-Bahá aber sehnlichst sehen wollte.
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Persönliche Charakterzüge
Wir finden bei ‘Abdu’l-Bahá einen Charakterzug, der bisher nicht hervorgehoben wurde und ohne den jedes Bild von Ihm unvollständig bleibt. Die Seine Erscheinung und Haltung auszeichnende eindrucksvolle Würde wird hie und da von einem feinen, taktvollen Humor aufgelockert, der gleichermaßen unbefangen, ansteckend und köstlich ist.
Am letzten Nachmittag Seines Londoner Aufenthalts kam ein Reporter, der Ihn nach Seinen Zukunftsplänen fragen wollte. Er traf Ihn inmitten einer Schar von Freunden an, die zum Abschiednehmen gekommen waren. Als ‘Abdu’l-Bahá in perfektem Englisch auf seine Fragen mitteilte, Er habe vor, Paris zu besuchen und von dort nach Alexandria weiterzureisen, bekundete der Reporter sein Erstaunen über ‘Abdu’l-Bahás fehlerfreie Aussprache. Da fing ‘Abdu’l-Bahá an, im von Blumenduft erfüllten Empfangszimmer mit großen Schritten auf und ab zu schreiten, wobei Sein orientalisches Gewand in eigenartigem Kontrast zu Seiner modernen Umgebung stand, und rezitierte zur Erheiterung der ganzen Gesellschaft eine Reihe komplizierter englischer Ausdrücke. „Sehr schwierige englische Wörter spreche ich da!“ endete Er lachend. Im nächsten Augenblick war Er wieder ganz ernst und zeigte, dass Er den behutsamen Übergang von der Ernsthaftigkeit zur Fröhlichkeit und umgekehrt vorzüglich beherrschte.
Er hatte Vorkehrungen getroffen, damit niemand abgewiesen werde. Und doch hatte ein Mann zweimal erfolglos versucht, in Seine Gegenwart zu gelangen. Er war durch
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irgendwelche Versehen daran gehindert worden und hatte daraufhin einen herzzerreißenden Brief geschrieben, der ausdrückte, dass er sich zurückgewiesen fühle und den der persische Dolmetscher nun übersetzte. ‘Abdu’l-Bahá warf sogleich Seinen Umhang über und sagte, zur Tür gewandt, mit unbeschreiblicher Traurigkeit: „Einer meiner Freunde wurde gepeinigt und ich bin tief betrübt. Ich gehe alleine aus“, und stürmte die Treppe hinunter. Hier konnte man erkennen, wie gut der Titel „Meister“ zu Ihm passte.
Ein anderer Seiner Charakterzüge, den niemand vergessen konnte, der Ihn je sah, war Sein Umgang mit Kindern, die man zu Ihm brachte. Er hielt viele Seiner Ansprachen, während Er seinen Arm um eines der Kinder gelegt hatte. Ständig ermahnte Er die Eltern: „Lassen Sie dieses Kind eine gute Erziehung genießen. Bemühen Sie sich bis zum Äußersten, ihm das Beste zuteil werden zu lassen, das Sie sich leisten können, damit es sich der Vorteile dieses ruhmreichen Zeitalters erfreuen kann. Tun Sie alles Ihnen Mögliche, um die ihm innewohnende Geistigkeit zu fördern.“
Ein junger Mann, der die Gegenwart ‘Abdu’l-Bahás aufsuchte, spürte das Ihm eigene väterliche Mitgefühl. Als er die Liebe zu ‘Abdu’l-Bahá, die er und alle hegten, zur Sprache brachte, war die Antwort: „Ich weiß, dass Du mich liebst, ich sehe es Dir an. Ich werde für Dich beten, damit Du standhaft bleiben, der Sache dienen und ein wahrer Diener Bahá’u’lláhs werden mögest. Obwohl ich abreise, werde ich immer bei euch allen sein.“ Er sprach diese Worte mit tiefem, liebevollem Mitgefühl und Verständnis für Schwierigkeiten. Während der kurzen Augenblicke dieses kleinen Gesprächs hielt ‘Abdu’l-Bahá die Hände
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Seines Gesprächspartners und streichelte sie, und am Ende nahm Er dessen Kopf, drehte ihn mit sanfter Gebärde zu sich und küsste den jungen Mann, der spürte, dass er einen Vater und Freund gefunden hatte, auf die Stirn.
Der Abschied
An ‘Abdu’l-Bahás letztem Morgen in London versammelten sich viele Freunde in Cadogan Gardens und am Bahnhof, um Ihm Lebewohl zu sagen. Noch im Haus führte ein Zoroastrier (ein Arzt) eine eindrucksvolle, interessante Zeremonie durch. Er sandte ein sorgsam formuliertes Telegramm an einige Parsi in Bombay, das lautete: „Die Fackel der Wahrheit wurde von ‘Abdu’l-Bahá erneut im Osten wie im Westen entzündet.“ Im Auftrag seiner Brüder hatte dieser Anhänger einer der ältesten Religionen der Welt das geweihte Öl aus einem seltenen Duftstoff mitgebracht. Damit salbte er ‘Abdu’l-Bahá Stirn und Brust und strich sodann den Anwesenden über die Hände. Danach legte er ‘Abdu’l-Bahá einen erlesenen Kranz aus Rosenknospen und Lilien um Hals und Schultern.
Ein letztes kurzes Mal noch sahen die Freunde auf dem Victoria-Bahnhof das Antlitz jener ehrwürdigen Gestalt am Abteilfenster, die mit gütigem Blick voll wunderbarer Zärtlichkeit auf all jene schaute, die sie nun verließ, ehe sie langsam ihrem Blick entschwand.
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Auszüge aus einem Interview ‘Abdu’l-Bahás
das Er dem „Weekly Budget“ am 23. September 1911 gab
Erlebnisse aus vierzig Jahren Gefangenschaft
In einer Wohnung in Cadogan Gardens sitzt uns ein geistig erleuchteter Orientale gegenüber, dessen kürzliches Eintreffen in London als die jüngste Verbindung von Ost und West zu bewerten ist.
Die Lehre ‘Abdu’l-Bahás hat bereits tausende Engländer und Engländerinnen mit Orientalen aus allen Teilen des Ostens zusammengeführt. Ohne Rücksicht auf Glaube oder Herkunft, nein, vielmehr durch Grundsätze wie gegenseitige Hilfeleistung, Freundschaft und die Verehrung Gottes taten sie sich mit einer Ernsthaftigkeit und brüderlichen Liebe zusammen, die in denkbarem Gegensatz zu den Theorien gewisser zynischer Poeten und Philosophen steht.
‘Abdu’l-Bahá verbrachte den größten Teil seines Lebens im Osten in Haft, die er frohen Mutes erduldete, statt seinem Glauben abzuschwören. Ein Grundsatz dieses Glaubens ist, dass die Seelen absolut gleichwertig sind und körperliche Verschiedenheiten wie Geschlecht oder Farbe nicht zählen. Er lehnt jede Art von Klasseneinstufungen ab außer der nach Dienstbarkeit und geisterfüllter brüderlicher Liebe. Aufgrund dessen und ähnlicher Lehren wurde er vierzig Jahre lang in der Gefängnisstadt ‘Akká in Palästina gefangen gehalten. Als ich darum bat, mit ihm sprechen zu dürfen, sagte man mir, ich solle früh am Morgen kommen. Also war ich um neun Uhr hier für ein Interview. Für ‘Abdu’l-Bahá war es bereits die Tagesmitte, denn er steht um vier Uhr auf. Er hatte vor seinem Frühstück um halb sieben bereits achtzehn Besucher empfangen.
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Im Wohnzimmer warteten Vertreter vieler Sprachen und Nationalitäten auf ihn.
Wir saßen im Kreis mit Blick auf ‘Abdu’l-Bahá. Er erkundigte sich, ob wir ihm Fragen stellen möchten. Ich sagte, mein Herausgeber habe mich geschickt, um etwas über sein Leben als Gefangener zu erfahren. Auf einfache, sachliche Art erzählte ‘Abdu’l-Bahá daraufhin eine der bemerkenswertesten Geschichten, die man sich vorstellen kann.
„Im Alter von neun Jahren begleitete ich meinen Vater, Bahá’u’lláh, auf Seiner Reise ins Exil nach Baghdád, zusammen mit siebzig weiteren Gläubigen. Nach ständiger Verfolgung hatte dieses Verbannungsurteil zum Ziel, in Persien das völlig auszumerzen, was die Regierung für eine höchst gefährliche Religion hielt. Bahá’u’lláh wurde mit Familie und Gefolge verbannt und von Ort zu Ort geschickt. Als ich etwa fünfundzwanzig Jahre alt war, verlegte man uns von Konstantinopel nach Adrianopel und von dort verbrachten sie uns unter militärischer Bewachung in die Festungsstadt ‘Akká, wo wir eingekerkert und streng bewacht wurden.“

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Der erste Sommer
„Wir hatten keinerlei Kontakt mit der Außenwelt. Jeder Brotlaib wurde von den Wachen durchgeschnitten, um sicherzustellen, dass keine Nachricht darin steckte. Alle Männer, Frauen und Kinder, die an die Bahá’í-Offenbarung glaubten, wurden mit uns eingekerkert. Wir waren insgesamt einhundertfünfzig Personen in zwei Räumen und niemand durfte diesen Ort verlassen, mit Ausnahme von vieren, die jeden Morgen unter Bewachung zum Bazar einkaufen gingen. Der erste Sommer war schrecklich. ‘Akká ist eine fieberverseuchte Stadt. Man erzählte, dass ein Vogel, der es zu überfliegen versuche, tot herunterfallen würde. Das Essen war erbärmlich und unzureichend, das Wasser kam von einer fieberverseuchten Quelle. Klima und Lebensbedingungen waren so, dass sogar die Einwohner der Stadt erkrankten. Viele Soldaten brachen zusammen und von zehn unserer Wärter starben acht. Während der größten Hitze befiel die Gefangenen Malaria, Typhus und Ruhr, so dass alle, Männer, Frauen und Kinder, gleichzeitig krank waren. Es gab keine Ärzte, keine Arznei, kein geeignetes Essen und keinerlei Behandlung.
Ich kochte immer für alle Suppe, und weil ich viel Übung gewonnen habe, koche ich gut Suppe!“ sagte ‘Abdu’l-Bahá lachend.
Bei dieser Gelegenheit erklärte mir einer der Perser, dass ‘Abdu’l-Bahá wegen seiner wunderbaren Geduld, Hilfsbereitschaft und Ausdauer stets „der Meister“ genannt wurde. Seine vollkommene Meisterschaft konnte man leicht an seiner völligen Loslösung von Zeit und Raum und sogar von dem, was ein türkisches Gefängnis einem antun konnte, ablesen.
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Verbesserte Bedingungen
„Nach zwei Jahren strengster Haft erhielt ich die Erlaubnis, ein Haus zu suchen, so dass wir außerhalb der Gefängnismauern, aber noch innerhalb der Festungswälle wohnen konnten. Viele Gläubige kamen aus Persien, um uns nahe zu sein, aber sie durften es nicht. So vergingen neun Jahre. Mal ging es uns besser, mal schlechter. War der Gouverneur, von dem alles abhing, gerade ein freundlicher, milder Herrscher, gewährte er uns die Erlaubnis zum Verlassen der Festung und den Gläubigen freien Zugang für Besuche in unserem Haus. War der Gouverneur jedoch strenger, wurden wir von Wachen umstellt und die von weit her angereisten Pilger meistens abgewiesen.“
Später erfuhr ich von einem Perser, der in jener Zeit zum Haushalt ‘Abdu’l-Bahás gehörte, die türkische Regierung hätte die Tatsache, dass die englischen und amerikanischen Besucher rein geistige und keine politischen Interessen hatten, einfach nicht glauben können. Diesen Pilgern wurde oft die Erlaubnis verweigert, ihn zu besuchen, und häufig wurde die ganze Reise von Amerika dorthin nur mit einem Blick auf ‘Abdu’l-Bahá an seinem Gefängnisfenster belohnt.
Der Gouverneur glaubte, das Grabmal des Báb, ein beeindruckendes Bauwerk auf dem Berg Karmel, sei eine mit amerikanischen Hilfsgeldern errichtete Festung, die insgeheim mit Waffen und Soldaten bestückt werde. Mit jedem neuen Besucher wuchs dieser Verdacht und hatte weitere Spione und Wachen zur Folge.
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‘Abdu’l-Hamíds Kommission
„Ein Jahr ehe er seinen Thron verlor, sandte ‘Abdu’lHamíd eine äußerst hochmütige, hinterhältige, anmaßende Untersuchungskommission. ‘Arif Bey, der Leiter der Kommission, gehörte dem Führungsstab des Gouverneurs an, die anderen drei waren Armeebefehlshaber verschiedener Dienstgrade.
Gleich nach seiner Ankunft begann ‘Arif Bey, mich öffentlich zu denunzieren und bemühte sich um genügend handfeste Beweise als Rechtfertigung dafür, mich nach Fizán zu verbannen oder ins Meer zu werfen. Fizán ist ein Halteplatz für Karawanen am Rande von Tripolis, wo es keine Häuser und kein Wasser gibt. Die Reise dorthin mit dem Kamel dauert von ‘Akká aus einen Monat.
Zweimal befahl mich die Kommission zu sich und wollte hören, was ich zu meiner Verteidigung zu sagen hätte, und zweimal sandte ich die Botschaft zurück: ‚Ich kenne Ihre Absicht, ich habe nichts zu sagen.‘
‘Arif Bey war darüber sehr erbost und erklärte, er werde nach Konstantinopel zurückkehren und von dort den Befehl des Sultans mitbringen, wonach ich am Stadttor von ‘Akká erhängt werden sollte. Er und seine Kommission schifften sich ein. Ihr Bericht enthielt die folgenden Anschuldigungen: ‘Abdu’l-Bahá gründet eine neue Nation mit ihm selbst als König; ‘Abdu’l-Bahá hisst das Banner einer neuen Religion; ‘Abdu’l-Bahá hat in Haifa und einem Nachbarort Festungsanlagen gebaut oder deren Bau veranlasst und kauft das ganze umliegende Gelände auf.
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Etwa zur selben Zeit lief auf Anordnung des italienischen Konsuls ein italienisches Schiff im Hafen ein. Man hatte geplant, dass ich damit nachts fliehen sollte. Die Bahá’í in ‘Akká beschworen mich, zu gehen, aber ich schickte dem Kapitän folgende Botschaft: ‚Der Báb ist nicht geflohen, Bahá’u’lláh ist nicht geflohen, ich werde nicht fliehen.‘ Also lief das Schiff nach drei Tagen und drei Nächten des Wartens wieder aus.
Die Untersuchungskommission des Sultans befand sich noch auf der Heimreise, als bereits die erste Granate in ‘Abdu’l-Hamíds Lager einschlug und das erste Freiheitsgeschütz seine Salven in den Wohnsitz des Despoten feuerte. „Das war die Kanone Gottes“, sagte ‘Abdu’l-Bahá – wie so manchmal mit einem geheimnisvollen Lächeln.
„Als die Kommission in der türkischen Hauptstadt ankam, musste sie sich mit dringenderen Problemen befassen. In der Stadt herrschten Aufruhr und Rebellion. Da sie aus Regierungsmitgliedern bestand, wurde die Kommission beauftragt, die Revolte zu untersuchen. Währenddessen errichtete das Volk eine konstitutionelle Regierung und ‘Abdu’l-Hamíd verlor jede Möglichkeit, tätig zu werden.“
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Die Befreiung
„Mit dem Beginn der Jungtürkischen Herrschaft, die vom Komitee für Einheit und Fortschritt getragen wurde, kamen alle politischen Gefangenen des Osmanischen Reiches frei. Der Lauf der Ereignisse nahm meinem Nacken die Ketten ab und legte sie um den von Hamíd. ‘Abdu’l-Bahá kam aus dem Gefängnis heraus und ‘Abdu’l-Hamíd ging hinein!“
Jemand fragte: „Was wurde aus der Kommission?“ und brach damit das tiefe Schweigen nach der Schilderung dieser packenden Chronik. „‘Arif Bey“, fuhr ‘Abdu’l-Bahá fort, „wurde mit drei Kugeln erschossen, der General verbannt, der Rangnächste starb und der Dritte floh nach Kairo, wo er bei den Bahá’í um Hilfe bat und sie bekam.“
„Würden Sie uns schildern, wie Sie sich in Ihrer Gefängniszeit fühlten und wie Sie nun Ihre Freiheit empfinden?“ fragte ich. „Wir sind froh, dass Sie jetzt frei sind.“
„Danke“, sagte er auf liebenswürdige Weise und fuhr fort:
„Freiheit ist nicht eine Frage des Ortes, sondern des Zustandes. Ich war dankbar für diese Gefangenschaft und mit dem Mangel an Freiheit ganz zufrieden, denn ich konnte jene Zeit auf dem Pfade des Dienens verbringen – unter größten Schwierigkeiten und Prüfungen, die aber Früchte und Ergebnisse zeitigten.
Solange man harte Schicksalsschläge nicht annimmt, erreicht man nichts. Für mich bedeutet das Gefängnis Freiheit, Probleme sind eine Erholung, Tod ist Leben und verachtet zu werden ist eine Ehre. Ich war diese ganzen
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Jahre im Gefängnis glücklich. Aus dem Gefängnis des Selbstes befreit zu sein, das ist wahre Freiheit, denn das Selbst ist das größere Gefängnis. Wenn diese Befreiung gelingt, kann man, von außen betrachtet, nicht gefangen sein. Sollten sie meine Füße in den Stock legen, würde ich zum Wächter sagen: Ihr könnt mich nicht einkerkern, weil ich hier immerhin Licht und Luft und Brot und Wasser habe. Die Zeit wird kommen, wenn mein Körper in der Erde ruhen und ich weder Licht noch Luft noch Nahrung noch Wasser haben werde. Aber selbst dann werde ich nicht eingesperrt sein! Das Elend, das die Menschheit manchmal heimsucht, führt dazu, dass sich Denken und Fühlen ganz um die Eingrenzungen drehen und das ist ein wirkliches Gefangensein. Frei wird, wer den Willen zu einem Tor macht, das die Bestätigungen des Geistes in Erscheinung treten lässt.“
Diese Darstellung hörte sich an wie die Theologie von einst, so dass das Moderne in mir zu zweifeln begann, ob eine bestimmte Fähigkeit durch angestrengtes Bemühen kompensierbar ist. „Was verstehen Sie unter den Bestätigungen des Geistes?“
„Die Bestätigungen des Geistes sind all jene Kräfte und Begabungen, die manchen angeboren sind (und die manchmal ,genial‘ genannt werden), um die aber andere sich ungeheuer mühen müssen. Sie fallen jenen zu, Mann oder Frau, die ihr Leben mit strahlender Ergebenheit annehmen.“
Strahlende Ergebenheit – das also war die Fähigkeit, die uns alle plötzlich zu inspirieren schien, während ‘Abdu’l-Bahá sich von uns verabschiedete.
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Es war eine bemerkenswerte Erfahrung, von jemandem, der vierzig Jahre lang Gefangenschaft auf sich genommen hatte, zu hören: „Es gibt kein Gefängnis außer dem Gefängnis des Selbstes“, und man wurde sich dessen im Innern bewusst, als dieser weiß gekleidete Bote aus dem Osten deutlich den Weg zeigte: – nicht auf dem „Entsagung“ genannten Pfad, sondern durch „Losgelöstsein“. Strahlende Ergebenheit – das ist der sich deutlich abzeichnende Weg aus dem „größeren Gefängnis des Selbstes“, wie ‘Abdu’l-Bahá so treffend jene Barrieren nennt, die uns an unserer geistigen Erfüllung hindern.
Isabel Fraser
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Ein liebevoller Abschiedsgruß
Nachdem ‘Abdu’l-Bahá London verlassen hatte, sandte Er während Seines zweimonatigen Aufenthaltes in Paris immer wieder Grußbotschaften an Seine Freunde in England. Einige waren herübergekommen, um von den dortigen Zusammenkünften zu profitieren. Am Vorabend Seiner Abreise nach Alexandria hielt Er für die Freunde aus England und Frankreich folgende ermahnende Abschiedsrede:
„Arbeitet für das Zeitalter des Weltfriedens. Strebt ständig nach Einigkeit. Auf dem Pfade des Dienens müssen Wohlwollen und Liebe eure Werkzeuge sein.
Ich verabschiede mich voll Liebe von den Menschen in Frankreich und England. Ich habe Gefallen an ihnen gefunden. Ich rate ihnen, tagtäglich das Band aus Liebe und Freundschaft zu festigen mit dem Ziel, eines Sinnes und wie eine einzige Nation zu werden, sich zu einer Weltbruderschaft auszuweiten, die Interessen und Rechte aller Völker des Ostens zu hüten und zu beschützen, das göttliche Gerechtigkeitsbanner zu entfalten, mit jeder Nation so umzugehen, als sei sie eine Familie aus einzelnen Kindern Gottes, und zu erkennen, dass alle gleich sind, denn wir alle sind Kinder eines Vaters. Gott lebt mit allen Seinen Kindern in Frieden. Warum sollten sie unter einander streiten und Kriege führen? Gott überschüttet uns mit Wohlwollen. Warum sollten die Bewohner dieser Erde zu einander unfreundlich und grausam sein?
Des Ewigen Licht möge euch erleuchten. Darum werde ich für euch beten.“
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Grüße ‘Abdu’l-Bahás von Paris nach London.
Oktober 1911 Mrs. Enthoven mündlich aufgetragen für alle Freunde und nun aus der Erinnerung aufgeschrieben.
‘Abdu’l-Bahá schickte allen Grüße und bat alle, ihren Glauben weiterhin zu festigen und mutig zu verkünden.
Er sprach oft von der Wonne, die Ihm die Stimmung in England bereitete. Er meinte, das englische Volk habe eine Entschlusskraft und eine Standhaftigkeit, die Ihm gefalle und die Er bewundere. Es war ehrlich und aufrichtig. Beim Inangriffnehmen einer neuen Sache wären sie langsam, aber wenn sie damit begännen, dann, weil ihr Denken und ihr gesunder Menschenverstand ihnen sage, dass es sich um eine vernünftige Sache handele.
Die Engländer haben Ihm als Volk gut gefallen.
Die Gläubigen, fügte Er hinzu, müssen ihren Glauben im täglichen Leben erkennbar machen, so dass die Welt das aus ihren Gesichtern leuchtende Licht sehen kann.
„Ein strahlendes, glückliches Antlitz erfreut die Menschen, denen wir begegnen. Wenn ihr traurig seid und an einem lachenden Kind vorbeigeht, hört das Kind beim Anblick eures traurigen Gesichtes auf zu lachen, ohne zu wissen warum. An einem trüben Tag wird der dünnste Sonnenstrahl gepriesen. Also sollten die Gläubigen lächelnde,
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glückliche Gesichter wie Sonnenschein im Finstern haben. Möge das Licht der Wahrheit und Aufrichtigkeit aus ihnen leuchten, damit alle, die sie sehen, erkennen, dass ihr Wort, sei es in der Arbeit oder beim Vergnügen, ein Wort ist, auf das man vertrauen und sich verlassen kann.
Vergesst euer Selbst und wirkt für die ganze Menschheit. Denkt immer daran, dass ihr für die ganze Welt arbeitet, nicht für eine Stadt oder selbst für ein Land, denn wo wir alle Brüder sind, ist auch jedes Land eines jeden Heimatland.
Vor allem aber denkt daran, was Bahá’u’lláh über Klatsch und üble Nachrede lehrt. Geschichten, die über andere weitererzählt werden, sind selten gut. Eine schweigsame Zunge birgt die geringste Gefahr. Sogar das Gute kann schaden, wenn es zur falschen Zeit oder zur falschen Person gesagt wird.“
Zum Schluss ließ ‘Abdu’l-Bahá allen Seine Grüße und Segenswünsche übermitteln und versicherte mir, dass Er ständig an Sie alle denkt und für Sie betet.
Einem Fragesteller gegenüber bemerkte Er:
„Der Anfang jeder großen Religion war rein. Aber die Priester bemächtigten sich der Gemüter der Menschen und füllten sie mit Dogmen und Aberglauben, so dass die Religion allmählich verfälscht wurde. Ich komme nicht, um eine neue Religion zu lehren. Mein einziger Wunsch ist, mit Gottes Hilfe und Gnade den Weg zum Großen Licht zu weisen.“
Wie ein liebevoller Vater bei seinem Sohn klopfte Er dem Herrn auf die Schulter und fuhr fort: „Ich bin kein Prophet, ich bin nur ein Mensch wie Sie!“
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Botschaft ‘Abdu’l-Bahás an die Bahá’í in London zum Tag des Bundes
26. November 1911 Mrs. Enthoven extra übergeben
Frohe Kunde! Frohe Kunde!?Weit offen steht des Gottesreiches Tor!
Frohe Kunde! Frohe Kunde!?Engelheere schweben aus dem Himmel im Chor!
Frohe Kunde! Frohe Kunde!?Die Sonne der Wahrheit steigt hoch empor!
Frohe Kunde! Frohe Kunde!?Himmlisches Manna strömt herab und hervor!
Frohe Kunde! Frohe Kunde!?Die Posaune ertönt mit hellem Schall!
Frohe Kunde! Frohe Kunde!?Das Großer-Friede-Banner weht überall!
Frohe Kunde! Frohe Kunde!?Das Licht in der Lampe der Einheit strahlt hell! Frohe Kunde! Frohe Kunde!
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Das Feuer der Liebe des Herrn lodert schnell!
Frohe Kunde! Frohe Kunde!?Der Heilige Geist wird die Fülle geben!
Frohe Kunde! Frohe Kunde!?Denn hier ist ewiges, ewiges Leben!
O ihr Schläfer, wacht auf!?O ihr Achtlosen, werdet weise! O Blinder, werde sehend!?O Tauber, höre!?O Stummer, sprich!?O Toter, steh’ auf!
Seid glücklich!?Seid glücklich!?Seid der Freude voll!
Heute ist der Tag der Verkündigung des Báb!?Es ist das Fest des Vorläufers der Gesegneten Schönheit (Bahá’u’lláh).?Es ist der Tag des Heraufdämmerns des Morgens der Führung.
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Zweiter Besuch ‘Abdu’l-Bahás in Großbritannien vom 13. Dezember 1912 bis zum 21. Januar 1913
Über das Gebet
Frage: Sollte Gebet die Form praktischen Handelns annehmen?
Antwort: Ja. In der Bahá’í-Religion werden Künste, Wissenschaften und Handwerk als Gottesdienst angesehen. Jemand, der ein Blatt Papier herstellt, gewissenhaft und so gut er kann, der all seine Kräfte auf die Vervollkommnung dieses Papiers verwendet, der preist damit Gott. Kurz, jede Mühe und Anstrengung, die der Mensch mit der ganzen Kraft seines Herzens unternimmt, ist Gottesdienst, sofern es die hehrsten Motive sind und der Wunsch, der Menschheit zu dienen, die ihn antreiben. Gott zu dienen heißt: der Menschheit dienen und sich der Nöte der Menschen annehmen. Dienen ist Gebet. Ein Arzt, der sich voll Sanftmut und Mitgefühl, vorurteilslos und im Glauben an die Zusammengehörigkeit aller Menschen der Kranken annimmt, preist damit Gott.
Frage: Was ist der Sinn unseres Daseins?
Antwort: Vollkommenheiten zu erwerben. Wir stammen aus der Erde. Warum sind wir vom Mineralreich ins Pflanzenreich übergegangen und vom Pflanzenreich ins Tierreich? Damit wir in jedem dieser Reiche Vollkommenheit erreichen, damit wir uns die besten Eigenschaften der Mineral-
97 Cadogan Gardens, London, 26. Dezember 1912
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stoffe aneignen, damit wir die Kraft des Wachstums, wie sie die Natur der Pflanze ausmacht, zu unserer Natur machen, damit wir uns mit den Instinkten der Tierwelt schmücken und über die Kräfte des Sehens, Hörens, Riechens, Tastens und Schmeckens verfügen – bis wir uns aus dem Tierreich ins Menschenreich erheben, wo uns Verstand, Erfindungskraft und die Kräfte des Geistes geschenkt sind.
Über das Böse
Frage: Was ist das Böse?
Antwort: Das Böse ist die Unvollkommenheit. Sünde ist der Zustand des Menschen in der Welt der niederen Natur, denn in der Natur gibt es Makel wie Ungerechtigkeit, Gewaltherrschaft, Hass, Feindseligkeit und Streit – solches sind die Merkmale der niederen Natur. Dieses sind die Sünden der Welt, die Früchte des Baumes, von dem Adam kostete. Durch Erziehung müssen wir uns von diesen Unvollkommenheiten befreien. Die Propheten Gottes wurden hernieder gesandt und die Heiligen Bücher geschrieben, damit der Mensch befreit werde. So wie der Mensch aus dem Schoße seiner irdischen Mutter in diese Welt der Unvollkommenheit geboren wurde, wird er durch göttliche Erziehung in die geistige Welt hineingeboren. Wird ein Mensch in die Welt der äußeren Erscheinungen geboren, entdeckt er das Universum, wird er aber aus dieser Welt in die geistige Welt geboren, entdeckt er das Himmelreich.
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Der Fortschritt der Seele
Frage: Schreitet die Seele in dieser Welt eher durch Leid oder durch Freude fort?
Antwort: Seele und Geist des Menschen schreiten fort, wenn er von Leid heimgesucht wird. Je tiefer der Boden gepflügt wird, desto besser wird der Same sprießen und umso reicher die Ernte ausfallen. So wie der Pflug eine tiefe Furche zieht und die Erde von Unkraut und Disteln säubert, so reinigen Leid und Trübsal den Menschen von den Belanglosigkeiten dieses irdischen Lebens, bis er den Zustand völliger Loslösung erreicht. Sein Lebensgefühl hinieden wird dann von göttlicher Glückseligkeit geprägt sein. Man könnte sagen, der Mensch ist unreif; die Hitze des Leidensfeuers wird ihn reifen lassen. Blickt zurück in die Vergangenheit, und ihr werdet sehen, dass die größten Menschen am meisten gelitten haben.
Frage: Sollte demnach jemand, der durch Leiderfahrung eine höhere Entwicklungsstufe erreicht hat, Freude fürchten?
Antwort: Im Leid wird er zu ewiger Freude gelangen, und nichts wird ihm diese Freude nehmen können. Die Apostel Christi haben gelitten; sie haben ewige Freude gewonnen.
Frage: Also ist es unmöglich, ohne Leiderfahrung Glückseligkeit zu erlangen?
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Antwort: Nur durch Leiderfahrung gewinnt man ewige Glückseligkeit. Wer die Ebene der Selbstaufopferung erreicht hat, ist im Besitze wahrer Freude. Weltliche Freude vergeht.
Frage: Ist die Seele eines Verstorbenen imstande, zu einem noch hier Lebenden zu sprechen?
Antwort: Ein solches Gespräch ist möglich, aber es ist nicht von der Art unserer Gespräche. Zweifellos beeinflussen die Kräfte der höheren Welten die Kräfte unserer Ebene. Des Menschen Herz ist ein offener Kanal für Inspiration; dies versteht man unter geistiger Kommunikation. So wie man sich im Traum mit einem Freund unterhält, obwohl der Mund nicht spricht, so verhält es sich mit einem geistigen Gespräch. Jemand kann sich an sein eigenes Selbst wenden und es fragen: „Soll ich dies tun? Ist es ratsam für mich, dieses Vorhaben zu beginnen?“ Solcher Art ist das Gespräch mit dem höheren Selbst.
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Die vier Arten der Liebe
Was für eine Macht ist doch die Liebe! Sie ist die wunderbarste, die größte aller Lebenskräfte.
Die Liebe gibt dem Leblosen das Leben; sie entzündet eine Flamme in erkalteten Herzen. Die Liebe gibt dem Hoffnungslosen Hoffnung und macht leidgeprüfte Herzen froh.
In der Welt des Seins gibt es wahrlich keine größere Macht als die der Liebe. Wenn des Menschen Herz im Feuer der Liebe erglüht, ist er bereit, alles zu opfern, sogar sein Leben. Im Evangelium wird gesagt, dass Gott die Liebe ist.
Es gibt vier Arten der Liebe. Die erste ist die Liebe, die von Gott zum Menschen strömt. Sie besteht in Seinen unerschöpflichen Gunstbeweisen, in der göttlichen Ausstrahlung und in himmlischer Erleuchtung. Durch diese Liebe erhält die Welt des Seins Leben. Durch sie empfängt der Mensch die Gabe des körperlichen Seins, bis er durch den Odem des Heiligen Geistes – dieselbe Liebe – ewiges Leben erlangt und das Ebenbild des lebendigen Gottes wird. Diese Liebe ist der Ursprung aller Liebe in der Welt der Schöpfung.
Die zweite Art der Liebe strömt vom Menschen zu Gott. Dies ist Glaube, Hingezogensein zum Göttlichen, Entflammtsein, Fortschritt, Eintritt in das Reich Gottes. So empfängt man Gottes Güte und die Erleuchtung vom
97 Cadogan Gardens, London, 4. Januar 1913
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Lichte des Königreichs. Diese Liebe ist der Urgrund aller Liebe zur Menschheit. Sie lässt die Sonnenstrahlen der Wahrheit in den Herzen der Menschen aufleuchten.
Die dritte Art ist die Liebe Gottes zu Gott oder zur Einzigkeit Gottes. Das ist das Übergehen Seiner Schönheit in die Schöpfung, das Widerstrahlen Seiner Selbst im Spiegel aller Kreatur. Das ist die Wirklichkeit der Liebe, die ursprüngliche, die ewige Liebe. Auf einem Strahl dieser Liebe gründet sich jede andere.
Die vierte Art ist die Liebe von Mensch zu Mensch. Die Liebe, die zwischen den Herzen der Gläubigen besteht, geht aus dem Ideal der geistigen Einheit hervor. Diese Liebe wird durch das Wissen um Gott erreicht, so dass man erkennt, wie die göttliche Liebe im Herzen aufleuchtet. Jeder sieht in der Seele des anderen einen Spiegel der Schönheit Gottes. Und hat er diesen Grad der Ähnlichkeit entdeckt, fühlt er sich in Liebe zum anderen hingezogen. Diese Liebe wird alle Menschen zu Wogen eines Meeres, zu Sternen eines Firmamentes und zu Früchten eines Baumes machen. Diese Liebe wird wahre Übereinstimmung ermöglichen und den Grundstein zu echter Einigkeit legen.
Aber die Anziehung, die zuweilen Freunde verbindet, ist keine (echte) Liebe, da sie zur Vergänglichkeit verurteilt ist. Sie ist nur ein Strohfeuer. In einem leichten Wind geben die dünneren Bäume nach. Der Ostwind beugt den Baum nach Westen, und dreht der Wind nach Westen, neigt sich der Baum nach Osten. Diese Art der Liebe gründet sich auf zufällige Gegebenheiten des Lebens. Das ist keine Liebe, sondern lediglich eine Vertrautheit, die dem Wechsel unterworfen ist.
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Heute kann man zwei Seelen in scheinbar enger Freundschaft sehen, morgen kann sich dies alles geändert haben. Gestern noch waren sie bereit, füreinander zu sterben, heute meidet einer die Gesellschaft des andern. Das ist keine Liebe, das ist Hingabe des Herzens an die Zufälle des Lebens. Wenn das Moment, welches diese „Liebe“ hervorgerufen hat, verschwindet, dann geht auch die Liebe; sie kann also nicht echt sein.
Die Liebe zeigt sich nur in den vier Erscheinungsformen, die ich soeben erklärt habe:?a) die Liebe Gottes gegenüber der Identität Gottes – Christus hat gesagt: »Gott ist die Liebe.«?b) die Liebe Gottes zu Seinen Kindern –?zu Seinen Dienern,?c) die Liebe des Menschen zu Gott sowie?d) die Liebe der Menschen untereinander.?Diese vier Arten haben ihren Ursprung in Gott.?Sie sind die Sonnenstrahlen der Wahrheit,?der Odem des Heiligen Geistes,?die Zeichen der Wirklichkeit.
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Der Segen der Meditation
Ansprache ‘Abdu’l-Bahás im Versammlungssaal der Freunde, St. Martin’s Lane, London W.C., 12. Januar 1913
Vor etwa tausend Jahren wurde in Persien eine Gemeinschaft gegründet, welche sich „Gesellschaft der Freunde“ nannte. Die „Freunde“ trafen sich zu stiller Begegnung mit dem Allmächtigen.
Sie gliederten die göttliche Philosophie in zwei Arten: Wissen der ersten Art kann durch Unterricht und Studium an Schulen und Universitäten erworben werden. Die zweite Art der Philosophie war die der Illuminaten oder Anhänger des inneren Lichts. Die Lehrstunden für diese Philosophie wurden in aller Stille abgehalten. Man meditierte und wandte das Angesicht der Quelle des Lichts zu; so strahlten von diesem Mittelpunkt des Lichts her die Geheimnisse des Reiches Gottes in den Herzen dieser Menschen wider. Alle theologischen Probleme wurden durch die Kraft der Erleuchtung erhellt.
Die „Gesellschaft der Freunde“ wuchs stark in Persien, und bis zum heutigen Tage bestehen ihre Versammlungen. Ihre Führer schrieben viele Bücher und Episteln. Wenn sie sich in ihrem Versammlungshaus treffen, sitzen sie still in sich versunken da. Der Leiter beginnt mit einem bestimmten Vorschlag und sagt zu den Versammelten: „Denkt über diese Frage nach!“ Nachdem sie ihren Geist von allem anderen losgelöst haben, sitzen sie da, denken nach – und nach kurzer Zeit liegt die Antwort klar vor
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ihnen. Viele verworrene religiöse Fragen sind durch diese Erleuchtung gelöst worden.
Hier einige der großen Fragen, welche sich von den Sonnenstrahlen der Wahrheit auf das menschliche Gemüt ergießen: die Frage nach der Wirklichkeit der menschlichen Seele, nach dem Ursprung der Seele und ihrer Geburt aus dieser Welt in die Welt Gottes, die Frage nach dem Eigenleben der Seele und ihrem Schicksal nach ihrer Trennung vom Körper.
Ebenso denken sie über wissenschaftliche Tagesfragen nach und lösen diese auf gleiche Weise.
Diese Menschen, welche sich „Anhänger des inneren Lichtes“ nennen, erreichen ein Höchstmaß an Macht und befreien sich völlig von blinden Dogmen und Nachahmungen. Ihre Mitmenschen verlassen sich auf ihre Erklärungen: Durch sich selbst und in sich ergründen sie alle Geheimnisse.
Wenn sie mit Hilfe des inneren Lichtes eine Lösung finden, nehmen sie diese an, und erklären sie dann; andernfalls liefe es ihrer Überzeugung nach auf blinde Nachahmung hinaus. Sie gehen so weit, über die Natur und das Wesen des Göttlichen, der göttlichen Offenbarung, des Offenbarwerdens der Gottheit in dieser Welt nachzudenken. Alle religiösen und wissenschaftlichen Fragen werden von ihnen durch die Macht des Geistes gelöst.
Bahá’u’lláh sagt, dass in jedem Phänomen ein Zeichen (von Gott) zu finden ist: Das Zeichen des Verstandes ist Kontemplation, und das Zeichen der Kontemplation ist Stille; denn kein Mensch ist imstande, zwei Dinge gleichzeitig zu tun. Er kann nicht zugleich sprechen und meditieren.
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Es ist eine Grundtatsache, dass man während des Meditierens mit der eigenen Seele spricht. In diesem Gemütszustand kann man an seine Seele bestimmte Fragen richten, und die Seele gibt Antwort: Das Licht bricht hervor, und die Wirklichkeit enthüllt sich.
Man kann die Bezeichnung „Mensch“ keinem Wesen geben, welches diese Fähigkeit der Meditation nicht besitzt. Ohne sie wäre der Mensch ein rein animalisches Wesen, niederer als die wilden Tiere.
Durch die Fähigkeit zu meditieren erlangt der Mensch das ewige Leben. Durch sie empfängt er den Odem des Heiligen Geistes, dessen Gnadengaben sich in Überlegung und Betrachtung kundtun.
Während der Meditation wird die Seele des Menschen unterrichtet und gestärkt, durch Meditation entfalten sich vor seinem Auge Dinge, von denen er zuvor nichts wusste. Durch Meditation erfährt er göttliche Eingebung, durch sie empfängt er himmlische Nahrung.
Meditation ist der Schlüssel zu den Toren der Geheimnisse. In diesem Zustand abstrahiert sich der Mensch: Er zieht sich von allen außenstehenden Objekten zurück; in dieser subjektiven Haltung versinkt er im Ozean geistigen Lebens und kann die Geheimnisse der Dinge an sich enthüllen. Um dies zu erläutern, muss man sich den Menschen als ein Wesen vorstellen, das mit zweierlei Sehvermögen begabt ist. Wenn die Kraft des inneren Auges gebraucht wird, kann das äußere nicht sehen.
Die Fähigkeit zu meditieren befreit den Menschen von der animalischen Natur, geht der Wirklichkeit der Dinge auf den Grund und verbindet den Menschen mit Gott.
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Künste und Wissenschaften bringt diese Fähigkeit aus dem Bereich des Unsichtbaren hervor. Erfindungen werden durch sie ermöglicht, gewaltige Unternehmungen ins Leben gerufen. Durch sie können Regierungen reibungslos ihren Aufgaben nachkommen. Durch diese Fähigkeit findet der Mensch Zugang zum Reiche Gottes.
Es gibt Gedanken, die für den Menschen nutzlos sind: Sie gleichen Meereswogen, welche branden, ohne dass etwas geschieht. Aber wenn die Fähigkeit des Meditierens vom inneren Licht durchdrungen und mit göttlichen Attributen gekennzeichnet ist, werden die Ergebnisse Bestätigung finden.
Meditation gleicht einem Spiegel; stellt man ihn vor irdische Gegenstände, wird er diese widerspiegeln. Denkt daher der menschliche Geist über irdische Dinge nach, so erhält er von diesen Kenntnis.
Aber wenn ihr den Spiegel eurer Seelen gen Himmel wendet, werden himmlische Bildnisse und die Strahlen der Sonne der Wirklichkeit aus euren Herzen wiedergegeben und zurückgestrahlt, und ihr erlangt die Tugenden des Gottesreiches.
Deshalb wollen wir diese Fähigkeit auf die richtige Bahn lenken: zur himmlischen Sonne, nicht zu irdischen Dingen, – auf dass wir die Geheimnisse des Reiches Gottes entdecken und die biblischen Gleichnisse, die Mysterien des Geistes begreifen.
Lasst uns zu Spiegeln werden, welche die himmlische Wirklichkeit ausstrahlen, so rein, dass die Sterne des Himmels aus uns leuchten.
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