Read: Nabils Bericht - Band I



N A B I L

Bericht aus den frühen Tagen der Bahá'í-Offenbarung

ERSTER BAND

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NABILS BERICHT AUS DEN FRÜHEN TAGEN DER BAHA'I-OFFENBARUNG

Aus dem Persischen ins Englische übersetzt und herausgegeben von Shoghi Effendi
(c) Bahá'í-Verlag 1975





Faksimilien der Briefe des Báb
an die Buchstaben des Lebendigen, sowie an Ihn selbst und an Den, Der offenbar werden wird:

1. an Mullá Husayn-i-Bushrú'í
2. an Muhammad Hasan (seinen Bruder)
3. an Muhammad-Báqir (seinen Neffen)
4. an Mullá Alíy-i-Bastámí
5. an Mullá Khudá-Baksh-i-Qúchání (später Mullá Alí genannt)
6. an Mullá Hasan-i-Bajistání
7. an Siyyid Husayn-i-Yazdí
8. an Mírzá Muhammad Rawdih-khán-i-Yazdí
9. an Sa'íd-i-Hindí
10. an Mullá Mahmúd-i-Khu'í
11. an Mullá Jalíl-i-Urúmí
12. an Mullá Ahmad-i-Ibdál-i-Marághi'í
13. an Mullá Báqir-i-Tabrízí
14. an Mullá Yúsif-i-Ardibílí
15. an Mírzá Hádí (Sohn des Mullá-Vahháb-i-Qazvíní)
16. an Mírzá Muhammad-i-Alíy-i-Qazvíní
17. an Táhirih
18. an Quddús
19. an den Báb selbst
20. an Den, Der offenbar werden wird, Bahá'u'lláh

INHALT

013 Einleitung von Shoghi Effendi
027 Bahá'u'lláhs Huldigung an den Báb und Seine höchsten Jünger
030 Stammtafel des Báb
033 Vorwort von Muhammad-i-Zarandí, Nabíl-i-A'zam

NABILS BERICHT Teil 1 : Vor der Offenbarung

Erstes Kapitel : DIE SENDUNG DES SHAYKH AHMAD-I-AHSA'I

035 Aufbruch von Bahrayn nach dem Iráq
036 In Najaf und Karbilá
038 Reise nach Shíráz
039 Aufenthalt in Yaz
Korrespondenz mit Fath-Alí Sháh , Beziehung zu Abdu'l-Vahháb
Mírzá Mahmúd-i-Qamsarís Erzählung , Ankunft von Siyyid Kázim-i-Rashtí
045 Pilgerreise nach Mashhad
046 Festlicher Einzug in Tihrán und Aufbruch nach Kirmánsháh
049 Rückkehr nach Karbilá
050 Reise nach Mekka und Medina, sein Tod

Zweites Kapitel : DIE SENDUNG DES SIYYID KAZIM-I-RASHTI

053 Fühlungsnahme mit Muhammad-Báqir und Mullá Husayns Reise nach Isfáhán
058 Siyyid Kázims Hinweise auf den Verheißenen
059 Die Erzählung des Shaykh Hasan-i-Zunúzí
Siyyid Kázim besucht den Báb
Der Báb nimmt an Siyyid Kázims Vorlesungen teil
Der Báb besucht den Schrein Imám Husayns
Shaykh Hasans Besuche beim Báb in Shiráz und Máh-Kú
Seine Begegnung mit Bahá'u'lláh in Karbilá
066 Hinweise auf den verheißenen in Siyyid Kázims Werken
068 Die Belagerung von Karbilá
071 Siyyid Kázims Anspielungen auf seine ungetreuen Schüler
072 Der Bericht von Shaykh Abú-Turáb
073 Siyyid Kázims Ermahnungen an seine Schüler
075 Begegnung mit dem arabischen Hirten
077 Siyyid Kázims Tod

NABILS BERICHT Teil 2 : Die Offenbarung des Báb

Drittes Kapitel : DER BAB ERKLÄRT SEINE SENDUNG

081 Mullá Husayns Ankunft in Karbilá
083 Die Bedeutung des Jahres 60
084 Mullá Husayns Abreise nach Najaf und Búshihr
085 Mullá Husayns Gespräch mit dem Báb in Shíráz
097 Des Mullá Alíy-i-Bastámí und seiner Begleiter Ankunft in Shíráz
102 Quddús Ankunft in Shíráz
106 Die Jugendjahre des Báb , Geburt , Schule , Eheschließung , in Búshihr
112 Buchstaben des Lebendigen
117 Táhirih
119 Begriffserläuterung von `Bálá-Sarí`
119 Mullá Husayns Abschied
120 Mullá Alíy-i-Bastámís Abreise von Shiráz
121 Die Geschichte von Abdu'l-Vahháb
123 Mullá Alíy-i-Bastámís Leiden
125 Des Báb Abschiedsworte an die Buchstaben des Lebendigen
128 Seine Abschiedsworte zu Mullá Husayn

Viertes Kapitel : MULLA HUSAYNS REISE NACH TIHRAN

131 Besuch Mullá Husayns in Isfáhán
Die Schüler von Hájí Siyyid Muhammad-Báqir
Die Geschichte vom Weizensieber
Der Übertritt von Mullá Sádiq-i-Khurásání
135 Sein Aufenthalt in Káshán und Qum
135 Seine Erfahrungen in Tihrán
Hájí Mírzá Muhammad-i-Khurásání
Begegnung mit Mullá Muhammad-i-Núrí und seine Botschaft an Bahá'u'lláh

Fünftes Kapitel : BAHA'U'LLAHS REISE NACH MAZINDARAN

143 über Mírzá Buzurg, Seinen Vater
145 Sein Besuch in Núr vor Mullá Husayns Ankunft in Tihrán
Begegnung mit Mírzá Muhammad Taqíy-i-Núrí
Die beiden Träume des Mírzá Muhammad Taqíy-i-Núrí
147 Sein Besuch in Núr nach Mullá Husayns Ankunft in Tihrán
Des Azíz, Seines Onkels, Verhalten
Zusammentreffen mit Mullá Muhammad
Unterhaltung mit dem Derwisch
Die Erfolge von Bahá'u'lláhs Besuch in Núr
153 Des Vazírs Traum von Bahá'u'lláh
154 Die Verbindungen Bahá'u'lláhs mit Hájí Mírzá Aqásí

Sechstes Kapitel : MULLA HUSAYNS REISE NACH KHURASAN

157 Die Anweisungen des Báb an die Buchstaben des Lebendigen
158 Die ersten Gläubigen in Khurásán
160 Mullá Husayns Brief an den Báb

Siebentes Kapitel : DIE PILGERREISE DES BAB NACH MEKKA UND MEDINA

164 Hájí Abu'l-Hasan-i-Shírází berichtet
165 Hinweis auf die Reise im Persischen Bayán
166 Aukunft in Jaddih, auf dem Weg nach Mekka
167 Der Báb umschreitet die Ka'bih in Mekka
167 Seine Erklärung gegenüber Mírzá Muhít-i-Kirmání
171 Botschaft an den Sharíf von Mekka, die Erzählung von Hájí Níyáz
172 Sein Besuch in Medina

Achtes Kapitel : DER AUFENTHALT DES BAB IN SHIRAZ NACH SEINER PILGERREISE - I

175 Des Báb Rückkehr nach Búshihr und Abschied von Quddús
176 Quddús Besuch bei des Báb Onkel in Shíráz
177 Quddús Begegnung mit Mullá Sádiq-i-Khurásání
178 Die Leiden von Quddús und Mullá Sádiq
Mullá Sádiqs Verhörung durch Husayn Khán
Augenzeugenbericht von seiner Verfolgung
181 Des Báb Rüchkehr nach Shíráz
Bericht des Anführers der Verhaftungseskorte
Des Báb Zusammentreffen mit Husayn Khán
Die Erklärung des Báb in der Vakíl-Moschee
188 über jene, die in Shíráz den Glauben annahmen
191 Verbindung zu den Gläubigen in Karbilá
192 Ankunft der Gläubigen in Kangávar, ihre Begegnung mit Mullá Husayn
193 Ihre Abreise mit Mullá Husayn nach Isfáhán
193 Mullá Husayns Abreise nach Shíráz
194 Ankunft der sechs Gläubigen in Shíráz
195 Die Erzählung von Mullá Abdu'l-Karím-i-Qazvíní
200 Nabíls Begegnung mit Mullá Abdu'l-Karím-i-Qazvíní

Neuntes Kapitel : DER AUFENTHALT DES BAB IN SHIRAZ NACH SEINER PILGERREISE - II

203 Mullá Husayns Abreise nach Khurásán
206 Siyyid Yabyáhs Gespräehe mit dem Báb
211 Der übertritt von Mullá Muhammad-'Alíy-i-Zanjání
213 Quddús Reise nach Kirmán, Tihrán und Mázindarán
Hájí Siyyid Javád-i-Kirmání
Besuch in Tihrán
Aufenthalt in Bárfurúsh
216 Mullá Sádiqs Besuch in Yazd
Mírzá Ahmad-i-Azghandí
Erfahrungen in der Moschee in Yazd
219 Die Verfolgungen von Mullá Yúsuf-i-Ardibílí und anderen
220 Hájí Siyyid Javád-i-Karbilá'í
223 Der Bericht von Shaykh Sultán-i-Karbilá'í
223 Das zweite Naw-Rúz nach der Erklärung Seiner Sendung
224 Die Mutter und die Gattin des Báb
225 Husayn Kháns Aktivität gegen den Báb
Bericht des Anführers der Agenten
Husayn Kháns Anweisungen an Abdu'l-Hamíd Khán
228 Gefangennahme des Báb und Ausbruch der Seuche
Husayn Kháns Flucht
Heilung von Abdu'l-Hamíds Sohn
Freilassung des Báb
231 Des Báb Abschied von Seinen Verwandten und Abreise von Shíráz





#13

EINLEITUNG

Die Bahá'í-Bewegung ist nunmehr in der ganzen Welt wohl bekannt, und die Zeit ist gekommen, da der einzigartige Bericht Nabíls über die ersten Anfänge im dunkelsten Persien viele Leser interessieren dürfte. Die Aufzeichnungen, die er mit so viel hingebungsvoller Sorgfalt niedergelegt hat, sind in mancher Hinsicht außergewöhnlich. Sie sind streckenweise äußerst mitreißend, und die Leuchtkraft ihres zentralen Themas verleiht dieser Chronik nicht nur einen bedeutenden historischen Wert, sondern darüber hinaus eine hohe moralische Kraft. Ihre Schlaglichter sind grell; und diese Wirkung ist so intensiv, daß der Eindruck entsteht, als bräche mitten in der Nacht die Sonne hervor. Die Erzählung handelt von Kampf und Märtyrertum, von dramatischen Szenen und tragischen Ereignissen. Korruption, Fanatismus und Grausamkeit vereinigten sich gegen die Sache der Erneuerung, sie zu vernichten; und dieses Buch schließt ab zu einem Zeitpunkt, da eine wahre Orgie von Haß ihr Ziel scheinbar erreicht hat: jeden Mann, jede Frau, jedes Kind aus Persien in die Verbannung zu schicken oder zu töten, wenn sie gewagt hatten, sich der Lehre des Báb zuzuwenden.

Nabíl, der in einigen der Szenen, die er schildert, selbst mitwirkte, griff zur Feder, um einzig die Wahrheit über die Männer und Frauen zu berichten, die so erbarmungslos verfolgt waren, und über eine Bewegung, die so übel verleumdet wurde. Er schreibt in ruhigem Stil, und wenn ihn heftige Gefühlsregung fortträgt, wird seine Ausdrucksweise lebhaft und schneidend. Er stellt nicht systematisch Ansprüche und Lehre von Bahá'u'lláh und Seinem Vorläufer dar. Er will einzig und allein über die ersten Anfänge der Bahá'í-Offenbarung berichten und die Erinnerung an die Taten ihrer ersten Verfechter wachhalten. Er berichtet über eine Reihe von Geschehnissen mit genauer Quellenangabe über fast jeden Punkt seiner Informationen. Sein Werk ist darum, wenn auch weniger hinsichtlich seiner künstlerischen Gestaltung oder seines wissenschaftlichen Gehalts, doch von großem Wert als wortgetreuer Bericht über alles, was er selbst erlebt hat oder von glaubhaften Zeugen über die Frühgeschichte der Bahá'í-Sache in Erfahrung bringen konnte.

#14

Das Grundthema des Berichtes, die heilige, heldenhafte Gestalt des Báb, dieses so sanftmütigen und heiteren Vorläufers, der doch von solchem Eifer, von solcher Entschlossenheit und Überlegenheit beseelt war; die Hingabe Seiner Anhänger, welche allen Unterdrückungen mit unbeugsamem Mut und oft geradezu mit Verzückung entgegengingen; die Wut einer eifersüchtigen Priesterschaft, die zu ihren Gunsten die Leidenschaft eines blutdürstigen Pöbels entfachte; all dies spricht eine Sprache, die jeder verstehen kann. Und doch ist es nicht leicht, dem Bericht in allen Einzelheiten zu folgen, oder zu ermessen, wie unerhört die Aufgabe war, die Bahá'u'lláh und Sein Vorläufer unternommen hatten, wenn man nicht einige Kenntnis besitzt über die religiösen und politischen Verhältnisse in Persien, über Sitten und Mentalität des Volkes und seiner Führer. Nabíl setzt dieses Wissen voraus. Er selbst ist, wenn überhaupt, kaum je über die Grenzen des Reiches des Sháh hinausgekommen, und so konnte er auch keine Vergleiche anstellen zwischen der Zivilisation seines eigenen Landes und der fremder Länder. Er hat nicht den westlichen Leser im Auge. Wenn er sich auch dessen bewußt war, daß das von ihm gesammelte Material nicht nur in nationalem Rahmen oder für den Bereich des Islám von Bedeutung war, und daß es über kurz oder lang westwärts und ostwärts rund um die ganze Erde Verbreitung finden würde, so hat er doch als Orientale in einer orientalischen Sprache für die geschrieben, die sie verstanden. Das einzigartige Werk, das er so gewissenhaft zusammengetragen hat, ist für sich selbst eine großartige und bedeutende Leistung.

Über Persien im neunzehnten Jahrhundert gibt es europäische Literatur, die den westlichen Leser ausführlich über diesen Gegenstand informiert. In persischen Schriften, die in westliche Sprachen übersetzt wurden, oder in den Schilderungen europäischer Reisender, wie Lord Curzon, Sir J. Malcolm und vieler anderer, wird er ein wirklichkeitstreues und lebendiges, wenn auch unerfreuliches Bild von den `augianischen` Zuständen finden, die der Báb vorfand, als Er in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts die Bewegung einleitete.

Alle Beobachter schildern übereinstimmend Persien als eine schwache, rückständige Nation, in sich zerstritten durch Korruption und wilden Glaubensfanatismus. Unfähigkeit und Elend erfüllten das Land als Frucht völligen moralischen Zerfalls. Niemand von der obersten Spitze bis zur untersten Schicht war fähig, Reformen durchzuführen oder wenigstens den ernstlichen Willen dazu aufzubringen. Nationaler Dünkel gefiel sich in einer grandiosen Selbstzufriedenheit. Das Leichentuch der Lethargie lag auf allen Dingen, und eine allgemeine Geisteslähmung machte jede Entwicklung unmöglich.

#15

Einem, der sich mit Geschichte befaßt, muß der Zerfall eines einst so mächtigen und berühmten Volkes höchst beklagenswert erscheinen. Abdu'l-Bahá, der trotz aller Grausamkeiten, die man Bahá'u'lláh, dem Báb und Ihm selbst zufügte, Sein Land liebte, nannte seinen Verfall eine `Tragödie eines Volkes`; und in Seinem Werk `Das Geheimnis göttlicher Kultur`, mit dem Er die Herzen Seiner Landsleute zu gründlichen Reformen zu bewegen suchte, beklagte Er schmerzlich die gegenwärtige Lage eines Volkes, das einst nach Osten wie nach Westen sein Land ausdehnte, und dessen Kultur für die ganze Menschheit führend war. »Früher«, schreibt Er, »war Persien wirklich das Herz der Welt und leuchtete unter den Völkern wie eine strahlende Kerze. Sein Ruhm und sein Wohlstand brachen vom Horizont der Menschheit hervor wie der Morgenglanz, der das Licht der Erkenntnis und Erleuchtung über die Völker in Ost und Niest ergießt. Der Ruf seiner siegreichen Könige drang zu den Ohren der Erdbewohner bis zu den Polen. Die Majestät seines Königs der Könige demütigte die Herrscher Griechenlands und Roms. Sein überlegenes Wissen erfüllte die Weisen mit Ehrfurcht, und die Herrscher der Kontinente richteten ihr Staatswesen nach seinen Gesetzen. Da die Perser unter allen Völkern der Erde als ein Volk von Eroberern hervorragten und man sie um ihrer Kultur und ihres Wissens willen allgemein bewunderte, wurde ihr Land zum berühmten Zentrum aller Wissenschaften und Künste, zur Wiege der Kultur und zum Springquell der Tugenden ... wie kommt es, daß heute dieses hervorragende Land durch unsere Faulheit, Hohlheit und Gleichgültigkeit, durch Unwissenheit und fehlendes Organisationstalent, durch Mangel an Eifer und Ehrgeiz unter seinem Volk dahin kam, daß der Schimmer seines Wohlstands verdunkelt und nahezu erloschen ist?«

Andere Schriftsteller bestätigen voll und ganz diese unglückseligen Zustände, von denen Abdu'l-Bahá spricht.

Zu der Zeit, da der Báb Seine Sendung erklärte, war die Regierungsform des Landes, mit einem Ausdruck von Lord Curzon, ein Kirchenstaat. So bestechlich, grausam und sittenlos sie war, formal war sie religiös. Muslimische Rechtgläubigkeit war die Grundlage des Staates und durchdrang ihn wie auch das gesellschaftliche Leben der Bevölkerung bis ins Mark. Andererseits gab es keinerlei Gesetze, Verordnungen und Verfassungsurkunden als Grundlage zur Lenkung der öffentlichen Belange. Es gab weder ein Oberhaus, noch einen Staatsrat, keine Synode, kein Parlament. Der Sháh war Alleinherrscher und die ganze Skala der öffentlichen Ämter widerspiegelte seine Willkürherrschaft, vom Minister und Gouverneur bis hinunter zum bescheidensten Schreiber und dem entlegensten Scharfrichter. Da gab es keinen zivilen Gerichtshof, der die Macht des Herrschers kontrolliert oder beschränkt hätte, oder die Autorität, die er auf seine Untergebenen zu übertragen beliebte.

Wenn es ein Gesetz gab, war es sein Wort. Er konnte tun, was ihm gefiel. Es stand bei ihm, alle Minister, Beamte, Offiziere und Richter zu ernennen oder abzusetzen. Er hatte die uneingeschränkte Macht über Leben und Tod aller Mitglieder seines Haushaltes und Hofes, der Zivilpersonen wie der Soldaten. Die Verhängung der Todesstrafe lag allein in seiner Hand, ebenso alle Angelegenheiten der Regierung, der Gesetzgebung, der Verwaltung und Rechtsprechung. Sein königliches Vorrecht war durch keinerlei schriftlich niedergelegte Einschränkung begrenzt.

#16

Den Abkömmlingen der Sháhs wurden die einträglichsten Posten im ganzen Land zugeschoben, und im Laufe der Zeit machten sie sich auch auf zahllosen geringeren Posten breit, bis das Land übervoll war von dem Geschlecht dieser königlichen Drohnen, die ihre Stellung nichts besserem als ihrer Blutsverwandtschaft verdankten. Über sie ging damals ein persisches Sprichwort um, das sagte: `Kamele, Flöhe und Prinzen gibts überall.` Und wenn ein Sháh in einem bestimmten Fall, der ihm zur Entscheidung vorgelegt wurde, gerecht und weise urteilen wollte, war dies für ihn doch schwierig, weil er sich nicht auf die ihm gegebenen Informationen verlassen konnte. Entscheidende Tatsachen wurden unterschlagen, andere durch befangene Zeugen oder käufliche Diener verdreht. Die planmäßige Bestechung war in Persien so verbreitet, daß sie bald als feststehende Einrichtung anerkannt wurde, die Lord Curzon mit folgender Beschreibung kennzeichnet :

"Ich komme nun zu einem Hauptmerkmal und wesentlichen Grundzug der iranischen Administration. Die Verwaltung, ja man kann sagen, das ganze Leben in diesem Land besteht größtenteils im Austausch von Geschenken. Vom sozialen Standpunkt aus könnte man annehmen, daß dieser Brauch die großzügigen Empfindungen eines liebenswürdigen Volkes aufzeige. Doch tritt gerade hierbei ein abstoßend nüchterner Zug in Erscheinung, wenn du dir zum Beispiel zu einem eben erhaltenen Geschenk gratulierst und dann merkst, daß du nicht nur dem Spender ein gleichwertiges Gegengeschenk verehren mußt, sondern auch den Überbringer des Geschenkes, für den sich deine Gegengabe sehr leicht als lebenswichtig herausstellen kann, großzügig mit einem dem Geldwert des Geschenks angemessenen Betrag belohnen mußt. Vom politischen Standpunkt aus betrachtet, ist diese Art des Geschenkemachens, wenn sie auch durch eine eherne Tradition des Ostens geheiligt ist, ein System, das man anderwärts mit wesentlich weniger schmeichelhaften Namen belegt. Nach diesem System sind in Persien jahrhundertelang die Regierungsgeschäfte geführt worden, und das Festhalten daran stellt jede wirkliche Reform vor eiserne Schranken. Vom Sháh abwärts gibt es kaum ein Amt, das nicht für Geschenke empfänglich wäre. Da ist kaum ein Posten, der nicht als Gegengabe für ein Geschenk vergeben worden wäre, kaum ein Vermögen, das nicht durch die Annahme von Geschenken angehäuft worden wäre. Jeder einzelne in der oben erwähnten Hierarchie hat fast ausnahmslos seinen Posten lediglich gekauft durch ein Geldgeschenk an den Sháh oder an einen Minister oder seinen Vorgesetzten, der ihn berufen hat. Gibt es mehrere Kandidaten für einen Posten, dann siegt in aller Wahrscheinlichkeit der mit dem höchsten Angebot ..."

"`Madákhil` heißt eine beliebte nationale Einrichtung in Persien, die in einer Unzahl verschiedener Formen vorkommt, wobei sich Erfindungsreichtum und Vielfältigkeit die Waage halten, und woran teilzuhaben ein Perser größtes Interesse und höchstes Vergnügen hat. Dieses merkwürdige Wort, für das es keine treffende übersetzung gibt, kann ungefähr beschrieben werden mit den Begriffen Vergütung (commission), Akzidenzien (perquisite), Zugabe (douceur), Gegenleistung (consideration), Aufgelesenes und Mitgenommenes (pickings and stealings), Profit (profit), je nach dem Textzusammenhang, in dem es steht. Kurz, es bezeichnet den überschuß zum eigenen Vorteil, der sich gewöhnlich in Form eines Geldbetrags aus wirklich jedem Geschäft herausschlagen läßt. Ein Verhandeln zwischen zwei Parteien, Gebern und Empfängern, oder Hochgestellten und Untergebenen, oder auch zwischen gleichgestellten Vertragspartnern ist in Persien nicht denkbar, ohne daß der Teil, den man als die Ursache einer Gefälligkeit oder einer Dienstleistung bezeichnen könnte, einen bestimmten Betrag für das, was er geleistet oder gegeben hat, beansprucht und erhält. Man kann natürlich sagen, daß die menschliche Natur in der ganzen Welt weitgehend gleich sei, daß in unserem eigenen Land und anderswo ähnliche Systeme unter anderem Namen bestehen und daß dem weisen Kritiker der Perser als Mensch und Bruder willkommen ist. Das stimmt bis zum gewissen Grade. Doch in keinem Land der Welt, soweit ich selbst sah oder hörte, ist das System so unverhüllt, so schamlos, so allumfassend wie in Persien. So wenig beschränkt auf das Gebiet der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, durchdringt es vielmehr jeden Lebensbereich und belebt alle Aktivität. Durch seine Wirksamkeit wurden Großzügigkeit oder uneigennützige Dienstwilligkeit sozusagen von der Liste der gesellschaftlichen Tugenden gestrichen, und Begehrlichkeit wurde zum Leitprinzip menschlichen Zusammenlebens erhoben ... Dadurch hat sich eine arithmetische Reihe des Gewinns vom Herrschenden zum Abhängigen herausgebildet, bei der in absteigender Folge jeder sich auf Kosten des rangtieferen Nächsten entschädigt, und die unglücklichen Bauern sind die letzten Opfer. Unter diesen Umständen überrascht es nicht, daß ein Amt der gewöhnliche Weg zum Reichtum ist und daß die Fälle sich häufen, da Leute, die mit nichts angefangen haben, sich in prächtigen Häusern finden, wo sie von Dienerscharen umgeben residieren und wie die Fürsten leben. `Mach was du kannst, solange du kannst` ist die Regel, nach der die meisten ins öffentliche Leben treten. Und danach zu handeln, wird von der Mentalität des Volkes keineswegs mißbilligt. Die Einstellung zu einem Menschen, der es versäumt, seine eigenen Taschen zu füllen, obwohl er die Gelegenheit dazu hat, ist erheblicher Zweifel an seinem Verstand. Kein Mensch verliert einen Gedanken an die Leidenden, denen letzten Endes dcr Stoff für diese aufeinanderfolgenden `Madákhils` abgepreßt wurde, die sich im Schweiße ihres Angesichts geduldig die Reichtümer abquälten, die in luxuriösen Villen, europäischen Kuriositätenkabinetten und für gewaltigen Aufwand verschleudert wurden."

#18

Wenn man das liest, versteht man etwas von den Schwierigkeiten, die der Sendung des Báb entgegentraten. Wenn man das folgende liest, versteht man die Gefahren, denen Er gegenüberstand, und ist vorbereitet auf eine Geschichte voller Gewalt und abscheulicher Grausamkeit.

"Bevor ich das Thema der persischen Gesetze und Verwaltungsordnung abschließe, möchte ich noch ein paar Worte über das Thema der Strafen und Gefängnisse sagen. Nichts ist für den europäischen Leser erschütternder, wenn er sich durch die von Verbrechen und Blut triefenden Seiten der persischen Geschichte des vergangenen (18.) und des, glücklicherweise in etwas geringerem Maße, gegenwärtigen Jahrhunderts hindurcharbeitet, als die Berichte über grauenhafte Strafen und abscheuliche Folterungen, die abwechselnd von der unmenschlichen Gefühllosigkcit dieser Rohlinge und dem Einfallsreichtum des Bösen zeugen. Die persische Mentalität ist von jeher reich an Einfällen gewesen und gleichgültig gegenüber dem Leiden. Und auf dem Felde der Vollstreckung von Urteilen war der Übung in diesen beiden Fertigkeiten weiter Spielraum gelassen. Bis in die jüngste Zeit und vielleicht noch zur Zeit des gegenwärtigen Regimes sind zum Tode verurteilte Verbrecher gekreuzigt worden, vor Kanonen gebunden, lebendig begraben, gepfählt, wie Pferde beschlagen, auseinandergerissen, indem man sie an die zusammengebundenen Wipfel zweier Bäume band und diese dann wieder in ihre ursprüngliche Lage zurückschnellen ließ, in lebendige Fackeln verwandelt oder bei lebendigem Leibe abgehäutet.

Das zwiefältige Leitsystem, das ich oben beschrieben habe, nämlich eine Administration, in der jeder Beteiligte in verschiedener Hinsicht zugleich der Bestechende und der Bestochene ist, und ein juristisches Verfahren, das weder Gesetz noch Gerichtshof kennt, macht es verständlich, daß von einem Vertrauen in die Regierung kaum die Rede gewesen sein kann, daß jedes persönliche Pflicht- und Ehrgefühl fehlte, jedes gegenseitige Vertrauen, jede Zusammenarbeit - es sei denn im übeltun, daß Bloßstellung nicht als Schande, Tugend nicht als Ehre galt und zudem kein Nationalbewußtsein oder Patriotismus aufkamen."

#19

Der Báb muß von Anfang an geahnt haben, wie Seine Landsleute Seine Lehren aufnehmen würden und welches Schicksal Ihn aus den Händen der Mullás erwartete. Aber diese bösen Ahnungen über Seine eigene Person hinderten Ihn nicht daran, Seinen Anspruch klar und offen darzulegen und Seine Sache frei zu verkünden. Die Neuerungen, die Er brachte, waren, obgleich rein religiöser Art, drastisch, die Verkündung der Besonderheit Seiner eigenen Person rief Schrecken und Entsetzen hervor. Er bekannte Sich selbst als den Qá'im, den Hohen Offenbarer, den so lange verheißenen und von der muhammadanischen Welt so sehnlich erwarteten Messias. Dieser Erklärung fügte Er hinzu, Er sei das Tor (das heißt Báb), durch das eine größere Manifestation als Er selbst in den Bereich der Menschen einziehen werde.

Indem Er Sich in die Tradition des Islám stellte und als die Erfüllung seiner Prophezeiungen erschien, geriet Er in Widerspruch zu denen, die über die Bedeutung jener Prophezeiungen und überlieferungen feste und unausrottbare, den Seinen zuwiderlaufende Ideen hatten. Die beiden großen persischen Sekten des Islam, Shí'iten und Sunniten, legten beide dem altehrwürdigen Schriftschatz ihrer Religion zwar lebenswichtige Bedeutsamkeit bei, hielten sich aber nicht an seinen Inhalt oder seine Bedeutung. Die Shi'iten, aus deren Lehren die Bábí-Bewegung hervorging, hielten daran fest, daß nach dem Hinscheiden des großen Propheten Muhammad Ihm eine Reihe von zwölf Imámen nachfolgte. Jeder von ihnen war, so glaubten sie, in besonderer Weise von Gott mit geistigen Fähigkeiten und Kräften ausgestattet und hatte Anspruch auf ungeteilten Gehorsam der Gläubigen. Sie verdankten alle ihre Berufung nicht einer Wahl des Volkes, sondern der Ernennung durch den jeweiligen Vorgänger im Amt. Der zwölfte und letzte dieser erleuchteten Führer war Muhammad, der von den Shí'iten der Imám-Mihdí, Hujjatu'lláh (`Beweis Gottes`), Bagíyyatu'lláh (`Rest Gottes`) und Qá'im-i-Al-i-Muhammad (`Der aus dem Stamme Muhammads hervorgehen wird`) genannt wurde. Er übernahm das Amt des Imám im Jahre 260 der Hedschra, entschwand aber dann plötzlich dem Blick seiner Anhänger und stand mit ihnen nur noch durch einen erwählten Mittler, bekannt als die Pforte, in Verbindung. Vier dieser Pforten folgten nacheinander, jeder von seinem Vorgänger mit der Anerkennung als Imám bedacht. Als aber die Gläubigen den vierten Imám Abu'l-Hasan-Alí baten, vor seinem Tode seinen Nachfolger zu benennen, lehnte er ab. Er sagte, Gott habe einen anderen Plan. Darum hörte mit seinem Tode jede Verbindung zwischen dem Imám und seiner Gemeinde auf. Und dennoch, von einer Schar von Anhängern umgeben, lebt er und wartet an einem geheimnisvollen Ort. Er wird die Verbindung mit seinem Volke nicht wieder aufnehmen, bis er mit Macht hervortritt, um über die ganze Welt hin ein tausendjähriges Reich zu gründen.

#20

Die Sunniten haben dagegen keine so hohe Meinung vom Amt jener, die auf den großen Propheten gefolgt sind. Sie sehen die Statthalterschaft weniger als geistige denn als eine praktische Angelegenheit. Der Khalíf ist in ihren Augen der Verteidiger des Glaubens, und er verdankt seine Ernennung der Wahl und Billigung des Volkes.

So schwerwiegend diese Verschiedenheit der Meinungen auch ist, in einem stimmen beide Sekten überein, nämlich in der Erwartung einer zweifachen Manifestation, Die Shí'iten halten Ausschau nach dem Qá'im, der kommen soll, wenn die Zeit erfüllt ist, und ebenso nach der Wiederkunft des Imám Husayn. Die Sunniten erwarten das Erscheinen des Mihdí und zugleich die Wiederkunft Jesu Christi. Als der Báb am Beginn Seiner Sendung, anknüpfend an die überlieferung der Shi'iten, Seine Aufgabe als eine zwiefache verkündete, zum einen als die des Qá'im und zum andern als die der Pforte oder des Báb, wurde dieser zweite Hinweis von verschiedenen Muhammadanern mißverstanden. Sie glaubten, Er sei die fünfte Pforte in der Nachfolge von Abu'l-Hasan-Alí. Seine wahre Bedeutung aber war, wie Er selbst klar dargelegt hat, ganz anders. Er war der Qá'im. Dieser Qá'im aber stand, obgleich selbst ein Hoher Offenbarer, in Beziehung zu einer nach Ihm kommenden und noch größeren Manifestation, so wie einst Johannes der Täufer zu Christus. Er war der Vorläufer eines noch viel Mächtigeren als Er selbst. Er selbst mußte wieder zurücktreten, jener Mächtige aber war im Aufsteigen. Und wie Johannes der Täufer der Herold oder die Pforte für Christus war, so war der Báb der Herold oder das Tor für Bahá'u'lláh.

#21

Es gibt viele authentische überlieferungen, die darauf hinweisen, daß der Qá'im bei Seinem Erscheinen neue Gesetze bringen und damit den Islám aufheben werde. Das entsprach aber nicht der Auffassung der herrschenden Geistlichkeit. Diese erwartete zuversichtlich, daß bei der verheißenen Wiederkunft nicht etwa anstelle der früheren eine neue und reichere Offenbarung treten werde, sondern daß das System, dessen Funktionäre sie selbst waren, übernommen und befestigt würde. Ihr persönliches Ansehen sollte dabei ins Ungemessene steigen, ihre Autorität unter den Völkern weit und breit Geltung gewinnen, damit ihr die unterwürfige, wenn auch widerstrebende Huldigung der ganzen Menschheit zuteil würde. Als der Báb Seinen Bayán offenbarte, einen neuen Kodex religiöser Gesetze verkündete und durch Verordnung und Beispiel eine tiefgreifende sittliche und geistige Umgestaltung vornahm, da witterten die Geistlichen alsbald tödliche Gefahr. Sie sahen ihr Monopol untergraben, ihren Ehrgeiz bedroht, ihr eigenes Leben und Verhalten der Schande preisgegeben. Sie erhoben sich wider Ihn in scheinheiliger Entrüstung. Sie erklärten vor dem Sháh und allem Volk, dieser Emporkömmling sei ein Feind echter Gelehrsamkeit, ein Verderber des Islám, ein Verräter an Muhammad und eine Gefahr nicht nur für die heilige Religion, sondern für die ganze Gesellschaftsordnung und den Staat selbst.

Die Ursache für die Zurückweisung und Verfolgung des Báb war im Grunde genommen dieselbe wie die für die Zurückweisung und Verfolgung von Christus. Hätte Jesus nicht ein neues Buch gebracht, hätte Er nur die von Moses gelehrten geistigen Gesetze wiederholt und nicht darüber hinaus seine Gebote und Vorschriften weitergeführt, so wäre Er wohl als bloßer Erneuerer der Moral der Rache der Pharisäer und Schriftgelehrten entgangen. Aber zu fordern, daß ein Teil des mosaischen Gesetzes, wenn auch nur solche irdischen Verordnungen wie die über Ehescheidung und Halten des Sabbats, geändert werden sollten - geändert durch einen unberufenen Prediger aus Nazareth -, das bedrohte unmittelbar den Einfluß der Pharisäer und Schriftgelehrten und galt, da sie die Stellvertreter Mose und Gottes waren, als Gotteslästerung. Sobald sie die Bedeutung Jesu erkannten, begann Seine Verfolgung. Als Er ablehnte zu widerrufen, wurde Er getötet.

Aus genau den gleichen Gründen standen dem Báb von Anfang an die althergebrachten Interessen der herrschenden Geistlichkeit feindlich gegenüber als einem Zerstörer des Glaubens. Und doch fiel es den Mullás - wie den Schriftgelehrten in Palästina achtzehn Jahrhunderte früher - nicht leicht, einen glaubhaften Vorwand für die Vernichtung dessen vorzubringen, den sie als ihren Feind betrachteten.

#22

Der einzige bekanntgewordene Bericht, daß ein Europäer den Báb zu Gesicht bekam, entstand zur Zeit Seiner Verfolgung, als ein in Tabríz wohnender englischer Arzt, Dr. Cormick, von den persischen Behörden zu Ihm gerufen wurde, um Ihn auf Seinen Geisteszustand zu untersuchen. Das Schreiben dieses Arztes an einen Kollegen, der in amerikanischem Auftrag in Persien weilte, wird in Professor E, G. Brownes `Materials for the Study of the Bábi Religion` zitiert. Dieser Arzt schreibt: "Sie fragen mich nach Einzelheiten meines Interviews mit dem Gründer dieser Bábísekte. Es kam nichts Wichtiges heraus bei diesem Gespräch, da der Báb gewahr wurde, daß ich mit zwei anderen persischen Ärzten gescchickt war, ihn zu untersuchen, ob er geistig normal oder eher verrückt war, und zu entscheiden, ob er zu töten war oder nicht. Da er das wußte, war er nicht gewillt, die ihm gestellten Fragen zu beantworten. Auf alle Fragen sah er uns nur sanft an und sang in tiefer, melodischer Stimme, ich nehme an, es waren Hymnen. Zwei andere Siyyids, ihm nahestehende Freunde, die später mit ihm zusammen getötet wurden, waren auch da, zusammen mit einigen Regierungsbeamten. Er würdigte mich erst einer Antwort, als ich sagte, ich sei kein Muselman und wollte gern etwas über seine Religion wissen, der ich mich unter Umständen anschließen wollte. Daraufhin sah er mich eine Weile an und sagte, er hege keinen Zweifel, daß eines Tages alle Europäer zu seiner Religion übertreten würden. Unser Bericht an den Sháh ging selbstverständlich dahin, sein Leben zu erhalten. Einige Zeit darauf wurde er auf Befehl des Amír-Nizám, Mírzá Taqí Khán doch getötet. Auf unseren Bericht hin erhielt er lediglich die Bastonade. Bei dieser Operation schlug ihm ein Scherge absichtlich oder nicht mit dem Prügel, der für seine Füße bestimmt war, übers Gesicht, was eine böse Wunde mit Schwellung hervorrief. Auf die Frage, ob man ihm zur Behandlung einen persischen Wundarzt schicken solle, äußerte er den Wunsch, daß man mich bitten möge, und ich behandelte ihn dann einige Tage lang. Aber bei den nun folgenden Zusammentreffen gelang es mir nie, ihn für ein vertrautes Gespräch zu gewinnen, weil immer einige Amtspersonen zugegen waren, er war ja Gefangener. Er war ein sehr zart und gebrechlich aussehender Mann, ziemlich schmal von Statur und sehr hellhäutig für einen Perser. Seine Stimme war melodisch und weich und hat mich sehr beeindruckt. Als Siyyid war er auch in der Tracht dieser Sekte gekleidet, ebenso seine beiden Gefährten. Sein ganzes Aussehen und Verhalten war sehr dazu angetan, einen für ihn einzunehmen. Über seine Lehre vernahm ich von ihm selbst nichts. Doch man hat den Eindruck, daß seine Religion eine gewisse Nähe zum Christentum hat. Einige armenische Zimmerleute, die in seinem Gefängnis einiges auszubessern hatten, haben ihn in der Bibel lesen gesehen, und er machte auch keinen Hehl daraus, im Gegenteil, er sprach mit ihnen sogar darüber. Den muselmanischen Fanatismus gibt es ganz bestimmt nicht in seiner Religion, wie auch nicht bei den Christen. Auch findet man in ihr nicht die Unterdrückung der Frauen, wie sie heutzutage besteht."

#23

Das war der Eindruck, den der Báb auf einen kultivierten Engländer machte. Und so weit auch der Einfluß Seines Wesens und Seiner Lehre seither im Westen verbreitet wurde, ist nirgends sonst ein Bericht von einem Europäer erhalten, der Ihn gesehen oder von Ihm gehört hätte.

Sein Wesen war von so seltener Vornehmheit und Schönheit, Seine Persönlichkeit von so edler Sanftmut und dabei doch so kraftvoll, Sein natürlicher Charme verband sich mit so viel Takt und Urteilskraft, daß Er bald nach Seiner Erklärung in Persien eine weithin bekannte Persönlichkeit war. Er gewann fast alle für Sich, die mit Ihm in persönliche Berührung kamen, und oft bekehrte Er Seine Kerkermeister zu Seinem Glauben und machte Menschen, die Ihm übelwollten, zu bewundernden Freunden.

Einen solchen Mann zum Schweigen zu bringen, ohne damit bis zu einem gewissen Grade Unwillen beim Volk zu erregen, war selbst im Persien der vorigen Jahrhundertmitte nicht ganz leicht. Mit den Anhängern des Báb war das anders. Hier sahen die Mullás keinen Grund zu zögern und fanden leicht Vorwände für ihre Anschläge. Der religiöse Fanatismus der Muhammadaner, vom Sháh an abwärts, konnte bequem gegen jede religiöse Entwicklung aufgepeitscht werden. Man konnte die Bábí der Untreue gegenüber dem Sháh bezichtigen und ihrem Wirken dunkle politische Machenschaften unterschieben. Mehr noch, die Anhänger des Báb waren schon recht zahlreich, und viele von ihnen waren wohlhabend, manche waren reich, und einige unter ihnen besaßen Güter, auf die man habgierige Nachbarn lüstern machen konnte. Unter Berufung auf amtliche Befürchtungen und im Vertrauen auf die allgemeinen Volksleidenschaften Fanatismus und Habsucht eröffneten die Mullás einen Feldzug wüster Verfolgungen und Plünderungen, den sie mit unbarmherziger Grausamkeit durchhielten, bis sie glaubten, ihr Ziel voll und ganz erreicht zu haben.

#24

Nabíl bringt in seinem Bericht viele Einzelheiten dieser unglückseligen Ereignisse. Die Geschehnisse in Mázindarán, Nayríz und Zanján nehmen darunter eine hervorragende Stellung ein, weil in ihnen die Heldenhaftigkeit der rings umzingelten Bábí besonders deutlich zum Ausdruck kommt. Eine Anzahl Bábí hatte, zur Verzweiflung getrieben, verabredet, ihre Häuser zu verlassen und Zuflucht zu suchen. Sie hatten sich an diesen drei Stätten versammelt und Verteidigungswälle errichtet, um sich gegen weitere Verfolgungen mit den Waffen zu wehren. Für jeden unparteiischen Beobachter war völlig klar, daß die Behauptung der Mullás, es handele sich hier um politische Motive, nicht zutrafen. Die Bábí zeigten sich jederzeit bereit, friedlich zu ihren Bürgerpflichten zurückzukehren, wenn sie die Sicherheit erhielten, hinfort nicht länger um ihres Glaubens willen belästigt zu werden. Nabíl betont ausdrücklich ihre Bereitschaft, jeden Angriff zu unterlassen. Sie wollten entschlossen und tapfer um ihr Leben kämpfen, aber angreifen wollten sie nicht. Selbst im hitzigsten Gefecht wollten sie ein Friedensangebot nicht ausschlagen noch einen unnötigen Schwertstreich führen.

In `A Traveller's Narrative` (p.34-35) wird Abdu'l-Bahá zitiert mit folgender Erklärung zum moralischen Gesichtspunkt ihrer Handlungsweise:

»Der Minister (Mírzá Taqí Khán) schickte in eigenmächtiger Willkür, ohne dazu Anweisungen erhalten oder Erlaubnis eingeholt zu haben, in alle Richtungen Befehle aus, die Bábí zu strafen und zu züchtigen. Statthalter und Friedensrichter fanden hier einen Vorwand, Reichtümer anzuhäufen, Beamte einen Weg, sich Profit zu verschaffen. Berühmte Gelehrte hetzten von ihren hohen Kanzeln aus zum allgemeinen Angriff. Die Gewalten von religiösem und zivilem Gesetz wetteiferten Hand in Hand, die Bábí auszurotten und zu vertilgen. Nun hatten diese Menschen noch nicht so viel Wissen über die grundlegenden Prinzipien und verborgenen Weisheiten in den Lehren des Báb erworben, wie es richtig und notwendig gewesen wäre, als daß sie ihre Pflichten erkannt hätten. Ihre Begriffe und Vorstellungen stammten noch aus früheren Zeiten, und ihr Benehmen und Verhalten entsprachen altem Brauch. Zudem war ihnen der Weg, mit dem Báb Verbindung aufzunehmen, verschlossen, und die Flamme des Aufruhrs loderte auf allen Seiten. Nach dem Urteil der höchst berühmten Gelehrten hatte die Regierung, und in Wirklichkeit das gemeine Volk, mit unwiderstehlicher Gewalt ein allseitiges Rauben und Beutemachen in Gang gesetzt und war beschäftigt mit Strafen und Foltern, Morden und Plündern, um dieses Feuer zu löschen und diese armen Seelen zu vernichten. An Orten, wo es nur eine kleine Zahl von ihnen gab, fielen sie alle mit verbundenen Händen dem Schwert zum Opfer, in größeren Städten, wo sie zahlreich waren, erhoben sie sich zur Selbstverteidigung nach ihrer guten alten Überzeugung, zumal ihnen nicht möglich war nachzufragen, was ihre Pflicht sei, denn alle Tore waren verschlossen.«

#25

Als Bahá'u'lláh einige Jahre später Seine Sendung verkündete, ließ Er keinen Zweifel darüber offen, was das Gesetz Seiner Sendung in einer so schwierigen Lage sei, wenn Er bekräftigt: »Es ist besser getötet zu werden, als zu töten.«

So heftig der Widerstand auch war, den die Bábí da und dort leisteten, er erwies sich als wirkungslos. Sie wurden von der zahlenmäßigen übermacht überwältigt. Der Báb selbst wurde aus Seiner Gefängniszelle geholt und hingerichtet. Von Seinen nächsten Jüngern, die ihren Glauben an Ihn bestätigten, blieb nicht einer am Leben, außer Bahá'u'lláh, der mit Seiner Familie und einer handvoll ergebener Anhänger mittellos in die Verbannung vertrieben und in fremdem Land ins Gefängnis geworfen wurde.

Aber das Feuer war, wenn auch verdeckt, doch nicht verlöscht. Es brannte im Herzen der Verbannten, die es auf ihrer Wanderschaft von Land zu Land trugen. Gerade im Heimatland Persien war es zu tief eingedrungen, als daß es durch physische Gewalt hätte erstickt werden können. Es glomm noch in den Herzen der Menschen, und es bedurfte nur eines Anhauchs von dem Geiste, um es zu einem allverzehrenden Brand zu entfachen.

Die »zweite und größere« Manifestation Gottes wurde übereinstimmend mit den Prophezeiungen des Báb zu der von Ihm vorhergesagten Zeit verkündet. Neun Jahre nach Beginn der Bábí-Sendung, es war im Jahre 1853, spielte Bahá'u'lláh in einigen Seiner Oden auf die Besonderheit Seiner Person und Seines Auftrags an, und zehn Jahre später, während Seines Aufenthalts in Baghdád, erklärte Er vor Seinen Gefährten Sich selbst als den Verheißenen.

Nun begann die große Bewegung, deren Wegbereiter der Báb gewesen war, sich in ihrer ganzen Tragweite und der Herrlichkeit ihrer Macht zu enthüllen. Obgleich Bahá'u'lláh selbst als Verbannter und Gefangener lebte und starb und nur wenigen Europäern bekannt war, drangen Seine Sendschreiben, die den neuen Advent ankündigten, doch bis zu den großen Machthabern im Westen und im Osten der Erde, vom Sháh von Persien bis zum Papst und zum Präsidenten der Vereinigten Staaten. Nach Seinem Hinscheiden trug Sein Sohn Abdu'l-Bahá die Botschaft in eigener Person nach Ägypten und weit hinaus in die westliche Welt. Abdu'l-Bahá besuchte England, Frankreich, die Schweiz, Deutschland und Amerika. Und überall verkündete Er, daß wiederum die Himmel sich aufgetan hätten und eine neue Offenbarung gekommen sei zum Segen der Menschenkinder. Er starb im November 1921. Und heute brennt das Feuer, das einst für immer ausgelöscht schien, wiederum in jedem Landstrich Persiens, ist auf dem amerikanischen Kontinent aufgeflammt und hat jedes Land der Erde ergriffen. Um die heiligen Schriften von Bahá'u'lláh und ihre bevollmächtigte Auslegung durch Abdu'l-Bahá wächst ein umfangreiches Veröffentlichungswerk erklärender und darstellender Literatur. Die menschendienlichen und geistigen Prinzipien, die Bahá'u'lláh vor vielen Jahrzehnten im finstersten Osten aufgestellt und im Zusammenhang dargelegt hat, werden eines nach dem anderen von einer Welt, die sich dieser Quelle nicht bewußt ist, aufgegriffen als Merkmale einer fortschreitenden Kultur. Und der Eindruck, daß die Menschheit mit der Vergangenheit gebrochen hat und daß die überkommene Führung sie nicht über die Nöte der Gegenwart hinwegbringt, hat alle denkenden Menschen in Zweifel und Angst gestürzt, bis auf diejenigen, die in der Geschichte von Bahá'u'lláh die Erklärung für all die Zeichen und Wunder unserer Zeit zu sehen gelernt haben.

#26

Nahezu drei Generationen sind seit Beginn der Bewegung vergangen. Viele ihrer ersten Anhänger, die Schwert und Pfahl entkommen waren, sind schon lange durch den Lauf der Natur dahingegangen. Das Tor der gleichzeitigen Unterweisung durch ihre beiden großen Führer und deren heldenhaften Jünger hat sich für immer geschlossen. Die Chronik von Nabíl, eine sorgfältige Zusammenstellung der Tatsachen, allein um der Wahrheit willen aufgezeichnet und noch zu Lebzeiten Bahá'u'lláhs abgeschlossen, ist heute von einmaligem Wert. Der Verfasser war dreizehn Jahre alt, als der Báb Sich erklärte. Er ist am 18. Tag des Monats Safar 1247 d.H. in Zarand, einem persischen Dorf, geboren, Er stand sein ganzes Leben lang mit den Führern der Bewegung in enger Verbindung. Obgleich er damals noch ein Knabe war, schickte er sich an, nach Shaykh Tabarsí zu gehen und sich Mullá Husayn anzuschließen, Die Kunde von dem heimtückischen Massenmord an den Bábí vereitelte sein Vorhaben. In seinem Bericht schreibt er, daß er in Tihrán mit Hájí Mírzá Siyyid Alí, einem Bruder der Mutter des Báb, zusammentraf, der gerade von einem Besuch beim Báb in der Festung Chiríq zurückgekommen war; und viele Jahre lang war er ein treuer Gefährte von Mírzá Ahmad, dem Sekretär des Báb.

In die Gegenwart Bahá'u'lláhs gelangte er in Kirmánsháh und Tihrán, vor der Verbannung nach dem Iráq; und später war er bei Seiner Begleitung in Baghdád und Adrianopel, wie auch in der Gefängnisstadt Akká. Mehr als einmal wurde er nach Persien gesandt mit dem Auftrag, dort die Sache zu fördern Und die verstreuten und verfolgten Gläubigen zu ermutigen. Als Bahá'u'lláh im Jahre 1892 verschied, lebte er in Akká. Die Umstände seines Todes waren ergreifend und beklagenswert. Er wurde vom Tode des über alles Geliebten so von Grauen erfaßt, daß er sich von Schmerz überwältigt ins Meer stürzte. Man fand seinen Leichnam in der Nähe der Stadt Akká ans Land gespült.

Mit der Niederschrift seiner Chronik begann er 1888 unter dem persönlichen Beistand von Mírzá Músá, einem Bruder Bahá'u'lláhs. Nach etwa eineinhalb Jahren war sie abgeschlossen. Teile des Manuskripts wurden von Bahá'u'lláh, andere von Abdu'l-Bahá überprüft und gutgeheißen.

Das Gesamtwerk umfaßt die Geschichte der Bewegung bis zum Hinscheiden Bahá'u'lláhs im Jahre 1892. Die vorliegende Ausgabe enthält die erste Hälfte dieses Berichts, die mit der Verbannung Bahá'u'lláhs aus Persien abschließt. Die Bedeutung des Berichts ist offenkundig. Er will weniger wegen der spannenden Abschnitte seiner Handlung gelesen werden oder wegen seiner vielen Bilder von Heldenmut und unwandelbarem Glauben, sondern vielmehr wegen der bleibenden Bedeutsamkeit dieses Geschehens, von dem er so einzigartig Zeugnis gibt.





#27

BAHA'U'LLAHS HULDIGUNG AN DEN BAB UND SEINE HÖCHSTEN JÜNGER
Aus dem »Buch der Gewißheit« (S.257-264)


Obgleich Er selbst jung und empfindsam und die heilige Sache, die Er offenbarte, allen Völkern der Erde zuwider war - seien sie hoch oder niedrig, reich oder arm, erhaben oder gering, König oder Untertan -, so stand Er doch auf und verkündete sie mit Standhaftigkeit. Alle haben dies erkannt und gehört. Er fürchtete niemanden und achtete nicht der Folgen. Ist so etwas möglich ohne die Kraft einer göttlichen Offenbarung, ohne das Walten von Gottes unbesiegbarem Willen? Bei der Gerechtigkeit Gottes! Sollte jemand in seinem Herzen den Anspruch auf eine so große Offenbarung hegen, so würde ihn allein der Gedanke daran alsbald mit Bestürzung erfüllen! Selbst wenn sich die Herzen aller Menschen in seinem Herzen vereinten, würde er vor einem so ehrfurchtgebietenden Unterfangen zurückschrecken. Nur mit Gottes Erlaubnis könnte er es vollbringen, und nur, wenn das Gefäß seines Herzens mit dem Quell göttlicher Gnade verbunden, seine Seele des unfehlbaren Beistandes des Allmächtigen versichert wäre. Wem, so fragen Wir staunend, schreiben sie ein so großes Wagnis zu? Klagen sie Ihn der Narrheit an, wie sie es mit den Propheten von ehedem taten? Oder behaupten sie, Sein Motiv sei einzig das Trachten nach Führerschaft und der Erwerb irdischen Reichtums? (2:156)

Gnädiger Gott! In Seinem Buch, das Er »Qayyúmu'l-Asmá« nannte, dem ersten, größten, mächtigsten aller Bücher, hat Er Sein eigenes Martyrium geweissagt. Dort finden wir folgende Stelle: »O Du Spur Gottes! Dir habe mich gänzlich geopfert; um Deinetwillen ertrage ich die Flüche und auf dem Pfad Deiner Liebe sehne ich mich nach dem Martyrium. Gott, der Erhabene, der Beschützer, der Altehrwürdige der Tage, genügt mir als Zeuge!« (2:157)

Sieh, wie dieser Sadrih des Ridváns Gottes sich in der Blüte der Jugend erhob, Gottes Sache zu verkünden, und welche Standhaftigkeit diese Schönheit Gottes dabei an den Tag gelegt hat. Die ganze Welt stellte sich Ihm in den Weg und ist damit völlig gescheitert. Je schwerer die Verfolgungen waren, mit denen sie diesen Sadrih der Seligkeit heimsuchten, desto mehr wuchs Sein Eifer, um so strahlender brannte die Flamme Seiner Liebe. All dies ist offensichtlich, und niemand bestreitet diese Wahrheit. Am Ende gab Er Sein Leben hin und nahm Seinen Flug zu den Reichen der Höhe. (2:161)

... Kaum hatte sich diese ewige Schönheit in Shíráz im Jahre sechzig offenbart und den Schleier der Verborgenheit zerrissen, als schon die Zeichen der überlegenen Macht, der Souveränität und Kraft aus diesem Inbegriff allen Seins, diesem Meer der Meere hervorstrahlten und in allen Landen offenkundig wurden - in einem Maße, daß in allen Städten die Zeichen, Beweise, Merkmale und Zeugnisse dieser göttlichen Leuchte zutage traten. Wie viele reine, gütige Herzen spiegelten gläubig das Licht dieser ewigen Sonne, und wie mannigfaltig waren die Erkenntnisse, die sich aus diesem Weltmeer göttlicher Weisheit auf alle Wesen ergossen! In allen Städten erhoben sich die Geistlichen und Würdenträger, um sich ihnen in den Weg zu stellen und ihnen Einhalt zu gebieten; sie rüsteten sich mit Bosheit, Neid und Tyrannei zu ihrer Unterdrückung. Wie groß war die Zahl der heiligen Seelen, der reinen Wesen der Gerechtigkeit, die, der Gewaltherrschaft bezichtigt, getötet wurden. Und wie viele Verkörperungen der Reinheit, die nichts als wahres Wissen und makellose Taten zeigten, haben einen qualvollen Tod erlitten! Und dennoch hauchte ein jedes dieser heiligen Wesen bis zum letzten Atemzug den Namen Gottes und erhob sich in das Reich der Ergebung und Entsagung. So groß war die Wirkkraft und sein verwandelnder Einfluß auf sie, daß sie keinen Wunsch mehr hegten als Seinen Willen, und ihre Seele Seinem Gedenken vermählten. (2:162)

Denke nach: Wer in dieser Welt ist imstande, eine so überlegene Macht, einen so durchdringenden Einfluß an den Tag zu legen? Alle diese makellosen Herzen und geheiligten Seelen haben in völliger Entsagung dem Ruf Seines Ratschlusses geantwortet. Statt zu klagen, dankten sie Gott, und inmitten der Finsternis ihrer Qual zeigten sie nur strahlende Ergebung in Seinen Willen. Es ist offenkundig, wie unbarmherzig der Haß, wie bitter die Bosheit und Feindschaft waren, die alle Völker auf Erden gegen diese Gefährten hegten. Was man diesen heiligen, geistigen Wesen an Verfolgung und Pein antat, betrachteten sie selbst als einen Weg zu Erlösung, Wohlergehen und ewigem Glück. Hat die Welt seit Adams Tagen je solchen Aufruhr, solch heftige Erregung gesehen? Zu all der Folter, die sie ertrugen, der vielerlei Trübsal, die sie erduldeten, wurden sie überall geschmäht und verflucht. Mich dünkt, Geduld ward nur durch ihre Seelenstärke offenbart, Glaubenstreue nur durch ihre Taten bezeugt. (2:163)

Denke in deinem Herzen tief nach über dieses gewaltige Geschehen, auf daß du die Größe dieser Offenbarung erfassest und ihre überwältigende Herrlichkeit verstehst. (2:164)



#30 : Stammtafel des Báb - not implemented in this file
#32 (Bildlegende - Muhammad-i-Zarandí, genannt Nabíl-i-A'zam)





VORWORT

Mit der Hilfe und dem Beistand Gottes will ich die einleitenden Seiten dieses Berichtes den Erzählungen widmen, die ich über Shaykh Ahmad-i-Ahsá'í und Siyyid Kázim-i-Rashtí, jene großen Zwillingsleuchten, aufzeichnen konnte. Sodann hoffe ich, in zeitlicher Reihenfolge die Hauptgeschehnisse wiederzugeben, die sich seit dem Jahre 60¹ bis zum gegenwärtigen Jahr 1305 d.H.² zugetragen haben; das Jahr 60 war bekanntlich Zeuge der Glaubenserklärung des Báb.

¹ 1260 d.H. (1844 A.D.) ² 1887-8 A.D.


Bei manchen Gelegenheiten werde ich etwas weiter ausholen, bei anderen will ich mich mit einer kurzen Zusammenfassung der Ereignisse begnügen. Insgesamt will ich diejenigen Episoden beschreiben, deren Zeuge ich selbst gewesen bin, sowie diejenigen, die mir von vertrauenswürdigen und anerkannten Persönlichkeiten berichtet worden sind, wobei ich jeweils deren Namen und Ruf angeben werde. Besonderen Dank schulde ich:

Mírzá Ahmad-i-Qazvíní, dem Sekretär des Báb

Siyyid Ismá'íl-i-Dhabíh

Shaykh Hasan-i-Zunúzí

Shaykh Abú-Turáb-i-Qazvíní

und nicht zuletzt

Mírzá Músá, Aqáy-i-Kalím, dem Bruder Bahá'u'lláhs.

Ich danke Gott, daß Er mich bei der Abfassung dieser einleitenden Seiten unterstützt und diese mit der Zustimmung Bahá'u'lláhs gesegnet hat, der gnädig geruhte, ihnen Seine Aufmerksamkeit zuzuwenden und durch Seinen Sekretär, Mírzá Aqá Ján, welcher sie Ihm vorlas, Sein Wohlgefallen und Sein Einverständnis kundzutun. Mein Gebet ist, daß der Allmächtige mich stütze und führe, damit ich bei der Aufgabe, die ich zu erfüllen trachte, nicht irre und stocke.

Akká, Palästina, 1305 d.H. Muhammad-i-Zarandí¹


¹ Sein voller Ehrenname lautet Nabíl-i-A'zam









#34 (Bildlegende - Shaykh Ahmad-i-Ahsá'í)

NABILS BERICHT
Erstes Kapitel
DIE SENDUNG DES SHAYKH AHMAD-I-AHSA'I

+1:1 #35

Zu einer Zeit, da das Licht von Muhammads Glauben verdunkelt war durch die Unwissenheit, den Fanatismus und den Eigensinn streitender Sekten, erschien am östlichen Horizont¹ ein leuchtender Stern göttlicher Führung, Shaykh Ahmad-i-Ahsá'í.² Er sah, wie die Bekenner des Islám die Einheit des Glaubens erschüttert, seine Kraft geschwächt, seinen Sinn entstellt und seinen heiligen Namen geschändet hatten. Seine Seele war von Angst und Sorge erfüllt beim Anblick der Korruption und des Haders, der bei der Shí'áh-Sekte im Islám herrschte. Erleuchtet von dem Licht, das in ihm schien,³ stand er auf und erhob zielbewußt mit unbeirrbarem Seherblick und in äußerster Loslösung Protest wider den Verrat, den diese Unwürdigen an ihrem Glauben begingen. Voll glühenden Eifers und im Bewußtsein der Erhabenheit seiner Berufung rief er nicht nur die Anhänger des shí'itischen Islám, sondern alle muhammadanischen Gläubigen im ganzen Osten leidenschaftlich dazu auf, aus dem Schlummer ihrer Nachlässigkeit aufzuwachen und Ihm den Weg zu bereiten, Ihm, der zur erfüllten Zeit mit Sicherheit offenbar werde und dessen Licht allein die Nebel der Vorurteile und der Unwissenheit, die den Glauben verhüllen, zerstreuen könne. Dem Auftrag einer allmächtigen Vorsehung folgend, ließ er Heim und Familie auf einer der Bahrayn-Inseln im Süden des Persischen Golfes zurück und machte sich auf, die Geheimnisse jener Verse in den Islámischen Schriften zu enthüllen, die das Kommen einer neuen Manifestation voraussagten. Er war sich der Nöte und Gefahren seines Weges wohl bewußt und erkannte auch voll und ganz die überwältigende Verantwortung seiner Aufgabe. In seiner Seele brannte die Überzeugung, daß eine Wiedergenesung dieses verderbten Volkes nicht durch Reformen innerhalb des Islám, und seien sie noch so tiefgreifend, bewirkt werden könne.

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¹ Geboren im Monat Rajab 1166 d.H. (24. April bis 24. Mai 1753) in der Stadt Ahsá im Bezirk Ahsá, im Nordosten der Arabischen Halbinsel. (A.L.M.Nicolas, Essai Sur le Shaykhisme, I,S.1)

² Nach Auskunft seines Sohnes, Shaykh Abdu'lláh, ist sein Stammbaum `Shaykh Ahmad-ibn-i-Zaynu'd-Dín-ibn-i-Ibráhím-ibn-i-Sakhr-ibn-i-Ibráhím-ibn-i-záhir-ibn-i-Ramadán-ibn-i-Rashíd-ibn-i-Dahím-ibn-i-Shimrúkh-ibn-i-Súlih.` (A.L.M.Nicolas, Essai Sur le Shaykhisme, I,S.1) Er wurde als Shí'ite geboren, obwohl seine Vorfahren Sunniten waren (ebda.S. 2) Nach Angaben in `A Traweller's Narratiwe` (Anm.E,S.235), wurde Shaykh Ahmad im Jahr 1157 d.H. geboren und starb im Jahr 1242

³ Siyyid Kázím schreibt in seinem Buch `Dalílu'l-Mutahayyirín`: "Eines Nachts sah unser Meister den Imám Hasan - der Segen Gottes ruhe auf ihm! Seine heiligkeit legte ihm seine gesegnete Zunge in den Mund. Von dem verehrungswürdigen Speichel Seiner Heiligkeit erhielt er das Wissen und die Hilfe Gottes. Sein Geschmack war zuckersüß, süßer als Honig, wohlriechender als Moschus; ja er war warm. Als er wieder zu sich kam und aus seinem Traum erwachte, erstrahlte aus seinem Inneren das Licht der Gottesfurcht; seine Seele war ganz erfüllt von den Segnungen Gottes und losgelöst von allem außer Gott. Sein Glaube und sein Vertrauen zu Gott wuchsen in gleichem Maße wie seine Hingabe an den Willen des Allerhöchsten. Die Liebe in seinem Herzen war so groß, sein Wunsch so brennend, daß er Essen und Kleidung vergaß und in äußerster Bedürfnislosigkeit lebte." (A.L.M. Nicolas, Essai Sur le Shaykhisme, I.S.6)

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+1:2 #36

Er wußte, und dies sollte er nach Gottes Willen aufzeigen, daß nichts anderes als eine unabhängige Offenbarung, wie sie in den Heiligen Schriften des Islám bezeugt und vorausgesagt wird, das Schicksal eines so entarteten Glaubens neu beleben und seine Reinheit wiederherstellen könne¹.

¹ "Er (Shaykh Ahmad) wußte sehr gut, daß er von Gott auserwählt war, die Herzen der Menschen für die Erkenntnis der vollkommeneren Wahrheit vorzubereiten, die in Kürze offenbart werden sollte. Durch ihn wurde der Zugang zu dem verborgenen zwölften Imám Mihdí eröffnet. Er äußerte sich jedoch nicht in klaren und unmißverständlichen Worten, damit die `Nicht-Wiedergeborenen` sich nicht gegen ihn stellen und ihn vernichten würden." (Dr.T.K.Cheyne, The Reconciliation of Races und Religions, p.15)



+1:3 #37 (Bildlegende - Stadt Najaf)

Aller irdischen Güter beraubt, losgelöst von allem außer Gott, machte er sich zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts der Hedschra im Alter von vierzig Jahren auf, um den Rest seines Lebens der Aufgabe zu widmen, der er sich verpflichtet fühlte. Er wandte sich zunächst nach Najaf und Karbilá¹, wo er sich innerhalb weniger Jahre mit den vorherrschenden Meinungen und Maßstäben unter den Gebildeten des Islám vertraut machte. Er wurde dort schließlich als einer der autorisierten Ausleger der Heiligen Schriften des Islám anerkannt. Man nannte ihn einen Mujtahid, und allmählich wurde er seinen Kollegen, die in diesen heiligen Städten wohnten oder dort zu Gast waren, überlegen. Sie betrachteten ihn bald als einen in die Geheimnisse göttlicher Offenbarung Eingeweihten und befähigt, Licht zu bringen in unklare Äußerungen von Muhammad und den Imámen des Glaubens. Und wie sein Ansehen wuchs und der Kreis seines Einflusses sich weitete, sah er sich von allen Seiten von einer ständig wachsenden Menge ergebener Fragesteller bestürmt, die um Erklärung besonders schwieriger Schriftstellen baten; und allen vermochte er geschickt und erschöpfend zu antworten. Sein Wissen und seine Kühnheit erschreckten die Herzen von Súfís, Neuplatonikern und anderen Anhängern derartiger Gedankenrichtungen², die ihn um sein Wissen beneideten und seine Härte fürchteten. Um so mehr stieg er andererseits in der Gunst jener Gelehrten, welche diese Sekten als Brutstätten obskurer und ketzerischer Lehren betrachteten. Und doch lehnte er trotz seines großen Ruhmes und der allgemeinen Hochachtung alle Ehrungen ab, mit denen seine Bewunderer ihn überhäuften. Er wunderte sich über ihre sklavische Ehrfurcht vor Rang und Würden und weigerte sich entschieden, sich mit ihren Zielen und Wünschen gemein zu machen.

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¹ Karbilá liegt etwa 55 Meilen südwestlich von Baghdád am Ufer des Euphrat... Das Grab von Husayn in der Stadtmitte und das seines Bruders Abbás im südöstlichen Stadtteil sind die wichtigsten Gebäude. (C.R.Markham, A General Sketch of the History of Persia, p.486). Najaf wird von den Schí'iten verehrt, weil dort das Grab des Imám Alí ist.

² Die hauptsächlichen Besonderheiten der Lehre Shaykh Ahmads waren scheinbar folgende:

Er erklärte, daß alles Wissen und alle Wissenschaften im Qur'án enthalten seien. Um daher seine inneren Bedeutungen in ihrer Tiefe zu verstehen, müsse ein Wissen über ihn erlangt werden. Diesen Lehrsatz pflegte er mittels mystischer Methoden der Auslegung am heiligen Text zu begründen, und er bemühte sich, mit den verschiedenen Wissenschaften der muslimischen Welt vertraut zu werden. Er brachte den Imámen eine außerordentlich tiefe Verehrung entgegen, besonders dem Imám Ja'far-i-Sádiq, dem sechsten in derNachfolge, dessen Worte er oft zitierte ... Über das Leben nach dem Tode und und über die Auferstehung des Leibes hatte er Ansichten, die allgemein als irrgläubig galten, wie oben bereits erwähnt. Er erklärte, daß der Körper des Menschen aus verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzt sei, die von den vier Elementen und den neun Himmeln stammten, und daß der Körper, der auferstehe, nur aus den himmlischen Bestandteilen bestehe, da die ersteren beim Tod zu ihrem Ursprung zurückkehrten. Den feinen Körper, der allein der Zerstörung entgeht, nannte er Jism-i-Húriqlíyá, ein Wort, das wahrscheinlich aus dem Griechischen stammt. Er erklärte, daß dieser Körper potentiell in unserem Körper vorhanden sei `wie Glas in Stein`. In diesem Sinne erklärte er, daß bei der nächtlichen Himmelfahrt des Propheten es dieser, und nicht der materielle Körper gewesen sei, der die Reise antrat. Wegen dieser Lehren hielt ihn die Mehrzahl der Ulamás für nicht rechtgläubig und beschuldigte ihn, an den Lehren Mullá Sadrás, des größten persischen Philosophen der Moderne, festzuhalten. (Journal of the Royal Asiatic Society, 1889, Artikel 12, p.890/91)

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+1:4 #38

Nachdem er in diesen beiden Städten sein Ziel erreicht hatte, fühlte er in seinem Herzen ein unwiderstehliches Sehnen, nach Persien zu eilen, dem Land, von dem ihm ein so herrlicher Duft entgegenwehte. Vor seinen Freunden verheimlichte er jedoch den wahren Grund, der ihn zwang, seine Schritte nach diesem Land zu lenken. Über den Persischen Golf eilte er zum Land seiner Sehnsucht; er gab an, er wolle das Grab des Imám Ridá in Mashhad¹ besuchen. Es verlangte ihn danach, seine Seele zu erleichtern, und er suchte begierig nach Menschen, denen er das Geheimnis anvertrauen konnte, das er bis jetzt noch niemandem enthüllt hatte. Nach seiner Ankunft in Shíráz, der Stadt, die den verborgenen Schatz Gottes barg, und von der aus die Stimme des Herolds der neuen Manifestation ertönen sollte, begab er sich zur Masjid-i-Jum'ih, einer Moschee, die in Stil und Form eine auffallende Ähnlichikeit mit dem heiligen Schrein von Mekka hatte. Gar manchmal sprach er, wenn er auf dieses Gebäude blickte: "Wahrlich, dieses Gotteshaus weist Zeichen auf, die nur jene wahrnehmen können, denen Einsicht verliehen wurde. Mich dünkt, wer dieses Haus entworfen und erbaut hat, war von Gott inspiriert".² Wie oft und wie leidenschaftlich hat er diese Stadt gepriesen! Er hat sie derart verherrlicht, daß seine Zuhörer, die ihre Mittelmäßigkeit nur allzu gut kannten, über den Ton seiner Sprache höchst erstaunt waren. "Wundert euch nicht", sagte er zu den Überraschten, "denn binnen kurzem wird euch das Geheimnis meiner Worte offenbar werden. Einige sind unter euch, denen es beschieden sein wird, die Herrlichkeit eines Tages zu schauen, den zu erleben die Propheten von einst sich gesehnt haben." In den Augen der Ulamás, die zu geistigen Gesprächen mit ihm zusammentrafen, war sein Ansehen so groß, daß sie ohne weiteres ihre Unfähigkeit zugaben, den Sinn seiner geheimnisvollen Andeutungen zu erfassen, und sie schrieben ihr Versagen ihrem mangelnden Verständnis zu.

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¹ Im 9.Jh. wurden die sterblichen überreste des Imám Ridá, Sohn des Imám Músá und achter der zwölf Imáme, in Mashhad beigesetzt.

² »Im Lande Fá (Fars) steht eine Moschee, in deren Mitte sich ein ähnliches Bauwerk erhebt wie die Ka'bih (Masjid-i-Jumih). Die Errichtung dieses Gebäudes in diesem Land bezweckte nichts anderes, als hinzuweisen auf den willen Gottes vor seiner Offenbarung (Anspielung auf das neue Mekka, d.h. auf das Haus des Báb in Shiráz). Glücklich jener, der Gott in diesem Land anbetet, wahrlieh, auch wir haben an diesem Ort zu Gott gebetet und dort für jenen gebetet, der diesen Bau errichtet hat.« (Le Bayán Persan, Band 2, p.151)

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+1:5 #39 (Bildlegende - Fath-Alí Shah und seine Söhne)

Nachdem Shaykh Ahmad die Saat göttlicher Erkenntnis in die Herzen empfänglicher Menschen gesät hatte, wandte er sich nach Yazd, wo er sich einige Zeit aufhielt. Unermüdlich verbreitete er die Wahrheiten, die zu verkünden er sich gedrängt fühlte. Die meisten seiner Bücher¹ schrieb er in dieser Stadt. Er gelangte zu so großem Ruhm², daß Fath-Alí Sháh, der Herrscher Persiens, sich veranlaßt sah, ihm von Tihrán aus eine schriftliche Botschaft³ zu senden und ihn zu ersuchen, gewisse spezielle Fragen zu erklären, die sich auf unklare Lehrsätze innerhalb des muslimischen Glaubens bezogen und deren Sinn die führenden Ulamás nicht ergründen konnten. Hierauf antwortete er unverzüglich in einem ausführlichen Schreiben, das er `Risáliy-i-Sultáníyyih` nannte. Der Sháh war so angetan vom Stil und Inhalt dieses Schreibens, daß er ihm sofort eine weitere Botschaft sandte und ihn an seinen Hof einlud. Auf diesen zweiten kaiserlichen Brief antwortete Shaykh Ahmad folgendes: "Schon seit meiner Abreise von Najaf und Karbilá ist es meine Absicht gewesen, den Schrein des Imám Ridá in Mashhad zu besuchen und ihm meine Ehrerbietung zu erweisen, ich hoffe zuversichtlich, daß Eure Kaiserliche Majestät mir gnädigst gestatten wolle, mein Gelübde zu erfüllen. Später, so Gott will, hoffe und beabsichtige ich, von der Ehre Gebrauch machen zu können, deren Eure Majestät mich zu würdigen geruht hat."

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¹ A.L.M.Nicolas gibt im 5. Kapitel seines Buches `Essai Sur le Shaykhisme` eine Aufstellung von nicht weniger als 96 Bänden, die das gesamte literarische Schaffen dieses fruchtbaren Schriftstellers umfassen. Die wichtigsten darunter sind folgende:

1. Kommentar zu Zíyáratu'l Jámi'atu'l-Kabírih von Shaykh Hádí

2. Kommentar zum Vers "Qu'l Huválláh-u-Ahad"

3. Risáliy-i-Kháqáníyyih, als Antwort auf die Frage von Fath-Alí Sháh bezüglieh der Vorrangstellung des Qá'im gegenüber seinen Vorfahren

4. über Träume

5. Antwort an Shaykh Músáy-i-Bahrayní bezüglieh der Stellung und Ansprüche des Sáhibu'z-Zamán

6. Antwort an die Súfís

7. Antwort an Mullá Mihdíy-i-Astirábádí über das Wissen von der Seele

8. über Freude und Leid des zukünftigen Lebens

9. Antwort an Mullá Alí-Akbar über den besten Weg der Gotteserkenntnis

10. Über die Auferstehung

11. Sharhu'z-Zíyárih (von Nabíl als wohlbekannt erwähnt auf S.48)


² Die Nachricht von seiner Ankunft erregte großes Aufsehen, und einige der berühmtesten Ulamás empfingen ihn mit großer Ehrerbietung. Sie erwiesen ihm, wie auch die Bewohner der Stadt, große Achtung. Alle Ulamás besuchten ihn. Man erkannte in ihm den gelehrtesten der Gelehrten. (A.L.M.Nicolas, Essai Sur le Shaykhisme, p.18)

³ In seinem Buch `Essai Sur le Shaykhisme (p.19-20) bezieht sich A.L.M.Nicolas auf einen zweiten Brief des Sháh an Shaykh Ahmad: "Der Sháh war bereits unterrichtet und schrieb ihm nochmals; er teilte ihm mit, daß es zweifellos seine Aufgabe als König sei, sich aufzumachen, um die berühmte und heilige Persönlichkeit in Yazd zu besuchen, deren Füße das Land segnen, das sie betreten. Aber aus hochpolitischen Gründen größter Bedeutung könne er zu diesem Zeitpunkt die Hauptstadt nicht verlassen. Außerdem wäre es im Falle einer Verlegung seiner Residenz notwendig, ein Korps von mindestens zehntausend Mann mit sich zu führen, da aber die Stadt Yazd zu klein und ihre Felder zu karg seien um einen solchen Bevölkerungszuwachs zu ertragen, werde die Ankunft solch großer Truppen sicher eine Hungersnot herbeiführen. Sie würden ein solches Unglück nicht wünschen, dessen bin ich sicher, und ich glaube, daß Sie, obwohl ich Ihnen gegenüber ein Geringerer sein mag, zustimmen werden, trotz alledem zu mir zu kommen."

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+1:6 #41 (Bildlegende - Fath-Alí Shah)

Unter denen, die in Yazd durch die Botschaft dieser Fackel göttlichen Lichtes erweckt wurden, war Hájí Abdu'l-Vahháb, ein sehr frommer, aufrechter und gottesfürchtiger Mann. Täglich besuchte er Shaykh Ahmad, gemeinsam mit Mullá Abdu'l-Kháliq-i-Yazdí, einem Mann, der wegen seiner Gelehrsamkeit und seines Ansehens bekannt war. Zuweilen geschah es jedoch, daß Shaykh Ahmad den Gelehrten Abdu'l-Kháliq zu dessen größtem Erstaunen bat, sich zurückzuziehen, um ihn mit seinem erwählten Lieblingsschüler zu einem vertrauten Gespräch allein zu lassen. Diese betonte Bevorzugung, die er einem so bescheidenen und ungelehrten Mann wie Abdu'l-Vahháb zuteil werden ließ, versetzte dessen Gefährten, der sich seiner eigenen Überlegenheit und Kenntnisse nur allzu gut bewußt war, in größte Verwunderung. Später jedoch, als Shaykh Ahmad Yazd verlassen hatte, zog Abdu'l-Vahháb sich ganz von jeglichem Umgang mit den Menschen zurück und kam schließlich in den Ruf, ein Súfí zu sein. Aber die orthodoxen Führer dieser Gemeinschaft, wie Ni'matu'lláhí und Dhahabí, stellten ihn als Eindringling hin und unterschoben ihm die Absicht, er wolle sie ihrer Führerschaft berauben. Abdu'l-Vahháb, der sich zu der Súfí-Lehre nicht besonders hingezogen fühlte, verachtete sie um ihrer falschen Anschuldigungen willen und mied ihre Gesellschaft. Der einzige, an den er sich anschloß und den er zu seinem vertrauten Freund erwählt hatte, war Hájí Hasan-i-Náyiní. Ihm offenbarte er auch das Geheimnis, das sein Meister ihm anvertraut hatte. Als Abdu'l-Vahháb starb, folgte dieser Freund seinem Beispiel und ging den Weg weiter, den er ihm gewiesen hatte, und brachte jeder aufgeschlossenen und bereiten Seele die Botschaft, daß die Offenbarung Gottes nahe herbeigekommen sei.

+1:7 #42

Mírzá Mahmúd-i-Qamsarí, dem ich in Káshán begegnet bin und der damals ein Greis von über neunzig Jahren war, hoch geachtet und beliebt bei allen, die mit ihm in Berührung kamen, erzählte mir folgende Geschichte:

"Ich erinnere mich, daß ich in meiner Jugend, als ich noch in Káshán lebte, von einem bestimmten Mann in Náyin hörte, der sich aufgemacht hatte, die Botschaft von eincr neuen Offenbarung zu verkünden, und daß jeder, der ihn hörte, gleichviel ob Gelehrter, Regierungsbeamter oder ungebildeter Mensch aus dem Volk, seinem Zauber verfiel. So tiefgreifend war sein Einfluß, daß die, die mit ihm in Berührung kamen, der Welt entsagten und ihre Schätze verachteten. Ich war neugierig und wollte der Sache auf den Grund gehen; und so machte ich mich ohne Wissen meiner Freunde auf den Weg nach Náyin und konnte dort die Wahrheit der Behauptungen, die über ihn in Umlauf waren, feststellen. Sein strahlendes Antlitz kündete von dem Licht, das in seiner Seele entzündet war. Eines Tages hörte ich, wie er nach seinem Morgengebet die Worte sprach:

»Binnen kurzem wird die Erde in ein Paradies verwandelt werden. Binnen kurzem wird Persien zu einem Schrein werden, um den die Völker der Erde sich versammeln.«

Eines Morgens traf ich ihn zur Zeit der Dämmerung an, wie er auf sein Gesicht niedergefallen war und in tiefster Demut immer wieder die Worte wiederholte: `Alláh-u-Akbar` (Gott ist der Größte). Zu meiner größten überraschung wandte er sich mir zu und sprach:

»Was ich dir angekündigt habe, ist nun offenbar geworden. Zu eben dieser Stunde ist das Licht des Verheißenen aufgegangen und verbreitet Erleuchtung über die Welt. O Mahmúd, wahrlich, ich sage dir, du wirst leben, um jenen Tag der Tage zu sehen.«

Die Worte dieses heiligen Mannes klangen in meinen Ohren nach bis zu dem Tag, da mir im Jahr 60 die Gnade widerfuhr, den Ruf zu hören, der sich aus Shíráz erhob. Meine Gebrechlichkeit machte es mir leider unmöglich, in diese Stadt zu eilen. Später, als der Báb, der Herold der neuen Offenbarung, nach Káshán kam und drei Nächte als Gast im Hause von Hájí Mírzá Jání weilte, erfuhr ich leider nichts von Seinem Besuch, und so blieb mir die Ehre versagt, Ihn persönlich zu sehen. Einige Zeit danach erfuhr ich im Gespräch mit Anhängern des Glaubens, daß der Geburtstag des Báb auf den ersten Tag des Monats Muharram des Jahres 1235 d.H. (20. Oktober 1819 A.D.) fiel. Mir war gleich bewußt, daß der Tag, auf den Hájí Hasan-i-Náyiní hingewiesen hatte, nicht mit diesem Datum übereinstimmte, sondern daß eine Differenz von zwei Jahren bestand. Dies verwirrte mich sehr. Lange Zeit danach traf ich jedoch einen gewissen Hájí Mírzá Kamálu'd-Dín-i-Naráqí, der mir die Kunde von der Offenbarung von Bahá'u'lláh in Baghdád brachte und mir mehrere Verse aus dem »Qasídiy-i-Varqá'íyyih« vortrug, sowie gewisse Abschnitte aus den Persischen und Arabischen »Verborgenen Worten«. Ich war bis in die Tiefen meiner Seele bewegt, als ich ihn diese heiligen Worte sprechen hörte. Besonders lebhaft ist mir das folgende in der Erinnerung: »O Sohn des Seins! Dein Herz ist Meine Wohnstatt; heilige es für Mein Kommen. Dein Geist ist der Ort Meines Erscheinens; läutere ihn für Meine Offenbarung... O Sohn der Erde! Wenn du Mich begehrst, so suche niemanden außer Mir. Wenn du Meine Schönheit schauen möchtest, schließe deine Augen vor der Welt und allem, was in ihr ist. Denn Mein Wille und der Wille eines anderen sind wie Feuer und Wasser und können nicht im selben Herzen wohnen« (Verborgene Worte, ar.59, pers. 31). Ich fragte ihn nach dem Datum der Geburt von Bahá'u'lláh. Er antwortete: `In der Morgenfrühe des zweiten Tages von Muharram im Jahre 1233 d.H.` (12. November 1817 A.D.) Ich erinnerte mich sofort der Worte von Hájí Hasan und rief mir den Tag ins Gedächtnis zurück, an dem er sie sprach. Überwältigt fiel ich nieder und rief aus: `Gepriesen seiest Du, o mein Gott, daß Du mich diesen verheißenen Tag hast erleben lassen! Wenn Du mich nun zu Dir rufst, so sterbe ich zufrieden und gewiß.`"

Im gleichen Jahre 1274 (1857/58 A.D.) ging der Geist dieses verehrungswürdigen und strahlenden Menschen heim zu Gott.


+1:8 #44

Diese Erzählung, die ich aus dem Munde von Mírzá Mahmúd-i-Qamsarí selbst vernommen habe, und die noch jetzt unter dem Volk in Umlauf ist, ist gewiß ein zwingender Beweis für den Scharfblick des verstorbenen Shaykh Ahmad-i-Ahsá'í und legt ein beredtes Zeugnis ab für den Einfluß, den er auf seine nächsten Anhänger ausübte. Die Verheißung, die er ihnen gegeben hatte, war buchstäblich erfüllt, und das Geheimnis, durch das er ihre Seelen entflammte, war in seiner ganzen Herrlichkeit enthüllt.

+1:9

Zur gleichen Zeit, da Shaykh Ahmad sich anschickte, Yazd zu verlassen, verließ Siyyid Kázim-i-Rashtí¹, jenes andere Licht göttlicher Führung, seine Heimatprovinz Gílán, um Shaykh Ahmad zu besuchen, bevor dieser seine Pilgerfahrt nach Khurásán antrat. Im Verlauf ihres ersten Beisammenseins sprach Shaykh Ahmad folgende Worte zu ihm: "Sei mir willkommen, mein Freund! Wie lange und wie sehnsüchtig habe ich gewartet, daß du kommst und mich von diesen dünkelhaften und eigensinnigen Leuten befreist! Ich bin bedrückt über ihre Unverschämtheiten und ihren verdorbenen Charakter. `Wahrlich, Wir haben den Himmeln, der Erde und den Bergen das göttliche Gnadengeschenk angeboten. Aber sie wiesen die Bürde zurück und weigerten sich, sie anzunehmen. Der Mensch war bereit, sie zu tragen; aber er hat sich wahrlich als ungerecht und unwissend erwiesen.`"

¹ Siyyid Kázim entstammte einer hochangesehenen Kaufmannsfamilie. Sein Vater war Aqá Siyyid Qásim. Im Alter von zwölf Jahren lebte er in Ardibíl in der Nähe des Grabes von Shaykh Safí'u'd-Dín Isháq, dem Abkömmling des siebten Imám Músá Kázim, und Vorfahren der Safaví-Könige. Eines Nachts erschien ihm im Traum einer der erlauchten Ahnen des Heiligen und bedeutete ihm, er möge sich unter die geistige Führung von Shaykh Ahmad-i-Ahsá'í stellen, welcher damals in Yazd wohnte. Er gehorchte und begab sich dorthin, reihte sich unter die Schüler von Shaykh Ahmad ein und zeichnete sich in dessen Lehren so aus, daß er nach Shaykh Ahmads Tod einmütig als Leiter der Shaykhi-Schule anerkannt wurde. (A Traweller's Narrative, Anmerkung E p.238)


+1:10 #45

Dieser Siyyid Kázim hatte schon in früher Kindheit bemerkenswerte Intelligenz und geistige Einsicht gezeigt. Er stand einzigartig da unter seinen Alters- und Standesgenossen. Mit elf Jahren hatte er den ganzen Qur'án auswendig gelernt. Mit vierzehn Jahren wußte er eine erstaunliche Zahl von Gebeten und anerkannten Überlieferungen Muhammads auswendig. Mit achtzehn Jahren hatte er eine Abhandlung über einen Qur'án-Vers verfaßt, die unter dem Namen `Ayatu'l-Kursí` bekannt wurde und bei den gelehrtesten Männern seiner Zeit Staunen und Bewunderung hervorrief. Seine Frömmigkeit, die Vornehmheit seines Charakters und seine Bescheidenheit machten auf alle, die ihn kannten, ob jung oder alt, einen tiefen Eindruck.

+1:11

Im Jahr 1231 d.H. (1815/16 A.D.) nahm er im Alter von zweiundzwanzig Jahren Abschied von seiner Heimat, seiner Familie und seinen Freunden und verließ Gílán; er wollte in die Gegenwart jenes edlen Mannes gelangen, der sich erhoben hatte, das Nahen einer göttlichen Offenbarung zu verkünden. Er war erst wenige Wochen bei Shaykh Abmad, als dieser sich eines Tages ihm zuwandte und diese Worte zu ihm sprach:

»Bleib in deinem Hause und komme nicht mehr zu meinem Unterricht. Jene meiner Schüler, die sich darüber wundern, werden sich von nun an an dich wenden; sie werden versuchen, unmittelbar von dir die Hilfe zu erlangen, derer sie bedürfen. Du wirst durch das Wissen, das der Herr, dein Gott, dir verliehen hat, ihre Probleme lösen und ihren Herzen Ruhe bringen. Durch die Kraft deiner Worte wirst du dazu beitragen, den so schwer darniederliegenden Glauben Muhammads, deines erlauchten Vorfahren, neu zu beleben.«

Diese zu Siyyid Kázim gesprochenen Worte erweckten den Groll und den Neid der prominenten Schüler von Shaykh Ahmad, unter welchen Mullá Muhammad-i-Mámáqání und Mullá Abdu'l-Kháliq-i-Yazdí hervorragten. Doch die Würde von Siyyid Kázim war so bezwingend und die Beweise seines Wissens und seiner Weisheit so offensichtlich, daß diese Schüler sich ehrfürchtig der Anordnung fügten.

+1:12

Nachdem Shaykh Abmad seine Schüler also der Obhut von Siyyid Kásim anvertraut hatte, begab er sich nach Khurásán. Dort verweilte er einige Zeit in unmittelbarer Nähe des Heiligen Schreines von Imám Ridá in Mashhad. In dieser Umgebung setzte er mit unvermindertem Eifer seine Bemühungen fort. Er löste die Schwierigkeiten, die die Herzen der Suchenden verwirrten, und fuhr fort, den Weg zu bereiten für das Kommen der neuen Manifestation. Hier, in dieser Stadt, wurde ihm mehr und mehr bewußt, daß der Tag, der die Geburt des Verheißenen bezeugen sollte, nicht mehr fern sein konnte. Er fühlte, daß die vorherbestimmte Stunde rasch näherkam. Von Núr in der Provinz Mázindarán her konnte er einen ersten Schimmer wahrnehmen, welcher das Heraufdämmern der verheißenen Sendung ankündigte. Für ihn stand deutlich die Offenbarung bevor, die in diesen überlieferten Worten angekündigt wird: "Binnen kurzem werdet ihr das Antlitz eures Herrn schauen, strahlend wie der Mond in seinem vollen Glanze. Und doch, ihr werdet euch nicht einig werden im Anerkennen Seiner Wahrheit und in der Annahme Seines Glaubens." Und: "Eines der mächtigsten Zeichen, die das Nahen der verheißenen Stunde ankündigen, ist dieses: Ein Weib wird den Einen gebären, der ihr Herr sein wird."


+1:13 #46 (Bildlegende - Mírzá Buzurg, Bahá'u'lláhs Vater)

Darum wandte Shaykh Ahmad seinen Blick nach NÚr und begab sich in Begleitung von Siyyid Kázim und einer Anzahl seiner besten Schüler nach Tihrán. Der SHáh von Persien erfuhr davon, daß Shaykh Ahmad sich seiner Hauptstadt näherte, und befahl den Würdenträgern und Beamten von Tihrán, ihm zum Empfang entgegenzugehen und wies sie an, an seiner Stelle einen herzlichen Willkommensgruß zu überbringen. Der hoch geehrte Gast und seine Gefährten wurden vom Sháh königlich bewirtet; dieser besuchte ihn persönlich und nannte ihn den `Ruhm seiner Nation` und die `Zierde seines Volkes`.¹

¹ Der Sháh fühlte, wie sein Wohlwollen und seine Achtung für den Shaykh von Tag zu Tag zunahmen. Er fühlte sich vcrpfichtet, ihm Gehorsam zu sein, und hätte es als Frevel empfunden, sich ihm zu widersetzen. Überdies traten zu dieser Zeit in Rayy mehrfach Erdbeben auf, und viele Häuser wurden zerstört. Der Sháh hatte einen Traum, daß, wenn Shaykh Ahmad nicht dort geweilt hätte, die ganze Stadt zerstört und ihre ganze Einwohnerschaft getötet worden wäre. Er wachte voller Entsetzen auf, und sein Glaube an den Shaykh verstärkte sich um so mehr. (A.L.M.Nicolas, Essai sur le Shaykhisme, I p.21)

+1:14

In jenen Tagen wurde in einer sehr alten und vornehmen Familie von Núr¹ ein Kind geboren. Sein Vater war Mírzá Abbás, bekannter unter dem Namen Mírzá Buzurg, ein wohlangesehener Minister der Krone. Dieses Kind war Bahá'u'lláh. Sein Name war Mírzá Husayn-Alí. Um die Stunde der Morgendämmerung, am zweiten Tage des Monats Muharram 1233 d.H. (12. November 1817 A.D.) erlebte die Welt, ohne dessen Bedeutung zu ahnen, die Geburt Dessen, Der sie mit so unermeßlichen Segnungen überschütten sollte. Shaykh Ahmad, der die glückliche Bedeutung dieses Ereignisses völlig erkannte, sehnte sich danach, die restlichen Tage seines Lebens in der Nähe dieses Göttlichen, dieses neugeborenen Königs zu verbringen. Aber es sollte nicht sein. Sein Durst blieb ungestillt, sein Sehnen unerfüllt. Er mußte sich Gottes unwiderruflichem Gebot fügen und sein Angesicht von der Stadt seines Geliebten abwenden. Er begab sich nach Kirmánsháh.

¹ Mírzá Abu'l-Fadl betont in seinen Schriften, daß die Abstammung von Bahá'u'lláh bis zu den alten Propheten Persiens wie auch bis zu den Königen, die vor der arabischen Invasion das Land regierten, zurückverfolgt werden kann.


+1:15

Der Gouverneur von KirmánSháh, Prinz Muhammad-Alí Mírzá, ältester Sohn des Sháh und fähigstes Mirglied seines Hauses, hatte seine Kaiserliche Majestät bereits um die Erlaubnis gebeten, Shaykh Ahmad persönlich bewirten und bedienen zu dürfen.¹ Der Prinz stand beim Sháh in so hoher Gunst, daß er ihm seine Bitte unverzüglich gewährte. Shaykh Ahmad nahm, seinem Schicksal völlig ergeben, Abschied von Tihrán. Bevor er die Stadt verließ, sandte er ein inniges Gebet zu Gott, daß dieser verborgene Schatz Gottes, der unter seinen Landsleuten geboren worden war, von ihnen behütet und gehegt werden möge, damit sie die volle Größe Seiner Begnadung und Herrlichkeit erkennen, und daß sie fähig würden, Seine Herrlichkeit allen Ländern und Völkern zu verkünden.

¹ Kirmánsháh erwartete ihn voll Ungeululd. Der Prinz, Gouverneur Muhammad-Alí-Mírzá, hatte die ganze Stadt zu seinem Empfang eingeladen, und man hatte Zelte errichtet, um ihn in Cháh-Qílán zu begrüßen. Der Prinz ging ihm bis Táj-Abád entgegen, das vier Farsakhs von der Stadt entfernt ist. (A.L.M. Nicolas, Essai sur le Shaykhisme, I, p.30)


+1:16 #48

Nach seiner Ankunft in Kirmánsháh beschloß Shaykh Ahmad, unter seinen Schülern einige der aufgeschlossensten auszuwählen und mit besonderer Sorgfalt zu unterrichten, damit sie fähig würden, aktive Träger der verheißenen Offenbarung zu werden. Mir einer Reihe von Büchern und Sendschreiben, die er nun verfaßte, darunter seinem wohlbekannten Werk `Sharhu'z-Zíyárih, pries er in klarer und anschaulicher Sprache die erhabenen Tugenden der Imáme des Glaubens und wies nachdrücklich auf die Andeutungen hin, die sie auf das Kommen des Verheißenen gemacht hatten. Mit seinen wiederholten Hinweisen auf Husayn meinte er keinen anderen als den Husayn, der noch geoffenbart werden sollte, und mit seinen Hinweisen auf den immer wiederkehrenden Namen Alí meinte er nicht den Alí, der erschlagen worden war, sondern den unlängst erst geborenen Alí. Fragte ihn jemand nach den Begleiterscheinungen, die das Kommen des Qá'im unerläßlich ankündigen müssen, so versicherte er nachdrücklich, daß die verheißene Sendung unausweichlich bevorstehe. Im selben Jahr, da der Báb geboren wurde, verlor Shaykh Ahmad seinen Sohn Shaykh Alí. Als seine Schüler diesen Verlust beklagten, tröstete er sie und sprach:

»Seid nicht traurig, o meine Freunde, denn ich habe meinen Sohn, meinen Alí, als ein Opfer hingegeben für den Alí, dessen Kommen wir alle erwarten. Für dieses Ziel habe ich ihn erzogen und vorbereitet.«

+1:17

Der Báb, der den Namen Alí Muhammad trug, wurde am ersten Muharram 1235 d.H, in Shíráz geboren. Er war der Sohn einer vornehmen Familie, die ihren Ursprung auf Muhammad selbst zurückführte. Sowohl Sein Vater, Siyyid Muhammad-Ridá, wie auch Seine Mutter waren Abkömmlinge des Propheten und gehörten hochangesehenen Familien an. Das Datum Seiner Geburt bestätigte die Wahrheit eines dem Imám Alí, dem `Gebieter der Gläubigen`, zugeschriebenen Ausspruchs: »Ich bin zwei Jahre jünger als mein Herr.« Das Geheimnis dieser Worte blieb jedoch unenthüllt; nur die erkannten es, welche die Wahrheit der neuen Offenbarung suchten und erkannten. Es war der Báb selbst, der in Seinem ersten, Seinem gewichtigsten und erhabensten Buch im Hinblick auf Bahá'u'lláh schrieb:

»O Du, den sich Gott vorbehielt! Ich habe Mich ganz geopfert für Dich. Ich habe eingewilligt, um Deinetwillen geächtet zu sein, und habe nichts anderes ersehnt als Märtyrertum auf dem Pfade Deiner Liebe. Gott ist Mein Zeuge, der Erhabene, der Beschützer, der Altehrwürdige der Tage!«

+1:18 #49

Während seines Aufenthaltes in Kirmánsháh erhielt Shaykh Ahmad von dem Prinzen Muhammad-Alí Mírzá so viele Beweise glühender Verehrung, daß er einmal veranlaßt war, mit solchen Worten über den Prinzen zu sprechen: "Ich sehe Muhammad-Alí wie meinen eigenen Sohn an, wenn er auch von Fath-Alí abstammt!" Eine beachtliche Menge von Suchenden und Schülern erfüllte sein Haus und lauschte begierig seinen Unterweisungen. Keinem anderen gegenüber konnte er jedoch so viel Aufmerksamkeit und liebevolle Zuneigung zeigen, wie sie seine Haltung gegenüber Siyyid Kázim ausdrückte. Ihn schien er unter den vielen, die sich um ihn drängten, hervorzuheben und darauf vorzubereiten, sein Werk nach seinem Tode mit unvermindertem Nachdruck fortzusetzen. Eines Tages fragte ihn einer seiner Schüler nach dem Wort, das der Verheißene aussprechen soll, wenn die Zeit erfüllt ist, ein Wort, das so entsetzlich und erschütternd sein soll, daß die dreihundertunddreizehn Oberhäupter und Edelleute der Erde allesamt bestürzt und von seinem ungeheuren Gewicht überwältigt die Flucht ergreifen würden. Shaykh Ahmad antwortete ihm:

"Wie kannst du annehmen, du könntest das Gewicht des Wortes ertragen, das die Höchsten dieser Erde nicht zu tragen vermögen? Suche nicht Erfüllung für einen unerfüllbaren Wunsch! Frage mich nicht weiter danach und bitte Gott um Vergebung."

Doch der vermessene Frager bedrängte ihn wieder, ihm den Sinn dieses Wortes zu erschließen. Da antwortete Shaykh Ahmad:

"Wenn du jenen Tag erleben würdest, da man von dir verlangt, du solltest Alís Führerschaft zurückweisen und ihre Gültigkeit ableugnen, was würdest du sagen?"

`Gott bewahre!` rief er aus. `Das kann nicht sein. Daß solche Worte aus dem Munde des Verheißenen kommen sollten, ist mir unvorstellbar!` Wie schmerzlich irrte er, wie beklagenswert war sein Unverstand! Sein Glaube war gewogen und zu leicht befunden worden, denn er hatte nicht erkannt, daß Er, Der unabweisbar offenbar werden wird, mit jener Herrschergewalt ausgestattet ist, die niemand in Frage stellen darf. Sein ist das Recht, »zu befehlen, was immer Er will, und anzuordnen, was Ihm beliebt«, wer zögert und sei es kürzer als einen Augenblick, oder wer Seine Autorität in Zweifel zieht, der ist Seiner Gnade beraubt und zählt zu den Abgefallenen. Und nur wenige, wenn überhaupt einer von denen, die in jener Stadt Shaykh Ahmads Worten lauschten und ihm zuhörten, wenn er die geheimnisvollen Hinweise in den heiligen Schriften deutete, waren fähig, die Bedeutung seiner Worte zu würdigen und ihren Sinn zu erfassen. Nur Siyyid Kázim, sein fähiger und hervorragender Stellvertreter, konnte von sich sagen, er habe alles verstanden.


+1:19 #50

Nach dem Tode des Prinzen Muhammad-Alí Mírzá (1237 d.H.) war Shaykh Ahmad dessen dringenden Bitten, noch länger in Kirmánsháh zu verweilen, enthoben und verlegte seinen Wohnsitz nach Karbilá. Während er dort den Schrein des Siyyidu'sh-Shuhadá = "König der Märtyrer", des Imám Hsayn, umschritt und dabei die vorgeschriebenen Riten erfüllte, schaute doch sein Herz auf jenen wahren Husayn, den einzigen Gegenstand seiner Anbetung. Viele berühmte Ulamás und Mujtahids drängten herzu, ihn zu sehen. Viele begannen, ihn um seinen Ruhm zu beneiden, und einige suchten sein Ansehen zu untergraben. Jedoch, so sehr sie sich auch mühten, es gelang ihnen nicht, seinen unbestrittenen Vorrang unter den Gelehrten der Stadt zu erschüttern. Schließlich sollte dieses strahlende Licht seinen Glanz auch über die heiligen Städte Mekka und Medina ergießen. Dorthin reiste er, dort setzte er mit unwandelbarer Ergebenheit sein Wirken fort, und dort wurde er zur Ruhe gebettet im Schatten des Grabes des Propheten, für dessen Sache und Verständnis er so treulich gearbeitet hatte.

+1:20

Bevor er von Karbilá abgereist war, hatte er seinem erwählten Nachfolger Siyyid Kázim das Geheimnis seiner Sendung anvertraut¹ und ihm aufgetragen, dafür zu sorgen, daß das Feuer, das so hell in ihm gebrannt hatte, in jedem empfänglichen Herzen entzündet werde. So sehr Siyyid Kázim auch darauf bestehen wollte, ihn bis Najaf zu begleiten, Shaykh Ahmad lehnte seine Bitte rundweg ab.

¹ A.L.M. Nicolas zitiert in seinem Vorwort zu Essai sur le Shaykhisme folgende Worte von Shaykh Ahmad über Siyyid Kázim: »Niemand außer Siyyid Kázim-i-Rashtí weiß um mein Ziel, und außer ihm wird es auch niemand verstehen ... Suchet nach meinem Tode die Wahrheit bei Siyyid Kázim-i-Rayhtí, der sie unmittelbar von mir empfangen hat, und ich habe sie von den Imámen empfangen, welche sie vom Propheten übernommen haben, dem Gott sie einst gegeben hat ... Er ist der Einzige, der mich zu verstehen vermag!«

"Du hast keine Zeit zu verlieren ", waren seine letzten Worte an ihn, "jede fliehende Stunde sollte sinnvoll und weise genützt werden. Du solltest dich wappnen, dich Tag und Nacht bemühen und darum kämpfen, daß du mit Gottes Hilfe und mit den Händen der Weisheit und Güte die Schleier der Achtlosigkeit zerreißest, welche die Augen der Menschen blind gemacht haben. Denn wahrlich, ich sage, die Stunde ist nahe, die Stunde, die mir zu ersparen ich Gott gebeten habe. Denn das Erdbeben dieser Letzten Stunde wird furchtbar sein. Du solltest Gott darum bitten, daß Er dich vor den übermächtigen Prüfungen dieses Tages bewahre, denn keiner von uns ist imstande, seiner dahinfegenden Gewalt zu widerstehen. Andere, mit größerer Ausdauer und Kraft, sind dazu ausersehen, diese gewaltige Last zu tragen, Menschen, deren Herzen losgelöst sind von allen irdischen Dingen, und deren Kraft neu belebt ist von Seiner Macht und Stärke."

Nach diesen Worten sagte Shaykh Ahmad ihm Lebewohl, bat ihn eindringlich, den künftigen Prüfungen, die ihn unausweichlich überkommen müßten, tapfer ins Angesicht zu sehen, und empfahl ihn der Obhut Gottes.



+1:21 #51

In Karbilá widmete Siyyid Kázim sich dem Werk, das sein Meister begonnen hatte. Er erläuterte seine Lehren, verteidigte seine Sache und beantwortete die Fragen, welche die Gemüter seiner Schüler bewegten. Der Nachdruck, mit dem er seine Aufgabe in Angriff nahm, trug ihm die Feindschaft der Unwissenden und Neider ein. `Vierzig Jahre lang`, lärmten sie, `haben wir widerstandslos geduldet, daß Shaykh Ahmad seine anmaßenden Lehren verbreitete. Wir können nicht länger dulden, daß sein Nachfolger sich ähnliches anmaßt, zumal er den Glauben an die Auferstehung des Leibes ablehnt, die wörtliche Auslegung des Mi'ráj ("der Aufstieg" Mubammads zum Himmel) verwirft, die Zeichen des kommenden Tages allegorisch auffaßt und eine ketzerische Lehre verkündet, welche die besten Lehrsätze des orthodoxen Islám umstürzt.` Doch je lauter sie schrieen und protestierten, um so fester wurde Siyyid Kázims Entschlossenheit, seinen Auftrag zu erfüllen und sein Pfand einzulösen. Er richtete ein Schreiben an Shaykh Ahmad, worin er ausführlich die gegen ihn erhobenen Verleumdungen schilderte und über Art und Ausmaß ihres Widerstandes berichtete. Damit erlaubte er sich zu fragen, wie lange er diesem unerbittlichen Fanatismus des halsstarrigen und unwissenden Volkes ausgesetzt sein müsse, und er bat um einen Hinweis über die Zeit, wann der Verheißene sich offenbaren würde. Hierauf antwortete Shaykh Ahmad:

»Sei der Gnade deines Gottes gewiß. Sei nicht bedrückt über ihr Tun. Das Mysterium dieser Sache muß notwendig offenbar werden, und das Geheimnis dieser Botschaft muß notwendig enthüllt werden¹. Mehr kann ich nicht sagen, eine Zeit kann ich nicht nennen. Nach Hín² wird Seine Sache bekannt werden. `Frag mich nicht nach Dingen, die, würden sie dir enthüllt, dich nur quälten.`«

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¹ Der Báb selbst bezieht sich auf diese Stelle und bestätigt dies in Dalá'il-i-Sab'ih:

»Die Worte des geehrten Shaykh Ahmad-i-Ahsá'í sind wohlbekannt. Sie enthalten zahlreiche Anspielungen auf den Gegenstand der Offenbarung, zum Beispiel schrieb er persönlich an Siyyid Kázim-i-Rashtí: "wie für den Bau eines Hauses ein Grundstück vorhanden sein muß, so muß auch für diese Offenbarung die Zeit günstig sein. Aber hier kann man keine genaue Antwort über den Zeitpunkt geben. Bald werden wir Gewißheit haben." Ist das, was du oftmals von Siyyid Kázim selbst gehört hast, nicht eine Erklärung? Wiederholte er nicht bei jeder Gelegenheit: "Ihr wünscht doch nicht, daß ich gehen und Gott erscheinen möge?"« (Le Livre des Sept Preuves, übersetzt von A.L.M.Nicolas, p.58)

»Es gibt eine Anekdote von Shaykh Ahmad-i-Ahsá'í, als er auf dem Weg nach Mekka war. Als sich herausstellte, daß diese Anekdote authentisch war, galt sie hinfort als wahre Begebenheit. Die Schüler des Verstorbenen berichteten das Gehörte; unter ihnen befanden sich Männer wie Mullá Abdu'l-Kháliq und Murtadá-Qulí. Mullá Abdu'l-Kháliq erzählt, daß Shaykh Abmad eines Tages zu ihnen sagte: "Betet, daß ihr nicht Zeuge der Geburtsstunde der Offenbarung und der Wiederkehr seid, denn es wird viele Bürgerkriege geben." Er fügte hinzu: "Sollte einer von euch zu jener Zeit noch leben, so wird er seltsame Dinge sehen in den Jahren 60 bis 67, und was kann seltsamer sein als das Wesen der Offenbarung selbst. Du wirst dort sein und Zeuge eines anderen außergewöhnlichen Geschehnisses werden: nämlich, daß Gott, um diese Offenbarung siegreich zu machen, ein Wesen erschaffen wird, dessen Wissen angeboren und nicht von anderen Menschen übernommen und erlernt ist."« (Le Livre des Sept Preuves, übersetzt von A.L.M.Nicolas, p.56-60)

² Nach Angaben von Abjad entspricht der Zahlenwert des Wortes `Hín` 68, und es war im Jahre 1268, als Bahá'u'lláh während Seiner Gefangenschaft im Siyáh-Chál in Tihrán die ersten Unterweisungen über Seinen göttlichen Auftrag empfing. Darauf spielte Er auch in den Oden an, die Er in jenem Jahre schrieb.

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+1:22

Wie groß, wie ungeheuer groß ist Seine Sache, wenn an diesen erhabenen Menschen Siyyid Kázim solche Worte gerichtet wurden! - Diese Antwort von Shaykh Ahmad brachte Trost und Kraft in Siyyid Kázims Herz, und mit doppelter Entschlossenheit hielt er den Anschlägen eines neidischen und heimtückischen Feindes stand.


+1:23

Bald darauf starb Shaykh Ahmad im Alter von einundachtzig Jahren, im Jahre 1242 d.H.¹. Auf dem Friedhof von Baqí², in nächster Nähe der Ruhestätte Muhammads in der heiligen Stadt Medina, wurde er zur Ruhe gebettet.

¹ Er starb in Haddih, einem Ort bei Medina. (A.L.M.Nicolas, Essai sur le Shaykhisme, I, p.60)

² Sein Leichnam wurde nach Medina gebracht und im Friedhof Baqí begraben, hinter der südlichen Kuppelmauer des Propheten, unter der Dachrinne von Mihráb. Dort, gegenüber dem Grab von Baytu'l-Hazan, soll auch Fátimihs Grab sein. (A.L.M.Nicolas, Essai sur le Shaykhisme, I, p.60-61)

Shaykh Ahmads Tod setzte dem Kampf für einige Tage ein Ende, und die Gemüter schienen sich zu beruhigen. Außerdem erhielt der Islám zu dieser Zeit einen empfindlichen Schlag, der seine Macht erschütterte. Der Kaiser von Rußland besiegte die islámischen Völker, und die meisten der Provinzen mit islámischer Bevölkerung fielen in die Hände der Moskauer Armee. (A.L.M.Nicolas, Essai sur le Shaykhisme, II p.5)

Andererseits dachte man, daß mit dem Tod von Shaykh Ahmad auch seine Lehre endgültig verschwinden würde; der Friede dauerte nahezu zwei Jahre. Aber die Muhammadaner erinnerten sich bald wieder ihrer alten Gefühle, als sie sahen, daß sich das Licht der Lehre des Verstorbenen dank Siyyid Kázim, seinem besten und treuesten Schüler und Nachfolger, weiter über die Welt ergoß. (A.L.M.Nicolas, Essai sur le Shaykhisme, II p.5-6)









Zweites Kapitel
DIE SENDUNG DES SIYYID KAZIM-I-RASHTI

+2:1 #53

Die Kunde vom Hinscheiden seines geliebten Meisters brachte unaussprechlichen Kummer über Siyyid Kázims Herz. Doch unter dem Eindruck eines Verses aus dem Qur'án: »Gern würden sie das Licht Gottes mit ihrem Munde auslöschen; aber Gott wünscht Sein Licht nur vollkommen zu machen, wenngleich die Ungetreuen es hassen«, erhob er sich mit dem unerschütterlichen Vorsatz, die Aufgabe zu erfüllen, mit der Shaykh Ahmad ihn betraut hatte. Nach dem Hinscheiden dieses so hervorragenden Beschützers sah er sich den Verleumdungen und dem unbeugsamen Haß seiner Umgebung ausgeliefert. Sie griffen ihn selbst an, verspotteten seine Lehren und schmähten seinen Namen. Angestiftet durch einen mächtigen und berüchtigten Shí'ah-Führer, Siyyid Ibráhím-i-Qazvíní, verbündeten sich die Feinde Siyyid Kázims und beschlossen, ihn zu vernichten. Darauf faßte Siyyid Kázim den Plan, sich unter den Schutz und das Wohlwollen eines der gefürchtetsten und hervorragendsten geistlichen Würdenträger, des bekannten Hájí Siyyid Muhammad Báqir-i-Rashtí, zu stellen. Dieser lebte in Isfáhán, und sein Ruhm reichte weit über die Grenzen dieser Stadt hinaus. Seine Freundschaft und Sympathie, dachte Siyyid Kázim, würden ihm dazu verhelfen, ungehindert seiner Tätigkeit nachgehen zu können, und würde seinen eigenen Einfluß auf seine Schüler beträchtlich erweitern.

"Könnte nicht einer von euch sich erheben", hörte man ihn oft zu seinen Schülern sagen, "und in völliger Loslösung nach Isfáhán reisen und dem gelehrten Siyyid diese Botschaft von mir überbringen: `Wie kommt es, daß du früher dem verstorbenen Shaykh Ahmad eine so ausgesprochene Hochachtung und Zuneigung entgegenbrachtest und dich jetzt mit einem Male von seinen erwählten Schülern abkehrst? Wie kommt es, daß du uns der Willkür unserer Gegner überlassen hast?` Ich wollte, ein solcher Bote würde sich im Vertrauen auf Gott erheben, um alle jene Geheimnisse zu enträtseln, die den Geist des gelehrten Siyyid beunruhigen, und die Zweifel zu zerstreuen, die uns seiner Sympathie beraubt haben. Ich wollte, er könnte von ihm eine feierliche Erklärung erhalten, welche die unzweifelhafte Autorität von Shaykh Ahmad sowie die Wahrheit und Richtigkeit seiner Lehren bestätigte. Ich hätte den weiteren Wunsch, daß er mit einem solchen Zeugnis in den Händen nach Mashhad reiste und dort ein ähnliches Zeugnis auch von Mírzá Askarí, dem höchsten geistlichen Führer dieser heiligen Stadt, erhielte und dann nach erfülltem Auftrag als glücklicher Sieger hierher heimkehrte."

Wieder und wieder stieß Siyyid Kázim auf Ablehnung, wenn er diese Bitte vorbrachte. Doch niemand wagte seinem Ruf zu folgen, bis auf einen gewissen Mírzá Muhít-i-Kirmání, der sich zu dieser Mission bereit erklärte. Ihm sagte Siyyid Kázim: "Hüte dich, den Schwanz des Löwen zu berühren. Unterschätze nicht die heikle Schwierigkeit einer solchen Mission." Dann wendete er sich seinem jugendlichen Schüler Mullá Husayn-i-Búshrú'í zu, dem Bábu'l-Báb,¹ und sprach zu ihm die Worte: "Mache dich auf und erfülle du diesen Auftrag, du bist dieser Aufgabe gewachsen. Der Allmächtige wird dir gnädiglich beistehen und dein Bemühen mit Erfolg krönen."

¹ Er war der erste, der an den Báb glaubte und von Ihm diesen Titel erhielt


+2:2 #54

Mullá Husayn sprang freudig auf, küßte den Saum des Gewandes seines Meisters, schwor ihm Treue und machte sich unverzüglich auf den Weg. Erfüllt von tiefem Ernst und edler Entschlossenheit ging er seinem Ziel entgegen. Bei seiner Ankunft in Isfáhán suchte er sofort den gelehrten Siyyid auf. Ärmlich gekleidet, noch vom Staub der Reise bedeckt, trat er, eine unbedeutende und armselige Gestalt, mitten unter die große Gemeinschaft der reich gekleideten Schüler jenes hervorragenden Führers. Unbeachtet und unerschrocken drang er vor, bis zu einem Platz gegenüber dem Sitz des berühmten Lehrers. Er nahm all seinen Mut zusammen, und gestützt auf die Zuversicht, mit der ihn die Weisungen Siyyid Kázims erfüllten, sprach er Hájí Siyyid Muhammad-Báqir an mit den Worten:

"O Siyyid, höre mich an, denn wenn du meine Bitte erfüllst, wird der Glaube des Propheten Gottes stärker und sicherer werden, wenn du aber ablehntest, meine Botschaft anzuhören, würde ihm das schweren Schaden zufügen."

Diese kühnen und mutigen Worte, so offen und kraftvoll gesprochen, verwunderten den Siyyid sehr. Er unterbrach sofort seinen Vortrag und lauschte ungeachtet seiner Hörerschaft mit großer Aufmerksamkeit der Botschaft, die dieser fremde Besucher ihm überbrachte. Seine Schüler, verwundert über dieses sonderbare Verhalten, wiesen den ungebetenen Eindringling zurück und verurteilten seine verwegene Anmaßung. Mit äußerster Höflichkeit und in festen, würdigen Worten verwies Mullá Husayn ihre Unhöflichkeit und Oberflächlichkeit und zeigte sich erstaunt über ihren Dünkel und ihre Hoffärtigkeit. Der Siyyid war sehr zufrieden mit dem Benehmen des Besuchers und der überzeugenden Art seiner Darlegung. Er bedauerte und entschuldigte sich für das unziemliche Betragen seiner Schüler. Um ihre Unhöflichkeit wettzumachen, erwies er dem jungen Mann alle erdenkliche Freundlichkeit, versicherte ihn seiner Unterstützung und ersuchte ihn, seine Botschaft vorzutragen. Hierauf machte Mullá Husayn ihn mit der Art und dem Gegenstand der Aufgabe bekannt, die ihm anvertraut worden war. Der gelehrte Siyyid erwiderte darauf:

`Als wir am Anfang glaubten, daß sowohl Shaykh Ahmad als auch Siyyid Kázim nur von dem einen Wunsch beseelt waren, die Erkenntnis zu fördern und die heiligen Interessen des Glaubens zu wahren, haben wir uns veranlaßt gefühlt, ihnen unsere herzlichste Unterstützung zuteil werden zu lassen und ihre Lehren zu preisen. In späteren Jahren sind wir aber auf viele verwirrende Darstellungen und auf dunkle, geheimnisvolle Anspielungen in ihren Schriften gestoßen, daß wir es für ratsam hielten, eine Zeitlang stillzuhalten und jede Kritik wie auch jedes Lob zu vermeiden.`

Mullá Husayn erwiderte darauf:

"Ich kann dieses Schweigen deinerseits nur bedauern, denn ich bin fest davon überzeugt, daß du dir damit eine glänzende Gelegenhet entgehen ließest, der Sache der Wahrheit näher zu kommen. Du solltest jene Abschnitte aus den Schriften, die dir geheimnisvoll oder mit den Glaubensregeln unvereinbar erscheinen, darlegen, und ich will mit Gottes Hilfe versuchen, ihre wahre Bedeutung zu erklären."

Die Ausgeglichenheit, die Würde und das Selbstvertrauen im Benehmen dieses unerwarteten Boten machten auf Hájí Siyyid Muhammad-Báqir einen tiefen Eindruck. Er bat, ihn jetzt nicht zu drängen, sondern einige Tage zu warten, bis er ihm in einem privaten Gespräch seine Zweifel und Befürchtungen darlegen wolle. Mullá Husayn glaubte jedoch, daß für die Sache, die ihm am Herzen lag, ein Verzug von Nachteil sei und drängte darum auf ein unverzügliches Gespräch mit ihm über die schwerwiegenden Probleme, die zu lösen er sich befähigt und verpflichtet fühlte. Der Siyyid war zu Tränen gerührt über diesen jugendlichen Enthusiasmus, den Ernst und das tiefe Vertrauen, das aus dem Antlitz von Mullá Husayn sprach. Er ließ sofort einige Werke von Shaykh Ahmad und Siyyid Kázim kommen und begann, Mullá Husayn über einige Stellen zu befragen, die sein Mißfallen und Erstaunen erregt hatten. Auf alles antwortete der Bote mit bezeichnendem Nachdruck, mit meisterhaftem Wissen und gewinnender Bescheidenheit.


+2:3 #56

So fuhr er fort, vor der versammelten Schülerschaft die Lehren von Shaykh Ahmad und Siyyid Kázim zu erklären, ihre Wahrheit zu rechtfertigen und sich für ihre Sache einzusetzen, bis der Ruf des Mu'adhdhin die Gläubigen zum Gebet rief und den Fluß seiner Beweisführungen unterbrach. Am nächsten Tag stand er auf ähnliche Weise in Gegenwart einer großen Versammlung angesehener Männer dem Siyyid gegenüber und setzte seine beredte Verteidigung der hohen Aufgabe fort, mit der eine allmächtige Vorsehung Shaykh Ahmad und seinen Nachfolger betraut hatte. Tiefe Stille befiel seine Hörer. Erstaunen hatte sie ergriffen über die zwingende Kraft seiner Beweisführung und über den Ton und die Art, in der er sprach. Der Siyyid versprach öffentlich, er werde am nächsten Tag eine schriftliche Erklärung abgeben, worin er die überragende Stellung von Shaykh Ahmad und Siyyid Kázim bekunden werde, er werde zum Ausdruck bringen, daß jeder, der von ihrem Pfad abweiche, sich vom Glauben des Propheten selbst abgewendet habe. Desgleichen werde er Zeugnis ablegen von ihrer tiefgründigen Einsicht und ihrem echten und tiefen Verständnis für die in Muhammads Glauben verborgenen Geheimnisse. Der Siyyid löste sein Versprechen ein und schrieb mit eigener Hand die versprochene Erklärung. Er schrieb sehr ausführlich und würdigte dabei auch den Charakter und die Gelehrsamkeit von Mullá Husayn. Mit glühenden Worten sprach er von Siyyid Kázim, entschuldigte sich für seine frühere Haltung und sprach die Hoffnung aus, daß er in späteren Tagen einmal Gelegenheit haben werde, sein früheres bedauerliches Verhalten ihm gegenüber wieder gutzumachen. Er las seinen Schülern den Text seiner Niederschrift persönlich vor, übergab sie unversiegelt Mullá Husayn und ermächtigte ihn, wen immer er wolle mit ihrem Inhalt vertraut zu machen, damit alle die Tiefe seiner Ergebenheit für Siyyid Kázim erkennen möchten.

+2:4

Kaum hatte Mullá Husayn sich zurückgezogen, als der Siyyid einen seiner vertrauten Diener beauftragte, ihm nachzugehen und herauszufinden, wo er wohne. Der Diener folgte ihm zu einem bescheidenen Gebäude, das als Madrisih¹ diente. Er sah ihn einen Raum betreten, der außer einer abgenützten Matte, die den Boden bedeckte, keinerlei Mobiliar enthielt. Er sah, wie er eintrat, sein Dankgebet verrichtete und sich auf der Matte niederließ, wobei er zum Zudecken nichts weiter hatte als seine Abá.² Als der Diener seinem Herrn alles berichtet hatte, was er beobachtet hatte, erhielt er den Auftrag, Mullá Husayn hundert Túmán³ zu bringen und ihm das tiefe Bedauern seines Herrn zu übermitteln, daß er einem so bedeutenden Sendboten nicht eine seinem Stande angemessene Gastfreundschaft erweisen könne. Mullá Husayn ließ auf dieses Angebot folgende Antwort überbringen:

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¹ Die Madrisih oder persischen Schulen sind ganz in den Händen der Geistlichkeit, und es gibt deren mehrere in jeder großen Stadt. Meistens bestehen sie aus einem Hof, der umgeben ist von Gebäuden, in denen sich die Zimmer der Schüler und Lehrer befinden; auf der einen Seite des Hofs ist ein großes Tor, in der Mitte häufig ein Garten und ein Brunnen ... viele dieser Schulen wurden von Königen oder Gläubigen gestiftet. (C.R.Markham, A General Sketch of the History of Persia, p.365)

² Ein loses Übergewand, ähnlich einem Mantel, meist aus Kamelhaar

³ Der Wert entspricht etwa hundert Dollar, eine beträchtliche Summe in jenen Tagen

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"Sag deinem Herrn, daß sein wahres Geschenk für mich der Geist der Redlichkeit ist, mit dem er mich empfangen hat, und die Aufgeschlossenheit, mit der er trotz seines hohen Ranges auf die Botschaft eingegangen ist, die ich, ein geringer Fremdling, ihm überbracht habe. Bring deinem Herrn dieses Geld zurück; ich bin ein Bote und frage nicht nach Lohn und Vergütung. »Wir ernähren eure Seelen um der Sache Gottes willen; und wir erwarten von euch weder Lohn noch Dank«.¹ Ich bete für deinen Herrn, daß irdische Führerschaft ihn nie daran hindern möge, die Wahrheit anzuerkennen und zu bezeugen".²

Hájí Siyyid Muhammad-Báqir starb noch vor dem Jahr sechzig d.H., dem Jahr, in dem der Báb seinen Glauben verkündete. Bis zum letzten Augenblick blieb er ein treuer Helfer und eifriger Bewunderer von Siyyid Kázim.

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¹ Qur'án 76:9

² In der Schrift `Dalá'il-i-Sab'ih` spricht der Báb über Mullá Husayn diese Worte:

»Du allein weißt, wer der erste Anhänger dieses Glaubens ist; du weißt, daß der überwiegende Teil der Gelehrten der Shaykhí und der Siyyidíyyih sowie anderer Sekten sein Wissen und seine Fähigkeiten bewunderten. Als er in Isfáhán eintraf, riefen ihm die Straßenjungen nach: `Ah, ah! ein armer Student kommt!` Nun, dieser Mann überzeugte mit seinen Beweisen und Argumenten einen Siyyid, dessen Wissen allgemein bekannt und anerkannt war: Muhammad-Báqir! Wahrlich! Dies ist einer der Beweise dieser Manifestation, denn nach dem Tod des Siyyid suchte diese bedeutende Persönlichkeit die meisten islámischen Gelehrten auf und fand die Wahrheit nur bei dem Meister der Wahrheit. So wurde ihm das Schicksal zuteil, das ihm bestimmt war. Wahrlich! Die Geschöpfe des Anfangs und des Endes dieser Manifestation beneiden ihn und werden ihn beneiden bis zum Jüngsten Tag. Und wer erhebt sich, um diesen Meister der Geistesschwäche und der Oberflächlichkeit zu bezichtigen?« (Le Livre des Sept Preuves, übersetzt von A.L.M.Nicolas, p.54)

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+2:5 #57

Als der erste Teil des Auftrags erfüllt war, sandte Mullá Husayn das schriftliche Zeugnis von Hájí Muhammad-Báqir auf schnellstem Wege an seinen Meister nach Karbilá und lenkte seine Schritte nach Mashhad, um die ihm aufgetragene Botschaft an Mírzá Askarí nach bestem Vermögen auszurichten. Als Siyyid Kázim den Brief mit der schriftlichen Erklärung des Siyyid erhalten hatte, war er so glücklich, daß er sofort an Mullá Husayn schrieb, um ihm seine dankbare Anerkennung zu übermitteln für die vorbildliche Art, wie er seine Aufgabe erfüllt hatte. Er war so begeistert von der empfangenen Nachricht, daß er sofort seinen Unterricht unterbrach und seinen Schülern den Brief von Mullá Husayn wie auch die beigefügte Erklärung des Siyyid vorlas. Danach machte er sie mit dem Sendschreiben bekannt, das er selbst an Mullá Husayn geschrieben hatte, um dessen einzigartigen Dienst zu würdigen. In ihm pries Siyyid Kázim seine überragenden Kenntnisse, seine Fähigkeiten und seinen Charakter mit so glühenden Worten, daß einige seiner Zuhörer vermuteten, Mullá Husayn sei der Verheißene, auf den ihr Lehrer so unaufhörlich hinwies, der Eine, von dem er so oft erklärt hatte, er lebe mitten unter ihnen und sie erkennten ihn alle nicht. Dieses Sendschreiben rief Mullá Husayn zur Gottesfurcht auf und legte ihm dringend ans Herz, sie als wichtigstes Werkzeug im Widerstand gegen die Anschläge des Feindes anzusehen und als kennzeichnendes Merkmal für jeden wahren Gläubigen. Die Worte waren von so inniger Zuneigung erfüllt, daß kein Leser daran zweifeln konnte, daß der Schreiber Abschied nahm von seinem geliebten Schüler und daß er keine Hoffnung hegte, ihn auf dieser Welt jemals wieder zu sehen.

+2:6 #58

In diesen Tagen wurde es für Siyyid Kázim immer deutlicher, daß die Stunde nahte, da der Verheißene sich offenbaren werde.¹ Er kannte wohl die dichten Schleier, die die Suchenden daran hinderten, die Herrlichkeit der verborgenen Manifestation zu schauen. Er bemühte sich darum aufs äußerste, um Schritt für Schritt, mit Vorsicht und Weisheit die Schranken und Hindernisse zu beseitigen, die dem vollen Erkennen dieses verborgenen Schatzes im Wege standen. Eindringlich forderte er seine Schüler immer wieder auf, im Gedächtnis zu bewahren, daß Er, Dessen Kommen sie erwarteten, weder von Jábulqá noch von Jábulsá² kommen werde. Er deutete an, daß Er mitten unter ihnen sei. Oft sagte er: "Ihr seht Ihn mit euren eigenen Augen, und doch erkennt ihr Ihn nicht!" Fragten ihn Schüler nach den Kennzeichen der Manifestation, so sagte er:

"Er ist von edler Abstammung. Er ist ein Abkomme des Propheten Gottes aus der Familie der Háshim. Er ist jung an Jahren und besitzt ein angeborenes Wissen. Sein Wissen kommt nicht von den Lehren des Shaykh Ahmad, sondern von Gott. Mein Wissen ist nur ein Tropfen im Vergleich zur Grenzenlosigkeit Seines Wissens; meine Kenntnisse sind nur ein Körnchen Staub angesichts der Wunder Seiner Gnade und Macht, nein, unermeßlich ist der Unterschied. Er ist von mittlerer Größe, enthält sich des Rauchens und ist von äußerster Demut und Frömmigkeit."³

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¹ In seiner Schrift `Dalá'il-i-Sab'ih` offenbart der Báb dazu folgendes:

»Erzählt man sich nicht, was er bei seiner letzten Reise sagte und was du selbst hörtest? Und wie ist das mit der Geschichte, die Abdu'l-Husayn-i-Shushtarí von Mírzá Muhammad-i-Akhbárí erzählt? Als Mírzá Muhammad-i-Akhbárí in Kázimayn weilte, fragte er eines Tages den verehrten Siyyid, wann der Imám sich offenbaren werde. Der Siyyid ließ seinen Blick über die Anwesenden gleiten und erwiderte sodann: `Du wirst ihn sehen`. Auch Mullá Muhammad-Taqíy-i-Haraví erzählte in Isfáhán diese Begebenheit.« (Le Livre des Sept Preuves, übersetzt von A.L.M.Nicolas, p.58)

² Vgl. den Abschnitt über den Shi'ah-Islám im Anhang des Buches

³ Es scheinen einleuchtende Beweise vorzuliegen, daß Siyyid Kázim gegen Ende seines Lebens oft auf die göttliche Manifestation hingewiesen hat, von der er glaubte, daß sie nahe bevorstehe. Er liebte den Ausspruch: "ich sehe Ihn wie die aufgehende Sonne." (Dr.T.K. Cheyne, The Reconciliation of Races und Religions, p.19)

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Einige Schüler des Siyyid glaubten trotz gegenteiliger Beteuerungen ihres Meisters, daß er der Verheißene sei, denn in ihm glaubten sie alle Anzeichen erkannt zu haben, die er anführte. Unter ihnen war ein gewisser Mullá Mihdíy-i-Khu'í, der so weit ging, diesen Glauben öffentlich auszusprechen, worüber der Siyyid sehr ungehalten war und ihn aus der Gemeinschaft seiner erwählten Anhänger ausgestoßen hätte, wenn jener nicht um Verzeihung gebeten und Reue über seine Haltung gezeigt hätte.


+2:7 #59 (Bildlegende - die Stadt Karbilá)

Shaykh Hasan-i-Zunúzí teilte mir persönlich mit, daß auch er ähnliche Zweifel gehegt habe; er habe darum zu Gott gebetet, er möge ihn, wenn seine Vermutung richtig sei, in seinem Glauben stärken, andernfalls aber von diesen eitlen Einbildungen befreien. Einmal erzählte er mir:

`Ich war so verwirrt, daß ich tagelang weder essen noch schlafen konnte. Ich verbrachte meine Tage im Dienst für Siyyid Kázim, dem ich sehr eng verbunden war. Eines Tages, zur Stunde der Morgendämmerung, weckte mich plötzlich Mullá Naw-rúz, einer seiner vertrauten Anhänger, und in großer Erregung bat er mich aufzustehen und ihm zu folgen. Wir gingen zum Haus von Siyyid Kázim und fanden ihn völlig angekleidet, er trug seine Abá und war im Begriff, das Haus zu verlassen. Er forderte mich auf, ihn zu begleiten. "Eine hoch berühmte und bedeutende Persönlichkeil ist angekommen", sagte er, "ich meine, wir beide sollten sie aufsuchen." Die Morgensonne war gerade aufgegangen, als ich mit ihm durch die Straßen von Karbilá ging. Wir kamen bald an ein Haus, vor dessen Tür ein Jüngling stand, als ob er uns erwarte. Er trug einen grünen Turban, und auf Seinem Antlitz lag ein Ausdruck von Demut und Güte, den ich unmöglich beschreiben kann. Ruhig ging Er uns entgegen, breitete die Arme gegen Siyyid Kázim aus und umarmte ihn liebevoll. Seine Freundlichkeit und Güte hoben sich einzigartig ab von der tiefen Verehrung, welche die Haltung Siyyid Kázims Ihm gegenüber zeigte. Stumm und geneigten Hauptes nahm er die zahlreichen Beweise der Zuneigung und Achtung entgegen, mit denen der Jüngling ihn begrüßte. Bald führte Er uns in das obere Stockwerk des Hauses, und wir betraten ein Zimmer, das von vielen Blumen und dem herrlichsten Duft erfüllt war. Er bat uns, Platz zu nehmen. Wir merkten nicht, wohin wir uns setzten, so überwältigend war das Entzücken, das uns ergriffen hatte. Wir bemerkten einen silbernen Becher in der Mitte des Zimmers, und als wir Platz genommen hatten, füllte unser jugendlicher Gastgeber ihn bis zum Rande und reichte ihn Siyyid Kázim mit den Worten: »Und der Herr gibt ihnen reines Getränk zu trinken«. (Qur'án 76:21) Siyyid Kázim ergriff den Becher mit beiden Händen und leerte ihn. Ein Gefühl ehrfürchtiger Freude erfüllte sein ganzes Wesen, ein Gefühl, dessen er nicht Herr werden konnte. Auch mir wurde ein Becher dieses Getränkes gereicht, wenngleich keine Worte zu mir gesagt wurden. Das einzige, was bei dieser denkwürdigen Begegnung gesprochen wurde, war der oben erwähnte Vers aus dem Qur'án. Bald darauf erhob sich unser Gastgeber von Seinem Sitz, geleitete uns bis zur Schwelle des Hauses und verabschiedete sich von uns. Ich war stumm vor Staunen und wußte nicht, wie ich die Herzlichkeit Seines Willkommens, die Würde Seines Benehmens, den Zauber Seines Antlitzes und den herrlichen Duft jenes Getränkes in Worte fassen sollte. Wie groß war mein Ersraunen, als ich meinen Lehrer ohne jedes Zögern diesen heiligen Trank aus einem silbernen Becher schlürfen sah, dessen Gebrauch nach den Vorschriften des Islám für die Gläubigen verboten war. Ich konnte mir nicht erklären, was den Siyyid veranlaßt haben konnte, dem Jüngling eine so tiefe Verehrung zu erweisen - eine Verehrung, zu der ihn nicht einmal der Anblick des Schreins von Siyyidu'sh-Shuhadá hatte bewegen können.`

#61

`Drei Tage später sah ich, wie derselbe Jüngling kam und sich mitten unter die Schar der versammelten Schüler von Siyyid Kázim setzte. Er saß nahe beim Eingang und lauschte mit der gleichen Bescheidenheit und Würde, die Sein Benehmen auszeichnete, dem Vortrag des Siyyid. Sobald dessen Augen auf den Jüngling fielen, hielt der Siyyid inne und schwieg. Einer der Schüler bat ihn, die Erörterung wieder aufzunehmen, die er nicht zu Ende geführt hatte. "Was soll ich noch sagen?", erwiderte Siyyid Kázim und wandte sein Gesicht dem Báb zu. "Siehe, die Wahrheit ist offenbarer als der Sonnenstrahl, der auf diesen Schoß gefallen ist!" Ich sah sogleich, daß der Sonnenstrahl, von dem der Siyyid sprach, gerade jenem Jüngling auf den Schoß gefallen war, den wir unlängst besucht hatten. Doch der Schüler fragte weiter: Wie kommt es, daß du weder seinen Namen nennst noch ihn selbst vorstellst? Der Siyyid aber deutete mit dem Finger auf seine Kehle, um damit zu sagen, daß sie beide auf der Stelle sterben müßten, wenn er den Namen preisgebe. Das verwirrte mich noch mehr, hatte ich doch meinen Lehrer schon sagen gehört, diese Generation sei so störrisch, daß sie den Verheißenen auch dann nicht erkennen und anerkennen würde, wenn er mit seinem Finger auf Ihn hinwiese und sagte: "Er ist wahrhaftig der Geliebte, das Verlangen eures und meines Herzens." Ich sah den Siyyid tatsächlich mit dem Finger auf den Lichtstrahl deuten, der auf diesen Schoß fiel, und keiner der Anwesenden schien zu verstehen, was das bedeuteje. Ich für meinen Teil war fest überzeugt, daß der Siyyid selbst niemals der Verheißene sein konnte, daß jedoch in diesem fremden, anziehenden Jüngling ein für uns alle unergründliches Geheimnis verborgen lag. Mehrere Male wagte ich an Siyyid Kázim heranzutreten, um von ihm eine Erklärung für dies Geheimnis zu erhalten. Aber immer, wenn ich zu ihm trat, überkam mich ein Gefühl ehrfürchtiger Scheu vor seiner so machtvollen Persönlichkeit. Oft hörte ich ihn sagen: "O Shaykh Hasan, freue dich, daß du Hasan (der Preiswürdige) heißest. Hasan dein Anfang und Hasan dein Ende. Du erhieltest das Vorrecht, den Tag von Shaykh Ahmad zu erleben; du hast mir stets sehr nahe gestanden, und in den kommenden Tagen wirst du die unschätzbare Freude erleben dürfen, das zu schauen, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und kein Herz begriffen hat."`


+2:8 #62 (Bildlegende - Schrein des Imám Husayn in Karbilá)

`Oft verlangte es mich danach, allein zu jenem jungen Háshimiten zu gehen und zu versuchen, Sein Geheimnis zu ergründen. Mehrmals beobachtete ich Ihn, wie Er in Gebetshaltung an der Schwelle des Schreins von Imám Husayn stand. Er war so versunken in Sein Gebet, als ob Er alles um Sich herum vergessen hätte. Tränen rannen Ihm übers Gesicht, und Sein Mund sprach Worte des Rühmens und Lobpreisens von so großer Kraft und Schönheit, wie sie selbst von den herrlichsten Stellen aus unseren heiligen Schriften nicht übertroffen werden können. Die Worte »O Gott, mein Gott, mein Geliebter, du meines Herzens Sehnsucht«, sprach Er so oft und mit einer Glut, daß die Pilger, die in Seiner Nähe standen und Ihn hören konnten, unwillkürlich ihre Gebete unterbrachen, voll Verwunderung über so viel Frömmigkeit und Hingabe, die auf dem jugendlichen Antlitz lag. Sie wurden gleich Ihm zu Tränen gerührt und lernten von Ihm, was wahre Anbetung ist. Nachdem Er Seine Gebete beendet hatte, kehrte der Jüngling, ohne die Schwelle zum Schrein zu übertreten und ohne jeden Versuch, die Ihn umgebenden Menschen anzusprechen, still nach Hause zurück. Ich fühlte das Verlangen, mit Ihm zu sprechen; aber so oft ich mich Ihm nähern wollte, hielt eine unerklärliche und unwidersiehliEhe Kraft mich davon ab. Ich erkundigle mich über Ihn und erfuhr, daß Er in Shíráz wohne und von Beruf Kaufmann sei, und daß Er keinerlei geistlichem Orden angehöre. Weiterhin sagte man mir, daß Er wie auch Seine Verwandten, zu den Freunden und Bewunderern von Shaykh Ahmad und Siyyid Kázim gehörten. Bald darauf erfuhr ich, daß Er nach Najaf aufgebrochen war auf Seiner Reise nach Shíráz. Dieser Jüngling hatte mein Herz in Brand gesetzt. Die Erinnerung an das, was ich gesehen hatte, verfolgte mich. Meine Seele hing an der Seinen bis zu dem Tag, da der Ruf mein Ohr erreichte, daß ein Jüngling in Shíráz verkündet habe, Er sei der Báb. Sofort durchfuhr mich der Gedanke, daß dies niemand anders sein könne als eben jener Jüngling, den ich in Karbilá gesehen hatte -, der Jüngling, nach dem mein Herz sich sehnte.`


+2:9 #64 (Bildlegende - Schrein des Imám Husayn in Karbilá)

`Als ich später von Karbilá nach Shíráz reiste, erfuhr ich, daß Er sich auf eine Pilgerfahrt nach Mekka und Medina begeben hatte. Bei Seiner Rückkehr begegnete ich Ihm und bemühte mich, trotz so mancher Widrigkeit auf meinem Weg, in möglichst enger Verbindung mir Ihm zu bleiben. Während Seiner späteren Kerkerhaft in der Festung Máh-Kú in der Provinz Adhirbáyján war ich damit beschäftigt, die Verse abzuschreiben, die Er Seinem Sekretär diktierte. Während der neun Monate Seiner Gefangenschaft in Máh-Kú ofenbarte Er in jeder Nacht nach Seinem Abendgebet einen Kommentar zu einem Juz (1/30stel) des Qur'án. So lag am Ende jedes Monats ein Kommentar zu dem gesamten heiligen Buch vor. Während dieser Zeit sind also insgesamt neun Kommentare zum ganzen Qur'án von Ihm offenbart worden. Die Texte dieser Kommentare wurden in Tabríz einem gewissen Siyyid Ibráhím-i-Khalíl anvertraut mit der Weisung, sie zu verbergen, bis die Zeit zu ihrer Veröffentlichung komme. Ihr Schicksal ist bis heute unbekannt.`

+2:10

`Im Zusammenhang mit einem dieser Kommentare fragte mich der Báb eines Tages: »Welchen ziehst du vor, diesen Kommentar, den Ich offenbart habe, oder den Ahsanu'l-Qisas, Meinen früheren Kommentar über die Sure Joseph? Welcher von beiden ist der höhere in deinen Augen?« Ich antwortete: Mir erscheint der Ahsanu'l-Qisas kraftvoller und schöner. Er lächelte über meine Bemerkung und sagte: »Ton und Inhalt des späteren Kommentars sind dir bis jetzt noch fremd. Die in ihm verborgenen Wahrheiten werden den Sucher jedoch rascher und sicherer befähigen, Antwort auf seine Fragen zu finden.«`

+2:11 #65

Ich blieb auch weiterhin in enger Verbindung mit Ihm bis zu jenem großen Gefecht von Shaykh Tabarsí. Als man dem Báb von diesem Ereignis berichtete, wies Er alle Seine Gefährten an, dorthin zu eilen und Quddús, Seinem heldenhaften und berühmten Jünger, alle in ihrer Macht stehende Hilfe zu bringen. Eines Tages sprach Er zu mir: »Wäre Ich nicht ein Gefangener hier im Jabal-i-Shadíd, der Festung von Chihríq, so wäre es Meine Pflicht gewesen, Meinem geliebten Quddús persönlich zur Seite zu stehen. Deine Sache aber ist es nicht, an diesem Kampf teilzunehmen. Du solltest nach Karbilá gehen und in dieser heiligen Stadt bleiben, zumal dir bestimmt ist, mit eigenen Augen das herrliche Antlitz des verheißenen Husayn zu schauen. Und wenn du in jenes strahlende Angesicht blickst, dann gedenke auch Meiner. Sage Ihm von Meiner Liebe und Ergebenheit.« Dann fügte Er eindringlich hinzu: »Wahrlich, Ich sage dir. Ich habe dich mit einer großen Aufgabe betraut. Gib acht, daß dein Herz nicht verzagt und du nicht den Ruhm vergißt, mit dem Ich dich geschmückt habe.«`

+2:12

`Bald darauf reiste ich nach Karbilá und wohnte, wie mir geheißen, in dieser heiligen Stadt. In der Sorge, daß mein langer Aufenthalt in diesem Pilgerzentrum Argwohn erregen könnte, beschloß ich zu heiraten und begann als Schreiber meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Welcher Kummer befiel mich aber angesichts der Shaykhí, die sich Nachfolger des Shaykh Ahmad nannten und doch den Báb nicht erkannten! Doch eingedenk des Rates jenes geliebten Jünglings nahm ich geduldig alle Beleidigungen auf mich, mit denen ich überhäuft wurde. Zwei Jahre lang lebte ich in jener Stadt. Während dieser Zeit wurde der heilige Jüngling aus Seinem irdischen Gefängnis befreit, Sein Märtyrertod hat Ihn von all den entsetzlichen Grausamkeiten erlöst, welche die letzten Jahre Seines Lebens verdunkelt hatten.`

+2:13

`Zweiundzwanzig Tage weniger als sechzehn Mondmonate waren vergangen seit dem Tage des Märtyrertodes des Báb, als an dem Tage Arafih des Jahres 1267 d.H. (der 9.Tag des Monats Dhi'l-Hijjih, der 5.Oktober 1851 A.D.), gerade als ich am Tor des Innenhofes zum Schrein von Imám Husayn vorüberging, meine Augen zum ersten Male Bahá'u'lláh erblickten. Was soll ich sagen über das Antlitz, das ich schaute? Die Schönheit dieses Angesichts, diese erhabenen Züge, die keine Feder, kein Pinsel wiederzugeben vermag, Sein durchdringender Blick, Sein gütiges Antlitz, Sein liebliches Lächeln, die Fülle Seiner damals noch schwarzen Locken hinterließen in meiner Seele einen unauslöschlichen Eindruck. Damals war ich ein vom Alter niedergebeugter Mann. Wie liebevoll ging Er auf mich zu! Er ergriff meine Hand und sprach zu mir in einem Ton, in dem Kraft und Schönheit zugleich lag: »Diesen Tag habe ich dazu bestimmt, dich in ganz Karbilá als Bábí bekanntzumachen.« Er hielt meine Hand weiter in der Seinen und sprach mit mir. Er ging mit mir die Marktstraße entlang, und zuletzt sagte Er: »Preis sei Gott, daß du in Karbilá geblieben bist und nun mit eigenen Augen das Antlitz des verheißenen Husayn geschaut hast.« Ich erinnerte mich sogleich an das Versprechen, das der Báb mir gegeben hatte. Ich hatte geglaubt, daß Seine Worte sich auf eine ferne Zukunft bezögen und hatte mit niemandem darüber gesprochen. Die Worte von Bahá'u'lláh haben mich zutiefst bewegt. Es drängte mich, gerade jetzt und mit der ganzen Kraft meiner Seele diesem achtlosen Volk die Ankunft des Verheißenen Husayn zu verkünden. Er bat mich jedoch, meine Gefühle zurückzuhalten und meine Bewegung zu verbergen. »Noch nicht« flüsterte Er mir ins Ohr »die festgesetzte Stunde ist nahe, aber noch hat sie nicht geschlagen. Bleib dessen gewiß und sei geduldig.« Von diesem Augenblick an waren all meine Sorgen verschwunden. Meine Seele war von Glück überwältigt. Obwohl ich in jenen Tagen so arm war, daß ich fast immer Hunger hatte, fühlte ich mich doch jetzt so reich, daß alle Schätze der Erde nichts waren im Vergleich zu dem, was ich jetzt besaß. "So ist die Gnade Golfes. Er gibt, wem Er will. Seine Güte ist wahrlich unerschöpflich."`


+2:14 #66

Nach dieser Abschweifung kehre ich wieder zu meinem Thema zurück. Ich hatte von dem Eifer gesprochen, mit dem Siyyid Kázim sich aufgemacht hatte, die Schleier zu zerrreißen, die das Volk seiner Zeit am Erkennen der verheißene Manifestation gehindert hatten. Auf den einführenden Seiten seiner Werke Sharh-i-Qasídih und Sharh-i-Khutbih¹ erwähnte er in verhüllter Sprache den gesegneten Namen Bahá'u'lláh. In einem Büchlein, seinem letzten, erwähnt er ausdrücklich den Namen des Báb durch seinen Hinweis auf die Bezeichnung "Dhikru'lláh-i-A'zam". Er schreibt darin: "Ich wende mich an diesen edlen `Dhikr`², diese mächtige Stimme Gottes, und sage: `Ich befürchte, daß das Volk dir Leid zufügen könnte. Ich befürchte von mir selbst, daß auch ich dich kränken könnte. Ich fürchte dich, ich zittere vor deiner Macht, und ich fürchte das Zeitalter, in dem du lebst. Und wenn ich dich bis zum Jüngsten Tag hütete wie meinen Augapfel, so hätte ich doch nicht genügend meine Ergebenheit dir gegenüber erwiesen`".³

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¹ Das zweite Kapitel des zweiten Bandes von A.L.M. Nicolas, Essai sur le Shaykhisme, enthält eine genaue Aufstellung der einhundertfünfunddreißig Werke Siyyid Kázims. Die folgenden sind darunter von größter Bedeutung:

1. Sharh-i-Khutbiy-i-Tutunjíyyih
2. Sharh-i-Qasídih
3. Tafsírih Ayatu'l-Kursi
4. Dar Asrár-i-Shihádat-i-Imám Husayn
5. Eine Kosmographie
6. Dalílu'l-Mutahayyirín

Sein Gesamtwerk soll mehr als dreihundert Bände umfassen. (A Traweller's Narrative, Anmerkung E,p.238)

² Dhikr bedeutet Erwähnung, Gedenken

³ Im dritten Kapitel seines Buches Essai sur le Shaykhisme, Band II, p.43, zitiert A.L.M.Nicolas folgcnden Abschnitt aus Siyyid Kázims Sharh-i-Qasídih:

"Ich habe gesagt, daß es in diesem Zeitraum von hundert Jahrcn auserwählte Menschen geben werde, die jene Lehren aussäen und verbreiten, welche festlegen, was verboten und was erlaubt ist. Sie enthüllen die Dinge, die während der vergangenen hundert Jahre verborgen waren. Ich habe ferner gesagt, daß alle hundert Jahre ein gelehrter und vollkommener Mensch erscheint, der den Baum des religiösen Gesetzes grünen und blühen läßt. Durch ihn wird sein Stamm erneuert, so daß das Buch der Schöpfung nach einem Zeitraum von zwölf Jahrhunderten zu seinem Ende gelangt. Dann wird eine bestimmte Anzahl vollkommener Menschen auftreten, die bestimmte geheimnisvolle Zusammenhänge enthüllen werden, die bisher verborgen waren. Wenn also nach Ablauf von zwölfhundert Jahren der erste Zyklus, der vom Erscheinen der Sonne des Propheten, des Mondes von Viláyat eröffnet wurde, abgeschlossen ist, dann sind auch die Einflüsse dieses Zyklus beendet, und es beginnt ein zweiter Zyklus der Erklärung der Lehren und der verborgenen Geheimnisse."

Er selbst (Nicolas) fügt folgendes hinzu: `Um mit anderen Worten diese außergewöhnliche Aussage, die im Grunde keiner Erläuterung bedarf, noch einmal zu verdeutlichen: Siyyid Kázim sagt uns, daß der erste Zyklus, welcher zwölf Jahrhunderte dauert, allein der Erziehung des Körpers und der von ihm abhängigen geistigen Fähigkeiten dient. Es ist wie ein Kind im Mutterleib. Der zweite Zyklus ist der Erziehung eines gesunden Geistes und einer Seele gewidmet, die nicht von der Welt des Körperlichen abhängt. Dies ist, als wolle Gott den Geist in dieser Welt durch die Aufgabe der Pflichterfüllung zur Entfaltung bringen. Wenn der erste Zyklus, dessen Ruhm der Name Muhammad ausdrückt, beendet ist, beginnt der Zyklus, in dem die inneren Bedeutungen zur Entfaltung gelangen. Während im vorhergehenden Zyklus die Erscheinungswelt bestimmend war, ist es in diesem Zyklus die innerste Wesenheit, die die Erscheinungen bestimmt. In diesem zweiten Zyklus ist der göttliche Name des Propheten Ahmad der Mittelpunkt. Der Meister selbst sagt über ihn: »Dieser Name muß notwendigerweise der besten Erde und der reinsten Luft entstammen.«`

In einer Fußnote fügt Nicolas hinzu: `Der oben erwähnte Name Ahmad läßt vermuten, daß damit Shaykh Ahmad gemeint sei. Man kann indessen keineswegs, wenn man von Lahca (Ahsa, Geburtsort Shaykh Abmads) spricht, sagen, dies sei die beste Erde. Sind sich doch alle persischen Dichter darüber einig, Shiráz und sein ideales Klima zu besingen. Man braucht nur nachzulesen, was Shaykh Ahmad selbst über sein Land gesagt hat.`

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+2:15 #67

Wie bitter hat Siyyid Kázim unter der Bosheit des Volkes gelitten! Wieviel Kummer hat ihm diese schändliche Brut zugefügt! Jahrelang hat er still gelitten und mit heldenhafter Ergebung alle Beleidigungen, Verleumdungen und Schmähungen ertragen, mit denen sie ihn überhäuften. Aber in seinen letzten Lebensjahren sollte er noch erfahren, wie Gottes rächende Hand jene »mit völliger Vernichtung schlug«, die ihm Widerstand geleistet, ihn verleumdet und Ränke wider ihn geschmiedet hatten. Damals rotteten sich die Anhänger von Siyyid Ibráhím, diesem berüchtigten Feind Siyyid Kázims, zusammen, um einen Aufruhr anzuzetteln, der ihren gefürchteten Gegner in Unheil und Lebensgefahr stürzen sollte. Mit allen verfügbaren Mitteln suchten sie die Gemüter seiner Bewunderer und Freunde zu vergiften, seine Autorität zu untergraben und Mißtrauen gegen ihn zu säen. Und keine Stimme erhob Protest gegen den von diesen gottlosen und verräterischen Leuten so emsig betriebenen Aufruhr. Jeder von ihnen stellte sich als eine Leuchte wahrer Gelehrsamkeit hin und als Schatzkammer der Geheimnisse des Gottesglaubens. Niemand wollte sie warnen oder wachrütteln. Sie gewannen so viel Einfluß und entfachten ein solches Gezänk, daß daraufhin der Bevollmächtigte des Osmanischen Reiches auf sehr unrühmliche Weise aus Karbilá abberufen wurde und sie sich alle ihm zustehenden Einkünfte für ihre eigenen niedrigen Ziele aneigneten. Ihr bedrohliches Verhalten veranlaßte die Zentralregierung in Konstantinopel zum Eingreifen. Sie entsandte einen Militärbeamten an den Ort des Aufruhrs mit der Weisung, diesen unheilvollen Brand zu löschen. Der Beamte belagerte mit den ihm zur Verfügung gestellten Streitkräften die Stadt. Er sandle eine Botschaft an Siyyid Kázim mit dem dringenden Ersuchen, das aufgebrachte Volk zu beschwichtigen. Er forderte ihn auf, die Bewohner zur Mäßigung anzuhalten und sie zur Aufgabe ihrer Halsstarrigkeit und zur freiwilligen Unterwerfung unter seinen Befehl zu bewegen. Für den Fall, daß sie seinem Rat folgten, versprach er ihnen seine Vorsorge für ihre Sicherheit und ihren Schutz, die Verkündigung einer allgemeinen Amnestie und sein Bemühen um die Förderung ihres Wohlergehens. Wenn sie jedoch den Gehorsam verweigerten, so warnte er, sei ihr Leben in Gefahr und großes Unheil werde sicherlich über sie kommen.


+2:16 #68

Nach Empfang dieser förmlichen Mitteilung rief Siyyid Kázim die Hauptanstifter der Bewegung zu sich. Mit größter Weisheit und Güte ermahnte er sie, ihren Aufruhr einzustellen und die Waffen niederzulegen. Er sprach so überzeugend und beredsam, so voll Ernst und Hingabe, daß ihre Herzen schmolzen und sie ihren Widerstand aufgaben. Feierlich versprachen sie, am nächsten Morgen die Stadttore zu öffnen und in Begleitung von Siyyid Kázim zum Befehlshaber der Belagerer zu gehen. Man kam überein, daß der Siyyid für sie verhandeln und versuchen solle, Ruhe und Sicherheit für sie zu erlangen. Kaum aber hatten sie den Siyyid verlassen, als die Ulamás, die Haupträdelsführer des Aufstands, sich einmütig aufmachten, diesen Plan zu vereiteln. Da sie wohl wußten, daß dem Siyyid, der ohnehin schon ihren Neid erregt hatte, ein solches Vorhandeln noch mehr Ansehen einbringen und seine Autorität festigen würde, beschlossen sie, eine Anzahl törichter und leicht erregbarer Elemente unter der Bevölkerung zu überreden, bei Nacht auszubrechen und die feindlichen Soldaten anzugreifen. Sie versicherten sie des Sieges durch einen Traum, in dem einer von ihnen den Abbás (Bruder des Imám Husayn) gesehen haben wollte, der ihn beauftragt habe, seine Anhänger zum Heiligen Krieg gegen die Belagerer aufzurufen, und ihm das Versprechen endlichen Sieges gegeben habe.

+2:17 #69

Irregeführt durch diese leeren Versprechungen, schlugen sie den Rat des weisen, einsichtsvollen Mittlers in den Wind und schickten sich an, die unsinnigen Pläne ihrer Anführer zu verwirklichen. Siyyid Kázim, der sehr wohl den üblen Einfluß erkannte, der hinter dieser Revolte stand, erstattete dem türkischen Befehlshaber einen ausführlichen und wahrheitsgemäßen Bericht. Dieser wiederum schrieb an Siyyid Kázim und wiederholte seine Aufforderung zu einer friedlichen Beilegung des Zwistes. Er erklärte weiterhin, daß er zu gegebener Zeit die Tore der Festung bezwingen und dann das Haus des Siyyid als einzige Zufluchtsstätte für den besiegten Gegner betrachten werde. Der Siyyid sorgte dafür, daß diese Erklärung in der ganzen Stadt verbreitet wurde. Sie rief jedoch nur den Hohn und Spott des Volkes hervor. Als der Siyyid erfuhr, wie diese Erklärung in der Stadt aufgenommen worden war, sagte er: "Wahrlich, das, was ihnen droht, wird am Morgen sein. Ist der Morgen nicht nahe?". (Qur'án 11:81)

+2:18

Bei Tagesanbruch, zur festgesetzten Stunde, beschossen die feindlichen Streitkräfte die Festungswälle, zerstörten sie, drangen plündernd in die Stadt ein und töteten eine beträchtliche Zahl der Einwohner. Viele flohen in ihrer Verzweiflung zum Hof des Schreins von Imám Husayn. Andere suchten Zuflucht im Heiligtum von Abbás. Wer Siyyid Kázim liebte und verehrte, begab sich in seine Wohnung. So groß war die Zahl derer, die den Schutz seines Hauses suchten, daß man noch mehrere benachbarte Häuser mit einbeziehen mußte, um die Menge der andrängenden Flüchtlinge aufnehmen zu können. So groß war das Gedränge der erregten Massen, daß man nach Beilegung des Tumults nicht weniger als zweiundzwanzig zu Tode getrampelte Menschen zählen konnte.

+2:19 #70

Wie groß war die Bestürzung der Einwohner und der Besucher der heiligen Stadt! Wie streng bestraften die Sieger ihre entsetzten Feinde! Mit welcher Dreistigkeit mißachteten sie die heiligen Rechte und Privilegien, mit denen die Frömmigkeit zahlloser muslimischer Pilger die heiligen Stätten von Karbilá ausgestattet hatte! Weder den Schrein des Imám Husayn noch das geheiligte Grabmal von Abbás wollten sie als Freistätten für die Tausende anerkennen, die vor der Rachsucht und Wut der Eindringlinge dorthin flohen. In den heiligen Bezirken dieser beiden Schreine floß das Blut der Opfer. Ein einziger Ort nur konnte sein Vorrecht, Freistatt für die Unschuldigen und Gläubigen zu sein, aufrechterhallen. Es war das Haus von Siyyid Kázim. Seinem Haus mit seinen Nachbarhäusern wurde eine solche Unverletzlichkeit zuerkannt, wie sie selbst der höchst geheiligte Schrein des shí'itischen Islám nicht hatte bewahren können. Diese harte Offenbarung von Gottes rächendem Zorn war für alle jene eine Lehre, die die geistige Bedeutung des heiligen Mannes gern geschmälert hätten. Das denkwürdige Ereignis¹ fand am achten Tag des Dhi'l-Hijjih im Jahre 1258 d.H. statt. (10.Jan.1843)

¹ A.L.M. Nicolas beschreibt das Ereignis in seinem Buch Essai sur le Shaykhisme, II, p.29-30, mit folgenden Worten: `Es war im Jahr 1258 (1842), am Tag des Festes Qadr, als dies geschah. Die Armeen von Baghdád hatten sich unter dem Oberbefehl von Najíb Páshá der Stadt Karbilá bemächtigt, ihre Einwohner niedergemetzelt und die reichen Moscheen geplündert. Nahezu neuntausend Menschen wurden getötet; die meisten davon waren Perser. Muhammad Sháh war zu dieser Zeit gerade sehr krank, so daß die hohen Funktionäre ihm die Geschehnisse verheimlichten ... Als der Sháh später davon erfuhr, geriet er in großen Zorn und schwor, schwere Rache zu nehmen. Die Russen und Engländer legten sich jedoch beruhigend ins Mittel. Schließlich wurde Mírzá Ja'far Khán Mushíru'd-Dawlih, der von seiner Botschaft in Konstantinopel zurückkehrte, nach Erzerum eingeladen, um sich dort mit den englischen, russischen und osmanischen Gesandtcn zu treffen ... Nach seiner Ankunft in Tabríz erkrankte der bevollmächtigte Perser. Hájí Mírzá Aqásí ernannte hierauf Mírzá Taqí Khán-i-Faráhání, den Vazír Nízám, zum Stellvertreter. Begleitet von zweihundert Beamten begab dieser sich nach Erzerum. Der türkische Delegierte war Anvar Effendi, der sich als höflich und verbindlich erwies. Ein Mann aus der Begleitung des Amír Nízám beging jedoch eine Taktlosigkeit und verletzte das religiöse Gefühl der sunnitischen Bevölkerung. Die Leute stürzten zum Lager des Gesandten; zwei oder drei Perser wurden getötet, alles wurde ausgeplündert und Amír Nízám blieb nur auf Fürsprache des Badrí Páshá am Leben ... Die türkische Regierung entschuldigte sich und bezahlte 15000 Túmán Schadenersatz ... In seinem Hidáyatu't-Tálibín gibt Karím Khán an, daß die siegreichen Truppen während der Plünderung die Häuser der Shaykhí respektiert hätten. Alle, die dort Zuflucht gesucht hatten, wurden gerettet, und man hortete dort auch kostbare Gegenstände. Keiner der Gefährten von Siyyid Kázim wurde getötet, alle diejenigen aber, die zu den heiligen Gräbern geflüchtet waren, wurden erbarmungslos niedergemacht. Der Páshá, so sagt man, drang zu Pferd in den heiligen Bezirk ein.`


+2:20 #71

Es ist offensichtlich und einleuchtend, daß in jedem Zeitalter und bei jeder Sendung diejenigen, die sich zur Verkündigung der Wahrheit oder für ihre Wegbereitung einsetzen, immer von mächtigen Gegnern angegriffen werden, die ihre Autorität ablehnen und ihre Lehren zu verfälschen suchen. Ihnen ist es für einige Zeit immer gelungen, durch Betrug, unter Vorwänden, durch Verleumdung oder Unterdrückung die Unwissenden zu täuschen und die Schwachen irrezumachen. In ihrem Wunsch, die Herrschaft über das Denken und Gewissen der Menschen zu behaupten, konnten sie die Früchte ihrer vergänglichen und unsicheren überlegenheit nur so lange genießen, wie der wahre Gottesglaube im Verborgenen blieb. Sobald aber der Glaube verkündet war, mußten sie zu ihrer größten Bestürzung erleben, wie die Erfolge ihrer dunklen Machenschaften vor dem aufdämmernden Licht des Neuen Gottestages verblaßten. Unter den sieghaften Strahlen dieser aufgehenden Sonne schwanden all ihre Ränke und bösen Taten dahin und waren alsbald vergessen.

+2:21

So hatte sich auch um Siyyid Kázim eine Anzahl eitler und gemeiner Leute geschart, die ihm Ehrfurcht und Anhänglichkeit heuchelten, die sich für fromm und gottesfürchtig ausgaben und behaupteten, die einzigen Verwahrer der Geheimnisse zu sein, die in den Worten von Shaykh Ahmad und seinem Nachfolger verborgen waren. Sie nahmen auf den Zusammenkünften bei Siyyid Kázim die Ehrenplätze unter den Schülern ein. An sie richtete er das Wort, und ihnen erwies er besondere Aufmerksamkeit und Höflichkeit. Und doch spielte er oft in feinen Worten verdeckt auf ihre Blindheit an, auf ihre Aufgeblasenheit und ihre völlige Unfähigkeit, die Geheimnisse des göttlichen Wortes zu erfassen. Eine dieser Anspielungen war: "Niemand kann meine Sprache verstehen, er sei denn von mir gezeugt."

Er sagte oftmals: "Ich bin gebannt durch diese Vision. Ich bin stumm vor Staunen und sehe, wie die Welt die Kraft des Hörens verloren hat. Ich bin außerstande, das Geheimnis zu enthüllen, und sehe, daß die Menschen sein Gewicht nicht zu tragen vermögen."

Ein andermal bemerkte er: "Es gibt viele, die von sich sagen, sie hätten die Vereinigung mit dem Geliebten erlangt; doch der Geliebte weist ihren Anspruch zurück. An den Tränen, die der wahrhaft Liebende um seines Geliebten willen vergießt, kann man ihn von den Falschen unterscheiden."

Oftmals sagte er: "Er, welcher nach mir offenbart werden soll, ist aus edlem Geschlecht, von erlauchter Herkunft, aus dem Stamm von Fátimih. Er ist von mittlerer Größe und frei von jeglichem körperlichen Makel."¹

¹ A.I.M.Nicolas gibt in seinem Essai sur le Shaykhisme, II, p.60-61, folgenden Auszug aus den Schriften von Siyyid Kázim wieder: "Ich denke, du hast verstanden, daß das religiöse Gesetz und die Regeln richtigen Verhaltens die Nahrung des Geistes sind. Es ist daher sclbstverständlich, daß diese religiösen Gesetze verschieden sind. Frühere Regeln müssen bisweilen aufgehoben werden. Sie enthalten zwangsläufig Dinge, die unklar, als auch Dinge, die ganz sicher sind, Allgemeingültiges und Spezielles, Absolutes und Begrenztes, Offenbares und Verborgenes, damit das Kind zu seiner Zeit erwachsen und reif werde und in seinem Können und seiner Fassungskraft Vollkommenheit erreiche ... Jetzt ist der Augenblick gekommen, da der Qá'im erscheinen wird, und nach Seiner Offenbarung wird sich die Zeit Seines Lebens erfüllen und er wird getötet werden. Und wenn er getötet ist, wird die Welt ein Alter von achtzehn Lebensjahren erreicht haben."


+2:22 #72

Ich habe zugehört, wie Shaykh Abú-Turáb¹ folgendes erzählte:

`Ich betrachtete so wie auch einige andere Schüler von Siyyid Kázim diese Hinweise auf die körperlichen Mängel, von welchen der Verheißene, wie der Siyyid erklärte, völlig frei sei, als speziell gegen drei unserer Mitschüler gerichtet. Wir wiesen bei derartigen Erklärungen sogar direkt auf ihre körperlichen Fehler hin. Einer von ihnen war Hájí Mírzá Karím Khán², der Sohn des Ibráhím Khán-i-Qájár-i-Kirmání, er war einäugig und hatte einen nur ganz schütteren Bart. Der andere war Mírzá Hasan-i-Gawhar, ein außergewöhnlich korpulenter Mann. Der dritte war Mírzá Muhít-i-Shá'ir-i-Kirmání, er war ungewöhnlich mager und hochgeschossen. Wir waren fest davon überzeugt, daß niemand anders gemeint war als diese drei, wenn der Siyyid immer wieder von ungetreuen und aufgeblasenen Menschen sprach, deren wahres Ich einmal ans Tageslicht kommen und ihre Undankbarkeit und Torheit verraten werde. Hájí Mírzá Karím Khán, der jahrelang Siyyid Kázim zu Füßen gesessen und von ihm all seine sogenannte Gelehrtheit empfangen hatte, nahm schließlich Abschied von seinem Meister und siedelte nach Kirmán über, um sich dort den Interessen des Islám zu widmen und der Verbreitung solcher Überlieferungen, die sich um das geheiligte Gedächtnis der Imáme des Glaubens ranken.`

¹ Nach einem Bericht von Samandar (p.32) war Shaykh Abú-Turáb aus Ishtihárd gebürtig und zählte zu den führenden Schülern von Siyyid Kázim. Er heiratete die Schwester von Mullá Husayn. Er starb während seiner Gefangenschaft in Tihrán.

² Der Báb schrieb an Hájí Muhammad-Karím Khán ... und forderte ihn auf, Seine Autorität anzuerkennen. Der lehnte dies nicht nur strikt ab, sondern schrieb darüber noch eine Abhandlung gegen den Báb und Seine Lehren ... Es gibt mindestens zwei solcher Abhandlungen von Hájí Muhammad-Karím Khán. Die eine davon wurde zu einem späteren Datum geschrieben; vermutlich entstand sie nach dem Tod des Báb auf besonderes Ersuchen von Násiri'd-Dín Sháh. Eine von den Abhandlungen ist unter dem Titel `Die Vernichtung der Unwahrheit` (Izháqu'l-Bátil) gedruckt. (Journal of the Royal Asiatic Society, 1889, p.910 und Fußnote 1. Artikel 12)


+2:23 #73

`Eines Tages befand ich mich in der Bibliothek von Siyyid Kázim, als ein Diener des Hájí Mírzá Karím Khán mit einem Buch in der Hand ankam. Er überreichte es dem Siyyid im Auftrag seines Herrn und bat ihn, es zu lesen und ihm mit eigener Hand sein Einverständnis mit dessen Inhalt niederzuschreiben. Der Siyyid las einige Abschnitte durch und gab es dem Diener zurück mit folgender Weisung: "Sag deinem Herrn, daß er selbst besser als jeder andere den Wert seines eignen Buches ermessen kann."`

`Als der Diener sich zurückgezogen hatte, sagte der Siyyid mit sorgenvoller Stimme: "Klage über ihn! Jahrelang befand er sich in meiner Gesellschaft, und jetzt, da er weg will, ist nach so vielen Jahren des Studiums und der Gemeinsamkeit sein einziges Ziel, solche ketzerischen und gottlosen Lehren durch sein Buch zu verbreiten, die er von mir auch noch unterschrieben haben will. Er hatsich mit einer Anzahl selbstsüchtiger Heuchler zusammengetan in der Absicht, sich in Kirmá niederzulassen und nach meinem Hinscheiden aus dieser Welt die Zügel unbestrittener Führerschaft an sich zu reißen. Wie sehr hat er sich geirrt in seiner Meinung! Denn der Hauch göttlicher Offenbarung, der vom Morgen der Führung herweht, wird sicherlich sein Licht auslöschen und seinen Einfluß vernichten. Der Baum seines Strebens wird am Ende nichts anderes hervorbringen als die Frucht bitterer Enttäuschung und nagender Gewissensbisse. Wahrlich, ich sage dir, du wirst es noch mit eigenen Augen sehen. Ich bete für dich, daß du vor den üblen Einflüssen bewahrt bleiben mögest, die er, der Antichrist der verheißenen Offenbarung, in Zukunft ausüben wird."`

`Er bat mich, diese Vorhersage bis zum Tage der Auferstehung geheimzuhalten, bis zu dem Tag, da die Hand der Allmacht die Geheimnisse enthüllen werde, die jetzt noch in der Brust der Menschen verborgen sind. "An jenem Tag", ermahnte er mich, "mußt du dich unbeirrbar und unerschütterlich für den Sieg des Gottesglaubens erheben. Dann mußt du weithin alles bekannt geben, was du gehört hast und wessen du Zeuge gewesen bist."`

Dieser gleiche Shaykh Abú-Turáb, der es in den ersten Tagen der durch den Báb verkündeten Sendung für klüger und besser gehalten hatte, sich nicht zu Seiner Sache zu bekennen, hegte dennoch in seinem Herzen die tiefste Liebe zu der geoffenbarten Manifestation und blieb in seinem Glauben standhaft und wie ein Felsen fest. Dies glimmende Feuer in seiner Seele flammte hoch auf und wurde zur Ursache für sein späteres Auftreten, das ihn schließlich in die Gefangenschaft nach Tihrán führte, wo er im gleichen Gefängnis litt, in dem auch Bahá'u'lláh gefangengehalten wurde. Er blieb standhaft bis ans Ende und krönte ein von aufopfernder Liebe erfülltes Leben durch den Ruhm des Märtyrertodes.


+2:24 #74

Als das Leben von Siyyid Kázim sich seinem Ende zuneigte, ermahnte er seine Schüler, wann immer er sie traf, ob im privaten Gespräch oder bei öffentlichen Vorträgen, und sprach:

»O meine geliebten Gefährten! Hütet euch, hütet euch, daß nach meinem Tode die vergänglichen Nichtigkeiten der Welt euch nicht umgarnen! Hütet euch, daß ihr nicht hochmütig werdet und Gott nicht vergesset! Es steht eut zu, aller Bequemlichkeit, aller irdischen Güter und jeder verwandtschaftlichen Bindung zu entsagen in der Suche nach Ihm, der das Verlangen eures und meines Herzens ist. Geht hin in alle Welt, macht euch frei von allem Irdischen und bittet den Herrn in demütigem Gebet, daß Er euch helfe und leite. Werdet nie müde in eurer Entschlossenheit, Ihn, der hinter den Schleiern der Herrlichkeit verborgen ist, zu suchen und zu finden. Bleibt standhaft, bis Er, der euer wahrer Führer und Herr ist, euch in Seiner Gnade helfen wird, Ihn zu erkennen. Bleibt standhaft bis zu dem Tag, da Er euch auserwählen wird als die Gefährten und die heldenmütigen Helfer des verheißenen Qá'im. Wohl bestellt ist es mit jedem von euch, der den Kelch des Märtyrertums auf Seinem Pfade leert. Diejenigen aber unter euch, die Gott in Seiner Weisheit bewahren wird als Zeugen für den Stern göttlicher Führung, jenen Vorboten der Sonne der göttlichen Offenbarung, müssen Geduld haben, sie müssen unbeirrbar und standhaft ausharren. Sie dürfen weder straucheln noch verzagen. Denn bald nach dem ersten Posaunenstoß, der die Erde mit Tod und Verderben heimsuchen wird, soll ein anderer Ruf erschallen, auf dessen Klang hin alles erquickt und neu belebt werden wird. Dann wird die Bedeutung der heiligen Verse offenbar werden: »Und da war ein Trompetenschall, und alle, die im Himmel und auf Erden waren, schwanden dahin, außer denen, die Gott am Leben ließ. Und es ertönte ein weiterer Trompetenschall, und siehe, sie standen auf und blickten um sich. Und die Erde erstrahlte vom Licht des Herrn, und das Buch ward aufgelegt und die Propheten kamen herzu und die Zeugen alle; und es wurde Gericht gehalten unter ihnen mit Gerechtigkeit, und keinem von ihnen geschah Unrecht.« (Qur'án 39:68) Wahrlich, ich sage euch, nach dem Qá'im wird der Qayyúm geoffenbart werden. Denn wenn der Stern des Ersten untergegangen ist, wird die Sonne der Schönheit von Husayn aufgehen und die ganze Welt erleuchten. Dann wird das `Mysterium` und das `Geheimnis`, von dem Shaykh Ahmad gesprochen hat, in all seiner Herrlichkeit enthüllt werden: `Das Mysterium dieser Sache muß notwendig offenbar werden und das Geheimnis dieser Botschaft muß notwendig enthüllt werden.` Jenen Tag der Tage erreicht zu haben heißt die höchste Herrlichkeit vergangener Generationen erlangt zu haben, und eine in diesem Zeitalter vollbrachte gute Tat kommt dem frommen Gottesdienst zahlloser Jahrhunderte gleich. Wie oft hat der verehrungswürdige Shaykh Ahmad diese Verse aus dem Qur'án wiederholt! Wieviel Nachdruck hat er auf ihre Bedeutung gelegt als Vorahnung des Kommens der beiden Offenbarungen, die so rasch aufeinander folgen sollten, und von denen jede bestimmt ist, ihren Glanz über die Welt zu ergießen! Wie oft hat er ausgerufen: `Wohl dem, der ihre Bedeutung erkennt und ihren Glanz schaut!` Wie oft bemerkte er zu mir: `Niemand von uns wird es erleben, ihren Strahlenglanz zu schauen. Aber viele deiner gläubigen Schüler werden Zeugen des Tages sein, den zu schauen wir leider nicht hoffen dürfen! O meine geliebten Gefährten! Wie groß, wie ungeheuer groß ist diese Sache! Wie erhaben die Stufe, zu der ich euch rufe! Wie groß ist die Aufgabe, für die ich euch vorbereitet und geschult habe! Rüstet euch mit Eifer und richtet euren Blick auf Seine Verheißung. Ich bete zu Gott, daß Er euch mit Seiner Gnade beistehe, die Stürme der Versuchungen und Prüfungen, die über euch kommen werden, zu überstehen, damit ihr sieghaft und unversehrt aus ihnen hervorgehen möget, und daß Er euch eurem erhabenen Schicksal entgegenführen möge.`«


+2:25 #75

Im Monat Dhi'l-Qa'dih jeden Jahres begab sich der Siyyid von Karbilá nach Kázimayn¹, um die Schreine der Imáme zu besuchen. Er kehrte immer so zeitig nach Karbilá zurück, daß er am Tage Arafih noch den Schrein des Imám Husayn besuchen konnte. Im Dhi'l-Qa'dih des Jahres 1259 d.H. (23.Nov.-23.Dez.1843 A.D.), dem letzten seines Lebens, reiste er, seiner Gewohnheit getreu, in den ersten Tagen des Monats in Begleitung von einigen seiner Gefährten und Freunde von Karbilá ab.

¹ Die Grabstätten `der beiden Kázims`, des siebenten Imám Músá Kázim und des neunten Imám Muhammad-Taqí liegen ungefähr 3 Meilen nördlich von Baghdád. Dort entstand `Kazimayn`, eine große Stadt, die hauptsächlich von Persern bewohnt war.

Am vierten Tag dieses Monats kam er bei der Masjid-i-Baráthá an, die an der Straße zwischen Kázimayn und Baghdád liegt, als es eben Zeit war, das Mittagsgebet zu verrichten. Er bat den Mu'adhdhin, die Gläubigen zum Gebet zu rufen. Im Schatten einer Palme vor der Moschee nahm er an der Versammlung teil und hatte gerade seine Andacht verrichtet, als plötzlich ein Araber erschien, auf ihn zuging und ihn umarmte. `Vor drei Tagen`, sagte er, `hütete ich meine Herde auf der Weide nebenan, als plötzlich Schlaf mich überfiel. In meinem Traum sah ich Muhammad, den Propheten Gottes, der sprach zu mir:`

`»Gib acht, o Hirte, höre auf Meine Worte und bewahre sie in deinem Herzen. Denn diese Worte von Mir sind von Gott, und Ich bringe sie dir, damit du sie behältst. Wenn du ihnen treu bist, wird dein Lohn groß sein. Wenn du sie aber nicht achtest, wird schwere Strafe über dich kommen. Höre Mich! Dies ist der Auftrag, den Ich dir erteile: Bleib in der Nähe der Masjid-i-Baráthá. Am dritten Tag nach diesem Traum wird ein Sproß aus Meinem Hause mit Namen Siyyid Kázim, begleitet von seinen Gefährten und Freunden, zur Mittagsstunde im Schatten der Palme bei der Moschee sich niederlassen. Dort wird er sein Gebet verrichten. Sobald du ihn erblickst, suche seine Nähe und überbringe ihm Meine liebevollen Grüße. Sage ihm von Mir: Freue dich, die Stunde deines Heimgangs ist nahe. Wenn du deinen Besuch in Kázimayn beendet haben und nach Karbilá zurückgekehrt sein wirst, dann wirst du drei Tage nach der Rückkehr am Tage Arafih (31.Dez.1843) deinen Flug zu Mir antreten. Bald danach wird Er, welcher die Wahrheit ist, offenbar werden. Dann wird die Welt erstrahlen vom Licht Seines Antlitzes.«`


#76 (Bildlegende - Masjid-i-Baráthá)

Als der Hirte diesen Traum erzählte, lag ein Lächeln auf dem Angesicht von Siyyid Kázim. Er sprach: "An der Wahrheit des Traumes, den du träumtest, ist nicht zu zweifeln." Seine Gefährten waren tief betrübt. Er wandte sich ihnen zu und sprach: "Liebt ihr mich nicht um des Einen willen, dessen Kommen wir alle erwarten? Wollt ihr denn nicht, daß ich sterbe, damit der Verheißene erscheine?"

Diese Begebenheit wurde mir in ihrem vollen Ablauf von nicht weniger als zehn Personen berichtet. Sie alle waren damals dabei, und sie bestätigten mir ihre Richtigkeit. Und doch haben viele von diesen, die mit eigenen Augen Zeugen dieser wunderbaren Zeichen waren, später die Wahrheit verworfen und Seine Botschaft abgelehnt.


+2:26 #77 (Bildlegende - Stadt Kázimayn)

Dieses seltsame Ereignis sprach sich überall herum. Es brachte Trauer über die Herzen der getreuen Anhänger von Siyyid Kázim. Er sprach mit unendlicher Zärtlichkeit und Freudigkeit Worte der Aufmunterung und des Trostes zu ihnen. Er beruhigte ihre Trauer, bestärkte sie im Glauben und entflammte ihren Eifer. Voll Würde und Ruhe vollendete er seine Pilgerfahrt und kehrte dann nach Karbilá zurück. Noch am Tage seiner Ankunft wurde er krank und mußte sich zu Bett legen. Seine Feinde verbreiteten das Gerücht, der Gouverneur von Baghdád habe ihn vergiftet. Dies war reine Verleumdung und offensichtliche Lüge, zumal der Gouverneur uneingeschränktes Vertrauen in Siyyid Kázim setzte und ihn immer als einen hochbegabten Führer mit großem Feingefühl und untadeligem Charakter betrachtet hatte.¹ So nahm Siyyid Kázim im reifen Alter von sechzig Jahren am Tage von Arafih des Jahres 1259 d.H. Abschied von dieser Welt, ganz im Einklang mit der Vision jenes einfachen Hirten. Er ließ eine Schar ernsthafter und ergebener Schüler zurück, die allen irdischen Wünschen entsagten und hinauszogen, ihren verheißenen Geliebten zu suchen. Seine geheiligten Gebeine wurden in der Nähe des Schreines von Imám Husayn beigesetzt.² Sein Hinscheiden verursachte eine große Erregung in Karbilá,³ ganz ähnlich dem Aufruhr, welcher die Einwohner ein Jahr zuvor am Abend des Tages von Arafih befallen hatte, als die siegreichen Feinde die Tore der Festung eingenommen und viele der bedrängten Einwohner niedergemetzelt hatten. Im Jahr zuvor war an jenem Tag sein Haus der einzige sichere Hafen und Hort des Friedens für die Ausgeraubten und Heimatlosen. Nun aber war es ein Haus des Kummers geworden, wo die Menschen, denen er damals Freundschaft und Hilfe gewährt hatte, nun seinen Tod beweinten und um seinen Verlust trauerten.(4)

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¹ Kárim Khán, der über die Eroberung Karbilás berichtet, betont die Hochachtung, welche die Angreifer den Shaykhís und Siyyid Kázim-i-Rashtí entgegengebracht hätten. Dies hindert ihn jedoch nicht zu behaupten, es sei durchaus möglich, daß Siyyid Kázim in Baghdád durch den infamen Najíb Páshá vergiftet worden sei, der, so sagt er, `ihn veranlaßt habe, ein Getränk zu sich zu nehmen, wonach der Siyyid von einem ungeheuren Durst befallen worden und gestorben sei`. So betreiben die Perser Geschichtsschreibung! (A.L.M.Nicolas, Essai sur le Shaykhisme, II p.30-31)

² Sein Grab liegt hinter dem Flurfenster des Schreins des `Königs der Bekenner`. Es wurde sehr tief in das Innere des verbotenen Bereichs eingelassen. (Nicolas, Essai sur le Shaykhisme, II p.31)

³ Zu Lebzeiten von Siyyid Kázim verbreitete sich die Lehre der Shaykhí in ganz Persien; allein in der Provinz Iráq gab es mehr als hunderttausend Muríds. (Journal Asiatique, 1866, Bd.7, p.463)

(4) Hier endet die Geschichte der Gründung der Shaykhí-Bewegung, zumindest die ihrer Einheit. Nach dem Tode von Siyyid Kázim begann sie sich in zwei Richtungen zu zersplittern. Der eine Zweig bringt unter dem Namen Bábismus den Shaykhismus zur Hochblüte, wie sie die Kraft der von Shaykh Ahmad gegründeten Bewegung vorausahnen ließ, und erfüllte damit die Erwartungen bezüglich der beiden Meister, wenn man ihren Verheißungen Glauben schenkt. Die andere Richtung, unter der Führung von Karim Khán-i-Qajár-i-Kirmání, wird ihren Kampf gegen die Shí'iten weiterführen, ständig nach Sicherheit strebend, nach außen hin jedoch bemüht, den Schein eines vollkommenen Ithná-'Asharismus zu wahren. Denn in den Augen Karím Kháns sind der Báb und seine Anhänger gottlose Ungläubige, die Bábis sehen in Karím Khán den von Muhammad vorausgesagten Antichrist oder Dajjál. (A.I.M.Nicolas, Essai sur le Shaykhisme II p.31)

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#79 (Bildlegende - Platz von Siyyid Kázims Ruhestätte - Der Grabstein wurde entfernt)









Drittes Kapitel
DER BAB ERKLÄRT SEINE SENDUNG

+3:1 #81

Der Tod von Siyyid Kázim war für seine Feinde das Aufbruchszeichen zu erneuter Aktivität. In ihrer Gier nach der Führerschaft und ermutigt durch des Siyyid Tod und die folgende Verwirrung seiner Anhänger, machten sie ihre Ansprüche erneut geltend und trafen Vorbereitungen zur Verwirklichung ihrer Ziele. Angst und Furcht erfüllte die Herzen der getreuen Schüler von Siyyid Kázim. Als aber Mullá Husayn-i-Búshrú'í von der Mission, mit der sein Lehrer ihn betraut hatte, höchst erfolgreich zurückkehrte, schwand ihre Schwermut dahin.¹

¹ "Mullá Husayn-i-Bushrú'í war ein Mann, dem selbst seine Gegner ein großes Wissen und einen außergewöhnlich festen Charakter nicht absprechen konnten. Von Kind an hatte er sich dem Studium gewidmet. Er hatte sich auf dem Gebiet der Theologie und der Rechtswissenschaft so hervorgetan, daß er allgemein Aufsehen erregte." (Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies dans l'Asie Centrale, p.128)


+3:2

Am ersten Tag des Muharram im Jahre 1260 d.H. (22.Jan.1844) kehrte Mullá Husayn von Karbilá zurück. Er ermunterte und bestärkte die untröstlichen Schüler seines geliebten Meisters, erinnerte sie an seine unfehlbare Verheißung und ermahnte sie zu unermüdlicher Wachsamkeit und ständigem Bemühen in ihrem Suchen nach dem verborgenen Geliebten. Er wohnte in nächster Nähe des Hauses, in dem der Siyyid gelebt hatte, und verbrachte drei volle Tage damit, den Besuch der zahlreichen Trauernden zu empfangen, die herbeieilten, um ihm, dem führenden Repräsentanten der Schüler des Siyyid, ihre Nöte und Sorgen anzuvertrauen. Er rief hernach eine Gruppe der besten und vertrauenswürdigsten seiner Mitschüler zusammen und befragte sie über die letzten Wünsche und Ermahnungen ihres heimgegangenen Oberhaupts. Sie erzählten ihm, daß Siyyid Kázim sie wiederholt und ausdrücklich aufgefordert habe, ihre Wohnstätten zu verlassen und weithin auszuschwärmen; sie sollten ihr Herz von jeder eitlen Begierde frei machen und sich der Suche nach Ihm weihen, von dessen Kommen er so oft gesprochen hatte. Sie sagten:

#82

"Er hat uns versichert, daß der Gegenstand unseres Suchens geoffenbart worden sei. Die Schleier, die noch zwischen euch und Ihm sind, könnt nur ihr durch euer hingebungsvolles Forschen entfernen. Nichts als nur von Gebet getragenes Bemühen, Reinheit der Motive, Einfalt des Gemüts können euch befähigen, sie zu zerreißen. Hat Gott nicht in Seinem Buche geoffenbart: »Wer sich um unseretwillen bemüht, den werden Wir Unsere Wege führen?«" (Qur'án 29:69)

"Warum also seid ihr lieber in Karbilá sitzengeblieben?" fragte sie Mullá Husayn. "Was habt ihr für einen Grund, daß ihr nicht hingegangen seid und euch erhoben habt, seinem ernsthaften Aufruf zu folgen?" "Wir geben unser Versagen zu", antworteten sie, "und bezeugen deine Größe. Wenn du sagen solltest, du seiest der Verheißene, Wir würden uns alle bereitwillig und ohne Zweifel dir unterwerfen, so groß ist unser Vertrauen zu dir. Wir geloben alle hiermit unsere Treue und unseren Gehorsam in allem, was du von uns verlangst." "Das verhüte Gott!" rief Mullá Husayn. "Fern sei es Seiner Herrlichkeit, daß ich, der ich nur ein Staubkorn bin, mit Ihm verglichen werden sollte, dem Herrn aller Herren! Wäret ihr mit Sprache und Ausdrucksweise von Siyyid Kázim vertraut gewesen, dann hättet ihr nie solche Worte gesprochen. Eure wie auch meine erste Pflicht ist es, aufzustehen und den letzten Auftrag unseres geliebten Meisters nach Geist und Buchstaben auszuführen." Er erhob sich sogleich von seinem Sitz und ging geradenwegs zu Mírzá Hasan-i-Gawhar, Mírzá Muhít und anderen wohlbekannten Persönlichkeiten unter den Schülern von Siyyid Kázim. Jedem einzelnen von ihnen überbrachte er furchtlos die letzte Botschaft seines Meisters, hob hervor, wie dringend ihre Aufgabe sei, und beschwor sie, sich zu erheben und sie zu erfüllen. Er erhielt darauf jedoch nur ausweichende und unangemessene Antworten. "Unsere Feinde", so sagte der eine, "sind zahlreich und mächtig. Wir müssen hier in der Stadt bleiben und über den freigewordenen Sitz unseres verstorbenen Meisters wachen." Ein anderer bemerkte: "Meine Pflicht ist es, dazubleiben und für die Kinder zu sorgen, die der Siyyid hinterlassen hat." Mullá Husayn erkannte sogleich, daß seine Mühe vergeblich war, und da er das Ausmaß ihrer Torheit, ihrer Blindheit und Undankbarkeit erkannte, sprach er nicht weiter mit ihnen. Er zog sich zurück und überließ sie ihrem eitlen Tun.

+3:3 #83

Jetzt, da das Jahr sechzig über der Welt aufging, das Jahr, welches die Geburt der verheißenen Offenbarung erlebte, dürfte es angebracht sein, einmal von unserem Thema abzuweichen und an bestimmte Überlieferungen von Muhammad und den Imámen des Glaubens zu erinnern, die sich im besonderen auf dieses Jahr beziehen. Als Imám Ja'far, der Sohn Muhammads, einmal nach dem Jahr gefragt wurde, in dem der Qá'im geoffenbart werden sollte, gab er zur Antwort: »Wahrlich, im Jahre sechzig wird Seine Sache geoffenbart werden und Sein Name wird überall genannt werden.« In den Werken des gelehrten und weitberühmten Muhyi'd-Dín-i-'Arabí finden sich über die verheißene Manifestation viele Hinweise sowohl auf das Jahr Ihres Erscheinens als auch auf Ihren Namen, darunter die folgenden Stellen: "Die Diener und Träger Seines Glaubens werden aus dem persischen Volk kommen." "In Seinem Namen steht der Name des Hüters ['Alí] vor dem des Propheten [Muhammad]." "Das Jahr Seiner Offenbarung ist gleich der Hälfte der durch neun teilbaren Zahl [2520]." Mírzá Muhammad-i-Akhbábí gibt in seinen Gedichten über das Jahr der Manifestation folgende Vorhersage: "Im Jahre Ghars [der Zahlenwert seiner Buchstaben ist 1260] wird die Erde von Seinem Licht erleuchtet werden, und im Jahre Gharasih [1265] wird die Welt von Seiner Herrlichkeit überstrahlt sein. Wenn du bis zum Jahr Gharasí [1270] lebst, wirst du dessen Zeuge sein, wie die Nationen, die Herrscher, die Völker und der Gottesglaube allesamt erneuert sein werden." In einer Überlieferung, die dem Imám 'Alí, dem Gebieter der Gläubigen, zugeschrieben wird, heißt es: »Im Jahre Ghars wird der Baum der göttlichen Führung gepflanzt werden.«

+3:4

Nachdem Mullá Husayn sich seiner tiefempfundenen Verpflichtung entledigt und seine Mitschüler aufgerüttelt und ermahnt hatte, rüstete er zum Aufbruch von Karbilá nach Najaf. Mir ihm gingen sein Bruder Muhammad-Hasan und sein Neffe Muhammad-Báqir, die beide seit seinem Besuch in seiner Heimatstadt Bushrúyih in der Provinz Khurásán seine ständigen Begleiter waren. Als sie zur Masjid-i-Kúfih kamen, entschloß sich Mullá Husayn, vierzig Tage an diesem Ort zu bleiben, um hier ein Leben der Zurückgezogenheit und des Gebets zu führen. Mit Fasten und Wachen bereitete er sich auf das heilige Ereignis vor, das ihm bevorstand. Während dieser Gebetsübungen war nur sein Bruder bei ihm. Sein Neffe, der sich um ihre täglichen Bedürfnisse kümmerte, fastete und schloß sich ihren Andachten während seiner Mußestunden an.

+3:5

Die klösterliche Ruhe, die sie umgab, wurde unerwartet nach wenigen Tagen durch die Ankunft von Mullá 'Alíy-i-Bastámí, einem der hervorragendsten Schüler von Siyyid Kázim, unterbrochen. Mit zwölf anderen Gefährten kam er zur Masjid-i-Kúfih, wo er Mullá Husayn tief in Meditation und Gebet versunken antraf. Mullá 'Alí zeichnete sich durch so große Gelehrsamkeit aus und war so tief vertraut mit den Lehren von Shaykh Ahmad, daß viele ihn höher achteren als Mullá Husayn. Er versuchte verschiedentlich, von Mullá Husayn in Erfahrung zu bringen, was er nach Abschluß der Zeit seiner Zurückgezogenheit vorhabe. Sooft er jedoch an ihn herantrat, fand er ihn so in Andacht versunken, daß er keine Gelegenheii sah, ihn zu fragen. Bald beschloß auch er, sich gleich ihm vierzig Tage lang von jeglichem Umgang mit Menschen zurückzuziehen. Seine Gefährten folgten seinem Beispiel alle bis auf drei, die sich als ihre Diener betätigten.


+3:6 #84 (Bildlegende - Mullá Husayns Heim in Bushrúyih)

Gleich nach Beendigung seiner vierzigtägigen Zurückgezogenheit brach Mullá Husayn mit seinen beiden Gefährten auf in Richtung Najaf. Er verließ Karbilá bei Nacht, besuchte unterwegs den Schrein von Najaf und reiste dann unmittelbar nach Búshihr am Persischen Golf. Von dort brach er auf zur heiligen Fahrt nach dem Geliebten seines Herzens. Dort atmete er zum ersten Mal den Duft Dessen, der in jener Stadt jahrelang das Leben eines Kaufmanns und einfachen Bürgers gelebt hatte. Von dort kam ihm der süße Duft der Heiligkeit entgegen, mit dem der Geliebte durch Seine ungezählten Gebete die Luft jener Stadt durchwirkt hatte.

+3:7 #85

Er konnte sich jedoch nicht lange in Búshihr aufhalten. Wie von einem Magneten unwiderstehlich nach Norden gezogen, reiste er weiter nach Shíráz. Beim Tor dieser Stadt angekommen, wies er seinen Bruder und seinen Neffen an, sogleich zur Masjid-i-Ilkhání zu gehen und dort auf ihn zu warten. Er gab der Hoffnung Ausdruck, daß er sie mit Gottes Willen rechtzeitig zum Abendgebet dort wieder treffen werde.

+3:8

Als er nun an jenem Tage, wenige Stunden vor Sonnenuntergang, vor den Toren dieser Stadt weilte, fiel sein Blick plötzlich auf einen jungen Mann mit strahlendem Antlitz und einem grünen Turban. Er kam auf Mullá Husayn zu und bot ihm mit liebevollem Lächeln den Willkommensgruß. Er umarmte ihn so zärtlich, als ob er schon zeitlebens sein liebster Freund gewesen wäre. Mullá Husayn dachte zunächst, Er sei ein Schüler Siyyid Kázims, der von seinem Kommen nach Shíráz gehört hätte und herausgekommen wäre, um ihn zu begrüßen.

+3:9

Mírzá Ahmad-i-Qazvíní, der Märtyrer, der bei verschiedenen Gelegenheiten zugehört hatte, wenn Mullá Husayn den ersten Gläubigen die ergreifende Geschichte seiner historischen Begegnung mit dem Báb erzählte, hat mir folgendes berichtet: "Ich habe Mullá Husayn wiederholt zugehört, wenn er sehr anschaulich die näheren Umstände jener denkwürdigen Begegnung beschrieb:


Bericht Mullá Husayn (1)

Der Jüngling, der mir vor dem Tor von Shíráz begegnete, überschüttete mich mit den Bezeugungen Seiner Liebe und Güte. Er lud mich wärmstens zu einem Besuch in Seinem Heim ein, damit ich mich nach den Anstrengungen meiner Reise erfrische. Ich bat Ihn, mich zu entschuldigen, da meine beiden Gefährten schon Vorkehrungen für meinen Aufenthalt in der Stadt getroffen hätten und nun auf meine Rückkehr warteten. »Empfiehl sie der Fürsorge Gottes«, erwiderte Er: »Er wird sie sicher behüten und über ihnen wachen.« Nach diesen Worten bat Er mich, Ihm zu folgen. Ich war tief beeindruckt von der sanften und doch zwingenden Art, wie der fremde Jüngling zu mir sprach. Als ich Ihm folgte, trugen Sein Gang, der Charme Seiner Stimme, die Würde Seines Gebarens dazu bei, die ersten Eindrücke von dieser unerwarteten Begegnung noch zu vertiefen.


+3:10 #86 (Bildlegende - die Stadt Shíráz)

Bericht Mullá Husayn (2)

Bald standen wir vor dem Eingang eines bescheidenen Hauses. Er klopfte an die Tür, die alsbald von einem äthiopischen Diener geöffnet wurde. »Tritt ein in Frieden und Sicherheit« (Qur'án 15:46), sprach Er, als Er über die Schwelle trat und mich aufforderte, Ihm zu folgen. Seine mit Kraft und Majestät gesprochene Aufforderung bewegte mich zutiefst. Mit solchen Worten angesprochen zu werden, sah ich als ein gutes Vorzeichen, als ich so auf der Schwelle des ersten Hauses stand, das ich in Shíráz betrat, einer Stadt, deren Atmosphäre schon einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht hatte. Sollte mich der Besuch in diesem Hause, so dachte ich bei mir selbst, vielleicht dem Gegenstand meines Suchens näherbringen? Sollte er vielleicht das Ende dieser Zeit des inbrünstigen Verlangens, des eifrigen Forschens und der wachsenden Besorgnis, die ein solches Suchen in sich schließt, beschleunigen? Als ich das Haus betrat und meinem Gastgeber in Sein Zimmer folgte, durchdrang ein Gefühl unbeschreiblicher Freude mein ganzes Sein. Kaum hatten wir uns gesetzt, so ließ Er ein Gefäß mit Wasser bringen und forderte mich auf, den Reisestaub von Händen und Füßen zu waschen. Ich bat, mich zurückziehen und meine Waschungen in einem benachbarten Raum vornehmen zu dürfen. Er lehnte das ab und fuhr fort, Wasser über meine Hände zu gießen. Danach reichte Er mir ein erfrischendes Getränk, worauf Er nach einem Samowar verlangte und selbst den Tee bereitete, den Er mir anbot.


+3:11

Bericht Mullá Husayn (3)

Überwältigt von so vielen Beweisen Seiner außerordentlichen Güte, erhob ich mich, um zu gehen. "Es wird Zeit zum Abendgebet", fiel mir ein zu bemerken. "Ich habe meinen Freunden versprochen, sie um diese Stunde in der IlKhání-Moschee zu treffen." Mit vollendeter Höflichkeit und Ruhe erwiderte Er: »Du hast doch sicherlich die Stunde deiner Rückkehr vom Willen und Wohlgefallen Gottes abhängig gemacht. Es scheint aber, daß Sein Wille es anders bestimmt har. Du brauchst nicht zu fürchten, du habest dein Versprechen gebrochen.« Seine Würde und Selbstsicherheit beruhigten mich. Ich nahm meine Waschungen wieder auf und rüstete zum Gebet. Er stand neben mir und betete auch. Meine Seele, die so bedrängt war von dem Geheimnisvollen dieses Zusammentreffens und von der Spannung und der Anstrengung meines Suchens, wurde beim Beten leichter. Dieses Gebet sprach ich: "Von ganzer Seele habe ich mich bemüht, o mein Gott, und doch habe ich Deinen verheißenen Boten bisher nicht gefunden. Ich bezeuge, daß Dein Wort unfehlbar ist und Deine Verheißung gewiß."


#87 Bildlegende - (Masjid-i-Ilkhání in Shíráz)

+3:12 #88

Bericht Mullá Husayn (4)

"Jene Nacht, jene denkwürdige Nacht, war der Vorabend des fünften Tages des Jamádíyu'l-Avval des Jahres 1260 d.H.¹ Es war etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang, als mein jugendlicher Gastgeber mit mir zu sprechen begann. Er fragte mich: »Wen betrachtest du nach Siyyid Kázim als seinen Nachfolger und deinen Führer?« "In seiner Todesstunde", anworteteich, "hat unser verstorbener Lehrer uns inständig gebeten, unsere Heimstätten zu verlassen und in alle Welt zu ziehen, um den verheißenen Geliebten zu suchen. Ich bin deshalb nach Persien gezogen, habe mich aufgemacht, seinen Willen zu erfüllen, und bin immer noch auf meiner Suche." »Hat dein Lehrer«, so fragte Er weiter, »dir irgendwelche Einzelheiten über die kennzeichnenden Merkmale des Verheißenen genannt?« "ja", erwiderte ich, "Er ist von edler Abkunft, kommt aus einer berühmten Familie und stammt aus dem Geschlecht der Fátimih. Was Sein Alter betrifft, so ist er über zwanzig und nicht mehr als dreißig Jahre alt. Er ist mit angeborenem Wissen begabt. Er ist von mittlerer Größe, raucht nicht und ist völlig frei von körperlichen Gebrechen."

¹ Das entspricht dem Abend des 22. Mai 1844 A.D. Der 23. Mai 1844 war ein Donnerstag


Bericht Mullá Husayn (5)

Er schwieg eine Weile, dann erklärte Er mit bebender Stimme: »Siehe, alle diese Zeichen sind offenbar in Mir!« Er ging dann auf jedes der oben genannten Merkmale einzeln ein und legte schließlich dar, daß jedes von ihnen auf Seine Person zutrifft. Ich war höchst erstaunt und bemerkte höflich: "Der dessen Kommen wir erwarten, ist ein Mensch von unübertrefflicher Heiligkeit, und die Sache, die Er offenbaren soll, ist eine Sache von ungeheurer Macht. Vielfältig und mannigfaltig sind die Anforderungen, die der erfüllen muß, der den Anspruch erhebt, ihre sichtbare Verkörperung zu sein. Wie oft hat Siyyid Kázim davon gesprochen, wie umfassend das Wissen des Verheißenen sei! Wie oft sagte er: `Mein eigenes Wissen ist nur ein Tropfen im Vergleich zu dem, welches Er besitzt. Alles, was ich erreicht habe, ist nur ein Körnchen Staub angesichts Seines unendlich großen Wissens. Nein, unermeßlich ist der Unterschied!`" Kaum waren diese Worte über meine Lippen gekommen, als mich Furcht und Reue erfaßten, die ich nicht verhehlen und mir nicht erklären konnte. Ich machte mir bittere Vorwürfe und beschloß augenblicklich, meine Haltung zu ändern und meinen Ton zu mäßigen. Ich gelobte Gott, daß ich, sollte mein Gastgeber nochmals darauf zurückkommen, mit tiefster Demut antworten und sagen wollte: "Wenn du geneigt wärest, deinen Anspruch zu erhärten, dann würdest du mich sicherlich von der Angst und der Ungewißheit befreien, die so schwer auf meiner Seele lasten. Ich wäre dir zu großem Dank verpflichtet für diese Befreiung."

#89

Bericht Mullá Husayn (6)

Als ich zu meiner Suchfahrt aufgebrochen war, hatte ich mir anfangs vorgenommen, auf die folgenden beiden Merkmale zu achten, woran ich den erkennen könne, der den Anspruch erhöbe, der verheißene Qá'im zu sein. Das erste war eine Abhandlung, die ich selbst verfaßt hatte im Zusammenhang mit den schwer verständlichen und geheimnisvollen Lehren, die Shaykh Ahmad und Siyyid Kázim dargelegt hatten. Demjenigen, der die geheimnisvollen Andeutungen in dieser Abhandlung zu erklären imstande sich zeigte, dem wollte ich auch meine zweite Frage vorlegen und ihn bitten, ohne jedes Zaudern oder Bedenken einen Kommentar zur Sure Josef darzulegen, der sich in Stil und Sprache völlig von den damals üblichen Beweisführungen unterscheiden sollte. Ich hatte früher einmal Siyyid Kázim unter vier Augen gebeten, einen Kommentar zu dieser Sure zu schreiben, was er jedoch ablehnte mit den Worten: "Das steht mir wahrlich nicht zu. Er, jener Große, der nach mir kommt, wird ihn dir ungefragt offenbaren. Dieser Kommentar wird eines der gewichtigsten Zeugnisse für Seine Wahrheit und einer der klarsten Beweise für die Erhabenheit Seiner Stellung sein."¹

¹ Mullá Husayn soll einmal gesagt haben: "Als ich eines Tages mit dem verstorbenen Siyyid (Kázim) allein in seiner Bibliothek war, fragte ich ihn, weshalb die Súriy-i-Yúsuf im Qur'án `die beste der Geschichten` genannt würde, worauf er antwortete, es sei jetzt noch nicht an der Zeit, den Grund hierfür anzugeben. Ich behielt diesen Vorfall ganz für mich und habe nie mit jemandem darüber gesprochen." (Táríkh-i-Jadíd p.39)


+3:13

Bericht Mullá Husayn (7)

All dies ging mir durch den Sinn, als mein hoher Gastgeber wieder bemerkre: »Beobachte ganz aufmerksam. Könnte es nicht sein, daß der Mensch, den Siyyid Kázim meinte, niemand anders ist als Ich?« Er drängte mich daraufhin, Ihm ein Exemplar der Abhandlung, die ich bei mir trug, zu überreichcn. "Willst du", so fragte ich Ihn, "dieses Buch von mir lesen und seine Seiten mit nachsichtigem Blick ansehen? Übersieh bitte meine Schwächen und Fehler." Voll Güte kam Er meinem Wunsche nach. Er schlug das Buch auf, überflog einige Zeilen, schloß es wieder und begann mit mir zu sprechen. In wenigen Minuten hatte Er mit der Ihm eigenen Lebhaftigkeit alle seine Geheimnisse zauberhaft enthüllt und alle Probleme gelöst. Nachdem Er so die Ihm zur Lösung vorgelegte Aufgabe in so kurzer Zeit zu meiner größten Zufriedenheit erfüllt hatte, erläuterte Er mir darüber hinaus noch bestimmte Wahrheiten, die weder in den überlieferten Äußerungen der Imáme des Glaubens noch in den Schriften von Shaykh Ahmad und Siyyid Kázim zu finden waren. In diesen Wahrheiten, von denen ich nie zuvor gehört hatte, schien eine herzerquickende Lebendigkeit und Kraft zu liegen.


#90 (Bildlegende - Der Orangenbaum wurde vom Báb im Vorgarten Seines Hauses in Shíráz gepflanzt)

Bericht Mullá Husayn (8)

Später bemerkte Er: »Wärest du nicht Mein Gast gewesen, deine Lage hätte wirklich unangenehm werden können. Die allumfassende Gnade Gottes hat dich bewahrt. Es liegt bei Gott, Seine Diener zu prüfen, aber Seinen Dienern steht es nicht zu, Ihn mit ihrem unzulänglichen Maß zu beurteilen. Wenn Ich dich von deiner Verwirrung nicht befreien sollte, wäre dann die Wirklichkeit, die in Mir leuchtet, unwirksam zu nennen, oder Mein Wissen als falsch zu beschuldigen? Nein, bei der Gerechtigkeit Gottes! An diesem Tag geziemt es den Völkern und Nationen in Ost und West, an diese Schwelle zu eilen und hier die belebende Gnade des Barmherzigen zu suchen. Wer da zögert, wird wahrhaft schmerzlich im Nachteil sein. Bezeugen nicht die Völker der Erde, daß das grundlegende Ziel ihrer Erschaffung das Wissen um Gott und Seine Verehrung ist? Es ist ihre Pflicht, sich zu erheben, so ernsthaft und aus freien Stücken, wie du es getan hast, und mit Entschlossenheit und Ausdauer den Geliebten zu suchen, der ihnen verheißen ist.«


#91 (Bildlegende - Kohlenpfanne und Samowar aus dem Besitz des Báb)

Bericht Mullá Husayn (9)

Dann fuhr Er fort: »Nun ist es Zeit, den Kommentar zur Sure Josef zu offenbaren.« Er nahm Seine Feder auf, und mit unglaublicher Schnelligkeit offenbarte Er die ganze Sure Mulk, das erste Kapitel Seines Kommentars zur Josefsure. Der überwältigende Eindruck von der Art und Weise, wie Er schrieb, wurde noch erhöht durch den leisen Gesang Seiner Stimme, der Sein Schreiben begleitete. Nicht einen einzi gen Augenblick unterbrach Er den Fluß der Verse, die Seiner Feder entströmten. Kein einziges Mal setzte Er ab, bis die Sure Mulk vollendet war. Ich saß da, hingerissen vom Zauber Seiner Stimme und der mitreißenden Gewalt Seiner Offenbarung. Schließlich erhob ich mich zögernd von meinem Sitz und bat, mich nun verabschieden zu dürfen. Er gebot mir lächelnd sitzenzubleiben und sprach: »Wenn du in diesem Zustand weggehst, wird sicher jeder, der dich sieht, sagen: `Der arme Junge hat den Verstand verloren.`« Zu diesem Zeitpunkt zeigte die Uhr zwei Stunden und elf Minuten nach Sonnenuntergang.¹ Diese Nacht war der Vorabend des fünften Tages des Jamádíyu'l-Avval im Jahr 1260 d.H., und dies stimmt überein mit dem Vorabend des fünfundsechzigsten Tages nach Naw-Rúz, der zugleich auch der Vorabend des sechsten Tages von Khurdád des Jahres Nahang war. »Diese Nacht«, so erklärte Er, »diese Stunde wird in kommenden Tagen als eines der erhabensten und bedeutsamsten aller Feste gefeiert werden. Danke Gott, daß Er dir gütig geholfen har, das Ziel deines Herzenswunsches zu erreichen und vom versiegelten Wein Seines Wortes zu trinken. `Wohl denen, die dazu gelangen.`²«

¹ Das Datum der Manifestation ist festgelegt durch folgenute Stelle im Persischen Bayán (Váhid 2, Báb 7): »Sie begann, [als] zwei Stunden und elf Minuten [verstrichen waren] vom Vorabend des fünften Jamádiyu'l-Ulá 1260 [d.H.], welclles das Jahr 1270 der Sendung [von Muhammad] ist.« (Aus einer Abschrift des Bayán, mit der Hand geschrieben von Siyyid Husayn, dem Sekretär und Gefährten des Báb.)

² A.L.M.Nicolas zitiert folgendes aus dem Buch Kitábu'l- Haramayn: "Wahrlich, der erste Tag, an dem der Heilige Geist in das Herz dieses Sklaven strömte, war der 15, des Monats Rabí'u'l-Avval." (A.L.M.Nicolas, Siyyid Alí-Muhammad dit le Báb, p.206)



+3:14 #92

Bericht Mullá Husayn (10)

Um die dritte Stunde nach Sonnenuntergang ließ mein Gastgeber das Mahl auftragen. Derselbe äthiopische Diener erschien wieder und breitete vor uns die erlesensten Speisen aus. Jenes heilige Mahl erquickte mich zugleich an Leib und Seele. In der Gegenwart meines Gastgebers war mir in jener Stunde zumute, als äße ich von den Früchten des Paradieses. Ich konnte nicht genug staunen über das Benehmen und die ergebene Aufmerksamkeit des äthiopischen Dieners, dessen ganzes Leben offensichtlich verwandelt war durch den belebenden Einfluß seines Herrn. Damals ging mir zum ersten Mal die Bedeutung des wohlbekannten Wortes auf, das Muhammad zugeschrieben wird: »Für den gottesfürchtigen und rechtschaffenen unter Meinen Dienern habe Ich bereitet, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und kein menschliches Herz verstanden hat.« Hätte mein jugendlicher Gastgeber kein anderes Anrecht auf Größe, so hätte dies genügt, daß Er mich mit einer solchen Gastfreundlichkeit und liebevollen Güte empfing, wie, davon bin ich überzeugt, kein anderes menschliches Wesen dazu fähig gewesen wäre.

+3:15

Bericht Mullá Husayn (11)

Ich saß da, verzaubert von Seinem Wort, völlig die Zeit vergessend und die, die auf mich warteten. Da riß plötzlich der Ruf des Muadhdhin, der die Gläubigen zum Morgengebet rief, mich aus meinem Zustand des Entrücktseins, das mich offensichtlich erfaßt hatte. Alle Wonnen, all die unaussprechlichen Herrlichkeiten, die der Allmächtige in Seinem Buche geschildert hat als unschätzbaren Besitz der Bewohner des Paradieses, schien ich in dieser Nacht gekostet zu haben. Mir schien, als befände ich mich an einem Ort, von dem man mit Recht sagen könnte: »daselbst soll keine Mühe uns erreichen und keine Müdigkeit soll uns dort überkommen«, »keine eitle Rede wird daselbst gehört werden und kein falsches Wort; nichts als nur der Ruf `Friede! Friede!`«, »ihr Ruf daselbst wird sein, `Ruhm sei Dir, o Gott!` und ihr Gruß `Friede!` Und zuletzt werden sie rufen `Preis sei Gott, dem Herrn alles Erschaffenen!`«.¹

¹ Zitate aus dem Qur'án


+3:16

Bericht Mullá Husayn (12)

Der Schlaf floh mich in jener Nacht. Ich war verzaubert von der Musik dieser Stimme, die sich im Gesang hob und senkte, nun anschwoll, als Er Verse aus dem Qayyúmu'l-Asmá¹ offenbarte, dann wieder ätherisch zart wurde bei der Offenbarung Seiner Gebete². Am Schluß jeder Anrufung wiederholte Er den Vers: »Fern von der Herrlichkeit des Herrn, des Allherrlichen sei, was Seine Geschöpfe von Ihm behaupten! Und Friede sei auf Seinen Boten! Und Preis sei Gott, dem Herrn aller Wesen!« (Qur'án 37:180)

¹ Kommentar des Báb zur Sure Josef des Qur'án. (Sure 12)

² "Im ersten seiner Bücher war er vor allem fromm und mystisch, im zweiten erhielten Polemik und Dialektik einen größeren Raum, und seine Hörer bemerkten mit Erstaunen, daß er aus einem Kapitel des Buches Gottes, das er gewählt hatte, eine ganz neue Bedeutung entwickelte, die bis dahin noch niemand wahrgenommen hatte, und daß er daraus völlig unerwartete Lehren und Kenntnisse ableitete. Was einem immer wieder Bewunderung abnötigte, waren die Eleganz und die Schönheit des arabischen Stils, den er in seinen Werken benutzte. Sie fanden bald begeisterte Bewunderer, die sich nicht scheuten, sie über die schönsten Stellen des Qur'án zu stellen." (Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies dans l'Asie centrale, p.120)



+3:17 #93

Bericht Mullá Husayn (13)

Dann sprach Er zu mir mit diesen Worten: »O du, der du der erste bist, der an Mich glaubt! Wahrlich, Ich sage, Ich bin der Báb, das Tor Gottes, und du bist der Bábu'l-Báb, das Tor dieses Tores. Achtzehn Seelen müssen zu Beginn von selbst und aus eigenem Antrieb Mich annehmen und die Wahrheit Meiner Offenbarung anerkennen. Ohne zuvor verständigt oder aufgefordert zu sein, muß jede von ihnen unabhängig Mich zu finden suchen. Und wenn ihre Zahl erfüllt ist, muß eine unter ihnen dazu auserwählt werden, Mich auf Meiner Pilgerfahrt nach Mekka und Medina zu begleiten. Dort werde ich die Botschaft Gottes dem Sharíf von Mekka übermitteln. Dann werde Ich nach Kúfih zurückkehren, wo Ich in der Moschee jener heiligen Stadt Seine Sache wieder offenbaren werde. Dir ist auferlegt, weder deinen Gefährten noch irgend einer anderen Seele mitzuteilen, was du gesehen und gehört hast. Bete und lehre in der Ilkhání-Moschee. Auch Ich werde Mich dort mit dir im Gebet vereinen. Sieh zu, daß dein Verhalten Mir gegenüber das Geheimnis deines Glaubens nicht verrate! Fahre in deinem Tun fort und behalte deine Haltung bei bis zu unserer Abreise nach Hijáz. Bevor wir abreisen, werden wir jeder der achtzehn Seelen eine besondere Botschaft auftragen und werden sie aussenden, ihre Aufgabe zu erfüllen. Wir werden sie anweisen, das Wort Gottes zu lehren und die Seelen der Menschen zu erwecken.« Als Er diese Worte zu mir gesprochen hatte, entließ Er mich aus Seiner Gegenwart. Er begleitete mich bis zur Haustür und empfahl mich der Obhut Gottes.


+3:18 #94 (Bildlegende - Raum in der Masjid-i-Ilkhání in Shíráz, wo der Báb und Mullá Husayn zusammentrafen)

Bericht Mullá Husayn (14)

Diese Offenbarung, die so plötzlich und ungestüm über mich hereinbrach, war wie ein Gewittersturm und machte mich völlig benommen¹. Ich war geblendet von ihrem strahlenden Glanz und überwältigt von ihrer durchdringenden Gewalt. Erregung, Freude, Ehrfurcht und Staunen wwühlten mich in tiefster Seele auf. Vorherrschend unter diesen Gemütsregungen war jedoch ein Gefühl des Glücks und der Stärke, das mich völlig verwandelt zu haben schien. Wie schwach und unfähig, wie niedergeschlagen und furchtsam war ich doch zuvor gewesen! Ich konnte weder schreiben noch gehen, so zitterten meine Hände und Füße. Nun aber hatte das Wiissen um Seine Offenbarung mein ganzes Sein wie elektrisiert. Ich fühlte mich von einem solchen Mut und einer solchen Kraft durchdrungen, daß wenn die Welt und alle ihre Völker und Herrscher sich wider mich erhoben hätten, ich ganz allein unerschrokken ihrem Anschlag standgehalten hätte. Das Weltall erschien mir wie eine Handvoll Staub in meinem Griff. Ich kam mir vor wie die Stimme Gabriels, die der Menschheit zurief: "Wachet auf! Denn siehe, das Morgenlicht ist angebrochen! Erhebet euch, denn Seine Sache ist kundgetan worden! Das Tor Seiner Gnade ist weit geöffnet! Tretet ein, o Völker der Erde! Denn Er, der euch Verheißene, ist da!"

¹ »So heißt es in Biháru'l-Anvár, Aválim und Yanbú des Sádiq, des Sohnes Muhammads, daß er folgende Worte gesprochen habe: »Wissen ist siebenundzwanzig Buchstaben. Alle Propheten haben zwei Buchstaben davon geoffenbart. Kein Mensch hat bis heute mehr als diese zwei Buchstaben gekannt. Wenn aber der Qá'im sielt erheben wird, dann wird Er die übrigen fünfundzwanzig Buchstaben offenbar machen.« Bedenke: Er hat dargelegt, daß das Wissen aus siebenundzwanzig Buchstaben besteht, und daß alle Propheten von Adam bis zum `Siegel` nur zwei Buchstaben davon erklärt haben und mit diesen zwei Buchstaben herabgesandt wurden. Und Er sagt dazu, daß der Qá'im alle übrigen fünfundzwanzig Buchstaben enthüllen werde. Entnimm diesem Ausspruch, wie groß und erhaben Seine Stufe ist. Sein Rang übertrifft den aller Propheten und Seine Offenbarung geht über das Erkennen und Begreifen aller ihrer Auserwählten.« (IQAN 2/171)


+3:19 #95 (Bildlegende - in Shíráz, in dem Raum links wurde der Báb geboren)

Bericht Mullá Husayn (15)

In diesem Zustand verließ ich Sein Haus und begab mich zu meinem Bruder und meinem Neffen. Eine große Zahl von Anhängern Shaykh Ahmads, die von meiner Ankunft gehört hatten, waren in der Ilkhání-Moschee versammelt, um mich dort zu treffen. Gehorsam den Weisungen meines eben erst gefundenen Geliebten, begann ich sofort, Seine Wünsche zu erfüllen. Während ich meine Klassen bildete und meine Andacht verrichtete, sammelte sich allmählich eine große Menschenmenge um mich. Auch geistliche Würdenträger und Beamte der Stadt kamen mich besuchen. Sie wunderten sich über den Geist, der sich in meinen Vorlesungen offenbarte, ohne zu ahnen, daß die Quelle meines Wissens keine andere war als Der, dessen Kommen die meisten von ihnen so heiß ersehnten.


+3:20 #96 (Bildlegende - in der Umgebung von Shíráz, wo der Báb sich öfter aufhielt.)

Bericht Mullá Husayn (16)

Während jener Tage ließ mich der Báb bei verschiedenen Gelegenheiten zu Sich rufen. Er sandte in der Nacht Seinen äthiopischen Diener zur Moschee und ließ mir Seinen höchst liebevollen Willkommensgruß entbieten. Sooft ich Ihn besuchte, verbrachte ich die ganze Nacht bei Ihm. Hell wach bis zur Morgendämmerung saß ich Ihm zu Füßen, hingerissen vom Charme Seiner Worte, die Welt mit ihren Sorgen und ihrem Treiben vollkommen vergessend. Wie rasch flogen diese kostbaren Stunden dahin! Nur widerstrebend zog ich mich bei Tagesanbruch von Ihm zurück. In jenen Tagen konnte ich kaum die Abendstunde erwarten! Und mir welchem Kummer und Bedauern nahm ich das Heraufdämmern des neuen Tages wahr! Während eines dieser nächtlichen Besuche wandte sich mein Gastgeber mir zu und sprach: »Morgen werden dreizehn deiner Gefährten ankommen. Erzeige jedem von ihnen größte Freundlichkeit. Überlasse sie nicht sich selbst, denn sie haben ihr Leben dem Forschen nach ihrem Geliebten geweiht. Bete zu Gott, daß Er ihnen gnädiglich beistehe, sicher auf dem Pfad zu wandeln, der schmäler als ein Haar ist und schärfer als ein Schwert. Einige von ihnen werden vor Gottes Angesicht zu Seinen erwählten und begnadeten Jüngern gezählt werden. Andere werden den mittleren Weg gehen. Das Schicksal der übrigen wird ungeklärt bleiben bis zu der Stunde, da alles, was bis jetzt noch verborgen ist, offenbar werden wird«.¹

¹ »Betrachte ebenso den Beginn der Manifestation des Bayán: vierzig Tage lang glaubte nur der Buchstabe Sín an B. Ganz allmählich nur nahmen die Buchstaben des Bismi'lláhu'l-Amna'u'l-Aqdas das Gewand des Glaubens an, bis schließlich die Erste Einheit begründet war. Sich, wie weit sie sich bis heute entwickelt hat.« (Le Bayán Persan IV p.119)


+3:21 #97

Bericht Mullá Husayn (17)

Am gleichen Morgen bei Sonnenaufgang, bald nach meiner Rückkehr von der Wohnung des Báb, kam Mullá Alíy-i-Bastámí in Begleitung von genau der Anzahl Gefährten wie mir angekündigt worden war bei der Masjid-i-Ilkhání an. Ich bemühte mich sofort darum, alles Erforderliche für ihr Wohl zu beschaffen. Eines Nachts, wenige Tage nach ihrer Ankunft verlieh Mullá Alí, der Sprecher seiner Gefährten, Gefühlen Ausdruck die er nicht länger zurückhalten konnte. "Du weißt wohl", sprach er, "wie groß unser Verrrauen zu dir ist. Wir sind dir so ergeben, daß wir alle uns dir ohne Zögern unterwerfen würden, wenn du den Anspruch erhöbest, der verheißene Qá'im zu sein. Deinem Ruf getreu, haben wir unsere Heimstätten verlassen und haben uns aufgemacht, unseren verheißenen Geliebten zu suchen. Du warst der erste, der uns mit diesem edlen Beispiel voranging. Wir sind deinen Fußstapfen gefolgt. Wir sind fest entschlossen, nicht eher zu ruhen bis wir Ihn gefunden haben, den wir suchen. Wir sind dir bis zu diesem Ort gefolgt und sind bereit, jeden anzuerkennen, den du anerkennst, in der Hoffnung das Zelt Seines Schutzes zu finden und erfolgreich durch den Aufruhr und die Erschütterungen, welche die letzte Stunde ankünden, hindurchzukommen. Wie kommt es, daß wir dich in aller Ruhe hier die Menschen lehren und ihre Gebete und Andachten leiten sehen? Die Zeichen der Unruhe und der Erwartung scheinen aus deinem Angesicht entschwunden. Bitte, sag uns den Grund hierfür, damit auch unsere Ungewißheit und Zweifel ein Ende haben."

#98 (Bildlegende - Der obere Raum im Hause des Báb)

#99

Bericht Mullá Husayn (18)

"Deine Gefährten", sagte ich behutsam, "können natürlich meine Ruhe und Fassung dem Einfluß zuschreiben den ich scheinbar in dieser Stadt gewonnen habe. Die Wahrheit liegt jedoch ganz anders. Ich versichere dir, daß die Welt mit all ihrer Pracht und ihren Verlockungen diesen Husayn von Bushrúyih niemals von seinem Geliebten abzubringen vermag. Von Anbeginn dieses heiligen Unternehmens, das ich auf mich nahm, habe ich gelobt, mein eigenes Geschick mit meinem Herzblut zu besiegeln. Um Seinetwillen ist mir selbst der untergang im Meer des Kummers willkommen. Ich habe kein Verlangen nach den Dingen dieser Welt. Ich flehe nur um das Wohl meines Geliebten. Nicht eher, als bis ich um Seines Namens willen mein Blut vergossen habe, wird das Feuer, das in mir glüht, verlöschen. Gebe Gott, daß du lebest und Zeuge seiest für diesen Tag. Haben deine Gefährten vielleicht nicht daran gedacht, daß Gott in Seiner grenzenlosen Barmherzigkeit gnädig geruht haben könnte, vor Mullá Huayns Augen, um seines großen Sehnens und beständigen Strebens willen, das Tor Seiner Gnade zu öffnen, und daß Er ihm, in Seiner unerforschlichen Weisheit wünschend, daß dies verborgen bleibe, solche Beschäftigungen geboten haben könnte?"

Bericht Mullá Husayn (19)

Diese Worte bewegten Mullá Alí zutiefst. Er erfaßte sogleich ihre Bedeutung. Mit Tränen in den Augen flehte er mich an, ihm Den zu zeigen, der meine Unruhe in Frieden und meine Angst in Gewißheit verwandelt hatte. "Ich beschwöre dich", bat er, "gib auch mir etwas von dem heiligen Trank, den die Hand der Gnade dir gereicht hat, das wird meinen Durst sicherlich stillen und die Qual der Sehnsucht in meinem Herzen lindern." Ich erwiderte: "Bitte mich nicht darum, dir diesen Wunsch zu erfüllen. Setze dein Vertrauen auf Ihn, denn Er wird sicherlich deine Schritte leiten und den Aufruhr in deinem Herzen stillen."



+3:22 #99

Mullá Alí eilte zu seinen Gefährten und berichtete ihnen über seine Unterredung mit Mullá Husayn. Erregt von dem Feuer, das der Bericht über dieses Gespräch in ihren Herzen entfacht hatte, gingen sie rasch auseinander und suchten die Stille ihrer Zellen auf, wo sie mit Fasten und Gebet darum flehten, daß die Schleier, die sie daran hinderten, ihren Geliebten zu erkennen, bald beseitigt würden. Sie hielten ihre Nachtwachen und beteten: "O Gott, unser Gott! Dich nur beten wir an und zu Dir rufen wir um Hilfe. Wir flehen zu Dir, führe Du uns auf den rechten Pfad, o Herr, unser Gott! Erfülle, was Du uns verheißen hast durch Deine Boten, und laß uns nicht zuschanden werden am Tage Deiner Auferstehung. Wahrlich, Du wirst Dein Wort nicht brechen."

+3:23

In der dritten Nacht seiner Zurückgezogenheit hatte Mullá 'Alíy-i- Basjámí, während er im Gebet versunken war, ein Gesicht. Vor seinen Augen erschien ein Licht, und siehe, dieses Licht bewegte sich von ihm weg. Angezogen von seinem Glanz folgte er ihm, bis es ihn schließlich zu seinem verheißenen Geliebten führte. Zur selben Zeit, es war die Stunde der Mitternachtswache, stand er auf, riß glückstrahlend und außer sich vor Freude seine Zimmertür auf und eilte zu Mullá Husayn. Er warf sich in die Arme seines verehrten Gefährten. Mullá Husayn umarmte ihn sehr liebevoll und sprach: "Gelobt sei Gott, der uns bis hierher geführt har! Wir hätten keine Führung gehabt, hätte Gott uns nicht geführt!"


+3:24 #100 (Bildlegende - Haus des Báb in Shíráz, links Sein Schlafraum, rechts Das Zimmer Seiner Mutter)

Am selben Morgen eilte Mullá Husayn bei Tagesanbruch in Begleitung von Mullá 'Alí zur Wohnung des Báb. Am Eingang zu Seinem Haus trafen sie den treuen äthiopischen Diener, der sie sofort erkannte und mit den Worten begrüßte: "Noch vor Tagesanbruch wurde ich zu meinem Herrn gerufen, der mir den Auftrag gab, die Haustür zu öffnen und an der Schwelle zu warten. Er sagte: »Zwei Gäste werden früh am Morgen kommen. Heiße sie in Meinem Namen herzlich willkommen. Sage ihnen von Mir: Tretet ein im Namen Gottes.«"

+3:25

Das erste Zusammentreffen von Mullá Alí mit dem Báb war dem mit Mullá Husayn ganz ähnlich. Es unterschied sich von diesem nur insofern, als bei der ersten Zusammenkunft mit Mullá Husayn die Beweise und Zeugnisse für die Sendung des Báb kritisch geprüft und erläutert worden waren, während hier alle Argumente beiseite gelassen wurden. Da war allein der Geist tiefster Verehrung und der entschlossenen und begeisterten Gefolgschaft. Der ganze Raum schien erfüllt und belebt von jener himmlischen Kraft, die von Seinen erleuchteten Worten ausging. Alle Dinge in diesem Raum schienen zu beben bei dem Zeugnis: »Wahrlich, wahrlich, die Morgendämmerung eines neuen Tages ist angebrochen. Der Verheißene thront in den Herzen der Menschen. In Seiner Hand hält Er das geheimnisvolle Gefäß, den Kelch der Unsterblichkeit. Selig sind, die daraus trinken!«


+3:26 #101 (Bildlegende - Das Haus des Báb in Shiráz, links ursprünglicher Fenstereinsatz und Haustür, rechts Sein Aufenthaltsraum)

So suchten und fanden die zwölf Gefährten von Mullá 'Alí, jeder für sich und unabhängig von den anderen, durch eigenes Bestreben ihren Geliebten. Die einen erlebten im Schlaf, die anderen im Wachen, einige im Gebet, andere bei der Meditation das Licht dieser göttlichen Offenbarung und wurden zum Erkennen der Kraft ihrer Herrlichkeit hingeführt. Wie Mullá 'Alí wurden sie und einige andere von Mullá Husayn zum Báb geleitet und wurden zu »Buchstaben des Lebendigen« erklärt. Siebzehn Buchstaben wurden so nach und nach in die bewahrte Tafel Gottes eingetragen und wurden zu auserwählten Sendboten des Báb ernannt, zu Dienern Seines Glaubens und zu Verbreitern Seines Lichtes.


+3:27 #102 Bildlegenden - (links des Báb Haus in Shíráz, wo Er Seine Sendung erklärte - rechts der Treppenaufgang zum Zimmer Seiner Erklärung)

Eines Nachts sagte der Báb im Verlauf Seines Gesprächs mit Mullá Husayn: »Siebzehn Buchstaben sind bis jetzt unter dem Banner des Gottesglaubens aufgeführt. Einer fehlt noch zur Erfüllung der Zahl. Diese Buchstaben des Lebendigen werden sich erheben, um Meine Sache zu verkünden und Meinen Glauben zu begründen. Morgen Nacht wird der noch fehlende Buchstabe eintreffen, dann wird die Zahl Meiner auserwählten Jünger vollständig sein.« Als am andern Tag der Báb zur Abendstunde, begleitet von Mullá Husayn, zu Seiner Wohnung zurückkehrte, da kam ein Jüngling, wegesmüde und staubbedeckt. Er ging auf Mullá Husayn zu, umarmte ihn und fragte, ob er nun sein Ziel erreicht habe. Mullá Husayn versuchte zunächst, ihn zu beruhigen, und riet ihm, erst einmal eine Weile zu rasten. Danach wolle er ihm alles erklären. Der Jüngling lehnte jedoch ab, diesem Rat zu folgen. Er richtete den Blick auf den Báb und sagte zu Mullá Husayn: "Warum versuchst du, Ihn vor mir zu verbergen? Ich kann Ihn an Seiner Haltung erkennen. Ich bin fest davon überzeugt, daß weder im Osten noch im Westen irgendein anderer als Er mit Recht von sich sagen kann, er sei die Wahrheit. Kein anderer besitzt die Kraft und Majestät, die von Seiner heiligen Person ausstrahlt." Mullá Husayn wunderte sich über diese Worte. Er bat um Entschuldigung und riet ihm, seine Gefühle zu bezähmen bis zu der Stunde, da er in der Lage sei, ihm die Wahrheit zu sagen. Er ließ ihn zurück und eilte zum Báb. Er berichtete Ihm von seinem Gespräch mit dem Jüngling. Der Báb sprach: »Wundere dich nicht über sein seltsames Betragen. Wir waren in der Welt des Geistes in Verbindung mit diesem Jüngling. Wir kennen ihn schon. Wir haben auf sein Kommen schon gewartet. Geh zu ihm und führe ihn unverzüglich zu Uns." Diese Worte des Báb erinnerten Mullá Husayn stark an die folgende überlieferung: "Am letzten Tag werden die Männer des Unsichtbaren auf den Flügeln des Geistes die Unendlichkeit der Erde überqueren, werden in die Gegenwart des verheißenen Qá'im gelangen und werden bei Ihm das Geheimnis suchen, das ihre Fragen klären und ihre Verwirrung lösen wird."

+3:28 #103

Wenn auch ihre Körper ferne sind, so stehen diese heldenmütigen Seelen doch in täglicher Verbindung mit ihrem Geliebten; sie haben teil an der Wohltat Seines Wortes und genießen das erhabene Vorrecht der Gemeinschaft mit Ihm. Wie könnten sonst Shaykh Abmad und Siyyid Kázim vom Báb gewußt haben? Wie hätten sie sonst um die Bedeutung des Geheimnisses wissen können, das in Ihm beschlossen lag? Wie hätte der Báb selbst, wie hätte Quddús, Sein geliebter Jünger, so schreiben können, hätte nicht das geheimnisvolle Band des Geistes ihre Seelen miteinander verbunden? War nicht der Báb in den frühesten Tagen Seiner Sendung, in den ersten Kapiteln des Qayyúmu'l-Asmá, Seines Kommentars zur Josefsure, auf die Herrlichkeit und die Bedeutung der Offenbarung von Bahá'u'lláh hingewiesen? War es nicht bei der nachdrücklichen Schilderung der Undankbarkeit und Bosheit, die das Verhalten der Brüder von Josef kennzeichneten, Seine Absicht, vorauszusagen, was Bahá'u'lláh von seiten Seiner Brüder und Verwandten später zu erdulden haben werde? War nicht Quddús, obgleich in der Festung von Shaykh Tabarsí von den Truppen und dem Feuer eines erbarmungslosen Feindes bedroht, Tag und Nacht darum bemüht, seinen Lobgesang auf Bahá'u'lláh zu vollenden - jenen unsterblichen Kommentar über den Sád von Samad, der einen Umfang von fünfhunderttausend Versen erreicht? Jeder Vers des Qayyúmu'l-Asmá, jedes Wort des genannten Kommentars von Quddús, ist bei unvoreingenommener Betrachtung ein beredtes Zeugnis für diese Tatsache.


+3:29 #104 (Bildlegende - Das öffentliche Bad in Shíráz)

Damit, daß Quddús die Wahrheit der Offenbarung des Báb anerkannte, war die von Ihm benannte Zahl Seiner auserwählten Jünger erfüllt. Quddús, sein Name war Muhammad-'Alí, war durch seine Mutter ein direkter Abkomme von Imám Hasan, dem Enkel des Propheten Muhammad.¹ Er ist in Bárfurúsh in der Provinz Mázindarán geboren. Ehemalige Hörer der Vorlesungen von Siyyid Kázim berichten, daß Quddús sich in dessen letzten Lebensjahren als Schüler bei ihm eingetragen habe. Er kam stets als letzter und nahm immer den geringsten Platz in der Vorlesung ein. Und nach jeder Vorlesung war er der erste, der ging. Die Ruhe, die er stets bewahrte, und die Bescheidenheit seines Wesens unterschieden ihn von seinen übrigen Gefährten. Man hörte Siyyid Kázim oft sagen, daß unter seinen Schülern manche, wenngleich sie die letzten Plätze einnähmen und sich am ruhigsten verhielten, in den Augen Gottes so erhaben seien, daß er selbst sich nicht wert fühle, einer ihrer Diener zu sein. Obgleich die Schüler die Bescheidenheit von Quddús und die beispielhafte Art seines Benehmens bemerkten, blieb ihnen verborgen, was Siyyid Kázim damit meinte. Als Quddús in Shíráz ankam und sich zu dem vom Báb erklärten Glauben bekannte, war er erst zweiundzwanzig Jahre alt. Obgleich jung an Jahren, bewies er doch wie kein anderer unter den Anhängern seines Herrn einen unbezähmbaren Mut und Glauben. Er bewies durch sein Leben und seinen ruhmreichen Märtyrertod die Wahrheit des Wortes: »Wer Mich sucht, wird Mich finden. Wer Mich findet, wird zu Mir hingezogen werden. Wer zu Mir hingezogen wird, wird Mich lieben. Wer Mich liebt, den werde auch Ich lieben. Den Ich liebe, ihn werde ich schlagen. Für den, der von Mir erschlagen ist, werde Ich selbst die Erlösung sein.«

¹ Der Vater von Quddús starb wie im Kashfu'l-Ghitá (p.227 Anm.1) steht, einige Jahre vor der Offenbarung des Báb. Zur Zeit des Todes seines Vaters war Qhuddús noch ein kleiner Junge und besuchte in Mashhad die Schule von Mírzá Ja'far.


#105 (Bildlegenden - Die Ruinen von Qahvih-i-Awlíyá, der Schule in Shíráz, die der Báb besuchte - Tor zu den Ruinen)
#106 (Bildlegenden - Begräbnisstätte des Kindes des Báb in Bábí-Dukhtarán, Shíráz. Der Baum bezeichnete das Grab.)
#107 (Bildlegende - Grabstätte der Ehefrau des Báb in Shah-Chirágh, Shíráz)

+3:30

Der Báb, Sein Name war Siyyid 'Alí-Muhammad¹, wurde am ersten Tag des Muharram im Jahr 1235 d.H. (20.Oct.1819) in der Stadt Shíráz geboren. Er gehörte einem Hause an, das für seine Vornehmheit bekannt war, und das seine Abstammung bis auf Muhammad selbst zurückführen konnte. Das Datum Seiner Geburt bestätigt die Wahrheit einer Prophezeiung, die von der Überlieferung dem Imám 'Alí zugeschrieben wird: »Ich bin zwei jahre jünger als mein Herr.« Fünfundzwanzig Jahre, vier Monate und vier Tage waren seit dem Tag Seiner Geburt vergangen, als Er Seine Sendung erklärte. Schon in früher Kindheit hatte Er Seinen Vater verloren², den Siyyid Muhammad Ridá, einen Mann, der in der ganzen Provinz Fárs bekannt war für seine Frömmigkeit und Tugend, und der darum großes Ansehen genoß und in hohen Ehren stand. Sowohl Sein Vater wie Seine Mutter waren Abkommen des Propheten; beide wurden von den Menschen geachtet und geliebt. Er wurde von Seinem Onkel mütterlicherseits, Hájí Mírzá Siyyid 'Alí, später ein Märtyrer für den Glauben, erzogen und noch im Kindesalter der Obhut eines Lehrers namens Shayhk Abid³ anvertraut. Der Báb gehorchte dem Willen und den Weisungen Seines Onkels, wenn Er auch keine Lust zum Lernen hatte.

¹ Er trägt auch die folgenden Bezeichnungen: Siyyid-i-Dhikr, Abdu'dh-Dhikr, Bábu'lláh, Nuqtiy-i-Ulá, Tal'at-i-A'lá, Hadrat-i-A'lá, Rabb-i-A'lá, Nuqtiy-i-Bayán, Siyyid-i-Báb.

² Nach Mírzá Abu'l-Fadl (handschriftlich über die Geschichte des Glaubens, p.3) war der Báb noch nicht entwöhnter Säugling, als Sein Vater starb.

³ Nach Mírzá Abu'l-Fadl (Handschrift p.41) war der Báb sechs oder sieben Jahre alt, als Er in die Schule von Shaykh Abid eintrat. Die Schule war bekannt unter dem Namen `Qahviyih-Awliyá`. Der Báb blieb fünf Jahre in dieser Schule, wo Er die Anfangsgründe der persischen Sprache erlernte. Am ersten Tag des Monats Rabíu'l-Avval, im Jahre 1257 d.H., verließ Er sie, um nach Najaf und Karbilá zu reisen, von wo Er sieben Monate später in Seine Heimatprovinz Fárs zurückkehrte.



+3:31 #108

Shaykh Abid, bei seinen Schülern bekannt als Shaykhuná, war ein frommer und gelehrter Mann. Er war ein Schüler sowohl von Shaykh Ahmad als auch von Siyyid Kázim gewesen. Er erzählte: "Eines Tages forderte ich den Báb auf, die einleitenden Worte des Qur'án aufzusagen, »Bismi'lláhi'r-Rahmání'r-Rahím¹. Er zögerte und meinte, ohne daß Ihm gesagt würde, was diese Worte bedeuteten, wolle Er in keiner Weise wagen, sie auszusprechen. Ich gab vor, ihre Bedeutung nicht zu kennen. »Ich weiß, was diese Worte bedeuten«, bemerkte mein Schüler, »mit Ihrer Erlaubnis will ich sie erklären«. Er sprach mit einem derartigen Wissen und so fließend, daß ich sprachlos war vor Staunen. Er erklärte die Bedeutung von `Allah`, von `Rabmán` und von `Rahím` in Ausdrücken, die ich noch nirgends gelesen oder gehört hatte. Die Lieblichkeit Seiner Worte klingt noch heute in meinem Gedächtnis nach. Ich sah mich veranlaßt, Ihn Seinem Onkel zurückzubringen und das Pfand, das er meiner Fürsorge anvertraut hatte, in seine Hände zurückzulegen. Ich beschloß ihm zu sagen, wie unwürdig ich mich fühle, ein so außergewöhnliches Kind zu lehren. Ich traf Seinen Onkel allein in seinem Büro an. "Ich habe ihn dir zurfickgebracht", sagte ich, "und ich übergebe Ihn deiner wachsamen Obhut. Man darf Ihn nicht wie sonst ein Kind behandeln, denn in Ihm kann ich schon Anzeichen von jener geheimnisvollen Macht erkennen, die allein die Offenbarung von Sáhibu'z-Zamán² aufweisen kann. Deine Aufgabe ist es, Ihn mit der liebevollsten Fürsorge zu umgeben. Behalte Ihn in deinem Hause, denn Er braucht wirklich keinen solchen Lehrer wie mich!" Hájí Mírzá Siyyid 'Alí rügte den Báb streng. `Hast du meine Anweisungen vergessen ?` sagte er. `Habe ich dich nicht ermahnt, dem Beispiel deiner Mitschüler zu folgen und dich ruhig zu verhalten und aufmerksam auf jedes Wort zu hören, das dein Lehrer spricht?` Nachdem der Báb ihm versprochen hatte, seine Anordnungen getreulich zu befolgen, hieß er Ihn in seine Schule zurückzugehen. Aber die Seele dieses Kindes ließ sich durch die strengen Ermahnungen Seines Onkels nicht unterdrücken. Nichts vermochte den Fluß Seines angeborenen Wissens zu hemmen. Tag um Tag fuhr Er fort, so außergewöhnliche Beweise einer übermenschlichen Weisheit zu erbringen, daß ich unfähig bin, sie wiederzugeben." Schließlich fühlte Sein Onkel sich doch veranlaßt, Ihn aus Shaykh Abids Schule herauszunehmen und Ihn bei sich in seinem eigenen Beruf zu beschäftigen.³ Auch dort legte Er Zeichen von einer Kraft und Größe an den Tag, wie nur wenige sie erreichen und niemand übertreffen konnte.

¹ Im Namen Gottes, des Mitleidvollen; des Barmherzigen.
² »Der Herr des Zeitalters«, einer der Titel des verheißenen Qá'im
³ Nach dem Bericht von Hájí Mu'inu's-Saltanih (p.37) übernahm der Báb in Seinem zwanzigsten Lebensjahr die selbständige Leitung Seiner geschäftlichen Angelegenheiten. "Schon sehr früh Waise geworden, wurde er unter Vormundschaft seines Onkels mütterlicherseits, Aqá Siyyid Alí gestellt und ging unter dessen Leitung demselben Beruf nach wie sein Vater (d.h. dem Kaufmannsberuf)." (A.L.M.Nicolas, Siyyid Alí-Muhammad dit le Báb, p.189)



+3:32 #109

Einige Jahre später¹ ging der Báb mit der Schwester von Mírzá Siyyid Hasan und Mírzá Abu'l-Qásim"² die Ehe ein.³ Das Kind, das aus dieser Ehe hervorging, nannte Er Ahmad.<4> Es starb im Jahr 1259 d.H.(1843), dem Jahr, bevor der Báb Seinen Glauben erklärte. Der Vater klagte nicht über seinen Verlust. Er heiligte seinen Tod durch Worte wie diese: »O Gott, mein Gott! Wenn mir doch tausend Ismaels gegeben wären, diesem Deinem Abraham, damit ich sie allesamt Dir als liebes Opfer darbringen könnte! O mein Geliebter, Du meines Herzens Sehnsucht! Das Opfer dieses Ahmad, den Dein Diener Alí-Muhammad auf dem Altar Deiner Liebe geopfert hat, kann niemals ausreichen, die Flamme der Sehnsucht in seinem Herzen zu löschen. Nicht ehe er sein eigen Herz als Opfer Dir zu Füßen legt, nicht ehe sein Leib auf Deinem Pfade fällt als ein Opfer grausamer Gewalt, nicht ehe seine Brust um Deiner Sache willen zur Zielscheibe wurde für ungezählte Pfeile, wird der Aufruhr in seinem Herzen gestillt werden. O mein Gott, Du mein einziges Verlangen! Gib, daß das Opfer meines Sohnes, meines einzigen Sohnes, von Dir angenommen werde. Gib, daß es ein Vorspiel sei für das Opfer meines eigenen Lebens, meines ganzen Seins auf dem Pfade Deines Wohlgefallens. Segne mein Herzblut, das auf Deinem Pfade zu vergießen ich ersehne. Gib, daß es die Saat Deines Glaubens bewässere und nähre. Verleihe ihm Deine himmlische Kraft, auf daß diese junge Saat Gottes bald keimen möge in den Herzen der Menschen, daß sie blühe und gedeihe, daß sie zu einem mächtigen Baum heranwachse, unter dessen Schatten alle Völker und Geschlechter der Erde sich versammeln mögen. Erhöre mein Gebet, o Gott, und erfülle meinen sehnlichsten Herzenswunsch. Du bist wahrlich der Allmächtige, der Allgütige."

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¹ Nach Hájí Muínu's-Saltanihs Bericht (p.37) fand die Hochzeit des Báb statt, als Er 22 Jahre alt war

² Die beiden waren Söhne von Mírzá 'Alí, der ein Onkel väterlicherseits von der Mutter des Báb war. Mírzá Muhsin und Mírzá Hadi, bzw. der Sohn und der Enkelsohn von Mírzá Siyyid Hasan und Mírzá Abu'l-Qásim, wurden Schwiegersöhne von 'Abdu'l-Bahá.

³ Der Báb erwähnt sie in Seinem Kommentar zur Josefsure (Súrih Qarábat). Das folgende ist eine übersetzung der betreffenden Stelle nach A.L.M.Nicolas: »Wahrlich, Ich habe Mich auf dem Thron Gottes mit Sárá vermählt, das heißt, mit der viel Geliebten. `Viel geliebt` kommt von `der Vielgeliebte` (Der Vielgeliebte ist Muhammad. Das bedeutet, daß Sárá eine Siyyid war.) Wahrlich, Ich habe die Engel der Himmel und die Bewohner des Paradieses zu Zeugen dieser Hochzeit aufgerufen. Wisse, daß die Güte des Erhabenen Dhikr groß ist, o Vielgeliebter! Denn dies ist eine Gunst, die von Gott kommt, dem Geliebten! Du bist nicht eine Frau wie die anderen, wenn du Gott gehorchst, dem Erhabenen Dhikr! Erkenne die unermeßliche Wahrheit des Erhabenen Wortes und sei verherrlicht, daß du dein Lager mit dem Freund teilst, welcher der Geliebte des höchst erhabenen Gottes ist. Sicherlieh, der Ruhm kommt dir von Gott, dem Weisen. Sei geduldig, wenn der Befehl Gottes an den Báb und seine Familie ergeht. Wahrlieh, dein Sohn Ahmad hat eine Zuflucht im gesegneten Paradies bei der großen Fátimih.« (Vorwort zu A.L.M.Nicolas, Le Bayan Person, Bd. 2, p.10-11) "Die Witwe des Báb überlebte Ihn bis zum Jahr 1300 d.H. (1882/83)". ( Journal of the Royal Asiatic Society, 1889, Artikel 12 p.993)

<4> In Seinem Kommentar zur Josefsure spricht der Báb von Seinem Sohn. A.L.M. Nicolas übersetzte folgendes: »Wahrlich, dein Sohn Ahmad hat eine Zuflucht im gesegneten Paradies bei der großen Fátimih.« (Súrih Qarábat) »Preis sei Gott, wahrlich, er gab ihr in ihrer Jugend ein Kind namens Ahmad zum Augentrost. Und wahrlich, dieses Kind hat uns näher zu Gott gebracht!« (Súrih 'Abd) (Vorwort zu Le Bayán Persan, Bd. 2 p.11)

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+3:33 #110

Die Tage, die der Báb Seinen Handelsgeschäften¹ widmete, verbrachte Er meist in Búshihr.² Die drückende Sommerhitze hielt Ihn nicht davon ab, jeden Freitag mehrere Stunden in ununrerbrochenem Gebet auf dem Dach Seines Hauses zu verbringen. Trotz der stechenden Strahlen der Mittagssonne wandte Er Sein Herz dem Geliebten zu und verharrte in der Vereinigung mit Ihm. Er achtete nicht der unerträglichen Hitze und vergaß alles um Sich her. Von der frühen Morgendämmerung bis zum Sonnenaufgang und von Mittag bis in die späten Nachmittagsstunden widmete Er Seine Zeit der Meditation und frommer Andacht. Den Blick nach Norden gewandt in die Richtung von Tihrán, grüßte Er bei jedem Tagesanbruch mit einem Herzen, das überströmend voll war von Liebe und Glück, die aufgehende Sonne, die Ihm Zeichen und Symbol war für das Tagesgestirn der Wahrheit, das bald für die Welt heraufdämmern sollte. Wie ein Liebender, der das Angesicht seiner Geliebten schaut, blickte Er auf die heraufsteigende Sonnenkugel voll Unerschütterlichkeit und Sehnsucht. Es schien, als ob Er sich in mystischer Sprache an jenes strahlende Licht wende, als ob Er es mit der Botschaft von Seiner Sehnsucht und Liebe an Seinen verborgenen Geliebten beauftrage. Er grüßte ihre leuchtenden Strahlen mit solchen Anzeichen der Freude, daß die Achtlosen und Unwissenden um Ihn glaubten, Er sei in die Sonne selbst verliebt.³

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¹ "Im Alter von 17 Jahren ging er von Shíráz nach Búshihr und betätigte sich dort fünf Jahre lang als Kaufmann. Während dieser Zeit errang er durch seine Rechtschaffenheit und Frömmigkeit die Achtung aller Kaufleute, mit denen er zu tun hatte. Seine religiösen Pflichten nahm er sehr ernst und gab hohe Summen aus für wohltätige Zwecke. Einmal gab er einem armen Nachbarn 70 Túmán." (Anhang 2 von Táríkh-i-Jadíd, Háhí Mírzá Jáni's History, p.343-4)

² "Er war immer sehr in sich gekehrt und ruhig, während seine schöne Gestalt, sein leuchtender Blick und seine Bescheidenheit schon früh die Aufmerksamkeit seiner Mitbürger erregten. Obgleich noch sehr jung, zogen ihn religiöse Fragen unwiderstehlich an. Schon mit neunzehn Jahren schrieb er sein erstes Werk Risáliy-i-Fiqhiyyih, in dem er eine tiefe Frömmigkeit an den Tag legt und eine wahrhaft islámische Strahlungskraft, die ihm eine glänzende Zukunft in den orthodoxen shi'itischen Kreisen zu verheißen schien. Vermutlich wurde dieses Werk in Búshihr geschrieben, denn er war etwa 18 oder 19 Jahre alt, als sein
Onkel ihn zur Wahrung seiner kaufmännischen Angelegenheiten dorthin kommen ließ." (A.L.M.Nicolas, Siyyid Alí-Muhammad dit le Báb, p.189-90)

³ "In Gesellschaft unterhielt er sich gern mit den Celehrten oder lauschte den Erzählungen der Reisenden, die in diese Handelsstadt strömten. Man rechnete ihn auch gern zur hochgeachteten Sekte Taríqat." ( Journal Asiatique 1866 Bd.7 p.335)

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+3:34 #111

Ich hörte, wie Hájí Siyyid Javád-i-Karbilá'í¹ erzählte: "Bei meiner Reise nach Indien kam ich durch Búshihr. Da ich damals Hájí Mírzá Siyyid Alí schon kannte, war es mir möglich, den Báb bei verschiedenen Gelegenheiten zu sehen. Sooft ich mit Ihm zusammenkam, traf ich Ihn in einem solchen Zustand der Demut und Bescheidenheit an, wie ich es nicht in Worte fassen kann. Seine niedergeschlagenen Augen, Seine außergewöhnliche Höflichkeit und die Klarheit Seines Antlitzes machten einen unauslöschlichen Eindruck auf mich.² Oft hörte ich Menschen, die Ihm nahe standen, die Reinheit Seines Wesens, den Charme Seines Gebarens, Seine Selbstlosigkeit, Seine absolute Redlichkeit und Seine außergewöhnliche Hingabe an Gott bestätigen.³"

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¹ über diese bedeutende Persönlichkeit finden wir folgende Einzelheiten in dem Buch Kashfu'l-Ghitá' (p.55-57): "Hájí Siyyid Javád selbst sagte mir, daß er in Karbilá wohne, daß seine Vettern unter den maßgebenden Ulamás und Rechtsgelehrten der Stadt gut bekannt seien und der Ithná-Asharí Sekte des Shi'ah-Islám angehörten. In seiner Jugend traf er Shaykh Ahmad-i-Ahsá'í, wurde aber nie als sein Schüler betrachtet. Er war jedoch ein anerkannter Anhänger und Förderer von Siyyid Kázim, ja sogar einer seiner vornehmsten. Er traf den Báb in Shíráz, lange bevor dieser sich erklärt hatte. Er sah den Báb im Alter von 8 oder 9 Jahren einige Male im Haus des Onkels. Später sah er Ihn wieder in Búshihr, als er sechs Monate lang in demselben `Khan` wohnte wie der Báb und sein Onkel. Mullá Alíy-i-Bastámí, einer der Buchstaben des Lebendigen, machte ihn in Karbilá mit der Sendung des Báb bekannt. Von dieser Stadt ging er direkt nach Shíráz, um sich persönlich über das Wesen Seiner Offenbarung zu informieren."

² "Das Antlitz des Báb war mild und gütig, sein Verhalten ruhig und würdig, seine Beredsamkeit eindrucksvoll; er schrieb schnell und gut." (Lady Sheil, Climpses of Life und Manners in Persia, p.178)

³ "Sehr verinnerlicht, immer mit frommen Handlungen tätig, von außerordentlicher Schlichtheit, von anziehendem Charme, Gaben, die von seiner Jugend und seiner wunderbaren Erscheinung noch hervorgehoben wurden, sammelte er bald einen Kreis gebildeter Menschen um sich. Man sprach bald von seinem Wissen und seiner außergewöhnlichen Beredsamkeit. Wenn er sprach, waren alle Herzen zutiefst bewegt, wie alle bestätigten, die ihn kannten. Da er mit tiefer Verehrung vom Propheten sprach, von den Imámen und ihren heiligen Cefährten, bezauberte er gleicherweise die streng Orthodoxen wie auch in seinen privaten Unterhaltungen die Freigeister, die sich freuten, daß er in den geheiligten Meinungen nicht die übliche Starrheit zeigte, von der sie sich sonst bedrückt gefühlt hätten. Im Gegenteil, seine Unterhaltung tat ihnen unbegrenzte Horizonte auf, die ungeheuer, mannigfaltig, vielseitig, geheimnisvoll, teils dunkel, teils in strahlendes Licht getaucht waren." (Comte de Cobineau, Les Religions et les Philose phies dans l'Asie centrale, p.118)

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+3:35

"Einst übergab ein Mann Ihm eine Ware und bat Ihn, sie zu einem bestimmten Preis zu verkaufen. Als der Báb ihm dann das Geld dafür sandte, fand der Mann, daß die ihm angeborene Summe bei weitem den von ihm festgesetzten Preis überstieg. Er schrieb sofort an den Báb und bat um Aufschluß. Der Báb antwortete: »Was ich dir gesandt habe, steht dir voll und ganz zu. Es ist kein Heller mehr als was dein gutes Recht ist. Es gab eine Zeit, da der Artikel, den du mir übergeben hast, diesen Wert erreicht hatte. Damals gelang es mir jedoch nicht, ihn zu diesem Preis abzustoßen und ich fühle mich nun verpflichtet, dir jene Summe ungekürzt anzubieten.« So sehr der Kunde des Báb Ihn auch bat, die überzahlte Summe wieder zurückzunehmen, so lehnte der Báb dies dennoch entschieden ab."

+3:36

"Mit welch emsigem Fleiß besuchte Er die Zusammenkünfte, bei denen die Tugenden von Siyyidu'sh-Shuhadá, dem Imám Husayn, gepriesen wurden! Mit welcher Aufmerksamkeit lauschte Er den Lobgesängen! Welche Zärtlichkeit und Hingabe bei Szenen der Klage und des Gebets! Tränen rannen aus Seinen Augen, während Er mit zitternden Lippen Worte des Gebets und des Lobpreises murmelte. Wie bezwingend war Seine Würde, wie zärtlich waren die Empfindungen, die sich auf Seinem Antlitz widerspiegelten!"

+3:37#113

Die Namen derer, deren erhabenes Vorrecht es war, vom Báb in das Buch Seiner Offenbarung als Seine erwählten Buchstaben des Lebendigen eingetragen zu werden, sind diese:

Mullá Husayn-i-Búshrú'í
Muhammad-Hasan, sein Bruder
Muhammad-Báqir, sein Neffe
Mullá Alíy-i-Basjámí
Mullá Khudá-Bakhsh-i-Qúchání, später genannt Mullá Alí
Mullá Hasan-i-Bajistání
Siyyid-Husayn-i-Yazdí
Mírzá Muhammad Rawdih-Khan-i-Yazdí
Sa'id-i-Hindí
Mullá Mahmúd-i-Khu'í
Mullá Jalil-i-Urúmí
Mullá Ahmad-i-Ibdál-i-Marághi'í
Mullá Báqir-i-Tabrízí
Mullá Yúsif-i-Ardibílí
Mírzá Hádí, Sohn des Mullá Abdu'l-Vahháb-i-Qazvíní
Mírzá Muhammad-Alíy-i-Qazvíní ¹
Táhirih ²
Quddús

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¹ Samandar, einer der ersten Gläubigen von Qazvín, berichtet (Manuskript p.15), daß Táhirihs Schwester Mardíyyih verheiratet war mit Mírzá Muhammad-'Alí, einem der Buchstaben des Lebendigen, der später bei Shaykh Tabarsí den Märtyrertod erlitt. Mardíyyih scheint die Sendung des Báb erkannt und angenommen zu haben (p.5). Mírzá Muhammad-Alí war der Sohn von Hájí Mullá Abdu'l-Vahháb, an den der Báb ein Schreiben gerichtet hat, als Er in der Nähe von Qazvín war.

² In Memorials of the Faithful (p.291ff.) wird berichtet, daß Táhirih zwei Söhne und eine Tochter hatte, von denen jedoch keines die Wahrheit der Sache erkannte. Sie war so klug und gelehrt, daß ihr Vater Hájí Mullá Sálih oft mit solchen Worten sein Bedauern ausdrückte: "Ich wollte, sie wäre ein Junge geworden, dann hätte er Licht über meinem Hause ausgestrahlt und wäre in meine Fußstapfen getreten!" Im Heim ihres Vetters Mullá Javád, aus dessen Bibliothek sie sich Bücher entlieh und mit nach Hause nahm, lernte sie die Schriften von Shaykh Ahmad kennen. Ihr Vater machte ihr darob heftige Vorwürfe, und bei seinen hitzigen Debatten mit ihr schmähte und kritisierte er die Lehren von Shaykh Ahmad. Táhirih nahm die Ratschläge ihres Vaters nicht an und begann eine geheime Korrespondenz mit Siyyid Kázim, der ihr den Namen »Qurratu'l-'Ayn« verlieh. Der Beiname »Táhirih« wurde ihr erstmals in Badasht verliehen, und wurde später auch vom Báb bestätigt. Von Qazvín begab sie sich nach Karbilá, in der Hoffnung, dort Siyyid Kázim zu treffen; sie kam jedoch zu spät, der Siyyid war zehn Tage vor ihrer Ankunft verschieden. Sie schloß sich den Gefährten des verstorbenen Oberhaupts an und verbrachte ihre Zeit mit Gebet und Meditation. Inbrünstig wartete sie auf das Erscheinen Dessen, Den Siyyid Kázim angekündigt hatte. In Karbilá hatte sie einen Traum. Ein Jüngling, ein Siyyid in schwarzem Mantel und grünem Turban, erschien ihr im Himmel. Mit erhobenen Händen sprach er einige Verse, von denen sie einen in ihr Buch niederschrieb. Sie erwachte aus ihrem Traum und war tief beeindruckt von diesem seltsamen Erlebnis. Als ihr später eine Abschrift von Ahsanu'l-Qisas, dem Kommentar des Báb über die Sure Josef, in die Hände kam, war sie hocherfreut, darin denselben Vers zu entdecken, den sie in ihrem Traum gehört hatte. Diese Entdeckung bestärkte sie im Glauben an die Echtheit der Botschaft, die der Verfasser jenes Werkes verkündet hatte. Sie selbst übersetzte das Ahsanu'l-Qisas ins Persische und bemühte sich sehr um seine Verbreitung und Erläuterung. Drei Monate lang wurde ihr Haus in Karbilá von den Aufpassern des Gouverneurs bewacht, die sie daran hindern sollten, mit anderen Menschen zusammenzukommen. Von Karbilá begab sie sich nach Baghdád und wohnte dort eine Zeitlang im Haus von Shaykh Muhammad-i-Shibl. Von dort verlegte sie ihren Wohnsitz in eine andere Gegend und wurde schließlich im Heim des Mufti aufgenommen, wo sie etwa drei Monate blieb.

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#114 (Bildlegende - Táhiris Handschrift)

+3:38 #114

Alle diese Buchstaben des Lebendigen kamen mit Ausnahme von Táhirih persönlich mit dem Báb zusammen und wurden von Ihm selbst mit diesem Rang bekleidet und ausgezeichnet. Táhirih hatte, als sie von der bevorstehenden Abreise des Gatten ihrer Schwester, Mírzá Muhammad-'Alí, aus Qazvín erfuhr, ihm einen versiegelten Brief anvertraut mit der Bitte, ihn dem Verheißenen zu überbringen, dem er ganz gewiß, wie sie sagte, im Verlauf seiner Reise begegnen werde. "Sag Ihm von mir", sprach sie, "`Der Glanz Deines Antlitzes leuchtete auf, und das Licht Deines Auges erstrahlte hell`. So sprich denn das Wort `Bin Ich nicht euer Herr?` und `Du bist, der Du bist!` wir wollen alle antworten."¹

¹ In Kashfu'l-Ghitá lesen wir, daß Táhirih durch Mullá 'Alíy-i-Bastamí von der Sendung des Báb erfuhr. Dieser besuchte Karbilá im Jahr 1260 d.H. nach seiner Rückkehr aus Shiráz.


+3:39 #115

Mírzá Muhammad-Alí traf schließlich mit dem Báb zusammen und erkannte Ihn. Er übergab Ihm den Brief und die mündliche Botschaft von Táhirih. Der Báb erklärte sie hierauf sofort zu einem der Buchstaben des Lebendigen. Ihr Vater, Hájí Mullá Sálih-i-Qazvíní, und dessen Bruder, Mullá Taqí, waren beide Mujtahids von großem Ruf.¹ Sie waren Experten für das überlieferte muslimische Recht, und waren allgemein geachtet bei der Bevölkerung von Tihrán, Qazvín und anderen bedeutenden Städten Persiens. Sie war verheiratet mit Mullá Muhammad, dem Sohn Mullá Taqís, ihres Onkels, den die Shi'iten Shadíd-i-Thálith² nannten. Obgleich ihre Familie zu den Bálá-Sarí gehörte, zeigte Táhirih als einzige von Anfang an eine ausgesprochene Neigung und Ergebenheit für Siyyid Kázim. Als Zeichen ihrer persönlichen Bewunderung für ihn schrieb sie eine Abhandlung zur Verteidigung und Rechtfertigung der Lehren von Shaykh Ahmad und überreichte sie ihm. Hierauf erhielt sie bald ein überaus liebenswürdiges Antwortschreiben, in dem der Siyyid sie eingangs mit folgenden Worten anspricht: »O Du, die Du der Trost meiner Augen bist (Yá Qurrat-i-'Ayní!) und die Freude meines Herzens!« Seither ist sie als Qurratu'l-'Ayn bekannt geworden. Nach der historischen Zusammenkunft von Badasht waren einige der Teilnehmer von dem Mut und der ausgesprochenen Redegewandtheit dieser Heldin so überrascht, daß sie sich verpflichtet fühlten, dem Báb über ihr aufsehenerregendes und beispielloses Verhalten zu berichten. Sie wollten die Reinheit ihres Namens trüben. Der Báb aber erwiderte auf ihre Anschuldigungen: »Was soll ich über sie sagen, wenn doch die Zunge der Macht und Herrlichkeit sie Táhirih (die Reine) genannt har?« Diese Worte genügten, sie zum Schweigen zu bringen, die gerne ihre Stellung untergraben hätten. Von da an wurde sie von den Gläubigen Táhirih genannt.³

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¹ Eine der hervorragendsten Familien in Qazvín, will sagen, bedeutend durch die hohen Ämter, die ihre Familienmitglieder sowohl in der geistlichen Hierarchie wie auch in der Wissenschaft bekleideten, war zweifellos die Familie des Hájí Mullá Sálih-i-Baraqání. Sein Bruder, Mullá Muhammad-Taqíy-i-Baraqání, erhielt nach seinem Tod den Titel `Shahíd-i-Thálith`, das heißt Dritter Märtyrer. Wir wollen die Geschichte dieser Familie genauer betrachten, einmal, um deutlich zu machen, welche Rolle sie in den religiösen Streitigkeiten Persiens spielte, zum anderen, um die Katastrophe aufzuzeigen, die durch den ganzen Charakter und Stolz des Bruders von Mullá Sálih unweigerlich herbeigeführt wurde. Als der große Mujtahid Aqá Siyyid Muhammad nach Qazvín kam, fragte ihn jemand, ob Hájí Mullá Sálih-i-Baraqání ein Mujtahid sei. `Gewiß`, antwortete der Siyyid, Sálil war einer seiner ehemaligen Schüler, der zuletzt bei Aqá Siyyid Alí in die Schule ging. `Sehr gut`, erwiderte der Frager, `aber ist sein Bruder, Muhammad-Taqí, dieses heiligen Titels ebenso würdig?` Aqá Siyyid Muhammad lobte die Fähigkeiten und das Wissen des Taqí, vermied jedoch eine genaue Antwort auf die Frage. Trotzdem verbreitete der Fragesteller in der ganzen Stadt das Gerücht, Siyyid Muhammad anerkenne das hervorragende Können des Taqí und habe ihn selbst in seiner Gegenwart `Mujtahid` genannt. Siyyid Muhammad wohnte bei einem Kollegen, Hájí Mullá Abdu'l-Vahháb, dem dieses Gerücht bald zu Ohren kam. Er ließ den Fragesteller sogleich kommen und erteilte ihm in Gegenwart von Zeugen einen strengen Verweis. Natürlich wurde dies ebenfalls bekannt und gelangte schließlich dem Taqí zu Ohren. Seinerseits zornig, sagte er nur jedes Mal, wenn der Name Mullá Abdu'l-Vahháb fiel: `Ich achte ihn nur, weil er der Sohn meines geliebten Meisters ist.` Nachdem Siyyid Muhammad von diesn Vorfällen und Gerüchten erfuhr und wußte, wie sehr er das Herz des Taqí betrübt hatte, suchte er ihn eines Tages auf, um ihn zum Essen einzuladen; er erwies ihm große Ehrerbietung, schrieb ihm seine Urkunde, die ihn als Mujtahid auswies, und begleitete ihn am selben Tag zur Moschee. Nach dem Gebet ließ er sich auf den Stufen der Kanzel nieder, hielt die Laudatio für den Taqí und bestätigte ihn vor der ganzen Versammlung in seiner neuen Würde. Kurze Zeit darauf reiste Shaykh Ahmad-i-Ahsá'í durch Qazvín. Diese Persönlichkeit, tiefgläubiger Verfasser des Qisasu'l-'Ulamá, wurde zum Ketzer erklärt, weil er die Philosophie und das religiöse Gesetz vereinigen wollte, `und jedermann weiß aus Erfahrung, daß dieser Versuch, Intelligenz und Religion zu vereinen, ein Ding der Unmöglichkeit ist.` Wie dem auch sei, Shaykh Ahmad stand weit über seinen Zeitgenossen, und viele Menschen teilten seine Ansicht. In allen Städten Persiens hatte er Anhänger, und der Sháh Fath-'Alí achtete ihn sehr, obwohl Akhúnd Mullá Alí über ihn gesagt haben soll: `Er ist ein Dummkopf mit reinem Herzen.` Während seines Aufenthaltes in Qazvín wohnte er im Hause von Mullá Abdu'l-Vahháb, der von da an ein Feind der Familie Baraqání war. Er betete in seiner Moschee, und die Ulamás von Qazvín beteten unter seiner Führung. Er erwiderte natürlich alle Besuche und Liebenswürdigkeiten, die ihm von diesen heiligen Männern entgegengebracht wurden; er stand in gutem Einvernehmen mit ihnen und bald wußte jedermann, daß sein Gastgeber einer seiner Schüler war. Eines Tages begab er sich zu Hájí Mullá Taqiy-i-Baraqání, der ihn nach außen hin mit der größten Ehrerbietung empfing, seine Gegenwart jedoch dazu benutzte, ihm einige verfängliche Fragen zu stellen. `Sind Sie`, so fragte er, `bezüglich der Auferstehung der Toten am Jüngsten Tage derselben Meinung wie Mullá Sadrá?` »Nein«, erwiderte Shaykh Ahmad. Daraufhin rief Taqí seinen jüngsten Bruder, Hájí Mullá Alí, und sagte zu ihm: `Geh in meine Bibliothek und bringe mir das Buch Shaváhid-i-Rubúbiyyih von Mullá Sadrá.` Als Hájí Mullá jedoch lange nicht zurückkam, sagte er zu seinem Gesprächspartner: `Ich will diese Frage nicht mit Ihnen erörtern, möchte aber trotzdem Ihre Meinung über diesen Gegenstand kennenlernen.` Der Shaykh antwortete: »Nichts leichter als das. Nach meiner Auffassung wird nicht unser materieller Körper auferstehen, sondern sein Wesen. Unter `Wesen` verstehe ich z.B, das Glas, das potentiell im Stein enthalten ist«. `Verzeihung`, konterte der Taqí böse, `aber dieses Wesen ist anderer Natur als der materielle Körper, und Sie kennen das Dogma in unserer heiligen Religion, wonach wir an die Auferstehung des materiellen Körpers glauben sollen.` Der Shaykh schwieg darauf, und einer seiner Schüler, der aus Turkistán stammte, bemühte sich vergeblich, das Gespräch abzulenken, indem er eine langwierige Diskussion begann. Der Schlag war geführt, und Shaykh Ahmad zog sich zurück im Bewußtsein, sich eine Blöße gegeben zu haben. Bald gewahrte er, daß seine Unterredung in allen Einzelheiten vom Taqí verbreitet worden war, denn als er sich am selben Tag zum Gebet in die Moschee begab, folgte ihm einzig und allein Abdu'l-Vahháb. Die Dinge drohten sich zu verschlimmern, und Abdu'l-Vahháb glaubte, einen Weg gefunden zu haben, alle diese Schwierigkeiten zu beseitigen. Er bewog seinen Meister, eine Abhandlung zu schreiben und zu veröffentlichen, in der er die Auferstehung des materiellen Körpers bestätigen sollte. Aber er hatte nicht mit dem Haß des Taqí gerechnet. Tatsächlich schrieb Shaykh Ahmad diese Abhandlung, die in seinem Buch Ajwibatu'l-Masá'il zu finden ist; aber niemand las sie, und das Gerücht von seiner Gottlosigkeit verbreitete sich von Tag zu Tag weiter. Es ging so weit, daß der Gouverneur der Stadt, Prinz Alí-Naqí Mírzá Ruknu'd-Dawlih, eingriff. Angesichts der Bedeutung der in diesem Streit beteiligten Personen und in Furcht vor der Anschuldigung, Zwietracht entstehen zu lassen, beschloß er, eine Versöhnung herbeizuführen. Er lud alle berühmten Ulamás der Stadt zu einem großen Abendessen ein. Shaykh Ahmad erhielt den Ehrenplatz, und gleich neben ihm, getrennt durch eine Person, saß der Taqí. Es wurden Platten für jeweils drei Personen aufgetragen, so daß die beiden Feinde gezwungen waren, zusammen zu essen. Der Taqí zeigte sich unversöhnlich, er wandte sich seinen rechten Nachbarn zu, um von deren Platte zu essen, und zur großen Bestürzung des Prinzen hielt er seine linke Hand vor sein Gesicht, damit sein Blick nicht einmal zufällig auf Shaykh Ahmad fiele. Nach diesem eher langweiligen Mahl lobte der Prinz, immer noch in der Absicht, die beiden Feinde zu versöhnen, die Fähigkeiten Shaykh Ahmads. Er nannte ihn einen der größten arabischen und persischen Gelehrten und forderte den Taqí auf, ihm die größte Ehrerbietung zu zeigen. Es sei nicht angebracht, so fuhr er fort, dem Gerede der Leute das Ohr zu leihen, die im Grunde nur den Streit zweier führender Gelehrter herbeiführen wollten. Der Taqí unterbrach ihn heftig und erklärte voll Verachtung: `Es kann keinen Frieden geben zwischen Gottlosigkeit und Glauben: in der Frage der Auferstehung hat der Shaykh eine dem Islámischen Gesetz entgegengesetzte Lehre. Wer diese Lehre teilt, ist ein Gottloser. Was können ein Aufrührer und ich gemein haben?` Der Prinz bemühte sich und bat vergeblich, der Taqí bestand auf seiner Meinung, und die Versammlung wurde aufgehoben. (A.L.M. Nicolas, Siyyid Alí-Muhammad dit le Báb, p.263-267)

² Der dritte Märtyrer

³ Mullá Sálih hatte unter seinen Kindern eine Tochter, Zarrín-Táj (die goldene Krone), die von zartester Kindheit an die AufmerkSamkeit auf sich zog. Anstatt sich, wie ihre Altersgenossinnen, mit Spielen zu beschäftigen, verbrachte sie ihre ganze Zeit damit, den Gesprächen ihrer Eltern über religiöse Lehren zuzuhören. Ihr scharfer Verstand nahm schnell den ganzen Wortkram der islamischen Theologie auf, ohne darin unterzugehen, und bald diskutierte sie selbst mit über die unklarsten und schwierigsten Textstellen. Die überlieferungen (Hadíth) bargen kein Geheimnis für sie. Ihr Ruf verbreitete sich sehr rasch in der Stadt, und ihre Mitbürger sahen sie schließlich als ein Wunderkind an. Sie galt als ein Wunder in Wissen, aber auch an Schönheit; denn das heranwachsende Kind war zu einem jungen Mädchen geworden, dessen Gesieht von einer so strahlenden Schönheit war, daß man ihr den Beinamen Qurratu'l-'Ayn gegeben hatte, den M. de Gobineau mit »Augentrost« übersetzt. Ihr Bruder, Abdu'l-Vahháb-i-Qazvíní, der das Wissen und Ansehen seines Vaters geerbt hatte und, zumindest dem Schein nach, Muslim geblieben war, erzählte selbst: "Wir alle, ihre Brüder und ihre Vettern, wagten in ihrer Gegenwart nicht zu sprechen, so sehr schüchterte ihr Wissen uns ein; und wenn wir uns einmal getrauten, eine Hypothese über irgendeinen umstrittenen Lehrsatz aufzustellen, so zeigte sie uns auf so liebenswürdige Art unseren Irrtum, daß wir uns beschämt wieder zurückzogen." Sie nahm an den Kursen ihres Vaters und ihres Onkels in einem Hörsaal mit zwei- oder dreihundert Studenten teil, war dabei jedoch hinter einem Vorhang verborgen. Mehr als einmal wies sie die Erklärungen zurück, welche die beiden alten Männer zu dieser oder jener Frage äußerten. Sie wurde immer berühmter in ganz Persien, und die bedeutendsten Ulamás waren bereit, einige ihrer Hypothesen zu übernehmen. Diese Tatsache ist um so bemerkenswerter, als die Religion des shi'itischen Islam die Frau nahezu auf die Stufe des Tieres stellt, sie hat keine Seele und ist gerade zum Gebären recht. Qurratu'l-'Ayn heiratete sehr jung den Sohn ihres Onkels, Muhammad-i-Qazvíní, der der Imám-Jum'ih der Stadt war, und begab sich später nach Karbilá, wo sie an den Vorlesungen von Siyyid Kázim-i-Rashtí teilnahm. Sie vernahm mit Begeisterung die Ideen ihres Lehrers, Ideen, die ihr schon anderweitig bekannt waren -, war doch Qazvín ein Zentrum der Shaykhí-Lehren geworden. Sie besaß, wie wir noch sehen werden, ein feuriges Temperament, einen scharfen und klaren Verstand, eine bewundernswerte Geistesgegenwart und dazu einen unbezähmbaren Mut. Diese Eigenschaften zusammengenommen mußten dazu führen, daß sie Anteil nahm an der Sache des Báb, von dem sie seit ihrer Rückkehr nach Qazvín gehört hatte. Was ihr über Ihn zu Ohren kam, interessierte sie so sehr, daß sie mit dem Reformer in einen Briefwechsel trat. Bald war sie von Ihm überzeugt und machte dies auch in aller Welt bekannt. Der Skandal war groß; die Geistlichkeit war bestürzt. Ihr Gatte, ihr Vater und ihre Brüder beschworen sie vergeblich, von dieser gefährlichen Torheit zu lassen. Sie blieb unbeugsam und bekannte sich entschlossen zu ihrem Glauben. (A.L.M.Nicolas, Siyyid Alí Muhammad dit le Báb, p.273-274)

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+3:40 #119

Nun noch ein Wort zur Erläuterung des Begriffs Bálá-Sarí. Shaykh Ahmad und Siyyid Kázim nahmen wie ihre Anhänger beim Besuch des Schreins von Imám Husayn in Karbilá zum Ausdruck ihrer Verehrung ihren Platz stets am unteren Ende des Grabmals ein. Darüber gingen sie nie hinaus, während andere Pilger, eben die Bálá-Sarí, ihre Gebete am oberen Teil des Schreins verrichteten. Da die Shayhkí glaubten, daß `jeder wahre Gläubige sowohl in dieser wie in der nächsten Weh lebt`, empfanden sie es als unangebracht und ungehörig, über die Grenzen der unteren Teile des Schreins von Imám Husayn hinauszugehen, war er doch in ihren Augen die wahre Verkörperung eines vollkommenen Gläubigen.¹

¹ In seiner Schrift Hidáyatu't-Tálibín sagt Hájí Karím Khán, daß ihnen dieser Name deshalb zugelegt wurde, weil der verstorbene Shaykh Ahmad bei seinen Pilgerfahrten zu den heiligen Gräbern in Karbilá aus Ehrfurcht vor den Imámen seine Gebete hinter dem Imám, d.h. zu seinen Füßen, verrichtete. Bei seiner Ehrerbietung machte er keinen Unterschied zwischen einem verstorbenen und einem lebenden Imám. Die Perser dagegen stellen sich, wenn sie das Grabmal betreten, zu Häupten des Imám, kehren ihm also beim Gebet den Rücken zu, weil die heiligen Toten mit dem Haupt nach der Qiblih begraben wurden. Welche Schande und Falschheit! Die Apostel Jesu behaupteten, im Dienste Gottes zu stehen und wurden `Nasárá` genannt. Diese Bezeichnung wurde auf alle übertragen, die in ihre Fußstapfen traten. So bezieht sich der Name Bálá-Sarí auf alle jene, die der Lehre derer folgen, welche zu Häupten des Imám beten. (A.L.M. Nicolas, Essai Sur le Shaykhisme I, Vorwort, p.5-6)


+3:41

Mullá Husayn hatte schon vorher angenommen, daß er vom Báb zum Gefährten für Seine Pilgerfahrt nach Mekka und Medina ausersehen sei, und wurde, als sich der Báb zur Abreise von Shíráz entschloß, zu Seinem Meister gerufen, der ihm folgende Weisungen gab: »Die Tage unseres Zusammenseins gehen zu Ende. Mein Bündnis mit dir ist nun erfüllt. Lege die Rüstung des Diensteifers an und mache dich auf, Meine Sache zu verbreiten. Laß dich nicht entmutigen, wenn du die Verderbtheit und Entartung dieses Geschlechts wahrnimmst, denn der Herr des Bündnisses wird dir sicherlich beistehen. Wahrlich, Er wird dich mit Seinem liebevollen Schutz umgeben und wird dich von Sieg zu Sieg führen. Wie die Wolke, die ihren Segen über die Erde ergießt durchwandere du das Land von einem Ende zum andern und gieße aus auf Sein Volk die Segnungen, die der Allmächtige in Seiner Gnade dir verliehen hat. Hab Geduld mit den Ulamas und ergib dich in den Willen Gottes Erhebe den Ruf: `Wacht auf! Wacht auf! Denn siehe, das Tor Gottes steht offen, und das Morgenlicht ergießt seinen Glanz über die ganze Menschheit! Der Verheißene ist offenbart, bereite Ihm den Weg, o Volk der Erde! Beraube dich nicht selbst Seiner erlösenden Gnade, und verschließe deine Augen nicht vor Seiner strahlenden Herrlichkeit!` Teile denen, die auf deinen Ruf hören, die Sendschreiben und Tablets mit, die Wir für dich geoffenbart haben; vielleicht werden diese wunderbaren Worte sie veranlassen, sich aus dem Sumpf ihrer Achtlosigkeit zu lösen und sich in die Gefilde der Gegenwart Gottes zu erheben. Für die Pilgerfahrt, die Wir nun antreten, haben Wir Quddús zu unserem Gefährten erwählt. Wir lassen dich zurück, damit du den Anschlägen eines bösartigen und erbarmungslosen Feindes ins Auge schauest. Doch sei dessen gewiß, daß eine unaussprechlich herrliche Gnade deiner harrt. Richte deinen Weg nach Norden und besuche auf dieser Reise Isfáhán, Káshán, Qum und Tihrán. Flehe zur allmächtigen Vorsehung, sie möge dir gnädiglich beistehen, in jener Hauptstadt zum Sitz der wahren Herrschaft zu gelangen und in die Wohnstadt des Geliebten einzutreten. Ein Geheimnis liegt verborgen in jener Stadt. Wenn es offenbart sein wird, dann wird es die Erde in ein Paradies verwandeln. Ich habe die Hoffnung, daß du an seiner Gnade teilhaben und seine Herrlichkeit erkennen mögest. Von Tihrán begib dich nach Khurásán und erhebe dort von neuem den Ruf! Kehre dann zurück nach Najaf und Karbilá und warte dort auf den Ruf deines Herrn! Sei dessen gewiß, daß du die hohe Aufgabe, für die du ausersehen worden bist, voll und ganz erfüllen wirst. Bevor dein Werk nicht getan ist, wird niemand auch nur ein einziges Haar auf deinem Haupte krümmen können, selbst wenn alle Pfeile der ungläubigen Welt auf dich gerichtet wären. Alles liegt gefangen in Seiner machtvollen Hand. Er ist wahrlich der Allmächtige, der Allüberwinder.«

+3:42 #120

Dann ließ der Báb Mullá Alíy-i-Bastámí zu Sich kommen und sprach Worte voll Liebe und Güte zu ihm. Er gab ihm den Auftrag, direkt nach Najaf und Karbilá zu gehen. Er deutete an, daß ihn dort schwere Prüfungen und Leiden erwarteten, und trug ihm auf, standhaft zu sein bis ans Ende. »Dein Glaube«, sprach Er zu ihm, »muß unverrückbar sein wie ein Felsen, muß jeden Sturm überstehen und jede Not überdauern. Laß dich nicht kränken durch die Verleumdungen der Toren und die Lügen der Geistlichen, und laß dich durch nichts von deinem Ziel abbringen. Denn du bist aufgerufen, an dem himmlischen Festmahl teilzunehmen, das deiner im Reiche der Unsterblichkeit harrt. Du bist der erste, der das Haus Gottes verlassen und um Seiner Sache willen leiden wird. Wenn du auf Seinem Pfade erschlagen werden solltest, dann denke daran, daß dein Lohn groß sein wird und gut die Gabe, die für dich bestimmt ist.«


+3:43 #121 (Bildlegenden - Am Kázirán-Tor in Shíráz - Die Basarstrasse von Vakil in Shíráz)

Diese Worte waren kaum ausgesprochen, als sich Mullá Alí rasch von seinem Sitz erhob und aufbrach, seinen Auftrag auszuführen. Etwa ein Farsang von Shíráz entfernt, wurde er von einem Jüngling eingeholt, der ihn sehr aufgeregt und ungeduldig bat, mit ihm zu sprechen. Er hieß Abdu'l-Vahháb. "Ich flehe dich an", bat er Mullá Alí unter Tränen, "erlaube mir, dich auf deiner Reise zu begleiten. Verwirrung bedrängt mein Herz; ich bitte dich, leite du meine Schritte auf dem Pfade der Wahrheit. Letzte Nacht hörte ich im Traum den Ausrufer in der Basarstraße von Shíráz das Erscheinen des Imám Alí, des Oberhaupts der Gläubigen, ankündigen. Er rief der Menge zu: `Macht euch auf und sucht ihn! Siehe, er holt aus dem brennenden Feuer Freibriefe und verteilt sie unter die Menschen! Eilt zu ihm, denn wer immer sie aus seinen Händen empfängt, wird den Qualen der Strafe entgehen, und wer es versäumt, einen von ihm zu erhalten, wird keinen Anteil an den Segnungen des Paradieses haben.` Als ich die Stimme des Ausrufers hörte, stand ich sofort auf, ließ meinen Laden stehen und rannte über die Basarstraße von Vakil bis zu einem Platz, wo meine Augen dich stehen und gerade jene Freibriefe unter die Leute verteilen sahen. Jedem, der zu dir kam, um sie aus deiner Hand zu empfangen, flüstertest du etwas ins Ohr, worauf er voll Bestürzung floh und ausrief: `Weh mir, denn ich bin von den Segnungen Alís und seines Geschlechts ausgeschlossen! Ach, ich Elender, daß ich zu den Verworfenen und Gefallenen gehöre!` Da erwachte ich von meinem Traum und begab mich wieder zu meinem Laden, versunken in ein Meer von Gedanken. Plötzlich sah ich dich vorübergehen, in Begleitung eines Mannes, der einen Turban trug und mit dir sprach. Ich sprang auf, und wie von einer unwiderstehlichen Macht getrieben lief ich los, um dich einzuholen. Zu meinem größten Erstaunen fand ich dich genau auf dem Platz, den ich in meinem Traum gesehen hatte, wo du Sprüche und Verse hersagtest. Ich blieb in einiger Entfernung stehen und hörte dir zu, völlig unbemerkt von dir und deinem Freund. Ich hörte den Mann, mit dem du sprachst, heftig protestieren: `Es ist leichter für mich, von den Flammen der Hölle verschlungen zu werden, als an die Wahrheit deiner Worte zu glauben, deren Gewicht zu ertragen selbst Berge unfähig sind!` Auf diese verächtliche Ablehnung gabst du ihm die Antwort: `Und wenn das ganze Weltall Seine Wahrheit zurückwiese, so könnte das nie die strahlende Reinheit Seines Gewandes der Größe trüben.` Dann ließest du ihn stehen und lenktest deine Schritte zum Kázirán-Tor. Ich folgte dir weiter, bis ich diesen Platz erreichte."

+3:44 #122

Mullá Alí gab sich Mühe, sein verstörtes Gemüt zu beruhigen und ihn zur Rückkehr in sein Geschäft zu bewegen, damit er sein Tagewerk wieder aufnähme. "Wenn du dich mir anschließen würdest", hielt er ihm vor, "so brächte mich das in Schwierigkeiten. Kehre zurück nach Shíráz und sei versichert, daß du zu denen gehörst, die gerettet werden. Ferne sei es von Gott, daß Er in Seiner Gerechtigkeit einem so eifrigen und ergebenen Sucher den Kelch Seiner Gnade vorenthalte, oder daß Er einer so durstigen Seele das wogende Meer Seiner Offenbarung verweigere." Die Worte Mullá Alís waren erfolglos. Je mehr er auf der Rückkehr von Abdu'l-Vahháb bestand, um so lauter wurde sein Jammern und Klagen. Mullá Alí sah sich zuletzt gezwungen, seinem Wunsch zu willfahren und sich in den Willen Gottes zu fügen.

+3:45

Hájí Abdu'l-Majíd, der Vater von Abdu'l-Vahháb, soll oft folgende Geschichte erzählt haben, die ihm jedesmal wieder Tränen in die Augen trieb:

"Wie tief", sagte er, "bedaure ich die Tat, die ich begangen habe. Betet, daß Gott mir meine Sünde vergeben möge! Ich war einer der Günstlinge am Hof der Söhne des Farmán-Farmá, des Gouverneurs der Provinz Fárs. Meine Stellung dort war so, daß niemand gewagt hätte, mir zu widersprechen oder mich zu beleidigen. Niemand hätte meine Autorität in Frage gestellt oder gewagt, sich in meine Rechte einzumischen. Kaum hatte ich gehört, daß mein Sohn Abdu'l-Vahháb seinen Laden aufgegeben und die Stadt verlassen habe, lief ich zum Kázirán-Tor, um ihn einzuholen. Mit einem Knüppel bewaffnet, mit dem ich ihn verprügeln wollte, fragte ich nach dem Weg, den er eingeschlagen hatte. Man sagte mir, daß gerade ein Mann mit Turban über die Straße gegangen sei, und man habe gesehen, wie mein Sohn ihm gefolgt sei. Es habe so ausgesehen, als ob die beiden zusammen die Stadt verlassen wollten. Dies erregte in mir Zorn und Unwillen. Wie kann ich mir, dachte ich so, ein derart unverschämtes Benehmen von meinem Sohn gefallen lassen, ich, der ich doch eine so bedeutende Stellung am Hof der Farmán-Farmá-Söhne habe! Nur strengste Züchtigung, meinte ich, könnte die Folgen des schandbaren Betragens meines Sohnes wieder tilgen."


+3:46 #123

"Ich suchte so lange, bis ich sie fand. von wilder Wut gepackt, überhäufte ich Mulla Alí mit unaussprechlichen Beleidigungen. Auf die Hiebe, die schwer auf ihn herniederfielen, antwortete er mit außerordentlicher Strenge: "Halte deine Hand zurück, o Abdu'l-Majíd, denn das Auge Gottes sieht dich! Ich rufe Ihn zum Zeugen, daß ich in keiner Weise verantwortlich bin für das Verhalten deines Sohnes. Mich kümmern nicht die Schmerzen, die du mir zufügst, denn ich bin auf die bittersten Leiden gefaßt auf dem Weg, den ich auf mich genommen habe. Deine Kränkungen sind, verglichen mit dem, was in Zukunft über mich kommen wird, wie ein Tropfen im Vergleich zu einem Meer. Wahrlich, ich sage dir, du wirst mich überleben und wirst dahin kommen, meine Arglosigkeit zu erkennen. Groß wird dann deine Reue sein, und tief dein Kummer." Ich verlachte seine Einwände, und ungeachtet seiner Warnung schlug ich auf ihn ein, bis ich erschöpft war. Still und heldenmütig ließ er diese höchst unverdiente Züchtigung von meiner Hand über sich ergehen. Schließlich befahl ich meinem Sohn, mit mir zu kommen, und überließ Mullá Alí seinem Schicksal."

+3:47

"Auf unserem Weg zurück nach Shíráz erzählte mir mein Sohn den Traum, den er gehabt hatte. Allmählich überkam mich ein Gefühl tiefen Bedauerns. Die Schuldlosigkeit von Mulla Alí war in meinen Augen erwiesen, und die Erinnerung an meine Grausamkeit gegen ihn lag mir noch lange schwer auf der Seele. Ihre Bitternis klang in meinem Herzen nach bis zu der Zeit, da ich meinen Wohnsitz von Shíráz nach Baghdád verlegen mußte. von Baghdád begab ich mich nach Kázimayn, wo Abdu'l-Vahháb ein Geschäft eröffnete. Ein seltsames Geheimnis lag auf seinem jugendlichen Gesicht. Er schien vor mir ein Geheimnis zu verbergen, das offenbar sein ganzes Leben verwandelt hatte. Und als im Jahr 1267 d.H. (1850/51) Bahá'u'lláh nach dem Iráq reiste und Kázimayn besuchte, war Abdu'l-Vahháb sogleich dem Zauber Seiner Persönlichkeit verfallen und wurde Ihm für immer treu ergeben. Einige Jahre später, nachdem mein Sohn in Tihrán den Märtyrertod erlitten hatte und Bahá'u'lláh nach Baghdád verbannt worden war, hat Er mich mit unendlicher Liebe und Güte aus dem Schlaf meiner Nachlässigkeit erweckt und Selbst mir die Botschaft vom Neuen Tag gebracht und so mit den Wassern der göttlichen Vergebung den Makel jener grausamen Tat von mir abgewaschen."


+3:48 #124

Diese Episode bezeichnet die erste Heimsuchung, die einen Jünger des Báb befiel, nachdem Er Seine Sendung erklärt harte. Mullá Alí ersah aus diesem Erlebnis, wie steil und dornenvoll der Pfad war, an dessen Ende die ihm von seinem Meister gegebene Verheißung erfüllt würde. Völlig in Seinen Willen ergeben und bereit, sein Herzblut für Seine Sache zu vergießen, setzte er seine Reise fort, bis er Najaf erreichte. In Gegenwart des Shaykh Muhammad-Hasan, eines der berühmtesten Geistlichen des shí'itischen Islam, und angesichts einer erlesenen Gesellschaft seiner Schüler verkündete Mullá Alí furchtlos die Offenbarung des Báb, des Tores, dessen Kommen sie so sehnsüchtig erwarteten. "Sein Beweis", erklärte er, "ist Sein Wort; Sein Zeugnis ist kein anderes als das Zeugnis, durch welches der Islam seine Wahrheit zu erhärten sucht. Aus der Feder dieses ungelehrten jungen Háshimiten aus Persien ist innerhalb von achtundvierzig Stunden eine so große Zahl von Versen, Gebeten, Andachten und wissenschaftlichen Abhandlungen geströmt, wie sie an Umfang dem ganzen Qur'án gleichkommt, zu dessen Offenbarung Muhammad, der Prophet Gottes, dreiundzwanzig Jahre gebraucht hat!" Anstatt daß dieser stolze und fanatische Lehrer diese lebenspendenden Beweise einer neugeborenen Offenbarung willkommen geheißen hätte in einer Zeit der Finsternis und des Vorurteils, erklärte er kurzerhand Mullá Alí zum Ketzer und vertrieb ihn aus der Versammlung. Seine Schüler und Anhänger, selbst die Shaykhí, die zuvor Mullá Alís Frömmigkeit, Aufrichtigkeit und Gelehrtheit bezeugt hatten, pflichteten nun ohne Zögern dem Urteil gegen ihn bei. Die Schüler von Shaykh Muhammad Hasan machten mit den Gegnern gemeinsame Sache und überhäuften ihn mit unaussprechlichen Beleidigungen. Schließlich übergaben sie ihn, die Hände in Ketten gefesselt, einer Dienststelle der ottomanischen Regierung mit der Anklage, er sei ein Verderber des Islam, ein Verleumder des Propheten, ein Schadenstifter, eine Schande für den Glauben und wert, zum Tode verurteilt zu werden. Unter einer Eskorte von Regierungsbeamten wurde er nach Baghdád gebracht und vom Gouverneur der Stadt ins Gefängnis geworfen.

+3:49 #125

Hájí Háshim, genannt Attár, ein bedeutender Kaufmann, der sich in den Schriften des Islam sehr gut auskannte, erzählte folgendes: "Ich war einmal im Regierungsgebäude zugegen, als Mullá Alí vor die versammelten Honoratioren und Regierungsbeamten jener Stadt gerufen wurde. Er war öffentlich angeklagt, ein Abtrünniger zu sein, einer, der die Gesetze des Islam aufheben wolle und seine Rituale und anerkannten Regeln ablehne. Als seine angeblichen Vergehen und Schandtaten alle aufgezählt waren, wandte sich der Mufti, der oberste Vertreter des islamischen Rechts in jener Stadt, ihm zu und sagte: `Du Feind Gottes!` Da ich neben dem Mufti saß, flüsterte ich ihm ins Ohr: `Du kennst doch diesen unglücklichen Fremden gar nicht. Weshalb redest du ihn in dieser Weise an? Bemerkst du nicht, daß solche Worte, wie du zu ihm gesprochen hast, die Wut der Bevölkerung gegen ihn erregt? Es wäre angemessener, wenn du die unbewiesenen Anschuldigungen, die diese übereifrigen gegen ihn vorgebracht haben, außer acht ließest, ihn selbst befragtest und nach den anerkannten Rechtsmaßstäben des islamischen Glaubens über ihn urteiltest.` Dies gefiel dem Mufti gar nicht. Er stand auf und verließ die Versammlung. Mullá Alí wurde wieder ins Gefängnis geworfen. Ein paar Tage später erkundigte ich mich nach ihm, in der Hoffnung, seine Freilassung zu erreichen. Da bekam ich gesagt, er sei in der Nacht zuvor nach Konstantinopel verbracht worden. Ich zog weitere Erkundigungen ein und versuchte herauszufinden, was ihm am Ende zugestoßen sei. Ich konnte jedoch die Wahrheit nicht erfahren. Einige meinten, er sei auf dem Weg nach Konstantinopel krank geworden und gestorben. Andere behaupteten, er habe den Märtyrertod erlitten."¹ Wie immer auch sein Ende gewesen sein mag, Mullá Alí hatte durch sein Leben und Sterben die unsterbliche Auszeichnung errungen, der erste Dulder auf dem Pfad dieses neuen Gottesglaubens gewesen zu sein, der erste, der sein Leben hingegeben hat als Gabe auf dem Altar der Aufopferung.

¹ Muhammad Mustafá schreibt (p.106), daß Mullá Alí auf Anordnung von Najib Páshá, dem Gouverneur der Stadt, sechs Monate lang in Baghdád im Gefängnis schmachtete. Von dort mußte er auf Anweisung der ottomanischen Regierung nach Konstantinopel reisen. Sein Weg führte ihn über Mosul, wo es ihm gelang, für die neue Offenbarung Interesse zu wecken. Doch war es seinen Freunden nicht möglich zu erfahren, ob er seinen Bestimmungsort erreicht hat.


+3:50 #126

Nachdem der Báb Mullá Alí zu seiner Mission ausgesandt hatte, berief Er die übrigen Buchstaben des Lebendigen zu Sich. Jedem einzelnen erteilte Er eine besondere Weisung und betraute jeden mit einer eigenen Aufgabe. Er richtete folgende Abschiedsworte an sie:

»O Meine geliebten Freunde! Ihr seid die Träger des Namens Gottes an diesem Tag. Ihr seid auserwählt worden als die Schatzkammern Seines Geheimnisses. Es geziemt jedem von euch, die Eigenschaften Gottes zu offenbaren und durch eure Worte und Taten ein Beispiel zu sein für die Zeichen Seiner Gerechtigkeit, Seiner Macht und Herrlichkeit. Jedes Glied eures Körpers muß Zeugnis ablegen für die Erhabenheit eurer Absichten, die Reinheit eures Lebens, die Wahrheit eures Glaubens und die Erhabenheit eurer Hingabe. Denn wahrlich, Ich sage euch, dies ist der Tag, von dem Gott in Seinem Buche (dem Qur'án) spricht: "An jenem Tag wollen Wir ein Siegel auf ihren Mund drücken; ihre Hände aber werden von Uns reden und ihre Füße werden Zeugnis ablegen von dem, was sie getan haben." Denkt an die Worte von Jesus, die Er an Seine Jünger richtete, als Er sie aussandte, die Sache Gottes zu verkünden. Er hieß sie, sich zu erheben und ihre Aufgabe zu erfüllen, und sprach zu ihnen: "ihr seid wie das Feuer, das im Dunkel der Nacht auf dem Gipfel des Berges angezündet worden ist. Laßt euer Licht leuchten vor den Augen der Menschen! Euer Wesen muß so rein und eure Entsagung so vollkommen sein, daß die Menschen auf Erden durch euch den himmlischen Vater, der die Quelle der Reinheit und der Gnade ist, erkennen und Ihm näherkommen können. Denn niemand hat den Vater gesehen, der im Himmel ist. Ihr, Seine geistigen Kinder, müßt durch eure Taten Beispiel sein für Seine Eigenschaften und Seinen Ruhm bezeugen. Ihr seid das Salz der Erde, wenn aber das Salz dumm wird, womit soll man salzen? Wenn ihr eine Stadt betretet, um die Sache Gottes zu verkünden und zu lehren, muß eure Loslösung so groß sein, daß ihr weder Speise noch Lohn von den Menschen dort erwartet. Vielmehr sollt ihr, wenn ihr jene Stadt verlaßt, ihren Staub von euren Füßen schütteln. So rein und unbefleckt wie ihr sie betreten habt, müßt ihr sie wieder verlassen. Denn wahrlich, ich sage euch, der himmlische Vater ist immer bei euch und wacht über euch. So ihr an Ihn glaubt, wird Er gewißlich alle Schätze der Erde in eure Hände legen und wird euch erheben über alle Herrscher und Könige der Welt." O Meine Buchstaben! Wahrlich, Ich sage euch, unendlich erhaben ist dieser Tag über die Tage der früheren Apostel. Unermeßlich ist der Unterschied! Ihr seid die Zeugen des Heraufdämmerns des verheißenen Tages Gottes. Ihr habt teil an dem geheimnisvollen Kelch Seiner Offenbarung. Legt die Rüstung des Diensteifers an und seid eingedenk der Worte Gottes, wie sie in Seinem Buch (dem Qur'án) geoffenbart sind: "Siehe, der Herr, Dein Gott, ist gekommen und mit Ihm die Heerscharen Seiner Engel, die vor Ihm stehen!" Reinigt eure Herzen von allen irdischen Begierden und laßt himmlische Tugenden euer Schmuck sein! Strebet darnach, daß eure Taten die Wahrheit dieser göttlichen Worte bezeugen und hütet euch, daß nicht durch eure `Abkehr` Er `ein anderes Volk an eure Stelle setze`, das `nicht euresgleichen sein wird`, und welches das Königreich Golfes von euch nehmen wird. Die Tage, da müßige Anbetung zu genügen schien, sind vorüber. Die Zeit ist gekommen, da nur die reinsten Beweggründe, getragen von fleckenloser Reinheit, zum Throne des Allerhöchsrten aufsteigen und von Ihm angenommen werden können. "Das gute Wort steigt zu Ihm auf, und die gerechte Tat wird es vor Ihm erhöhen." Ihr seid die Geringen, von denen Gott so in Seinem Buch (dem Qur'án) gesprochen hat: "Und Wir wollen Unsere Gunst denen erweisen, welche die Geringen im Lande sind, und wollen sie zu geistigen Führern unter den Menschen machen und zu Unseren Erben." Zu dieser Stufe seid ihr berufen worden, ihr werdet sie aber nur dann erreichen, wenn ihr euch aufmacht, jedes irdische Begehren unter eure Füße zu treten, und euch bemüht, zu jenen "Seinen geehrten Dienern zu werden, die nicht sprechen, bevor Er nicht gesprochen hat, und die Seinen Willen tun". Ihr seid die ersten Buchstaben, die aus dem Ersten Punkt hervorgegangen sind, die ersten Wasserstrahlen, die aus der Quelle dieser Offenbarung geströmt sind. Bittet den Herrn, euren Gott, darum, daß keine irdische Bindung, keine weltliche Leidenschaft, kein Verlangen nach Vergänglichem eure Reinheit trübe oder die Süßigkeit der Gnade, die euch durchströmt, verbittere. Ich bereite euch für das Kommen eines machtvollen Tages vor. Bemüht euch aufs äußerste, daß Ich, der Ich euch jetzt unterweise, in der künftigen Welt Mich vor dem Gnadenthron Gottes eurer Taten erfreuen und eure Erfolge rühmen kann. Das Geheimnis des kommenden Tages ist jetzt noch verhüllt. Noch kann es nicht enthüllt und darum auch noch nicht geschätzt werden. Das neugeborene Kind jenes Tages übertrifft die weisesten und geachtetsten Männer dieser Zeit, und der Niedrigste und Ungelehrteste jener Zeit wird an Verständnis die gelehrtesten und vollendetsten Geistlichen dieses Zeitalters übertreffen. Verbreitet euch über das ganze Land und bereitet festen Fußes und geheiligten Herzens den Weg für Sein Kommen. Achtet nicht eurer Schwachheit oder Furcht; richtet euren Blick auf die unüberwindliche Macht des Herrn, eures Gottes, des Allmächtigen. Hat Er nicht in vergangenen Zeiten bewirkt, daß Abraham trotz scheinbarer Hilflosigkeit über die Streitmächte von Nimrod gesiegt hat? Hat Er nicht Moses, der nur einen Stab zum Gefährten hatte, dazu befähigt, Pharao und seine Heerscharen zu besiegen? Hat Er nicht Jesus, der in den Augen der Menschen klein und niedrig war, über die vereinigten Mächte des jüdischen Volkes aufsteigen lassen? Hat Er nicht die barbarischen und kriegerischen Stämme Arabiens der heiligen und verwandelnden Zucht Muhammads, Seines Propheten, unterworfen? Erhebt euch denn in Seinem Namen, setzt euer Vertrauen ganz auf Ihn und seid sicher, daß ihr letztlich siegen werdet.«¹

¹ Der Báb spricht im Persischen Bayán (Váhid 1, Tor 2) folgendes über die Buchstaben des Lebendigen: »Sie alle bilden den Namen des Lebendigen, denn dies sind die Namen, die Gott am nächsten stehen; die anderen werden geführt durch ihre richtungweisenden Taten, denn Gott hat durch sie die Schöpfung des Bayán begonnen, und sie sind es, zu denen dieses Werk des Bayán wieder zurückkehren wird. Dies sind die Leuchten, die in der Vergangenheit sich immer vor dem himmlischen Thron niedergeworfen haben und sich in Ewigkeit vor ihm niederwerfen werden.« (Le Bayán Persan I p.24-25)


+3:51 #128

Mit solchen Worten belebte der Báb den Glauben Seiner Jünger und sandte sie aus auf ihre Mission. Er wies jedem seine eigene Heimatprovinz als Arbeitsfeld zu. Er wies jeden einzelnen an, sich nicht auf Seinen Namen und Seine Person zu beziehen.¹ Er hieß sie, laut zu verkünden, daß das Tor zu dem Verheißenen aufgetan worden sei, daß Sein Beweis unwiderleglich und Sein Zeugnis vollkommen sei. Er hieß sie zu erklären, wer immer an Ihn glaubt, hat auch an alle Propheten Gottes geglaubt, und wer Ihn ablehnt, hat alle Seine Heiligen und Seine Erwählten abgelehnt. Mit diesen Weisungen sandte Er sie aus und empfahl sie der Obhut Gottes. Von diesen Buchstaben des Lebendigen, die Er so verabschiedete, blieben Mullá Husayn, der erste dieser Buchstaben, und Quddús, der letzte, mit Ihm in Shíráz. Die andern vierzehn verließen Shíráz um die Stunde der Morgendämmerung, jeder mit dem festen Entschluß, die Aufgabe, mit der er betraut war, voll und ganz zu erfüllen.

¹ A.L.M. Nicolas schreibt in seiner Einführung zu Band 1 des Le Bayán Persan (p.3-5) folgendes: `Alle Welt ist sich darüber einig, daß es ihm absolut unmöglich war, seine Lehre laut zu verkünden, und sie unter den Menschen zu verbreiten. Er mußte wie ein Kinderarzt vorgehen, der seine bittere Arznei mit Zucker überzieht, um sie seinen kleinen Kranken schmackhafter zu machen. Und das Volk, aus dessen Mitte er hervorgegangen war, war und ist leider auch heute noch fanatischer als es die Juden zur Zeit Jesu waren; und die Autorität des Römischen Friedens gab es nicht mehr, sie hätte den wütenden Ausschreitungen des von religiösen Wahnvorstellungen übererregten Volkes Einhalt gebieten können. Wenn Christus, trotz der verhältnismäßig ruhigen Umgebung, in der er predigte, glaubte, Gleichnisse verwenden zu müssen, so mußte Siyyid Alí Muhammad erst recht seine Gedanken in zahlreiche Vergleiche kleiden und das Wasser seiner göttlichen Wahrheiten nur tropfenweise verabreichen. Er erzieht sein Kind, die Menschheit; er führt es, er leitet seine ersten Schritte auf einem Weg, auf dem es später allein langsam aber sicher zu dem ihm seit aller Ewigkeit gesetzten Ziel kommen wird.`


+3:52 #129

Als für Mullá Husayn auch die Zeit zum Abschied gekommen war, sprach der Báb zu ihm: »Gräme dich nicht, daß du nicht auserwählt worden bist, Mich auf Meiner Pilgerfahrt nach Hijáz zu begleiten. Ich werde dafür deine Schritte nach jener Stadt lenken, die ein Geheimnis von so unbeschreiblicher Heiligkeit birgt, daß weder Hijáz noch Shíráz je hoffen können, ihr gleichzukommen. Ich hoffe, daß es dir mit Gottes Hilfe gelingen möge, die Schleier von den Augen der Halsstarrigen wegzunehmen und die Gemüter der Böswilligen zu erhellen. Besuche auf deinem Weg Isfáhán, Káshán, Tihrán und Khurásán. Von dort begib dich nach dem Iráq und erwarte dort den Ruf deines Herrn, der über dir wacht, und der dich dorthin lenken wird, wo immer es Sein Wunsch und Wille ist. Was Mich betrifft, so werde Ich Mich in Begleitung von Quddús und Meinem äthiopischen Diener auf Meine Pilgerfahrt nach Hijáz begeben, Ich werde Mich den Pilgern von Fárs anschließen, die in Kürze dorthin fahren werden. Ich werde Mekka und Medina besuchen und dort die Aulgabe erfüllen, mit der Gott Mich betraut hat. So Gott will, werde Ich von dort über Kúfih zurückkehren, wo Ich dich zu treffen hoffe. Sollte es anders bestimmt werden, dann werde Ich dich bitten, Mich in Shíráz zu treffen. Sei dessen gewiß, daß die Heerscharen des unsichtbaren Königreichs dir helfen und deine Kräfte mehren werden. Der Inbegriff der Macht wohnt nun in dir und die Scharen Seiner auserwählten Engel umgeben dich. Seine allmächtigen Heerscharen werden um dich sein und Sein nie versagender Geist wird nie aufhören, deine Schritte zu lenken. Wer dich liebt, liebt Gott; und wer sich dir widersetzt, hat sich Gott widersetzt. Wer dir Gutes tut, dem wird Gott Gutes tun; und wer dich ablehnt, den wird Gott ablehnen.«

#130 (Bildlegende - Madrisih von Ním-Avard, Isfáhán)









Viertes Kapitel
MULLA HUSAYNS REISE NACH TIHRAN

+4:1 #131

Mit diesen erhabenen Worten im Ohr begab sich Mullá Husayn auf seine gefahrvolle Reise. Wo immer er hinkam, welche Art Menschen er auch ansprach, furchtlos und ohne Vorbehalt übergab er die Botschaft, mit der sein geliebter Meister ihn betraut hatte. In Isfáhán angekommen, ließ er sich in der Madrisih von Nim-Avard nieder. Dort scharten sich viele um ihn, die ihn bei seinem früheren Besuch in jener Stadt als den geehrten Boten von Siyyid Kázim für den berühmten Mujtahid Hájí Siyyid Muhammad-Báqir kennengelernt hatten.¹ Da dieser nun verstorben war, nahm sein Sohn, der gerade von Najaf zurückgekommen war, als sein Nachfolger nunmehr den Platz seines Vaters ein. Hájí Muhammad-Ibráhim-i-Kalbásí war ebenfalls ernstlich krank und lag im Sterben. Die Schüler des verstorbenen Hájí Siyyid Muhammad-Báqir, die nun nicht mehr unter dem mäßigenden Einfluß ihres verstorbenen Lehrers standen, waren sehr erregt über die seltsamen Lehren, die Mullá Husayn vorbrachte, und führten heftige Klage wider ihn bei Hájí Siyyid Asadu'lláh, dem Sohn des verstorbenen Hájí Siyyid Muhammad-Báqir. `Mullá Hsayn`, beklagten sie sich, `hat es während seines letzten Besuches fertiggebracht, deines erlauchten Vaters Unterstützung für die Sache von Shaykh Ahmad zu gewinnen. Keiner von den hilflosen Schülern des Siyyid hat gewagt, ihm zu widersprechen. Und nun kommt er als Sachwalter eines noch viel schlimmeren Gegners und setzt sich mit noch mehr Leidenschaft und größerem Eifer für dessen Sache ein. Er behauptet hartnäckig, daß der, dessen Sache er nun verficht, der Offenbarer eines Buches sei, das göttlich inspiriert sei und in Ausdruck und Sprachstil eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Qur'án habe. Der Bevölkerung dieser Stadt hat er die Herausforderung ins Gesicht geschleudert: »Macht doch ein Buch wie das, wenn ihr Menschen der Wahrheit seid!« Bald ist es wirklich so weit, daß ganz Isfáhán Seine Sache angenommen haben wird!` Hájí Siyyid Asadu'lláh gab auf ihre Anklagen ausweichende Antworten. `Was soll ich sagen?` erwiderte er schließlich bedrückt. `Habt ihr nicht selber zugegeben, daß Mullá Husayn durch seine Redegewandtheit und die Beweiskraft seiner Argumente keinen Geringeren als meinen erlauchten Vater zum Schweigen gebracht hat? Wie kann dann ich, der ich ihm an Verdienst und Wissen weit unterlegen bin, mich erdreisten, das in Frage zu stellen, was er gebilligt hat? Es möge jedermann diese Ansprüche unvoreingenommen prüfen. Wenn er zufrieden ist, gut und schön; wenn nicht, dann möge er Ruhe bewahren und nicht Gefahr laufen, den guten Namen unseres Glaubens in Verruf zu bringen."

¹ `In Scharen strömte man herbei, um den Redner zu hören. Er nahm nach und nach alle Kanzeln in Isfáhán ein, wo er in Freiheit tun konnte, was ihm in Shíráz verboten war. Er fürchtete sich nicht, öffentlich zu sagen und zu verkünden, daß Mírzá Alí Muhammad der zwölfte Imám, der Imám Mihdi, sei; er zeigte die Bücher seines Herrn und las aus ihnen vor. Er wies auf den flüssigen Stil und die Tiefe des Inhalts hin, hob die ungewöhnliche Jugendlichkeit des Sehers hervor und berichtete über Wunder.` (Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies dans l'Asie Centrale p.130)


+4:2 #132

Als seine Schüler sahen, daß ihre Bemühungen jeden Eindruck auf Hájí Siyyid Asadu'lláh verfehlten, trugen sie die Angelegenheit Hájí Muhammad-Ibráhim-i-Kalbásí vor. `Weh uns!` protestierten sie lauthals, `der Feind hat sich aufgemacht, den heiligen Glauben des Islam zu spalten!` Mit grellen und übertreibenden Worten betonten sie den herausfordernden Charakter der Ideen, die Mullá Husayn vertrat. `Bewahrt nur Ruhe`, erwiderte Hájí Muhammad-Ibráhim. `Mullá Husayn ist nicht der Mann, der sich von irgend jemand täuschen ließe; er wird auch nie das Opfer von gefährlichen Ketzereien werden. Wenn eure Behaupmng zutreffen sollte, wenn Mullá Husayn rarsächlich einen neuen Glauben angenommen har, dann ist es fraglos eure erste Pflicht, vorurteilslos die Art seiner Lehren zu erforschen, und keinesfalls ihn zu verklagen ohne eine vorherige sorgfältige Untersuchung. Wenn meine Gesundheit und meine Kräfte wiederhergestellt sind, will ich mir vornehmen, so Gott will, selbst die Sache zu prüfen und die Wahrheit festzustellen.`

+4:3

Diese strenge Zurückweisung durch Hájí Kalbásí stürzte die Schüler von Hájí Siyyid Asadu'lláh in Verwirrung. Aufgebracht wandten sie sich an Manúchihr Khán, den Mu'tamidu'd-Dawlih, Gouverneur der Stadt. Dieser weise und gerechte Herrscher lehnte es ab, in dieser Angelegenheit einzugreifen, die, wie er sagte, ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Ulamás fiele. Er warnte sie davor, Unheil anzurichten, und ermahnte sie, damit aufzuhören, den Frieden und die Ruhe des Gesandten zu stören. Seine scharfen Worte zerstörten die Hoffnungen der Unruhestifter, und damit war Mullá Husayn von den Machenschafren seiner Feinde befreit und konnte für eine Weile ungehindert seiner Arbeit nachgehen.

+4:4 #133

Der erste, der in jener Stadt sich für die Sache des Báb einsetzte, war ein Mann, ein Weizensieber, der, sobald der Ruf sein Ohr erreicht hatte, vorbehaltlos die Botschaft annahm. Er diente Mullá Husayn mit bewundernswerter Hingabe und wurde durch sein enges Zusammensein mit ihm zu einem eifrigen Verfechter der neuen Offenbarung. Als ihm wenige Jahre später die erschütternden Einzelheiten über die Belagerung der Festung von Shaykh Tabarsí berichtet wurden, fühlte er einen unwiderstehlichen Drang, sein Schicksal mit dem jener heldenhaften Gefährten des Báb zu vereinigen, die sich zur Verteidigung ihres Glaubens aufgemacht hatten. Mit seinem Sieb in der Hand machte er sich unverzüglich auf den Weg zum Schauplatz jenes denkwürdigen Gefechts. `Warum läufst du denn so eilig weg?` fragten seine Freunde, als sie ihn in höchster Erregung durch die Basare von Isfáhán rennen sahen. `Ich habe mich aufgemacht,` erwiderte er, `zu den ruhmreichen Verteidigern der Festung von Shaykh Tabarsí zu eilen. Mit diesem Sieb hier in meiner Hand will ich die Menschen sieben in jeder Stadt, durch die ich komme. Wen ich bereit finde, für die Sache einzutreten, die ich angenommen habe, den will ich auffordern, mitzukommen und sogleich hinzueilen zu dem Feld des Märtyrerrums.` So groß war die Ergebenheii dieses jungen Mannes, daß der Báb ihn im Persischen Bayán folgendermaßen erwähnt: »Isfáhán, diese bedeutende Stadt, zeichnet sich aus durch den religiösen Eifer seiner shi'itischen Bewohner, die Gelehrsamkeit seiner Geistlichen und die bei hoch und niedrig gleiche sehnsüchtige Erwartung des bevorstehenden Kommens des Sáhibu'z-Zamán. In jedem Bezirk dieser Stadt sind religiöse Einrichtungen entstanden. Und doch, als der Bote Gottes offenbart wurde, wiesen die, welche die Verwahrungsorte der Gelehrsamkeit und Ausleger der Geheimnisse des Gottesglaubens zu sein behaupten, Seine Botschaft zurück. Unter allen Bewohnern dieser Wohnstatt der Gelehrsamkeit fand sich nur ein einziger, ein Weizensieber, der die Wahrheit erkannte, und er wurde bekleidet mit dem Gewande göttlicher Tugend.«¹

¹ »Siehe das Land Sád (Isfáhán), welches das größte ist in dieser sichtbaren Welt. An allen Ecken ihrer Schulen sieht man viele Sklaven, die sich Wissende und Streiter nennen. Im Augenblick der Erwählung der Geschöpfe kleidet sich ein Weizensieber in das Gewand des Vorrangs (vor den anderen). Hier leuchtet das Geheimnis des Wortes der Imáme bezüglich der Manifestation auf: `Die niedrigsten der Geschöpfe werden die höchsten sein, und die höchsten werden die niedrigsten sein.`« (Le Bayán Persan IV p.113)


+4:5 #134

Einige wenige unter den Siyyids von Isfáhán, wie Mírzá Muhammad-Alíy-i-Nahrí, dessen Tochter später mit dem Größten Heiligen Zweig in Ehe verbunden war¹, Mírzá Hádí, der Bruder von Mírzá Muhammad-'Alí, und Mírzá Muhammad-Ridáy-i-Pá-Qal'iyí, haben die Wahrheit der Sache erkannt. Auch Mullá Sádiq-i-Khurásání war unter den ersten Gläubigen, die sich zu der vom Báb verkündeten Botschaft bekannten²; er war früher als Muqaddas bekannt und hatte von Bahá'u'lláh den Beinamen Ismu'lláhu'l-Asdaq erhalten. Entsprechend den Weisungen von Siyyid Kázim hat er während der letzten fünf Jahre in Isfáhán gelebt und den Weg für das Kommen der neuen Offenbarung bereitet. Als er von der Ankunft Mullá Husayns in Isfáhán erfuhr, eilte er sofort hin, um ihn zu treffen. Von seinem ersten Gespräch mit ihm, das nachts im Heim von Mírzá Muhammad-'Alíy-i-Nahrí stattfand, gibt er folgenden Bericht: "Ich bat Mullá Husayn, mir den Namen Dessen zu nennen, der den Anspruch erhob, die verheißene Manifestation zu sein. Er antwortete: `Es ist weder erlaubt, nach diesem Namen zu fragen, noch ihn zu enthüllen.` Ich fragte: `Wäre es dann für mich wohl möglich, so wie die Buchstaben des Lebendigen allein nach der Gnade des All-Barmherzigen zu trachten und durch Gebet Ihn zu finden?` `Das Tor Seiner Gnade', erwiderte er, `ist nie verschlossen vor dem, der Ihn finden will.` Ich zog mich unverzüglich aus seiner Gegenwart zurück und bat seinen Gastgeber, mir einen stillen Raum in seinem Haus zu überlassen, wo ich allein und ungestört mich Gott zuwenden könne. Mitten in meiner Meditation tauchte plötzlich das Antlitz eines Jünglings vor mir auf, den ich oft gesehen hatte, als ich noch in Karbilá war, wo er in Gebetshaltung mit tränenüberströmtem Angesicht am Eingang zum Schrein von Imám Husayn stand. Eben dieses Antlitz erschien nun vor meinen Augen. In meiner Vision schien ich dasselbe Antlitz zu schauen, dieselben Gesichtszüge, die eine Freude zum Ausdruck brachten, wie ich sie niemals beschreiben kann. Er lächelte, als Er mich ansah. Ich ging auf Ihn zu, bereit, mich Ihm zu Füßen zu werfen. Als ich mich gerade zur Erde niederbeugte, da verschwand die strahlende Gestalt vor mir. Überwältigt von Freude und Glück rannte ich hinaus zu Mullá Husayn, der mich begeistert empfing und mir versicherte, daß ich nun den Gegenstand meiner Sehnsucht gefunden habe. Er hieß mich jedoch, meine Gefühle zurückzuhalten. `Sprich zu niemandem von deinem Erlebnis`, mahnte er dringend, `die Zeit dazu ist noch nicht gekommen. Du hast die Frucht deines geduldigen Wartens in Isfáhán geernte±. Du solltest nun nach Kirmán gehen und dort Hájí Mírzá Karim Khan mit dieser Botschaft bekannt machen. Von dort solltest du nach Shíráz reisen und dich darum bemühen, die Bewohner dieser Stadt aus ihrer Achtlosigkeit aufzurütteln. Ich hoffe, dich in Shíráz wieder zu treffen und mit dir zusammen die Gnade einer glücklichen Wiedervereinigung mir unserem Geliebten zu erlangen.`"³

¹ Hinweis auf Abdu'l-Bahás Eheschließung mit Munirih Khánum

² Gobineau (p.129) erwähnt Mullá Muhammad-Taqíy-i-Harátí, einen bekannten Rechtsanwalt, als einen der ersten Gläubigen.

³ `Der Aufenthalt von Búshrú'í in Isfáhán wurde zu einem Triumph für den Báb. Die Bekehrungen, die er erreichte, waren zahlreich und glänzcnd. Aber, so ist der Lauf der Welt, sie zogen ihm auch den wütenden Haß der offiziellen Geistlichkeit zu, der er schließlich weichen mußte; und er verließ die Stadt. Als vollends Mullá Muhammad Taqiy-i-Harátí, ein Rechtsgelehrter von höchstem Rang, seiner Sache beitrat, schäumte ihre Wut über, zumal dieser glühend vor Eifer täglich zum Mambar ging, wo er ohne weiteres zu den Menschen von der Größe des Báb sprach, dem er den Rang von Ná'ib-i-kháss, dem Zwölften Imám, beimaß.` (A.L.M. Nicolas, Siyyid Alí-Muhammad dit le Báb, p.255)



+4:6 #135

Von Isfáhán begab sich Mullá Husayn nach Káshán. Der erste, der in dieser Stadt in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen wurde, war ein gewisser Hájí Mírzá Jání, Par-Pá genannt, ein geachteter Kaufmann.¹ Zu den Freunden von Mullá Husayn gehörte ein sehr bekannter Geistlicher, Siyyid Abdu'l-Báqí, er wohnte in Káshán und war Mitglied der Shaykhí-Gemeinschaft. Obgleich der Siyyid mit Mullá Husayn während dessen Aufenthalt in Najaf und Karbilá eng befreundet war, konnte er sich doch nicht entschließen, Rang und Einfluß zu opfern für die Botschaft, die sein Freund ihm gebracht hatte.

¹ Nach dem Kashfu'l-Ghitá (p.42-45) war Hájí Mírzá Jání bei der Bevölkerung von Káshán als Hájí Mírzá Jáníy-i-Buzurg bekannt, im Unterschied zu seinem Namensvetter, Hájí Mírzá Jáníy-i-Turk oder Kúchiq, der ebenfalls Kaufmann in Káshán war. Der erstere hatte drei Brüder; der älteste hieß Hájí Muhammad-Ismá'il-i-Dhabíh, vier zweite Hájí Mírzá Ahmad, der dritte Hájí Alí-Akbar.


+4:7

Bei seiner Ankunft in Qum fand Mullá Husayn die Einwohnerschaft gänzlich unvorbereitet für seinen Ruf. Die Saat, die er unter sie ausstreute, ging erst auf zu der Zeit, als Bahá'u'lláh nach Baghdád verbannt war. In jenen Tagen bekannte sich Hájí Mírzá Músá, ein Einwohner von Qum, zum Glauben, reiste nach Baghdád und traf dort mit Bahá'u'lláh zusammen. Später leerte er den Kelch des Märtyrertums auf Seinem Pfade.


+4:8 #136 (Bildleggende - Tihrán)

Von Qum aus begab sich Mullá Hsayn direkt nach Tihrán. Während seines Aufenthalts in der Hauptstadt bewohnte er einen Raum, der zur Madrisih von Mírzá Sálih gehörte, besser bekannt als Madrisih Páy-i-Minár. Hájí Mírzá Muhammad-i-Khurásání, Oberhaupt der Shaykhí-Gemeinde von Tihrán und dort als Lehrer tätig, wurde von Mullá Husayn angesprochen, lehnte jedoch seine Aufforderung, die Botschaft anzunehmen, ab. `Wir hatten die Hoffnung gehegt`, sagte er zu Mullá Husayn, `daß du nach dem Tod von Siyyid Kázim dir größte Mühe geben würdest, die Interessen der Shaykhí-Gemeinde zu fördern, und daß du sie aus dem Dunkel herausheben würdest, in das sie versunken ist. Du scheinst ihre Sache jedoch verraten zu haben. Du hast unsere höchsten Erwartungen zunichtegemacht. Wenn du damit fortfährst, diese umstürzlerischen Lehren zu verbreiten, wirst du bald die letzten Reste der Shaykhí in dieser Stadt vernichtet haben.` Mullá Husayn versicherte ihm, daß er seinen Aufenthalt in Tihrán keineswegs zu verlängern vorhabe, und daß er niemals die Absicht habe, die von Shaykh Ahmad und Siyyid Kázim entwickelten Lehren zu verunglimpfen oder zu unterdrücken.¹

¹ `Er verbrachte einige Tage in der Hauptstadt, trat jedoch nicht öffentlich auf, sondern beschränkte sich darauf, sich mit den Personen, die ihn aufsuchten, vertraulich zu unterhalten. Doch dabei empfing er sehr viele Menschen aus aller Welt, und eine beträchtliche Zahl von Suchern gewann er für seine Lehren. Jeder wollte ihn sehen oder gesehen haben; selbst der König Muhammad Sháh und sein Minister, Hájí Mírzá Aqásí, verfehlten als echte Perser nicht, ihn zu sich kommen zu lassen. Er setzte ihnen seine Lehren auseinander und überreichte ihnen die Bücher seines Meisters.` (Comte de Gobineau, Les Religions et Les Philosophies dans l'Asie Centrale p.131)


+4:9 #137 (Bildlegende - Tirán)

Während seines Aufenthalts in Tihrán pflegte Mullá Husayn täglich in aller Frühe sein Zimmer zu verlassen und erst eine Stunde nach Sonnenuntergang zurückzukehren. Nach seiner Heimkehr betrat er still und allein sein Zimmer, schloß die Türe hinter sich und verweilte bis zum nächsten Tag in der Abgeschiedenheit seiner Zelle.¹

¹ Nach Samandar (Handschrift p.2) war Mullá Husayn auf seiner Reise von Shiráz nach Tihrán im Jahr 1260 d.H. der Überbringer eines vom Báb geoffenbartes Tablets für Muhammad Sháh.

#138 (Bildlegende - Aqáy-i-Kalím, Bahá'u'lláhs Bruder)

Mírzá Músá, Aqáy-i-Kalím, Bahá'u'-lláhs Bruder, hat mir folgendes berichtet:

"Ich habe gehört, wie Mullá Muhammad-i-Mu'Allim, ein Einwohner von Nur in der Provinz Mázindarán - er war ein glühender Bewunderer von Shaykh Ahmad und Siyyid Kázim - folgende Geschichte erzählte: `Ich war in jenen Tagen als einer der Lieblingsschüler von Hájí Mírzá Muhammad bekannt und wohnte in derselben Schule, an der er lehrte. Mein Zimmer lag dicht neben dem seinen, und wir waren eng miteinander verbunden. An dem Tag, da er mit Mullá Husayn eine Unterredung hatte, konnte ich ihrem Gespräch von Anfang bis zum Ende zuhören und war tief beeindruckt von dem Eifer, der Redegewandtheit und dem Wissen jenes jugendlichen Fremdlings. Aber über die ausweichenden Antworten, das anmaßende und geringschätzige Gebaren von Hájí Mírzá Muhammad war ich sehr erstaunt. Ich fühlte mich an jenem Tag stark angezogen von dem Charme jenes Jünglings und war sehr ärgerlich über das unziemliche Verhalten meines Lehrers ihm gegenüber. Ich verbarg jedoch meine Gefühle und beschloß, mich so zu verhalten, als ob ich von seiner Unterredung mit Mullá Husayn nichts wüßte, ich fühlte ein heftiges Verlangen, mit letzterem zusammenzukommen und nahm mir vor, ihn zur Mitternacht zu besuchen. Er erwartete mich nicht, doch ich klopfte an seine Tür und fand ihn wachend neben seiner Lampe sitzen. Er empfing mich sehr liebevoll und sprach überaus höflich und freundlich mit mir. Ich schüttete ihm mein Herz aus, und als ich ihn ansprach, konnte ich die Tränen nicht zurückhalten, die mir aus den Augen flossen. »Jetzt weiß ich den Grund,« sagte er, »weshalb ich mich entschlossen habe, hier zu wohnen. Dein Lehrer hat diese Botschaft verächtlich zurückgewiesen und ihren Urheber geschmäht. Ich hoffe, daß sein Schüler anders als sein Lehrer ihre Wahrheit erkennen möge. Wie ist dein Name und in welcher Stadt bist du zuhause?« "Ich heiße Mullá Muhammad," erwiderte ich, "und mein Beiname ist Mu'Allim. Meine Heimat ist Nur in der Provinz Mázindarán." »Sage mir«, forschte Mullá Husayn weiter, »gibt es in der Familie des verstorbenen Mírzá Buzurg-i-Núrí, der für seinen vornehmen Charakter, seine Liebenswürdigkeit und seine künstlerischen und wissenschaftlichen Fähigkeiten so berühmt war, heute noch jemanden, der sich als fähig erwiesen hat, die hohe Tradition jenes berühmten Hauses weiterzuführen?« "Ja", erwiderte ich, "unter seinen gegenwärtig lebenden Söhnen ist einer durch genau dieselben Charakterzüge ausgezeichnet wie Sein Vater. Er hat sich durch Sein tugendhaftes Leben, Sein erhabenes Wissen, Seine liebevolle Güte und Großzügigkeit als ein edler Abkomme eines edlen Vaters erwiesen." »Was ist Sein Beruf?« "Er tröstet die Verzweifelten und nährt die Hungrigen," antwortete ich. »Wie ist Sein Rang, Seine Stellung?« "Er hat nichts dergleichen, er tut nur den Armen und den Freunden Gutes." »Wie ist Sein Name?« "Husayn-Alí." »In welchen der Schriften Seines Vaters zeichnet Er sich aus?« "Seine Lieblingsschrift ist Shikastih-nasta'líq." »Wie verbringt Er Seine Zeit?« "Er streift in den Wäldern umher und freut sich an den Schönheiten der Natur."¹ »Wie alt ist Er?« "Achtundzwanzig Jahre." Der Eifer, mit dem Mullá Husayn mich ausfragte, und die sichtliche Beglückung, mit der er jede Einzelheit, die ich ihm mitteilte, aufnahm, setzte mich sehr in Erstaunen. Noch einmal wandte er mir sein vor Zufriedenheit und Freude strahlendes Angesicht zu und forschte weiter: »Ich nehme an, du triffst ihn öfter?« "Ich besuche Sein Heim oft", erwiderte ich. »Willst du Seinen Händen«, sprach er, »ein Pfand von mir übergeben?« "Ganz gewiß", war meine Antwort. Er übergab mir sodann eine in ein Tuch eingewickelte Schriftrolle und bat mich, sie ihm am anderen Tag zur Stunde der Dämmerung zu übergeben. »Sollte Er geneigt sein, mir zu antworten,« fügte er hinzu, »würdest du dann so freundlich sein, mir Seine Antwort zu übermitteln?« Ich empfing von ihm die Schriftrolle und machte mich bei Tagesanbruch auf, seinen Wunsch zu erfüllen.`"

¹ Dr.J.E. Esslemont schreibt in seinem Buch: Bei Gelegenheit teilte Abdu'l-Bahá, der älteste Sohn von Bahá'u'lláh, dem Verfasser dieses Buches folgende Einzelheiten über seines Vaters Jugendzeit mit: »Von Kindheit an war Er außerordentlich gütig und edel. Er zeigte große Vorliebe für das Leben im Freien und brachte seine meiste Zeit im Garten oder auf den Feldern zu. Er besaß eine außergewöhnliche Anziehungskraft, die jedermann fühlte. Es scharten sich die Menschen immer um Ihn. Minister und Hofleute suchten seine Nähe, und auch die Kinder waren Ihm ergeben, schon mit dreizehn oder vierzehn Jahren wurde Er wegen seines Wissens bekannt. Er konnte sich über jeden Gegenstand unterhalten und jedes Ihm vorgelegte Problem lösen. In großen Versammlungen konnte Er Dinge mit den Ulamás erörtern und konnte verwickelte religiöse Fragen klarlegen. Alle pflegten Ihm mit der größten Anteilnahme zuzuhören. Als Bahá'u'lláh zweiundzwanzig Jahre alt war, starb sein Vater, und die Regierung wünschte, daß Er in seines Vaters Stellung im Ministerium einrücke, wie es in Persien üblich war. Aber Bahá'u'lláh schlug das Angebot aus. Da sagte der erste Minister: `überlaßt Ihn sich selbst. Eine solche Stellung ist seiner unwürdig. Er hat höhere Ziele vor sieh. Ich kann Ihn nicht verstehen, aber ich bin überzeugt, daß Er für eine erhabene Laufbahn bestimmt ist.Seine Gedanken sind nicht unsre Gedanken. Überlaßt Ihn sich selbst!`« (Esslemont S.39/40)



+4:10 #140 (Bildlegende - Das Haus Bahá'u'lláhs in Tihrán)

"`Als ich zu dem Haus von Bahá'u'lláh kam, sah ich Seinen Bruder Mírzá Músá vor der Tür stehen und teilte ihm den Grund meines Besuches mit. Er ging ins Haus hinein und erschien bald wieder mit einer Willkommensbotschaft. Ich wurde in Seine Gegenwart geführt und übergab die Rolle Mírzá Músá, der sie vor Bahá'u'lláh hinlegte. Er bot uns beiden Platz an. Er entfaltete die Rolle, warf einen Blick auf ihren Inhalt und begann, einige Stellen daraus uns laut vorzulesen. Ich saß verzückt da und lauschte dem Klang Seiner Stimme und ihrem melodischen Wohllaut. Als Er eine Seite gelesen hatte, wandte Er sich zu Seinem Bruder und sprach: »Músá, was hast du dazu zu sagen? Wahrlich, Ich sage, wer an den Qur'án glaubt und seinen göttlichen Ursprung anerkennt und dann auch nur für einen Augenblick zögert, zuzugeben, daß diese herzbewegenden Worte von derselben schöpferischen Kraft getragen sind, der hat gewißlich in seinem Urteil geirrt und ist weit abgeirrt vom Pfad der Gerechtigkeit.« Dann sprach Er nichts mehr. Als Er mich verabschiedete, beauftragte Er mich, Mullá Husayn als eine Gabe von ihm ein Stück russischen Zucker und ein Päckchen Tee¹ mitzubringen und ihm den Ausdruck Seiner Wertschätzung und Liebe zu übermitteln.`"

¹ Tee und jene besondere Art von Zucker waren damals in Persien außerordentlich selten; beides war in den höheren Schichten der Bevölkerurig als Geschenk üblich.


+4:11 #141 (Bildlegende - Das Haus Bahá'u'lláhs in Tihrán)

"`Ich erhob mich und eilte voll Freude zurück zu Mullá Husayn, um ihm das Geschenk und die Botschaft von Bahá'u'lláh zu übermitteln. Mit welcher Freude und Begeisterung nahm er sie von mir entgegen! Mir fehlen die Worte, den Überschwang seiner Gefühle zu beschreiben. Er sprang auf, nahm mit geneigtem Haupt das Geschenk aus meiner Hand entgegen und küßte es innig. Dann nahm er mich in die Arme, küßte meine Augen und sprach: »Mein innig geliebter Freund! Ich bete darum, daß Gott so wie du mein Herz erquickt hast, dir ewige Glückseligkeit schenken und dein Herz mit unvergänglicher Freude erfüllen möge.« Ich war erstaunt über das Verhalten von Mullá Husayn. Von welcher Art, so dachte ich bei mir, mochte wohl das Band sein, das diese beiden Seelen vereinte? Was mochte wohl in ihren Herzen eine so innige Gemeinschaft begründet haben? Wie konnte in Mullá Husayn, in dessen Augen Pracht und königliches Gepränge nichts als Lappalie sind, eine so bescheidene Gabe aus der Hand von Bahá'u'lláh eine derartige Freude hervorrufen? Ich zerbrach mir den Kopf darüber und konnte das Geheimnis nicht ergründen.`"

+4:12 #142

"`Wenige Tage später reiste Mullá Husayn nach Khurásán ab. Als er sich von mir verabschiedete, sprach er: »Sprich zu niemandem darüber, was du gehört und erlebt hast. Laß dies ein Geheimnis sein, verborgen in deiner Brust. Gib Seinen Namen nicht preis; denn die Ihm Seine Stellung neiden, werden sich erheben, Ihm zu schaden. Wenn du meditierst, so bete, daß der Allmächtige ihn beschütze, daß Er durch Ihn die Niedergetretenen erhöhe, die Armen reich mache und die Gefallenen erlöse. Das Geheimnis der Zusammenhänge ist vor unseren Augen verborgen. Unser ist die Pflicht, den Ruf vom Neuen Tag erschallen zu lassen und allen Menschen diese göttliche Botschaft zu verkünden. Manch einer wird in dieser Stadt sein Blut auf diesem Pfad vergießen. Und dieses Blut wird den Baum Gottes tränken und wird ihn erblühen lassen, damit er die ganze Menschheit überschatte.«`"

#143 (Bildlegende - in Tákur, Mázindarán)









Fünftes Kapitel
BAHA'U'LLAHS REISE NACH MAZINDARAN

+5:1

Die erste Reise, die Bahá'u'lláh zur Verbreitung der durch den Báb angekündigten Offenbarung unternahm, führte ihn in die Heimat Seiner Vorfahren, Nur in der Provinz Mázindarán. Er begab Sich zunächst in das Dorf Tákur, das persönliches Eigentum Seines Vaters war, und wo Er ein großes, herrlich gelegenes und fürstlich ausgestattetes Gutshaus besaß. Ich hatte das Vorrecht, Bahá'u'lláh selbst eines Tages dies erzählen zu hören: »Der verstorbene Wesir, mein Vater, nahm unter seinen Landsleuten eine sehr beneidenswerte Stellung ein. Sein großer Reichtum, seine vornehme Abstammung, seine künstlerischen Fähigkeiten, sein unvergleichliches Ansehen und sein hoher Rang machten ihn zum Gegenstand der Bewunderung bei allen, die ihn kannten. Während einer Zeit von über zwanzig Jahren litt niemand aus dem weiten Kreise seiner Familie und Verwandtschaft von Nur bis Tihrán Not, Unrecht oder Krankheit. Sie erfreuten sich während eines langen und ununterbrochenen Zeitraums reicher und mannigfacher Wohltaten. Ganz plötzlich jedoch wich dieser Wohlstand und Glanz einer Serie von Unglücksfällen, welche die Grundlagen seines materiellen Reichtums schwer erschütterten. Der erste Verlust, den er erlitt, war verursacht durch ein Hochwasser aus den Bergen von Mázindarán, dessen Flut mit ungeheurer Gewalt das Dorf Tákur überschwemmte und das halbe Wohnhaus des Wesirs, das oberhalb der Befestigung jenes Dorfes lag, völlig zerstörte. Der beste Teil des Hauses, der wegen der Festigkeit seiner Fundamente bekannt war, wurde von der Wucht der tosenden Wassermassen einfach hinweggespült. Seine kostbaren Einrichtungsgegenstände wurden zerstreut und seine reich verzierte Ausschmückung war unwiederbringlich dahin. Kurz darauf verlor der Wesir verschiedene öffentliche Ämter, die er bis dahin bekleidet hatte, und war wiederholt Angriffen ausgesetzt, die neidische Gegner gegen ihn richteten. Trotz dieses plötzlichen Umschwungs in seinem Glück bewahrte der Wesir seine Würde und Ruhe und setzte, soweit es seine beschränkten Mittel erlaubten, sein Handeln der Wohltätigkeit und Freigebigkeit fort. Er blieb auch weiterhin gegenüber seinen treubrüchigen Amtsgenosscn genauso höflich und freundlich wie er es immer im Umgang mit seinen Mitmenschen gewesen war. Mit leuchtendem Mut rang er bis zur letzten Stunde seines Lebens mit diesen Widerwärtigkeiten, die so schwer auf ihm lasteten.«


+5:2 #145 (Bildlegende - Die Ruinen des Hauses von Bahá'u'lláhs Eltern in Tákur Máziridarán)

Bahá'u'lláh hatte schon einmal den Distrikt von Núr besucht, vor der Erklärung des Báb, zu einer Zeit, da der gefeierte Mujtahid Mírzá Muhammad-Taqíy-i-Núrí auf der Höhe seiner Autorität und seines Einflusses stand. Die Bedeutung seiner Stellung war so groß, daß die, welche ihm zu Füßen saßen, sich selbst allesamt als die autorisierten Ausleger der Glaubenslehren und Gesetze des Islám betrachteten. Der Mujtahid sprach gerade zu einer Versammlung von über zweihundert solcher Schüler und ließ sich weitschweifig über eine unklare Stelle der überlieferten Äußerungen der Imáme aus, als Bahá'u'lláh in Begleitung von einer Anzahl Seiner Gefährten an jenem Platz vorbeikam und für eine Weile innehielt, um seinen Worten zu lauschen. Der Mujtahid fragte seine Schüler nach einer schwer verständlichen Theorie über die metaphysischen Aspekte der islamischen Lehren, die sie erläuternd darlegen sollten. Als sie alle sich unfähig bekannten, sie zu erklären, fühlte Bahá'u'lláh sich bewogen, in knappen, doch überzeugenden Worten eine klare Darstellung jener Theorie zu geben. Der Mujtahid war überaus verlegen über die Unfähigkeit seiner Schüler. "Jahrelang habe ich euch unterwiesen", rief er ärgerlich, "und habe mich geduldig bemüht, euren Köpfen die tiefsten Wahrheiten und vornehmsten Grundsätze des Glaubens einzutrichtern. Und jetzt laßt ihr euch gefallen, nach all diesen Jahren ausdauernden Studiums, daß dieser junge Mann, ein Kuláhträgert¹, der keine wissenschaftliche Ausildung genossen hat, und dem euer akademisches Studium fremd ist, euch seine Überlegenheit über euch vor Augen führt?"

¹ Die Kuláh, eine Kopfbedeckung aus Lammfell, unterschied den Laien vom Geistlichen und wurde stets von Staatsbeamten getragen.


+5:3 #146 (Bildlegende - Die Inschrift über der Eingangstür seines Hauses in Tákur wurde von Vazír Mírzá Buzurg angebracht)

Später, als Bahá'u'lláh wieder abgereist war, erzählte der Mujtahid seinen Schülern zwei unlängst gehabte Träume, deren Inhalt ihm von höchster Wichtigkeit zu sein schienen. »In meinem ersten Traum«, sagte er, »stand ich inmitten einer großen Menschenmenge. All diese Menschen schienen auf ein bestimmtes Haus zu zeigen, in dem, wie sie sagten, der Sáhibu'z-Zamán wohnte. Ich war außer mir vor Freude in meinem Traum und eilte dorthin, um in seine Gegenwart zu gelangen. Als ich das Haus erreicht hatte, verweigerte man mir zu meiner größten Überraschung den Zutritt. `Der verheißene Qá'im`, wurde mir gesagt, `hat gerade ein privates Gespräch mit einer anderen Person. Der Zutritt zu ihnen ist streng verboten.` Von den Wächtern, die an der Türe standen, erfuhr ich, daß die Person niemand anders war als Bahái'u'lláh. Im zweiten Traum«, fuhr der Mujtahid fort, »sah ich mich an einem Ort rings von einer Anzahl von Truhen umgeben, die alle, so wurde erklärt, Bahá'u'lláh gehörten. Als ich sie öffnete, fand ich sie angefüllt mit Büchern. Jedes Wort und jeder Buchstabe in diesen Büchern war mit den erlesensten Juwelen ausgelegt, ihr Glanz blendete mich. Ich war von ihrem Funkeln so überwältigt, daß ich davon plötzlich aus meinem Traum erwachte.«

+5:4 #147

Als Bahá'u'lláh im Jahre 6o in Núr ankam, entdeckte Er, daß der gefeierte Mujtahid, der bei seinem früheren Besuch einen so großen Einfluß besessen hatte, verstorben war. Die riesige Zahl seiner Anhänger war zu einer kleinen Handvoll niedergeschlagener Studenten zusammengeschrumpft, die unter der Leitung seines Nachfolgers Mullá Muhammad sich bemühte, die Tradition ihres verstorbenen Führers aufrechtzuerhalten. Die Begeisterung, mit der die Ankunft von Bahá'u'lláh begrüßt wurde, stand in schroffem Gegensatz zu dem Trübsinn, der die Hinterbliebenen der einst blühenden Gemeinschaft befallen hatte. Eine große Zahl von Beamten und Standespersonen aus der Umgebung wandten sich an ihn und bereiteten ihm mit allen Zeichen der Zuneigung und Hochachtung einen geziemenden Empfang. In Anbetracht Seiner gesellschaftlichen Stellung waren sie begierig, von ihm alle Neuigkeiten über das Leben des Sháh, über seine Regierungsgeschäfte und die Tätigkeit seiner Minister zu hören. Bahá'u'lláh beantwortete ihre Fragen mit größter Gleichgültigkeit und schien sehr wenig Interesse oder Anteilnahme dafür zu haben. Mit überzeugender Beredsamkeit setzte Er sich jedoch für die Sache der neuen Offenbarung ein und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die unermeßlichen Segnungen, die sie nach ihrer Bestimmung ihrem Lande bringen sollte.¹ Die ihn hörten, wunderten sich über das leidenschaftliche Interesse, das ein Mann in Seiner Stellung und in Seinem Alter für Dinge an den Tag legte, die doch in erster Linie die Geistlichen und die Theologen des Islám angingen. Sie waren nicht in der Lage, die Richtigkeit Seiner Beweisführungen zu widerlegen oder die Bedeutung der Sache, die Er so hervorragend vertrat, zu schmälern. Sie bewunderten die Erhabenheit Seiner Begeisterung und die Tiefe Seiner Gedanken und waren tief beeindruckt von Seiner geistigen Losgelöstheit und Seiner selbstverleugnenden Hingabe.

¹ »Seine (Bahá'u'lláhs) Sprache war wie ein `rauschender Wasserfall`, und die Klarheit Seiner Erklärungen zwang auch die gelehrtesten Geistlichen in die Knie.« (Dr.T.K.Cheyne, The Reconciliation of Races und Religions p.120)



+5:5 #148 (Bildlegenden - Außenansicht der Wohnung Bahá'u'lláhs in Tákur - Das Zimmer Bahá'u'lláhs im ursprünglichen Zustand)

Niemand brachte den Mut auf, sich mit Seinen Ansichten auseinanderzusetzen, außer Seinem Onkel Azíz. Der wagte es, ihm entgegenzutreten, Seine Darlegungen anzugreifen und ihre Wahrheit zu verleumden. Als die Zuhörer diesen Gegner zum Schweigen zu bringen und ihn zu beleidigen versuchten, trat Bahá'u'lláh für ihn ein und riet ihnen, ihn Gott zu überlassen. Aufgeregt suchte Azíz Hilfe beim Mujtahid von Núr, Mullá Muhammad, und flehte ihn um seinen sofortigen Beistand an. "O Statthalter des Propheten Gottes!", rief er, "sieh an, was dem Glauben widerfahren ist. Ein junger Mann, ein Laie in der Tracht des Adels, ist nach Núr gekommen, ist in die Feste der Orthodoxie eingedrungen und hat den heiligen Glauben des Islám gespalten. Eile und widersetze dich seinem Anschlag. Wer ihm gegenübertritt, verfällt unweigerlich sofort seinem Bann und ist verzaubert von der Kraft seiner Worte. Ich weiß nicht, ob er ein Zauberer ist, oder ob er in seinen Tee irgendwelche geheimnisvollen Substanzen mischt, die jeden, der von diesem Tee trinkt, seinem Charme zum Opfer fallen läßt." Der Mujtahid erkannte trotz seines eigenen Mangels an Verständnis doch die Verrücktheit dieser Bemerkungen. Er fragte scherzhaft: "Hast du nicht von seinem Tee getrunken oder zugehört, wie er seine Gefährten anspricht?" "O doch", antwortete er, "aber dank deines liebevollen Schutzes bin ich gegen die Wirkung seiner geheimnisvollen Kraft immun geblieben." Der Mujtahid, der sich der Aufgabe nicht gewachsen fühlte, die Bevölkerung gegen Bahá'u'lláh aufzuhetzen und die Ideen, die ein so mächtiger Gegner so furchtlos verbreitete, unmittelbar zu bekämpfen, begnügte sich mit einem schriftlichen Attest, in dem er erklärte: "O Azíz, hab keine Angst, niemand wird wagen, dich zu behelligen." Durch einen grammatikalischen Fehler, der dem Mujtahid beim Schreiben unterlief, war der Sinn dieses Attests so verstellt worden, daß alle, die es lasen unter den Angesehenen von Tákur, über seinen Inhalt empört waren und nun über beide, den Inhaber wie über den Aussteller dieser Bescheinigung, herzogen.



+5:6 #149 (Bildlegenden - Außenansicht der Wohnung Abdu'l-Bahás in Tákur - Das Zimmer Abdu'l-Bahás)

Die Menschen, die in die Gegenwart Bahá'u'lláhs gelangten und ihn die vom Báb verkündete Botschaft darlegen hörten, waren so tief beeindruckt von dem Ernst Seines Aufrufs, daß sie sich unverzüglich aufmachten, jene Botschaft unter der Bevölkerung von Núr zu verbreiten und die Tugenden ihres vornehmen Förderers zu preisen. Die Schüler von Mullá Muhammad mühten sich derweil, ihren Lehrer dazu zu bewegen, nach Tákur zu gehen und Bahá'u'lláh persönlich zu besuchen, um sich bei ihm selbst über die Art dieser neuen Offenbarung Klarheit zu verschaffen und seine Anhänger über ihr Wesen und ihre Ziele zu unterrichten. Auf ihre ernsthafte Bitte gab der Mujtahid jedoch nur ausweichende Antwort. Seine Schüler weigerten sich jedoch, die Triftigkeit seiner Einwände anzuerkennen. Sie hielten ihm vor, für einen Mann in seiner Stellung, deren Aufgabe im Schutz der Unversehrtheit des Shí'itischen Islám besteht, sei es die erste Pflicht, bei jeder Bewegung, die die Interessen des Glaubens berührt, ihre Natur zu ergründen. Mullá Muhammad faßte schließlich den Entschluß, zwei seiner ranghöchsten Stellvertreter, Mullá Abbás und Mírzá Abu'l-Qásim, beides Schwiegersöhne und vertraute Schüler des verstorbenen Mujtahid Mírzá Muhammad-Taqí, zu Bahá'u'lláh zu entsenden, um den wahren Charakter der Botschaft, die Er gebracht hatte, zu ermitteln. Er verpfliclitete sich, vorbehaltlos zu unterschreiben, was immer sie als Ergebnis erreichten, und ihre Entscheidung in dieser Angelegenheit als endgültig anzuerkennen.


+5:7 #150

Als die Abgesandten von Mullá Muhammad bei ihrer Ankunft in Tákur erfuhren, daß Bahá'u'lláh zu Seinem Wintersitz abgereist war, beschlossen sie, dorthin zu reisen. Als sie ankamen, fanden sie Bahá'u'lláh damit beschäftigt, einen Kommentar zur Eröffnungssure des Qur'án, die man »Die Sieben Verse der Wiederholung« nennt, zu offenbaren. Wie sie saßen und Seinen Worten lauschten, machte die Erhabenheit des Themas, die überzeugende Redegewandtheit, mit der Er Seine Darlegungen vorbrachte, wie auch die außergewöhnliche Art Seines Vortrags einen tiefen Eindruck auf sie. Mullá Abbás, unfähig, sich zurückzuhalten, erhob sich von seinem Sitz, und wie von einer unwiderstehlichen Kraft getrieben, begab er sich zur Tür und verweilte dort in einer Haltung verehrungsvoller Ergebenheit. Der Zauber des Vortrags, dem er lauschte, hatte ihn bestrickt. "Du siehst meine Verfassung", sagte er zu seinem Gefährten, zitternd vor Erregung und mit Tränen in den Augen. "Ich habe nicht die Kraft, Bahá'u'lláh zu befragen. Alle Fragen, die ich ihm stellen wollte, sind plötzlich meinem Gedächtnis entschwunden. Es steht dir frei, deine Befragung anzustellen oder allein zu unserem Lehrer zurückzukehren und ihm von dem Zustand zu berichten, in welchem ich mich befinde. Sage ihm von mir, daß Abbás nie mehr zu ihm zurückkehren kann. Er kann diese Schwelle nicht mehr verlassen." Mírzá Abu'l-Qásim fühlte sich ebenso veranlaßt, dem Beispiel seines Gefährten zu folgen. "Ich habe aufgehört, meinen Lehrer anzuerkennen", gab er zur Antwort. "Eben in diesem Augenblick habe ich Gott gelobt, den Rest meines Lebens in den Dienst für Bahá'u'lláih zu stellen, meinen wahren und einzigen Meister."

+5:8

Die Kunde von dem plötzlichen Übertritt der beiden Gesandten des Mujtahid von Núr verbreitete sich wie ein Lauffeuer im ganzen Distrikt. Sie rüttelte die Bevölkerung aus ihrer Teilnahmslosigkeit auf. Geistliche Würdenträger, Staatsbeamte, Kaufleute und Bauern, alle strömten zum Wohnsitz von Bahá'u'lláh. Eine beachtliche Anzahl von ihnen nahm bereitwillig Seine Sache an. In ihrer Bewunderung für Ihn sagten viele der Angesehensten unter ihnen: "Wir sehen, wie die Bevölkerung von Núr sich aufgemacht und sich um Dich geschart hat. Wir sehen nach allen Seiten die Zeichen ihres Jubels. Wenn Mullá Muhammad sich ihnen auch noch anschlösse, so wäre der Sieg dieses Glaubens völlig gewiß." »Ich bin nach Núr gekommen«, erwiderte Bahá'u'lláh, »allein um die Sache Gottes zu verkünden. Ich hege keine andere Absicht. Wenn man mir sagte, daß hundert Meilen von hier ein Suchender sich nach der Wahrheit sehne und nicht zu mir kommen könne, so würde ich freudig und ohne Zögern zu seinem Wohnsitz eilen und selbst seinen Hunger stillen. Mullá Muhammad wohnt, wie ich hörte, in Sa'ádat-Abád, einem Dorf nicht weit von hier. Ich habe die Absicht, ihn zu besuchen und ihm die Botschaft von Gott zu überbringen.«


+5:9 #151

Um Seinen Worten Wirksamkeit zu verleihen, begab sich Bahá'u'lláh unverzüglich in Begleitung von einigen Seiner Gefährten zu jenem Dorf. Mullá Muhammad empfing ihn äußerst förmlich. »Ich bin nicht hierher gekommen, dir einen offiziellen oder einen Höflichkeitsbesuch abzustatten«, sagte Bahá'u'lláh. »Meine Absicht ist, dir Erleuchtung zu bringen mit einer neuen und wunderbaren Botschaft, die göttlichen Ursprungs ist und die Verheißung erfüllt, die dem Islám gegeben ist. Wer immer sein Ohr dieser Botschaft geliehen hat, hat ihre unwiderstehliche Gewalt empfunden und ist durch die Macht ihrer Gnade verwandelt worden. Sag mir, was dein Gemüt bestürzt oder was sonst dich hindert, die Wahrheit zu erkennen.« Mullá Muhammad bemerkte geringschätzig: "Ich unternehme nichts, ohne zuvor den Qur'án zu befragen. Bei solchen Anlässen bin ich stets meiner Gewohnheit gefolgt, Gott um Seine Hilfe und Seinen Segen dadurch zu bitten, daß ich Sein heiliges Buch blindlings aufschlage und von der Seite, auf die meine Augen zufällig fallen, den ersten Vers befrage. Nach der Art dieses Verses kann ich dann auf die Weisheit und Ratsamkeit der Handlung schließen, die ich vorhabe." Als er sah, daß Bahá'u''lláh nicht geneigt war, ihm dieses Ansinnen zu verweigern, ließ sich der Mujtahid einen Qur'án bringen, schlug ihn auf und schloß ihn wieder und weigerte sich, den Anwesenden den aufgeschlagenen Vers bekanntzugeben. Alles, was er sagte, war dies: "Ich habe das Buch Gottes befragt und erachte es für nicht ratsam, mich weiterhin mit dieser Angelegenheit zu befassen." Einige stimmten ihm zu; die anderen aber, der größere Teil, erkannten durchaus die Angst, die aus diesen Worten sprach. Bahá'u'lláh, der ihn nicht weiter in Verlegenheit bringen wollte, erhob sich, bat, ihn zu entschuldigen, und bot ihm ein herzliches Lebewohl.

+5:10

Eines Tages sah Bah'u'lláh auf einem Seiner Ausritte aufs Land, die Er mit Seinen Gefährten unternahm, an der Straße einen einsamen Jungen sitzen. Sein Haar war zerzaust, und er trug die Kleidung eines Derwischs. Am Rande eines Baches hatte er ein Feuer angezündet, wo er gerade sein Essen kochte und verzehrte. Bahá'u'lláh ging auf ihn zu und fragte ihn sehr liebevoll: »Sag mir, Derwisch, was ist das, was du da tust?« "Ich esse gerade Gott", erwiderte er grob. "Ich koche Gott und brenne ihn." An der ungerührten Einfältigkeit seiner Manieren und der Offenheit seiner Antwort hatte Bahá'u'lláh die größte Freude. Er lächelte über seine Auskunft und begann, sich mit ihm äußerst liebevoll und freimütig zu unterhalten. Nach kürzester Zeit hatte Bahá'u'lláh ihn völlig verwandelt. Aufgeklärt über das wahre Wesen Gottes, und mit einem von den eitlen Einbildungen seines Volkes gereinigten Geist, erkannte er sofort das Licht, das dieser liebevolle Fremde ihm so unerwartet gebracht hatte. Der Derwisch, sein Name war Mustafá, wurde von einer solchen Begeisterung für die Lehren ergriffen, die seinem Geist eingeflößt worden waren, daß er auf der Stelle sein Kochgeschirr liegen ließ, aufstand und Bahá'u'lláh nachfolgte. Er ging zu Fuß hinter dem Pferd von Bahá'u'lláh und sang, entflammt vom Feuer seiner Liebe zu ihm, selige Verse eines Liebesliedes, das er eben aus dem Stegreif verfaßte und seinem Geliebten widmete. "Du bist der Morgenstern der Führung", ging sein fröhlicher Refrain. "Du bist das Licht der Wahrheit. Enthülle Dich den Menschen, o Du Offenbarer der Wahrheit." Obgleich in späteren Jahren dieses Gedicht unter seinen Landsleuten weite Verbreitung fand und auch bekannt wurde, daß ein gewisser Derwisch namens Majdhúb, dessen Name Mustafá Big-i-Sanandají war, es ohne langes Überlegen zum Lobpreis seines Geliebten verfaßt hatte, war sich doch offenbar niemand darüber klar, auf wen es sich wirklich bezog, auch vermutete niemand zu einer Zeit, da Bahá'u'lláh vor den Augen der Menschen noch verhüllt war, daß dieser Derwisch ganz allein Seine Stufe erkannt und Seine Herrlichkeit entdeckt hatte.

+5:11 #152

Der Besuch Bahá'u'lláhs in Núr hatte höchst weitreichende Erfolge mit sich gebracht und hatte der Verbreitung der neugeborenen Offenbarung einen außerordentlichen Auftrieb verliehen. Durch Seine packende Redegewandtheit, die Reinheit Seines Lebens, die Würde Seines Verhaltens, die unwiderlegliche Logik Seiner Argumente und die vielen Beweise Seiner Güte hatte Bahá'u'lláh die Herzen der Menschen in Núr gewonnen, hatte ihre Seelen bewegt und hatte sie unter dem Banner des Glaubens versammelt. So groß war die Wirkung Seiner Worte und Taten, als Er umherzog, um Seinen Landsleuten in Núr die Sache zu verkünden und ihre Herrlichkeit zu offenbaren, daß selbst die Steine und Bäume in jener Gegend erquickt zu sein schienen durch die Wogen der geistigen Kraft, die von ihm ausging. Alle Dinge schienen von neuem, blühenderem Leben erfüllt, alle Dinge schienen laut zu rufen: »Siehe, die Schönheit Gottes ist offenbart worden! Erhebet euch, denn Er ist gekommen in all Seiner Herrlichkeit!« Als Bahá'u'lláh Núr verlassen hatte, fuhr die Bevölkerung fort, die Sache zu verbreiten und ihre Grundlagen zu festigen. Einige von ihnen nahmen um Seinetwillcn schwerste Not auf sich, andere leerten mit Freuden den Kelch des Märtyrertums auf Seinem Pfade. Mázindarán im allgemeinen und Núr im besonderen sind vor den übrigen Provinzen und Distrikten von Persien dadurch ausgezeichnet, daß sie die ersten waren, welche die göttliche Botschaft begierig aufgenommen haben. Der in den Bergen von Mázindarán eingebettete Distrikt Núr, was wörtlich »Licht« bedeutet, war der erste, der die Strahlen der in Shíráz aufgegangenen Sonne empfangen sollte, der erste, der dem übrigen Persien, das noch in die Schatten des Tales der Achtlosigkeit eingehüllt war, verkünden sollte, daß der Morgenstern himmlischer Führung endlich aufgegangen war, um das ganze Land zu erwärmen und zu erleuchten.


+5:12 #153

Als Bahá'u'lláh noch ein Kind war, hatte der Wesir, Sein Vater, einen Traum. Bahá'u'lláh erschien ihm, in einem großen, grenzenlosen Meer schwimmend. Sein Leib leuchtete über den Wassern mit einem Glanz, der das Meer erhellte. Um Sein Haupt, das man deutlich über den Wassern sehen konnte, strahlten nach allen Richtungen Seine langen, schwarzen Locken, in reicher Fülle auf den Wogen flutend. In seinem Traum sammelte sich eine Menge von Fischen um ihn her, von denen sich jeder am Ende eines Haares festhielt. Vom Leuchten Seines Antlitzes verzaubert, folgten sie ihm, in welcher Richtung Er auch schwamm. So groß ihre Zahl auch war und so fest sie sich auch immer an Seine Locken hängten, so schien sich doch kein einziges Haar von Seinem Haupt gelöst zu haben, noch geschah ihm selbst das geringste Leid. Frei und uneingeschränkt bewegte Er sich im Wasser, und alle folgten ihm.

+5:13

Der Wesir war tief beeindruckt von diesem Traum. Er ließ einen weitberühmten Traumdeuter kommen und bat ihn, ihm diesen Traum auszulegen. Dieser Mann, der wie von einer Vorahnung des künftigen Ruhmes von Bahá'u'lláh inspiriert schien, erklärte: »Der grenzenlose Ozean, den du in deinem Traum gesehen hast, o Wesir, ist nichts anderes als die Welt des Seins. Ganz von sich aus und ohne äußere Hilfe wird dein Sohn höchste Macht über sie gewinnen. Was immer ihm beliebt, wird Er ungehindert vollbringen. Keiner wird Seinen Gang aufhalten und niemand wird Seinen Erfolg verhindern. Die Menge der Fische bedeutet die Unruhe, die Er unter den Völkern und Geschlechtern der Erde hervorrufen wird. Um Ihn werden sie sich scharen und ihm werden sie anhängen. In der Gewißheit des unfehlbaren Schutzes des Allmächtigen wird ihm jedoch durch diesen Aufruhr kein Leid geschehen, noch wird Seine Einsamkeit auf dem Meer des Lebens Seine Sicherheit gefährden.«

+5:14 #154

Man führte hierauf den Traumdeuter zu Bahá'u'lláh. Er betrachtete aufmerksam Sein Angesicht und prüfte sorgsam Seine Züge. Er war hingerissen von Seiner Erscheinung und pries jeden Zug Seines Antlitzes. Jeder Ausdruck in Seinem Angesicht offenbarte seinen Augen ein Zeichen Seiner verborgenen Herrlichkeit. Seine Bewundcrung war so groß, und er pries Bahá'u'lláh so überschwenglich, daß der Wesir von jenem Tag an seinen Sohn noch herzlicher liebgewann. Die Worte, die der Traumdeuter sprach, trugen dazu bei, seine Hoffnungen und sein Vertrauen zu Ihm zu vertiefen. Gleich Jakob war es sein ganzer Wunsch, das Wohl seines geliebten Josef zu sichern und ihn mit seinem liebevollen Schutz zu umgeben.


+5:15

Hájí Mírzá Aqásí, der Großwesir von Muhammad Sháh, erwies, obgleich er Bahá'u'lláhs Vater völlig entfremdet war, dem Sohn alle Aufmerksamkeit und Gunst. So groß war die Hochachtung, die der Hájí ihm entgegenbrachte, daß Mírzá Aqá Khan-i-Núrí, der I'timádu'd-Dawlih und spätere Nachfolger des Hájí Mírzá Aqásí, eifersüchtig wurde. Er verübelte Bahá'u'lláh Seine Überlegenheit, die Er trotz Seiner Jugend über ihn hatte. Die Saat der Eifersucht wucherte seither in seiner Brust. Obgleich er noch so jung ist und sein Vater noch lebt, so dachte er, wird er beim Großwesir vorgezogen. Was soll nur aus mir werden, wenn dieser junge Mann einmal der Nachfolger seines Vaters geworden ist!

+5:16 #155

Nach dem Tod des Wesirs schenkte Hájí Mírzá Aqásí weiterhin Bahá'u'lláh die größte Aufmerksamkeit. Er besuchte ihn in Seinem Heim und sprach mit ihm wie mit seinem eigenen Sohn. Die Aufrichtigkeit seiner Zuneigung wurde jedoch sehr bald auf die Probe gestellt. Als er eines Tages durch das Dorf Qúch-Hisár kam, das Bahá'u'lláh gehörte, war er von dem Liebreiz, der Schönheit dieses Platzes und seinem Wasserreichtum so beeindruckt, daß er den Plan faßte, sein Eigentümer zu werden. Bahá'u'lláh, den er zu sich gebeten hatte, um den Erwerb dieses Dorfes sofort zu tätigen, meinte: »Wäre dieser Besitz ausschließlich mein eigen, so würde ich gerne deinem Wunsch entsprechen. Denn dieses vergängliche Leben mit all seinen gemeinen Besitztümern ist es in meinen Augen nicht wert, daß man sich daran hänge, um wieviel weniger dieses kleine, unbedeutende Anwesen. Da jedoch eine ganze Menge anderer Leute, reiche und arme, Erwachsene und Unmündige, das Besitzrecht an diesem Gut mit mir teilen, so möchtc ich dich bitten, die Angelegenheit ihnen vorzutragen und ihre Einwilligung einzuholen.« Mit diesem Bescheid unzufrieden, versuchte Hájí Mírzá Aqásí nunmehr seinen Zweck auf betrügerische Weise zu erreichen. Sobald Bahá'u'lláh von seinen üblen Plänen erfuhr, übertrug Er im Einvernehmen mit allen Betroffenen das Besitzrecht auf den Namen der Schwester von Muhammad Sháh, die schon wiederholt den Wunsch geäußert hatte, Eigentümerin dieses Besitzes zu werden. Der Hájí war wütend über diese Transaktion und ordnete an, das Gut zwangsweise zu beschlagnahmen, wobei er behauptete, er habe es bereits von seinem ursprünglichen Besitzer gekauft. Die Beauftragten von Hájí Mírzá Aqásí wurden von den Verwaltern der Schwester des Sháh streng zurückgewiesen und ersucht, ihrem Auftraggeber mitzuteilen, daß die Herrin entschlossen sei, auf ihren Rechten zu bestehen. Der Hájí brachte die Angelegenheit vor Muhammad Sháh und beklagte sich über die ungerechte Behandlung, die ihm widerfahren sei. Am Abend zuvor hatte die Schwester des Sháh ihren Bruder über den Sachverhalt dieses Geschäfts informiert. "Schon manches Mal", sprach sie zum Sháh, "hat Eure Kaiserliche Majestät gütigst den Wunsch geäußert, daß ich über die Juwelen, die ich in ihrer Gegenwart zu tragen pflegte, verfügen und mir für ihren Erlös irgendein Gut erwerben möge. Es ist mir kürzlich gelungen, ihrem Wunsch nachzukommen. Nun ist aber Hájí Mírzá Aqásí fest entschlossen, es mir mit Gewalt zu entreißen." Der Sháh beruhigte seine Schwester und befahl dem Hájí, seinen Anspruch aufzugeben. Der letztere ließ in seiner Verzweiflung Bahá'u'lláh zu sich kommen und versuchte mit allen Kniffen, Seinen Namen zu verunglimpfen. Die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen wies Bahá'u'lláh energisch zurück, und es gelang ihm, Seine Schuldlosigkeit zu beweisen. In seiner ohnmächtigen Wut rief der Großwesir: "Was hast du für Absichten mit all diesen Festen und Gastereien, die dir offenbar so sehr gefallen? Ich, der Großwesir des Sháhan-Sháh von Persien, bewirte nie die Zahl und Vielfalt an Gästen, wie sie sich Nacht für Nacht um deinen Tisch drängen. Was soll die ganze Verschwendung und Eitelkeit? Du heckst doch sicher einen Anschlag gegen mich aus." »Barmherziger Gott«, erwiderte Bahá'u'lláh. »Muß man einen Menschen, der aus der Überfülle seines Herzens heraus sein Brot mit seinen Mitmenschen teilt, deswegen krimineller Absichten beschuldigen?« Hájí Mírzá Aqásí war völlig verwirrt. Er wagte keine Erwiderung. Obwohl er über die vereinte Hilfe der geistlichen und weltlichen Mächte von Persien verfügte, sah er sich am Ende doch in allem, was er gegen Bahá'u'lláh unternahm, völlig geschlagen.

+5:17 #156

Auch bei einer Reihe anderer Gelegenheiten trat Bahá'u'lláhs Überlegenheit über Seine Gegner deutlich zutage. Diese persönlichen Triumphe trugen wesentlich dazu bei, Seine Stellung zu festigen und Seinen Ruhm weithin zu verbreiten. Die Menschen aller Schichten waren erstaunt darüber, auf welch wundersame Art Er stets unbeschadet aus den gefährlichsten Attacken hervorging. Einzig und allein die Hilfe Gottes, so dachten sie, konnte ihn in solchen Lagen so sicher bewahrt haben. Nicht ein einziges Mal, auch nicht in den größten Gefahren, fügte Bahá'u'lláh sich der Unverschämtheit, Habgier und Falschheit der Gegner, die ihn rings umgaben. Bei Seiner ständigen Verbindung in jenen Tagen mit den höchsten geistlichen und weltlichen Würdenträgern des Reiches gab Er sich nie damit zufrieden, den Meinungen, die sie vertraten, oder den Ansprüchen, die sie erhoben, einfach beizupflichten. Er trat bei ihren Zusammenkünften furchtlos für die Sache der Wahrheit ein. Er verfocht die Rechte der Unterdrückten, verteidigte die Schwachen und schützte die Unschuldigen.









Sechstes Kapitel
MULLA HUSAYNS REISE NACH KHURASAN

+6:1 #157

Als der Báb die Buchstaben des Lebendigen verabschiedete, gab Er ihnen allen die Weisung, den Namen eines jeden, der den Glauben annahm und sich zu seinen Lehren bekannte, besonders aufzuzeichnen. Die Liste dieser Gläubigen sollten sie in versiegelten Briefen an Seinen Onkel mütterlicherseits, Hájí Mírzá Siyyid Alí in Shíráz, senden, der sie ihm dann umgehend zustellen würde. »Ich werde diese Listen ordnen«, sagte Er ihnen, »in achtzehn Folgen zu je neunzehn Namen. Jede Folge wird ein Váhid¹ sein. Alle Namen in diesen achtzehn Folgen werden zusammen mit dem ersten Váhid, der Meinen eigenen und die Namen der achtzehn Buchstaben des Lebendigen umfaßt, die Zahl Kull-i-Shay² bilden. Alle diese Gläubigen werde ich auf der Tafel Gottes erwähnen, auf daß der Geliebte unserer Herzen, wenn Er einst zum Thron der Herrlichkeit aufgestiegen ist, auf jeden einzelnen von ihnen Seine unschätzbaren Segnungen ausgieße und sie zu Bewohnern Seines Paradieses erkläre.«

¹ Der Zahlenwert des Wortes `Váhid`, wörtlich `Einheit`, ist 19
² Der Zahlenwert von `Kuli-i-Shay`, wörtlich `alle Dinge`, ist 361 oder 19 mal 19



+6:2 #158 (Bildlegende - Die Gawhar-Shád-Moschee in Mashhad)

Mullá Husayn gab der Báb ganz besondere Weisungen; er sollte ihm einen schriftlichen Bericht über die Art und den Erfolg seiner Tätigkeit in Isfáhán, Tihrán und Khurásán übermitteln. Er ersuchte ihn dringend, ihn davon zu unterrichten, wer den Glauben annimmt und sich ihm fügt, und wer ihn zurückweist und seine Wahrheit abstreitet. »Nicht ehe ich deinen Brief von Khurásán in Händen habe«, sprach Er, »bin ich bereit, diese Stadt zu verlassen und Mich auf Meine Pilgerreise nach Hijás vorzubereiten.« Ermutigt und gestärkt durch das Erlebnis seiner Unterredung mit Bahá'u'lláh begab sich Mullá Husayn auf die Reise nach Khurásán. Während seiner Besuchsreise in dieser Provinz entfaltete er in bewundernswürdigem Maße die Wirksamkeit dieser belebenden Kraft, mit der die Abschiedsworte des Báb ihn erfüllt hatten.¹ Der erste der in Khurásán den Glauben annahm war Mírzá Ahmad-i-Azhandí, der gelehrteste, weiseste und bedeutendste unter den Ulamás jener Provinz. In welcher Versammlung er auch auftrat, wie groß die Zahl, wie hervorragend die Bedeutung der anwesenden Geistlichen auch sein mochte, stets war er der Hauptsprechcr. Sein vornehmer Charakter wie auch seine tiefe Frömmigkeit hatten sein Ansehen, das er durch seine Gelehrsamkeit, seine Fähigkeiten und seine Weisheit genoß, noch mehr gehoben. Als nächster unter den Shaykhí von Khurásán nahm Mullá Abmad-i-Mu'Allim den Glauben an. Er war, als er noch in Karbilá weilte, der Lehrer der Kinder von Siyyid Kázim gewesen. Ihm folgten Mullá Shaykh Alí, dem der Báb den Beinamen Azím gab, und dann Mullá Mírzá Muhammad-i-Fúrúghí, dessen Gelehrsamkeit nur noch von Mírzá Ahmad übertroffen wurde. Abgesehen von diesen überragenden Persönlichkeiten unter den geistlichen Führern von Khúrásán hätte niemand genügend Autorität oder das notwendige Wissen aufgebracht, um die Argumente von Mullá Husayn widerlegen zu können.

¹ `Der Pilger nützte, wie es seine Art war, jeden Aufenthalt voll aus und verlängerte ihn auch nach Bedarf in allen Dörfern, Marktflecken und Städten, durch die er auf seiner Wanderschaft kam, um Besprechungen abzuhalten, Beweise gegen die Meinungen der Mullás zu erbringen, die Bücher des Báb bekanntzumachen und seine Lehren zu verbreiten. überall wurde er gerufen, überall erwartete man ihn mit Ungeduld; man suchte ihn voller Neugier auf, man hörte ihm voller Begierde zu und glaubte ihm ohne weiteres. Besonders in Níshápúr gewann er zwei bedeutende Gläubige, Mullá Abdu'l-Kháliq von Yazd und Mullá Alí, den Jüngeren. Der erstere dieser beiden Doktoren war ein Schüler von Shaykh Ahmad-i-Ahsá'í gewesen. Er war berühmt für sein Wissen, seine Redegewandtheit und seinen Einfluß auf die Menschen. Der andere, ebenfalls ein Shaykhí wie der erstere, war von strengen Sitten und hoch geachtet; er hatte den bedeutenden Posten des obersten Mujtahid der Stadt inne. Alle beide wurden begeisterte Bábí und hielten von den Kanzeln der Moscheen die heftigsten Reden gegen den Islám. Einige Wochen lang hatte es den Anschein, als ob die frühere Religion vollkommen überwunden wäre. Die Geistlichen waren durch den Abfall ihres Führers entmutigt und durch die schonungslosen öffentlichen Reden erschreckt; sie wagten kaum, sich blicken zu lassen, oder hatten bereits die Flucht ergriffen. Als Mullá Husayn-i-Búshrú'í in Mashhad ankam, fand er einerseits eine aufgeregte Bevölkerung vor, die sich in seiner Sache nicht einig war, andererseits eine Geistlichkeit, die wachsam und sehr gespannt, jedoch zum äußersten bereit und entschlossen war, den gegen sie gerichteten Angriffen heftigsten Widerstand entgegenzusetzen.` (Comte de Gebinneau, Les Religions et les Philosophies dans l'Asie Centrale p.139-40)



+6:3 #159

Mírzá Muhammad Báqir-i-Qá'iní, der für die letzten Jahre seines Lebens seinen Wohnsitz in Mashhad genommen hatte, bekannte sich als nächster zu der neuen Botschaft. Die Liebe des Báb hatte seine Seele mit einer so verzehrenden Leidenschaft erfüllt, daß niemand ihrer Gewalt widerstehen oder ihren Einfluß schmälern konnte. Seine Furchtlosigkeit, seine nie versagende Kraft, seine unwandelbare Treue, die Untadeligkeit seiner Lebensführung, all das machte ihn zum Schrecken seiner Feinde und zu einer Quelle der Erleuchtung für seine Freunde. Er stellte sein Heim Mullá Husayn zur Verfügung, leitete verschiedene Unterredungen zwischen ihm und den Ulamás von Mashhad in die Wege und bemühte sich ununterbrochen und bis zu seiner letzten Kraft, alle Hindernisse zu beseitigen, die der Verbreitung des Glaubens hätten im Wege stehen können. Er war unermüdlich in seinem Wirken, überaus zielstrebig und unerschöpflich in seiner Energie. Bis zur letzten Stunde seines Lebens, da er als Märtyrer bei der Feste von Shaykh Tabarsí fiel, hat er unermüdlich für seine geliebte Sache gewirkt, in seinen letzten Tagen hatte Quddús ihn nach dem tragischen Tod von Mullá Husayn gebeten, die Führerschaft über die heldenmütigen Verteidiger jener Festung zu übernehmen. Er hat diese Aufgabe glänzend erfüllt. Sein Heim, das in Bálá-Khíyábán in der Stadt Mashhad liegt, ist bis zum heutigen Tag unter dem Namen Bábíyyih bekannt. Wer dieses Haus betritt, kann sich niemals der Beschuldigung entziehen, ein Bábí zu sein. Möge seine Seele in Frieden ruhen!



+6:4 #160 (Bildlegende - Inneres der Gawhar-Shád-Moschee mit der Kanzel von der aus Mullá Husayn predigte)

Nachdem Mullá Husayn so fähige und ergebene Anhänger für die Sache gewonnen hatte, beschloß er, einen schriftlichen Bericht über seine Tätigkeit an den Báb zu senden. In dieser Mitteilung berichtete er ausführlich über sei nen Aufenthalt in Isfáhán und Káshán, beschrieb sein Erlebnis mit Bahá'u'lláh und teilte dessen Abreise nach Mázindarán mit. Er erzählte von den Geschehnissen in Núr und informierte Ihn über den Erfolg, den seine eigenen Bemühungen in Khurásán erzielt hatten. Dem Schreiben legte er eine Liste bei mit den Namen derer, die seinem Ruf gefolgt waren, und deren Standhaftigkeit und Aufrichtigkeit er gewiß war. Er sandte seinen Brief über Yazd durch Vertrauensleute des Onkels des Báb, die zu der Zeit gerade in Tabas wohnten. Der Brief erreichte den Báb am Vorabend des siebenundzwanzigsten Tages des Ramadán¹, eine Nacht, die bei allen Sekten des Islám in hohen Ehren gehalten wird, und von der viele glauben, daß sie an Heiligkeit der Laylatu'l-Qadr gleichkomme, der Nacht, welche nach den Worten des Qur'án »tausend Monate übertrifft«². Der einzige Gefährte des Báb, der anwesend war, als dieser Brief Ihn in jener Nacht erreichte, war Quddús, dem Er einige Abschnitte daraus mitteilte.

¹ Dies entspricht dem Vorabend des 10. Oktober 1844 A.D.

² `Laylatu'l-Qadr` heißt wörtlich 'Nacht der Kraft'; sie ist eine der letzten zehn Nächte des Ramadán und, wie allgemein angenommen wird, die siebtletzte jener Nächte.



+6:5 #161

Mírzá Ahmad habe ich folgendes erzählen gehört: "Des Báb Onkel mütterlicherseits hat mir selbst die näheren Umstände geschildert, wie der Báb den Brief von Mullá Husayn empfing. In jener Nacht lag auf den Angesichtern von Báb und Quddús ein unbeschreiblicher Glanz von Freude und Glück. Ich hörte in jenen Tagen den Báb immer wieder jubelnd sagen: »Wie wundervoll, wie unsagbar wundervoll ist, was sich zwischen den Monaten Jamádí und Rajab ereignet hat!« Als Er die von Mullá Husayn an ihn gerichtete Mitteilung las, wandte Er sich Quddús zu, zeigte ihm einige Abschnitte aus dem Brief und erklärte ihm dabei den Grund für Seine freudige Überraschung. Was mich anbetrifft, so blieb ich völlig im Ungewissen über die Bedeutung dieser Erklärung."

+6:6

Mírzá Ahmad, auf den die Erzählung dieses Vorfalls einen tiefcn Eindruck gemacht hatte, sollte dieses Geheimnis noch ergründen. "Erst als ich Mullá Husayn in Shíráz traf", erzählte er mir, "war es mir möglich, meine Neugier zu befriedigen. Als ich ihm den Vorfall schilderte, wie ihn mir der Onkel des Báb beschrieben hatte, lächelte er und sagte, er erinnere sich sehr wohl daran, daß er sich zwischen den Monaten Jamádí und Rajab in Tihrán aufgehalten habe. Er gab weiter keine Erläuterung und begnügte sich mit dieser kurzen Bemerkung. Es genügte jedoch für meine Überzeugung, daß in der Stadt Tihrán ein Geheimnis verborgen liegen müsse, das, wenn es der Welt geoffenbart sei, die Herzen von Báb und Quddús mit unaussprechlicher Freude erfüllen würde."


+6:7 #162 (Bildlegende - Das Haus Babíyyih in Mashhad)

Die Hinweise in Mullá Husayns Brief auf Bahá'u'lláhs sofortige Annahme der göttlichen Botschaft, den energischen Feldzug, den Er in Núr kühn in Angriff nahm, und den wunderbaren Erfolg, den Seine Bemühungen erzielt hatten, machten den Báb glücklich und froh und bestärkten Ihn in Seinem Vertrauen auf den schließlichen Sieg Seiner Sache. Nun war Er dessen gewiß, daß, auch wenn Er jetzt plötzlich der Tyrannei Seiner Feinde zum Opfer fiele und von dieser Welt scheiden müßte, der Glaube, den Er geoffenbart hatte, leben würde. Er würde unter der Führung von Bahá'u'lláh sich weiterhin entfalten und blühen und würde am Ende erlesenste Frucht tragen. Die Meisterhand von Bahá'u'lláh würde seinen Kurs steuern, und der alles durchdringende Einfluß Seiner Liebe würde ihn in den Herzen der Menschen verankern. Diese Überzeugung stärkte Seinen Geist und erfüllte ihn mit Hoffnung. Von diesem Augenblick an hat ihn die Furcht vor den drohenden Gefahren und Nöten endgültig verlassen. Wie ein Phoenix sah Er nun mit Freuden dem Feuer der Drangsale entgegen und frohlockte in der Glut und Hitze ihrer Flamme.


#163 (Bildlegende - Mekka in einer Zeichnung)









Siebentes Kapitel
DIE PILGERREISE DES BAB NACH MEKKA UND MEDINA

+7:1

Durch den Brief von Mullá Husayn kam der Báb zu dem Entschluß, Seine geplante Pilgerreise nach dem Hijáz anzutreten. Er überließ Seine Frau der Obhut Seiner Mutter und empfahl beide der Fürsorge und dem Schutz Seines Onkels mütterlicherseits. Dann schloß Er sich den Pilgern von Fárs an, die eben Vorbereitung trafen, von Shíráz nach Mekka und Medina aufzubrechen.¹ Sein einziger Gefährte war Quddús, und der äthiopische Diener, Sein einziger persönlicher Betreuer. Er begab sich zunächst nach Búshihr, dem Sitz des Geschäfts Seines Onkels, wo Er früher in enger Zusammenarbeit mit ihm das Leben eines bescheidenen Kaufmanns geführt hatte. Nachdem Er dort die nötigen Vorbereitungen für Seine lange und beschwerliche Reise ergänzt hatte, schiffte Er sich auf einem Segler ein, der ihn nach zwei Monaten mühseliger, stürmischer und ruheloser Reise in jenes geheiligte Land zum Ziel gelangen ließ.² Der hohe Seegang und das Fehlen jeglicher Bequemlichkeit vermochten weder die Regelmäßigkeit Seiner Andachten zu unterbrechen, noch den Frieden Seiner Meditationen und Gebete zu stören. Ungeachtet des Sturms, der um Ihn her wütete, und der Seekrankheit, von der die Pilger befallen waren, verbrachte Er weiterhin Seine Zeit damit, Quddús Gebete und Briefe zu diktieren, die zu offenbaren Er Sich erleuchtet fühlte.

¹ Nach dem Bericht von Hájí Mu'ínús-Saltanih (p.72) brach der Báb im Monat Shavvál 1260 d.H. (Oktober 1844 A.D.) zu Seiner Pilgerfahrt nach Mekka und Medina auf

² 'Er bewahrte an diese Reise die denkbar schlechtesten Erinnerungen. »Wisse, daß die Straßen des Meeres gefährlich sind: Wir wünschen sie unseren Getreuen nicht. Ich rate dir: reise auf dem Landweg«, sareibt er im Kitáb-i-Baynu'l-Haramayn, indem er sich an seinen Onkel wendet, wie wir unten sehen werden. Im Bayán kommt er noch ausführlich auf dieses Thema zu sprechen. Wir dürfen dies nicht für eine Kinderei halten. Das Gefühl, das den Báb in diesen Schrecken des Meeres leitete, ist weit edler und erhabener. Erschüttert von dem Egoismus der Pilger, der noch gesteigert war durch die Beschwernisse einer so langen und gefahrvollen Seereise, und ebenso erschüttert von dem Schmutz, in dem die Reisenden auf Deck zu leben gezwungen waren, wollte er den Menschen die Gelegenheit nehmen, ihren niedrigsten Instinkten freien Lauf zu lassen und sich gegenseitig zu beschimpfen. Wir wissen, daß der Báb ausdrücklich Höflichkeit und äußerste Liebenswürdigkeit im gegenseitigen Umgang fordert: »Keiner betrübe den andern, wer er auch sei, und um was es sich auch handeln mag.« Und auf dieser Reise konnte er so recht des Menschen Bosheit und Brutalität kennenlernen, wenn er schwierigen Situationen gegenübersteht. »Das Traurigste, was ich auf meiner Pilgerreise nach Mekka erlebte, waren die ständigen Streitigkeiten der Pilger untereinander, Streitereien, die sie der geistigen Segnungen ihrer Pilgerfahrt beraubten.« (Bayán 4:16) Er kam schließlich in Mascate an, wo er einige Tage ausruhte und während dieser Zeit versuchte, die Menschen dort zu bekehren - ohne Erfolg. Er wandte sich an einen von ihnen, vermutlich einen Geistlichen von Rang, dessen übertritt den seiner Mitbürger hätte nach sich ziehen können; ich nehme das wenigstens an, denn er hat diesbezüglich keine Einzelheiten mitgeteilt. Offenbar hat er nicht den Erstbesten zu bekehren versucht, der keinerlei Einfluß auf die übrigen Einwohner der Stadt gehabt hätte. Daß er den Versuch einer Bekehrung gemacht und keinen Erfolg damit hatte, ist unbestreitbar, sagt er doch selbst: »Die Erwähnung Gottes ist wahrlich auf die Erde von Mascate herabgestiegen, und mit ihr hat das Gebot Gottes einen der Bewohner des Landes erreicht. Wenn es doch sein könnte, daß er unsere Verse verstünde und einer von denen würde, die geführt werden! Sprich: dieser Mann gehorcht seinen Leidenschaften, nachdem er unsere Verse gelesen hat, und wahrlich, dieser Mann gehört nach dem Gebot des Buches zu den übertretern. Sprich: wir haben in Mascate keine Menschen des Buches gefunden, die ihm geholfen hätten, denn sie sind verloren in Unwissenheit. Dasselbe trifft auf alle diese Reisenden auf dem Schiff zu, bis auf einen unter ihnen, der an unsere Verse glaubte und einer derer wurde, die Gott fürchten.«' (A.L.M.Nicolas, Siyyid Alí-Muhammad dit le Báb, p.207-208)


+7:2 #164

Hájí Abu'l-Hasan-i-Shírází, der mit demselben Schiff fuhr wie der Báb, habe ich die näheren Umstände jener denkwürdigen Reise schildern hören: "Während der ganzen Zeitspanne von annähernd zwei Monaten", so berichtete er, "vom ersten Tag an, da wir uns in Búshihr einschifften, bis zu dem Tag, als wir in Jaddih, dem Hafen von Hijáz landeten, so oft ich auch, sei es bei Tag oder Nacht, den Báb oder Quddús zu sehen Gelegenheit hatte, habe ich stets die beiden zusammen angetroffen, beide in ihre Arbeit vertieft. Der Báb diktierte offenbar, und Quddús war eifrig dabei, alles niederzuschreiben, was von Seinen Lippen kam. Man konnte sie selbst in Zeiten, da die Passagiere des vom Sturm geworfenen Schiffes von panischer Angst befallen waren, in ungestörter Ruhe und voll Vertrauen ihrer Arbeit nachgehen sehen. Weder der Aufruhr der Elemente noch das Geschrei der Leute um sie her vermochte sie aus der Fassung zu bringen oder sie von ihrem Wirken abzuhalten."


+7:3 #165

Der Báb selbst spricht im Persischen Bayán¹ von den Beschwerlichkeiten jener Reise. »Tagelang haben wir unter dem Mangel an Wasser gelitten«, schreibt Er. »Ich mußte mich mit dem Saft von süßen Zitronen begnügen.« Auf Grund dieser Erfahrung betete Er zu dem Allmächtigen, daß die Verkehrsmittel für Seereisen bald und rasch verbessert werden möchten, daß ihre Beschwerlichkeit gemildert und ihre Gefahren völlig behoben würden. Seitdem dieses Gebet dargebracht wurde, haben sich innerhalb kurzer Zeit die Merkmale einer deutlichen Besserung auf allen Gebieten der Seefahrt gezeigt und in der Zwischenzeit noch erheblich vermehrt. Der Persische Golf, in dem es damals kaum ein Dampfschiff gab, kann sich heute einer Flotte von Hochseeschiffen rühmen, die innerhalb weniger Tage die Leute von Fárs auf ihrer jährlichen Pilgerfahrt nach Hijáz mit allem Komfort befördern.

¹ »Ich habe auf der R eise nach Mekka selbst jemanden geschcn, der beträchtliche Geldsummen ausgab, aber vor den Kosten für ein Glas Wasser für seinen Reisegefährten, der mit ihm zusammen wohnte, zurückschreckte. Das ereignete sich auf dem Schiff, wo Wasser knapp war, so knapp und so schlecht, daß ich mich auf der Überfahrt von Búshihr nach Mascate, die zwölf Tage dauerte, in welchen Wasser nicht zu beschaffen war, mit süßen Zitronen begnügen mußte.« (Le Bayán Persan, Bd. 2 p.154) »Man hat auf dem Meer nichts anderes vor Augen als Unzulänglichkeit; man kann nicht wie bei einer Reise zu Land alles Lebensnotwendige bekommen ... Die Seeleute sind gezwungen, so zu leben, aber durch ihre Tätigkeit kommen sie Gott näher, und Gott belohnt gute Taten, ob sie nun zu Lande oder zu Wasser vollbracht werden; er verdoppelt vielmehr die Belohnung der Dienste, die von einem seiner Diener auf dem Meer vollbracht werden, weil ihre Arbeit mühevoller ist.« (a.a.o. p.155-6) »Ich habe (auf der Reise nach Mekka) Handlungen beobachtet, die in den Augen Gottes äußerst gemein waren und die die gute Tat der Pilgerreise wieder zunichte machten. Das waren Streitereien unter den Pilgern! Solche Streitigkeiten sind in jedem Falle verboten ... Wahrlich, das Haus Gottes bedarf nicht solcher Menschen!« (a.a.o.p.155)


+7:4 #166

Die Völker des Westens, bei denen die ersten Anzeichen dieser großen industriellen Revolution auftraten, sind sich, leider, der Quelle, aus der dieser machtvolle Strom, diese große treibende Kraft hervorgeht, einer Gewalt, die jeden Aspekt ihres materiellen Lebens verwandelt hat, noch völlig unbewußt. Ihre eigene Geschichte beweist, daß im Jahr des Anbruchs dieser herrlichen Offenbarung plötzlich Anzeichen für eine industrielle und wirtschaftliche Revolution sichtbar wurden, wie sie - das bestätigen die Menschen selbst - in der Geschichte der Menschheit ohne Beispiel sind. Während ihre Aufmerksamkeit auf die Einzelheiten der Arbeit und die Einrichtung dieser neu geschaffenen Mechanismen gerichtet ist, haben sie mehr und mehr den Blick für die Quelle und den Urheber dieser gewaltigen Kraft verloren, die der Allmächtige ihnen zu Verfügung gestellt hat. Es scheint so, als haben sie diese Kraft arg mißbraucht und ihr Wirken mißverstanden. Dazu bestimmt, den Menschen im Westen die Segnungen des Friedens und des Glücks zu bringen, wurde sie von ihnen dazu benützt, die Interessen der Zerstörung und des Krieges zu fördern.

+7:5

Nach Seiner Ankunft in Jaddih legte der Báb das Pilgergewand an, bestieg ein Kamel und setzte Seine Reise nach Mekka fort. Quddús jedoch, ungeachtet der wiederholten Bitten seines Meisters, zog es vor, Ihn den ganzen Weg von Jaddih bis zur heiligen Stadt zu Fuß zu begleiten. Den Zügel des Kamels in den Händen, auf dem der Báb ritt, schritt er fröhlich und betend dahin, stets um das Wohl seines Meisters besorgt und völlig unempfindlich für die Strapazen seines mühsamen Marsches. Jede Nacht, vom Abend bis zum Anbruch des neuen Tages, pflegte Quddús, Bequemlichkeit und Schlaf opfernd, mit unermüdlicher Umsicht an der Seite seines Geliebten zu wachen, stets bedacht, Seinen Wünschen zuvorzukommen und alles Erforderliche für Seinen Schutz und Seine Sicherheit auszurichten.

+7:6

Eines Tages, als der Báb bei einer Wasserstelle abgestiegen war, um Sein Morgengebet zu verrichten, erschien plötzlich ein wandernder Beduine am Horizont, kam auf Ihn zu, schnappte Seine Satteltasche auf, die neben Ihm auf dem Boden lag und die Seine Schriften und Papiere enthielt, und verschwand in der unbekannten Wüste. Sein äthiopischer Diener schickte sich an, ihn zu verfolgen, wurde aber von seinem Herrn daran gehindert, der ihm während Seines Gebets mit einer Handbewegung bedeutete, er solle die Verfolgung aufgeben. »Hätte ich es dir erlaubt«, so versicherte der Báb ihm später liebevoll, »so hättest du ihn bestimmt überwältigt und bestraft. Doch dies sollte nicht sein. Die Papiere und Schriften in jener Tasche sollten durch die Vermittlung dieses Arabers an Orte kommen, die wir selbst nie erreicht hätten. Sei darum nicht unglücklich über seine Tat, denn sie war von Gott, dem Verordner, dem Allmächtigen, so bestimmt.« Auch später hat der Báb bei ähnlichen Gelegenheiten Seine Freunde oft durch solche Betrachtungen zu trösten gesucht. Mit solchen Worten verwandelte Er die Bitternis ihres Kummers und Grolls in strahlende Ergebung in die göttliche Absicht und freudige Unterwerfung unter den Willen Gottes.


+7:7 #167

Am Tage Arafát¹ suchte der Báb die stille Abgeschlossenheit Seines Zeltes auf und widmete Seine ganze Zeit der Meditation und der Andacht. Am folgenden Tag, dem Tage Nahr, begab Er sich, nachdem Er das Festtagsgebet dargebracht hatte, nach Muná, wo Er nach altem Brauch neunzehn erlesene Lämmer erwarb, von denen Er neun in Seinem eigenen Namen opferte, sieben im Namen von Quddús und drei im Namen Seines äthiopischen Dieners. Er lehnte es ab, vom Fleisch dieses geweihten Opfers zu essen. Er verteilte es stattdessen freigebig unter die Armen und Bedürftigen jener Gegend.

¹ Vortag des `Festes des Opfers`, am neunten Tag des Monats Dhi'l-Hijjih


+7:8

Obgleich der Monat Dhi'l-Hijjih, der Monat der Pilgerfahrt nach Mekka und Medina, in jenem Jahr mit dem ersten Monat der winterlichen Jahreszeit zusammenfiel (Dezember 1844), war in jener Gegend die Hitze doch so groß, daß die Pilger, die den heiligen Schrein umschritten, nicht fähig waren, diese Handlung in ihren üblichen Gewändern auszuführen. Mit einer lose fallenden, leichten Tunika bekleidet nahmen sie an den Feierlichkeiten teil. Der Báb jedoch lehnte es als Zeichen der Ehrerbietung ab, Seinen Turban oder Seinen Mantel abzulegen. In Seiner üblichen Kleidung umschritt Er mit größter Würde und Ruhe und äußerster Bescheidenheit und Ehrfurcht die Ka'bih und verrichtete alle vorgeschriebenen Handlungen der Andacht.

+7:9

Am letzten Tag Seines Pilgeraufenthalts in Mekka traf der Báb Mírzá Muhít-i-Kirmání. Er stand vor dem Schwarzen Stein, als der Báb zu ihm trat, und, indem Er seine Hand ergriff, zu ihm die Worte sprach: »O Muhít! Du hältst dich selbst für eine der hervorragendsten Gestalten der Shaykhí-Gemeinde und bedcutenden Ausleger ihrer Lehren. In deinem Herzen erhebst du sogar den Anspruch, einer der direkten Nachfolger und rechtmäßigen Erben jener beiden großen Leuchten zu sein, jener Sterne, die dem Morgen göttlicher Führung vorangegangen sind. Siehe, wir stehen nun beide in diesem heiligsten Schrein. In seiner heiligen Nähe vermag Der, dessen Geist an dieser Stelle weilt, zu bewirken, daß die Wahrheit unmittelbar erkannt und von Falschheit unterschieden wird, und Richtigkeit von Irrtum. Wahrlich, ich erkläre, niemand außer Mir kann an diesem Tage weder im Osten noch im Westen den Anspruch erheben, das Tor zu sein, das die Menschen zur Gotteserkenntnis führt. Mein Beweis ist kein anderer als der, durch den die Wahrheit des Propheten Muhammad erhärtet worden ist. Frage Mich, was immer du willst. Ich verpflichte Mich, eben in diesem Augenblick Verse zu offenbaren, welche die Wahrheit Meiner Sendung zu erweisen vermögen. Du mußt dich entscheiden, dich entweder vorbehaltlos Meiner Sache fügen oder sie gänzlich verwerfen. Du hast keine andere Wahl. Wenn du Meine Botschaft ablehnst, so werde Ich deine Hand nicht loslassen, bis du Mir dein Wort gibst, daß du deine Ablehnung der Wahrheit, die Ich verkündet habe, öffentlich erklärst. Und so wird Der, welcher die Wahrheit spricht, bekannt gemacht, und wer falsch redet, soll zu ewiger Trübsal und Schmach verdammt sein. Dann wird der Weg der Wahrheit enthüllt und allen Menschen offenbar werden.«


#168 (drei Bildlegenden - Kleidungsstücke, die der Báb auf Seiner Pilgerreise nach Mekka trug)


+7:10 #169

Diese zwingende Herausforderung durch den Báb, die den Mírzá Muhít-i-Kirmání so unerwartet traf, stürzte ihn in tiefe Bedrängnis. Er war überwältigt von ihrer Unmittelbarkeit, ihrer zwingenden Majestät und Kraft. In der Gegenwart dieses Jünglings fühlte er sich trotz seines Alters, seiner Autorität und Gelehrsamkeit wie ein hilfloser Vogel, der sich in den Klauen eines mächtigen Adlers windet. Verwirrt und voll Angst antwortete er: "Mein Herr, mein Meister! Seit dem Tage, da meine Augen Dich in Karbilá gesehen haben, schien es mir, als hätte ich endlich Den gefunden und erkannt, welcher der Gegenstand meines Suchens war. Ich verleugne jeden, der es vermied, Dich anzuerkennen, und verschmähe den, in dessen Herzen noch der geringste Rest von Mißachtung für Deine Reinheit und Heiligkeit glimmt. Ich bitte Dich, übersieh meine Schwachheit, und ich flehe Dich an um Antwort in meiner Verwirrung. Möge es Gott gefallen, daß ich hier an Ort und Stelle im Bereich dieses geheiligten Schreines meine Treue zu Dir schwöre, und daß ich mich für den Triumph Deiner Sache erhebe. Sollte ich unaufrichtig sein in dem, was ich erkläre, sollte ich in meinem Herzen verleugnen, was meine Lippen bekennen, so müßte ich mir selbst als der Gnade des Propheten Gottes höchst unwürdig vorkommen und meine Handlungsweise als einen Akt offensichtlicher Untreue gegenüber Alí, Seinem erwählten Nachfolger, betrachten."

+7:11

Der Báb, der aufmerksam seinen Worten zuhörte und seine Hilflosigkeit und innere Armut wohl bemerkte, antwortete und sprach: »Wahrlich, Ich sage dir, in diesem Augenblick ist die Wahrheit erkannt und von der Falschheit unterschieden worden. O Schrein des Propheten Gottes und du, o Quddús, der du an Mich geglaubt hast! Euch beide nehme Ich in dieser Stunde zu Meinen Zeugen. Ihr habt gesehen und gehört, was zwischen Mir und ihm vorging. Ich rufe euch als Zeugen hierfür auf, und Gott, wahrlich, ist nach und über euch Mein sicherer und höchster Zeuge. Er ist der All-Sehende, der All-Wissende, der All-Weise. O Muhít! Sag weiter, was immer deinen Geist verwirrt, und Ich will mit Gottes Hilfe Meine Zunge lösen und deine Probleme klären, so daß du die Vortrefflichkeit Meiner Äußerungen bezeugest und erkennest, daß niemand außer Mir fähig ist, Meine Weisheit zu offenbaren."

+7:12

Mírzá Muhít kam der Aufforderung des Báb nach und legte Ihm seine Fragen vor. Indem er die Notwendigkeit seiner sofortigen Abreise nach Medina vor Augen stellte, gab er der Hoffnung Ausdruck, daß er noch vor seiner Abreise aus dieser Stadt den Text der versprochenen Antwort erhalten möge. »Ich will deine Bitte erfüllen«, versicherte ihn der Báb. »Auf Meinem Weg nach Medina will Ich mit Gottes Hilfe die Antwort auf deine Fragen offenbaren. Wenn Ich dich dort nicht treffe, wird dich Meine Antwort sicherlich unmittelbar nach deiner Ankunft in Karbilá erreichen. Was immer Gerechtigkeit und Redlichkeit vorschreiben, das will ich erwarten, daß du es vollbringst. `Wenn ihr recht tut, um euer selbst willen tut ihr recht, und wenn ihr übel tut, gegen euch selbst tut ihr es`. `Gott ist wahrlich unabhängig von all Seinen Geschöpfen`.¹«

¹ Verse aus dem Qur'án


+7:13 #170

Mírzá Muhít brachte vor seiner Abreise nochmals seinen festen Vorsatz zum Ausdruck, sein feierliches Versprechen einzulösen. "Ich werde nicht von Medina abreisen", versicherte er dem Báb, "was immer auch geschehen mag, bis ich meine Vereinbarung mit Dir erfüllt habe." Wie ein Staubkorn, das der Wind vor sich hertreibt, und unfähig, der hinreißenden Majestät der vom Báb verkündeten Offenbarung standzuhalten, floh er voll Entsetzen vor Seinem Angesicht. In Medina hielt er sich kurz auf, wurde dann aber seinem Versprechen untreu und reiste ungeachtet der mahnenden Stimme seines Gewissens nach Karbilá ab.

+7:14

Der Báb offenbarte, getreu Seinem Versprechen, auf Seinem Weg von Mekka nach Medina Seine schriftliche Antwort auf die Fragen, die den Geist von Mírzá Muhít, so in Verwirrung gestürzt hatten, und gab ihr den Titel Sahífiy-i-Baynu'l-Haramayn.¹ Mírzá Muhít, der sie in den ersten Tagen nach seiner Ankunft in Karbilá erhielt, blieb unberührt von ihrer Kraft und lehnte es ab, die darin enthaltenen Verordnungen anzuerkennen. Seine Haltung dem Glauben gegenüber war von heimlicher und beharrlicher Opposition. Zeitweise bekannte er sich als Anhänger und Verteidiger des berüchtigten Gegners des Báb, Hájí Mírzá Karím Khán, und gelegentlich erhob er auch den Anspruch, selbst ein unabhängiger Führer zu sein. Gegen Ende seiner Tage, als er im Iráq wohnte, brachte er über einen in Baghdád weilenden persischen Prinzen, Verehrung für Bahá'u'lláh heuchelnd, den Wunsch zum Ausdruck, Ihn zu sehen. Er bat, daß seine geplante Unterredung streng geheimgehalten werde. »Sag ihm«, antwortete Bahá'u'lláh, »daß Ich in den Tagen Meiner Zurückgezogenheit in den Bergen von Sulaymániyyih in einer bestimmten Ode², die Ich verfaßte, die wesentlichen Anforderungen an jeden Wanderer, der den Pfad des Suchens nach der Wahrheit betritt, dargelegt habe. Teile ihm diesen Vers aus jener Ode mit: `Wenn dein Ziel ist, dein Leben zu hegen, dann nähere dich nicht unserem Hofe; aber wenn Opfer deines Herzens Wunsch ist, dann komm und laß andere mit dir kommen. Denn dies ist der Weg des Glaubens, wenn dich in deinem Herzen nach der Vereinigung mit Bahá verlangt; wenn du es ablehnst, diesen Pfad zu beschreiten, was störst du uns? Geh!` Wenn er guten Willens ist, so wird er offen und ohne Vorbehalt eilen, Mir zu begegnen; wenn nicht, will Ich ihn nicht sehen.« Bahá'u'lláhs eindeutige Antwort stürzte Mírzá Muhít in Verwirrung. Unfähig, sich zu widersetzen, und nicht willens, sich zu fügen, reiste er noch am selben Tage, da er diese Botschaft erhielt, nach seinem Wohnort Karbilá ab. Sobald er dort ankam, erkrankte er und starb drei Tage später.

¹ `Das Sendschreiben zwischen den Zwei Schreinen.`
² Saqi-i-Az-Ghayb-i-Baqa (TAHEZ I S.89 sowie TAHEZ II S.79)


+7:15 #171

Kaum hatte der Báb die letzte der mit Seiner Pilgerreise nach Mekka zusammenhängenden Verpflichtungen erfüllt, da schrieb Er einen Brief an den Sharíf jener heiligen Stadt, in dem Er in klaren und unmißverständlichen Worten die kennzeichnenden Züge Seiner Botschaft darlegte und ihn aufforderte, sich zu erheben und Seiner Sache anzuschließen. Diesen Brief übergab Er zusammen mit Auszügen aus Seinen anderen Schriften Quddús mit dem Auftrag, sie dem Sharíf zu überbringen. Dieser aber, zu beschäftigt mit seinen eigenen irdischen Angelegenheiten, um den Worten, die der Báb an ihn richtete, Gehör zu schenken, ließ den Ruf der Botschaft Gottes unbeantwortet. Hájí Níyáz-i-Baghdádí soll folgendes erzählt haben: "Im Jahre 1267 d.H. (1850/51) unternahm ich eine Pilgerfahrt nach der heiligen Stadt, wo ich den Vorzug hatte, mit dem Sharíf zusammenzukommen. Im Verlauf seiner Unterhaltung mit mir sagte er: `Ich erinnere mich, daß im Jahre 60 zur Zeit der Pilgerfahrten ein junger Mann kam, um mich zu besuchen. Er überreichte mir ein versiegeltes Buch, das ich wohl in Empfang nahm, damals aber zu beschäftigt war, es zu lesen. Ein paar Tage später traf ich den Jüngling wieder, der mich fragte, ob ich zu seinem Angebot etwas zu sagen hätte. Die Arbeitsüberlastung hatte mich wieder nicht dazu kommen lassen, mich um den Inhalt jenes Buches zu kümmern. Ich war darum nicht in der Lage, ihm eine befriedigende Antwort zu geben. Als die Pilgerzeit vorüber war, fiel mein Blick eines Tages, als ich gerade Briefe sortierte, zufällig auf jenes Buch. Ich öffnete es und fand auf den ersten Seiten eine bewegende, hervorragend geschriebene Lehrpredigt, dann folgten Verse, die in Ton und Sprache eine überraschende Ähnlichkeit mit dem Qur'án hatten. Aus allem, was ich in dem Buch las, entnahm ich, daß unter dem persischen Volk ein Mann aus dem Geschlecht von Fátimih und ein Nachfahre der Familie von Háshim einen neuen Ruf hatte erschallen lassen, und daß er allen Leuten das Erscheinen des verheißenen Qá'im verkündete. Der Name des Verfassers jenes Buches blieb mir jedoch unbekannt, auch erfuhr ich nichts über die näheren Umstände, die diesen Ruf begleiten.` Ich sagte: `Das Land ist in den letzten paar Jahren wirklich von einer großen Erschütterung erfaßt worden. Ein Jüngling, ein Abkomme des Propheten und von Beruf Kaufmann, hat gesagt, daß Sein Wort die Stimme göttlicher Eingebung sei. Er hat öffentlich behauptet, daß innerhalb weniger Tage von Seinen Lippen Verse von so großer Zahl und Vortrefflichkeit strömen könnten, wie sie an Umfang und Schönheit selbst den Qur'án überträfen, ein Werk, zu dessen Offenbarung Muhammad nicht weniger als dreiundzwanzig Jahre gebraucht hat. Eine große Menge von Menschen, Reiche und Arme, Laien und Geistliche, hat sich unter der persischen Bevölkerung unter Seinem Banner versammelt und sich willig auf Seinem Pfade geopfert. Im vergangenen Jahr hat jener Jüngling in den letzten Tagen des Monats Sha'bán (Juli 1850) in Tabríz, in der Provinz Adhirbáyján, den Märtyrertod erlitten. Die Ihn verfolgt haben, wollten dadurch das Licht, das Er in jenem Land entzündet hatte, zum Verlöschen bringen. Seit Seinem Märtyrertod hat Sein Einfluß jedoch alle Schichten der Bevölkerung durchdrungen.` Der Sharíf, der aufmerksam zugehört hatte, brachte seine Entrüstung über das Verhalten derer, die den Báb verfolgt hatten, zum Ausdruck. `Gottes Verdammnis komme über dieses üble Volk`, rief er, `dieses Volk, das schon in der Vergangenheit unsere heiligen und erlauchten Vorfahren genau so behandelt hat!` Mit diesen Worten beendete der Sharíf seine Unterhaltung mit mir."


+7:16 #172

Von Mekka begab sich der Báb nach Medina. Es war am ersten Tag des Monats Muharram im Jahre 1261 d.H. (Freitag 10.Januar 1845), als Er sich auf dem Weg nach jener heiligen Stadt befand. Als Er ihr näherkam, rief Er sich die aufwühlenden Ereignisse ins Gedächtnis zurück, die den Namen Dessen unsterblich gemacht haben, der innerhalb ihrer Mauern lebte und starb. Die Szenen, die ein beredtes Zeugnis ablegten von der schöpferischen Kraft jenes unsterblichen Geistes, erstanden wieder mit unvermindertem Glanz vor Seinem geistigen Auge. Betend nahte Er sich dem heiligen Grab, das die sterblichen Überreste des Propheten Gottes barg. Er gedachte auch, als Er den heiligen Boden betrat, des strahlenden Vorboten Seiner eigenen Sendung. Er wußte, daß auf dem Friedhof von Baqí an einer Stelle nicht weit vom Schrein Muhammads Shaykh Ahmad-i-Ahsá'í ruhte, der Vorbote Seiner eigenen Offenbarung, der nach einem Leben voll mühseligen Dienstes sich entschlossen hatte, seinen Lebensabend in der Nähe jenes heiligen Schreins zu verbringen. Dort überkam Ihn auch die Vision von jenen heiligen Männern, jenen Pionieren und Märtyrern des Glaubens, die ruhmreich auf dem Schlachtfeld gefallen waren, und die mit ihrem Herzblut den Sieg der Sache Gottes besiegelt hatten. Ihre heilige Asche schien wieder lebendig zu werden unter dem sanften Tritt Seiner Füße. Ihre Schatten schienen bewegt vom wiederbelebenden Atem Seiner Gegenwart. Ihm war, als ob sie bei Seinem Nahen auferstanden wären, als ob sie Ihm entgegeneilten und ihr Willkommen ausriefen. Sie schienen Ihn inständig zu bitten: »Geh nicht in Dein Heimatland, wir bitten Dich, o Du Geliebter unserer Herzen! Bleibe in unserer Mitte, denn hier, fern vom Aufruhr Deiner Feinde, die auf Dich lauern, bist Du sicher und geschützt. Wir haben Angst um Dich. Wir fürchten die Ränke und Anschläge Deiner Gegner. Wir zittern bei dem Gedanken, daß ihre Taten ihre Seelen in ewige Verdammnis stürzen.« »Fürchtet euch nicht«, erwiderte des Báb unbezähmbarer Geist: »Ich bin auf diese Welt gekommen, um ein Zeuge zu sein für die Herrlichkeit des Opfers. Ihr seht, wie sehr Ich Mich danach sehne; ihr kennt den Grad Meiner Entsagung. Ach, bittet den Herrn, euren Gott, daß Er die Stunde Meines Märtyrertums beschleunige und Mein Opfer annehme! Freuet euch, denn wir, Ich wie Quddús, werden erschlagen werden auf dem Altar unserer Hingabe an den Herrn der Herrlichkeit. Das Blut, das wir auf Seinem Pfad zu vergießen bestimmt sind, wird den Garten unserer unsterblichen Glückseligkeit tränken und beleben. Die Tropfen dieses geopferten Blutes werden die Saat sein, aus welcher der mächtige Baum Gottes hervorgehen wird, der Baum, unter dessen allumfassendem Schatten die Völker und Geschlechter der Erde sich versammeln werden. Grämt euch darum nicht, wenn Ich aus diesem Land hinweggehe denn Ich eile, Mein Geschick zu erfüllen.«


#173 (Bildlegende - Medina in einer Zeichnung)









Achtes Kapitel
DER AUFENTHALT DES BAB IN SHIRAZ NACH SEINER PILGERREISE - I


+8:1 #175

Der Besuch des Báb in Medina war die Endstation Seiner Pilgerreise nach Hijáz. Von dort aus kehrte Er nach Jaddih zurück und gelangte auf dem Seeweg wieder zu Seiner Heimat. Er erreichte den Hafen von Búshihr neun Mondmonate, nachdem Er dort das Schiff zu Seiner Pilgerreise bestiegen hatte. In demselben Khán¹, wo Er früher gewohnt hatte, empfing Er Seine Freunde und Angehörigen, die kamen, Ihn zu begrüßen und willkommen zu heißen. Noch in Búshihr rief Er Quddús zu Sich und bat ihn mit äußerster Güte, nach Shíráz abzureisen. »Die Tage deiner Gemeinschaft mit Mir«, sprach Er zu ihm, »gehen zu Ende. Die Stunde unserer Trennung hat geschlagen, einer Trennung, der keine Wiedervereinigung folgen wird außer jener im Königreich Gottes in der Gegenwart des Königs der Herrlichkeit. Auf dieser Welt des Staubes waren dir nicht mehr als neun flüchtige Monde des Beisammenseins mit Mir beschieden. An den Gestaden des erhabenen Jenseits jedoch, im Reiche der Unsterblichkeit, erwartet uns die Freude ewiger Wiedervereinigung. Bald wird die Hand des Schicksals dich in ein Meer von Leiden tauchen um Seiner Sache willen. Auch Ich werde dir folgen, auch Ich werde in seine Tiefen eingetaucht werden. Sei unendlich glücklich, denn du bist auserwählt worden zum Bannerträger der Heerscharen des Leides; du stehst in der vordersten Reihe des edlen Heeres derer, die in Seinem Namen das Märtyrertum erdulden werden. In den Straßen von Shíráz wirst du mit Schmach überhäuft werden, und schlimmste Verletzung wird dein Körper erleiden. Du wirst das schändliche Verhalten deiner Feinde überstehen und wirst in die Gegenwart Dessen gelangen, Der der einzige Gegenstand unserer Verehrung und Liebe ist. In Seiner Gegenwart wirst du allen Kummer und alle Schande, die man auf dich gehäuft hat, vergessen. Die Heerscharen des Unsichtbaren werden dir zu Hilfe eilen und werden aller Welt deinen Heldenmut und deinen Ruhm kundtun. Du wirst die unaussprechliche Freude haben, den Kelch des Märtyrertums für Seine Sache zu leeren. Auch Ich werde den Pfad des Opfers betreten und werde dich im Reiche der Ewigkeit wiedersehen.« Dann gab ihm der Báb einen Brief in die Hand, den Er an Seinen Onkel mütterlicherseits, Hájí Mírzá Siyyid Alí, geschrieben hatte, und in dem Er ihn von Seiner glücklichen Rückkehr nach Búshihr unterrichtete. Ferner vertraute Er ihm eine Abschrift des Khasá'il-i-Sabih² an, eine Abhandlung, in der Er die wesentlichen Anforderungen an diejenigen darlegt, die Kenntnis von der neuen Offenbarung erhalten und ihren Anspruch anerkannt haben. Als Er Quddús zum letzten Mal Lebewohl gesagt hatte, bat Er ihn, jedem Seiner Lieben in Shíráz Seine Grüße zu bringen.

¹ Herberge, ähnlich einer Karawanserei
² Wörtlich: `Die Sieben Befähigungen`



+8:2 #176

Quddús fühlte eine unerschütterliche Entschlossenheit, die Wünsche seines Meisters zu erfüllen, und verließ Búshihr. Bei seiner Ankunft in Shíráz wurde er von Hájí Mírzá Siyyid Alí herzlich willkommen geheißen, der ihn in seinem eigenen Heim aufnahm und sich begierig nach der Gesundheit und dem Wirken seines geliebten Neffen erkundigte. Da er ihn für den Ruf der neuen Botschaft aufgeschlossen fand, machte Quddús ihn mit der Art der Offenbarung bekannt, mit der jener Jüngling schon seine Seele entflammt hatte. Der Onkel des Báb wurde dank der eifrigen Bemühungen von Quddús der erste, der nach den Buchstaben des Lebendigen in Shíráz sich der Sache anschloß. Da die volle Bedeutung des neugeborenen Glaubens bisher noch nicht enthüllt worden war, so war er sich des ganzen Ausmaßes seiner Tragweite und Herrlichkeit gar nicht bewußt gewesen. Seine Unterredung mit Quddús nahm jedoch den Schleier von seinen Augen. Sein Glaube wurde so standhaft und seine Liebe zum Báb so tief, daß er sein ganzes Leben dem Dienst für Ihn weihte. Mit unermüdlicher Wachsamkeit ging er ans Werk, Seine Sache zu verteidigen und Seine Person zu schützen. In seinem ständigen Bestreben kannte er keine Müdigkeit und scheute auch den Tod nicht. Obgleich er unter den Geschäftsleuten jener Stadt als eine bedeutende Persönlichkeit bekannt war, ließ er doch nie zu, daß irdische Dinge sich störend in seine geistige Verantwortlichkeit für den Schutz seines geliebten Verwandten und die Förderung Seiner Sache einmischten. Dieser Aufgabe ging er nach bis zu der Stunde, da er unter Umständen, die einen außergewöhnlichen Heldenmut erforderten, unter den Sieben Märtyrern von Tihrán sein Leben für Ihn hingab.

+8:3 #177

Der nächste, dem Quddús in Shíráz begegnete, war Ismu'lláhu'l-Asdaq, Mullá Sádiq-i-Khurásání, dem er die Abschrift des Khasá'il-i-Sabih anvertraute und ihm die Notwendigkeit klar machte, daß alle darin enthaltenen Bestimmungen umgehend verwirklicht werden müßten. Zu diesen Vorschriften gehörte die nachdrückliche Forderung des Báb, daß jeder treue Anhänger folgende Worte der üblichen Formel des Adhán¹ hinzufüge: »Ich bezeuge, daß Er, dessen Name Alí-Qabl-i-Muhammad² ist, der Diener ist von Baqíyyatu'lláh.³« Mullá Sádiq, der seinerzeit von der Kanzel herab vor einer großen Zuhörerschaft die Eigenschaften der Imáme des Glaubens dargelegt hatte, war vom Thema dieser Abhandlung und ihrer Sprache so hingerissen, daß er ohne Zögern beschloß, alle diese Anordnungen auszuführen. Getrieben von der zwingenden Macht, die von diesem Tablet ausging, rief er eines Tages, als er das Gebet in der Masjid-i-Naw leitete, plötzlich beim Singen des Adhán auch die vom Báb vorgeschriebenen zusätzlichen Worte aus. Die lauschende Menge war verblüfft bei diesem Ruf. Schreck und Bestürzung ergriff die ganze Versammlung. Die vornehmen Geistlichen, welche die vorderen Sitze einnahmen und ob ihrer strengen Rechtgläubigkeit hoch verehrt wurden, erhoben lautes Protestgeschrei: `Weh uns, den Hütern und Schützern des Gottesglaubens! Seht, dieser Mann hat die Fahne der Ketzerei gehißt! Nieder mit diesem schändlichen Verräter! Er hat eine Gotteslästerung ausgesprochen! Nehmt ihn fest, denn er ist eine Schande für unseren Glauben! Wer hat gewagt`, schrien sie wütend, `ihn zu einer so schweren Abirrung von den festen Vorschriften des Islám zu ermächtigen? Wer hat gewagt, sich dieses höchste Vorrecht anzumaßen?`

¹ Wörtlich: `Ankünigung`, der Ruf zum Gebet
² Hinweis auf den Namen des Báb
³ Hinweis auf Bahá'u'lláh



+8:4 #178 (Bildlegende - Masjid-i-Naw)

Das Volk stimmte in den Protest der Geistlichen ein und hub an, das Geschrei zu verstärken. Die ganze Stadt war in Aufruhr, und die öffentliche Ordnung war schließlich ernsthaft bedroht. Der Gouverneur der Provinz Fárs, Husayn Khán-i-Iravání, mit dem Beinamen Ajúdán-Báshí und damals allgemein als Sáhib-Ikhtíyár¹ bekannt, hielt es für nötig, sich um die Ursache dieser plötzlichen Erregung zu kümmern. Man teilte ihm mit, daß ein Anhänger eines jungen Mannes namens Siyyid-i-Báb, der eben erst von Seiner Pilgerfahrt nach Mekka und Medina zurückgekommen sei und nun in Búshihr lebe, in Shíráz angekommen sei und die Lehren seines Meisters verbreite. "Dieser Anhänger behauptet", so bekam Husayn Khán ferner gesagt, "daß sein Lehrer der Bringer einer neuen Offenbarung und der Verfasser eines Buches sei, von dem er sagt, es sei göttlich inspiriert. Mullá Sádiq-i- Khurásání hat diesen Glauben angenommen und ruft furchtlos die Menschen dazu auf, diese Botschaft anzunehmen. Er erklärt, daß ihre Anerkennung die erste Pflicht jedes treuen und frommen Anhängers des Shíah Islám sei."

¹ In Tárikh-i-Jadíd p.204 wird er auch `Nizámu'd-Dawlih` genannt


+8:5 #179 (Bildlegende - Masjid-i-Naw)

Husayn Khán befahl, die beiden, Quddús und Mullá Sádiq, festzunehmen. Die Polizeidienststelle, zu der sie gebracht worden waren, bekam die Anweisung, sie in Handschellen dem Gouverneur vorzuführen. Die Polizei übergab Husayn Khán auch die Abschrift des Qayyúmu'l-Asmá, die sie Mullá Sádiq abgenommen hatte, als er gerade daraus laut einer erregten Versammlung vorlas. Quddús wurde dank seiner jugendlichen Erscheinung und seiner einfachen Kleidung von Husayn Khán zunächst übersehen; der zog es vor, das Wort an seinen würdevolleren und älteren Gefährten zu richten. "Sag mir", sprach der Gouverneur ärgerlich zu Mullá Sádiq gewandt, "hast du bemerkt, wie im ersten Abschnitt des Qayyúmu'l-Asmá der Siyyid-i-Báb die Herrscher und Könige der Welt so anredet: »Begebt euch des Gewandes der Herrschaft, denn Er, der der wahre König ist, ist offenbar gemacht worden! Das Königreich ist Gottes, des Erhabensten. Dies hat die Feder des Allerhöchsten verfügt!« Wenn das wahr ist, dann muß es sich zwangsläufig auf meinen Herrscher, Muhammad Sháh aus dem Herrscherhause Qájár¹ beziehen, den ich als der höchste Beamte dieser Provinz vertrete. Muß Muhammad Sháh nach diesem Befehl seine Krone niederlegen und abdanken? Muß auch ich meiner Macht entsagen und meine Stellung aufgeben?" Ohne Zögern antwortete Mullá Sádiq: "Wenn einst die Wahrheit der vom Autor dieser Worte verkündigten Offenbarung sich endgültig durchgesetzt haben wird, dann wird die Wahrheit all dessen, was von Seinen Lippen kam, gerechtfertigt sein. Wenn diese Worte Gottes Worte sind, dann spielt die Abdankung von Muhammad Sháh und seinesgleichen kaum eine Rolle. Das kann auf keinen Fall den göttlichen Vorsatz abwenden, noch etwas ändern an der Herrschaft des allmächtigen und ewigen Königs.²

¹ `Einer der Stämme von Túrán, eine türkische Familie, Qájár genannt, die erstmals beim Einfall des Heeres von Changíz Khán in Persien in Erscheinung trat` (c.R.Markham, A General Sketch of the History of Persia p. 339)

² Nach A.L.M.Ni:olas (Siyyid Alí-Muhammad dit le Báb, Fußnote 175, p.225) fand diese Zusammenkunft am 6. August 1845 A. D. statt


+8:6 #180

Dieser grausame und gottlose Machthaber war äußerst ungehalten über eine solche Antwort. Er schmähte und verfluchte ihn, wies seine Diener an, ihm die Kleider vom Leib zu reißen und ihn mit tausend Peitschenhieben zu geißeln. Dann befahl er, daß den beiden, Quddús und Mullá Sádiq, die Bärte abgebrannt, ihre Nasen durchbohrt, durch die Durchbohrungen eine Schnur gezogen und sie daran durch die Straßen der Stadt geführt würden.¹ "Das wird ein Lehrstück sein für das Volk von Shíráz", erklärte Husayn Khán, "es wird daran erkennen, welche Strafe auf Ketzerei steht." Mullá Sádiq, ruhig und gefaßt, die Augen zum Himmel erhoben, hörte man das Gebet sprechen: "O Herr, unser Gott! Wir haben wahrlich die Stimme Dessen gehört, der da rief. Er rief uns zum Glauben - »Glaube an den Herrn, deinen Gott!« - und wir haben geglaubt. O Gott, unser Gott! So vergib uns denn unsere Sünden und nimm unsere schlechten Taten von uns und laß uns mit den Gerechten sterben."² Mit leuchtendem Mut schickten sich beide in ihr Los. Die den Auftrag erhalten hatten, diese grausame Strafe zu vollziehen, erfüllten ihre Aufgabe munter und mit Nachdruck. Niemand setzte sich für die Dulder ein, niemand war geneigt, ihre Sache zu verteidigen. Bald darauf wurden sie beide aus Shíráz vertrieben. Vor ihrer Vertreibung wurden sie verwarnt, daß sie beide, wenn sie je in die Stadt zurückzukehren versuchten, gekreuzigt würden. Durch ihre Leiden wurde ihnen die unsterbliche Auszeichnung zuteil, daß sie die ersten waren, die auf persischem Boden um ihres Glaubens willen verfolgt worden sind. Mullá Alíy-i-Bastámí, obgleich der erste, der dem unbeugsamen Haß der Feinde zum Opfer fiel, erduldete seine Verfolgung im Iráq, jenseits der persischen Grenze. Auch lassen sich seine Leiden, so schwer auch sie waren, nicht vergleichen mit der Abscheulichkeit und barbarischen Grausamkeit, welche die über Quddús und Mullá Sádiq verhängten Foltern kennzeichnen.

¹ Nach A Traweller's Narrative p.5 wurde ein gewisser Mullá Alí-Akbar-i-Ardistání mit ihnen zusammen derselben Tortur unterworfen
² Qur'án 3:193


+8:7 #181

Ein Augenzeuge dieses empörenden Geschehens, ein Ungläubiger, der in Shíráz wohnt, hat mir folgendes erzählt: "Ich war dabei, als Mullá Sádiq gegeißelt wurde. Ich habe gesehen, wie seine Verfolger einer nach dem andern seine Peitsche auf seine blutenden Schultern niedersausen ließ und auf ihn einhieb, bis er erschöpft war. Niemand hätte geglaubt, daß Mullá Sádiq, der doch schon in vorgeschrittenem Alter und körperlich so zart war, auch nur fünfzig solcher wütenden Hiebe aushalten könne. Wir bewunderten seine Stärke, als wir sahen, daß sein Gesicht, nachdem er schon über neunhundert Geißelhiebe erhalten hatte, immer noch seine ursprüngliche Ruhe und Klarheit bewahrte. Ein Lächeln lag auf seinem Angesicht, als er seine Hand vor den Mund hielt. Die Schläge, die auf ihn niederhagelten, schienen ihm nichts auszumachen. Als er aus der Stadt verstoßen wurde, gelang es mir, ihm nahezukommen, und ich fragte ihn, weshalb er seine Hand vor den Mund gehalten habe, und brachte mein Erstaunen über das Lächeln auf seinem Angesicht zum Ausdruck. Er antwortete eindringlich: `Die ersten sieben Schläge waren äußerst schmerzhaft, gegen die übrigen scheine ich unempfindlich geworden zu sein. Ich wußte selbst nicht mehr, ob die nachfolgenden Hiebe überhaupt meinen Körper trafen. Ein Gefühl freudiger Erregung durchflutete meine Seele. Ich mußte meine Empfindungen zurückhalten und das Lachen unterdrücken. Jetzt kann ich verstehen, wie der allmächtige Befreier in einem Augenblick Schmerz in Behagen und Kummer in Freude zu wandeln vermag. Unermeßlich erhaben ist Seine Macht über jedes unzulängliche Vorstellungsvermögen Seiner sterblichen Geschöpfe.`" Mullá Sádiq, den ich Jahre später traf, hat mir jede Einzelheit dieser erschütternden Begebenheit bestätigt.

+8:8 #182

Husayn Kháns Wut war nach dieser grausamen und höchst unverdienten Züchtigung noch keineswegs besänftigt. Seine mutwillige und unberechenbare Grausamkeit machte sich nunmehr Luft in einem Angriff, der sich gegen den Báb selbst richtete.¹ Fr schickte eine berittene Eskorte seiner persönlichen Leibgarde nach Búshihr mit der strengen Weisung, den Báb festzunehmen und Ihn in Ketten nach Shíráz zu bringen. Der Anführer dieser Eskorte, ein Mitglied der Nujayrí-Gemeinschaft, besser bekannt unter der Bezeichnung Alíyu'lláhí-Sekte, hat folgendes berichtet: "Nachdem wir die dritte Station auf unserer Reise nach Búshihr hinter uns hatten, begegneten wir mitten in der Wildnis einem jungen Mann, der eine grüne Schärpe und einen kleinen Turban trug, nach Art der Siyyids, die dem Kaufmannsstand angehören. Er war zu Pferd, und ihm folgte ein äthiopischer Diener, der für sein Gepäck sorgte. Als wir ihm näherkamen, grüßte er uns und fragte, was unser Ziel sei. Ich hielt es für das beste, ihm nicht die Wahrheit zu sagen, und antwortete, daß wir vom Gouverneur von Fárs in diese Gegend geschickt worden seien, um gewisse Erkundigungen einzuziehen. Er bemerkte lächelnd: »Der Gouverneur hat euch ausgesandt, Mich gefangen zu nehmen. Hier bin Ich; tut mit Mir, wie euch beliebt. Ich kam euch entgegen, um euch den Weg abzukürzen, und damit ihr Mich leichter findet.« Ich war sprachlos über diese Worte und wunderte mich über seine Aufrichtigkeit und Offenheit. Ich konnte mir seine Bereitwilligkeit, sich aus eigenem Antrieb der strengen Zucht der Regierungsbehörden auszuliefern und dabei sein Leben und seine Sicherheit aufs Spiel zu setzen, nicht erklären. Ich versuchte, ihn einfach nicht zu beachten, und machte Anstalten, weiterzureiten. Da ging er auf mich zu Und sagte: »Ich schwöre bei der Gerechtigkeit Dessen, Der den Menschen erschuf, ihn über all Seine übrigen Geschöpfe hinaushob und sein Herz zum Sitz Seiner Herrschaft und Erkenntnis gemacht hat, daß Ich Mein Leben lang kein unwahres Wort gesprochen habe, und daß Ich nie einen anderen Wunsch gehabt habe als das Wohl und den Fortschritt Meiner Mitmenschen. Ich habe Mein eigenes Wohl verschmäht und habe stets vermieden, zur Ursache des Schmerzes oder des Kummers für irgend jemanden zu werden. Ich weiß, daß du Mich suchst. Und lieber will Ich Mich selbst in deine Hand geben, als daß Ich dich und deine Gefährten unnötigen Unannehmlichkeiten um Meinetwillen aussetzte.« Diese Worte bewegten mich tief. Unwillkürlich stieg ich von meinem Pferd ab, küßte seine Steigbügel und sprach ihn an mit den Worten: `O Licht in den Augen des Propheten Gottes! Ich beschwöre dich bei Ihm, der dich erschaffen und mit solcher Erhabenheit und Kraft ausgestattet hat, erfülle meine Bitte und erhöre mein Flehen. Ich bitte dich inständig, verlasse diesen Ort und fliehe vor dem Angesicht von Husayn Khán, dem erbarmungslosen und verächtlichen Gouverneur dieser Provinz. Mir graut vor seinen Anschlägen wider dich; und ich bin empört bei dem Gedanken, daß ich zum Werkzeug für seine böswilligen Pläne gegen einen so unschuldigen und edlen Abkommen des Propheten Gottes gemacht werden soll. Meine Gefährten sind alle ehrenwerte Männer. Ihr Wort ist ihr Pfand. Sie werden sich verpflichten, deine Flucht nicht zu verraten. Ich bitte dich, begib dich zur Stadt Mashhad in Khúrásán und vermeide es, der Brutalität dieses hartherzigen Wolfes zum Opfer zu fallen.` Auf meine inständige Bitte gab Er die Antwort: »Möge der Herr, dein Gott, dir deine Großmut und deine edle Absicht vergelten. Niemand weiß um das Geheimnis Meiner Sache; niemand vermag ihre Geheimnisse zu ergründen. Nie und nimmer werde ich Mein Angesicht vom Willen Gottes abkehren. Er allein ist Meine sichere Feste, Meine Stütze und Meine Zuflucht. Bis Meine letzte Stunde da ist, wird niemand wagen, Mich anzugreifen, niemand kann den Plan des Allmächtigen vereiteln. Und wenn Meine Stunde gekommen ist, wie groß wird Meine Freude sein, wenn ich dann den Kelch des Märtyrertums in Seinem Namen leeren darf! Hier bin Ich, gib Mich in die Hände deines Herren! Fürchte dich nicht, denn niemand wird dich darum tadeln.« Ich beugte mich ihm und erfüllte seinen Wunsch."

¹ `Diese Stadt war zum Schauplatz leidenschaftlicher Auseinandersetzungen geworden, die den allgemeinen Frieden erheblich störten. Neugierige, Pilger, Sensationslüsterne gaben sich dort ein Stelldichein, besprachen die Neuigkeiten, teils zustimmend, teils ablehnend, priesen den jungen Siyyid oder überhäuften ihn mit Verwünschungen und Beleidigungen; alle Welt war gereizt, erregt und verwirrt. Die Mullás sahen mit steigender Unruhe die Zahl der Anhänger der neuen Lehre wachsen; ihre Mitglieder, und damit auch ihre Einnahmen, verminderten sich zusehends. Man mußte auf der Hut sein; weitere Duldung konnte dazu führen, daß ihre treuen Gläubigen den Moscheen fernblieben. Wenn der Islam sich nun nicht verteidigte, so gab er sich damit geschlagen. Außerdem fürchtete Husayn Khán, der Nizámu'd-Dawlih und Gouverneur von Shíráz, daß, wenn er den Dingen ihren Lauf ließe, der Skandal sich in einer Weise auswüchse, daß er sich nicht mehr unterdrücken ließe; damit riskierte er, in Ungnade zu fallen. Im übrigen begnügte sich der Báb keineswegs damit, Ansprachen zu halten. Er rief alle Menschen guten Willens dazu auf, zu ihm zu kommen. »Und wer das Wort Gottes kennt und im Augenblick der Gefahr nicht zu ihm steht, ist wahrlich dem gleich, der sich vom Bekenntnis zu Seiner Heiligkeit Husayn von Karbilá, dem Sohn Alís, abgewandt hat. Und dies sind die Gottlosen.« (Kitáb-i-Baynu'l-Haramayn) Die Vertreter der weltlichen wie die der geistlichen Interessen, Nizámu'd-Dawlih und Shaykh Abu-Turáb, der Imám Jum'ih, kamen überein, daß man dem Neuerer eine Beleidigung zufugen müsse, die ihn in den Augen der Bevölkerung herabsetzte. Vielleicht gelang es dadurch, die ganze Sache niederzuschlagen.` (A.L.M.Nicolas, Siyyid Alí-Muhammad dit le Báb p.229-30)


+8:9 #183

Der Báb setzte unverzüglich Seine Reise nach Shíráz fort. Frei und ungefesselt ging Er vor Seiner Eskorte her, die Ihm in achtungsvoller und ergebener Haltung folgte. Durch den Zauber Seiner Worte hatte Er die Feindseligkeit Seiner Häscher völlig entwaffnet und ihren stolzen Hochmut in Demut und Liebe verwandelt. Als sie die Stadt erreicht hatten, begaben sie sich sofort zum Sitz der Regierung. Wer die Reiterschar so durch die Straßen ziehen sah, war unwillkürlich verwundert über dieses höchst ungewöhnliche Schauspiel. Husayn Khán wurde sofort vom Eintreffen des Báb in Kenntnis gesetzt und er befahl Ihn vor sich. Er empfing Ihn mit der größten Unverschämtheit, und hieß Ihn auf einem Sitz mitten im Raum ihm gegenüber Platz zu nehmen. Er schalt Ihn öffentlich und tadelte mit Schimpfworten Sein Verhalten. `Hast du überhaupt gemerkt`, schrie er ärgerlich, `was für ein Unheil du da angerichtet hast? Weißt du denn, zu was für einer Schande du für den heiligen Glauben des Islam und für die erlauchte Person unseres Herrschers geworden bist? Bist du nicht der Mann, der der Künder einer neuen Offenbarung zu sein behauptet, welche die geheiligten Vorschriften des Qur'án aufhebt?` Der Báb erwiderte ruhig: »Wenn ein böser Mensch mit einer Nachricht zu euch kommt, dann klärt die Angelegenheit sofort, damit ihr nicht durch Unwissenheit andere betrübt und bald bereuen müßt, was ihr getan habt.« (Qur'án 49:6) Diese Worte versetzten Husayn Khán in rasende Wut. `Was `, schrie er, `du wagst auch noch, uns Bosheit, Unwissenheit und Dummheit zuzuschreiben?` Er wandte sich zu seinem Diener und hieß ihn, den Báb ins Gesicht zu schlagen. Der Schlag war so heftig, daß der Turban des Báb zu Boden fiel. Shaykh Abu-Turáb, der Imám-Jumíh von Shíráz, der auch anwesend war, und der das Betragen von Husayn Khan scharf mißbilligte, gab Weisung, daß man dem Báb Seinen Turban wieder aufs Haupt setze, und lud Ihn ein, an seiner Seite Platz zu nehmen. Der Imám-Jumíh wandte sich hierauf an den Gouverneur und setzte ihm die näheren Umstände auseinander, welche zu der Offenbarung des vom Báb zitierten Qur'án-Verses geführt hatten, und versuchte damit seine Wut zu dämpfen. "Dieser Vers, den dieser Jüngling zitiert hat", sagte er zu ihm, "hat einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Und ich meine auch, es wäre das Klügste, sich mit großer Sorgfalt mit dieser Angelegenheit zu befassen und sie anhand der Vorschriften im heiligen Buch zu beurteilen." Husayn Khán war gern damit einverstanden, worauf Shaykh Abu-Turáb den Báb nach der Art und dem Charakter Seiner Offenbarung befragte. Der Báb verneinte, daß Er den Anspruch erhebe, der Stellvertreter des verheißenen Qá'im zu sein, noch der Mittler zwischen Ihm und den Gläubigen. "Wir sind vollauf zufrieden", antwortete der Imám-Jumíh; "wir möchten dich bitten, am Freitag in die Masjid-i-Vakíl zu kommen und dort selbst deine Abrede öffentlich bekanntzugeben." Als Shaykh Abu-Turáb sich erhob, um sich zu verabschieden mit der Hoffnung, daß die Dinge hiermit zum Abschluß kämen, da mischte sich Husayn Khán nochmals ein und sagte: `Wir sollten eine Person von anerkanntem Ruf bestimmen, die für ihn bürgt und schriftlich ihr Wort verpfändet, daß dieser Jüngling, wenn er in Zukunft jemals wieder mit Wort oder Tat den Versuch machen sollte, den Interessen des Glaubens des Islám oder der Regierung des Landes zu schaden, unverzüglich uns ausgeliefert und unter allen Umständen für sein Verhalten zur Rechenschaft gezogen wird.` Hájí Mírzá Siyyid Alí, der bei dieser Zusammenkunft anwesende Onkel des Báb, erklärte sich damit einverstanden, Bürge für seinen Neffen zu sein. Er schrieb diese Bürgschaft eigenhändig nieder, versah sie mit seinem Siegel, ließ sie durch die Unterschrift einer Anzahl Zeugen bestätigen und übergab sie dem Gouverneur, worauf Husayn Khán anordnete, daß der Báb der Obhut Seines Onkels anvertraut werden solle, unter der Bedingung, daß Hájí Mírzá Siyyid Alí den Báb, wann immer der Gouverneur es für ratsam hielte, unverzüglich ausliefere.


+8:10 #184

Hájí Mírzá Siyyid Alí geleitete den Báb mit dankerfülltem Herzen zu Seinem Heim und übergab Ihn der liebevollen Fürsorge Seiner verehrten Mutter. Er freute sich über die Wiedervereinigung der Familie und fühlte sich erleichtert, daß sein lieber und teurer Verwandter den Klauen jenes boshaften Tyrannen entrissen war. In der Stille Seines eigenen Heims führte der Báb für eine Zeit ein Leben ungestörter Zurückgezogenheit. Niemand außer Seiner Frau, Seiner Mutter und Seinen Onkeln hatte irgendwelchen Umgang mit Ihm. Inzwischen drängten die Unheilstifter eifrig Shaykh Abu-Turáb, daß er den Báb auffordere, in die Masjid-i-Vakíl zu kommen und Sein Versprechen zu erfüllen.

+8:11

Shaykh Abu-Turáb war als ein sehr liebenswürdiger Mann bekannt, der in Art und Temperament eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der Wesensart des verstorbenen Mírzá Abu'l-Qásim, dem Imám-Jum'ih von Tihrán, hatte. Er vermied es peinlich, Menschen von Stand mit Verachtung zu behandeln, zumal, wenn sie Einwohner von Shíráz waren. Er hielt dies für eine selbstverständliche Pflicht und hielt sich gewissenhaft daran, weshalb er sich auch bei der Einwohnerschaft jener Stadt allgemeiner Wertschätzung erfreute. Er versuchte darum auch durch ausweichende Antworten und mehrfaches Hinauszögern den Unwillen der Menge zu besänftigen. Er mußte jedoch sehen, wie die Aufwiegler alles daransetzten, das Gefühl der allgemeinen Entrüstung, das die Massen beseelte, zu schüren. Schließlich sah er sich doch genötigt, an Hájí Mírzá Siyyid Alí ein vertrauliches Schreiben zu richten, in dem er ihn ersuchte, am Freitag den Báb zur Vakíl-Moschee mitzubringen, damit Er das gegebene Versprechen einlöse. "Meine Hoffnung ist", fügte er hinzu, "daß mit Gottes Hilfe die Darlegungen deines Neffen die gespannte Lage auflockern möchten und Ruhe bei dir wie bei mir wieder einkehre."

+8:12

Der Báb kam in Begleitung von Hájí Mírzá Siyyid Alí gerade in dem Augenblick zur Moschee, als der Imám-Jum'ih eben die Kanzel bestieg und sich zu seiner Predigt anschickte. Als sein Blick auf den Báb fiel, hieß er Ihn öffentlich willkommen, bat Ihn, die Kanzel zu besteigen und forderte Ihn auf, zu den Anwesenden zu sprechen. Der Báb kam seiner Einladung nach, ging auf ihn zu und schickte sich an, auf der ersten Stufe zur Kanzel stehend zu. den Menschen zu sprechen. `Komm höher herauf`, unterbrach Ihn der Imám-Jum'ih. Seinem Wunsche nachzukommen, stieg der Báb zwei Stufen weiter hinauf. Als Er dort stand, verdeckte Sein Haupt gerade die Brust von Shaykh Abu-Turáb, der zuoberst auf der Kanzel stand. Als Vorbereitung für Seine öffentliche Erklärung begann Er mit einigen Einleitungssätzen. Kaum hatte Er die Eröffnungsworte gesprochen: »Preis sei Gott, der wahrlich den Himmel und die Erde erschaffen hat«, als ein gewisser Siyyid, bekannt als Siyyid-i-Shish-Part, der die Aufgabe hatte, vor dem Imäm-rumih das Amtszeichen herzutragen, frech dazwischenschrie: `Hör auf mit dem dummen Gewäsch! Erkläre jetzt und sofort, was du zu sagen vorhast.` Der Imám-Jum'ih war sehr verärgert über die rüpelhafte Bemerkung des Siyyid. "Halte dich zurück!" verwies er ihn, "und schäme dich deiner Frechheit." Dann wandte er sich dem Báb zu und bat Ihn, sich kurz zu fassen, damit die Leute sich beruhigten. Der Báb blickte auf die Versammlung und erklärte: »Das Verdammungsurteil Gottes komme über den, der Mich als einen Stellvertreter des Imám oder das Tor hierfür ansieht. Das Verdammungsurteil Gottes komme auch über jeden, der von Mir behauptet, Ich hätte die Einheit Gottes verleugnet, ich hätte die Prophetenschaft Muhammads, des Siegels der Propheten, angetastet oder die Wahrheit irgendeines Gottesboten der Vergangenheit geleugnet, oder Ich hätte Alí, dem Oberhaupt der Gläubigen oder irgendeinem der nachfolgenden Imáme die Anerkennung der Führerschaft abgesprochen!« Er stieg dann vollends bis zur Kanzel hinauf, umarmte den Imám-Jumih und gesellte sich dann, zum Boden der Moschee hinabsteigend, zur Verrichtung des Freitagsgebets unter die Gemeinde. Der Imám-Jumih jedoch bat Ihn, sich zurückzuziehen. "Deine Familie", sprach er, "wartet besorgt auf deine Rückkehr. Alle sind in Sorge, es könnte dir etwas zugestoßen sein. Geh zurück nach Hause und verrichte dort dein Gebet; solches Tun dürfte von größerem Wert sein vor dem Angesicht Gottes." Er bat desgleichen Hájí Mírzá Siyyid Alí, seinen Neffen nach Hause zu begleiten. Shaykh Abu-Turáb hielt diese Vorsichtsmaßnahme für geraten aus der Sorge heraus, daß nach dem Auseinandergehen der Gemeinde ein paar Übelgesinnte aus der Menge weiter versuchen könnten, dem Báb Schaden zuzufügen oder Sein Leben zu bedrohen. Ohne die Klugheit, das Wohlwollen und die sorgsame Wachsamkeit, die der Imám-Jumi'h bei mehrfachen Anlässen so fürsorglich walten ließ, hätte sich das aufgehetzte Volk zweifellos zu den übelsten Ausschreitungen hinreißen lassen. Es schien so, als wäre er das Werkzeug einer unsichtbaren Hand gewesen, dazu bestimmt, sowohl die Person jenes Jünglings wie auch Seine Sendung zu schützen.¹

¹ `Im Anschluß an diesen öffentlichen Auftritt, der durch die Dummheit der Mullás heraufbeschworen worden war und ihm viele Anhänger gewonnen hatte, nahmen die Unruhen in allen Provinzen Persiens gewaltig zu. Die Auseinandersetzungen nahmen ein so gefährliches Ausmaß an, daß Muhammad Sháh einen Mann nach Shíráz entsandte, der sein volles Vertrauen besaß, und der ihm über alles, was er gesehen und gehört hatte, berichten sollte. Dieser Gesandte war Siyyid Yahyáy-i-Dárábí. (A.L.M.Nicolas, Siyyid Alí-Muhammad dit le Báb p.232-233)



#186 (Bildlegende - Inneres der Masjid-i-Vakíl)
#187 (zwei Bildlegenden - Masjid-i-Vakíl in Shíráz - Eingang & Kanzel, von der aus der Báb sprach)


+8:13

Der Báb kam wieder nach Hause, und es war Ihm besahieden, für einige Zeit in der Zurückgezogenheit Seines Heims im Kreise Seiner Familie und Seiner Verwandten ein relativ ruhiges Leben zu führen. In jenen Tagen feierte Er das Herannahen des ersten Naw-Rúz-Festes nach der Erklärung Seiner Sendung. Dieses Fest fiel in jenem Jahr auf den zehnten Tag des Monats Rabí'u'l-Avval 1261 d.H (März 1845)


+8:14 #188

Einige von denen, die dem denkwürdigen Ereignis in der Vakíl-Moschee beigewohnt und den Darlegungen des Báb zugehört hatten, waren tief beeindruckt von der meisterhaften Art, mit der jener Jüngling ohne Hilfe und ganz von Sich aus es fertig hatte, Seine schlimmen Gegner zum Schweigen zu bringen. Bald darauf ist jeder von ihnen dahin geführt worden, die Wirklichkeit Seiner Sendung zu begreifen und die Herrlichkeit zu erkennen. Unter ihnen war auch Shaykh Alí Mírzá, der Neffe jenes Imám-Jum'ih, ein junger Mann, der eben erst volljährig geworden war. Die Saat, die in sein Herz gesenkt worden war, ging auf und entfaltete sich, und im Jahre 1267 d.H. (1850/51) wurde ihm das Vorrecht zuteil, im Iráq Bahá'u'lláh zu begegnen. Diese Begegnung erfüllte ihn mit Begeisterung und Freude. Wie neugeboren kehrte er in seine Heimat zurück und nahm dort mit doppelter Energie seine Arbeit für den Glauben wieder auf. Von diesem Jahr ab hat er bis auf den heutigen Tag an seiner Aufgabe gewirkt und sich Achtung erworben durch seinen aufrechten Charakter und seine bedingungslose Ergebenheit gegenüber seiner Regierung und seinem Land. Unlängst erreichte ein an Bahá'u'lláh gerichteter Brief von ihm das Heilige Land, in dem er seine tiefe Genugtuung darüber zum Ausdruck bringt, daß die Sache in Persien solche Fortschritte macht. "Ich bin von Staunen erfüllt", schreibt er, "wenn ich sehe, wie die unbesiegbare Macht Gottes sich unter dem Volk meines Landes kundtut, in einem Land, das jahrelang den Glauben so wütend verfolgt hat. Ein Mann, der vierzig Jahre lang in ganz Persien als Bábí bekannt war, ist zum alleinigen Schiedsrichter gemacht worden in einer Streitfrage, in die auf der einen Seite der Zillu's-Sultán, der tyrannische Sohn des Sháh und ein geschworener Feind der Sache, und auf der anderen Seite Mírzá Fatb-'Alí Khán, der Sáhib-i-Díván, verwickelt sind. Es ist öffentlich bekanntgegeben worden, daß, was immer der Schiedsspruch dieses Bábí sei, derselbe vorbehaltlos von beiden Parteien anzunehmen und unverzüglich zu befolgen sei."

+8:15

Ein gewisser Muhammad-Karím, der sich auch an jenem Freitag unter der Gemeinde befand, fühlte sich gleichfalls von dem Verhalten des Báb bei jener Begebenheit angezogen. Was er damals sah und hörte, war ihm Anlaß, sich sofort zu Ihm zu bekennen. Die Verfolgungen vertrieben ihn aus Persien nach dem Iráq, wo er in der Gegenwart Bahá'u'lláhs mehr und mehr sein Verständnis für den Glauben vertiefte. Von Ihm erhielt er später den Auftrag, nach Shíráz zurückzukehren und sich mit allen Kräften um die Verbreitung der Sache zu bemühen. Dort blieb er und arbeitete bis an sein Lebensende.

+8:16 #189

Ein anderer war Mírzá Aqáy-i-Rikáb-Sáz. Er wurde an jenem Tag von einer solchen Zuneigung zum Báb erfaßt, daß keine noch so schwere und anhaltende Verfolgung seine Überzeugung ins Wanken bringen oder den Glanz seiner Liebe verdunkeln konnte. Auch er kam im Iráq mit Bahá'u'lláh zusammen. Als Antwort auf die Fragen, die er zur Auslegung der unzusammenhängenden Buchstaben im Qur'án und zur Bedeutung der Verse von Núr stellte, wurde ihm die Gunst eines besonderen schriftlichen Tablets zuteil, geoffenbart durch die Feder Bahá'u'lláhs. Auf Seinem Pfad erlitt er später den Märtyrertod.

+8:17

Auch Mírzá Rahím-i-Khabbáz gehörte zu ihnen. Er zeichnete sich aus durch seinen furchtlosen und feurigen Eifer. Bis zu seiner Todesstunde ließ er nicht nach in seinen Bemühungen.

+8:18

Hájí Abúl-Hasan-i-Bazzáz, ein Reisegefährte des Báb auf Seiner Pilgerfahrt nach Hijáz, der bis dahin von der überwältigenden Majestät Seiner Sendung nur unklare Vorstellungen hatte, erlebte an jenem denkwürdigen Freitag eine tiefe Erschütterung und wurde völlig verwandelt. Ihn ergriff eine solche Liebe zum Báb, daß ihm die Tränen einer grenzenlosen Hingabe übers Gesicht liefen. Alle, die ihn kannten, bewunderten sein aufrechtes Verhalten und priesen seine Güte und Offenheit. Er wie auch seine beiden Söhne haben durch ihre Taten die Standhaftigkeit ihres Glaubens bewiesen und haben sich die Hochachtung ihrer Glaubensgenossen erworben.

+8:19

Und noch einer, der an jenem Tag die bezaubernde Wirkung, die vom Báb ausging, verspürte, war der verstorbene Hájí Muhammad-Bisát, ein in den metaphysischen Lehren des Islam wohlbewanderter Mann und ein großer Bewunderer von Shaykh Ahmad und Siyyid Kázim. Er hatte ein freundliches Gemüt und viel Sinn für Humor. Er hatte die Freundschaft des Imám-Jum'ih gewonnen, stand mit ihm in enger Verbindung und war treuer Teilnehmer am gemeinsamen Freitags-Gebet.

+8:20 #190

Das Naw-Rúz-Fest jenes Jahres, welches das Herannahen eines neuen Frühlings ankündigte, war auch ein Symbol für jene geistige Wiedergeburt, deren erste Regungen man überall im ganzen Land verspüren konnte. Eine Reihe der Bedeutendsten und Gelehrtesten unter dem Volk jenes Landes erwachte aus der winterlichen Ode und Verschlafenheit und wurde erweckt von dem wiederbelebenden Odem der neugeborenen Offenbarung. Die Saat, welche die Hand der Allmacht in ihre Herzen gesenkt hatte, keimte auf und brachte herrlich duftende Blüten hervor.¹ Als der Hauch Seiner liebevollen Güte und zärtlichen Gnade über diese Blüten hinwehte, breitete sich die alles durchdringende Kraft ihres Duftes weithin über das ganze Land aus. Er drang über die Grenzen von Persien hinaus. Er erreichte Karbilá und erfüllte die Seelen derer, die darauf warteten, daß der Báb in ihre Stadt zurückkehre, mit neuem Leben. Bald nach Naw-Rúz erreichte sie über Basrih ein Schreiben, in dem der Báb, der ursprünglich beabsichtigt hatte, den Rückweg von Hijáz nach Persien über Karbilá zu nehmen, sie von der Änderung Seines Planes unterrichtete, derzufolge Er Sein Versprechen nicht einlösen könne. Er wies sie an, nach Isfáhán zu gehen und dort weitere Weisungen abzuwarten. »Sollte es sich als ratsam erweisen«, fügte Er hinzu, »dann werden Wir euch auffordern, nach Shíráz zu gehen; wenn nicht, dann wartet in Isfáhán, bis Gott euch Seinen Willen und Seine Führung kundtun wird.«

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¹ die folgende Fußnote besteht aus mehreren Passagen über volle zwei Seiten:

`Wie dem auch sei, der Eindruck, den Er in Shíráz hervorrief, war ungeheuer, und die ganze Gelehrtenwelt und Geistlichkeit drängte sich um Alí-Muhammad. Sobald er sich in der Moschee zeigte, wurde er umringt. Sowie er sich auf seinem Stuhl niederließ, wurde es still, um ihm zu lauschen. Er griff in seinen öffentlichen Ansprachen niemals die Grundlehren des Islám an, und respektierte weitgehend seine Formen. Der Kitmán hatte Vorrang. Trotzdem waren es kühne Reden. Die Geistlichkeit wurde dabei keineswegs geschont, ihre Fehler wurden grausam gegeißelt. Die traurigen und schmerzlichen Geschicke der Menschheit waren dabei das Hauptthema, dann und wann streute er gewisse Anspielungen ein, deren Dunkelheit bei den einen eine leidenschaftliche Neugier erregte, bei den anderen, die bereits ganz oder teilweise eingeweiht waren, dem Stolz schmeichelten. Sie verliehen seinen Ansprachen eine Würze und Schärfe, was mit sich brachte, daß seine Zuhörerschaft täglich wuchs und man anfing, in ganz Persien von Alí-Muhammad zu reden.`

`Kaum hatten die Mullás von Shíráz die umherschwirrrenden Gerüchte vernommen, als sie sich auch schon gegen diesen jungen Lästerer zusammentaten. Von seinem ersten öffentlichen Auftreten an hatten sie die Gewandtesten unter ihnen zu ihm geschickt, damit sie gegen ihn aufträten und ihn in Widersprüche verwickelten. Dieser öffentliche Wettstreit, der sich teils in den Moscheen, teils in den Hochschulen in Anwesenheit des Gouverneurs, hoher Militärs, der Geistlichkeit, des Volkes, vor jedermann schließlich, abspielte, trug nicht wenig dazu bei, den Ruf des jungen Enthusiasten auf ihre Kosten noch auszubreiten und zu erhöhen. Es steht fest, daß er seine Widersacher besiegte; mit dem Qur'án in der Hand sprach er ihnen, was nicht sehr schwierig war, ihr Urteil. Es war ihm ein Kinderspiel, angesichts der Massen, die ihn sehr wohl kannten, aufzuzeigen, wie sehr ihr Verhalten, ihre Vorschriften, ja selbst ihre Dogmen in offensichtlichem Widerspruch mit dem Heiligen Buch, das sie ja nicht ablehnen konnten, standen.`

`Mit einer Kühnheit und einem Feuer ohnegleichen brandmarkte er schonungslos, ungeachtet jeglicher herkömmlicher Konventionen, die Fehler seiner Gegner und warf ihnen, nachdem er ihnen nachgewiesen hatte, daß sie den Lehren untreu waren, ihren Lebenswandel vor und gab sie dem Unwillen und der Verachtung der Zuhörer preis.`

`Die Vorgänge in Shíráz, die den Auftakt zu seinen Ansprachen bildeten, waren so zutiefst erschütternd, daß die noch orthodoxen Muslime, die ihnen beiwohnten, sie unauslöschlich in ihrem Gedächtnis bewahrt haben und davon nur mit einer Art Schrecken sprechen. Sie geben einmütig zu, daß die Redegewandtheit von Alí-Muhammad unvergleichlich und unvorstellbar war, wenn man dessen nicht selbst Zeuge war. Bald konnte man den jungen Gottesstreiter in der Öffentlichkeit nur noch umringt von einer beträchtlichen Zahl von Anhängern sehen. sein Haus war stets voll von ihnen. Er lehrte nicht nur in den Moscheen und in den Hochschulen sondern vor allem auch in seinem Heim; und wenn er sich des Abends mit der Elite seiner Bewunderer in ein Zimmer zuruckgezogen hatte, lüftete er vor ihnen die Schleier einer Lehre, die noch nicht einmal für ihn selbst voll ausgestaltet war.`

`Es hat den Anschein, daß ihn anfangs der polemische Teil viel mehr beschäftigte als der dogmatische, und nichts ist natürlich:r als das. Bei diesen geheimen Zusammenkünften steigerten sich seine Kühnheiten von Tag zu Tag, viel mehr noch als in der Öffentlichkeit, und sie trieben so offensichtlich einer völligen Wandlung des Islám zu, daß sie durchaus zur Einführung eines neuen Glaubensbekenntnisses geeignet erschienen. Die kleine Gemeinde glühte vor Eifer, war hingerissen, zu allem bereit, fanatisiert im wahrsten Sinn des Wortes und über dessen Bedeutung hinaus, das heißt, jeder einzelne achtete sich selbst für nichts und brannte nur darauf, Gut und Blut für die Sache der Wahrheit hinzugeben.` (Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosephies dans l'Asie Centrale p.120/122)

`Der Báb begann nunmehr eine Gruppe ergebener Anhänger um sich zu scharen. Es
scheint, daß er sich durch außergewöhnliche Einfachheit auszeichnete, durch eine einnehmende Güte und einen wundervollen Liebreiz in seiner Erscheinung. Die Menschen waren tief beeindruckt von seinem Wissen und seiner eindringlichen Redegewandtheit. Seine Schriften wurden, obgleich sie Gobineau schwerfällig erschienen, von den Persern sehr bewundert ob ihrer Schönheit und ihres eleganten Stils; sie erregten in Shíráz ein ungeheures Aufsehen. Sobald er die Moschee betrat, war er von allen Seiten umringt, und sobald er die Kanzel bestieg, herrschte Stille.` (Sir Francis Younghusband, The Gleam p.194)

`Die Moral, die von einem jungen Mann gepredigt wird, der in einem Alter steht, wo die Leidenschaften kochen, wirkt außerordentlich auf eine Zuhörerschaft, die sich aus Menschen zusammensetzt, die bis zum Fanatismus religiös sind, zumal, wenn die Worte des Redners absolut im Einklang mit seinen Taten stehen. Niemand zweifelte weder an der Enthaltsamkeit noch an der Strenge des Karbilá'í Siyyid Alí-Muhammad: er sprach wenig, war immer verträumt und mied meist die Menschen, was deren Neugier noch steigerte; überall fragte man nach ihm.` (Journal Asiatique 1866 Band 7 p.341)

`Durch seinen moralischen Lebenswandel war der junge Siyyid für seine ganze Umgebung ein Vorbild. Man hörte auch gern, wenn er in doppelsinnigen und treffsicheren Reden gegen die Mißstände auftrat, die in allen Klassen der Gesellschaft herrschen. Man wiederholte seine Worte und führte sie noch näher aus; man sprach von ihm als von einem wahren Lehrer und vertraute sich ihm vorbehaltlos an.` (Journal Asiatique 1866 Band 7 p.341)

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+8:21 #191

Diese unerwartete Nachricht rief bei denen, die begierig auf die Ankunft des Báb in Karbilá gewartet hatten, große Bestürzung hervor. Es erregte ihre Gemüter und bedeutete eine Prüfung für ihre Treue. "Was ist mit dem Versprechen, das Er uns gab?" flüsterten einige Unzufriedene unter ihnen. "Hält Er den Bruch Seines Versprechens für ein Eingreifen des göttlichen Willens?" Im Gegensatz zu diesen Wankelmütigen wurden die anderen nur noch standhafter in ihrem Glauben und hingen der Sache umso entschlossener an. ihrem Meister getreu, kamen sie freudig Seiner Aufforderung nach und ließen alles Tadeln und Protestieren derer, die in ihrem Glauben gestrauchelt waren, völlig unbeachtet. Sie machten sich auf den Weg nach Isfáhán, fest entschlossen, das zu tun, was immer der Wunsch und Wille ihres Geliebten sei. Einige der anderen Gefährten, obgleich schwer in ihrem Glauben erschüttert, schlossen sich ihnen an, ihre Gefühle verbergend. Mírzá Muhammad-Alíy-i-Nahrí, dessen Tochter später die Ehe mit dem Größten Heiligen Zweig einging, und Mírzá Hádí, der Bruder von Mírzá Muhammad-Alí, beide Einwohner von Isfáhán, waren unter den Gefährten, deren Vorstellung von der Herrlichkeit und Erhabenheit des Glaubens durch die Schwarzseherei der bösen Einflüsterer nicht getrübt werden konnte. Ferner gehörte zu ihnen ein gewisser Muhammad-i-Haná-Sáb, ebenfalls ein Einwohner von Isfáhán, der heute als Diener im Hause von Bahá'u'lláh lebt. Eine Anzahl dieser treuen Gefährten des Báb hat an dem großen Kampf von Shaykh Tabarsí teilgenommen und ist wunderbarerweise dem tragischen Geschick ihrer gefallenen Brüder entkommen.

+8:22 #192

Auf ihrem Weg nach Isfáhán trafen sie in Kangávar Mullá Husayn mit seinem Bruder und seinem Neffen, die bei seinem früheren Besuch in Shíráz seine Gefährten waren; sie befanden sich auf der Reise nach Karbilá. Hoch erfreut über dieses unerwartete Zusammentreffen, baten sie Mullá Husayn, er möge doch seinen Aufenthalt in Kangávar verlängern, womit er bereitwillig einverstanden war. Mullá Husayn leitete, solange er in jener Stadt weilte, für die Gefährten des Báb das gemeinsame Freitagsgebet und genoß eine so hohe Achtung und Verehrung bei seinen Mitjüngern, daß ein Teil der dort Anwesenden, die später in Shíráz ihre Untreue gegenüber dem Glauben an den Tag legten, von Neid erfüllt wurden. Zu ihnen gehörten Mullá Javád-i-Baraghání und Mullá Abdu'l-'Alíy-i-Harátí, die beide Unterwerfung unter die Offenbarung des Báb heuchelten in der Hoffnung, dabei ihren Ehrgeiz nach Führerschaft befriedigen zu können. Sie waren beide insgeheim bemüht, die beneidenswerte Stellung, die Mullá Husayn erlangt hatte, zu untergraben. Durch Anspielungen und Einflüsterungen versuchten sie unausgesetzt, seine Autorität ins Wanken zu bringen und seinen Namen zu verunglimpfen.

+8:23

Ich habe gehört, wie Mírzá Ahmad-i-Kátib, damals besser als Mullá Abdu'l-Karím bekannt, welcher der Reisegefährte von Mullá Javád aus Qazvín war, folgendes erzählte: "Mullá Javád hat in seinen Gesprächen mit mir oft auf Mullá Husayn angespielt. Seine wiederholten herabsetzenden Bemerkungen, die er in kunstvolle Redewendungen einhüllte, veranlaßten mich schließlich, die Verbindung mit ihm zu lösen. Sooft ich aber den Entschluß faßte, meinen Umgang mit Mullá Javád aufzugeben, hinderte mich Mullá Husayn daran. Er riet mir, als er meine Absicht erkannte, Geduld mit ihm zu haben. Mullá Husayns Umgang mit den treuen Gefährten des Báb hat viel zu ihrem Eifer und ihrer Begeisterung beigetragen. Durch sein Beispiel wurden sie belehrt, und sie waren versunken in Bewunderung für die glänzenden Gaben des Geistes und des Herzens, welche diesen hervorragenden Mitjünger auszeichneten."

+8:24 #193

Mullá Husayn beschloß, sich seinen Freunden anzuschließen und mit ihnen nach Isfáhán zu reisen. Er wanderte allein, etwa ein Farsakh¹ seinen Gefährten voraus. Sobald er bei Einbruch der Dämmerung stehenblieb, sein Gebet zu verrichten, wurde er von ihnen eingeholt und beendete mit ihnen zusammen seine Andacht. Als erster pflegte er zur Weiterreise aufzubrechen, worauf er wiederum mit jener frommen Schar vereint wurde, wenn er zur Stunde der Dämmerung den Marsch unterbrach, um sein Gebet zu sprechen. Nur wenn seine Freunde ihn dazu drängten, ließ er sich herbei, die Form der gemeinschaftlichen Andacht einzuhalten. Bei solchen Gelegenheiten überließ er sich zuweilen der Leitung eines seiner Gefährten. Die Ergebenheit, die er in ihren Herzen wachgerufen hatte, war so groß, daß einige seiner Reisegefährten von ihren Pferden abstiegen und sie denen anboten, die zu Fuß gingen, und selber hinterherwanderten, ungeachtet der Mühen und Anstrengungen des Fußmarsches.

¹ Wegmaß ; vgl. Worterklärung im Anhang


+8:25

Als sie in die Außenbezirke von Isfáhán kamen, hatte Mullá Husayn Sorge, daß die plötzliche Ankunft einer so großen Menschengruppe bei den Einwohnern Verdacht und Neugier erregen könnte, und riet seinen Begleitern, sich zu verteilen und in kleinen, unverdächtigen Gruppen durch die Tore zu gehen. Wenige Tage nach ihrer Ankunft erreichte sie die Kunde, daß in Shíráz große Erregung herrsche, daß jede Art Fühlungnahme mit dem Báb verboten und ihr geplanter Besuch in dieser Stadt mit größter Gefahr verbunden sei. Mullá Husayn, völlig ungerührt von dieser überraschenden Nachricht, beschloß, nach Shíráz zu gehen. Nur wenige seiner vertrauten Gefährten machte er mit dieser Absicht bekannt. Er legte seine Gewänder und seinen Turban ab und verkleidete sich mit Jubbih und Kuláh¹ der Leute von Khurásán als ein Reiter von Hizárih und Qúchán und brach, begleitet von seinem Bruder und seinem Neffen, zu einer ganz unerwarteten Zeit zur Stadt seines Geliebten auf. Als er sich dem Stadttor näherte, gab er seinem Bruder den Auftrag, in tiefer Nacht zum Haus des Onkels des Báb zu gehen und ihn zu bitten, den Báb von seiner Ankunft zu unterrichten. Mullá Husayn erhielt am nächsten Tag die willkommene Nachricht, daß Hájí Mírzá Siyyid Alí ihn eine Stunde nach Sonnenuntergang vor dem Stadttor erwarte. Mullá Husayn traf ihn zur festgesetzten Stunde und wurde von ihm zu seiner Wohnung geführt. Mehrere Male beehrte der Báb zur Nachtzeit jenes Haus mit Seiner Gegenwart und blieb dort bis Tagesanbruch in vertrauter Gesellschaft mit Mullá Husayn. Bald darauf erlaubte Er Seinen Gefährten, die in Isfáhán zusammengekommen waren, sich allmählich nach Shíráz zu begeben und dort zu warten, bis es Ihm möglich sein würde, mit ihnen zusammenzutreffen. Er legte ihnen ans Herz, größte Vorsicht walten zu lassen, riet ihnen, immer nur zu wenigen durchs Tor zu gehen, und wies sie an, sich gleich nach ihrer Ankunft über die Stadtteile, die für Reisende vorgesehen waren, zu verteilen und dort irgendeine Beschäftigung anzunehmen, die sich ihnen bot.

¹ Überrock und Lammfell, weltliche Tracht


+8:26 #194

Die erste Gruppe, die wenige Tage nach der Ankunft von Mullá Husayn in die Stadt kommen und dort den Báb treffen sollte, bestand aus Mírzá Muhammad-Alíy-i-Nahrí und Mírzá Hádr, seinem Bruder, Mullá Abdu'l-Karím-i-Qazvíní, Mullá Javád-i-Baraghání, Mullá Abdu'l-'Alíy-i-Harátí und Mírzá Ibráhim-i-Shírází. Im Verlauf des Beisammenseins mit Ihm verrieten die letzten drei der Gruppe allmählich ihres Herzens Blindheit und offenbarten die Niedrigkeit ihres Charakters. Die vielfältigen Beweise wachsenden Wohlwollens des Báb gegenüber Mullá Husayn erregten ihren Ärger und schürten das glimmende Feuer ihrer Eifersucht. In ihrer ohnmächtigen Wut griffen sie zu den verabscheungswürdigen Waffen der Lüge und der Verleumdung. Unfähig, ihre Feindseligkeit gegen Mullá Husayn offen zu zeigen, versuchten sie durch heimliche Schliche die Gemüter zu verwirren und die Zuneigung seiner ergebenen Bewunderer zu dämpfen. Ihr unziemliches Verhalten entfremdete sie den Gläubigen und führte rasch zu ihrer Absonderung von der Schar der Getreuen. Durch ihre eigene Handlungsweise aus den Armen des Glaubens vertrieben, verbanden sie sich mit seinen geschworenen Feinden und erklärten ihre völlige Verwerfung seiner Ansprüche und Grundsätze. Das Unheil, das sie unter den Bewohnern jener Stadt anrichteten, war so groß, daß sie schließlich von den Behörden, die ihre Ränke ebenso ablehnten und fürchteten, ausgewiesen wurden. Der Báb hat sie in einem Tablet, in dem Er ausführlich ihre Machenschaften und Untaten erörtert, mit dem Kalb von Sámirí verglichen, einem Kalb, das weder eine Stimme noch eine Seele hatte, und das zugleich das verabscheungswürdige Machwerk und der Gegenstand der Anbetung eines launischen Volkes war. »Möge Dein Fluch, o Gott«, so schrieb Er in bezug auf Mullá Javád und Mullá Abdu'l-'Alí, » auf Jibt und Tághút¹, dem zwiefachen Idol dieses verderbten Volkes, lasten.« Alle drei begaben sich später nach Kirmán und machten gemeine Sache mit Hájí Mírzá Muhammad Karím Khán, dessen Pläne sie förderten. Sie gaben sich alle Mühe, seinen Verleumdungen noch mehr Nachdruck zu verleihen.

¹ Qur'án 4:51


+8:27 #195

Nach ihrer Ausweisung aus Shíráz wandte sich der Báb eines Nachts im Heim von Hájí Mírzá Siyyid Alí, wohin Er Mírzá Muhammad-'Alíy-i-Nahrí, Mírzá Hádí und Mullá Abdu'l-Karím-i-Qazvíní zu einer Zusammenkunft geladen hatte, plötzlich an den letztgenannten und sprach: »Abdu'l-Karím, suchst du nach der Manifestation?« Diese ruhig und sehr sanft gesprochenen Worte hatten eine bestürzende Wirkung auf ihn. Er erblaßte bei der plötzlichen Frage und brach in Tränen aus. In höchster Erregung warf er sich dem Báb zu Füßen. Der Báb schloß ihn liebevoll in Seine Arme, küßte seine Stirn und lud ihn ein, an Seiner Seite Platz zu nehmen. Mit Worten zärtlicher Zuneigung gelang es Ihm, den Aufruhr in seinem Herzen wieder zu beruhigen.

+8:28 #196

Sobald sie wieder zu Hause angelangt waren, fragten Mírzá Muhammad-'Alí und sein Bruder den Mullá Abdu'l-Karím nach dem Grund der heftigen Erregung, die ihn plötzlich befallen hatte. "Hört zu", antwortete er, "ich will euch die Geschichte eines seltsamen Erlebnisses erzählen, das ich bisher noch niemandem mitgeteilt habe. Als ich mündig wurde, ich lebte damals in Qazvín, hatte ich ein tiefes Verlangen darnach, das Mysterium Gottes zu entdecken und das Wesen Seiner Heiligen und Propheten kennenzulernen. Nichts als das Erwerben von Wissen, so glaubte ich, konnte mich in die Lage versetzen, mein Ziel zu erreichen. Es gelang mir, die Einwilligung meines Vaters und meiner Onkel zur Aufgabe meines Geschäfts zu erhalten, und ich stürzte mich unverzüglich auf Studium und Wissenschaft. Ich bewohnte ein Zimmer in einer Madrisih von Qazvín und konzentrierte mich mit allen Kräften auf die Aneignung von Wissen auf jedem mir zugänglichen Gebiet der Wissenschaft. Ich sprach oft mit meinen Kommilitonen über die neuen Kenntnisse, die ich mir erworben hatte, und versuchte auf diese Weise meine Erfahrung zu bereichern. Abends zog ich mich auf mein Zimmer zurück und widmete in der Abgeschiedenheit meiner Bibliothek viele Stunden einem ungestörten Studium. Ich war so versunken in meine Arbeit, daß ich gegen Hunger und Schlaf völlig unempfindlich wurde. Innerhalb von zwei Jahren, so hatte ich beschlossen, wollte ich alle Schwierigkeiten der muslimischen Jurisprudenz und Theologie meistern. Ich besuchte regelmäßig die Vorlesungen von Mullá Abdu'l-Karím-i-Iravání, der damals als der hervorragendste Theologe von Qazvín galt. Ich bewunderte sehr seine umfassende Gelehrsamkeit, seine Frömmigkeit und Tugend. Als ich sein Schüler war, widmete ich jede Nacht meine Zeit der Niederschrift einer Abhandlung, die ich ihm überreichte, und die er mit viel Sorgfalt und Interesse überprüfte. Er war offenbar erfreut über meine Fortschritte und lobte oft meinen hohen Wissensstand. Eines Tages erklärte er in Gegenwart der anwesenden Studenten: `Der gelehrte und kluge Mullá Abdu'l-Karím hat seine Befähigung erwiesen, die heiligen Schriften des Islám autoritativ auszulegen. Er braucht nicht länger meine oder meiner Kollegen Vorlesungen zu besuchen. So Gott will, werde ich am Morgen des kommenden Freitags ihn feierlich zum Rang eines Mujtahid erheben und ihm nach dem gemeinsamen Gebet seine Ernennungsurkunde überreichen.` Kaum hatte Mullá Abdu'l-Karím diese Worte gesprochen und war weggegangen, als auch schon seine Studenten nach vorn drängten und mich herzlich zu meinem Erfolg beglückwünschten. Stolz und glücklich ging ich nach Hause. Als ich dort ankam, stellte ich fest, daß mein Vater und mein älterer Onkel Hájí Husayn-'Alí - beide waren in ganz Qazvín hoch geachtet - mir zu Ehren ein Fest vorbereiteten, mit dem der Abschluß meiner Studien gefeiert werden sollte. Ich bat sie, die Einladung hierzu, die auch an alle Standespersonen von Qazvín gerichtet sein sollte, bis auf weitere Mitteilung von mir zu verschieben. Sie willigten gern ein in der Annahme, daß ich in der Vorfreude auf ein solches Fest dieses nicht ungebührlich lange hinauszögern würde. In jener Nacht zog ich mich in meine Bibliothek zurück, und in ihrer Stille sann ich nach und dachte bei mir: Hast du dir nicht in deiner Unwissenheit eingebildet, so sagte ich zu mir selbst, daß nur die Reinen im Geist jemals hoffen können, die Stufe eines autoritativen Auslegers der heiligen Schriften des Islám zu erreichen? Hast du nicht geglaubt, daß wer diese Stufe erreicht hat, gegen jeden Irrtum gefeit wäre? Gehörst du nicht schon zu denen, die sich dieser Stufe erfreuen? Hat nicht der hervorragendste Theologe von Qazvín dich als einen solchen anerkannt und erklärt? Sei ehrlich. Betrachtest du dich selbst in deinem eigenen Herzen als einen von denen, die jene Stufe der Reinheit und äußersten Losgelöstheit erreicht haben, die du früher für erforderlich hieltest für jene, die nach dieser erhabenen Stellung trachten? Hältst du dich selbst für frei von jedem Makel selbstsüchtiger Wünsche? Wie ich so grübelnd dasaß, überfiel mich allmählich ein Gefühl meiner eigenen Unwürdigkeit. Ich erkannte, daß ich immer noch ein Opfer von Sorgen, Verwirrungen, Versuchungen und Zweifeln war. Ich war bedrückt bei den Gedanken daran, wie ich wohl meine Klassen unterrichten, wie das Gemeindegebet leiten, wie die Gesetze und Vorschriften des Glaubens durchsetzen sollte. Mich quälte eine ständige Angst, wie ich meinen Pflichten nachkommen sollte, wie ich die Überlegenheit meiner Leistungen über die meiner Vorgänger gewährleisten sollte. Mich überkam ein solches Gefühl der Demütigung, daß es mich drängte, bei Gott Vergebung zu suchen. Dein Ziel bei all deinem Studieren, so dachte ich bei mir selbst, war, das Geheimnis Gottes zu ergründen und Gewißheit zu erlangen. Sei ehrlich! Bist du deiner eigenen Auslegung des Qur'án sicher? Bist du dessen gewiß, daß die Gesetze, die du verkündest, den Willen Gottes widerspiegeln? Das Bewußtsein des Irrtums dämmerte plötzlich in mir auf. Zum ersten Mal wurde mir klar, wie der Rost der Gelehrsamkeit meine Seele angefressen und meine Sicht getrübt hatte. Ich beklagte meine Vergangenheit und beweinte die Nutzlosigkeit und Nichtigkeit meiner Bemühungen. Ich wußte, daß die Leute meines eigenen Ranges denselben Leiden unterworfen waren. Kaum hatten sie sich diese sogenannte Gelehrsamkeit erworben, so erhoben sie auch schon den Anspruch, die Repräsentanten des islamischen Gesetzes zu sein, und maßten sich das ausschließliche Vorrecht an, über seine Dogmatik zu reden."

+8:29 #197

"Bis zur Dämmerung war ich völlig in meine Gedanken verloren. Ich habe in jener Nacht weder gegessen noch geschlafen. Von Zeit zu Zeit vereinigte ich mich im Gebet mit Gott: `Du siehst mich, o mein Herr, und Du weißt um meine Not. Du weißt auch, daß ich kein anderes Verlangen habe außer Deinem heiligen Willen und Wohlgefallen. Ich bin voller Bestürzung bei dem Gedanken an die Unmenge Sekten, in die Dein heiliger Glaube gespalten ist. Ich bin tief verwirrt, wenn ich den Riß schaue, der durch die Religionen der Vergangenheit geht. Willst Du mich führen in meinen Nöten und mich von meinen Zweifeln erlösen? Wohin soll ich mich wenden um Trost und Führung?` Ich vergoß in jener Nacht so bittere Tränen, daß mir war, als wäre ich nicht bei Sinnen gewesen. Da tauchte vor meinem inneren Auge plötzlich die Vision von einer großen Versammlung von Menschen auf, deren leuchtende Gesichter einen tiefen Eindruck auf mich machten. Eine edle Gestalt, gekleidet in das Gewand eines Siyyid, saß auf einem Stuhl auf der Kanzel und blickte auf die Versammlung. Er war dabei, die Bedeutung dieses heiligen Verses aus dem Qur'án zu erklären: »Wer immer sich für Uns bemüht, den wollen Wir auf Unseren Wegen führen.« Ich war hingerissen von seinem Antlitz. Ich stand auf, ging auf ihn zu und war gerade im Begriff, mich ihm zu Füßen zu werfen, als diese Vision plötzlich verschwand. Mein Herz war durchflutet von Licht. Meine Freude war unbeschreiblich."

+8:30

"Ich beschloß sofort, Hájí Alláh-Vardí zu befragen, den Vater von Muhammad-Javád-i-Farhádí, einen in ganz Qazvín wegen seiner tiefen geistigen Einsicht bekannten Mann. Als ich ihm meine Vision schilderte, lächelte er und beschrieb mir mit außerordentlicher Genauigkeit die wesentlichen Züge des Siyyid, der mir erschienen war. `Diese edle Gestalt`, sagte er dann, `war kein anderer als Hájí Siyyid Kázim-i-Rashtí, der jetzt in Karbilá ist, und den man jeden Tag dort sehen kann, wie er seinen Schülern die heiligen Lehren des Islám auslegt. Alle, die seinem Vortrag lauschen, fühlen sich erquickt und erbaut durch seine Worte. Es ist unbeschreiblich, welchen Eindruck seine Worte auf seine Hörer machen.` Ich erhob mich freudig, brachte ihm mein Gefühl höchster Wertschätzung zum Ausdruck und eilte nach Hause, wo ich unverzüglich meine Reise nach Karbilá richtete. Meine früheren Kommilitonen kamen und baten mich dringend, entweder persönlich den gelehrten Mullá Abdu'l-Karím aufzusuchen, der den Wunsch geäußert hatte, mich zu sehen oder ihm zu erlauben, zu mir nach Hause zu kommen. `Ich habe das dringende Verlangen`, erwiderte ich, `den Schrein des Imám Husayn in Karbilá zu besuchen, und ich habe mir geschworen, unverzüglich zu dieser Pilgerfahrt aufzubrechen. Ich kann meine Abreise nicht verschieben. Wenn es geht, will ich ihn für einige Augenblicke besuchen, bevor ich die Stadt verlasse, wenn nicht, so bitte ich ihn, mich zu entschuldigen und für mich zu beten, daß ich auf rechtem Wege geführt werden möge.`"

+8:31

"Ich teilte meinen Verwandten im Vertrauen meine Vision und ihre Bedeutung mit und unterrichtete sie von meiner geplanten Abreise nach Karbilá. Was ich an jenem Tag zu ihnen sprach, pflanzte die Liebe zu Siyyid Kázim in ihr Herz. Sie fühlten sich sehr zu Hájí Alláh-Vardí hingezogen, traten freimütig in Verbindung mit ihm und wurden seine glühenden Bewunderer."

+8:32

"Mein Bruder Abdu'l-Hamíd, der später in Tihrán den Kelch des Märtyrertums leerte, begleitete mich auf meiner Reise nach Karbilá. Dort traf ich Siyyid Kázim und war sprachlos, ihn genau so zu seinen Studenten sprechen zu hören und genau unter denselben Umständen, wie ich sie in meiner Vision geschaut hatte. Mein Staunen wuchs, als ich hörte, wie er bei meiner Ankunft gerade die Bedeutung desselben Verses erklärte, die er, als er mir erschien, seinen Studenten erläuterte. Ich setzte mich nieder und hörte zu. Ich war stark beeindruckt von der Kraft seiner Beweisführung und der Tiefe seiner Gedanken. Er empfing mich gütig und erwies mir größte Freundlichkeit. Mein Bruder und ich empfanden beide eine innere Freude, wie wir sie nie zuvor erlebt hatten. Bei Einbruch der Dämmerung eilten wir zu seinem Heim, um ihn bei seinem Besuch des Schreins von Imám Husayn zu begleiten.

+8:33

Ich verbrachte den ganzen Winter in enger Gemeinschaft mit ihm. Während dieser ganzen Zeit besuchte ich getreulich seine Vorlesungen. So oft ich seiner Darlegung lauschte, immer sprach er über irgend einen besonderen Aspekt der Offenbarung des verheißenen Qá'im. Dieses Thema bildete den einzigen Gegenstand seiner Vorlesungen.- Welchen Vers oder welche überlieferung er auch gerade erklären mochte, er schloß seine Erläuterungen unweigerlich mit einem besonderen Hinweis auf das Kommen der verheißenen Offenbarung." »Der Verheißene«, pflegte er offen und immer wieder zu erklären, »lebt mitten unter diesem Volk. Die festgesetzte Zeit für Sein Erscheinen naht rasch. Bereitet Ihm den Weg und reinigt euch, damit ihr Seine Schönheit erkennen könnt. Nicht ehe ich von dieser Welt scheide, wird das Tagesgestirn Seines Angesichts geoffenbart werden. Und euch obliegt es, nach meinem Hinscheiden euch aufzumachen und Ihn zu suchen. Keinen Augenblick solltet ihr rasten, bis ihr Ihn gefunden habt!«"

+8:34 #199

"Nach dem Naw-Rúz-Fest bat mich Siyyid Kázim, Karbilá wieder zu verlassen. »Bleib versichert, Abdu'l-Karim«, sprach er zu mir, als er mich verabschiedete, »du gehörst zu jenen, die am Tage Seiner Offenbarung sich für den Sieg Seiner Sache erheben werden, und ich hoffe, daß du an jenem gesegneten Tag meiner gedenken wirst.« Ich bat ihn, mir doch zu erlauben, in Karbilá zu bleiben, und machte geltend, daß meine Rückkehr nach Qazvín nur die Feindschaft der Mullás jener Stadt erwecken würde. »Vertraue ganz auf Gott«, war seine Antwort. »Achte nicht ihrer Machenschaften. Geh deinem Beruf nach und sei versichert, daß ihre Proteste dir nichts anhaben können.« Ich folgte seiner Weisung und machte mich zusammen mit meinem Bruder auf den Weg nach Qazvin."

+8:35

"Nach meiner Ankunft ging ich sofort daran, dem Rat von Siyyid Kázim zu folgen. Auf Grund der Anweisungen, die er mir gegeben hatte, gelang es mir, jeden böswilligen Widersacher zum Schweigen zu bringen. Tagsüber ging ich meiner Arbeit nach, und am Abend kehrte ich in meine Wohnung zurück und widmete in der Stille meines Zimmers meine Zeit der Meditation und dem Gebet. Mit Tränen in den Augen wandte ich mich flehend zu Gott und betete: `Du hast durch den Mund Deines erleuchteten Dieners verheißen, daß ich Deinen Tag erleben und Deine Offenbarung schauen werde. Durch ihn hast Du mir versichert, daß ich unter jenen sein werde, die sich für den Sieg Deiner Sache aufmachen werden. Wie lange willst Du mir Deine Verheißung vorenthalten? Wann wird die Hand Deiner Güte das Tor Deiner Gnade vor mir öffnen und Deine immerwährende Gunst über mich ausgießen?` Nacht für Nacht wiederholte ich dieses Gebet und fuhr in meinem demütigen Bitten bis zur Morgendämmerung fort."

+8:36 #200

"Eines Nachts, es war der Vorabend des Tages Arafih im Jahr 1255 d.H. (die Nacht zum 13.Feb.1840), war ich so ins Gebet vertieft, daß ich mich wie in einem Zustand des Entrücktseins befand. Da erschien vor mir ein Vogel, weiß wie Schnee, der schwebte über meinem Haupt und ließ sich dann auf dem Zweig eines Baumes neben mir nieder. In Lauten von unbeschreiblicher Lieblichkeit sprach der Vogel zu mir: »Suchst du die Manifestation, o Abdu'l-Karím? Achte auf das Jahr sechzig.« Unmittelbar darauf flog der Vogel fort und verschwand. Das Geheimnisvolle dieser Worte erregte mich zutiefst. Die Erinnerung an die Schönheit jener Vision lebte noch lange in mir fort. Mir war, als ob ich alle Wonnen des Paradieses gekostet hätte. Eine unbändige Freude erfüllte mich."

+8:37

"Die geheimnisvolle Botschaft jenes Vogels hatte meine Seele durchdrungen und schwebte ständig auf meinen Lippen. Ich bewegte sie unaufhörlich in meinem Herzen. Ich sprach zu niemandem darüber, aus Furcht, sie könnte dadurch ihre Süße für mich verlieren. Ein paar Jahre später drang der Ruf von Shíráz an mein Ohr. Am selben Tage, da ich ihn vernahm, eilte ich in jene Stadt. Unterwegs traf ich in Tihrán Mullá Muhammad-i-Mu'Allm, der mir näheres über diesen Ruf bekanntgab und mir sagte, daß die, welche ihn vernommen hatten, sich in Karbilá sammeln und dort auf die Rückkehr ihres Oberhaupts aus Hijáz warteten. Ich machte mich unverzüglich nach dieser Stadt auf. Von Hamadán ab begleitete mich Mullá Javád-i-Baraghání zu meinem großen Kummer bis nach Karbilá, wo ich die Freude hatte, dich und die übrigen Gläubigen zu treffen. In meinem Herzen bewahrte ich weiterhin die seltsame Botschaft, die mir jener Vogel übermittelt hatte. Als ich dann später mit dem Báb zusammenkam und von Seinen Lippen dieselben Worte vernahm, in derselben Sprache und im selben Tonfall gesprochen, wie ich sie gehört hatte, da erkannte ich ihre Bedeutung. Ihre Kraft und Herrlichkeit überwältigten mich so, daß ich Ihm unwillkürlich zu Füßen fiel und Seinen Namen pries."

+8:38 #201

In den ersten Tages des Jahres 1265 d.H. (1848) begab ich mich im Alter von achtzehn Jahren von meinem Heimatort Zarand nach Qum, wo ich zufällig den Siyyid Ismá'íl-i-Zavári'í, auch Dhabíh genannt, traf, der später in Baqhdád sein Leben als Opfer auf dem Pfade von Bahá'u'lláh hingab. Durch ihn wurde ich zur Erkenntnis der neuen Offenbarung geführt. Er bereitete sich damals auf seine Reise nach Mázindarán vor und war entschlossen, sich den heldenhaften Verteidigern der Festung von Shaykh Tabarsí anzuschließen. Er wollte mich mitnehmen, zusammen mit Mírzá Fathu'lláh-i-Hakkák, einem Jungen in meinem Alter, der in Qum wohnte. Als die Umstände diesen Plan vereitelten, versprach er uns vor seiner Abreise, daß er sich von Tihrán aus mit uns in Verbindung setzen und uns auffordern wolle, zu ihm zu stoßen. Im Verlauf seiner Unterhaltung mit Mírzá Fathu'lláh und mir erzählte er uns die Geschichte von Mullá Abdu'l-Karíms wundersamen Erlebnis. Mich ergriff ein heftiges Verlangen, ihm zu begegnen. Als ich später in Tihrán ankam und in der Madrisiy-i-Dáru'sh-Shafáy-i-Masjid-i-Sháh mit Siyyid Ismá'íl zusammenkam, wurde ich durch ihn eben diesem Mullá Abdu'l-Karím vorgestellt, der damals gerade in dieser Madrisih wohnte. In jenen Tagen erfuhren wir, daß der Kampf von Shaykh Tabarsí zu Ende war, und daß jene Gefährten des Báb, die sich in Tihrán gesammelt hatten mit der Absicht, sich ihren Brüdern anzuschließen, in ihre Heimatorte zurückgekehrt waren, ohne ihr Ziel erreicht zu haben. Mullá Abdu'l-Karím blieb in der Hauptstadt, wo er seine Zeit dem Abschreiben des Persischen Bayán widmete. Meine enge Verbindung mit ihm in jener Zeit trug dazu bei, meine Liebe und Bewunderung für ihn zu vertiefen. Noch heute, nach achtunddreißig Jahren, die seit unserem ersten Zusammentreffen in Tihrán dahingegangen sind, fühle ich die Wärme seiner Freundschaft und die Glut seines Glaubens. Meine Gefühle tiefer Verehrung für ihn haben mich veranlaßt, so ausführlich über die näheren Umstände seiner Jugend zu berichten, die ihren Höhepunkt darin fand, was man den Wendepunkt seines ganzen Lebenslaufs nennen könnte. Möge dies wiederum dazu dienen, dem Leser die Augen für die Herrlichkeit dieser folgenschweren Offenbarung zu öffnen.









Neuntes Kapitel
DER AUFENTHALT DES BAB IN SHIRAZ NACH SEINER PILGERREISE - II

+9:1 #203

Bald nach Mullá Husayns Ankunft in Shíráz erhob sich die Stimme des Volkes erneut in wildem Aufruhr wider ihn. Die Angst und der Unwille der Massen wurden durch das Wissen um seinen ständigen und vertrauten Umgang mit dem Báb geschürt. `Wieder ist er in unsere Stadt gekommen`, schrien sie, `wieder hat er die Fahne des Aufruhrs gehißt und sinnt zusammen mit seinem Herrn auf einen noch heftigeren Anschlag wider unsere althergebrachten Einrichtungen!` Die Lage wurde so schwierig und bedrohlich, daß der Báb Mullá Husayn die Weisung gab, über Yazd in seine Heimatprovinz Khurásán zurückzukehren. Zugleich schickte Er Seine übrigen Gefährten, die sich in Shíráz versammelt hatten, fort und hieß sie, nach Isfáhán zurückzugehen. Nur Mullá Abdu'l-Karím behielt Er zurück und beauftragte ihn damit, Seine Schriften abzuschreiben.

+9:2

Diese Vorsichtsmaßnahmen, die der Báb weise traf, enthoben Ihn der unmittelbaren Gefahr von Ausschreitungen seitens der aufgebrachten Bevölkerung von Shíráz und trugen dazu bei, der Verbreitung Seines Glaubens über die Stadtgrenzen hinaus neuen Auftrieb zu geben. Seine Jünger, die sich über das ganze Land verteilt hatten, verkündeten ihren eigenen Landsleuten furchtlos die wiederbelebende Kraft der neugeborenen Offenbarung. Der Ruf des Báb hatte weithin Aufsehen erregt und war auch an die Ohren derer gedrungen, die die höchsten Sitze der Amtsgewalt in der Hauptstadt und in den Provinzen innehatten.¹ Eine Woge heftiger Wißbegier hatte die Herzen und Seelen der Führer wie der Massen des Volkes erfaßt. Bestürzung und Erstaunen hatte jene ergriffen, die von den Lippen der unmittelbaren Boten des Báb die Kunde von den Zeichen und Wundern vernommen hatten, die die Geburt Seiner Offenbarung ankündigten. Die Würdenträger von Kirche und Staat kamen entweder persönlich oder entsandten ihre fähigsten Repräsentanten, um die Wahrheit über die Art dieser bedeutsamen Bewegung in Erfahrung zu bringen.

¹ `Der Bábismus hatte zahlreiche Anhänger in allen Klassen der Gesellschaft, und viele von ihnen waren sehr bedeutende Männer. Von den Großen des Landes, den Mitgliedern der Geistlichkeit, des Militärs und der Geschäftswelt bekannten sich viele zu dieser Lehre.` (Journal Asiatique 1866, Bd.8 p.251)


+9:3 #204

Muhammad Sháh selbst sah sich veranlaßt, die Richtigkeit dieser Berichte nachzuprüfen und sich mit ihnen zu befassen.¹ Er entsandte Siyyid Yahyáy-i-Dárábí², den gelehrtesten, redegewandtesten und einflußreichsten seiner Untertanen, zu einer Unterredung mit dem Báb, damit er ihm hernach über das Ergebnis seiner Befragung berichte. Der Sháh hatte volles Vertrauen in seine Unparteilichkeit, seine Befähigung und seine umfassende geistige Einsicht. Unter den führenden Persönlichkeiten in Persien nahm er eine so hervorragende Stellung ein, daß, wo immer er auch in Erscheinung trat, und mochten noch so viele geistliche Führer anwesend sein, er unweigerlich zum Hauptredner wurde. Und niemand wagte, in seiner Anwesenheit eigene Ansichten geltend zu machen. Sie alle bewahrten achtungsvolle Stille vor ihm; jeder bestätigte seine Klugheit, sein unschlagbares Wissen und die Tiefe seiner Weisheit.

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¹ Am Anfang des Buches `Pedigree of the Qájár Dynasty` findet sich ein diesbezüglicher Hinweis.


² Über ihn hat Abdu'l-Bahá folgendes geschrieben: »Dieser bemerkenswerte Mann, diese kostbare Seele hat nicht weniger als dreißigtausend überlieferungen auswendig gelernt. In allen Schichten der Bevölkerung wurde er hoch geachtet und bewundert. Er hatte in Persien allgemeinen Ruhm erlangt, und seine Autorität und Gelehrsamkeit wurden weit und breit anerkannt.« (Aus einem Manuskript über die Folterungen in Persien.)

`Diese Persönlichkeit war, wie der Name besagt, in Dáráb bei Shíráz geboren. Der Vater, Siyyid Ja'far, genannt Kashfí, war einer der bedeutendsten und berühmtesten Ulamás jener Zeit. Seine hohe Moral, sein Charakter und seine reinen Sitten hatten ihm allgemeine Hochachtung und Wertschätzung eingetragen. Sein Wissen hatte ihm den ruhmvollen Beinamen Kashfí eingebracht, was soviel bedeutet wie: `der, welcher enthüllt`, und in diesem Fall: `der, welcher die göttlichen Geheimnisse enthüllt und erklärt.` Sein Sohn, von ihm erzogen, wurde ihm in jeder Hinsicht ebenbürtig. Er nahm nun teil an der Gunst, deren sich sein Vater erfreute; er begab sich nach Tihrán, wohin ihm sein Ruf und seine Popularität vorausgeeilt waren. Er wurde dort der Gefährte des Prinzen Tahmásp Mírzá, Mu'ayyadu'd-Dawlih, der durch seinen Vater Muhammad-Alí Mírzá der Enkel von Fath-Alí Sháh war. Die Regierung würdigte sein Wissen und seine Verdienste voll und ganz, und mehr als einmal wurde er bei schwierigen Angelegenheiten um Rat gefragt. An ihn dachten auch Muhammad Sháh und Hájí Mírzá Aqásí, als sie nach einem ehrbaren Gesandten Ausschau hielten, dessen Treue sie gewiß sein konnten.` (A.L.M.Nicolas, Siyyid Alí-Muhammad dit le Báb, p.233)

`Während diese Ereignisse sich im Norden Persiens anbahnten, waren die Provinzen in Mittel- und Südpersien bereits tief aufgewühlt durch die flammenden Reden der Sendboten der neuen Lehre. Das Volk, oberflächlich, leichtgläubig, unwissend und über alle Maßen abergläubisch, war bestürzt über die fortgesetzten Wunder, von denen es alle Augenblicke reden hörte. Die Mullás sahen voll Angst schon ihre brodelnde Gemeinde davonlaufen und verdoppelten ihre Verleumdungen und ihre niederträchtigen Anwürfe. Sie verbreiteten die ungeheuerlichsten Lügen und die blutrünstigstun Hirngespinste unter der unschlüssigen, zwischen Entsetzen und Bewunderung hin- und hergerissenen Bevölkerung ... Siyyid Ja'far kannte weder die Lehren der Shaykhí noch diejenigen von Mullá Sadrá. Sein flammender Eifer, seine glühende Phantasie hatten jedoch bewirkt, daß er sich gegen Ende seines Lebens ein wenig von den engen Vorstellungen der orthodoxen Shí'iten abwandte. Er erklärte die Hadithe auf eine andere Weise als seine Kollegen, und man sagt, er habe sogar behauptet, daß er in die siebzig verborgenen Bedeutungen des Qur'án eingedrungen sei ... Sein Sohn, der sich in der Folgezeit von diesen Absonderlichkeiten absetzen mußte, war damals ein Mann von ungefähr 35 Jahren. Er war nach Abschluß seiner Studien nach Tihrán gekommen, um sich dort niederzulassen, und hatte dort mit jedem, der bei Hof zu den großen und einflußreichen Persönlichkeiten zählte, Verbindung aufgenommen. Auf ihn fiel die Wahl von S. M. Er wurde beauftragt, sich nach Shíräz zu begeben, mit dem Báb in Verbindung zu treten und so genau wie möglich der Zentralbehörde über die politischen Folgen zu berichtcn, die eine Reform haben könnte, die offensichtlich alles im Lande gründlich erschütterte.` (A.L.M.Nicolas, Siyyid Aí-Muhammad dit le Báb, p.387/388)

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+9:4 #205

In jenen Tagen wohnte Siyyid Yahyá in Tihrán im Hause von Mírzá Lutf-Alí, dem Zeremonienmeister des Sháh, als Ehrengast seiner Kaiserlichen Majestät. Der Sháh ließ über Mírzá Lupf-Alí vertraulich seinen Wunsch und Willen Siyyid Yahyá mitteilen, er solle sich nach Shíráz begeben und dort persönlich der Sache nachgehen. "Sag ihm von uns", befahl der Herrscher, "daß wir größtes Vertrauen in seine Rechtschaffenheit setzen, seine guten Sitten und seine Klugheit bewundern und ihn für den geeignetsten unter den Geistlichen unseres Reiches halten. Wir erwarten von ihm, daß er sich nach Shíráz begebe, sich genauestens über die Angelegenheit mit dem Siyyid-i-Báb informiere und uns über das Ergebnis seiner Nachforschungen unterrichte. Dann werden wir wissen, welche Maßnahmen wir zu ergreifen haben."

+9:5

Siyyid Yahyá hatte selbst den Wunsch, aus erster Hand über die Ansprüche des Báb unterrichtet zu werden. Doch widrige Umstände hatten ihm nicht erlaubt, die Reise nach Fárs zu unternehmen. Auf die Botschaft von Muhammad Sháh hin beschloß er, seine lang gehegte Absicht auszuführen. Er versicherte den Herrscher seine Bereitwilligkeit, seinen Wunsch zu erfüllen, und machte sich unverzüglich auf die Reise nach Shíráz.


+9:6 #206

Unterwegs überlegte er sich die verschiedenen Fragen, die er dem Báb vor- zulegen gedachte. Aus den Antworten, die er auf diese Fragen erhielte, müßte, so dachte er bei sich, die Wahrheit und Glaubwürdigkeit Seiner Sendung hervorgehen. Bei seiner Ankunft in Shíráz traf er Mullá Shaykh Alí; genannt Azím, mit dem er in enger Verbindung stand, als er in Khurásán war. Er fragte ihn, ob er mit seiner Unterredung mit dem Báb zufrieden sei. "Du solltest Ihn selber sehen," erwiderte Azím, "und dir unabhängig deine Meinung über Seine Sendung zu bilden versuchen. Als Freund rate ich dir, bei deinen Gesprächen mit Ihm äußerst genau zu überlegen, damit nicht auch du am Ende eine gewisse Unhöflichkeit gegen Ihn zu beklagen hast."

+9:7

Siyyid Yahyá begegnete dem Báb im Heim von Hájí Mírzá Siyyid Alí und erwies in seiner Haltung gegen Ihn jene Höflichkeit, die zu beachten Azím ihm geraten hatte. Etwa zwei Stunden lang lenkte er die Aufmerksamkeit des Báb auf die schwerverständlichen und verwirrenden Themen der metaphysischen Lehren des Islám, auf die dunkelsten Kapitel im Qur'án und die mysteriösen Überlieferungen und Prophezeiungen der Imáme des Glaubens. Der Báb hörte zunächst seinen gelehrten Ausführungen über Gesetze und Prophezeiungen des Islám zu, nahm all seine Fragen auf und begann dann, auf jede eine kurze, aber überzeugende Antwort zu geben. Die Bündigkeit und Klarheit Seiner Antworten erregten Staunen und Bewunderung in Siyyid Yahyá. Ein Gefühl der Beschämung überkam ihn angesichts seiner Vermessenheit und seines Stolzes. Sein Überlegenheitsgefühl schwand völlig dahin. Als er aufstand, sich zu verabschieden, sprach er zum Báb die Worte: "So Gott will, werde ich im Laufe meiner nächsten Unterredung mit Dir den Rest meiner Fragen vorbringen und damit meine Untersuchung abschließen." Sobald er sich zurückgezogen hatte, suchte er Azím auf und berichtete ihm über den Verlauf seiner Unterredung. "Ich habe in Seiner Gegenwart," sagte er ihm, "übertrieben weitschweifig mein eigenes Wissen ausgebreitet; Er war in der Lage, in wenigen Worten meine Fragen zu beantworten und meine verwirrten Probleme zu lösen. Ich fühlte mich so klein vor Ihm, daß ich schnell bat, mich verabschieden zu dürfen." Azím erinnerte ihn an den Hinweis, den er ihm gegeben hatte, und bat ihn, das nächste Mal seinen Ratschlag nicht zu vergessen.

+9:8

Im Laufe seiner zweiten Unterredung entdeckte Siyyid Yahyá mit Schrecken, daß ihm sämtliche Fragen, die er dem Báb stellen wollte, entfallen waren. Er mußte sich mit Themen bescheiden, die bei seiner Untersuchung offensichtlich nicht zur Sache gehörten. Bald entdeckte er zu seiner noch größeren Überraschung, daß der Báb mit derselben Schlüssigkeit und Klarheit, die Seine früheren Erwiderungen auszeichneten, genau auf die Fragen Antwort gab, die er im Augenblick vergessen hatte. "Mir war, als ob ich in tiefen Schlaf gefallen wäre," sagte er später. "Seine Worte, Seine Antworten auf Fragen, deren Formulierung ich vergessen hatte, weckten mich auf. Eine Stimme flüsterte mir ins Ohr: `Sollte dies nach allem wirklich nur Zufall sein?` Ich war zu erregt, um meine Gedanken sammeln zu können. Wieder bat ich, mich verabschieden zu dürfen. Azím, den ich anschließend traf, empfing mich mit kühler Gleichgültigkeit und bemerkte düster: `Wenn doch die Schulen alle abgeschafft wären und nie einer von uns eine betreten hätte! Durch unsere Engstirnigkeit und unsere Einbildung halten wir selbst die erlösende Gnade Gottes von uns fern und bereiten Ihm, der ihre Quelle ist, Kummer. Willst du nicht endlich Gott um die Gunst bitten, daß Er dich befähige, mit geziemender Demut und Loslösung vor Ihn zu treten, damit Er vielleicht gnädiglich den Druck der Ungewißheit und des Zweifels von
dir nehme?`"

+9:9 #207

"Ich nahm mir vor, bei meiner dritten Unterredung mit dem Báb Ihn in meinem innersten Herzen zu bitten, für mich einen Kommentar zur Sure Kawthar (Qur'án 108) zu offenbaren. Ich nahm mir vor, in Seiner Gegenwart nichts von dieser Bitte zu äußern. Sollte Er, ohne daß ich darnach fragte, diesen Kommentar in einer Weise abgeben, die ihn in meinen Augen eindeutig abhob von den gängigen und für die Ausleger des Qur'án gültigen Maßstäben, dann wollte ich überzeugt sein von der Göttlichkeit Seiner Sendung und mich gerne zu Seiner Lehre bekennen. Wenn nicht, wollte ich Ihm die Anerkennung verweigern. Kaum stand ich Ihm dann gegeüüber, da ergriff mich plötzlich ein unerklärliches Gefühl der Angst. Meine Glieder zitterten, als ich Ihm ins Angesicht sah. Ich, der ich doch zu verschiedenen Anlässen schon dem Sháh gegenübergestanden und nie auch nur die geringste Spur von Schüchternheit an mir bemerkt hatte, fühlte mich nun so von Ehrfurcht erfüllt und so erschüttert, daß ich mich nicht mehr auf den Füßen zu halten vermochte. Der Báb, der meine Not sah, erhob sich von Seinem Sitz, ging auf mich zu, nahm mich bei der Hand und setzte mich neben Sich. »Verlange von Mir«, sprach Er, »was immer dein Herz wünscht. Ich will es dir gern offenbaren.« Ich war sprachlos vor Staunen. Wie ein Säugling, der weder verstehen noch sprechen kann, war ich unfähig, zu antworten. Er lächelte, als Er mich ansah und sprach: »Würdest du zugeben, daß Meine Worte aus dem Geiste Gottes geboren sind, wenn Ich dir den Kommentar zur Sure Kawthar offenbaren würde? Würdest du anerkennen, daß Meine Worte in keiner Weise mit Zauberei und Magie in Zusammenhang gebracht werden können?« Die Tränen stürzten mir aus den Augen, als ich Ihn diese Worte sprechen hörte. Alles, was ich sagen konnte, war dieser Vers aus dem Qur'án: »O unser Herr, mit uns selbst sind wir ungerecht verfahren: wenn Du uns nicht vergibst und nicht Erbarmen mit uns hast, gehören wir sicherlich zu denen, die umkommen.«"

+9:10 #208

"Es war noch früh am Nachmittag, als der Báb Hájí Mírzá Siyyid Alí bat, Ihm Seinen Federkasten und etwas Papier zu bringen. Dann begann Er, Seinen Kommentar zur Sure Kawthar zu offenbaren. Wie soll ich diese Szene voll unaussprechlicher Majestät beschreiben? Seiner Feder entströmten Verse mit einer Schnelligkeit, die wahrhaft erstaunlich war. Die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der Er schrieb¹, das sanfte und leise Murmeln Seiner Stimme, die zwingende Kraft Seines Stils erstaunten und bestürzten mich. Auf diese Weise schrieb Er bis Sonnenuntergang. Er setzte nicht ab, bis der ganze Kommentar zu der Sure fertig war. Dann legte Er Seine Feder nieder und bat um Tee. Danach begann Er gleich, ihn mir laut vorzulesen. Mein Herz klopfte wie rasend, als ich zuhörte, wie Er in Lauten von unaussprechlicher Süße die Schätze ausbreitete, die in jenem erhabenen Kommentar verwahrt sind.² Ich war so hingerissen von seiner Schönheit, daß ich dreimal am Rande einer Ohnmacht war. Er versuchte, meine schwindenden Lebensgeister mit einigen Tropfen Rosenwasser wieder zu beleben, die Er mir ins Gesicht sprengen ließ. Dies stellte meine Kräfte wieder her und setzte mich instand, Seiner Lesung bis zum Ende zu folgen."

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¹ Nach dem Kashfu'l-Ghitá p.81 offenharre der Báb bei dieser Gelegenheit nicht weniger als zweitausend Verse. Die erstaunliche Geschwindigkeit, mit der diese Offenbarung erfolgte, war in den Augen von Siyyid Yahyá nicht weniger bemerkenswert als die unübertreffliche Schönheit und der tiefe Sinn der Verse, die jener Kommentar enthielt. »In der Zeit von fünf Stunden werden zweitausend Bayts (Verse) von Ihm offenbar in einer Geschwindigkeit, daß der Schreiber sie gerade noch niederschreiben kann. Man kann daran beurteilen, wie viele solcher Werke, hätte man ihn gewähren lassen, von dem Zeitpunkt seiner Offenbarung an bis heute unter den Menschen verbreitet worden wären.« (Le Bayán Persan I p.43)

»Gott hat ihm eine solche Gewalt und eine solche Ausdruckskraft verliehen, daß, wenn ein gewandter Schreiber mit äußerster Geschwindigkeit ohne Unterbrechung zwei Nächte und zwei Tage schriebe, er auf diese Weise einen Schatzberg von Worten offenbarte, wie er dem Qur'án gleichkäme.« (Le Bayán Persan II p.132)

»Und wenn einer über das Erscheinen dieses Baumes (des Báb) nachdächte, würde er zweifellos die Erhabenheit der Religion Gottes zugeben. Denn wenn ein Mann im Alter von vierundzwanzig Jahren, ohne die Kenntnisse zu haben, worin alle anderen bewandert sind, und der nun solche Verse vorträgt, ohne nachzudenken und ohne Zögern, der im Verlauf von fünf Stunden tausend Verse demütiger Bitten schreibt, ohne die Feder abzusetzen, der Kommentare und gelehrte Abhandlungen verfaßt, die von einem so hohen Wissen und Verständnis für die Göttliche Einheit zeugen, daß die Doktoren und Philosophen zugeben müssen, selbst unfähig zu sein, diese Texte zu begreifen, dann steht außer Zweifel, daß all dies von Gott ist.« (Bayán, Váhid 2, Báb 1; A Traweller's Narratiwe, Anm.C, p.219)

² `Sicherlich mußte die Tatsache, »mit fliegender Feder« einen neuen Kommentar über eine Sure zu schreiben, deren Sinn so dunkel ist, Siyyid Yahyá sehr in Staunen versetzen. Aber was ihn noch mehr überraschte, war, daß er in diesem Kommentar die Auslegung wiederfand, auf die er selbst in seinen Meditationen über diese drei Verse gekommen war. So traf er sich mit dem Reformator in einer Auslegung, die er als einziger gefunden zu haben glaubte und von der er zu niemandem gesprochen hatte.` (A.L.M.Nicolas, Siyyid Alí-Muhammad dit le Báb p.234)

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+9:11 #209

"Als der Báb Seine Vorlesung beendet hatte, erhob Er sich, um zu gehen. Er vertraute mich im Weggehen der Obhut Seines Onkels an. »Er sei dein Gast,« sagte Er zu ihm, »bis er zusammen mit Mullá Abdu'l-Karím mit der Abschrift dieses neu geoffenbarten Kommentars fertig sein und die Richtigkeit der abgeschriebenen Kopie bestätigt haben wird.« Mullá Abdu'l-Karím und ich brauchten drei Tage und drei Nächte zu dieser Arbeit. Wir lasen immer abwechselnd einen Teil des Kommentars laut vor, bis wir das Ganze schließlich geschrieben hatten. Wir prüften sämtliche überlieferungen im Text auf ihre Richtigkeit nach und stellten fest, daß sie alle völlig genau wiedergegeben waren. Die Gewißheit, zu der ich gekommen war, war so klar, daß, selbst wenn alle Mächte der Welt sich wider mich verbündet hätten, sie machtlos gewesen wären, meinen Glauben an die Größe Seiner Sache zu erschüttern."¹

¹ `Es war seltsam`, schreibt Lady Sheil, `daß unter denen, welche die Lehre des Báb annahmen, eine große Zahl von Mullás, ja selbst Mujtahids, die einen hohen Rang als Ausleger des Gesetzes in der Muhammadanischen Geistlichkeit einnahmen, gewesen sein sollen. Viele dieser Männer haben sogar ihren Glauben mit ihrem Blut besiegelt.` (Glimpses of Life und Manners in Persia p.178-179)


+9:12

"Da ich seit meiner Ankunft in Shíráz im Hause von Husayn Khán, dem Gouverneur von Fárs, gewohnt hatte, dachte ich bei mir, daß meine lange Abwesenheit von seinem Hause seinen Verdacht erregen und ihn gegen mich aufbringen könnte. Ich beschloß daher, mich von Hájí Mírzá Siyyid Alí und Mullá Abdu'l-Karím zu verabschieden und wieder zum Wohnsitz des Gouverneurs zurückzukehren. Bei meiner Ankunft zeigte sich Husayn Khán, der in der Zwischenzeit nach mir gesucht hatte, sehr begierig, in Erfahrung zu bringen, ob auch ich dem magischen Einfluß des Báb zum Opfer gefallen sei. "Niemand als Gott", sagte ich, "der einzig und allein die Herzen der Menschen zu wandeln vermag, ist imstande, das Herz von Siyyid Yahyá gefangenzunehmen. Wer immer sein Herz einfangen kann, ist von Gott, und Sein Wort ist ohne Zweifel die Stimme der Wahrheit." Auf meine Antwort war der Gouverneur still. Im Gespräch mit anderen, so hörte ich später, äußerte er die Meinung, daß auch ich hoffnungslos dem Zauber jenes Jünglings zum Opfer gefallen sei. Er hatte sogar an Muhammad Sháh geschrieben und sich darüber beschwert, daß ich während meines Aufenthalts in Shíráz jeglichen Umgang mit den Ulamás der Stadt abgelehnt hätte. `Obgleich er offiziell mein Gast ist, schrieb er seinem Herrscher, `hält er sich häufig mehrere Tage und Nächte hintereinander meinem Hause fern. Es besteht für mich kein Zweifel mehr daran, daß er ein Bábí geworden ist, daß er durch den Willen des Siyyid-i-Báb mit Herz und Seele versklavt worden ist.`"

+9:13 #210

"Es wird berichtet, daß Muhammad Sháh selbst einmal bei der Ausübung seiner Amtsgeschäfte in der Hauptstadt zu Hájí Mírzá Aqásí gesagt habe: `Man hat uns unlängst mitgeteilt, daß Siyyid Yahyáy-i-Dárábí ein Bábí geworden sei.¹ Wenn das wahr sein sollte, dann wäre es unsere Pflicht, damit aufzuhören, die Sache dieses Siyyid herabzusetzen.` Husayn Khán seinerseits erhielt folgenden kaiserlichen Befehl: `Es ist jedem unserer Untertanen strengstens untersagt, Worte zu äußern, die geeignet sind, den erhabenen Rang von Siyyid Yahyáy-i-Dárábí herabzusetzen. Er ist von edler Herkunft, ein Mann von großer Gelehrsamkeit, von umfassender und vollkommener Tugend. Unter keinen Umständen wird er jemals sein Ohr irgend einer Sache leihen, wenn er nicht glaubt, daß sie der Förderung der besten Interessen unseres Reiches und dem Wohl des Islámischen Glaubens dienlich ist.`

¹ In A Traweller's Narrative p.8 heißt es: Siyyid Yahyá "schrieb ohne Angst und Sorge einen ausführlichen Bericht über seine Erlebnisse an Mírzá Lutf-Alí, den Kammerherrn, damit dieser den König hiervon in Kenntnis setzen könne. Er selbst reiste währenddessen in alle Teile Persiens, und in jeder Stadt und bei jedem Aufenthalt rief er von den Kanzeln herab die Menschen auf, derart, daß andere gelehrte Doktoren zu dem Schluß kamen, er müsse verrückt sein, und dies als sicheren Fall von Verhextheit ansahen".


+9:14

Nach Empfang dieses ausdrücklichen kaiserlichen Befehls versuchte Husayn Jhán, da er mir öffentlich keinen Widerstand leisten konnte, insgeheim meine Autorität zu untergraben. Sein Gesicht verriet unversöhnliche Feindschaft und Haß. Doch war es ihm angesichts der betonten Gunst, die ich beim Sháh genoß, nicht möglich, mich persönlich zu verletzen oder meinen Namen in Verruf zu bringen."

+9:15

"Bald darauf gab mir der Báb die Weisung, nach Burújird zu reisen und dort meinen Vater¹ mit der neuen Botschaft bekannt zu machen. Er bat mich dringend, ihm gegenüber äußerste Geduld und Rücksicht zu üben. Aus den vertraulichen Unterredungen, die ich mit ihm hatte, entnahm ich, daß er nicht geneigt war, die Wahrheit der Botschaft, die ich ihm gebracht hatte, abzulehnen. Er wollte jedoch in Ruhe gelassen werden und seinen eigenen Weg gehen."

¹ Sein Name war Siyyid Ja'far, bekannt als Kashfi, `der Enthüller`, wegen seiner Fähigkeit, den Qur'án auszulegen, und wegen der Visionen, die er gehabt zu haben behauptete.


+9:16 #211

Ein anderer Würdenträger des Reiches, der die Botschaft des Báb erst nüchtern prüfte und sich dann schließlich zu ihr bekannte, war Mullá Muhammad Alí¹, aus Zanján gebürtig, dem der Báb den Beinamen Hjjat-i-Zanjání gab. Er war ein sehr unabhängiger Geist, bekannt für seine Selbständigkeit und weitgehende Freiheit von jeder Form traditioneller Bindung. Er klagte öffentlich die ganze Hierarchie der geistlichen Führer seines Landes an, vom Abváb-i-Arba'ih² bis herunter zum bescheidensten Mullá seiner Zeitgenossen. Er schmähte ihren Charakter, beklagte ihre Verderbtheit und brandmarkte ihre Laster. Vor seinem übertritt bewies er gegen Shaykh Ahmad-i-Ahsá'í und Siyyid Kázim-i-Rashtí³ eine Haltung unbekümmerter Verachtung. Er war so von Abscheu erfüllt über die Untaten, womit die Geschichte des Shí'ah-Islam befleckt war, daß ihm alle, die zu dieser Sekte gehörten, ganz gleich, wie hoch sie persönlich standen, keiner Beachtung wert waren. Nicht selten entstand zwischen ihm und den Geistlichen von Zanján Anlaß zu heftigem Streit, der ohne persönliches Eingreifen des Sháh zu schweren Unruhen und Blutvergießen geführt hätte. Schließlich wurde er in die Hauptstadt befohlen und aufgefordert, in Gegenwart seiner Gegner, Vertreter der führenden Geistlichkeit von Tihrán und anderen Städten, seinen Anspruch zu verteidigen. Ganz auf sich gestellt und ohne Beistand, wies er seine Überlegenheit über die Gegner nach und brachte ihr Geschrei zum Schweigen. Obgleich sie innerlich seine Ansichten ablehnten und sein Verhalten verurteilten, mußten sie doch nach außen hin seine Autorität anerkennen und seine Meinung bestätigen.

¹ Er wurde Hujjatu'l-Islám genannt
² Wörtlich: `Die Vier Tore`, die alle den Anspruch erhoben, Mittler zu sein zwischen dem abwesenden Imám und seinen Nachfolgern
³ Er war ein Akhbárí. Über die Akhbáris schreibt Gobineau in `Les Religions et les Philosophies dans l'Asie Centrale, p.23 ff


+9:17 #212

Sobald der Ruf aus Shíráz sein Ohr erreichte, beauftragte Hujjat einen seiner Schüler, Mullá Iskandar, in den er volles Vertrauen setzte, die ganze Sache zu untersuchen und ihm über das Ergebnis seiner Erkundigung zu berichten. Völlig unempfindlich gegen Lob und Kritik seiner Landsleute, deren Lauterkeit er mißtraute und deren Urteilsfähigkeit er gering einschätzte, sandte er seinen Beauftragten nach Shíráz mit der bestimmten Weisung, eine sorgfältige und unabhängige Untersuchung durchzuführen. Mullá Iskandar kam in die Gegenwart des Báb und empfand unmittelbar die belebende Kraft Seines Einflusses. Er blieb vierzig Tage in Shíráz, nahm in dieser Zeit die Grundsätze des Glaubens in sich auf und erwarb sich entsprechend seiner Fassungskraft ein Wissen um das Ausmaß seiner Herrlichkeil.

+9:18

Mit der Zustimmung des Báb kehrte er nach Zanján zurück. Dort kam er zu einem Zeitpunkt an, da alle führenden Ulamás der Stadt in der Gegenwart von Hujjat versammelt waren. Kaum war er erschienen, da fragte ihn auch schon Hujjat, ob er an die neue Offenbarung glaube oder sie ablehne. Mullá Iskandar überreichte die mitgebrachten Schriften des Báb und versicherte, er halte es für seine Pflicht, dem zu folgen, was immer die Entscheidung seines Meisters bestimme. "Was!" rief Hujjat ärgerlich. "Wäre nicht diese erlauchte Gesellschaft hier, ich hätte dich schwer gestraft. Wie kannst du es wagen, Dinge des Glaubens von der Zustimmung oder Ablehnung anderer abhängig zu machen?" Er empfing aus der Hand seines Boten die Abschrift des Qayyúmu'l-Asmá, und kaum hatte er eine Seite aus dem Buch gelesen, da warf er sich zur Erde nieder und rief: "Ich bezeuge, daß diese Worte, die ich las, aus derselben Quelle kommen wie die des Qur'án. Wer die Wahrheit jenes heiligen Buches erkannt hat, muß zwangsläufig auch die göttliche Herkunft dieser Worte bekunden und sich zwangsläufig auch den Vorschriften beugen, die ihr Verfasser mit einbeschlossen hat. Ihr, die Mitglieder dieser Versammlung, seid meine Zeugen: Ich gelobe dem Urheber dieser Offenbarung so unbedingte Treue, daß, wenn er sagen würde, Nacht sei Tag und Sonnenlicht Schatten, ich vorbehaltlos Seinem Urteil mich beugen und seinen Schiedsspruch als die Stimme der Wahrheit anerkennen würde. Und wer Ihn nicht anerkennt, den betrachte ich als einen, der Gott selbst ableugnet." Mit diesen Worten beendete er die Versammlung.¹

¹ `Ich traf ihn (Mullá Muhammad-Alí)`, so erzählt Mírzá Jání, `in Tihrán im Hause von Mahmúd Khán, dem Bürgermeister, wo er wegen seiner Ergebenheit gegenüber Seiner Heiligkeit gefangen gehalten wurde. Er sagte: "Ich war ein Mullá, so stolz und gebieterisch, daß ich mich niemandem gebeugt hätte, nicht einmal dem verstorbenen Hájí Siyyid Báqir von Rasht, den man als den `Beweis des Islám` und den gelehrtesten Theologen betrachtete. Da meine Lehrmeinungen von der Akhbárí-Schule stammten, unterschied ich mich in bestimmten Fragen von der Mehrheit der Geistlichen. Die Leute beklagten sich über mich, und Muhammad Sháh rief mich nach Tihrán. Ich ging hin, er las meine Bücher aufmerksam durch und machte sich mit ihrem Inhalt vertraut. Ich bat ihn, den Sivyid (Siyyid Báqir von Rasht) ebenfalls herkommen zu lassen, damit wir miteinander diskutieren könnten. Erst war er geneigt, dies zu tun, später aber verschob er die Diskussion, nachdem er überlegt hatte, was für Unannehmlichkeiten sich dabei ergeben könnten. Kurz, trotz all meiner Selbstzufriedenheit war ich, als die Kunde von der Offenbarung Seiner Heiligkeit mich erreichte und ich einen kleinen Abschnitt von Versen jenes Punktes von Furqán gelesen hatte, ganz außer mir, bekannte mich spontan und aus freiem Willen heraus zur Wahrheit Seines Anspruchs und wurde Sein ergebener Diener, denn ich sah in Ihm das hehrste der Wunder des Propheten, wenn ich es abgelehnt hätte, dann hätte ich damit auch die Wahrheit der Religion des Islám abgelehnt."` (Hájí Mírzá Jánís Geschichte, Anhang 2 des Tárikh-i-Jadíd, p.349/350)


+9:19 #213

Wir haben auf den vorhergehenden Seiten von der Vertreibung von Quddús und Mullá Sádiq aus Shíráz berichtet und haben versucht, wenn auch unvollkommen, die Züchtigung zu beschreiben, die der tyrannische und raubgierige Husayn Khán über sie verhängt hatte. Nun sollte noch einiges über ihre Tätigkeit nach ihrer Ausweisung aus jener Stadt gesagt werden. Sie wanderten noch einige Tage lang zusammen, dann trennten sie sich. Quddús ging nach Kirmán, um dort mit Hájí Mírzá Karím Khán zu sprechen, und Mullá Sádiq lenkte seine Schritte nach Yazd in der Absicht, unter den Ulamás jener Provinz das Werk fortzusetzen, das man ihn in Fárs so grauenhaft aufzugeben gezwungen hatte.

+9:20

Quddús wurde bei seiner Ankunft im Hause von Hájí Siyyid Javád-i-Kirmání aufgenommen, den er in Karbilá kennengelernt hatte und dessen Gelehrsamkeit, Gewandtheit und Fähigkeit bei der Bevölkerung von Kirmán allgemein anerkannt waren. Bei allen Zusammenkünften, die in seiner Wohnung abgehalten wurden, wies er stets seinem jugendlichen Gast den Ehrenplatz an und behandelte ihn mit ausgesuchter Höflichkeit und Ehrerbietung. Eine so betonte Zuvorkommenheit einem so jungen und scheinbar unbedeutenden Menschen gegenüber reizte die Schüler von Hájí Mírzá Karím Khán zum Neid, und sie versuchten, indem sie lebhaft und in übertreibenden Ausdrücken von den Ehrungen sprachen, mit denen Quddús überhäuft werde, die noch schlummernde Feindseligkeit bei ihrem Oberhaupt zu erwecken. `Sieh doch`, flüsterten sie ihm ins Ohr, `er, der Liebling, der Vertraute und intimste Gefährte des Siyyid-i-Báb, der ist nun der geehrte Gast eines, der anerkanntermaßen der einflußreichste Bürger von Kirmán ist. Wenn man ihm erlaubt, in enger Gemeinschaft mit Hájí Siyyid Javád zu leben, wird er ihm zweifellos auch sein Gift in die Seele träufeln und ihn als Werkzeug benützen, um deine Autorität zu untergraben und deinen Ruhm auszulöschen.` Durch diese üblen Einflüsterungen aufgeschreckt, rief der feige Hájí Mírzá Karím Khán den Gouverneur an und überredete ihn, er solle mit Hájí Siyyid Javád sprechen und ihn auffordern, diese gefährliche Verbindung abzubrechen. Die Vorhaltungen des Gouverneurs versetzten den leidenschaftlichen Hájí Siyyid Javád in helle Wut. "Wie oft habe ich dir gesagt", protestierte er heftig, "du solltest dich nicht um die Einflüsterungen dieses üblen Ränkeschmieds kümmern! Meine Nachsicht hat ihn kühn gemacht. Er soll sich in acht nehmen, daß er seine Grenzen nicht überschreitet. Hat er es etwa auf meine Stellung abgesehen? Ist er nicht der, der in seinem Heim tausende elender und gemeiner Leute empfängt und sie mit liebedienerischen Schmeicheleien überhäuft? Hat er nicht immer und immer wieder versucht, die Gottlosen in den Vordergrund zu rücken und die Unschuldigen zum Schweigen zu bringen? Hat er nicht Jahr für Jahr die Hand der Übeltäter gestärkt und versucht, sich mit ihnen zu verbünden und seine sinnlichen Begierden zu befriedigen? Ist er nicht bis zum heutigen Tag dabei, seine Lästerungen über alles zu gießen, was im Islám rein und heilig ist? Mein Schweigen scheint seine Verwegenheit und seine Frechheit noch verstärkt zu haben, Er nimmt sich heraus, die schmutzigsten Taten zu begehen, und mir will er verweigern, in meinem eigenen Heim einen Mann von solcher Rechtschaffenheit, Gelehrsamkeit und Vornehmheit zu empfangen und zu ehren? Wenn er nicht aufhören wird mit seinen Schlichen, dann mag er sich in acht nehmen, daß ihn nicht auf mein Betreiben die schlimmsten Elemente dieser Stadt aus Kirmán vertreiben." Von diesen heftigen Anklagen verwirrt, entschuldigte sich der Gouverneur für sein Verhalten. Bevor er ging, versicherte er Hájí Siyyid Javád, daß er nichts zu befürchten habe, er selbst wolle versuchen, Hájí Mírzá Karím Khán auf das Abwegige seines Verhaltens aufmerksam zu machen und ihn dazu bringen, daß er bereue.

+9:21 #214

Die Botschaft des Siyyid verletzte Hájí Mírzá Karím Khán. Von einem Gefühl heftiger Verstimmung verkrampft, das er weder unterdrücken noch abreagieren konnte, ließ er alle Hoffnung auf die unbestrittene Führerschaft über die Bevölkerung von Kirmán fahren. Diese offene Herausforderung war das Grabgeläut für all seine ehrgeizigen Wünsche.

+9:22

In der Zurückgezogenheit seines Heims hörte Hájí Siyyid Javád zu, als Quddús alle Einzelheiten seiner Tätigkeit erzählte vom Tag seiner Abreise von Karbilá an bis zu seiner Ankunft in Kirmán. Die näheren Umstände seiner Hinwendung zum Glauben und seine anschließende Pilgerfahrt mit dem Báb beschäftigten die Vorstellungskraft seines Gastgebers und entzündeten das Licht des Glaubens in seinem Herzen. Doch hielt er seinen Glauben lieber noch geheim, da er hoffte, dadurch die Belange der neu gegründeten Gemeinde wirksamer schützen zu können. »Dein edler Einfluß«, versicherte ihm Quddús liebevoll, »wird als ein wertvoller Dienst angesehen werden, den du der Sache Gottes erwiesen hast. Der Allmächtige wird dir bei deinen Bemühungen Kraft verleihen und wird für alle Zeiten deine Überlegenheit über deine Gegner sichern.«

+9:23 #215

Dieses Geschehnis ist mir von einem gewissen Mírzá Abdu'lláh-i-Ghawghá erzählt worden, der es, als er in Kirmán war, von den Lippen des Hájí Siyyid Javád selbst vernahm. Die Aufrichtigkeit des von dem Siyyid zum Ausdruck gebrachten Vorsatzes wurde voll gerechtfertigt durch die glänzende Art und Weise, in der es ihm auf Grund seiner Bemühungen gelang, die Übergriffe des heimtückischen Hájí Mírzá Karím Khán abzuwehren, der, wäre er unangefochten geblieben, dem Glauben unabsehbaren Schaden zugefügt hätte.

+9:24

Von Kirmán beschloß Quddús nach Yazd zu gehen, und von dort aus weiter nach Ardikán, Náyin, Ardistán, Isfáhán, Káshán, Qum und Tihrán. In all diesen Städten hat er, ungeachtet der Hindernisse, die sich auf seinem Wege türmten, bei seinen Hörern das Verständnis für die Grundsätze geweckt, die zu vertreten er sich tapfer aufgemacht hatte. Ich habe gehört, wie Aqáy-i-Kalím, der Bruder von Bahá'u'lláh, seine Begegnung mit Quddús in Tihrán mit den Worten schilderte: "Der Liebreiz seiner Persönlichkeit, seine außerordentliche Freundlichkeit, verbunden mit einem würdevollen Betragen, mußten dem oberflächlichsten Beobachter auffallen. Wer immer in näherer Beziehung zu ihm stand, wurde von grenzenloser Bewunderung für den Liebreiz dieses Jünglings erfaßt. Wir sahen ihn eines Tages, wie er seine Waschung vornahm, und wir waren tief beeindruckt von der Anmut, die ihn vor den anderen Betenden bei der Ausübung einer so alltäglichen Verrichtung auszeichnete. Er erschien in unseren Augen geradezu als die Verkörperung der Reinheit und Anmut."

+9:25

In Tihrán war es Quddús erlaubt, in die Gegenwart von Bahá'u'lláh zu gelangen. Später reiste er nach Mázindarán weiter, wo er in seiner Heimatstadt Bárfurúsh im Hause seines Vaters etwa zwei Jahre lebte und in dieser Zeit von der liebevollen Hingabe seiner Familie und seiner Verwandtschaft umgeben war. Sein Vater hatte nach dem Tode seiner ersten Gattinr eine Frau geheiratet, die Quddús mit einer Güte und Fürsorge umgab, die kaum von einer Mutter hätte übertroffen werden können. Sie sehnte sich darnach, seine Hochzeit zu erleben, und manchmal hörte man sie sagen, sie fürchte, daß sie diese `größte Freude ihres Herzens` wohl mit ins Grab nehmen müsse. »Der Tag meiner Hochzeit«, bemerkte Quddús, »ist noch nicht gekommen. Dieser Tag wird unaussprechlich herrlich sein. Nicht in den Wänden dieses Hauses, sondern draußen, unter freiem Himmel, mitten auf dem Sabzih-Maydán, vor den Augen der Menge, da werde ich meine Hochzeit feiern und die Erfüllung meiner Hoffnungen erleben.« Drei Jahre später, als diese Frau die näheren Umstände des Märtyrertodes von Quddús auf dem Sabzih-Maydán erfuhr, erinnerte sie sich wieder an seine prophetischen Worte und verstand jetzt erst ihren Sinn.¹. Quddús blieb in Bárfurúsh bis zu der Zeit, da Mullá Husayn nach der Rückkehr von seinem Besuch beim Báb in der Festung Máhkú zu ihm stieß. Von Bárfurúsh brachen sie auf nach Khurásán, zu einer Reise, die denkwürdig ist durch Taten von einem solchen Heldenmut, wie er von keinem ihrer Landsleute übertroffen werden konnte.

¹ Ähnliches wird im Kashfu'l-Ghitá berichtet (p.227). Der Verfasser erklärt, daß ihm verschiedene Bewohner der Provinz Mázindarán einen solchen Hinweis gaben.


+9:26 #216 (zwei Bildlegenden - Bárfurúsh und das Haus von Quddús Vater)

Nun zu Mullá Sádiq, der sich, in Yazd angekommen, gleich durch einen vertrauten Freund, einen gebürtigen Khurásáner, nach dem Stand der Dinge und dem Fortschritt der Sache in jener Provinz erkundigte. Er war besonders begierig, Näheres über die Tätigkeit von Mírzá Ahmad-i-Azghandí zu hören, und brachte sein Erstaunen über die scheinbare Untätigkeit dieses Mannes zum Ausdruck, der zu einer Zeit, da das Geheimnis des Glaubens noch unenthüllt war, einen so lebhaften Eifer gezeigt hatte, das Volk für die Annahme der erwarteten Manifestation vorzubereiten.


+9:27 #217

"Mírzá Ahmad hat sich für längere Zeit in sein Haus zurückgezogen", wurde ihm gesagt, "und dort hat er seine Tatkraft darauf verwandt, eine gelehrte und umfangreiche Zusammenstellung der islamischen Überlieferungen und Prophezeiungen über den Zeitpunkt und die Art des Erscheinens der verheißenen Sendung vorzubereiten. Er hat mehr als zwölftausend überlieferungen von klarer Eindeutigkeit, deren Echtheit allgemein anerkannt ist, zusammengetragen und ist fest entschlossen, nun alle notwendigen Schritte für die Abschrift und die Verbreitung dieses Buches zu unternehmen. Indem er seine Studiengenossen veranlaßte, bei allen Zusammenkünften und Versammlungen öffentlich über seinen Inhalt zu sprechen, hoffte er die Hindernisse, die dem Fortschritt der ihm am Herzen liegenden Sache abträglich waren, ausräumen zu können."

+9:28

"Als er in Yazd ankam, wurde er von seinem Onkel mütterlicherseits, Siyyid Husayn-i-Azghandí, dem bedeutendsten Mujtahid dieser Stadt, herzlich willkommen geheißen, der wenige Tage vor der Ankunft seines Neffen diesen in einem Schreiben gebeten hatte, doch sobald wie möglich nach Yazd zu kommen und ihn von den Machenschaften des Hájí Mírzá Karím Khán zu befreien, den er für einen gefährlichen, wenngleich heimlichen Feind des Islám hielte. Der Mujtahid bat Mírzá Ahmad, alles in seiner Macht stehende zu tun, um den gefährlichen Einfluß von Hájí Mírzá Khán zu bekämpfen, und äußerte den Wunsch, er möge doch seinen ständigen Wohnsitz in dieser Stadt aufschlagen, damit er durch unablässige Ermahnungen und Aufrufe die Bevölkerung über die wahren Ziele und Absichten dieses bösartigen Feindes aufklären könne."

+9:29

"Mírzá Ahmad verbarg vor seinem Onkel seine ursprüngliche Absicht, nach Shíráz zu gehen, und beschloß, seinen Aufenthalt in Yazd zu verlängern. Er zeigte ihm das Buch, das er zusammengestellt hatte, und machte mit seinem Inhalt auch die Ulamás bekannt, die aus allen Teilen der Stadt zusammenströmten, um ihn zu sehen. Alle zeigten sich tief beeindruckt von dem Fleiß, der Gelehrsamkeit und dem Eifer, den der Verfasser dieses berühmten Werkes bewiesen hatte."

+9:31

"Unter denen, die kamen, um Mírzá Ahmad zu besuchen, war auch ein gewisser Mírzá Taqí, ein bösartiger, ehrgeiziger und hochfahrender Mensch; er war erst vor kurzem von Najaf zurückgekommen, wo er seine Studien abgeschlossen hatte und zum Rang eines Mujtahid erhoben worden war. Im Laufe seines Gesprächs mit Mírzá Ahmad äußerte er den Wunsch, dieses Buch zu lesen und es zu diesem Zweck ein paar Tage behalten zu dürfen, damit er einen besseren Einblick in seinen Inhalt bekomme. Siyyid Husayn und sein Neffe kamen beide diesem Wunsch nach. Mírzá Taqí hielt jedoch sein Versprechen, das Buch bald wieder zurückzugeben, nicht ein. Mírzá Ahmad, dem bereits Zweifel an der Aufrichtigkeit der Absichten von Mírzá Taqí gekommen waren, drängte seinen Onkel, den Borger an sein Versprechen zu erinnern. `Sag deinem Herrn`, lautete die unverschämte Antwort, die er dem Boten gab, der das Buch abholen sollte, `daß ich mich entschlossen habe, es zu vernichten, nachdem ich mich sattsam von der Schädlichkeit dieser Sammlung überzeugt habe. Vergangene Nacht habe ich es in den Teich geworfen und habe damit seine Seiten ausgelöscht.`"

+9:32 #218

"Siyyid Husayn war zutiefst empört über eine derartige Hinterhältigkeit und Unverschämtheit und beschloß, Rache an ihm zu nehmen. Mírzá Ahmad gelang es jedoch, durch seine klugen Ratschläge den Ärger seines wütenden Onkels zu hesänftigen und ihn von seinen geplanten Maßnahmen abzubringen. `Die Strafe, die du vorhast`, gab er zu bedenken, `wird nur die Wut der Bevölkerung erregen und nichts als Unheil und Aufruhr bewirken und uns ganz erheblich zurückwerfen. Du willst doch, daß ich mich bemühe, den Einfluß von Hájí Mírzá Karím Khán zu ersticken. Er wird aber zweifellos die Gelegenheit nützen, dich als Bábí hinstellen und mich für deinen Gesinnungswandel verantwortlich machen. Und damit wird es ihm dann gelingen, einmal deine Autorität zu untergraben, und zum andern bei der Bevölkerung an Achtung und Zuneigung zu gewinnen. Überlaß ihn der Hand Gottes!`"

+9:33

Mullá Sádiq war hoch erfreut, aus dem Bericht über diesen Vorfall zu erfahren, daß Mírzá Ahmad zur Zeit in Yazd wohnte, und daß einer Begegnung mit ihm nichts im Wege stand. Er begab sich unverzüglich zu der Moschee, in der Siyyid Husayn das gemeinsame Gebet leitete und Mírzá Ahmad die Predigt hielt. Er nahm in der ersten Reihe zwischen den Betenden Platz und vereinigte sich mit ihnen in der Andacht. Darnach ging er geradenwegs auf Siyyid Husayn zu und umarmte ihn vor aller Augen. Unaufgefordert bestieg er dann die Kanzel und schickte sich an, zu den Gläubigen zu sprechen. Siyyid Husayn erhob keinen Einwand, obgleich er zunächst erschrak; er war gespannt, seine Beweggründe zu erfahren und den Wissensstand dieses plötzlichen Eindringlings festzustellen. Er veranlaßte seinen Neffen, ihn nicht zu hindern.

+9:34

Mullá Sádiq eröffnete seine Ansprache mit einer der bekanntesten und äußerst fein geschriebenen Lehrpredigten des Báb und wandte sich anschließend mit folgenden Wurten an die Gemeinde: "Bringet Gott Dank dar, o ihr Gelehrten, denn siehe, das Tor der göttlichen Erkenntnis, von dem ihr geglaubt habt, es sei verschlossen, ist nun weit geöffnet! Der Strom ewigen Lebens ist aus der Stadt Shíráz ausgeströmt und bringt unaussprechliche Segnungen über das Volk dieses Landes. Wer immer auch nur einen Tropfen aus diesem Meere himmlischer Gnade genossen hat, der hat, wie einfach und ungelehrt er auch sei, in sich selbst die Fähigkeit entdeckt, die tiefsten Geheimnisse zu enthüllen, und sein Vermögen erkannt, die dunkelsten Themen altehrwürdiger Weisheit auszulegen. Und wer immer, wäre er auch der gelehrteste Ausleger des islamischen Glaubens, es vorgezogen hat, sich nur auf seine eigene Fähigkeit und Kraft zu verlassen, und die göttliche Botschaft verschmähte, der hat sich selbst unwiederbringlich zu Erniedrigung und Verlust verdammt."

+9:35 #219

Eine Woge der Entrüstung und Bestürzung erfaßte die ganze Gemeinde, als Mullá Sádiq diese denkwürdige Verkündigung erschallen ließ. Die Moschee hallte wider vom Geschrei über die `Gotteslästerung!`, das die wütende Gemeinde voll Entsetzen dem Redner entgegenschleuderte. "Steig herab von der Kanzel", erhob sich die Stimme von Siyyid Husayn inmitten des Lärms und Aufruhrs der Menschen, als er Mullá Sádiq aufforderte, still zu sein und sich zurückzuziehen. Kaum hatte er den Boden der Moschee wieder betreten, als auch schon die ganze Gemeinde sich auf ihn stürzte und ihn mit Schlägen überfiel. Siyyid Husayn warf sich sofort dazwischen, trieb die Menge mit aller Kraft auseinander, ergriff die Hand von Mullá Sádiq und zog ihn heftig an seine Seite. "Hände weg!" rief er der Menge zu, "überlaßt ihn meiner Obhut. Ich werde ihn zu mir nach Hause nehmen und der Sache sofort nachgehen. Es könnte ihn ein plötzlicher Anfall von Geistesgestörtheit veranlaßt haben, solche Worte zu sprechen. Ich will ihn selber prüfen. Sollte ich herausfinden, daß er diese Worte vorsätzlich gesprochen hat und daß er selbst fest an das glaubt, was er gesagt hat, dann will ich ihm mit eigenen Händen die Strafe verabreichen, die das Islámische Gesetz hierfür vorsieht."

+9:36

Durch diese feierliche Versicherung wurde Mullá Sádiq von den wilden Angriffen seiner Gegner befreit. Seiner Abá¹ und seines Turbans entkleidet, seiner Sandalen und seines Stabes beraubt, zerschunden und zerschlagen von den Verletzungen, die er empfangen hatte, wurde er der Obhut von Siyyid Husayns Dienern übergeben, die ihn schließlich, nachdem sie sich einen Weg durch die Menge erzwungen hatten, in das Haus ihres Lehrers geleiten konnten.

¹ Mantel Umhang


+9:37 #220

Auch Mullá Yúsuf-i-Ardibílí wurde in jenen Tagen das Opfer einer Verfolgung, die noch grausamer und entschiedener war als der wüste Anschlag, den die Bevölkerung in Yazd gegen Mullá Sádiq gerichtet hatte. Hätten sich nicht Mírzá Ahmad und sein Onkel ins Mittel gelegt, so wäre er der Wut der aufgebrachten Feinde zum Opfer gefallen. Als Mullá Sádiq und Mullá Yúsuf-i-Ardibílí nach Kirmán kamen, mußten sie ähnliche Beschimpfungen über sich ergehen lassen und ähnliche Leiden von der Hand von Hájí Mírzá Karím Khán und seinen Genossen erdulden.¹ Die fortgesetzten Bemühungen von Hájí Siyyid Javád bewirkten schließlich, daß sie dem Zugriff ihrer Verfolger entrissen wurden und sie sich nach Khurásán begeben konnten.

¹ Es entstand ein heftiger Streit zwischen Muqaddas und Karím Khán, der, wie man weiß, nach dem Tod von Kázim zum Oberhaupt der Shaykhí-Sekte aufgestiegen war. Die Diskussion fand in Gegenwart zahlreicher Zuhörer statt, und Karím rief seinen Gegner auf, die Wahrheit der Sendung des Báb zu beweisen. "Wenn es dir gelingt", sprach er, "dann wollen ich und meine Schüler uns bekehren; wenn nicht, dann werde ich in den Bazars ausrufen: `Das ist der, der das heilige Gesetz des Islam mit Füßen tritt!`" "Ich weiß, wer du bist, Karim," antwortete ihm Muqaddas. "Erinnerst du dich nicht mehr an deinen Lehrer Siyyid Kázim und was er zu dir gesagt hat: `Du Hund, willst du denn nicht, daß ich sterbe und daß nach mir die absolute Wahrheit erscheine!?` Und heute, von der Leidenschaft des Reichtums und des Ruhmes erfaßt, belügst du dich selbst." Da die Diskussion schon in einem solchen Ton begann, mußte sie kurz werden. Und so zogen denn auch die Schüler von Karím ihre Dolche und stürzten sich auf den, der ihr Oberhaupt beleidigte. Zum Glück schaltete sich der Gouverneur der Stadt ein, ließ den Muqaddas festnehmen und in sein Palais bringen. Er behielt ihn dort eine Zeitlang, bis die Gemüter sich wieder etwas beruhigt hatten, und schickte ihn dann bei Nacht wieder weg und gab ihm über einige Etappen hin ein Geleit von zehn Reitern mit. (A.L.M.Nicolas, Siyyid Alí-Muhammad dit le Báb, p.228/229)


+9:38

Obgleich sie von ihren Feinden gehetzt und gejagt wurden, ließen sich die ersten Jünger des Báb wie auch ihre Gefährten in den verschiedenen Gebieten Persiens durch solche Verbrechen nicht abschrecken oder von der Erfüllung ihrer Aufgabe abhalten. Unerschütterlich in ihrer Zielstrebigkeit und unwandelbar in ihrer Überzeugung, kämpften sie weiter den Kampf mit den dunklen Mächten, die jeden Schritt ihres Pfades bedrohten. Ihre uneingeschränkte Hingabe und beispiellose Tapferkeit ließ viele ihrer Landsleute die adelnde Wirkung des Glaubens erkennen, zu dessen Verteidigung sie sich aufgemacht hatten.


+9:39 #221

Als Vahíd¹ noch in Shíráz weilte, kam Hájí Siyyid Javád-i-Karbilá'í² dorthin und wurde durch Hájí Mírzá Siyyid Alí dem Báb vorgestellt. In einem Tablet, das Er an Vahíd und Hájí Siyyid Javád richtete, hat der Báb ihre Standhaftigkeit im Glauben hervorgehoben und die Unwandelbarkeit ihrer Hingabe betont. Der Letztgenannte hatte den Báb schon vor der Erklärung Seiner Sendung kennengelernt und war ein glühender Bewunderer der außergewöhnlichen Charakterzüge, die Ihn schon von Kindheit an auszeichneten. Später traf er Bahá'u'lláh in Baghdád und genoß Seine ganz besondere Gunst. Als ein paar Jahre später Bahá'u'lláh nach Adrianopel verbannt wurde, kehrte er, damals schon in sehr hohem Alter, nach Persien zurück, hielt sich einige Zeit in der Provinz Iráq auf und begab sich dann nach Khurásán. Sein gütiges Wesen, seine große Geduld und echte Schlichtheit trugen ihm den Beinamen Siyyid-i-Núr³ ein.

¹ Der Titel wurde Siyyid Yahyáy-i-Dárábí vom Báb verliehen

² Die ungewöhnlichen Umstände der Bekehrung des Hájí Siyyid Javád-i-Karbilá'í
werden ausführlich in dem Buch Kashfu'l-Ghitá p.70-77 geschildert. Es wird dort auf ein bedeutendes Tablet hingewiesen, welches ihm von Bahá'u'lláh geoffenbart wurde (p.63). Darin wird die Wichtigkeit des Kitáb-i-Aqdas besonders hervorgehoben und die Notwendigkeit, äußerste Vorsicht und Mäßigung bei der Anwendung und Verwirklichung seiner Vorschriften walten zu lassen. Der Text dieses Tablets befindet sich auf p.64-70 desselben Buches. Der folgende Absatz des Dalá'il-i-Sab'ih bezieht sich auf die Bekehrung von Hájí Siyyid Javád: »Aqá Siyyid Javád-i-Karbilá'í erzählte, daß ihm vor der Offenbarung ein Inder den Namen dessen geschrieben hatte, der offenbart werden würde.« (Le Livre des Sept Preuves, übersetzt von A.L.M.Nicolas, p.59)

³ Wörtlich: der leuchtende Siyyid


+9:40

Eines Tages sah Hájí Siyyid Javád, als er in Tihrán die Straße überquerte, plötzlich den Sháh vorüberreiten. Er ließ sich durch die Gegenwart seines Herrschers keineswegs aus der Fassung bringen, er ging ruhig auf ihn zu und grüßte ihn. Seine verehrungswürdige Gestalt und die Würde seines Gebarens gefielen dem Sháh. Er nahm seinen Gruß entgegen und lud ihn ein, ihn zu besuchen. Er wurde in einer Weise empfangen, daß die Höflinge des Sháh von Neid erfüllt wurden. `Weiß Euere Kaiserliche Majestät denn nicht`, lehnten sie sich auf, `daß dieser Hájí Siyyid Javád kein anderer ist als der, welcher schon vor der Erklärung des Siyyid-i-Báb sich als Bábí bekannt und ihm unwandelbare Treue gelobt hat?` Der Sháh, der die Bosheit, die hinter ihrer Anschuldigung steckte, wohl erkannte und darob sehr ungehalten war, tadelte sie ob ihrer Unbesonnenheit und niedrigen Gesinnung. "Wie merkwürdig", soll er ausgerufen haben, "wer immer sich durch aufrechtes Verhalten und höfliches Benehmen auszeichnet, wird von meinem Volk sofort als Bábí denunziert und als Objekt betrachtet, das meiner Verdammung würdig ist!"

+9:41

Hájí Siyyid Javád verbrachte seinen Lebensabend in Kirmán und blieb bis zu seiner letzten Stunde eine zuverlässige Stütze für den Glauben. Nie wurde er wankend in seiner Überzeugung, noch ließ er nach in seinen aufopfernden Bemühungen um die Verbreitung der Sache.



+9:42 #222 (Bildlegende - Siyyid Javád-i-Karbilá'í)

Shaykh Sulján-i-Karbilá'í, dessen Vorfahren zu den führenden Ulamás von Karbilá gehörten, und der selbst ein entschiedener Förderer und vertrauter Gefährte von Siyyid Kázim war, gehörte auch zu denen, die in jenen Tagen mit dem Báb in Shíráz zusammengekommen waren. Er war es, der sich später einmal aufmachte, Bahá'u'lláh in Sulaymáníyyih aufzusuchen, und dessen Tochter später die Frau von Aqáy-i-Kalím wurde. Als er in Shíráz ankam, befand er sich in Begleitung von Shaykh Hasan-i-Zunúzí, von dem bereits in früheren Abschnitten dieses Berichts die Rede war. Ihm übertrug der Báb die Aufgabe, in Zusammenarbeit mit Mullá Abdu'l-Karím die Tablets abzuschreiben, die Er vor kurzem offenbart hatte. Shaykh Sultán, der zur Zeit seiner Ankunft zu krank gewesen war, als daß er den Báb hätte aufsuchen können, erhielt eines Abends, als er noch auf seinem Krankenbett lag, eine Botschaft von seinem Geliebten mit der Kunde, daß Er selbst ihn etwa zwei Stunden nach Sonnenuntergang besuchen wolle. Der äthiopische Diener, der seinem Herrn als Laternenträger diente, erhielt in jener Nacht die Weisung, in so großem Abstand vor seinem Herrn herzugehen, daß die Aufmerksamkeit der Leute sich nicht auf Ihn lenke, und die Laterne sollte er in dem Augenblick auslöschen, da Er seinen Bestimmungsort erreicht habe.

+9:43 #223

Ich habe gehört, wie Shaykh Sultán selbst jenen nächtlichen Besuch schilderte: "Der Báb, der mich hatte bitten lassen, die Lampe in meinem Zimmer noch vor Seiner Ankunft zu löschen, trat dicht an mein Bett heran. Mitten im Dunkel, das uns umgab, hielt ich den Saum Seines Gewandes fest und bat ihn flehend: `Erfülle meinen Wunsch, o Du Geliebter meines Herzens, und erlaube mir, mich für Dich zu opfern. Kein anderer als Du kann mir diese Gunst gewähren.` »O Shaykh«, erwiderte der Báb, »auch ich sehne mich darnach, mich auf dem Altar des Opfers dahinzugeben. Uns beiden geziemt es, uns am Gewand des Meistgeliebten festzuhalten und bei Ihm die Freude und Herrlichkeit des Märtyrertums auf Seinem Pfade zu suchen. Sei versichert, ich will für dich den Allmächtigen bitten, daß es dir gelinge, in Seine Gegenwart zu gelangen. Gedenke Meiner an diesem Tage, einem Tag, wie ihn die Welt nie zuvor gesehen hat.« Als die Abschiedsstunde nahte, legte Er eine Gabe in meine Hand und bat mich, sie für mich selbst zu verwenden. Ich wollte ablehnen; doch Er bat mich, sie anzunehmen. Schließlich gab ich Seinem Wunsch nach, worauf Er sich erhob und ging."

+9:44

"Die Anspielung, die der Báb in jener Nacht auf den »Meistgeliebten« machte, erfüllte mich mit Verwunderung und Neugier. In den darauffolgenden Jahren glaubte ich oft, daß niemand anderes als Táhirih diejenige sei, die der Báb gemeint hatte. Auch dachte ich einmal, Siyyid-i-Uluvv könne diese Person sein. Ich war vollkommen verwirrt und wußte nicht, wie ich dieses Geheimnis lösen konnte. Als ich jedoch nach Karbilá kam und in die Gegenwart von Bahá'u'lláh gelangte, da wurde es mir zur festen Gewißheit, daß nur Er allein auf eine solche Liebe des Báb Anspruch haben konnte, und daß Ihm, nur Ihm eine solche Verehrung zukam."

+9:45

Das zweite Naw-Rúz nach der Erklärung der Sendung des Báb, das auf den einundzwanzigsten Tag des Monats Rabí'u'l-Avval des Jahres 1262 d.H.165 (1846) fiel, sah den Báb noch in Shíráz, wo er in verhältnismäiliger Ruhe und Bequemlichkeit die Freuden eines ungestörten Beisammenseins mit Seiner Familie und Seiner Verwandtschaft genießen durfte. In aller Stille und Schlichtheit feierte Er das Naw-Rúz-Fest im engsten Familienkreise in Seinem Heim und überschüttete nach Seiner steten Gepflogenheit Seine Mutter und Seine Frau mit Beweisen Seiner Liebe und Zuneigung. Durch die Weisheit Seiner Ratschläge und durch Seine zärtliche Liebe erfreute Er ihre Herzen und zertreute ihre Befürchtungen. Er vermachte ihnen all Seinen Besitz und ließ Sein Vermögen auf ihre Namen eintragen. In einem handschriftlichen und von Ihm selbst unterzeichneten Dokument bestimmte Er, daß Sein Haus samt Einrichtung wie auch der Rest Seines Vermögens als ausschließliches Eigentum Seiner Mutter und Seiner Frau zu betrachten sei, und daß nach dem Tod der Erstgenannten ihr Erbanteil Seiner Frau zufallen solle.

+9:46 #224

Der Mutter des Báb war es zunächst noch nicht gegeben, die Bedeutung der von ihrem Sohn verkündeten Sendung zu erkennen. Die Größe der Gewalt, die Seiner Offenbarung innewohnte, blieb ihr zunächst verborgen. Erst als sich ihr Leben seinem Ende zuneigte, wurde sie fähig, zu erkennen, welch eine unschätzbare Kostbarkeit sie empfangen und der Welt geschenkt hatte. Bahá'u'lláh war es, der ihr schließlich begreiflich machen konnte, was für ein kostbarer verborgener Schatz es war, der so viele Jahre lang ihren Augen unsichtbar gewesen war. Sie lebte im Iráq, wo sie ihren Lebensabend verbringen wollte, als Bahá'u'lláh zwei Seiner ergebenen Anhänger, Hájí Siyyid Javád-i-Karbilá'í und die Frau von Hájí Abdu'l-Majíd-i-Shírází, die beide schon gut mit ihr bekannt waren, damit betraute, sie in den Grundsätzen des Glaubens zu unterweisen. Nun erkannte sie die Wahrheit der Sache und blieb bis zu den letzten Jahren des dreizehnten Jahrhunderts d.H.¹, als sie aus diesem Leben schied, sich der wunderbaren Gaben voll bewußt, mit denen der Allmächtige sie bedacht hatte.

¹ Das dreizehnte Jahrhundert d.H. endete im Oktober 1882


+9:47

Die Frau des Báb jedoch erkannte im Gegensatz zu Seiner Mutter schon bei den allerersten Anzeichen Seiner Berufung die Herrlichkeit und Einzigartigkeit Seiner Sendung und empfand von Anfang an die Stärke ihrer Gewalt. Außer Táhirih ist unter den Frauen ihrer Generation keine an Unmittelbarkeit der Hingabe ihr gleichgekommen oder konnte sie gar an Glaubenstiefe übertreffen. Ihr hat der Báb das Geheimnis Seiner künftigen Leiden anvertraut und vor ihren Augen die Bedeutsamkeit der Ereignisse enthüllt, die an Seinem Tage geschehen sollten. Er bat sie, dieses Geheimnis vor Seiner Mutter zu bewahren, und gab ihr den Rat, geduldig und ergeben in den Willen Gottes zu sein. Er betraute sie mit einem besonderen Gebet, von Ihm selbst offenbart und niedergeschrieben, und versicherte sie, daß das Lesen dieses Gebets die Not von ihr nehmen und die Bürde ihrer Schmerzen lindern werde. »Sprich dieses Gebet«, sprach er zu ihr, »in der Stunde deiner Not, ehe du dich zum Schlafe niederlegst; und ich selbst werde dir erscheinen und deine Angst bannen.« Getreu Seiner Verheißung erleuchtete das Licht Seiner unfehlbaren Führung ihren Pfad und löste ihre Probleme, sooft sie sich im Gebet an Ihn wandte.¹

¹ `Die Witwe des Báb überlebte ihn bis 1300 d.H. also bis vor 6 Jahren. Sie war die Schwester vom Großvater mütterlicherseits meines Freundes. Die oben erwähnten Einzelheiten stammen von einer alten Dame derselben Familie, so daß sie mit Fug und Recht als zuverlässig betrachtet werden können.` (Journal of the Royal Asiatic Society 1889 p.993)


+9:48 #225

Nachdem der Báb Sein Haus bestellt und die Zukunft Seiner Mutter und Seiner Frau gesichert hatte, verlegte Er Seinen Wohnsitz von Seinem eigenen Haus in die Wohnung von Hájí Mírzá Siyyid Alí. Dort erwartete Er die herannahende Stunde Seiner Leiden. Er wußte, daß die Trübsale, die Seiner harrten, sich nicht länger hinauszögern ließen, daß Er bald in einen Wirbel von Feindseligkeiten verstrickt würde, der Ihn rasch dem Feld des Märtyrertums, der Krönung Seines Lebens, zutragen würde. Er bat diejenigen Seiner Anhänger, die sich in Shíráz angesiedelt hatten - zu ihnen gehörten Mullá Abdu'l-Karím und Shaykh Hasan-i-Zunúzí -, sich nach Isfáhán zu begeben und dort Seine weiteren Anordnungen abzuwarten. Siyyid Husayn-i-Yazdí, einer der Buchstaben des Lebendigen, der vor kurzem nach Shíráz gekommen war, erhielt ebenfalls die Weisung, nach Isáhán zu gehen und sich dort seinen Gefährten anzuschließen.

+9:49

Inzwischen setzte Husayn Khán, der Gouverneur von Fárs, alles daran, den Báb in neue Ungelegenheiten zu stürzen und Ihn noch mehr in den Augen der Öffentlichkeit zu demütigen. Das glimmende Feuer seiner Feindseligkeit wurde zur hellen Flamme, als er erfuhr, daß dem Báb erlaubt war, Seinem Wirken weiterhin unangefochten nachzugehen, daß Er weiterhin mit gewissen Männern unter Seinen Gefährten zusammenkommen durfte und sich immer noch der Annehmlichkeiten der uneingeschränkten Gemeinschaft mit Seiner Familie und Seinen Verwandten erfreute.¹ Mit Hilfe seiner Geheimagenten gelang es ihm, genaue Informationen bezüglich der Art und des Einflusses jener Bewegung zu erhalten, die der Báb ins Leben gerufen hatte. Er hatte insgeheim Seine Tätigkeit überwacht, sich über den Grad der Begeisterung informiert, die Er erweckt hatte, und genau das Verhalten und die Zahl derer, die sich zu Seiner Sache bekannten, überprüft.

¹ `Die Unruhen, die leidenschaftlichen Diskussionen, der ganze Skandal dauerte in Shíráz fort, und zwar so lange, bis Hájí Mírzá Aqásí, der sich durch diesen Tumult erheblich gestört fühlte und Angst vor den möglichen Folgen hatte, Husayn Khán Nizámu'd-Dawlih den Befehl erteilte, mit dem Reformator Schluß zu machen und ihn heimlich töten zu lassen.` (A.L.M.Nicolas, Siyyid Alí-Muhammad dit le Báb p.235)


#226 (Bildlegenden - In Hájí Mírzá Alís Haus in Shíráz)
#227 (Bildlegende - Das Haus von Hájí Mírzá Siyyid Alí, dem Onkel des Báb)


+9:50

Eines Nachts kam zu Husayn Khán der Anführer seiner Agenten mit der Nachricht, daß die Menge derer, die sich zusammengeschart hatten, um den Báb zu sehen, ein solches Ausmaß angenommen habe, daß er ein sofortiges Eingreifen der Sicherheitswache der Stadt für erforderlich halte. `Die begeisterte Menge, die sich Nacht für Nacht zusammenfindet, um den Báb zu sehen`, bemerkte er, `übersteigt die Zahl derer, die sich täglich vor den Toren deines Regierungssitzes drängt. Man kann unter ihnen Männer sehen, die nicht nur wegen ihres hohen Ranges, sondern auch wegen ihrer außergewöhnlichen Gelehrsamkeit berühmt sind.¹ Sein Onkel bewahrt in seiner Haltung gegenüber den Beamten deiner Regierung so viel Takt und verschwenderische Großmut, daß keiner deiner Untergebenen geneigt ist, dich über die wahre Lage aufzuklären. Wenn du mir erlaubst, so will ich mit Hilfe einer Anzahl deiner Diener den Báb um Mitternacht überwachen und dir ein paar seiner Gefährten in Handschellen ausliefern, die dich über seine Umtriebe aufklären und die Richtigkeit meiner Angaben bestätigen können.` Husayn Khán weigerte sich, diesem Wunsch zu entsprechen. `Ich weiß besser`, sagte er, `was die Interessen des Staates fordern. Du kannst mir aus der Ferne zusehen, ich werde mit ihm schon zurechtkommen.`

¹ `Die Mullás von Fárs waren höchst irritiert, unzufrieden und beunruhigt; sie konnten nicht absehen, wie diese Bewegung aufzuhalten sei, die sich so stark gegen sie wandte. Sie waren aber nicht die einzigen, die sich in dieser Verlegenheit befanden. Die Obrigkeit der Stadt und der Provinz wußte sehr wohl, daß die Bevölkerung, die ihr anvertraut war, und die sie nie ganz in der Hand hatte, es diesmal weniger denn je war. Die Leute von Shíráz, leichtsinnig, spöttisch, ausgelassen, kriegerisch, immer bereit zum Aufruhr, unerhört frech, in keiner Weise der Qájár-Dynastie verbunden, sind nie leicht zu lenken gewesen, und ihre Verwaltungsbeamten haben oft schwere Tage. In welche Situation mußten diese Verwaltungsbeamten kommen, wenn das wahre Oberhaupt der Stadt und des Landes, der Schiedsrichter über die Ideen von jedermann, das Idol eines jeden, ein junger Mann werden würde, der sich durch nichts unterkriegen ließ, der sich an nichts hielt und an nichts gebunden fühlte, der sich aus seiner Unabhängigkeit einen Sockel machte, von dem aus er tagtäglich ungestraft und in aller Öffentlichkeit alles angriff, was bisher in der Stadt als machtvoll und respektabel gegolten hatte? Um die Wahrheit zu sagen, der Königshof, die Politik, die Administration als solche, waren bis jetzt noch nicht Gegenstand der heftigen Anprangerungen des Neuerers gewesen; wenn man ihn aber so streng in seinen Sitten sah, so unerbittlich gegenüber geistigem Betrug und dem Geist der Erpressung bei den Mitgliedern des Klerus, dann war es doch höchst zweifelhaft, ob er die im Grunde gleichen übergriffe, dieselben Betrügereien, die unter den öffentlichen Funktionären so florierten, billigen würde; und es lag nahe, daß an dem Tag, da seine Blicke auf sie fallen würden, er sehr wohl alles sehen und verdammen werde, was zu verbergen sie kaum in der Lage waren." (Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosephies dans l'Asie Centtrale p.122-123)


+9:51 #228

Der Gouverneur befahl unverzüglich Abdu'l Hamíd Khán zu sich, den Polizeichef der Stadt. "Begib dich augenblicklich in das Haus von Hájí Mírzá Siyyid Alí", gebot er ihm. "Erklimme ruhig und unbeobachtet die Mauer, steige übers Dach und betritt von dort aus plötzlich seine Wohnung. Nimm den Siyyid-i-Báb sofort fest und bringe ihn zusammen mit allen Besuchern, die vielleicht gerade bei ihm sind, hierher. Beschlagnahme alle Bücher und Dokumente, die du im Haus findest. Was Hájí Mírzá Siyyid Alí betrifft, so habe ich die Absicht, ihm anderntags die Strafe für das Nichteinhalten seines Versprechens aufzuerlegen. Ich schwöre beim Kaiserdiadem von Muhammad Sháh, daß ich noch in dieser Nacht den Siyyid-i-Báb zusammen mit seinen verdammten Genossen hingerichtet haben werde! Ihr schimpflicher Tod wird die Flamme auslöschen, die sie entzündet haben, und wird jeden Möchtegern-Anhänger dieses Glaubens zur Besinnung bringen, schon aus Angst vor der Gefahr, in die sich jeder begibt, der den Frieden des Reiches stört. Damit habe ich dann die Ketzerei ausgerottet, deren Fortbestehen die größte Gefahr für die Staatsinteressen bedeutet."

+9:52

Abdu'l-Hamíd Khán zog sich zurück, um seinen Auftrag durchzuführen. Er brach mit seinen Helfershelfern in das Haus von Hájí Mírzá Siyyid Alí ein¹ und fand den Báb in Gesellschaft Seines Onkels und eines gewissen Siyyid Kázim-i-Zanjání, der später in Mázindarán den Märtyrertod starb und dessen Bruder Siyyid Murtadá einer der Sieben Märtyrer von Tihrán war. Er nahm sie sofort fest, raffte alles zusammen, was er an Dokumenten finden konnte, befahl Hájí Mírzá Siyyid Alí, sein Haus nicht zu verlassen, und führte die übrigen zum Sitz der Regierung. Man hörte, wie der Báb, unerschrocken und selbstbeherrscht, wiederholt den Vers aus dem Qur'án aufsagte: »Das, womit sie bedroht sind, gilt für den Morgen. Ist der Morgen nicht nahe?«

¹ 23.September 1845. Siehe Tárikh-i-Jadíd p.204


+9:53 #229

Kaum hatte der Polizeichef den Marktplatz erreicht, als er zu seinem Erstaunen sah, daß die Menschen der Stadt verstört nach allen Seiten auseinanderstoben, wie wenn ein schreckliches Unheil über sie gekommen wäre. Er wurde von Grausen gepackt, als er sah, wie eine lange Reihe von Särgen eilends durch die Straßen getragen wurden, hinter jedem ein Zug von Männern und Frauen, die laute Schreie des Schmerzes und der Angst ausstießen. Dieser plötzliche Tumult, die Klagen, die erschreckten Gesichter, die Verwünschungen der Menge plagten und bestürzten ihn. Er erkundigte sich nach der Ursache. "Eben in dieser Nacht", sagte man ihm "ist eine Plage von ganz besonderer Bösartigkeit¹ ausgebrochen. Wir sind geschlagen von ihrer verheerenden Gewalt. Seit Mitternacht ist schon das Leben von mehr als hundert Menschen ausgelöscht worden. Schrecken und Verzweiflung herrscht in jedem Haus. Die Menschen fliehen aus ihren Wohnungen und flehen in ihrer Not zum Allmächtigen um Hilfe."²

¹ eine Choleraseuche

¹ Der Báb erwähnt dieses Ereignis im Dalá'il-i-Sab'ih mit folgenden Worten: »Erinnere dich an die ersten Tage der Manifestation: Wie viele Menschen sind an Cholera gestorben! Dies war eines der Wunder der Manifestation, und keiner hat es begriffen. Seit vier Jahren wütet diese Geißel unter den shí'itischen Moslems, ohne daß jemand ihre Bedeutung erfaßt hätte.« (Le Livre des Sept Preuves, nach der französischen übersetzung von A.L.M.Nicolas p.61/62)


+9:54

Voll Schrecken über diese schlimme Nachricht lief Abdu'l-Hamíd Khán zum Hause von Husayn Khán. Ein alter Mann, der sein Haus hütete und als Pförtner angestellt war, teilte ihm mit, daß das Haus seines Herrn verlassen sei, daß die Wut der Seuche sein Heim verwüstet und die Mitglieder seines Haushalts befallen habe. `Zwei seiner äthiopischen Dienerinnen`, sagte man ihm, `und ein Diener sind dieser Geißel schon zum Opfer gefallem und von seiner eigenen Familie sind schon Mitglieder gefährlich erkrankt. Mein Herr hat in seiner Verzweiflung das Haus verlassen und ist, ohne die Toten zu begraben, mit dem Rest seiner Familie nach Bágh-i-Takht¹ geflohen.`

¹ Ein Garten außerhalb von Shíráz



+9:55 #230

Abdu'l-Hamíd Khán beschloß, den Báb in sein eigenes Heim zu bringen und Ihn dort, gemäß den Weisungen des Gouverneurs, unter seiner Aufsicht zu halten. Als er sich seinem Haus näherte, wurde er überwältigt von dem Weinen und Wehklagen der Mitglieder seines Haushalts. Sein Sohn war von der Seuche befallen worden und schwebte in Lebensgefahr. In seiner Verzweiflung warf er sich dem Báb zu Füßen und bat ihn unter Tränen, doch das Leben seines Sohnes zu retten. Er flehte ihn an, Er möge ihm doch seine Vergehen und Übeltaten verzeihen. "Ich beschwöre dich", flehte er und klammerte sich an das Gewand des Báb, "ich beschwöre dich bei Dem, der Dich zu dieser erhabenen Stellung emporgehoben hat, lege Du Fürbitte für mich ein und bete für die Gesundung meines Sohnes! Dulde nicht, daß er in der Blüte seiner Jahre mir entrissen werde! Bestrafe ihn nicht für die Schuld, die sein Vater auf sich geladen hat! Ich bereue, was ich getan habe und lege augenblicklich mein Amt nieder. Ich gebe Dir feierlich mein Wort, daß ich nie mehr ein solches Amt annehmen werde, selbst wenn ich Hungers sterben müßte!"

+9:56

Der Báb, der gerade Seine Waschungen vornahm und sich für das Gebet zur Abenddämmerung vorbereitete, hieß ihn, etwas von dem Wasser zu nehmen, mit dem Er sein Angesicht wusch, und es seinem Sohn zu trinken zu geben. Dies, sagte Er, würde sein Leben retten.

+9:57

Kaum hatte Abdu'l-Hamíd Khán die Zeichen der Genesung an seinem Sohn wahrgenommen, da schrieb er einen Brief an den Gouverneur, in dem er ihm den ganzen Sachverhalt schilderte und ihn bat, seine Verfolgungsaktiongegen den Báb einzustellen. "Habe Erbarmen mit dir selbst", schrieb er, "und mit denen, welche die Vorsehung deiner Obhut anvertraut hat. Wenn die Wut dieser Seuche weiterhin ihren schlimmen Lauf nimmt, so befürchte ich, daß bis zum Ende dieses Tages keiner in der Stadt ihre Schrecken überlebt haben wird." Husayn Khán antwortete, daß der Báb unverzüglich auf freien Fuß zu setzen sei und Er die Erlaubnis habe, hinzugehen, wo immer es ihm beliebe.¹

¹ Nach `A Traweller's Narrative` p.11 ließ Husayn Khán den Báb unter der Bedingung frei, daß Er die Stadt verlasse.


+9:58 #231

Sobald die Kunde von diesen Geschehnissen nach Tihrán drang und dem Sháh zu Ohren kam, erließ er ein kaiserliches Edikt, in dem Husayn Khán seines Amtes enthoben wurde. Dieses Edikt wurde sofort nach Shíráz gesandt. Vom Tage seiner Entlassung an wurde dieser schamlose Tyrann ein Opfer zahlloser Mißgeschicke. Am Ende war er so weit, daß er nicht einmal mehr in der Lage war, sein tägliches Brot zu verdienen. Niemand schien willens oder imstande, ihm aus seiner Not herauszuhelfen. Als später Bahá'u'lláh nach Baghdád verbannt worden war, sandte Husayn Khán Ihm einen Brief, in dem er seine Reue zum Ausdruck brachte und versprach, Buße zu tun für seine begangenen Missetaten, unter der Bedingung, daß er wieder in sein früheres Amt eingesetzt werde. Bahá'u'lláh würdigte ihn keiner Antwort. In Elend und Schande siechte er dahin bis zu seinem Tod.

+9:59

Der Báb, der im Heim von Abdu'l-Hamíd Khán wohnte, sandte Siyyid Kázim zu Hájí Mírzá Siyyid Alí mit der Bitte, er möge Ihn besuchen. Er setzte Seinen Onkel von Seiner beabsichtigten Abreise von Shíráz in Kenntnis, vertraute Seine Mutter und Seine Frau seiner Obhut an und bat ihn, allen Seine Liebe und die Versicherung von Gottes unwandelbarem Beistand zum Ausdruck zu bringen. »Wo immer sie auch sein mögen", sprach Er zu Seinem Onkel, »Gottes allumfassende Liebe und Sein Schutz wird sie immer umgeben. Ich werde dich wiedersehen in den Bergen von Adhhirbáyján, von wo ich dich aussenden werde, die Krone des Märtyrertums zu erlangen. Ich selbst werde dir nachfolgen zusammen mit einem meiner getreuen Jünger, und werde dir wieder begegnen im Reiche der Ewigkeit.«





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NABILS BERICHT AUS DEN FRÜHEN TAGEN DER BAHA'I-OFFENBARUNG



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